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Nr. 108Außerordentliche MinisterratssitzungDienstag, 13. Juni 1950 Beginn: 17 Uhr Ende: 18 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Verkehrsminister Frommknecht, Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Ministerialrat Leusser (Bayer. Staatskanzlei), Oberregierungsrat Dr. Henle1(Bayer. Staatskanzlei), Ministerialrat Roemer2(Justizministerium), Ministerialdirigent Brunner3(Verkehrsministerium), Ministerialrat Böhm4(Innenministerium).

Entschuldigt:

Innenminister Dr. Ankermüller, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Krehle, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Dr. Konrad (Justizministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Güterkraftverkehrsgesetz. II. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamt).

Zu Beginn der Sitzung teilt Ministerialrat Leusser mit, daß die Frage der Abgrenzung der Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern im Finanzausschuß des Bundesrates um 14 Tage zurückgestellt worden sei. Im nächsten Ministerrat könne sie gleichfalls nicht behandelt werden, da eine Reihe von Kabinettsmitgliedern nicht anwesend sein würden. Es sei aber notwendig, die Angelegenheit in einer Ministerratssitzung in der Woche zwischen dem 10. und 24. Juni 1950 abzuschließen.5

Sodann wird in die Beratung der Tagesordnung eingetreten.

I.Güterkraftverkehrsgesetz6

Ministerialrat Leusser berichtet, es handle sich hier um ein Initiativgesetz des Bundesrates,7das auf den Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen zurückgehe.8An sich sei der Entwurf jetzt im wesentlichen fertig, er stehe auch auf der Tagesordnung der Plenarsitzung vom kommenden Freitag, den 16. Juni 1950.

Ministerialdirigent Brunner teilt dazu mit, in der Frage des Güterkraftverkehrs liefen zwei Gesetzentwürfe nebeneinander her, nämlich einmal der nordrhein-westfälische Entwurf9und dann einer des Bundesverkehrsministeriums, der sich allerdings mit dem Güterfernverkehr befasse.10Das B. Verkehrsministerium sei mit dem Initiativgesetz im wesentlichen einverstanden. Bedenken bestünden vor allem dagegen, daß zur Überwachung des Güterkraftverkehrs landesunmittelbare Anstalten des öffentlichen Rechts errichtet werden sollten; dagegen wende sich insbesondere das Staatsministerium des Innern.11Trotzdem vertrete er aber den Standpunkt, daß gegen die Errichtung von Landesanstalten keine Einwendungen mehr erhoben werden sollten, da in dem Entwurf des Bundesverkehrsministeriums sogar eine Bundesanstalt mit Außenstellen vorgesehen sei.12Eine solche Einrichtung fordere insbesondere der Vorsitzende des Verkehrsausschusses des Bundestages, Abg. Rademacher13(FDP).

Ministerialrat Leusser erklärt, die Mehrheit im Koordinierungsausschuß sei der Meinung gewesen, daß trotzdem gegen die Aufsplitterung der Verwaltung Stellung genommen werden müsse.14

Staatssekretär Dr. Schwalber meint, es sei besser, unter Umständen sogar die Bundesanstalt auf sich zu nehmen, als eine Landesanstalt, die sich aus Interessengruppen zusammensetze. Er warne davor, immer mehr staatliche Zuständigkeiten zu Gunsten von Selbstverwaltungsgruppen aufzugeben.

Ministerialdirigent Brunner fährt fort, das Kraftverkehrsgewerbe trete mit allen Mitteln für die Bundesanstalt ein, ebenso alle Fachzeitschriften. Er halte es übrigens auch für notwendig, daß sich der Rechtsausschuß noch einmal mit dem Entwurf befasse. Es sei dabei möglich, daß der Bundesrat diesen mit den Bedenken des Rechtsausschusses nochmals an den Verkehrsausschuß zurückverweise.

Ministerialrat Roemer warnt vor den Konsequenzen, die ein Entgegenkommen gegenüber den Vertretern des Kraftverkehrs haben werde. In Bayern habe man bekanntlich das Prinzip, daß Wirtschaftsorganisationen keine Selbstverwaltungsrechte ausüben dürften.

Ministerialrat Böhm bezeichnet es als unmöglich, daß der Bundesrat, der die Rechte der Länder vertrete, diesen Initiativantrag einbringe. Die Regelung müsse unter allen Umständen den Ländern überlassen bleiben, in diesem Falle könne ja Nordrhein-Westfalen eine eigene Landesanstalt errichten. Er könne auch nicht einsehen, warum eine oberste Behörde errichtet werden solle.

Ministerialdirigent Brunner wirft ein, im Verkehrsausschuß sei man der Auffassung gewesen, daß es nicht durchführbar sei, die Überwachung verschiedenen Behörden in den einzelnen Ländern zu überlassen.

Ministerialrat Leusser stellt fest, daß nach den Art. 8315und 8416des Grundgesetzes die Überwachung allein Sache der Länder sei.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird vereinbart, jedenfalls die Angelegenheit nochmals eingehend im Rechtsausschuß des Bundesrates zu behandeln.17

II.Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamt18

Ministerialrat Leusser führt aus, der Koordinierungsausschuß würde grundsätzlich nach wie vor an dem Standpunkt festhalten, daß eine Bundesexekutive nicht zulässig sei.19Die Bundesregierung stützt die Zulässigkeit einer solchen Bundesexekutive nunmehr auf eine falsche Auslegung des Art. 87 Abs. 1 Satz 220des Grundgesetzes, eine Auffassung, die aber im Bundesrat überwiegend abgelehnt werde. Allerdings werde sich auch für den bayerischen Standpunkt keine Mehrheit finden21Vielleicht könne in der Sitzung des Innenausschusses am 15. Juni ein Kompromiß gefunden werden.22

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller erklärt, es müsse eine Möglichkeit geben, das Verbrechertum zu bekämpfen. Er habe vorgeschlagen, daß das Bundesinnenministerium nochmals seinen Vorschlag überprüfe, vielleicht könne man doch zu einer Einigung kommen.

Ministerpräsident Dr. Ehard befürchtet, daß also tatsächlich ein Bundeskriminalamt errichtet werde, das Exekutivgewalt in den Ländern habe. Natürlich müsse dieses dann auch eine Reihe von Außenstellen errichten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller meint, man könne vielleicht dahin kommen, daß nur bestimmte Delikte aufgeführt würden, die in die Zuständigkeit des Bundeskriminalamts fielen. Generell müßte natürlich die Exekutive bei den Ländern liegen, außer – wie gesagt – bei ganz bestimmten, einzeln aufgeführten Verbrechen. Wenn man diesen Kompromiß nicht erreichen würde, müßte – wie er ja auch schon in Bonn erklärt habe – Bayern mit Nein stimmen.

Staatssekretär Dr. Schwalber wendet sich überhaupt gegen eine Bundesexekutive in dieser Hinsicht.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller betont die Notwendigkeit, zu einem Kompromiß zu kommen und weist darauf hin, daß nicht beabsichtigt sei, Bundespolizeiämter in den Ländern zu errichten. Das Kriminalamt werde lediglich bestimmte Beamte zur Verfolgung bestimmter Delikte entsenden.23

Ministerialrat Roemer berichtet, daß Staatssekretär von Lex24das Bundeskriminalamt unter allen Umständen durchsetzen wolle25Nachdem leider fast alle Länder für die Zweckmäßigkeit dieses Amtes eingetreten seien, habe man überlegt, ob man nicht einen Vorschlag machen könne, durch den schlimmeres verhütet werde.

Staatsminister Dr. Hundhammer führt aus, das Bundesinnenministerium versuche, sich auf dem Weg der Gesetzgebung Möglichkeiten zu verschaffen, die bereits bei der Schaffung des Grundgesetzes abgelehnt worden seien. Er sei der Auffassung, daß man die Durchführung ganz ausgesprochen bei den Ländern lassen müsse und sich dabei auf den Stand, wie er vor 1937 bestanden habe, berufen könne.26

Auch Ministerialrat Leusser stellt nochmals fest, daß der Vorschlag in der Verfassung keine Stütze habe.

Staatsminister Dr. Hundhammer erklärt, unter diesen Umständen müsse man es notfalls auf einen Verfassungsstreit ankommen lassen. Wenn man jetzt einige Tatbestände zulasse, so könne dies ohne weiteres in Zukunft ausgeweitet werden.

Ministerialrat Leusser macht darauf aufmerksam, daß die Frage geprüft werden müsse, ob sich ein Land seiner Rechte nach der Verfassung entäußern könne.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß sich der Rechtsausschuß und der Innenausschuß nochmals mit der Angelegenheit beschäftigen würden; vielleicht sei es das zweckmäßigste, doch das Ergebnis abzuwarten und sich dann erst endgültig zu entscheiden.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller meint, im Bundesrat selbst werde nichts mehr erreicht werden können.

Es wird vereinbart, dem Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten entsprechend zunächst noch die weitere Entwicklung abzuwarten.27

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
Im Auftrag
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister