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Nr. 15Außerordentliche MinisterratssitzungDonnerstag, 22. Januar 1948 Beginn: 17 Uhr 15 Ende: 19 Uhr 25
Anwesend:

Stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Finanzminister Dr. Kraus, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Sonderminister Dr. Hagenauer, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Staatskanzlei), Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Franz Fischer (Innenministerium-Bauabteilung), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Lacherbauer (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium) Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Adam Sühler (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium), Landtagspräsident Dr. Horlacher.

Entschuldigt:

Ministerpräsident Dr. Ehard.

Tagesordnung:

I. Stellungnahme der Staatsregierung zum Streikaufruf der Gewerkschaften.

I. Stellungnahme der Staatsregierung zum Streikaufruf der Gewerkschaften

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller eröffnet die Sitzung und führt aus, es werde mittlerweile bekannt geworden sein, daß der Vorstand der Gewerkschaften heute beschlossen habe, zu einer 24-stündigen Arbeitsruhe aufzurufen. Er verliest hierauf den Aufruf des B. Gewerkschaftsbundes1 und stellt fest, daß dieser offiziell der Staatsregierung noch nicht übergeben worden sei. Schilling2 habe ihn gestern gefragt, ob morgen die Möglichkeit bestehe, daß Vorstandsmitglieder des Gewerkschaftsbundes vom Ministerpräsidenten empfangen würden, wie er es ihnen angeboten habe. Er habe als Termin 10 Uhr angegeben. Zur Vorbereitung dieser Sitzung habe er den Wirtschaftsminister gebeten, eine Aufstellung über die Auswirkungen dieses 24-stündigen Streiks zu machen. Der Wirtschaftsminister solle sich auch für die Besprechung morgen bereithalten, ebenso ein Herr des Ernährungsministeriums. Stv. Ministerpräsident Dr. Müller verliest hierauf die Aufstellung des Wirtschaftsministeriums über die Kosten des 24-stündigen Streiks.3 Anschließend schlägt er vor zu überlegen, wie man den Aufruf der Gewerkschaften beantworten solle. Man müsse ihn beantworten, da man ihnen sonst vorwerfe, daß man die Dinge schwimmen lasse. Er schicke voraus, die Situation sei so, daß die Gewerkschaften bestimmte Streiktendenzen auffangen wollten dadurch, daß sie in Ruhe eine Demonstration durchführten.4 Die Antwort der Regierung müsse zunächst feststellen, daß der Beschluß des Vorstands der Gewerkschaft gefaßt worden sei ohne Fühlungnahme mit der Regierung. Man könne sich überlegen, ob man eingangs festhalten solle, daß auch von Seiten eines Teils der Presse die Regierungserklärung nicht im vollen Wortlaut wiedergegeben worden sei, trotzdem sie von der DENA an die gesamte Presse weitergegeben wurde. Zum Teil sei die Regierungserklärung tendenziös gefärbt worden.5 Im übrigen solle die Erklärung kurz und bündig sein. Es solle festgestellt werden, daß die Regierung zu einer Aussprache bereit sei, daß sie lediglich eine ultimative Fristsetzung abgelehnt habe. Für den Streik habe keine Notwendigkeit bestanden. Man solle auch das Wort Streik gebrauchen und nicht Arbeitsruhe. Aus dem Aufruf der Regierung müsse man die wichtigsten Feststellungen noch herausnehmen.

Staatsminister Dr. Pfeiffer teilt mit, daß inzwischen vom Gewerkschaftsbund außer dem Aufruf noch eine Antwort an die Staatsregierung veröffentlicht worden sei.6

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller stellt hiezu fest, daß auch diese Antwort veröffentlicht worden sei, bevor sie der Staatsregierung zugegangen sei.7

Staatsminister Dr. Pfeiffer verliest den Text der Antwort.8

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller fährt fort, es müsse weiter festgestellt werden, daß dem Gewerkschaftsvorstand mitgeteilt worden sei, daß am kommenden Dienstag im Landtag, also vor der Vertretung des gesamten Volkes, im Anschluß an ein Referat des Ministerpräsidenten über die Ernährungslage,9 Gelegenheit gegeben werde, die in Bayerns Zuständigkeit zu treffenden Maßnahmen zu besprechen und zu beschließen.10 Im Anschluß an diese Feststellung müsse man erklären, es sei zu bedauern, daß die Gewerkschaften den Beschluß gefaßt hätten, ohne die Rückwirkung des 24-stündigen Streiks auf die bayerische Wirtschaft zu bedenken. Man fühle sich verpflichtet, dem bayerischen Volk die Auswirkungen aufzuzeigen. Dann komme die Aufstellung des Wirtschaftsministeriums, allerdings nicht in allen Einzelheiten.

Staatssekretär Dr. Schwalber schlägt vor, zumindest an Beispielen klarzulegen, was hievon auf jeden einzelnen treffe.

Staatssekretär Sedlmayr hält dies nicht für opportun.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller fährt fort, man solle dann noch hereinnehmen die Auswirkungen auf Export und Import.

Staatsminister Dr. Seidel bemerkt, er könne mit diesem Vorschlag nicht einverstanden sein. Man müsse eine Erklärung abgeben, die den Mann von der Straße anspreche und die in der Sprache des Volkes gehalten sei.

Staatsminister Dr. Hundhammer schlägt folgende Formulierung vor: „Der Streik richtet sich gegen die Interessen des Volkes“.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller meint, man solle erst einmal einen Entwurf machen, dann könne man ihn immer noch kürzen. An den Anfang müsse man schon nüchterne Betrachtungen stellen, am Schluß dagegen z.B. sagen: „Wir fordern Euch in Eurem eigenen Interesse auf, der Streikparole nicht Folge zu leisten. Wer arbeitet wird geschützt, wer arbeitet dient dem Volk“. Er werde diese Erklärung heute noch im Rundfunk verlesen. Es solle nun zuerst dieser Entwurf vorbereitet werden. Während dieser Zeit könne in eine Erörterung der Gesamtsituation eingetreten werden.

Staatssekretär Sedlmayr berichtet bezüglich der Reichsbahn, daß man noch keine endgültige Mitteilung habe, wie weit sich der Streik erstrecke. Personenverkehr werde voraussichtlich nicht stattfinden, mit Ausnahme der Beförderung der Amerikaner. Telefon und Telegraf sollten weitergehen. Lebensmittel- und Milchtransporte sollten nicht betroffen werden. Auch die Postwagen sollten ausgeladen werden.

Staatssekretär Dr. Sattler bemerkt, durch die Lahmlegung des Personenverkehrs werde sich nicht sagen lassen, wer freiwillig oder gezwungen sich dem Streik angeschlossen habe.

Staatsminister Dr. Ankermüller berichtet, die städtische Polizei Münchens habe alle Vorbereitungen getroffen.

Staatssekretär Dr. Lacherbauer fragt, ob man denn der Auffassung sei, daß die Gewerkschaften ohne weiteres befugt seien, Arbeitsruhe anzuordnen. Man müsse feststellen, daß die Gewerkschaften zum Arbeitsvertragsbruch aufforderten. Dieser Streik unterscheide sich grundsätzlich von den bisherigen Streiks im Rheinland, da er sich gegen die Regierung richte. Dort seien es Hungerstreiks gewesen.11 Man müsse Klarheit schaffen, die Vorwürfe der Gewerkschaften zurückweisen und darauf hinweisen, daß diese nicht ermächtigt seien, Arbeitsruhe anzuordnen. Darüber hinaus müsse man aber auch fragen, wer der Parole der Regierung und wer der der Gewerkschaften folge. Wenn die Mehrzahl streike, bedeute das ein Bekenntnis zu den Gewerkschaften, während die Parole der Regierung abgelehnt werde.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller erwidert, deshalb müsse man die Formulierung noch abwarten und könne nicht zur Nichtbefolgung aufrufen, sondern die Leute nur zur Vernunft mahnen. Die Befolgung der Streikparole könne sonst als Niederlage der Regierung aufgefaßt werden.

Staatssekretär Sedlmayr wirft ein, einen Streik könne man nicht mit formal-juristischen Einwänden verhindern.

Staatssekretär Dr. Lacherbauer erwidert, es handle sich um keine formaljuristischen Einwände. Man müsse aber den Aufruf der Regierung mit Klugheit formulieren. Man könne keine Gegenparole geben. Man werde sicher eine Niederlage erleiden, weil die meisten doch der Parole der Gewerkschaften folgen würden. Man könne sagen, daß der Streik nicht den Charakter habe, den die Gewerkschaften ihm nach außen hin verleihen wollten.

Staatsminister Krehle führt aus, die Sache habe eine Vorgeschichte. Man sei nicht untätig gewesen und vielleicht sei es ihrer Initiative zu verdanken, daß der Streik auf 24 Stunden beschränkt bleibe. Ursprünglich habe die Sache anders ausgesehen. Wenn ein wirklicher Generalstreik über den Kopf der Gewerkschaften hinweg ausgebrochen wäre, wäre das Chaos fertig. Man habe sich vor allem dagegen gewendet, daß man von einem Beschluß des Bundesvorstandes rede. Tatsächlich stamme der Beschluß nur vom geschäftsführenden Vorstand und von den Landesvorsitzenden, die zufällig in München gewesen seien. Man habe die beiden Vertreter der ehem. Christlichen Gewerkschaften nicht geladen.12 Es werde den Gewerkschaften das Recht bestritten, eine so wichtige Maßnahme in einem so kleinen Gremium zu beschließen. Dagegen habe man sich verwahrt und heute dem Bundesvorstand eindeutig erklärt, dies sei die letzte Belastungsprobe, die man mitmache. Man dürfe aber auch nicht verkennen, daß auch ein Teil unserer Leute der Streikparole Folge leisten werde. Nun sei es darauf angekommen, im Bundesvorstand die Sache zu retten, den Streik auf 24 Stunden zu lokalisieren und zum Ausdruck zu bringen, daß sich die Aktion nicht allein gegen die bayerische Regierung, sondern auch gegen die bizonalen Stellen und die Militärregierung richte, die allein in der Lage sei, mit Lebensmitteln zu helfen. Den Gewerkschaften sei klar und deutlich erklärt worden, daß man einen Generalstreik wegen der 7 Punkte13 nicht mitmache. Nun habe es sich darum gehandelt, ob man verhindern könne, daß der Streik eine größere Ausdehnung annehme. Er sei der Überzeugung, die Gewerkschaften hätten sehr unklug gehandelt. Der heute Mittag gefaßte Beschluß komme gar nicht mehr nach außen durch. Bezüglich der Beamten stehe fest, daß sie kein Streikrecht hätten.14 In seinem Ministerium werde gearbeitet. Gerade die radikalen Betriebsräte hätten sich gegen den Streik ausgesprochen. Er habe heute seinem Betriebsrat erklärt, er erwarte, daß jeder im Dienst sei, der nicht auf Grund der Verkehrslage verhindert sei. Er glaube, man solle jetzt kein Öl ins Feuer gießen, sondern die Hand dazu bieten, um die Dinge auf 24 Stunden zu beschränken. Die Vertreter der ehem. Christlichen Gewerkschaften hätten ausdrücklich erklärt, daß, sobald die Geschichte 24 Stunden überschreite, sie dagegen seien. Auch er habe dem Bundesvorstand mitteilen lassen, daß dann die christliche Arbeiterschaft aufgerufen werde, den Streik nicht mitzumachen Man könne sich aber jetzt nicht hinstellen und unseren Leuten zumuten, diesen beschränkten Streik nicht mitzumachen. Er sei der Auffassung, es habe keinen Sinn, eine Gegenparole auszugeben. Die Parole der Gewerkschaften werde zu 50% wohl nicht erfüllt werden. Es könne also nicht allzuviel passieren. Man solle die Nerven nicht verlieren und die Sache nicht mit irgendwelchen formalen Dingen belasten. Wer recht habe oder nicht recht habe, sei nicht entscheidend, entscheidend sei, daß am Samstag wieder gearbeitet werde. Man solle zur Disziplin und Ordnung aufrufen, dafür werde auch die Militärregierung sorgen. Man solle versuchen, morgen bei den Besprechungen mit den Gewerkschaften schiedlich, friedlich auseinander zu kommen und am Dienstag im Parlament eine entsprechende Erklärung abgeben.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller möchte zunächst den Entwurf noch abwarten. Er wolle lieber die Zahlen sprechen lassen und an die Vernunft appellieren. Wenn man der Streikparole eine Gegenparole entgegenstelle und die Leute streikten dann doch, wirke das nach außen schlecht.

Staatssekretär Sedlmayr führt aus, in den Forderungen der Gewerkschaften heiße es, daß nicht restlos erfaßt worden sei, sowohl in der Landwirtschaft, als auch in der gewerblichen Wirtschaft. Es scheine ihm wichtig, daß man bei den Besprechungen mit den Gewerkschaften diesen nochmals die Frage vorlege, in welchem deutschen oder anderen Lande es bei einer solchen Mangellage jemals möglich sei, eine restlose Erfassung durchzuführen. Das sei in keinem Land der Erde bisher vordemonstriert worden, auch nicht in den Ländern, in denen es SPD-Ministerpräsidenten und -Mehrheiten gebe. In diesen Ländern werde noch viel weniger erfaßt als in Bayern. Sei vielleicht in der Zeit, als in Bayern eine Koalitionsregierung mit der SPD bestanden habe, eine restlose Erfassung möglich gewesen? Wenn man selber sage, daß die ausführenden Organe versagten, damit also zugebe, daß die Anordnungen von oben her gut seien, müsse man fragen, wer die ausführenden Organe seien. Diese seien aber in großem Umfang sozialdemokratisch und auch gewerkschaftlich organisierte Leute. Das müsse man den Gewerkschaften sehr eindeutig sagen. Es würden Vorwürfe gegen die jetzige bayerische Regierung erhoben, die den Gewerkschaften nicht einfielen dort, wo andere Regierungen am Ruder seien. Bei unserer außerordentlichen Mangellage sei es ganz natürlich, daß jedermann bestrebt sei, außer der Hungerration auch noch irgendetwas zu bekommen, um sein Leben zu erhalten. Die Arbeiter hätten Zulagen aller Art für sich in Anspruch genommen und erhalten. Wenn man jetzt unterscheide zwischen denen, die noch alles hätten und denen, die nichts mehr hätten, so gehe dieser Querschnitt durch die Gesamtbevölkerung und sei nicht so zu ziehen, daß auf der einen Seite die Arbeiter, auf der anderen Seite die intellektuellen Schichten stünden. Es werde doch wohl so sein, daß viele aus diesen anderen Schichten, die sog. Besitzenden, lebensmittelmäßig schlechter daran seien, als sehr erhebliche Gruppen der Arbeiter. Auch das müsse man sagen. Wenn man das mit genügender Deutlichkeit sage, sei nachgewiesen, daß die ganze Richtung der Vorwürfe der Gewerkschaften verfehlt sei. Ein Recht zu Protest hätten diejenigen Normalverbraucher gleich welcher Berufsstände, welche seit Jahr und Tag mit diesen Hungerrationen auskommen sollten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller unterbricht, weil er um 7.15 Uhr im Radio sprechen müsse und infolgedessen die Zeit dränge. Er verliest im Anschluß daran die erste Seite des vorbereiteten Aufrufs.15

Landtagspräsident Dr. Horlacher hält die Form dieses Aufrufs für nicht geeignet. Dieser müsse ganz kurz sein und etwa folgendermaßen lauten:

„Die Staatsregierung hat folgendes zu erklären:

1. Sie ist der Ansicht, daß der Streik nicht dazu angetan ist, die Interessen des Volkes zu fördern.

2. Der Streikbeschluß richtet sich ausschließlich gegen die Bayer. Staatsregierung. Dagegen wird sie bei der nächsten Sitzung des Bayer. Landtags Stellung nehmen. Der Streik geht an den Grundursachen unseres Elendes vorüber. Das weiß jeder Mensch auf der Straße. Schuld ist in großem Umfang die Dürrekatastrophe des vorigen Jahres.16 Jedermann weiß ferner, daß ohne genügende Auslandshilfe das Unheil von Deutschland nicht abzuwenden ist. Das gibt das Ausland selber zu und deshalb wird der Marshallplan17 auf Deutschland erstreckt. Alle Deutschen müssen zusammenhalten“.

Staatsminister Dr. Ankermüller schlägt vor, auch die Ausführungen von Staatssekretär Sedlmayr zu verwerten.

Nach kurzer Debatte wird beschlossen, daß Landtagspräsident Dr. Horlacher einen Entwurf ausarbeiten soll.

Staatsminister Dr. Pfeiffer erklärt, er habe soeben einen Anruf vom Ministerpräsidenten aus Frankfurt erhalten, daß morgen um 14.30 Uhr ein außerordentlicher Ministerrat stattfinde, in dem über die Neugestaltung des Wirtschaftsrats gesprochen werden solle. Die Ministerpräsidenten müßten bis nächsten Mittwoch ihre Stellungnahme zu den amerikanischen Vorschlägen abgeben. Sie müßten daher am Dienstag schon wieder in Frankfurt sein, um sich gegenseitig zu besprechen. Es bleibe also nur der Montag übrig, um mit dem Landtagsausschuß Fühlung zu nehmen.18 Deswegen müsse vorher am Freitag Ministerrat sein.

Landtagspräsident Dr. Horlacher verliest einen von ihm ausgearbeiteten Entwurf.19

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller verliest den Rest des anderen Entwurfs.20

Nach kurzer Debatte wird der als Anlage beigegebene Aufruf beschlossen.

Der Stellvertreter
des Ministerpräsidenten
gez.: Dr. Josef Müller
Staatsminister
Der Generalsekretär des
Ministerrats
gez.: Claus Leusser
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister

Anlage

Erklärung der Staatsregierung21

In seiner außerordentlichen Sitzung vom 22. Januar 1947, 17 Uhr, hat der Bayerische Ministerrat die folgende Stellungnahme beschlossen, die der stellvertretende Ministerpräsident und Staatsminister der Justiz Dr. Josef Müller um 20.15 Uhr des gleichen Tages über Radio München bekanntgegeben hat: Der Bundesausschuß des Bayer. Gewerkschaftsbundes hat heute zu einem 24 stündigen Streik für den 23. Januar 1948 aufgerufen. Die Regierung ist von dieser Maßnahme bis zur Stunde noch nicht offiziell in Kenntnis gesetzt worden. Die Bayer. Staatsregierung gibt folgende Erklärung ab: In der schwersten Not unseres Volkes hat der Bayer. Gewerkschaftsbund zum Streik aufgerufen. Dafür trifft ihn allein die Verantwortung. Die wirtschaftliche Lage wird dadurch verschlechtert. Ein Streik, der auch nur einen Tag dauert, verursacht einen Schaden bei der Industrie-Produktion von 11 Millionen RM, bei der Bauwirtschaft, den Versorgungsbetrieben und der Kleinindustrie von 6 Millionen RM, beim Handwerk von 4–5 Millionen RM. Der Gesamtausfall für die bayerische Wirtschaft beträgt für einen Tag allein rd. 27 Millionen RM. Mitten im Winter tritt für einen Tag ein Produktionsausfall an bayerischer Kohle von rd. 11000 to ein und Zufuhrausfall in ungefähr gleicher Höhe. Der Aufruf des Gewerkschaftsbundes sieht in der bayerischen Staatsregierung den Hauptschuldigen der jetzigen Lage. Jeder Mann und jede Frau wissen, daß die Dürre-Katastrophe in unserer bayerischen Landwirtschaft die Lebensmittellage außerordentlich verschärft. Jeder Mann und jede Frau wissen, daß die Loslösung der Ostgebiete aus der deutschen Wirtschaftsgemeinschaft, die Übervölkerung, das Fehlen des Friedenszustandes und die leider nicht ausreichende Hilfe des Auslandes, die von uns dankbar anerkannt wird, diese Verhältnisse im wesentlichen bedingen. Daß Deutschland ohne Auslandshilfe sich nicht mehr wirtschaftlich aufrichten kann, beweist die Notwendigkeit des Marshall-Planes. Endlich wissen jeder Mann und jede Frau, daß die Lebensmittelversorgung in den anderen deutschen Ländern genau so katastrophal, zum Teil noch katastrophaler ist wie in Bayern. Die Bayer. Staatsregierung wird in der nächsten Vollsitzung des bayerischen Landtags am Dienstag, den 27. Januar 1948,22 im einzelnen zur Lage Stellung nehmen. Die Bayerische Staatsregierung ruft die bayerische Bevölkerung auf: Bewahrt Ruhe! Wer in dieser Notstunde arbeitet, dient dem Volke.

Die Bayerische Staatsregierung
gez. Dr. Josef Müller
Staatsminister der Justiz
Stellvertreter des Ministerpräsidenten