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EinleitungD

I. Quellencharakteristik

Für das Kabinett Ehard III, das als große Koalition vom 18. Dezember 1950 bis zum 14. Dezember 1954 amtierte, sind insgesamt 241 Ministerratsprotokolle überliefert. Im vorliegenden Editionsband kommen davon 77 Protokolle aus dem Zeitraum vom 20. Dezember 1950 bis zum 28. Dezember 1951 zum Abdruck.1

Das hervorstechendste Merkmal der Ministerratsprotokolle für das Jahr 1951 ist die schiere Quantität des Quellenmaterials: Im Vergleich zum vorangegangenen letzten Regierungsjahr 1950 des Kabinetts Ehard II ist die Zahl der Kabinettssitzungen um mehr als die Hälfte von 45 auf 77 gestiegen, und auch der durchschnittliche Umfang der Protokolle ist merklich angewachsen. Dieser Sachverhalt wird auf eine Kombination verschiedener signifikanter Ursachen zurückzuführen sein: generell wohl erforderte das erhöhte politische Konfliktpotential in einer großen Koalition eine intensivierte gegenseitige Abstimmung zwischen den Regierungsparteien und innerhalb des Kabinetts, speziell in der bayerischen Landespolitik entstand 1951 zudem akuter Handlungsbedarf aufgrund einer Reihe unvorhergesehener politischer Ereignisse, ferner waren allgemein die bundespolitischen Einflüsse, hier insbesondere die Gesetzgebungstätigkeit auf Bundesebene, im Wachsen begriffen, und schließlich hatte im Jahre 1951 mittelbar auch die weltpolitische Großwetterlage – die krisenhaft verstärkte Ost-West-Blockkonfrontation in Folge des Kriegsausbruches in Korea im Juni 1950 – ebenso unerwartete wie markante Auswirkungen auf die Politik im Freistaat.2

Eine Konsequenz dieser Umstände war die bemerkenswert hohe Zahl von außerordentlichen Kabinettszusammenkünften, rund 1/6 der Ministerratssitzungen – 13 von 77 – sind 1951 als Sondersitzungen des Kabinetts einberufen worden.3 Diese hohe Sitzungsfrequenz konterkarierte zum Teil auch die Planung von Ministerpräsident Ehard, die Ministerratssitzungen regelmäßig im Wochenturnus am Dienstagvormittag, zwischen den am Montag stattfindenden Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei4 und den normalerweise zu Wochenmitte beginnenden Bundesratsberatungen in Bonn, anzusetzen.5 Die überwiegende Anzahl der Kabinettssitzungen (47 von 77) fand dann zwar auch an einem Dienstag statt, 13 Sitzungen wurden an einem Montag, acht an einem Mittwoch, sechs an einem Donnerstag, zwei an einem Freitag und eine an einem Samstag einberufen. Auffällig allerdings und Indiz für die offensichtlich punktuell sehr hohe Arbeitsbelastung der Staatsregierung ist die zeitliche Verteilung der Zusammenkünfte. In zehn Fällen wurden zwei Kabinettsberatungen an zwei aufeinanderfolgenden Tagen abgehalten, sechsmal an einem Montag und Dienstag, viermal an einem Dienstag und Mittwoch. Viel bemerkenswerter aber noch erscheint, daß es wiederholt zu mehreren Gelegenheiten Kalenderwochen gab, in denen mehr als zwei Sitzungen notwendig waren. So fand sich der Ministerrat zwischen dem 22. und dem 25. Mai6 sowie zwischen dem 3. und dem 7. Juli7 zu jeweils drei Treffen zusammen und zwischen dem 16. und dem 18. Juli zu vier Sitzungen, wobei an letztgenanntem Datum gar zwei Ministerratssitzungen abgehalten wurden.8 Letzteres übrigens war nicht etwa eine singuläre Ausnahme, sondern es etablierte sich hier ein weiteres Novum in der Regierungsarbeit des Jahres 1951: Auch für den 28. August,9 den 13. November10 und den 4. Dezember11 existieren jeweils zwei Ministerratsprotokolle, und für den 20. November sind gar drei Kabinettssitzungen dokumentiert.12

Tagungsort des Ministerrates war stets die Staatskanzlei in der Münchner Prinzregentenstraße 7, dem früheren preußischen Gesandtschaftsgebäude. Die Einberufung zum Ministerrat erfolgte durch den Ministerpräsidenten oder den Stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Ausfertigung und Unterzeichnung der Einladungen durch den Generalsekretär des Ministerrates oder einen seiner Stellvertreter. Wie bereits im Jahre 1950 zeichnete Regierungsdirektor Levin Freiherr von Gumppenberg13 die überwiegende Mehrzahl der Einladungen; nur in sieben Fällen taten dies andere Mitarbeiter der Staatskanzlei: sechsmal Oberregierungsrat Hans Kellner,14 einmal Regierungsrat Peter Bußler.15 Der formal bis Ende 1951 immer noch als Generalsekretär des Ministerrates amtierende Claus Leusser,16 Leiter der Rechtsund Verfassungsabteilung in der Staatskanzlei, dort auch zuständig für die Behandlung der Bundesratsangelegenheiten und seit September 1951 Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe, hat in dem im vorliegenden Editionsband dokumentierten Zeitraum keine Einladungen mehr unterzeichnet.

Die Einladungen zu den Kabinettssitzungen gingen den Regierungsmitgliedern in der Regel vier bis fünf Tage vor dem angesetzten Termin zu, nur vereinzelt kam es zu kurzfristigen Einladungen mit nur einem oder zwei Tagen Vorlaufzeit. Zu insgesamt 14 Kabinettsprotokollen existieren keine Einladungen- und zwar handelt es sich dabei stets und ausschließlich um Sitzungen, die in ein- oder zweitägigem Abstand zum jeweils vorangegangenen Ministerrat abgehalten wurden17 bzw. in fünf Fällen um außerordentliche Kabinettssitzungen.18 Es kann davon ausgegangen werden, daß hier schlicht das enorme Arbeitspensum der Staatsregierung ausschlaggebend war, und diese 14 Sitzungen ohne gesonderte Einladungen – nach nur mündlicher Absprache der Regierungsmitglieder – der Fortführung und dem Abschluß der vorangegangenen regulären Kabinettsbesprechung dienten.19 Eine letztgültige Klärung allerdings ist hier nicht möglich – denn diesbezüglich lassen sich weder aus den vorläufigen Tagesordnungen, wie sie allen übrigen Einladungen beigefügt wurden, aussagekräftige Informationen ableiten, noch existieren Kabinettsvorlagen, die hier Aufschluß geben könnten: Die den Einladungen beigefügten Tagesordnungen wurden offensichtlich regelmäßig und schnell zur Makulatur und deckten sich zumeist nur partiell mit der tatsächlich im Kabinett verhandelten Agenda, und den Kabinettsmitgliedern wurden auch im Regierungsjahr 1951 weiterhin keine Vorlagen zur Sitzungsvorbereitung übersandt, obwohl Ministerpräsident Ehard dies in der konstituierenden Kabinettssitzung vom 20. Dezember 1950 angekündigt hatte.

Bezüglich der Teilnahme der Regierungsmitglieder an den Ministerratssitzungen ist, im Vergleich zu den Vorjahren, für das Jahr 1951 eine leichte Verbesserung der Kabinettsdisziplin zu verzeichnen – auch dies wohl eine Folge der Arbeitsbedingungen einer großen Koalition. Zwar sind die Absenzen von Innenstaatssekretär Nerreter in 19 und von Landwirtschaftsstaatssekretär Maag in 18 Sitzungen, von Landwirtschaftsminister Schlögl in 22, von Arbeitsminister Oechsle in 24 und von Kultusminister Schwalber in 26 von 77 Sitzungen augenfällig hoch; im Falle von Josef Schwalber aber waren – wie bereits im Vorjahre – gesundheitliche Gründe für die lange Abwesenheit zwischen dem 25. Juni und dem 14. August verantwortlich,20 und auch die insgesamt 17 Absenzen des Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Innenministers Hoegner sind überwiegend auf dessen längeren Krankenhausaufenthalt im Mai und Juni 1951 zurückzuführen.21 Bezüglich der Fehltage der übrigen Kabinettsmitglieder ist festzuhalten, daß diese sich deutlich auf die Urlaubszeit der Sommermonate konzentrierten. Der Ministerrat war besonders im Juli und August verhältnismäßig schwach besetzt, auch neun der zehn Absenzen von Ministerpräsident Ehard, dessen Posten und Funktion im Ministerrat dann vom Stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner übernommen wurde, fallen in die Zeit zwischen dem 7. und dem 31. Juli. Durch sehr regelmäßige Präsenzen fallen auf Wirtschaftsstaatssekretär Guthsmuths (sechs Absenzen) und – wie in den Vorjahren auch – der in den Protokollen wenig exponierte frühere Arbeitsminister und nunmehrige Staatssekretär Krehle, der in nur vier von 77 Ministerratssitzungen entschuldigt war. Während im Regierungsjahr 1950 das Kabinett nur zweimal vollzählig versammelt war, war dies im Jahre 1951 immerhin zehnmal der Fall.

Regelmäßige Teilnehmer am Ministerrat waren weiterhin der neue Leiter der Staatskanzlei, Karl Schwend, der an 49 Sitzungen teilnahm, sowie die beiden für die Bundesangelegenheiten zuständigen höheren Beamten Claus Leusser und Erich Gerner.22 Ersterer trug im Ministerrat in insgesamt 27 Sitzungen die Bundesratsangelegenheiten vor, in 17 Fällen – vornehmlich im zweiten Halbjahr 1951 – nahm diese Aufgabe der seit Oktober 1950 zum Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund abgeordnete und zum 1. Oktober 1951 in die Staatskanzlei versetzte Gerner wahr; in drei Fällen waren beide Beamte gleichzeitig als Referenten im Ministerrat vertreten.23 Im Verlauf der zweiten Jahreshälfte 1951 übernahm Erich Gerner von Claus Leusser, der im September nicht nur Bundesverfassungsrichter wurde, sondern Anfang Januar 1952 auch zusätzlich dem am 16. November verstorbenen bisherigen Bevollmächtigten Bayerns beim Bund, Ernst Rattenhuber,24 im Amt nachfolgte,25 sukzessive die Zuständigkeiten für die Bundesratsangelegenheiten in der Staatskanzlei. Nachgewiesenermaßen neunmal nahm ferner der Chef des Presse- und Informationsamtes der Staatskanzlei, Franz Baumgärtner,26 am Ministerrat teil. Das Kabinett hatte in seiner Sitzung vom 28. Dezember 1950 den Vorschlag von Ministerpräsident Ehard gebilligt, daß der Pressechef der Staatskanzlei entsprechend den Regelungen der Bundesregierung und der meisten anderen Länderregierungen stets an allen Kabinettsberatungen teilnehmen dürfe.27 Offen muß allerdings hier bleiben, wie oft oder regelmäßig Baumgärtner dem Ministerrat tatsächlich beiwohnte. In acht Protokollen ist Baumgärtner in der Anwesenheitsliste angeführt, in der Sitzung vom 21. August allerdings leistete er einen Wortbeitrag, ohne in der ursprünglichen Vorlage als Teilnehmer geführt worden zu sein.28 Möglicherweise war Baumgärtner als Gast deutlich öfter im Ministerrat vertreten, als es sich durch die Protokolle tatsächlich belegen läßt.

In deutlich ausgeweitetem Umfang zog das Kabinett im Jahre 1951 externe, nicht der Staatsregierung angehörige Personen als Sachverständige oder Berichterstatter zu den Ministerratssitzungen hinzu; es setzte sich hier eine seit dem Amtsantritt des Kabinetts Ehard II zu beobachtende Entwicklung verstärkt fort.29 An insgesamt 21 Kabinettssitzungen nahmen Nicht-Regierungsmitglieder am Ministerrat teil. Häufigster Gast in insgesamt sieben Kabinettssitzungen war Ministerialdirigent Brunner aus dem Verkehrsministerium.30 Nachdem die Auflösung des Staatsministeriums für Verkehr und dessen Überführung in das Wirtschaftsministerium bereits seit längerem beschlossene Sache war und daher bei der Kabinettsumbildung im Dezember auch kein Verkehrsminister mehr ernannt wurde,31 vertrat Brunner – seit Ende 1950 geschäftsführender Leiter des Verkehrsministeriums – seine Behörde im Ministerrat übergangsweise als ‚Ersatz-Verkehrsminister‘. In zwei Ministerratssitzungen, in denen gesetzliche Fragen zum Umgang mit belasteten Personen bzw. der Entnazifizierung auf der Tagesordnung standen,32 referierte der frühere geschäftsführende Leiter des im März 1950 aufgelösten Staatsministeriums für Sonderaufgaben, Ministerialdirektor Camille Sachs.33 Ebenfalls jeweils zweimal nahmen Ministerialdirektor Josef Mayer34 vom Kultusministerium – als Sachverständiger für Schulfragen – sowie Ministerialrat Fritz Baer35 von der Staatskanzlei am Ministerrat teil. Im Ministerrat vom 10. Oktober 1951, in dem sowohl Innenminister Hoegner wie Innenstaatssekretär Nerreter abwesend waren, vertrat Regierungsdirektor Walter Ahnelt36 das Innenministerium bei der Beratung des Bundesvertriebenengesetzes.37 Eine außergewöhnliche Situation war in den Kabinettssitzungen vom 9. und 13. August 1951 gegeben: Im Rahmen der dringlichen Behandlung der Frage um die Erweiterung des oberpfälzischen Truppenübungsplatzes Hohenfels wurden nicht nur zahlreiche amtliche Vertreter der Landesplanung, des Landwirtschaftsministeriums, der Forstverwaltung und des Finanzministeriums zum Ministerrat hinzugezogen, sondern auch die Landräte der drei von der Truppenübungsplatzerweiterung betroffenen Landkreise, ein Landtagsabgeordneter und ein Vertreter des Bayerischen Bauernverbandes. Am 13. August empfing der Ministerrat vor dem Eintritt in die eigentliche Tagesordnung eine Delegation des Landkreises Parsberg – bestehend aus dem Landrat, den Bürgermeistern von sechs von Evakuierungsmaßnahmen bedrohten Gemeinden, einem oberpfälzischen Repräsentanten des Bauernverbandes sowie zwei Landtagsabgeordneten.38

Die Mitschrift und die endgültige Abfassung der Ministerratsprotokolle lag wie in den Vorjahren auch zumeist in der Verantwortung des bis Dezember 1951 formal immer noch als Stellvertreter des Generalsekretärs des Ministerrates amtierenden Levin Freiherr von Gumppenberg – erst ab dem Protokoll vom 18. Dezember zeichnete von Gumppenberg nicht mehr „im Auftrag“ für Claus Leusser. Acht Protokolle wurden von Regierungsrat Hans Kellner ausgefertigt, zwei von Regierungsrat Peter Bußler. Bemerkenswerterweise lassen sich dabei hinsichtlich des Stils, des Umfanges und der Gestaltung der Niederschriften der drei Protokollanten keine signifikanten Charakteristika oder Unterschiede festmachen.

Sowohl von den drei genannten Protokollführern wie von Ministerpräsident Ehard – in den Fällen, in denen der Stellvertretende Ministerpräsident den Vorsitz im Ministerrat führte, auch von Wilhelm Hoegner – wurden in den Protokollentwürfen des Registraturexemplars im Bayerischen Hauptstaatsarchiv,39 die die Vorlagen für die endgültigen, an die Teilnehmer des Ministerrates versandten Schlußfassungen bildeten, zum Teil handschriftliche Änderungen und Korrekturen vorgenommen. In aller Regel handelt es sich hierbei um die Berichtigung von Schreib- oder Übertragungsfehlern oder geringfügige sprachlich-stilistische Verbesserungen. Die handschriftlichen Bemerkungen Hans Ehards dienten fast ausschließlich der sachlichen Ergänzung oder der sprachlichen Präzisierung juristischer Sachverhalte. Glättende oder mäßigende sprachliche Eingriffe, die die Diktion der Protokolltexte entschärfen sollten – wie es insbesondere bei den Ministerratsprotokollen der Jahre 1947/48, in weniger ausgeprägter Form auch 1949 noch gängige Praxis gewesen ist-,40 kamen nur mehr sehr vereinzelt vor.

Ein Novum der Ministerratsprotokolle des Regierungsjahres 1951 ist allerdings, daß dem endgültigen Protokolltext wiederholt nachträgliche Ergänzungen und Korrekturen beigefügt wurden. So wurde der Niederschrift der Ministerratssitzung vom 26. Februar im Rahmen der Diskussion über die Versorgung ehemaliger Regierungsmitglieder eine ergänzende Stellungnahme von Staatsminister Oechsle hinzugefügt,41 und in zwei Fällen – einmal bei der Behandlung des Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung und einmal im Zusammenhang mit einem Antrag auf vorgriffsweise Genehmigung von Mitteln für das Justizministerium – bestand Justizstaatssekretär Koch wegen unvollständiger Wiedergabe seiner Äußerungen im Protokoll auf einer Korrektur;42 in einem weiteren Fall verlangte Koch zwar keine offizielle Berichtigung des Ministerratsprotokolls, wollte aber seine Stellungnahme zu den Akten genommen wissen.43

Die im Registraturexemplar enthaltenen Protokolle sind immer von Ministerpräsident Ehard bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner, dem jeweiligen Protokollführer und dem Leiter der Staatskanzlei Karl Schwend abgezeichnet. In fünf Sitzungen zwischen dem 7. und 21. August unterzeichnete Ministerialrat Baer in Vertretung für den abwesenden Schwend die Protokolle.

Ebenfalls mit handschriftlichem Vermerk ist in den Entwürfen des Registraturexemplars stets das Datum genannt, an dem die Protokolle in ihrer endgültigen Fassung den Teilnehmern des Ministerrats zugesandt wurden. Der durchschnittliche zeitliche Abstand zwischen dem protokollierten Sitzungstermin und dem Versand der Niederschriften betrug zwischen zwei und drei Wochen. Gängige Praxis war es auch, mehrere Protokolle gesammelt zu verschicken. Neben den Kabinettsmitgliedern erhielt – vermutlich seit September, nachweislich ab November 194944 – auch Ministerialrat Leusser ein Exemplar des hektographierten Protokolls zur Leitung der Koordinierungsbesprechungen sowie zum Vortrag über Bundesangelegenheiten in den jeweils folgenden Kabinettssitzungen.45 Analog zum früheren Procedere, dem bayerischen Bevollmächtigten beim Stuttgarter Länderrat ein Protokoll zuzuleiten,46 darf angenommen werden, daß auch der Bevollmächtigte Bayerns in Bonn, Staatsrat Ernst Rattenhuber, ein Exemplar erhielt. Auszuschließen ist dagegen, daß das US-Landeskommissariat einen Abdruck der Protokolle zugesandt bekam, da dessen Angehörige in den Ministerratssitzungen teilweise offen kritisiert bzw. verschiedentlich das Verhalten gegenüber den Amerikanern eingehend besprochen wurde.

Es ist von der Praxis auszugehen, daß von Gumppenberg und die anderen Protokollführer die Reinschrift nach eigener Durchsicht dem Ministerpräsidenten bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats nochmals zur Genehmigung vorlegten. Nachdem er das Protokoll durchgesehen, korrigiert und freigegeben hatte, konnte es vervielfältigt und verteilt werden. Da weiterhin keine Geschäftsordnung des Ministerrats existierte, die verbindliche Aussagen über das Verfahren der Niederschrift der Ministerratssitzungen traf, kann als sicher gelten, daß den übrigen Teilnehmern an den Sitzungen kein Entwurf des Protokolls vorlag und sie auch formal kein Einspruchsrecht besaßen.47

Es oblag ansonsten den Ministern und Staatssekretären, die Regierungsbeschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten zur Bekanntgabe und zum Vollzug weiterzuleiten. In vielen Fällen wurden zu diesem Zweck maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten nur den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten.

Bei den Protokollen des bayerischen Ministerrats handelt es sich auch für 1951 zumeist um in indirekter Rede gehaltene ausführliche Verlaufsprotokolle. Im Gegensatz zu reinen Ergebnisprotokollen werden hier der Diskussionsverlauf, der Prozeß der Meinungsbildung oder auch sachliche wie persönliche Konfliktlinien im Ministerrat deutlich nachvollziehbar, wenn natürlich auch ein Verlaufsprotokoll nur eine geraffte Form der Wiedergabe darstellt und auch durch oft wiederkehrende Formulierungen wie „nach längerer Debatte“, „nach kurzer Aussprache“ u.ä. offensichtlich die schriftliche Dokumentation kontroverser Debatten im Ministerrat abgemildert oder vermieden werden sollte.

Auf eine markante Veränderung des Protokollcharakters allerdings muß mit Blick auf das Jahr 1951 hingewiesen werden: nämlich auf die teilweise Abkehr vom Verlaufsprotokoll – eine Tendenz, die sich ansatzweise ja bereits im Regierungsjahr 1950 abgezeichnet hatte. Da sich unter dem im Ministerrat nun regelmäßig abgehandelten Tagesordnungspunkt „Bundesangelegenheiten“ oder „Bundesratsangelegenheiten“ eine Vielzahl von Einzelthemen subsummiert fanden,48 ähneln die betreffenden Protokollabschnitte – wohl aus nachvollziehbaren Gründen der Zeit- und Platzersparnis – jetzt streckenweise der Form eines reinen Ergebnisprotokolls. Vor allem zu offensichtlich wenig umstrittenen Sachfragen finden sich regelmäßig nur sehr kurze allgemein-zusammenfassende Formulierungen wie „Bedenken werden nicht erhoben“, „Der Ministerrat beschließt Zustimmung“, oder „Der Ministerrat beschließt, Stimmenthaltung zu üben“. Auch ist im Zusammenhang mit der Behandlung des Tagesordnungspunktes „Bundesangelegenheiten“ festzuhalten, daß die in den Ministerratsprotokollen dokumentierten Beiträge Claus Leussers zur Bundesgesetzgebung und zur Tagesordnung des Bundesrates oft wörtlich mit dem in aller Regel sehr knapp formulierten Protokoll der vorangegangenen Koordinierungsbesprechung übereinstimmen.

Wie oben bereits erwähnt, ist dieser Befund auch schon für die Ministerratsprotokolle des Jahres 1950 gültig. Neu und bemerkenswert ist nun für den Editionsband 1951, daß in einigen Fällen auch die Diskussionen über bayerische Gesetzesvorhaben nur in Form eines Ergebnisprotokolls festgehalten werden. Dies gilt vor allem für die Beratungen der neuen bayerischen Gemeindeordnung49 – im Jahre 1950 noch Gegenstand langer Grundsatzdebatten im Kabinett sowie für die neue Landkreis –, sowie die Bezirksordnung;50 in eingeschränktem Maße ferner auch für das Berufsschulgesetz51 und das Gesetz über die Schulpflicht.52 In den genannten Fällen wurden die Gesetzentwürfe vom Ministerrat Punkt für Punkt ‚durchberaten‘ und nur die jeweiligen Diskussionsergebnisse, also Zustimmung oder Änderungen des Gesetzestextes, dokumentiert. Ob eine Kabinettssitzung eher in der Form eines Verlaufs- oder eines Ergebnisprotokolls festgehalten wurde, war dabei unabhängig von der Person des Protokollführers. Daß es sich tatsächlich auch um echte Ergebnisprotokolle handelt, die den Diskussionsverlauf im Ministerrat bewußt aussparen, zeigt ein Abgleich zwischen Sitzungsdauer und Umfang der Protokolle: So umfaßt die Vorlage für das Protokoll Nr. 40 für den Ministerrat vom 10. Juli beispielsweise bei einer Sitzungsdauer von 31/2 Stunden 25 Seiten, diejenige für das Protokoll Nr. 45, den Außerordentlichen Ministerrat vom 23. Juli, in dem die Gemeindeordnung beraten wurde, besteht bei einer Sitzungsdauer von 3 Stunden dagegen nur aus acht Seiten.

Die politische Agenda in Bayern und die Regierungspolitik wurden während der Amtszeit der Regierung Ehard III nicht nur im Kabinett behandelt, sondern auch, wie aus manchen Ministerratsprotokollen deutlich wird, in regelmäßigem Turnus am Montag vor der Kabinettssitzung stattfindenden Koalitionsbesprechungen zwischen Vertretern der Regierungsparteien.53 Zu diesen Koalitionsbesprechungen allerdings wurden in den einschlägigen Archivbeständen keinerlei weiterführenden Hinweise, Unterlagen oder Niederschriften ausfindig gemacht.

II. Das Kabinett Ehard III

1. Landtagswahl 1950 und Koalitionsbildung

Am Anfang des Kabinetts Ehard III stand eine doppelte Krise der Christlich-Sozialen Union: der tiefe Absturz in der Wählergunst zum einen und der erneute Ausbruch erbitterter innerparteilicher Zwistigkeiten über den künftigen Parteikurs zum anderen.54 Zwar war allen politischen Beobachtern im Vorfeld der Wahl in Bayern klar gewesen, daß die CSU ihre absolute Mehrheit von 52,3% aus der Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 auf keinen Fall würde verteidigen können, nachdem das CSU-Ergebnis bei der Bundestagswahl vom 14. August 1949 nur noch bei 29,2% der Wählerstimmen gelegen hatte. Die zwingende Bildung einer Koalitionsregierung war also im bayerischen Wahlkampfjahr 1950 allenthalben erwartet worden. Schmerzlich überrascht wurde die Regierungspartei CSU aber wohl doch vom Ausmaß der Wahlniederlage: Die Christsozialen kamen in der Landtagswahl vom 26. November 1950 nur auf 27,4% der Stimmen und wurden zum ersten und einzigen Male in der bayerischen Nachkriegsgeschichte von der SPD, die 28% Stimmenanteil gewinnen konnte, auf den zweiten Rang verwiesen. Eigentliche Gewinner der Landtagswahl waren die erstmals auf Landesebene angetretene Bayernpartei, die 17,9% erreichte,55 sowie die ebenfalls neue Listenverbindung Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten/Deutsche Gemeinschaft, die 12,5% der Stimmen auf sich vereinigen konnte,56 die FDP errang 7,1%. Die Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung (WAV)57 sowie die KPD verpaßten mit 2,9% bzw. 1,9% den Einzug in den Landtag.

Nur dank zweier gewonnener Überhangmandate zog der ‚Wahlverlierer‘ CSU mit 64 Parlamentssitzen vor der SPD (63 Mandate) wieder als stärkste Partei in den Landtag ein. Die BP als drittstärkste Kraft erhielt 39 Sitze, der BHE/DG 2658 und die FDP 12. Trotz des denkbar knappen Vorsprungs vor der SPD hatte die CSU ihrer Meinung nach wieder einen eindeutigen Regierungsauftrag erhalten. „Eine Partei wie die CSU geht nicht in die Opposition“, so das kämpferische Statement von Hans Ehard in der Fraktionssitzung der CSU vom 4. Dezember 1950, „wenn sie die Möglichkeit hat, zu arbeiten.“59 Diese Äußerung Ehards war dabei sicherlich nicht nur eine persönliche Willensbekundung und Bereitschaftserklärung zur erneuten Übernahme der Regierungsverantwortung, sondern auch als energischer und disziplinierender Appell an die Fraktion gemeint. Denn seit absehbar geworden war, daß die Bayerische Staatsregierung nach den Herbstwahlen von einer Koalition gestellt werden würde, sah sich Hans Ehard von verschiedenen Seiten dem hohem Erwartungsdruck ausgesetzt, ein Regierungsbündnis mit der Bayernpartei einzugehen. Bereits lange vor dem Wahltermin und in einer frühen Phase des Wahlkampfes, im Mai 1950, hatte Bundesfinanzminister Fritz Schäffer60 bei Ministerpräsident Ehard angeregt, mit Blick auf eine mögliche künftige Zusammenarbeit nach der Landtagswahl eine Annäherung zwischen CSU und Bayernpartei herbeizuführen; auf eigene Initiative hin hatte Schäffer in Bonn in diesem Sinne bereits auch erste Kontakte zur BP-Bundestagsfraktion geknüpft. Schäffer hatte dabei die Unterstützung sowohl von Bundeskanzler Adenauer61 wie auch von Alois Hundhammer,62 dem Bayerischen Kultusminister und CSU-Fraktionsvorsitzenden im Bayerischen Landtag. Während der Bundeskanzler in der Bildung einer CSU/BP-Regierungskoalition in Bayern – gewohnt pragmatisch – die höchst willkommene Chance sah, seine knappe bürgerliche Mehrheit im Bundestag zu verbreitern und abzusichern,63 stellte die Bayernpartei – die ja gerade in den altbayerischen Bezirken Oberbayern, Niederbayern und der Oberpfalz ganz erheblich im Wählerreservoir der CSU gewildert hatte – für Alois Hundhammer den gleichsam natürlichen weltanschaulichen Partner dar, mit dem man sich in den Grundsatzfragen christlich-konservativer und bayerischföderaler Politikgestaltung weitgehend einig wußte. Die Haltung des CSU-Bundespolitikers Fritz Schäffer gegenüber der Bayernpartei war hier wohl durch beide Überlegungen gleichzeitig motiviert.

Hans Ehard stand solchen Plänen einer politischen Annäherungsstrategie gegenüber der Bayernpartei von Beginn an mit größter Skepsis, ja wahrscheinlich mit grundsätzlicher Ablehnung gegenüber. Dem Bayerischen Ministerpräsidenten, dessen Selbstbild das eines dezidiert nüchternen, stets nur der sachlichen Regierungsarbeit verpflichteten Politikers war,64 waren der populistische Politikstil der Bayernpartei, ihre trotz aller Wahlerfolge sichtbare Labilität und ihre zerstrittene Führungsriege sowie vor allem das politisch impulsive und erratische Verhalten des früheren CSU-Landwirtschaftsministers und nunmehrigen BP-Vorsitzenden Joseph Baumgartner65 zutiefst suspekt. Ausschlaggebend für Ehards Zurückhaltung gegenüber einer kleinen Koalition dürfte aber vor allem seine Sorge um die Entwicklung des noch jungen und ungefestigten föderalen Systems der Bundesrepublik und die langfristige Sicherung des Ländereinflusses auf die Bundespolitik gewesen sein. Im Falle der Bildung einer kleinen Koalition würde mit der Bayernpartei, die den Landtagswahlkampf mit extrem-föderalistischen Positionen und bayerisch-patriotischen, ja partikularistischen Parolen bestritten hatte, eine in dezidierter Gegnerschaft zur vermeintlich ‚zentralistischen‘ Ordnung des Grundgesetzes stehende Partei Einfluß auf den Bundesrat gewinnen. Hans Ehard mußte befürchten, daß die Bayernpartei, einmal mit in der Regierungsverantwortung, seine persönlichen politischen Erfolge bei der Ausgestaltung des bundesdeutschen Föderalismus gefährden würde, indem sie den Bundesrat als Forum für ihre föderalistische Fundamentalopposition mißbrauchte oder aus antizentralistischer Reflexhaltung heraus wichtige Bundesgesetze oder die Adenauer’sche Außenpolitik blockierte. Es galt also zu verhindern, daß die Bayernpartei den „bundespolitisch salonfähigen Föderalismus wieder bajuwarisch-krachledern kompromittieren“ könnte.66

Trotz dieser grundsätzlichen Bedenken war jedoch am 29. November 1950, dem Tag, an dem Hans Ehard Vertreter aller potentiellen Koalitionsparteien zu einer ersten politischen Kontaktaufnahme getrennt in seiner Privatwohnung empfangen hatte, als Abgesandter der Bayernpartei auch deren stellvertretender Parteivorsitzende Eugen Fürst zu Oettingen-Wallerstein67 geladen gewesen.68 In diesen Vorbesprechungen hatte jede der Parteien-SPD, BHE, BP und FDP-ihre grundsätzliche Bereitschaft für eine Regierungsbeteiligung geäußert, jedoch bargen die Zwänge der Koalitionsarithmetik erhebliche Hürden. Eine CSU/BP-Regierung hätte nur eine äußerst knappe Mehrheit von 103 von 204 Landtagssitzen bedeutet. Eine Hereinnahme des BHE zur Verbreiterung dieser Landtagsmehrheit aber war aufgrund der äußerst starken inhaltlichen und atmosphärischen Dissonanzen zwischen den bayerischen Extremföderalisten der Bayernpartei, die sich dezidiert als Antiflüchtlingspartei profiliert hatte, und der Vertriebenenpartei BHE schwierig. Programmatisch heikel, ja im Grunde ohne jegliche praktische Verwirklichungschance war auch eine verschiedentlich ins Spiel gebrachte Kleinstkoalition von CSU, BHE und FDP, die von der Duldung der Bayernpartei im Landtag abhängig gewesen wäre. Eine sichere Regierungsmehrheit mit 127 von 204 Mandaten war nur in einer Koalition von CSU und SPD erreichbar.

Es kann davon ausgegangen werden, daß Hans Ehard sich bereits Ende November/Anfang Dezember innerlich definitiv für eine Koalition mit der SPD entschieden hatte. Der Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Hans Ehard folgte mit seinem Sondierungsgespräch mit der Bayernpartei vom 29. November daher wohl nur noch pro forma der Parteiräson: Unmittelbar vorausgehend hatte von Bonn aus Bundesfinanzminister Schäffer noch versucht, seine Parteifreunde in Bayern verbindlich auf eine CSU/BP-Koalition festzulegen, und Adenauer traf sich in der Bundeshauptstadt demonstrativ zu politischen Gesprächen mit BP-Bundestagsabgeordneten. Die größte Hürde für Ehard war jedoch die BP-freundliche Haltung der CSU-Landtagsfraktion. Im weiteren Verlauf der Regierungsbildung sollte für den Ministerpräsidenten daher die Person Alois Hundhammers in zweifacher Hinsicht- und zwar in seiner Eigenschaft als Fraktionsführer wie als bisheriger Kultusminister – zur Schlüsselfigur werden.

Die eklatanten Unterschiede der politischen Positionen und Prioritäten von Ehard und Hundhammer deuteten sich bereits in der ersten CSU-Fraktionssitzung vom 4. Dezember 1950 an, in der Hundhammer wieder als Fraktionsvorsitzender bestätigt wurde. Während Hans Ehard in einem knappen Grundsatzreferat die Haltung der CSU zu Fragen unter anderem der Staatspolitik, der Verwaltung, der Wirtschafts- und Sozialpolitik umriß, widmete sich der Fraktionsvorsitzende Hundhammer in langen Ausführungen ausschließlich der Kulturpolitik: Bei der Regierungsbildung komme es ausschließlich „darauf an, daß die kulturpolitische Linie und Entwicklung nicht unterbrochen wird.“69 Im Detail führte Hundhammer den Erhalt der Bekenntnisschule, die Garantie des sogenannten Elternrechts, die rigide Ablehnung der akademischen Lehrerausbildung, den Kampf gegen ‚Schmutz und Schund‘ und die Sicherung des privaten Schulsektors an. In der gleichen Sitzung wurden von der Fraktion auch die Mitglieder für den Verhandlungsausschuß für die Koalitionsgespräche benannt; neben Hanns Seidel und dem Landtagsabgeordneten Georg Bachmann70 waren dies die beiden Antipoden Hans Ehard und Alois Hundhammer. Diese vier Unterhändler nahmen in der Folge Sondierungsgespräche mit den anderen Parteien auf, beginnend mit der SPD, dann mit dem BHE sowie der BP und der FDP.71 Bereits in dieser frühen Phase erwiesen sich die Sozialdemokraten als die verhältnismäßig einfachsten Verhandlungspartner, die einer Großen Koalition grundsätzlich positiv gegenüberstanden und auch keine „wesentlichen Einwendungen gegen das CSU-Programm“72 erhoben.73 Der BHE äußerte in der ersten Verhandlungsrunde große Bedenken gegen die BP, diese wiederum lehnte eine Zusammenarbeit mit der SPD kategorisch ab, und nur die FDP zeigte sich in der Koalitionsfrage nach mehreren Richtungen offen, stand allerdings der Kulturpolitik der CSU skeptisch gegenüber. Mit Schreiben vom 8. Dezember dann teilten die Unterhändler des BHE, Willi Guthsmuths und Theodor Oberländer, in einem Schreiben an Ehard offiziell mit, daß die Heimatvertriebenen „keine Möglichkeit [sehen], in einer Regierung mit der Bayernpartei gedeihlich zusammen zu arbeiten“, und bekräftigten gleichzeitig die Bereitschaft zur Beteiligung an einer Großen Koalition.74 Ministerpräsident Ehard wird diese Mitteilung des BHE vermutlich mit Erleichterung zur Kenntnis genommen haben, hatte er doch am Tag vorher die Vorstellungen der BP für ein Koalitionsprogramm mit der CSU erhalten, in denen unter anderem die Forderung nach baldiger Änderung der Bayerischen Verfassung mit dem Ziel enthalten war, das Amt eines bayerischen Staatsoberhauptes einzuführen, eine neben dem Landtag gleichberechtigte Ständekammer zu errichten und ein bayerisches Staatsangehörigkeitsgesetz zu erlassen.75 Hätte es für Hans Ehard neben seinen föderalistisch motivierten Bedenken und seiner allgemeinen Antipathie gegenüber dem Politikstil der Bayernpartei noch weitere Argumente gegen die Bildung einer CSU/BP-Koalition bedurft, so lagen sie hiermit sicher vor: Denn keinesfalls, davon darf ausgegangen werden, hätte Ehard es toleriert, daß die zukünftige Regierungsarbeit mit dem Wiederaufleben der verfassungsrechtlichen Diskussionen des Jahres 1946 – als in der Verfassunggebenden Landesversammlung mit äußerst knapper Mehrheit die unter anderem vom konservativen CSU-Flügel unter Alois Hundhammer geforderte Einführung eines bayerischen Staatspräsidenten und einer Ständekammer abgelehnt worden war76 – überschattet würde.

Vor dem Hintergrund dieses Standes der Koalitionssondierungen beriet die CSU-Fraktion am 12. Dezember erneut über die Regierungsbildung. Neben dem Fraktionsvorsitzenden Hundhammer profilierte sich in dieser Sitzung auch Innenminister Willi Ankermüller77 – bis dato weder als Sympathisant radikal-föderalistischer oder bayerisch-patriotischer Positionen oder als Vertreter dezidiert konservativen Gedankenguts in Erscheinung getreten – als engagierter Fürsprecher einer kleinen Koalition. Ankermüller aber fürchtete – nicht ohne Grund – den Verlust seines Ministeramtes, da das Innenministerium im Falle der Bildung einer Großen Koalition natürlich an die SPD ginge, und daher warnte er unter Verweis auf die Bedeutung des Innenressorts und dessen anstehende Aufgaben, daß „ein Staatssekretär allein […] dort die Situation für uns nicht retten könne. […] Bayern wird also unterhöhlt werden durch die SPD, dass wir in kurzem nur mehr eine Provinz sein werden.“78 Im Ergebnis zeigte diese Fraktionssitzung, daß sich die Zahl der Anhänger der beiden Koalitionsoptionen ungefähr die Waage hielt; ein Konsens herrschte darüber, daß Neuwahlen unbedingt vermieden werden und der BHE-mit diesem „zusammen wäre die Sache glatt, den müssten wir unbedingt haben“-in eine Koalition mit der BP hereingeholt werden müßte. Ministerpräsident Ehard kündigte am Ende der Fraktionssitzung zwar an, nochmals mit dem BHE in Verhandlungen zu treten, er tat dies aber mit spürbar verhaltenem Engagement und wenig Optimismus und sprach statt dessen ein weiteres Kardinalproblem einer möglichen Regierungsbildung mit der SPD an – die Besetzung des Kultusministeriums. Die bayerische SPD hatte einen in Teilen stark personalisierten Wahlkampf geführt, in dem sie mit dem Slogan „Weg mit dem Schatten!“ kategorisch die Ablösung des wegen seiner konservativen Schul- und Kulturpolitik stark umstrittenen Kultusministers Hundhammer gefordert hatte. Aber auch aus protestantischen Kreisen der CSU kamen deutliche Stimmen, die sich kritisch gegenüber einer erneuten Nominierung Hundhammers äußerten. Denn dieser hatte die Protestanten in der CSU vor allem durch seine Personalpolitik im Kultusministerium verärgert, die katholische Bewerber eindeutig bevorzugte.79 Hans Ehard verwies in der Fraktion daher bereits prophylaktisch auf die kommenden Probleme, die bei der Besetzung des Kultusministerpostens zu erwarten seien, und sandte mit den Worten: „Persönlich bin ich der Meinung, dass niemand unersetzlich ist“, gleichzeitig eine mahnende Andeutung an Alois Hundhammer wie das Signal an die Gesamtfraktion, selber nicht um jeden Preis das Ministerpräsidentenamt anstreben zu wollen.80

Die strategische Grundsatzentscheidung über die Fortführung der Koalitionsverhandlungen wurde Hans Ehard dann am darauffolgenden Tag abgenommen: Die Option einer Koalition von CSU, BP und BHE war endgültig vom Tisch, nachdem Joseph Baumgartner sich am 13. Dezember im Rahmen der Ersten Beratung über einen SPD-Gesetzentwurf zur Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein81 im Bundestag gegenüber dem bayerischen BHE-Bundestagsabgeordneten Hans Tichi82 zu einem beleidigenden Zwischenruf hatte hinreißen lassen.83 Daraufhin verschob sich auch das Meinungsklima in der CSU-Landtagsfraktion, die sich in ihrer Sitzung am 14. Dezember schließlich mit 44 gegen 13 Stimmen bei Stimmenthaltung Ehards für die Bildung der Großen Koalition aussprach.84

Allerdings kam mit diesem Abstimmungsergebnis keine Ruhe in die Fraktion, denn die Konflikte verlagerten sich nun von der Grundsatzfrage der Koalitionsentscheidung auf die Personalie des Kultusministers. Zwar wurde die Forderung der SPD nach Ablösung des ‚schwarzen Alois‘ allgemein als Zumutung empfunden-„Die Haltung der SPD sei in der parlamentarischen Geschichte außergewöhnlich“, so Hanns Seidel-, aber der Wirtschaftsminister machte auch einen gesichtswahrenden Lösungsvorschlag: Die CSU solle auf ihrem Kultusminister bestehen, und Hundhammer möge im Interesse des Landes und des politischen Friedens dann auf seinen Posten verzichten.85 Der Landtagsabgeordnete Prälat Georg Meixner86 brachte einen weiteren Vorschlag ins Spiel: die CSU solle in den Verhandlungen mit der SPD sowohl das Kultuswie das Innenministerium beanspruchen und Hundhammer solle Innenminister werden. Der Fraktionsvorsitzende erklärte sich mit diesem – persönlich verlockenden – Vorschlag bereitwillig und umgehend einverstanden, während Ministerpräsident Ehard ein solches Unterfangen als völlig utopisch verwarf und, nachdem die Fraktion dann abseits der Tagesordnung noch ernsthaft und ausführlich über die Möglichkeiten und Erfolgsaussichten von Neuwahlen („Für oder gegen Hundhammer“) diskutierte, spürbar gereizt erneut das Angebot aussprach, die Führung der Koalitionsverhandlungen an andere Fraktionsmitglieder abzugeben – eine Äußerung, die der Fraktionsvorsitzende Hundhammer nur mit der ebenso überraschten wie konsternierten Gegenfrage: „Ist der Vorschlag ernst gemeint?“ zu kontern wußte.

In der darauffolgenden Fraktionssitzung vom 15. Dezember zeichnete sich dann endgültig der erzwungene Rückzug von Alois Hundhammer ab. Die Planspiele der CSU-Fraktion vom Vortage, Hundhammer zum Innenminister zu küren, waren entgegen der fraktionsintern vereinbarten Geheimhaltung durch gezielte Indiskretionen publik geworden, was die ablehnende Haltung der SPD gegenüber Hundhammer sicher noch verstärkt hatte.87 Nachdem Ministerpräsident Ehard darauf verwiesen hatte, daß gemäß Art. 44 Abs. 1 der Bayerischen Verfassung der Landtag spätestens am 18. Dezember einen neuen Ministerpräsidenten zu wählen habe, „und zwar gleich ob das einer von uns oder von der SPD ist“, und zum wiederholten Male seinen Rücktritt angedroht hatte, wandte sich die Stimmung der Landtagsabgeordneten vollends gegen den unbeirrt auf seinem Standpunkt beharrenden Fraktionsvorsitzenden. Die Fraktion stellte sich nun hinter Hans Ehard und stimmte einer Großen Koalition auch unter der Voraussetzung zu, daß Hundhammer nicht Kultusminister würde. Zwar versuchten Alois Hundhammer und der ebenfalls in München anwesende CSU-Bundesfinanzminister Fritz Schäffer noch, der Fraktion die Entscheidungsgewalt über diese Frage zu entziehen, indem sie darauf pochten, daß der ebenfalls am 15. Dezember tagende CSU-Landesausschuß in der Koalitionsfrage die finale Entscheidung treffen solle. Dieser aber unterstützte die erneute Kandidatur Ehards zum Ministerpräsidenten vorbehaltlos und sprach Hans Ehard das volle Vertrauen sowie gegenüber den Parlamentariern „die Erwartung aus, dass die Fraktion Dr. Ehard mit allen Vollmachten zur Regierungsbildung beauftragt.“88 Damit hatte auch der Landesausschuß die Bildung einer Großen Koalition ohne einen Staatsminister Hundhammer gutgeheißen und der Fraktion de facto ein imperatives Mandat auferlegt. In der Fraktionssitzung vom 16. Dezember stimmten die CSU-Landtagsabgeordneten dann mit 46 gegen 11 Stimmen bei einer Enthaltung endgültig dafür, Hans Ehard den Auftrag zur Regierungsbildung mit der SPD zu erteilen.89

Die personalpolitischen Probleme und Querelen bei der Regierungsbildung kamen mit der Niederlage Hundhammers allerdings noch nicht zu einem Ende und beschäftigten die Fraktion bis zur buchstäblich letzten Minute vor der Wiederwahl Hans Ehards am 18. Dezember 1950. Hans Ehard richtete an diesem Tage in der Fraktion – zum dritten und letzten Male – die direkte Anfrage an Hundhammer, ob dieser zur Übernahme des Landwirtschaftsministeriums bereit wäre; in dieser Stellung hätte die SPD Hundhammer als Kabinettsmitglied akzeptiert. Hundhammer, persönlich gekränkt, lehnte dieses als entwürdigend empfundene Angebot kategorisch ab.90 Alois Schlögl behielt daher sein Ministeramt. An diesem Tag wurden vor der entscheidenden Landtagssitzung in der Fraktion ferner Stimmen laut, die nach dem Sturz Hundhammers auch einen Verzicht von dessen politischem Gegenspieler Josef Müller auf das Ministeramt forderten; tatsächlich wurde Müller dann von der Fraktion nur mit einem äußerst mageren Ergebnis für den Justizministerposten nominiert.91 Vor allem aber ergriff die CSU auch die Gelegenheit, sich für das Personaldiktat der SPD bei der Besetzung des Kultusministerpostens zu revanchieren: Nachdem Alois Hundhammer auf Forderung der SPD hin fallen gelassen worden war, lehnte die CSU den von den Sozialdemokraten als Finanzminister vorgeschlagenen Flüchtlingspolitiker Franz Zdralek92 kategorisch ab. „Das bayerische Volk“, so führte der parteilose künftige Finanzstaatssekretär Richard Ringelmann in der morgendlichen Fraktionssitzung vom 18. Dezember aus, „würde es als sehr schmerzlich empfinden, wenn der Geldbeutel des bayerischen Volkes ausgerechnet in die Hand eines Flüchtlings käme.“93 Außerdem wurde auf die angeblich schlechte Amtsführung Zdraleks im Finanzamt Nürnberg-Nord und die verdächtig große Anzahl dort beschäftigter Kommunisten und Sozialdemokraten verwiesen. Die politische Brüskierung des neuen Koalitionspartners unmittelbar vor der Ministerpräsidentenwahl und der Vereidigung des Kabinetts war perfekt. In einer weiteren Sitzung am Abend des 18. Dezember sah sich die CSU-Fraktion daher gezwungen, eine öffentlichkeitstaugliche Strategie zur Erklärung der Ablehnung von Zdralek zu entwickeln.94 Das von Alois Hundhammer nochmals vorgetragene Urteil, es würde „einen katastrophalen Eindruck im Volk machen, wenn wir als bayerischen Finanzminister jemand bekommen, dessen Namen die Leute nicht einmal aussprechen können“, war öffentlich wohl kaum vertretbar, zumal Staatssekretär Ringelmann „aus dem Personalakt die Qualifikationen“ Zdraleks verlas und erklärte, „dass aus den Akten sich gegen die Person nicht das Mindeste ergebe“. Zwar verzichtete Zdralek am darauffolgenden Tag, dem 19. Dezember, von sich aus auf seine Nominierung, die SPD forderte von der CSU aber, wie der Fraktionsvorsitzende Hundhammer erklärte, eine „moralische Rehabilitierung“, weshalb der Fraktionsvorsitzende im Landtag zu erklären beabsichtigte, „daß Zdralek nicht als Heimatvertriebener abgelehnt wurde“, sondern der künftige Finanzminister müsse eben „die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen Bayerns unbedingt noch gründlicher kennen.“95

Hans Ehard wurde in der Landtagssitzung vom 18. Dezember 1950 mit 130 von 204 Stimmen bei 68 Enthaltungen und sechs Stimmen für andere Kandidaten wieder zum Ministerpräsidenten gewählt und vereidigt.96 Die unmittelbar darauf von Hans Ehard vorgeschlagenen und ebenfalls vereidigten Regierungsmitglieder stellten zunächst nur ein Rumpfkabinett dar: Innenminister Wilhelm Hoegner (SPD), Flüchtlingsstaatssekretär Theodor Oberländer (BHE), Justizminister Josef Müller (CSU), Justizstaatssekretär Fritz Koch (SPD),97 Finanzstaatssekretär Richard Ringelmann (parteilos), Wirtschaftsminister Hanns Seidel (CSU), Wirtschaftsstaatssekretär Willi Guthsmuths (BHE), Landwirtschaftsminister Alois Schlögl (CSU), Landwirtschaftsstaatssekretär Johann Maag (SPD), Arbeitsminister Richard Oechsle (SPD) und Arbeitsstaatssekretär Heinrich Krehle (CSU). Erst über den Jahreswechsel 1950/51 wurde die Regierung personell vervollständigt; am 3. Januar 1951 legten der neue Finanzminister Rudolf Zorn (SPD)-der frühere Wirtschaftsminister im Kabinett Ehard I (1946/47)-, Innenstaatssekretär Paul Nerreter (CSU), Kultusstaatssekretär Eduard Brenner (SPD) und Kultusminister Josef Schwalber (CSU) ihren Amtseid ab.98 Die Nominierung des letzteren übrigens war in der CSU-Fraktion wegen Schwalbers Gesundheitszustand nicht unumstritten,99 allerdings galt der ehemalige Kultusstaatssekretär Schwalber als adäquater Ersatz für Alois Hundhammer und als Garant für die Fortsetzung von dessen Schul- und Kulturpolitik.

Am 19. Juni 1951 schließlich folgte der SPD-Landtagsabgeordnete Friedrich Zietsch dem ausscheidenden Finanzminister Rudolf Zorn im Amt nach.100 Letzterer hatte den Finanzministerposten von vornherein nur übergangsweise übernommen, da er seine leitenden Aufgaben beim Bayerischen Sparkassen- und Giroverband fortführen wollte.

Zwar war es Ministerpräsident Ehard zum Jahresende 1950 gelungen, seine Wunschkoalition mit einer stabilen Landtagsmehrheit zu bilden, allerdings um den Preis erneuter Zwistigkeiten innerhalb der CSU und der politischen wie persönlichen Entfremdung vom Fraktionsvorsitzenden und oberbayerischen CSU-Bezirksvorsitzenden Alois Hundhammer, deren mögliche Konsequenzen für Ehard zunächst nicht absehbar waren. Über Weihnachten 1950 kam es zu einem Briefwechsel zwischen Ehard und Hundhammer, in welchem der erstere zunächst um Verständnis für die Koalitionsbildung und für die Notwendigkeit von Hundhammers Verzicht warb und für die künftige Regierungsarbeit um Vertrauen und Unterstützung bat.101 In seinem Antwortschreiben bezeichnete der spürbar tief gekränkte gefallene Kultusminister die Große Koalition als „widernatürlich“, verwies nochmals auf das persönlich demütigende Angebot der SPD, ihm das Landwirtschaftsministerium zuzusprechen, und schloß sein Schreiben mit den Worten: „Ich bin in meinem Leben einen harten Weg gegangen […] aber es war der richtige Weg. Die Erfahrung hat es erwiesen. Fehlgegangen bin ich dann, wenn ich weich war.“102 In der Folge machte Hundhammer denn auch öffentlich keinen Hehl über seinen Unmut über die Große Koalition. Ein weiterer Versuch des im Koalitionspoker unterlegenen CSU-Flügels, die weitverbreitete Unzufriedenheit mit der Großen Koalition in Bayern organisatorisch zusammenzuführen, war die im Januar 1951 ins Leben gerufene „Bayerische Volksaktion“, eine Art Arbeitsgemeinschaft der christlich-konservativ-föderalistischen Kräfte in Bayern, deren Gründung insbesondere von Fritz Schäffer initiiert und vorangetrieben worden war.103

Alois Hundhammer wurde im Juni 1951 als Gegenspieler der Großen Koalition allerdings gleichsam neutralisiert, da er – nicht zuletzt auf Betreiben von Ministerpräsident Ehard – im Juni 1951 das Amt des Landtagspräsidenten übernahm, das eine gewisse parteipolitische Zurückhaltung und Überparteilichkeit erforderte. Wiederum und einmal mehr aber erfolgte auch dieser Amtswechsel Hundhammers nur nach skandalträchtigen politischen Verwirrungen.104 Nach dem überraschenden Tode des bisherigen Landtagspräsidenten Georg Stang105 am 10. Mai wurden sehr bald die Person Hundhammers und die des früheren CSU-Innenministers Willi Ankermüller als Nachfolgekandidaten ins Spiel gebracht. Die Landtags-SPD hatte zwar das Recht der CSU auf das Landtagspräsidentenamt vorbehaltlos anerkannt und wollte die Neuwahl auch in gegenseitigem Einvernehmen der Koalitionsparteien durchführen, die Sozialdemokraten signalisierten aber, daß sie eine Kandidatur Ankermüllers nicht mittragen, diejenige Hundhammers aber vorbehaltlos unterstützen würden.106 Sowohl innerhalb der SPD- wie in der CSU-Fraktion wurde die Kür Hundhammers zum Landtagspräsidenten auch als ideelle Wiedergutmachung für seine Niederlage im Koalitionspoker und den Verlust des Kultusministerpostens im Dezember 1950 gesehen. Allerdings stellten innerhalb der Fraktion einige CSU-Parlamentarier wie auch Alois Hundhammer selbst die Frage zur Debatte, ob der bisherige Fraktionsführer und oberbayerische CSU-Bezirksvorsitzende, der trotz seines Ausscheidens als Minister ja immer noch ein politisches Zugpferd war, seiner Partei als Landtagspräsident oder als Fraktionsvorsitzender nützlicher sein würde bzw. ob überhaupt ein geeigneter Nachfolger für den Fraktionssitz gefunden werden könne. Es war Ministerpräsident Ehard, der in der Fraktionssitzung vom 23. Mai 1951 diese Bedenken zu zerstreuen suchte, indem er den Personalvorschlag Hundhammer „außerordentlich“ begrüßte und nachdrücklich für die Kandidatur seines ehemaligen Kultusministers warb: „Der Vorschlag Hundhammer ist auch nach außen hin eine Dokumentierung, die sehr gesund ist für unser politisches Leben in der heutigen Zeit, wo alle möglichen gefährlichen Punkte für die demokratische Entwicklung sich abzeichnen.“ Das Amt des Landtagspräsidenten könne und dürfe nicht rein repräsentativ sein, sondern auch der Landtagspräsident solle politisch gestaltend wirken, und schließlich versuchte Ehard mögliche Bedenken zu zerstreuen, der Landtagspräsidentenposten bedeute für Hundhammer das politische Abstellgleis: „Wenn aber einer Landtagspräsident ist, kann er selbstverständlich auch jederzeit wieder Kabinettsmitglied werden.“

Die Bereitschaftserklärung Hundhammers zur Übernahme des Landtagspräsidentenamtes unterstützte die Fraktion am 23. Mai mit 33 von 45 Abgeordnetenstimmen, zu seinem künftigen Nachfolger als Fraktionsvorsitzender wurde Prälat Georg Meixner bestimmt. Bis zur endgültigen Wahl Hundhammers sollten aber noch diverse Rückschläge und ein handfester parlamentarischer Skandal eintreten. Zunächst wollte die SPD aus wahlkampftaktischen Gründen die Landtagspräsidentenwahl kurzfristig vom ursprünglich geplanten 31. Mai auf einen späteren Termin- und zwar nach der für den 17. Juni geplanten Neuwahl im Landkreis Markt Oberdorf-Füssen, dessen Landtagsmandat durch den Tod Georg Stangs vakant geworden war – verlegen.107 Am 31. Mai dann landete der DG-Abgeordnete August Haußleiter108 einen politischen Coup, indem er den Landtagsvizepräsidenten Lorenz Hagen109 von der SPD zur Wahl vorschlug.110 Die Empörung in der CSU-Fraktion war enorm, es sei nun so weit gekommen, so Hundhammer, „daß Haußleiter dem Landtag das Gesetz des Handelns vorschreibt.“111 Während unter diesen geänderten Vorzeichen für Alois Hundhammer die Integrität und Worttreue des SPD-Fraktionsführers Waldemar von Knoeringen112 immer noch außer Frage stand, breitete sich in der Fraktion aber Unsicherheit bezüglich der Fraktionsdisziplin und des Wahlverhaltens der sozialdemokratischen Parlamentarier aus. Und während manche Abgeordnete betonten, daß die CSU als stärkste Fraktion sich nicht dem Diktat anderer Parteien fügen dürfe und dafür plädierten, die Wahl Hundhammers nun erst recht und möglichst zügig wie geplant am 31.5. durchzuziehen, warnte Ministerpräsident Ehard davor, um das Präsidentschaftsamt eine politische Kampfabstimmung entstehen zu lassen. Keinesfalls dürfe die CSU durch ihr Beharren auf ihrem Standpunkt die Koalitionsregierung gefährden, und „Hundhammer darf im Landtag auf keinen Fall Gefahr laufen.“

Die CSU-Fraktion folgte Hans Ehard und stimmte der Verschiebung der Landtagspräsidentenwahl zu. Trotzdem geriet die Wahl am 19. Juni zum parlamentarischen Eklat: Der von CSU und SPD gemeinsam als alleiniger Kandidat für das Landtagspräsidentenamt vorgeschlagene Alois Hundhammer verfehlte im ersten Wahlgang mit 89 von 184 abgegebenen Voten die erforderliche absolute Mehrheit um vier Stimmen; neben 43 Enthaltungen und vereinzelten Stimmen für andere, nicht nominierte Kandidaten hatten 38 Landtagsabgeordnete für den ebenfalls überhaupt nicht aufgestellten CSU-Politiker Friedrich von Prittwitz und Gaffron113 gestimmt.114 Nach diesem Vorkommnis machte sich in der CSU-Fraktion die Empörung sowohl über die gezielten Provokationen und die politische Profilierungssucht der Bayernpartei wie auch über die vermeintliche parlamentarische Treuelosigkeit der SPD lautstark Luft, und erneut stellten Einzelstimmen den Fortbestand der Koalition in Frage. Die spontane Ursachenforschung der CSU-Parlamentarier griff allerdings wohl zu kurz: Wie Ministerpräsident Ehard von einem Krisenbesuch bei der SPD-Fraktion berichtete, sei diese „bestürzter wie wir“, und von 53 anwesenden SPD-Abgeordneten hätten 45 oder 46 sicher für Hundhammer gestimmt. Offen äußerte Hans Ehard seinen Verdacht, „daß eine Reihe von unseren Leuten weiße Zettel abgegeben haben“, und „in einer solchen Situation bitte und beschwöre ich Sie, daß Sie beim nächsten Wahlgang wirklich handfest zu dem Mann stehen, den wir nun vorgeschlagen haben.“ Erst im zweiten Wahlgang, den die CSU-Fraktion nach einer kontrovers geführten Strategiedebatte bewußt – um dem Vorwurf des politischen Taktierens oder der Schiebung vorzubeugen – als Stichwahl zwischen ihren zwei eigenen Kandidaten in Kauf nahm, setzte Hundhammer sich dann mit 105 gegen 50 Stimmen für Prittwitz-Gaffron bei 31 ungültigen Stimmen durch,115 letzterer allerdings hatte vorausgehend in der CSU-Fraktion bereits prophylaktisch erklärt, für das Landtagspräsidentenamt nicht zur Verfügung stehen zu wollen.

Das am 3. Januar 1951 schließlich komplettierte Koalitionskabinett Ehard III war im Vergleich zur Vorgängerregierung nicht nur in parteipolitischer Hinsicht vielfältiger geworden, sondern – besonders markant – auch mit Blick auf die regionale und konfessionelle Herkunft der Regierungsmitglieder. Waren im Kabinett Ehard II nur drei Vertreter der evangelischen Konfession vertreten- und zwar hatte es sich hier ausschließlich um Staatssekretäre gehandelt116 -, so war die Zahl der protestantischen Regierungsmitglieder gesicherter Erkenntnis nach immerhin auf fünf angewachsen (Finanzminister Zorn, Innenstaatssekretär Nerreter, Flüchtlingsstaatssekretär Oberländer, Justizstaatssekretär Koch, Kultusstaatssekretär Brenner). Daneben gab es den seit 1918 konfessionslosen Innenminister Wilhelm Hoegner, den ebenfalls konfessionslosen Wirtschaftsstaatssekretär Guthsmuths, und zu Finanzminister Zietsch, Arbeitsminister Oechsle und Landwirtschaftsstaatssekretär Maag, alle der SPD angehörig, konnten keine Angaben zur Konfession ermittelt werden. Es besteht Raum für die Vermutung, daß es sich hier ebenfalls um konfessionslose Personen handelte. Ferner wurden mit Finanzminister Zietsch, Innenstaatssekretär Nerreter, Justizstaatssekretär Koch, Kultusstaatssekretär Brenner und Landwirtschaftsstaatssekretär Maag fünf neue Kabinettsmitglieder benannt, deren Wurzeln im fränkischen Raum lagen; mit Blick auf ihre außerbayerische Herkunft zu erwähnen sind natürlich auch die beiden Flüchtlingspolitiker Oberländer und Guthsmuths. Das neue Kabinett war im Vergleich zu den Vorgängerregierungen in seiner personellen Zusammensetzung, so ist allgemein festzuhalten, deutlich weniger katholisch und altbayerisch geprägt.

Ein weiteres erwähnenswertes und wichtiges Novum der Personalstruktur des neuen Kabinetts war ferner, daß mit Staatssekretär Ringelmann, Staatssekretär Oberländer und Staatssekretär Guthsmuths zum ersten Male seit Kriegsende drei Regierungsmitglieder mit „NS-Vergangenheit“ ernannt wurden. Noch zu Beginn des Jahres 1950 hatte Richard Ringelmann seine Bereitschaft, nach dem Rücktritt des damaligen Finanzministers Hans Kraus117 das Finanzressort zu übernehmen, zurückgezogen, da seine Person wegen seiner früheren NSDAP-Mitgliedschaft – Ringelmann war 1939 in die Partei eingetreten – deutliche öffentliche Kritik in der Presse und auch im Landtag erfahren hatte.118 Zu Anfang des Jahres 1950 hatte Ringelmann wegen seiner Parteimitgliedschaft noch nicht als ministrabel gegolten. Bemerkenswerterweise war am Ende des Jahres 1950 aber nicht nur die Kritik an Ringelmann völlig verstummt, sondern auch gegen die Nominierung der beiden BHE-Vertreter Guthsmuths und Oberländer regte sich kein nennenswerter öffentlicher Widerstand – obwohl diese beiden Personalien mit Blick auf ihre Rollen im Dritten Reich deutlich kritischer als Richard Ringelmann zu betrachten gewesen wären.119 Willi Guthsmuths war 1930 in die NSDAP, Anfang 1931 auch in die SA eingetreten und dort zum Sturmbannführer aufgestiegen. Theodor Oberländer, NSDAP-Mitglied seit Mai 1933, hatte seine akademische Karriere auf dem Feld der sogenannten Ostforschung energisch und mit Erfolg vorangetrieben – eine von den Nationalsozialisten nicht zuletzt zur vermeintlich wissenschaftlichen Untermauerung ihrer revanchistischen und expansionistischen Politik stark geförderte Wissenschaftsdisziplin. Bis 1937, als Oberländer wegen Meinungsverschiedenheiten mit der Gauamtsleitung der NSDAP in Ostpreußen an Einfluß verlor, hatte er zahlreiche wissenschaftspolitische Ämter und Funktionen innerhalb der Ostforschung inne. So stand er beispielsweise dem Landesverband Ostpreußen des Volksbundes für das Deutschtum im Ausland vor, er war zwischen 1934 und 1937 Reichsleiter des Bundes Deutscher Osten sowie von 1933 bis 1937 Gauamtsleiter der NSDAP in Ostpreußen. Oberländer soll auch Lehrgänge für die SS abgehalten haben. Weiterhin war Oberländer seit 1937 SA-Mitglied und brachte es dort bis zum Rang eines Obersturmbannführers. In Anbetracht dieser auch der zeitgenössischen Öffentlichkeit nicht gänzlich unbekannten Sachlage erscheint es erstaunlich, daß im Dezember 1950 nur der Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern die nationalsozialistische Vergangenheit der beiden BHE-Staatssekretäre Guthsmuths und Oberländer kritisch thematisierte- und auch dies erst zu einem späten Zeitpunkt kurz nach der Vereidigung des Kabinetts.120 Die Vorbehalte gegen Oberländer stellte der Landesverband nach einem Gespräch zwischen Oberländer und Philipp Auerbach zurück- und es darf hier im Hintergrund wohl ein handfester politischer Handel vermutet werden: Vom Landesverband wurde akzeptiert, daß Oberländer durch Urteil der Spruchkammer Bad Kissingen vom 6. Dezember 1947 formell rechtskräftig entnazifiziert sei, und ferner habe man festgestellt, dass Herr Staatssekretär Prof. Dr. Oberländer Aufklärungen geben und Beweismaterial vorlegen konnte, welche die an sich bestehenden formalen Belastungen in einem Masse [sic!] entkräften, dass sein Verhalten während des Naziregimes uns die Gewähr dafür zu geben scheint, dass die unter seinen Betreutenkreis fallenden jüdischen DP’s nicht Gefahr laufen, benachteiligt zu werden.“121 Erst sehr viel später, im Jahre 1960, sollte Oberländers Vergangenheit ihn nach siebenjähriger Amtszeit als Bundesvertriebenenminister politisch einholen und ihn zum Rücktritt zwingen. Der Fall Willi Guthsmuths kam im Sommer 1951 wegen unrichtiger Angaben betreffend dessen früherer SA-Mitgliedschaft zwar vor den Wahlprüfungsausschuß des Bayerischen Landtages und wurde auch Gegenstand der Presseberichtserstattung in Bayern, beides aber blieb für Guthsmuths ohne politische Konsequenzen.122

2. Arbeitsweise des Kabinetts

Die neue Heterogenität der Regierungsmannschaft hatte durchaus auch merkliche Auswirkungen auf den Charakter und den Ablauf der Ministerratssitzungen. Wenn auch die Protokolle in sprachlichem Duktus und Inhalt nach wie vor von großer Sachlichkeit geprägt sind und die Sitzungen von Ministerpräsident Ehard nach wie vor klar strukturiert und souverän geleitet wurden, so läßt sich im Vergleich zu den Niederschriften des Kabinetts Ehard II doch ein signifikanter Anstieg von Konfliktpotentialen und Unstimmigkeiten innerhalb der Regierung feststellen.123 Dieser Umstand ist dabei sowohl auf parteipolitische Differenzen als auch auf die individuelle Persönlichkeit mancher Kabinettsmitglieder zurückzuführen.

Mit Innenminister Wilhelm Hoegner, selbst 1945/46 Bayerischer Ministerpräsident, ehemaliger Justizminister und 1946/47 im Kabinett Ehard I bereits stellvertretender Ministerpräsident, stand Hans Ehard ein aus früherer politischer Zusammenarbeit bekannter, bewährter und zuverlässiger Stellvertreter auf Augenhöhe zur Seite, mit ähnlichem politischen Erfahrungshorizont und wie Ehard ein ausgewiesener Jurist. Vor allem lagen Ehard und der ‚weiß-blaue‘ Sozialdemokrat Hoegner mit ihrem Föderalismusverständnis auf einer Wellenlänge.124

Neben Hans Ehard ist Wilhelm Hoegner in den Protokollen das Regierungsmitglied mit der auffälligsten Präsenz- und dies nicht allein aufgrund des Umstandes, daß das Innenressort im Jahre 1951 die größte legislative Aktivität entfaltete.125 Auch Hoegner trat im Ministerrat mit großer Autorität auf, scheute im Einzelfall nicht den offenen Konflikt und brachte auch parteipolitische Streitigkeiten vor den Ministerrat. So stellte der Innenminister bei der Beratung der Gemeindeordnung vor dem Kabinett klar, daß er, falls sich der Ministerrat einem tragbaren Kompromiß zwischen dem SPD-Entwurf vom August 1950 und dem Regierungsentwurf vom September 1950 verweigere, für eine weitere Mitarbeit nicht zur Verfügung stünde.126 Als sich Hoegner im Dezember 1951 wegen eines angeordneten Einsatzes der Bereitschaftspolizei starker öffentlicher Kritik ausgesetzt sah, bot er explizit seinen Rücktritt an, bekam aber vom Ministerpräsidenten das uneingeschränkte Vertrauen ausgesprochen.127 Auch den politischen Angriff der CSU-Correspondenz, des Informations- und Mitteilungsblattes der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, die Hoegner in einer Ausgabe indirekt Verfassungsbruch unterstellt hatte, brachte der Innenminister zur Klärung vor den Ministerrat.128 In diesem speziellen Falle offenbarten sich dann auch die latent vorhandenen Spannungen zwischen Hoegner und seinem Staatssekretär Nerreter, wobei die Hintergründe der Unstimmigkeiten zwischen den beiden Regierungsmitgliedern bzw. die Verantwortung Nerreters für die UC-Berichterstattung weder in den Protokollen noch in sonstigen Quellen im Detail offensichtlich werden. Das schwierige Verhältnis zwischen dem Innenminister und seinem Staatssekretär sei, wie Hoegner in seinen Erinnerungen ausführt, zwar grundsätzlich von gegenseitigem fachlichen Respekt geprägt gewesen; noch mehr als die verschiedene Parteizugehörigkeit aber hätten wohl starke charakterliche Unterschiede und die hieraus resultierende persönliche Distanz der beiden die Zusammenarbeit erschwert.129 Rückblikkend kann man es ferner nur als bemerkenswerten Zufall, ja als personalpolitisch-schicksalhaftes Pech bezeichnen, daß Innenminister Hoegner – dessen Ministerium ja als einziges zwei Staatssekretärsposten zu besetzen hatte – auch mit seinem zweiten Staatssekretär einen eigenwilligen und äußerst selbstbewußten Mitarbeiter an die Seite gestellt bekam. Der 46-jährige Agrarwissenschaftler, Nationalökonom und neue Staatssekretär für das Flüchtlingswesen Theodor Oberländer trat im Innenministerium wie im Ministerrat mit großem Nachdruck als Sachwalter der Vertriebeneninteressen auf und geriet dabei mehr als einmal in Konflikt mit seinem Vorgesetzten oder seinen Kabinettskollegen.130 Beispielsweise hatte Oberländer eigenmächtig und ohne Wissen seines Ministers die Übertragung der Liegenschaften eines ehemaligen Lagers der International Refugee Organization in Ingolstadt auf die Sudetendeutsche Landsmannschaft in die Wege geleitet, ein Vorhaben, das von Staatsminister Hoegner und dem Ministerrat einhellig als undurchführbar abgelehnt wurde.131 Auch versuchte Oberländer vehement, im Innenministerium die Zuständigkeit für die Soforthilfe und das neugegründete Referat für Fliegergeschädigte an sich zu ziehen und berief sich dabei auf mündliche Zusagen aus den Koalitionsverhandlungen, konnte sich hier aber wiederum weder gegen die Widerstände aus seinem eigenen Ministerium noch gegen die Bedenken seiner Kabinettskollegen durchsetzen.132 Mit Theodor Oberländer, dies deutet sich an diesen zwei Beispielfällen bereits an, saß zum ersten Male ein Regierungsangehöriger am Kabinettstisch, der sich gleichzeitig auch pointiert als Vertreter einer gesellschaftlichen Interessengruppe profilierte. Sehr offensichtlich wurde dies bei der Beratung des sogenannten Feststellungsgesetzes.133 Dieses Bundesgesetz war – flankierend zum Lastenausgleichsgesetz 134 – von den Bundestagsfraktionen von CDU und CSU eingebracht worden und sollte im Vorfeld der eigentlichen Lastenausgleichsregelung der Feststellung von Vertreibungsschäden und Kriegssachschäden dienen. Dieses Feststellungsgesetz wurde von der Bayerischen Staatsregierung – bei grundsätzlicher Anerkennung der Notwendigkeit und des materiellen Inhalts des Gesetzes – kategorisch abgelehnt, da der Gesetzentwurf eine Reihe von Grundgesetzänderungen zur Voraussetzung hatte. Im Gegensatz zum BHE war die Staatsregierung nicht bereit, schon zwei Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes zentrale föderale Verfassungsprinzipien zugunsten der materiellen Interessen einer – wenn freilich auch zahlenmäßig bedeutenden – gesellschaftlichen Einzelgruppe aufzugeben. Oberländer, der sich für das Feststellungsgesetz stark machte und wiederholt die Bedenken seiner Kollegen zu zerstreuen versuchte, befand sich auch hier im Kabinett weitgehend auf Einzelposten – die Haltung von BHE-Staatssekretär Guthsmuths ist in den Protokollen nicht belegt. Pikanterweise mußte Oberländer, der sich hier in einem eindeutigen Interessenkonflikt befand, im Bundesrat dann auch noch als Berichterstatter bei der Beratung des Gesetzes auftreten.135

Durch zahlreiche Wortbeiträge wie durch Konfliktbereitschaft in der Sache fällt in den Protokollen wiederum auch Hanns Seidel auf. Wiederholt pochte der Wirtschaftsminister in ressortübergreifenden Angelegenheiten – sei es die Frage der Ladenöffnungszeiten, 136 der Kohle- und Energieversorgung 137 oder die staatliche Auftragsvergabe an Privatunternehmer 138 – auf korrekte Kompetenzabgrenzungen und die Mitsprache seines Ministeriums. Bei der Entscheidung der Staatsregierung über den Ankauf von Anteilen der zum Flick-Konzern gehörenden oberpfälzischen Maxhütte durch den Freistaat war Staatsminister Seidel das einzige Kabinettsmitglied, das offene Zweifel an der Zweckhaftigkeit eines solchen Ankaufs äußerte und eine gründliche Wirtschaftlichkeitsprüfung verlangte. Die Zustimmung Seidels erfolgte letztendlich nur gegen die Zusicherung, daß die Zahlungen des Freistaates für die Maxhüttenanteile wieder in Bayern reinvestiert werden müßten.139 In Bezug auf die Person Hanns Seidels ist auch festzuhalten, daß der Wirtschaftsminister für die Kabinettssitzungen offensichtlich stets sehr penibel vorbereitet gewesen zu sein scheint: Wiederholt lieferte der Wirtschaftsminister zu einzelnen Gesetzesvorhaben oder Sachfragen – anzuführen sind beispielsweise eine Preisinterpellation im Landtag,140 der Schuman-Plan 141 oder der Entwurf eines Gesetzes über die Investitionshilfe der deutschen gewerblichen Wirtschaft 142 – lange und elaborierte Stellungnahmen in Form eines Grundsatzreferates ab, die sich in den Ministerratsprotokollen als mehrseitige, kaum von Diskussionsbeiträgen unterbrochene Monologe niederschlagen. Sehr deutlich läßt das von Autorität und Sachkompetenz geprägte Auftreten Hanns Seidels im Kabinett bereits seine Qualifikation und seine Ambition auf das später zwischen 1957 und 1960 von ihm bekleidete Ministerpräsidentenamt erkennen.

Ebenfalls und nach wie vor eine wichtige Rolle spielte im Ministerrat Finanzstaatssekretär Richard Ringelmann. Ringelmann hatte seit dem Jahre 1950, als Ministerpräsident Ehard nach dem Rücktritt des damaligen Finanzministers Hans Kraus auf die Berufung eines Nachfolgers verzichtet hatte, in zunehmendem Maße im Ministerrat die Angelegenheiten des Finanzministeriums vertreten.143 Ringelmann blieb seiner finanzpolitischen Expertenrolle treu, auch als Staatssekretär agierte er selbstbewußt und weitgehend gleichberechtigt neben den Finanzministern Zorn und Zietsch.

Die bisher genannten Persönlichkeiten waren in den Kabinettsberatungen zwar dominierend, allerdings muß gleichzeitig und im Vergleich zum Kabinett Ehard II festgestellt werden, daß die Diskussionen im Ministerrat tendenziell breiter angelegt waren und auch lebhafter verliefen. Auch die Staatsminister Zorn und Zietsch, Schwalber und Oechsle sowie die Staatssekretäre Nerreter, Koch und Guthsmuths leisteten regelmäßige und substantielle Wortbeiträge. Weniger exponiert im Ministerrat waren im Grunde nur die Vertreter des Landwirtschaftsministeriums, Staatsminister Schlögl und Staatssekretär Maag, ferner Kultusstaatssekretär Brenner und vor allem Arbeitsstaatssekretär Krehle. Einen Sonderfall in den Kabinettsberatungen stellt Josef Müller dar: Gemessen am Gewicht und der Bedeutung seines Ressorts bleibt der Justizminister – wie in den Jahren zuvor auch – in den Protokollen bemerkenswert unauffällig. Nur bei der Behandlung der Vorgänge im Landesentschädigungsamt und der Rolle von dessen Leiter Philipp Auerbach – ein politischer Intimfeind Josef Müllers – trat der Justizminister als engagierter Wortführer im Ministerrat auf.144

3. Die Mitglieder des Kabinetts Ehard III

Ministerpräsident:

Dr. jur. Hans Ehard (1887–1980), kath., Jurist, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften in Würzburg und München, 1912 Promotion in Würzburg, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 BVP-Mitglied, Große Juristische Staatsprüfung und Eintritt in das StMJu, 1923/1924 als Staatsanwalt beim Landgericht München I Untersuchungsführer und Anklagevertreter im Hitler-Prozeß, 1926 Landgerichtsrat, 1928 ORR, 1931–1933 MinRat im StMJu, 1933–1945 Senatspräsident am OLG München, 1937 Vorsitzender des Erbhofgerichts München, 1942 Vors. des Deutschen Ärztegerichtshofs, 1945 CSU-Mitglied, seit Mai 1945 durch MPr. Schäffer ohne Amt Betrauung mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung, 19. 10. 1945 Staatsrat im StMJu, 22. 10. 1945–21. 12. 1946 Staatssekretär im StMJu im Kabinett Hoegner I, 21.12.1946–14.12.1954 (Kabinette Ehard I-III) und 26.1.1960–11.12. 1962 (Kabinett Ehard IV) Bayer. Ministerpräsident, 1950 und 1961 Bundesratspräsident, 11. 12. 1962–5. 12. 1966 Justizminister, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses, 1946–1966 MdL (CSU), 1954–1960 Landtagspräsident, 1949–1955 CSU-Landesvorsitzender, seit 1946 Mitglied des Landesvorstands, 1949–1965 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU.

Staatsminister:

Innenminister und Stellvertretender MPr. Dr. jur. Wilhelm Hoegner (1887–1980), bis 1918 kath., Jurist, Studium in Berlin, München und Erlangen, 1911 Promotion, 1917 Große Juristische Staatsprüfung, Rechtsanwalt, 1920–1933 Dritter Staatsanwalt, dann Amtsgerichtsrat, Erster Staatsanwalt und Landgerichtsrat in München, seit 1919 SPD, 1924–1932 MdL, 1930–1933 MdR, 1933 Flucht nach Österreich, 1934–1945 in der Schweiz im Exil, 6. 6. 1945 Rückkehr nach München, hier von MPr. Schäffer ohne Amt mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betraut, am 20. 9. 1945 mit Wirkung vom 15. 6. 1945 zum Senatspräsidenten am OLG München ernannt, 28. 9. 1945–21. 12. 1946 Bayer. Ministerpräsident und seit 18. 10. 1945 auch Justizminister, 21. 12. 1946–20. 9. 1947 Justizminister und Stellvertretender Ministerpräsident, 21. 9. 1947 Senatspräsident OLG München, 1. 7. 1948 Staatsrat und Generalstaatsanwalt beim Bayer. Obersten Landesgericht, 18. 12. 1950–14. 12. 1954 Innenminister und Stellvertretender Ministerpräsident, 14. 12. 1954–16. 10. 1957 Bayer. Ministerpräsident, 1946 Vorsitzender des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung sowie Mitglied von deren Verfassungsausschuß, 1946–1970 MdL, 1961/62 MdB (SPD), 1945–1947 Landes Vorsitzender der bayer. SPD, 1958–1962 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Landtag, 1958–1970 stellvertretender Landtagspräsident.

Justizminister Dr. oec. publ. Josef Müller (1898–1979), kath., Rechtsanwalt, 1916–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919–1923 Studium der Nationalökonomie und der Rechtswissenschaften in München, 1925 Promotion, 1927 Große Juristische Staatsprüfung, Wirtschaftsanwalt in München, vor 1933 BVP-Mitglied, 1933 kurzzeitig Mitglied und stellvertretender Vorsitzender des Kreistages von Oberbayern, bis 1939 als Anwalt Tätigkeit für kirchliche Einrichtungen und Klöster sowie Beteiligung an Arisierungen (vom Vorwurf der Bereicherung nach 1945 vor Gericht und im Spruchkammerverfahren entlastet), 1934 Verhaftung durch die Politische Polizei, 1939 Einberufung als Offizier zur Abwehr, bis Januar 1940 Kontaktmann eines über den Vatikan laufenden Gesprächskanals zwischen der britischen Regierung und dem militärischen Widerstand, 5.4. 1943 Verhaftung, trotz Freispruchs von der Anklage des Hochverrats vor dem Reichskriegsgericht (3./4. 3. 1944) weiterhin in Haft (Gestapo-Gefängnis in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße, KZ Buchenwald, Flossenbürg und Dachau), 4. 5. 1945 Befreiung mit weiteren in Richtung „Alpenfestung“ evakuierten „Sonderhäftlingen“ in Südtirol durch die US-Army, 1945 mit Adam Stegerwald Gründer der CSU, 17. 12. 1945 Vorsitzender des Vorläufigen Landesausschusses der CSU, 8. 1. 1946 vorläufiger Landesvorsitzender der CSU, 31.3. 1946–28. 5. 1949 Landesvorsitzender der CSU, seit März 1947 Mitglied des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft der CDU/CSU Deutschlands, 1947–1949 häufige Teilnahme an den Sitzungen der CDU/CSU-Fraktion des Wirtschaftsrates, ohne ihr offiziell anzugehören, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie Mitglied von deren Verfassungsausschuß, 1946–1962 MdL (CSU), seine Bemühungen, im Herbst 1945 von der Militärregierung zum Ministerpräsidenten ernannt bzw. im Dezember 1946 vom Landtag dazu gewählt zu werden, scheiterten, 21. 9. 1947–18. 12. 1950 Stellvertretender Ministerpräsident und Justizminister im Kabinett Ehard II, 17. 12. 1948–24. 1. 1949 Beurlaubung als Justizminister infolge eines laufenden Verfahrens, 18. 12. 1950 bis 1952 Justizminister im Kabinett Ehard III, 26. 5. 1952 Rücktritt im Zusammenhang mit der Auerbach-Affäre, 1946–1949 und 1963–1965 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands, 1946–1960 und 1963–1968 des Landesvorstands der CSU, 1951–1960 Vorsitzender des CSU-Bezirksverbandes München, 1953 vergebliche Bemühungen um eine Bundestagskandidatur, 1960 erfolglose Kandidatur bei der Münchner Oberbürgermeisterwahl.

Finanzminister Dr. jur. Rudolf Zorn (1893–1966) kath., später ev., Jurist, seit 1912 Studium der Rechts- und Wirtschaftswissenschaften in München, u.a. bei Lujo Brentano, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 SPD-Mitglied, 1920 Promotion in Erlangen, nach dem Assessorexamen Eintritt in die bayer. Staatsverwaltung, Regierungsassessor bei der Regierung von Oberbayern, dann im StMI, 1925–1927 Bezirksamtmann in Lichtenfels, 1927–1933 Erster Rechtskundiger Bürgermeister der Stadt Oppau (seit 1938 Stadtteil von Ludwigshafen) in der Pfalz, Rechtsberater des Reichsbanners, 10. 3.-8. 4. 1933 Verhaftung und Schutzhaft im Zuchthaus Frankenthal, bis 1934 Sicherung des Lebensunterhalts in München als Repetitor und Nachhilfelehrer, Rückkehr in die bayer. Staatsverwaltung und Niederlassung als Rechtsanwalt wurden ihm verwehrt, durch persönliche Kontakte Angestellter der Zigarettenfabrik Lande GmbH in Dresden, seit 1936 als Vorstandsmitglied; Übersetzung der Discorsi Machiavellis, ebenso literarische Arbeiten unter dem Pseudonym Rudolf Wrede bei Hugendubel in München; nach Kriegsende zweimalige Weigerung das Bürgermeisteramt in Dresden zu übernehmen, September 1946 Rückkehr nach München, Herbst 1946 Leiter des Bayer. Landesamtes für Vermögensverwaltung, 21. 12. 1946–20. 9. 1947 Wirtschaftsminister im Kabinett Ehard I, im Anschluß Wirtschaftsanwalt in München und maßgebliche Mitarbeit am Aufbauplan A der SPD, Vortrag des wirtschaftspolitischen Grundsatzreferats auf dem SPD-Parteitag im September 1948 in Düsseldorf, März 1949 Wahl zum geschäftsführenden Direktor des Bayer. Sparkassen- und Giroverbandes, bis Mai 1950 an der Spitze der dem Verband gehörenden Bayer. Gemeindebank, 3. 1.-19. 6. 1951 übergangsweise Finanzminister im Kabinett Ehard III, Fortsetzung seiner Tätigkeit beim Sparkassen- und Giroverband bis 1. 7. 1964, Mitglied des Verwaltungsrats des Bayer. Rundfunks, Vorstandsmitglied des Goethe-Instituts.

Finanzminister Friedrich Zietsch (1903–1976), Bankier und Kaufmann, 1920/21 Besuch einer Landwirtschafts- und Handelsschule, 1921–1924 Tätigkeit als Bankbeamter, 1924–1932 Verbandsgeschäftsführer, zuletzt in Selb/OFr., 1926/27 Besuch der Akademie der Arbeit an der Universität Frankfurt/M., 1933–1945 Reformhauskaufmann in Hof/OFr., 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung (SPD), 1946–1948 Landrat in Münchberg/OFr., 1946–1966 MdL, 1948–1950 Sekretär der SPD-Fraktion im Bayer. Landtag, 1951 Fraktionsgeschäftsführer, 19.6.1951–16.10.1957 Finanzminister in den Kabinetten Ehard III und Hoegner II.

Wirtschaftsminister Dr. jur. Hanns Seidel (1901–1961), kath., Rechtsanwalt und Politiker, 1921–1925 Studium der Rechtswissenschaften, Germanistik und Volkswirtschaft in Jena, Freiburg und Würzburg, 1929 Promotion in Würzburg, 1929–1940 Rechtsanwalt in Aschaffenburg, 1932 BVP-Mitglied und 1933 Kandidatur für den Aschaffenburger Stadtrat, 1933 kurzzeitige Verhaftung, anschließend einige Monate Emigration nach Litauen, 1940–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, kurze amerikanische Kriegsgefangenschaft, Mitbegründer der CSU in Aschaffenburg, 11. 10. 1945–20. 9. 1947 Landrat Aschaffenburg, 20. 9. 1947–14. 12. 1954 Wirtschaftsminister in den Kabinetten Ehard II und III, 22. 1. 1955–16. 2. 1961 Landesvorsitzender der CSU, 16. 10. 1957–26. 1. 1960 Bayer. MPr., 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1961 MdL (CSU), 1954–1957 Sprecher der CSU-Landtagsfraktion und Oppositionsführer während der Viererkoalition, 1949 erfolglose Bewerbung um ein Bundestagsmandat, 1947–1961 Mitglied des Landesvorstands, 1955–1961 des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU.

Kultusminister Dr. oec. publ. Josef Schwalber (1902–1969), kath., Jurist, Studium der Rechts- und Staatswissenschaften und der Volkswirtschaft in München, 1927 Promotion, 1928 Große Juristische Staatsprüfung, seit 1929 Rechtsanwalt in Dachau und Mitglied der BVP, Frühjahr 1933 Mitglied des Gemeinderates und Bezirkstages Dachau (BVP), Juni 1933 Schutzhaft, 1943–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 8. 5.-15. 8. 1945 Ernennung zum stellvertretenden Landrat von Dachau durch die Militärregierung, Mitbegründer der CSU, 15. 8. 1945–9.2. 1947 Erster Rechtskundiger Bürgermeister Dachau, 27.1.-20. 9. 1947 Landrat des Landkreises Dachau, 20.9. 1947–18. 12. 1950 Staatssekretär im StMI, im Kabinett Ehard III 3. 1. 1951–14. 12. 1954 Kultusminister, 1957–1963 erneut Landrat in Dachau, 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1950 MdL (CSU), 10. 8.-23. 8. 1948 Teilnahme am Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee, 1948/49 MdPR, 1947–1952 Mitglied des Landesvorstands der CSU.

Landwirtschaftsminister Dr. rer. pol. Alois Schlögl (1893–1957), kath., Journalist, Verbandsfunktionär und Politiker, 1913/14 Philosophiestudium an der Theologischen Hochschule Passau, 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, nach Kriegsende Nationalökonomiestudium in München, 1920 Promotion in Erlangen, ab 1920 Journalistentätigkeit, zunächst in der Redaktion der „Bayerischen Volkszeitung“, 1925 Direktor des Niederbayerischen Christlichen Bauernvereins und Herausgeber des „Niederbayerischen Bauern“, Gründer des Mittelstandsbundes in Landshut, 1932/33 MdL (BVP) (Schriftführer), Juni 1933 von SA-Leuten schwer verletzt, nach Genesung und Ausweisung aus Landshut Eröffnung einer betriebswirtschaftlichen Kanzlei in München, 1941–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und anschließend amerikanische Kriegsgefangenschaft, 1945–1948 Generalsekretär des Bayer. Bauernverbandes, 26. 2. 1948–14. 12. 1954 Landwirtschaftsminister in den Kabinetten Ehard II und III, Mitbegründer der CSU, 1946 Mitglied des Bayer. Beratenden Landesausschusses sowie der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1957 MdL (CSU), 1948–1954 Mitglied des Landesvorstands der CSU.

Arbeitsminister Dr. h.c. Richard Oechsle (1898–1986), Bankbeamter, 1926 Fachvermittler für Angestelltenberufe und als Referent für Arbeitsvermittlung und berufliche Bildungsmaßnahmen beim Arbeitsamt München, 1933 entlassen, 1934–1945 leitende Stellungen im Großhandel, im Kreditwesen und in der Metallindustrie, 1945 Berufung in das StMArb und als ORR Abteilungsleiter der Abt. II Arbeitskräfte, 1946 MinRat, 11. 12. 1946 MD (vgl. Protokolle Hoegner I Nr. 56 TOP XXII ) und Leiter der Hauptabteilung Arbeit, 18. 12. 1950–14. 12.1954 Staatsminister für Arbeit und soziale Fürsorge, 1954–1970 MdL (SPD).

Staatssekretäre:

Staatssekretär im Innenministerium Dr. jur. Paul Nerreter (1905–1981), ev., Jurist, Studium der Rechtswissenschaften an den Universitäten München und Erlangen, 1930 Große Juristische Staatsprüfung und Promotion, 1930–1947 Tätigkeit als Rechtsanwalt in Nürnberg, 1937–1945 Wehrdienst und Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, SA-Mitglied 1933–1935 (Ausschluß von der Mitgliedschaft 1935), Juni/Juli 1946 gewählter Landrat in Uffenheim, nach Überprüfung durch die Militärregierung im August 1946 mit dem Verdikt „politisch unannehmbar“ nicht im Amt bestätigt, Mitbegründer der CSU in Nürnberg und Mittelfranken, 1946 Mitglied des Ausschusses der CSU für Zwischenstaatliche Beziehungen, 1947–1950 Tätigkeit als Rechtsanwalt in Ansbach, 1948/49 Stadtrat, Kreisrat und stellvertretender Landrat in Feuchtwangen (CSU), 1.5. 1949–5. 1. 1951 Landrat in Rothenburg o.d.T, 1951–1954 Staatssekretär im StMI, 1954–1958 MdL (CSU), 1954–1968 Tätigkeit als Rechtsanwalt in München, Mitglied des Landessynode der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, Mitglied des Hauptausschusses des Evangelischen Hilfswerks, 1951–1958 Mitglied des Landesvorstands der CSU.

Staatssekretär im Innenministerium Prof. Dr. agr. Dr. rer. pol. Theodor Oberländer (1905–1998), ev., Agrarwissenschaftler und Volkswirt, Hochschullehrer, Bundesminister, 1923 Beteiligung am Hitlerputsch, 1924–1929 Studium der Agrarwissenschaften in München, Hamburg, Berlin und Königsberg, 1929 Promotion zum Dr. agr., 1930 Promotion zum Dr. rer. pol. an der Universität Königsberg, 1933 Eintritt in die NSDAP, 1933 Direktor des Instituts für Osteuropäische Wirtschaft in Königsberg, 1933–1937 Gauamtsleiter der NSDAP in Ostpreußen, 1934 ao. Professor für Agrarpolitik in Danzig, 1937 o. Professor für Staatswissenschaften in Königsberg, im gleichen Jahr in Greifswald, 1940 in Prag, 1940–1942 Tätigkeit als Ostexperte im deutschen Heeresverband im Range eines Hauptmanns, 1945/46 US-Kriegsgefangenschaft, anschließend Tätigkeit als Landwirt und als Geschäftsmann im Agrarsektor, 1948 Mitglied der bayer. FDP, 1950 Mitglied des BHE, 1950–1953 MdL (BHE) und Staatssekretär für Flüchtlingsfragen, 1951 Landesvorsitzender des bayer. BHE, 1954/55 Bundesvorsitzender des BHE, 1953–1961 und 1963–1965 MdB (BHE, ab 1956 CDU), 1953–1960 Bundesminister für Vertriebene (BHE, ab 1956 CDU), Rücktritt wegen Vorwürfen bezüglich NS-Vergangenheit.

Staatssekretär im Justizministerium Dr. jur. Fritz Koch (1896–1967), ev., Jurist, 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919–1921 Studium der Rechtswissenschaften an der Universität Würzburg, 1921 Promotion, 1924 Großes Juristisches Staatsexamen, 1924–1939 Tätigkeit als Rechtsanwalt in Aschaffenburg, 1939–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 24. 10. 1945 bis 14. 12. 1945 kommissarischer Amtsgerichtsdirektor am Amtsgericht Aschaffenburg, Dezember 1945 bis März 1946 wieder Tätigkeit als Rechtsanwalt, 1. 4. 1946 Ernennung zum Landgerichtspräsidenten Landgericht Aschaffenburg, Mitglied des Stadtrates von Aschaffenburg (SPD), 1947 Berufung an den Bayer. Verfassungsgerichtshof, 18. 12. 1950 Staatssekretär im StMJu, vom 14. 12. 1954 im Kabinett Hoegner II bis zum Rücktritt der Regierung am 16. 10. 1957 Bayer. Staatsminister der Justiz.

Staatssekretär im Finanzministerium Dr. jur. et rer. pol. Richard Ringelmann (1889–1965), kath., Jurist, seit 1920 Assessor im StMF, 1923 RR, 1929 ORR, 6. 9. 1934 MinRat und Abteilungsleiter im StMF, bis 1933 Mitglied und aktiv tätig für die BVP, nach eigenen Angaben 1939 auf Druck des StMF und MPr. Siebert Eintritt in die NSDAP, Anfang Mai 1945 verhaftet, dann im StMF an der Reorganisation der Finanzverwaltung beteiligt, am 18. 4. 1946 entlassen, nach Einstellung des Spruchkammerverfahrens Genehmigung seiner Wiederanstellung im StMF durch den Ministerrat am 22. 10. 1946 (vgl. Protokolle Hoegner I Nr. 49 TOP XIV ), 1947 MinDirig, 6. 4. 1948 MD, als Finanzsachverständiger Teilnahme am Verfassungskonvent auf Herrenchiemsee August 1948, im November 1948 als Beauftragter für Finanzfragen zum Parlamentarischen Rat entsandt, 1950–1954 Staatssekretär im StMF.

Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Dr. oec. publ. Willi Guthsmuths (1901–1981), konfessionslos, Elektroschlosser, Dipl.-Kaufmann, Studium der Technologie und Wirtschaftswissenschaften an der Wirtschaftshochschule Berlin, dort 1923–1926 Hochschulassistent im Institut für Betriebswirtschaft, 1926–1934 Referent für Betriebsuntersuchungen im Reichskuratorium für Wirtschaftlichkeit, 1934–1940 leitender Mitarbeiter im sozialpolitischen Büro der Reichselektrowerke, 1940–1945 Verwaltungsdirektor bei der Sudetendeutschen Bergbau AG in Brüx, 1939–1941 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, nach 1945 Tätigkeit als Hilfsarbeiter in Bayern, 1949/50 Buchhalter und kaufmännischer Leiter in einem elektrotechnischen Unternehmen, Geschäftsführer einer Export- und Großhandelsgesellschaft, NSDAP-Mitglied seit 1. 11. 1930 (Mitglieds-Nr. 359 504), SA-Mitglied seit 1931, laut Urteil der Spruchkammer Kaufbeuren vom 21.4. 1948 Einstufung in die Gruppe der Mitläufer, 31.3. 1950 Ablehnung des Antrags auf Wiederaufnahme des Spruchkammerverfahrens durch die Hauptspruchkammer München, endgültige Festsetzung des Streitwerts des Sühnebescheids durch Beschluß der Hauptkammer München vom 31.8. 1950, 6. 9. 1950 Entlastungszeugnis, 1950 Vorsitzender der BHE-Bezirksverbandes Oberbayern und des Landesausschusses des BHE, 1953 Landesvorsitzender des BHE in Bayern, 1957 Mitglied des Präsidiums und Stv. Vorsitzender des BHE- bzw. des GDP-Bundesverbandes, 1950–1962 MdL (BHE), 1950–1962 Verwaltungsratsvorsitzender der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung, 1950–1962 Staatssekretär im StMWi, 1954 Lehrbeauftragter für Betriebswissenschaft an der LMU München, dort 1966 Honorarprofessor, 1970 Lehrbeauftragter an der TH Wien.

Staatssekretär im Kultusministerium Dr. phil. Eduard Brenner (1888–1970), ev., Hochschullehrer, Anglist und Amerikanist, 1907–1912 Studium an den Universitäten München und Würzburg, 1912 Promotion, 1919 Lektor Universität Erlangen, 1920–1945 ao. Professor an der Hochschule für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften in Nürnberg, 1925–1933 Direktor der Volkshochschule Nürnberg, 1940–1945 Lektor und Lehrstuhlvertreter an der Universität Erlangen, 1946 Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit und Ernennung zum o. Professor für amerikanische Kulturgeschichte in der Philososphischen Fakultät der Universität Erlangen, SPD-Mitglied seit 1919, 1951–1954 Staatssekretär im StMUK, Emeritierung 1955.

Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Johann Maag (1898–1976), Dreher, Landwirt, Lehre in der Würzburger Schnellpressenfabrik König&Bauer, 1916–1919 Teilnahme am Ersten Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft, 1920 SPD-Mitglied, bis 1933 Fortbildung in Partei- und Gewerkschaftsschulen, Betriebsratsvorsitzender bei der Firma König & Bauer, nach 1945 maßgebliche Beteiligung am Wiederaufbau der Gewerkschaftsbewegung in UFr., Mitbegründer und Erster Vorsitzender der IG Metall in Würzburg, Bezirksvorsitzender der SPD UFr., 1946 Gemeinderat in Waldbüttelbrunn/UFr. und Kreisrat im Landkreis Würzburg-Land, 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung, 1946–1966 MdL (SPD), 18.12. 1950–14. 12. 1954 Staatssekretär im StMELF.

Staatssekretär im Arbeitsministerium Heinrich Krehle (1892–1969), kath., Gewerkschaftsfunktionär, Schreinerlehre, seit 1909 in der christlichen Gewerkschaftsbewegung, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1918–1920 in britischer Kriegsgefangenschaft in Ägypten, 1920–1922 Schreinergehilfe in München, Besuch sozialpolitischer und volkswirtschaftlicher Lehrgänge, Volkshochschule, 1922–1930 hauptamtlicher Geschäftsführer des Zentralverbandes Christlicher Holzarbeiter in München, 1930–1933 Landessekretär der Christlichen Gewerkschaften in Bayern, 1933 stellungslos, dann tätig im katholischen Kirchensteueramt, seit 1935 in der Reichsfinanzverwaltung, 1939–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Mitbegründer des Bayer. Gewerkschaftsbundes und der CSU, seit 1947 Vorsitzender der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft, 1945/46 Stadtrat in München, im Kabinett Hoegner I und Kabinett Ehard I 22. 10. 1945–20. 9. 1947 Staatssekretär im StMArb, im Kabinett Ehard II 20. 9. 1947–18. 12. 1950 Arbeitsminister, im Kabinett Ehard III 18. 12. 1950–14. 12. 1954 wieder Staatssekretär im StMArb, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses und Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie stellvertretendes Mitglied ihres Verfassungsausschusses, 1948–1958 MdL (CSU), 1946–1949 Vorsitzender des CSU-Bezirksverbandes München, 1952–1955 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU.

Leiter der Staatskanzlei Dr. h.c. Karl Schwend (1890–1968), kath., ab 1909 Offizierslaufbahn, 1911 Leutnant 21. Bayer. Infanterie-Regiment, im Ersten Weltkrieg Kompaniechef und Bataillonskommandeur, 1918 ausgeschieden als Hauptmann, anschließend juristische, staatsrechtliche und historische Studien Universität München, 1918 Gründungsmitglied der BVP, Mitarbeit im Generalsekretariat der BVP, 1920–1933 Herausgeber und Chefredakteur der „Bayerischen Volkspartei-Korrespondenz“ (BVC), gemeinsam mit Anton Pfeiffer Schriftleiter der „Politischen Zeitfragen“ der BVP, nach 1933 drei Jahre arbeitslos, 1936 Leiter der Verlagsabteilung der Annoncen-Expedition Karl Gabler in München, ab 1937 Aufbau des Werkschutzes bei den Dornier-Werken (Oberpfaffenhofen), aufgrund dieser Tätigkeit 1940 NSDAP-Mitglied, zuletzt Leiter des Personalwesens der Dornier-Werke in München, ab Mai 1945 i.A. der Staatskanzlei tätig, lt. Sühnebescheid der Spruchkammer München X, 21. 3. 1947, Einreihung in die Gruppe IV der Mitläufer, ab 20. 5. 1947 als Angestellter in der StK (vgl. Protokolle Schäffer S. 109–112), 1. 6. 1948 Leiter der Gruppe Politik, Presse und Rundfunk, 1949 Leiter der Gruppe Innenpolitik der StK, seit 21. 12. 1950 als MinDirig, seit 1951 als MD Leiter der StK bis Ende 1954, 1954 Publikation der in den Jahren 1946/1947 verfaßten Monographie „Bayern zwischen Monarchie und Diktatur. Beiträge zur bayerischen Frage in der Zeit von 1918 bis 1933“, die er MPr. Ehard widmete, Mitglied des Personalgutachterausschusses des Bundestages für die Auswahl der Offiziere der Bundeswehr, 1958–1968 Generalsekretär der Akademie der bildenden Künste in München.

III. Rahmenbedingungen und Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

Einleitend zum Überblick über die Rahmenbedingungen und Tätigkeitsschwerpunkte des Kabinetts Ehard III im Jahre 1951 steht bezüglich der inhaltlichen und thematischen Hauptakzente der Ministerratsprotokolle ein zunächst widersprüchlich anmutender Befund: Auf der einen Seite erreicht die legislative Materie in quantitativer Hinsicht eindeutig ein neues Rekordniveau. Wie allein ein nur flüchtiger Blick in das Sachregister zeigt, ist die Zahl der vom Ministerrat behandelten Gesetze, Verordnungen und Anordnungen – in ungebrochener Fortsetzung eines bereits 1950 einsetzenden Trends145 – erneut sehr stark angewachsen. Auf der anderen Seite ist festzuhalten: Trotz dieses Zuwachses an legislativen Angelegenheiten aber gewinnen diese in den Protokollen – anders, als dies vielleicht erwartet werden könnte – anteilig nicht deutlich an inhaltlich-thematischem Gewicht. Der Ministerrat war 1951 in vergleichbarem Ausmaß ebenfalls mit einer ganzen Reihe von wichtigen Sachfragen und oftmals auch völlig unerwartet auftretenden Krisen – genannt seien hier vorläufig und nur beispielhaft die Stichworte Landesentschädigungsamt und alliierte Truppenverstärkung – beschäftigt. Diese Kombination von intensivierter gesetzgeberischer Aktivität auf der einen und dem wiederholten Eintritt von Ereignissen, die die Staatsregierung vor akute politische Handlungszwänge stellten, auf der anderen Seite, ist ursächlich für den großen Umfang der Ministerratsprotokolle 1951.

1. Bundespolitik

Ein enormer quantitativer Anstieg, darauf wurde bereits bei der Behandlung der Quellencharakteristik verwiesen, ist im Regierungsjahr 1951 bei den Bundesangelegenheiten zu verzeichnen. In der Regel waren es über 20, vereinzelt sogar bis zu 40 Sachthemen, die der Ministerrat unter dem Tagesordnungspunkt „Bundesratsangelegenheiten“ zu behandeln hatte. In der Tendenz auffällig ist dabei allerdings, daß hier gar nicht so sehr die Beratung einer großen Anzahl neuer oder wichtiger Bundesgesetze im Vordergrund stand, sondern der mengenmäßige Zuwachs der Bundesratsangelegenheiten vor allem auf eine Vielzahl von Ausführungsbestimmungen und Durchführungsverordnungen sowie Änderungs- oder Ergänzungsgesetzen zu bereits bestehenden Bundesgesetzen zurückzuführen ist. Nur beispielhaft anzuführen sind an dieser Stelle die zahlreichen gesetzlichen Regelungen zur nach wie vor bestehenden Wirtschaftslenkung bei Rohstoffen und Nahrungsmitteln und zur sonstigen Kontrolle der Marktordnung und des Preisgefüges 146 – wie etwa das Preisgesetz,147 diverse Durchführungsverordnungen und zwei Änderungs- und Ergänzungsgesetze zum Gesetz über den Verkehr mit Getreide und Futtermitteln (Getreidegesetz) vom 4. November 1950, 148 oder zum Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) vom 28. Februar 1951. 149 Weiterhin zu nennen sind in diesem Zusammenhang diverse andere Bewirtschaftungsregelungen auf dem Nahrungsmittelsektor,150 gesetzliche Verwendungsbeschränkungen für Rohstoffe 151 oder Tarifregelungen für den Güter- und Kraftfahrzeugverkehr;152 Auch anzuführen ist in vorliegendem Zusammenhang das Gesetz über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr der gewerblichen Wirtschaft vom 29. März 1951;153 durch die Warenstelle konnte die Bundesregierung Lenkungsmaßnahmen im Im- und Exportgeschäft ergreifen. Generell ist für das Jahr 1951 wieder ein Anstieg der Steuerung der Wirtschaft zu verzeichnen, deren Ursache die infolge des Korea-Krieges eingetretene Anspannung auf den weltweiten Nahrungsmittel-, Rohstoff- und Energiemärkten war. Die Bundesregierung reagierte hier nicht nur mit explizit wirtschaftslenkenden, sondern auch mit wirtschaftsfördernden Maßnahmen wie dem Gesetz über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft vom 21. Juli 1951 154 oder dem Gesetz über die Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft vom 7. Januar 1952,155 Alle die hier beispielhaft genannten Gesetze und Maßnahmen gaben im Ministerrat wenig Anlaß zu kontroversen Diskussionen, wenn auch punktuell wiederholt ein verfassungsrechtliches Unbehagen spürbar wurde. Dies richtete sich zumeist gegen Art und Ausmaß der in den Wirtschaftslenkungsgesetzen enthaltenen Weisungsbefugnisse des Bundeswirtschaftsministers, die aber letztendlich aus pragmatischen Gründen und aus Einsicht in wirtschaftspolitische Notwendigkeiten akzeptiert wurden.

Weitgehend unumstritten waren im Ministerrat ferner auch die im Jahre 1951 von der Bundesregierung vorgelegten Initiativen von außenpolitischer Relevanz. Darunter fielen beispielsweise die Sozialversicherungsabkommen mit einigen europäischen Nachbarstaaten 156 oder diverse internationale Handelsabkommen,157 aber auch der Vorschlag eines Gesetzentwurfs über die Grundsätze für die freie Wahl einer verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung, 158 den die Bundesregierung auf Aufforderung des Bundestages erarbeitet hatte. Dieser Beschluß des Bundestages wiederum war die Reaktion auf zwei Propagandaoffensiven aus Ost-Berlin – den sogenannten Grotewohl-Brief vom 30. 11. 1950159 und den Volkskammer-Appell an den Deutschen Bundestag vom 15. 9. 1951 – gewesen, in denen von ostdeutscher Seite der Abschluß eines Friedensvertrages und die Durchführung gesamtdeutscher Wahlen vorgeschlagen wurden, die freilich nie zustande kamen.

Es kann an dieser Stelle ganz allgemein festgehalten werden, daß sich der Bayerische Ministerrat im Jahre 1951 kraft der formal bestehenden Zuständigkeit des Bundesrates im Gesetzgebungsverfahren mit einer ganzen Reihe kleinerer, in der Retrospektive oft nur nebensächlich erscheinender legislativer Projekte des Bundes zu beschäftigen hatte, die materiell völlig unumstritten waren oder Bayern als Bundesland überhaupt nicht tangierten – als repräsentative Exempel seien hier angeführt die sogenannte Käseverordnung vom 2. Juni 1951, 160 die Verordnung über eine Zählung von Obstbäumen und Beerensträuchern vom 22. Juni 1951 161 oder das Gesetz über Beschränkung der Freizügigkeit für den Raum der Insel Helgoland während der Zeit des Wiederaufbaues vom 25. März 1951. 162

Richtet man den Blick auf große und wichtige Bundesgesetze, so erscheint deren Zahl – im Vergleich zum Vorjahr – im Jahre 1951 durchaus überschaubar. An erster Stelle zu nennen ist das bereits im Jahre 1950 auf den Weg gebrachte Gesetz über den Lastenausgleich vom 14. August 1952163 – neben dem Bundesversorgungsgesetz vom 20. Dezember 1950 164 und dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1952165 eines der drei sogenannten Kriegsfolgengesetze 166 und nach Einschätzung von Staatsminister Zorn im Ministerrat vom 15. Januar 1951 „wohl eines der schwierigsten Gesetze, das jemals ein deutsches Parlament zu beschließen gehabt habe.“167 Mit dem Lastenausgleichsgesetz, das an die Stelle des noch vom Frankfurter Wirtschaftsrat erlassenen Gesetzes zur Milderung dringender sozialer Notstände (Soforthilfegesetz) vom 8. August 1949 168 trat, sollte die einheitliche finanzielle Abgeltung von kriegsbedingten Sachschäden und Vermögensverlusten wie auch die Abmilderung von durch die Währungsreform verursachten Härten geregelt werden. In der Kabinettssitzung vom 15. Januar diskutierte der Ministerrat den Gesetzentwurf auf der Grundlage eines Gutachtens des vom Bundesrat eingesetzten Sonderausschusses Lastenausgleich ausführlich und ohne größere inhaltliche Beanstandungen; in der Folge stand das Lastenausgleichsgesetz nur noch ein einziges Mal, und zwar wegen der Detailfrage der „dinglichen Sicherung der Hypothekengewinnabgabe“, auf der Tagesordnung des Ministerrates.169 Wiederholt allerdings hatte sich die Staatsregierung mit zwei höchst kontrovers beurteilten Gesetzentwürfen zu beschäftigen, die im engen sachlichen Zusammenhang mit dem Lastenausgleichsgesetz standen. Es handelte sich zum einen um ein von der Bundesregierung vorgelegtes Gesetz zur Einfügung eines Art. 120a in das Grundgesetz,170 durch den im Interesse einer reibungslosen Organisation und pragmatischen Durchführung des Lastenausgleichs die Trennung zwischen Bundes- und Landesverwaltungen gelockert und die Option offengehalten werden sollte, Befugnisse auf Bundesoberbehörden zu übertragen. Auch sollte in Fragen des Lastenausgleichs eine unmittelbare Weisungsbefugnis der Bundesober- und Bundesmittelbehörden gegenüber den Mittel- und Unterbehörden der Länder möglich sein. Zwar bestand auch innerhalb der bayerischen Staatsverwaltung die Einsicht, daß die bestehende Behördenordnung in Westdeutschland für die Durchführung des Lastenausgleichs denkbar ungeeignet sei. Allerdings sollte unter allen Umständen der Präzedenzfall einer Verfassungsänderung vermieden werden, und dafür hatte man sogar die Zustimmung zur bayerischerseits eigentlich sehr unbeliebten Errichtung bundeseigener Mittel- und Unterbehörden für die Durchführung des Lastenausgleichs – also eine vollständig bundeseigene Verwaltung in allen Verwaltungsstufen – in Erwägung gezogen. In thematisch engem Zusammenhang hierzu stehend und ganz ähnlich gelagert waren die Probleme beim sogenannten Feststellungsgesetz, einem von den Bundestagsfraktionen von FDP und CDU bereits im Jahre 1950 eingebrachten Entwurf.171 Durch das Feststellungsgesetz sollte im Vorfeld des geplanten eigentlichen Lastenausgleichs die Vorabermittlung und Taxierung der kriegsbedingten Vermögensverluste ermöglicht werden. Auch dieses Initiativgesetz stieß innerhalb der Staatsregierung weitgehend auf grundsätzliche Ablehnung, da der Gesetzentwurf zum einen wiederum eine Grundgesetzänderung durch Einfügung eines Art. 120a voraussetzte, und zum anderen auch hier für die Durchführung des Gesetzes eine nach bayerischer Auffassung verfassungswidrige Mischform von Bundes- und Länderverwaltung vorgesehen war. Nur der Vertreter der Flüchtlingspartei BHE im Ministerrat, Staatssekretär Oberländer, stellte etwaige verfassungsrechtliche Prinzipien oder föderalistische Grundsätze hinter die Vertriebeneninteressen und trat im Ministerrat mit Nachdruck für das Feststellungsgesetz ein. Der Widerstand Bayerns wie auch des Bundesrates gegen diese Entwürfe blieb allerdings vergebens, beide Gesetze kamen zur Verkündigung im Bundesgesetzblatt. Weniger umstritten im Ministerrat war ein weiteres Gesetzesvorhaben, das die Gruppe der Vertriebenen betraf: Das im Jahre 1951 auf den Weg gebrachte Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 1953 172 schuf bezüglich der Vertriebenen und Flüchtlinge einheitliche juristische Begriffsdefinitionen und regelte eine Vielzahl von Vergünstigungen und Eingliederungshilfen.

Als Meilensteine der Bundespolitik des Jahres 1951 dürfen sowohl wegen ihrer wirtschafts-, wie innen- und außenpolitischen Tragweite sicherlich der Abschluß des Vertrages über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) vom 18. April 1951 sowie das 1951 auf den Weg gebrachte Ratifizierungsgesetz betreffend den Vertrag vom 18. April 1951 über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 29. April 1952 gelten.173 Die Behandlung des letztgenannten Gesetzes führte Mitte 1951 zu einer harten und grundsätzlichen Auseinandersetzung zwischen Bundesrat und Bundesregierung über die Mitwirkungsrechte der Länderkammer.174 Der Bundesratspräsident Hans Ehard bestand gegenüber der Bundesregierung auf dem Informations- und Mitspracherecht der Länder auch in außenpolitischen Angelegenheiten, während Bundeskanzler Adenauer die Außenpolitik als exklusive Domäne der Bundesregierung betrachtete – in dieser Auffassung übrigens offen unterstützt von den CDU-regierten Ländern Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern, Baden und Schleswig-Holstein.

In den Beratungen des Schuman-Planes und des dazugehörigen Ratifizierungsgesetzes im Ministerrat aber wird beispielhaft und symptomatisch der Spagat zwischen bundespolitischer Staatsräson-Ministerpräsident Hans Ehard stand inhaltlich voll und ganz hinter der Adenauer’schen Außenpolitik und der Politik der Westbindung – auf der einen und der föderalistischen Prinzipientreue der Staatsregierung auf der anderen Seite deutlich. In der Sitzung vom 25. 6. 1951 hielt Hanns Seidel ein ausführliches Referat zu den wirtschaftlichen Chancen und Risiken des Schuman-Planes und plädierte nachdrücklich für die Annahme des Ratifizierungsgesetzes. Der Wirtschaftsminister begründete sein Votum dabei in typischer und gewohnt pragmatischer Manier allein aus ökonomischer Perspektive – den möglichen staats- und verfassungsrechtlichen Problemen, die mit der Gründung der EGKS verbunden sein könnten, hatte er nach eigenen Worten keine Aufmerksamkeit geschenkt. Die Rolle des föderalistischen Bedenkenträgers fiel hier im Ministerrat wieder Claus Leusser zu. Das Kernproblem bezüglich des Ratifizierungsgesetzes stellte nach Leusser die künftige Übertragung von Kompetenzen und Weisungsbefugnissen des Bundes auf die Hohe Behörde der Montanunion gemäß Art. 24 Abs. 1  GG dar, was wiederum Auswirkungen auf die in Art. 84 GG geregelte Verwaltungshoheit der Länder zur Folge habe. Die Übertragung von Hoheitsbefugnissen der Länder auf den Bund bzw. von diesem auf zwischenstaatliche Einrichtungen könne nur mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, daher müsse das Ratifikationsgesetz zum Schuman-Plan zwangsläufig als Zustimmungsgesetz behandelt werden. Zwar folgte der Ministerrat der verfassungsrechtlichen Argumentation Leussers, in bemerkenswerter Offenheit allerdings verzeichnet das Protokoll ebenso die offensichtlichen juristischen „Schwächen dieser Konstruktion“ wie auch die Tatsache, daß Bayern für seinen Standpunkt keine Mehrheit im Bundesrat gewinnen könne. Auch brachte Ministerpräsident Ehard das bayerische Dilemma im Ministerrat – durchaus staatsmännisch-visionär – „auf eine einfache Formel […]: Entweder strebe man eine europäische Gemeinschaft auf der politischen Ebene an, diese habe aber keine Durchschlagkraft, wenn man nicht über Straßburg eine europäische Exekutive und Legislative erreiche. Der Weg des Schuman-Plans greife ein Teilgebiet heraus, wenn man das wolle, müsse man den Plan auch annehmen. Ohne ein gewisses Risiko gehe das natürlich überhaupt nicht.“

Der Bundesrat stimmte dem Ratifikationsgesetz zum Schuman-Plan in seiner Sitzung vom 27. Juni 1951 zu – unter gleichzeitiger Abgabe einer maßgeblich durch den Bundesratspräsidenten Ehard zustande gekommenen Kompromißempfehlung, in der gefordert wurde, daß „bei der Willensbildung der deutschen Stellen im Rahmen des Schumanplanes die Mitwirkung des Bundesrates vor der Ratifizierung des Gesetzes sichergestellt wird.“175 Spätere Versuche, die in dieser Bundesrats-Entschließung geforderte Mitwirkung der Länderkammer durch Ergänzungsgesetze zum Ratifikationsgesetz zum Schuman-Plan auch gesetzlich zu fixieren – es handelte sich hierbei um einen Initiativentwurf Nordrhein-Westfalens176 und einen späteren Entwurf der Bundesregierung177 – wurden aber letztendlich wegen zu erwartender Widerstände des Bundestages nicht weiter verfolgt.

In diesem Zusammenhang ist auch noch das bereits im Jahre 1950 auf den Weg gebrachte und wirtschafts- und arbeitspolitisch zentrale Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten und Vorständen der Unternehmen des Bergbaus und der Eisen und Stahl erzeugenden Industrie vom 21. Mai 1951 anzuführen,178 das den Ministerrat zu Anfang des Regierungsjahres 1951 noch wiederholt beschäftigte.

War die Haltung der Staatsregierung in der Frage der Zustimmung zum Schuman-Plan gleichzeitig von der Einsicht in dessen Zweckmäßigkeit und von weitgehender inhaltlich-materieller Zustimmung auf der einen, von föderalistisch motivierten verfassungsrechtlichen Bedenken auf der anderen Seite geprägt, so vertrat die Staatsregierung in anderen Politikfragen nachdrücklich ihre föderalen Interessen und ging auf deutlicheren Konfrontationskurs zur Bundespolitik. Zu nennen sind hier die Auseinandersetzungen über die Verwaltung des ehemaligen Reichs- und Preußischen Vermögens, das nach der Auflösung des preußischen Staates durch das Kontrollratsgesetz Nr. 46 vom 25. Februar 1947 auf die Länder übergegangen war.179 Der Bund beanspruchte hier das gesamte Vermögen sowie alle Beteiligungen an privatrechtlichen Unternehmen und hatte bereits im Jahre 1950 eine von den Ländern als Kompromiß ausgearbeitete Verwaltungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern abgelehnt. Die Ansprüche des Bundes hätten in Bayern insbesondere die Beteiligungen des Freistaates an Tochtergesellschaften der VIAG gefährdet. Mit dem Gesetz zur vorläufigen Regelung der Rechtsverhältnisse des Reichsvermögens und der preußischen Beteiligungen vom 21. Juli 1951 wurde schließlich, nach vorheriger Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundesrat, ein Kompromiß zwischen Bundes- und Länderinteressen gefunden. Ein weiterer Streitpunkt betreffend die Finanzverteilung zwischen Bund und Ländern war im Jahre 1951 die Frage der Einkommen- und Körperschaftsteuer.180 Gemäß Art. 107 GG hätte bis spätestens Ende 1952 ein zustimmungspflichtiges Bundesgesetz über die „endgültige Verteilung der der konkurrierenden Gesetzgebung unterliegenden Steuern auf Bund und Länder“ erfolgen sollen, ein Gesetz, das aber erst mit dem Finanzverfassungsgesetz vom 23. Dezember 1955 zustande kam. Die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer mußte daher vorerst jedes Jahr von neuem in einem eigenen Bundesgesetz geregelt werden. Der CSU-Bundesminister Fritz Schäffer forderte 1951 eine Erhöhung des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer auf knapp über 31%, während die Länder sich nur mit einem Anteil von höchstens 20% einverstanden erklärten. Insbesondere die Bayerische Staatsregierung, die sich in der Frage des Bund-Länder-Finanzausgleichs ohnehin benachteiligt sah,181 wies die Forderungen aus dem Bundesfinanzministerium kategorisch zurück. Nachdem das Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1951 in der Fassung des Regierungsentwurfs Anfang Juli 1951 den Bundestag passiert hatte, beschloß der Ministerrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses182 mit dem Ziel, den Anteil des Bundes auf maximal 25% zu begrenzen – die Folge für Bayern waren durchaus massive Interventionen aus Bonn. So drohte das Bundesfinanzministerium der Staatsregierung im Falle weiteren Widerstandes gegen die 31%-Regelung mit der Sperrung freiwilliger Bundeszuschüsse an den Freistaat in Höhe von 37 Mio DM.183 Das Gesetz über die Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftsteuer durch den Bund vom 23. Oktober 1951 legte mit einem Bundesanteil in Höhe von 27% schließlich einen Kompromiß fest, der allerdings nur von kurzer Dauer sein sollte. Im Folgejahr 1952 brach der Streit um die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer wieder erneut und nun mit noch gesteigerter Intensität aus, da Bundesfinanzminister Schäffer unter Verweis auf die Finanzierung des künftigen westdeutschen Verteidigungsbeitrages eine Erhöhung des Bundesanteils auf – für die Länder inakzeptable – 40% forderte.184

Ebenfalls um finanzielle Rechte und Interessen Bayerns drehte sich die Auseinandersetzung mit Bundesfinanzminister Schäffer um die Gültigkeit des Staatsvertrages vom 4. April 1920 über die Eisenbahnen.185 Dieser Vertrag, mit dem durch den Übergang der Ländereisenbahnen auf das Deutsche Reich die Voraussetzung zur Gründung der Deutschen Reichsbahn geschaffen worden war, war 1934 aufgehoben worden. Strittig zwischen der Staatsregierung und dem Bund war nun die Grundsatzfrage, ob diese Aufhebung durch die nationalsozialistische Gesetzgebung überhaupt Gültigkeit besaß und ob der Staatsvertrag damit noch in Kraft oder aber tatsächlich rechtlich nichtig war. In Hintergrund standen hier materielle Interessen Bayerns wie Vergünstigungen beim Güterfrachtverkehr für die bayerische Wirtschaft oder Freifahrscheine für bayerische Abgeordnete, die der Staatsvertrag von 1920 noch garantiert hatte. In thematischem Zusammenhang ist an dieser Stelle auch noch zu erwähnen das Bundesbahngesetz vom 13. Dezember 1951. 186 Hier legte Bayern bezüglich der im Gesetz festzuschreibenden staatlichen Weisungs- und Aufsichtsbefugnisse über die Bundesbahn besonderen Wert auf eine möglichst weitgehende Unabhängigkeit der Bahn vom Bundeswirtschaftsministerium; ebenfalls ein zentrales Anliegen war die Sicherung der Länderinteressen durch eine angemessene Vertretung der Länder in den Aufsichtsgremien der Bundesbahn.

Die bis hierher angeführten Bundesgesetze und Sachfragen stellen im Regierungsjahr 1951 die markantesten Beispiele von Bund-Länder-Konflikten auf der legislativen Ebene dar. Der bayerische Ministerrat hatte 1951 aber noch eine ganze Reihe weiterer Bundesangelegenheiten zu behandeln, die die Interessen Bayerns und seine Position im föderalen System der Bundesrepublik berührten. Dabei ging es teilweise um zentrale, politisch bedeutsame Fragen, teilweise um tendenziell eher nebensächliche Dinge, die im Ministerrat aber zu föderalistischen Grundsatzfragen erhoben wurden. Als Beispiel für letztere ist anzuführen das Gesetz zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens vom 22. Januar 1952, 187 gegen das Bayern auf Anregung von Innenminister Hoegner – der in seiner föderalistischen Prinzipientreue dem Ministerpräsidenten in nichts nachstand – unter Berufung auf eine bereits bestehende bayerische Regelung188 im Bundesrat den Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses stellte – allerdings ohne Erfolg. Ähnlich gelagert war die Frage der Regelung des Apothekenwesens. Sowohl von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion wie auch über den Bundesrat vom Land Hessen waren Initiativen für eine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung des in den einzelnen Besatzungszonen jeweils individuell organisierten Apothekenwesens gestartet worden.189 Das bayerische Kabinett negierte hier die Bundeszuständigkeit, und Innenminister Hoegner legte umgehend den Entwurf eines bayerischen Gesetzes über das Apotbekenwesen 190 vor, das vor allem Regelungen betreffend die Neu- und Wiedereröffnung von Apotheken enthielt und im Juli 1952 in Kraft trat; das Bundesgesetz kam erst viel später, im Jahre 1960, zustande. Das Beispiel des bayerischen Gesetzes über das Apothekenwesen illustriert übrigens auch deutlich die Auswirkungen verschieden ausgeprägter föderalistischer Positionen auf den legislativen Elan einzelner Regierungsmitglieder: Während etwa Ministerpräsident Ehard wegen der im Gesetzentwurf enthaltenen Beschränkungen der Gewerbefreiheit ein Veto der Besatzungsmacht fürchtete und den Gesetzentwurf nicht überstürzt einbringen wollte191 oder Justizstaatssekretär Koch – wenn auch nur verhalten – die Frage vorbrachte, ob das bayerische Apothekengesetz wegen der zu erwartenden Bundesregelung nicht prinzipiell zurückgestellt werden solle,192 stellte Innenstaatssekretär Nerreter die Forderung in den Raum, sich einmal „grundsätzlich zu überlegen, ob man in allen Fällen der konkurrierenden Gesetzgebung eine Bundesregelung abwarten oder nicht lieber selbständig vorgehen solle“,193 und Innenminister Hoegner erinnerte in der abschließenden Beratung des Gesetzentwurfs seine Kabinettskollegen nachdrücklich an den vorangegangenen bereits gefaßten Ministerratsbeschluß, den „Entwurf ohne Rücksicht auf eine etwaige Bundesregelung dem Landtag zuzuleiten.“194

Ein weiteres Thema aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums, das zu Interessenkonflikten zwischen Bayern und dem Bund führte, war 1951 die Polizeifrage. Das Gesetz über den Bundesgrenzschutz und die Errichtung von Bundesgrenzschutzbehörden vom 16. März 1957195 war gegen den Willen Bayerns bzw. unter Enthaltung Bayerns bei der entscheidenden Abstimmung im Bundesrat verkündet worden, da nach bayerischer Interpretation der Sachlage hier der Versuch der Bundesregierung vorlag, doch noch eine Bundespolizeibehörde zu errichten,196 nachdem im Vorjahr das Projekt einer Bundesbereitschaftspolizei am Widerstand der Länder gescheitert war. Außerdem befürchtete man, daß durch den Aufbau der Bundesgrenzschutzpolizei die Organisation der 1945 auf Weisung der US-Besatzungsmacht gegründeten bayerischen Landesgrenzpolizei überflüssig würde, der Freistaat aber weiterhin die Personalkosten der dann nicht mehr benötigten bayerischen Grenzpolizisten zu tragen hätte. Die Planung des Innenministeriums lief daher darauf hinaus, die Landesgrenzpolizei für einen befristeten Zeitraum beizubehalten, diese die Grenzkontrollen im Auftrag und unter Aufsicht des Bundesgrenzschutzes weiter durchführen zu lassen und hierfür eine Kostenübernahme durch den Bund bzw. mittelfristig die Übernahme der bayerischen Beamten in den Bundesgrenzschutz anzustreben.197 Diese Strategie aber schien ab August 1951 durch die überraschend einsetzende Übernahme von Grenzübergängen durch die Bundesgrenzpolizei gefährdet, woraufhin Wilhelm Hoegner den – freilich nur auf äußerst schwachen verfassungsrechtlichen Argumenten fußenden-Vorschlag ins Spiel brachte, gegen das Vorgehen der Bundesgrenzpolizei das Bundesverfassungsgericht anzurufen.198 Immerhin aber schien die bayerische Drohung mit dem Gang vor das Bundesverfassungsgericht doch gefruchtet zu haben, da man letztendlich zu einer einvernehmlichen Einigung kam: Das Bundesinnenministerium verzichtete auf die Paßkontrolle durch den Bundesgrenzschutz an den bayerischen Grenzlinien zur Tschechoslowakei, nach Österreich und zur Schweiz.199 Endgültig fixiert wurde die Zuständigkeit der bayerischen Landesgrenzpolizei für die Paßkontrolle an den Grenzen dann durch ein Verwaltungsabkommen zwischen der Bundesregierung und der Bayerischen Staatsregierung über die Ausübung der Paßnachschau in Bayern vom Februar 1953;200 Bayern behielt damit nach 1951 als einziges Bundesland eine eigene Grenzpolizei – bis zu deren endgültiger Auflösung im Jahre 1998.

Die föderalistischen Eigeninteressen Bayerns spielen in den Ministerratsprotokollen auch bei den Beratungen über die Errichtung von Bundesinstitutionen eine markante Rolle. 1951 kam mit dem Gesetz über das Bundesverfassungsgericht vom 12. März 1951 201 der vom Grundgesetz vorgegebene Aufbau der Bundesorgane zum Abschluß. Bayern beantragte bezüglich dieses Gesetzes im Bundesrat-übrigens in Anlehnung an eine Empfehlung des Bundesrats-Rechtsausschusses – die Anrufung des Vermittlungsausschusses,202 da durch das in der vom Bundestag verabschiedeten Gesetzesfassung vorgesehene Mittel der Verfassungsbeschwerde eine vom Grundgesetz nicht gedeckte Kontrolle der Länderverwaltungen durch eine Bundesinstanz ermöglicht würde. Weiterhin und zum zweiten könne die im Gesetz vorgesehene Verfassungsbeschwerde für Gemeinden dazu führen, daß über das Bundesverfassungsgericht – indirekt und grundgesetzwidrig – eine Zuständigkeit des Bundes für das genuin in die Länderverantwortung fallende Gemeinderecht konstituiert würde. Auch fürchtete die Staatsregierung natürlich einen Bedeutungsverlust für den Bayerischen Verfassungsgerichtshof Staatsminister Hoegner trat im Ministerrat vom 30. Januar 1951 „dafür ein, unter allen Umständen dem bayerischen Verfassungsgerichtshof seine Zuständigkeiten zu sichern“, und überhaupt gelte im Grunde: „ein Bundesverfassungsgericht brauche man hier in Bayern nicht.“ Bayern konnte im Bundesrat die Anrufung des Vermittlungsausschusses allerdings nicht durchsetzen, und in Folge traten die Fragen des Sitzes des Bundesverfassungsgerichts sowie – dies wurde für die Staatsregierung zu einer personalpolitischen Kardinalfrage – die Erstbesetzung des höchsten bundesdeutschen Gerichts auf die Agenda. Bezüglich des Sitzes des Verfassungsgerichts zeigte sich die Staatsregierung flexibel, nur die Idee des von der Bundes-SPD favorisierten Standortes in Berlin wurde kategorisch abgelehnt. Zunächst plädierte der Ministerrat für einen Ort in der Nähe von Karlsruhe, später dann äußerte Ministerpräsident Ehard Sympathie für die Bemühungen Hessens, das Bundesverfassungsgericht in Frankfurt anzusiedeln;203 das Gesetz über den Sitz des Bundesverfassungegrichts vom 4. Mai 1951 bestimmte schließlich Karlsruhe zum – vorerst noch: vorläufigen – Gerichtsort.

Erheblich wichtiger war für die Staatsregierung die personelle Besetzung des Bundesverfassungsgerichts,204 d.h. konkret die Ernennung von Persönlichkeiten mit unzweifelhaftem föderalistischen Leumund. In der Frage der Berufung des Vorsitzenden des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts wandte sich Bayern daher offen gegen die Bundesregierung, die für dieses Amt den FDP-Politiker Hermann Höpker-Aschoff205 vorgesehen hatte.206 Höpker-Aschoff galt in Bayern bereits aus der Zeit der Tätigkeit des Parlamentarischen Rates als ausgewiesener Zentralist, und die Staatsregierung versuchte daher bis zuletzt, bis zum Tage der Wahl der Bundesverfassungsrichter durch den Bundestag, dessen Kandidatur zu hintertreiben.207 Höpker-Aschoff gehörte allerdings zum Kreis jener Kandidaten, die durch den Wahlmännerausschuß des Bundestages zu Verfassungsrichtern gewählt wurden, und bis dorthin reichte der föderalistische Arm der Staatsregierung dann nicht. Bayern vermochte hier nur einen symbolischen Kontrapunkt zu setzen – während alle Verfassungsrichter einstimmig gewählt wurden, enthielt sich der Vorsitzende des Wahlmännerausschusses und CSU-Vertreter Wilhelm Laforet208 im Falle Höpker-Aschoffs der Stimme. Unter den gegebenen Umständen war für die Staatsregierung die Besetzung des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts wegen dessen Zuständigkeit für Verfassungsstreitigkeiten zwischen Bund und Ländern von noch größerem Interesse. Zwar gelang es in der Bundesratssitzung vom 6. September 1951, mit der Wahl Claus Leussers zum Verfassungsrichter einen wichtigen und in föderalistischen Belangen prinzipienfesten Mitarbeiter der Staatskanzlei in den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts zu entsenden, allerdings wurde auch der Vorsitz des Zweiten Senats nicht im bayerischen Sinne besetzt. Die Richterwahl im Bundesrat erfolgte einstimmig, bei der gesonderten Abstimmung über die Berufung des schleswig-holsteinischen SPD-Ministers Rudolf Katz209 zum Senatsvorsitzenden und zum Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts enthielt sich Bayern aber – aus ähnlichen Gründen wie im Falle der Ablehnung Höpker-Aschoffs – wiederum der Stimme. Die erste Entscheidung des neuen Bundesverfassungsgerichts überhaupt betraf übrigens die im Jahre 1951 auch im Bayerischen Ministerrat wiederholt behandelte Südweststaatsfrage, d.h. die Frage der Neugliederung der Länder Baden, Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern, die im Jahre 1952 in die Gründung des neuen Landes Baden-Württemberg mündete. Das Land Baden hatte gegen die in diesem Zusammenhang im Jahre 1951 erlassenen verschiedenen Neugliederungsgesetze Verfassungsklage eingereicht.210

Mehr politische Fortune als bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts hatte die Staatsregierung dagegen im Zusammenhang mit der Neuerrichtung einer anderen zentralen Bundesbehörde: Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung, deren Gründung mit Gesetz vom 10. März 1952 festgeschrieben wurde und deren Aufbau ab Mai 1952 erfolgte,211 erhielt ihren endgültigen Sitz in Nürnberg. Die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung war allein wegen ihrer institutionellen Größe und ihrer wirtschaftlichen Bedeutung als Arbeitgeber und regionaler Konjunkturmotor äußerst begehrt.212 Der Standort der Bundesanstalt war bereits vor dem eigentlichen Gesetz über deren Errichtung vom Mai 1952 durch das Gesetz über den Sitz der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 29. November 1951 festgelegt worden.213 Es gelang der bayerischen Politik hier, den auch von den Arbeitgeberverbänden favorisierten Standort Nürnberg durchzusetzen, obwohl Stimmen aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland Pfalz – mit Unterstützung von Bundeskanzler Adenauer – massiv für Koblenz geworben hatten, Bundesarbeitsminister Anton Storch214 für Kassel eingetreten war und die Gewerkschaften die neue Bundesagentur hatten in Frankfurt angesiedelt wissen wollen.

2. Landespolitik

Kaum waren die schwierigen Koalitionsverhandlungen und die späte Komplettierung der Regierungsmannschaft um den Jahreswechsel 1950/51 abgeschlossen, wurde die landespolitische Bühne in Bayern Ende Januar mit einem Paukenschlag eröffnet, der den Ministerrat Anfang 1951 im Wochentakt beschäftigte: Auf Initiative der US-Besatzungsmacht kam es in der Nacht vom 26. auf den 27. Januar zur Schließung und polizeilichen Besetzung des Bayerischen Landesentschädigungsamtes,215 nachdem Ministerpräsident Ehard, Innenminister Hoegner, Justizminister Müller, Finanzminister Zorn und Justizstaatssekretär Koch zuvor am Nachmittag des 26. Januar von Landeskommissar Shuster216 in den Räumen der Staatskanzlei über den Verdacht von Unregelmäßigkeiten im Landesentschädigungsamt informiert worden waren sowie darüber, daß der Leiter des Entschädigungsamtes, Philipp Auerbach,217 sich gegenüber amerikanischen Stellen nicht kooperationsbereit gezeigt und einer Aktenüberprüfung durch die Amerikaner nicht zugestimmt habe. Der Entschluß zur sofortigen Schließung des Amtes in der Münchner Arcisstraße 11 und die Entscheidung über die Beschlagnahme des gesamten Aktenmaterials fiel nach einem weiteren Treffen am Abend des 26. Januar, zu dem auch Vertreter der deutschen und amerikanischen Staatsanwaltschaft hinzugezogen worden waren. Ebenfalls vorübergehend geschlossen wurden die gemeinsam mit dem Landesentschädigungsamt im selben Gebäude in der Arcisstraße untergebrachte Rückerstattungsabteilung des Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung und das Münchner Zentralkomitee der befreiten Juden. Rund 60 Beamte der Münchner Kriminalpolizei sowie der Landpolizei waren ab Ende Januar mit der Überprüfung der Akten beschäftigt. Bis zum 19. Februar wurden insgesamt 4818 Fälle untersucht und eine aufgrund gefälschter Akten ausbezahlte Schadenssumme in Höhe von 1,2 Mio DM festgestellt.218

Mit den Vorgängen um die Schließung des Landesentschädigungsamtes wurde die persönliche Intimfeindschaft zwischen Josef Müller und Philipp Auerbach in den Ministerrat hineingetragen. Wie bereits andernorts erwähnt,219 entwickelte der Justizminister Müller in der Kabinettsrunde im Grunde nur bei den Diskussionen über das Landesentschädigungsamt nennenswerte Aktivitäten und verteidigte vehement das resolute Vorgehen der Staatsanwaltschaft. Vorteile zog der Justizminister dabei aus dem gewohnt lauten öffentlichen Auftreten seines Gegenspielers Auerbach, der nach der Schließung seiner Behörde wiederholt angriffslustige Stellungnahmen in Presse und Rundfunk abgab und sich dabei durch verschwörungstheoretische Thesen und das Wort von einem staatlich sanktionierten „offenen Angriff auf das Judentum“ selbst diskreditierte. Für die anderen Regierungsmitglieder aber stand nicht die Person Auerbachs im Mittelpunkt des Interesses, sondern die möglichst baldige Wiederaufnahme der Tätigkeit des Landesentschädigungsamtes. Die Staatsregierung fürchtete mit jedem Tag Verzögerung in der Wiedergutmachungsfrage einen internationalen Ansehensverlust, auch erwartete man bei einem längeren Arbeitsstillstand oder im Falle längerer staatsanwaltlicher Untersuchungen im Landesentschädigungsamt negative Auswirkungen auf die schwebenden Verhandlungen mit der Jewish Restitution Successor Organisation (JRSO) über eine globale Entschädigungsvereinbarung. 220 Daß diese Befürchtungen nicht zu Unrecht bestanden, bewies später eine persönliche Intervention von High Commissioner McCloy,221 der in einem Schreiben harsche Kritik am Fortgang der Wiedergutmachung in Bayern übte.222 Es war insbesondere Finanzminister Zorn, der wiederholt auf einen zügigen Abschluß der staatsanwaltlichen Ermittlungen pochte, sich wiederholt über die eigenmächtigen Aktionen, die mangelhafte Informationspolitik oder – umgekehrt – die gezielten Indiskretionen des Justizministeriums und der Staatsanwaltschaft beschwerte223 und angesichts des investigativen juristischen Eifers seines Kabinettskollegen Josef Müller zusehends die ministerielle Contenance verlor.224 Die Zusammenarbeit zwischen den beiden von der Causa Auerbach primär betroffenen Finanz- und Justizressorts gelangte hier an einen Tiefpunkt. Bezeichnenderweise erfolgte die Beurlaubung Philipp Auerbachs durch Finanzminister Zorn am 12. Februar auch explizit nicht wegen des Verdachts der Untreue, sondern – die von Auerbach praktizierte unorthodoxe Amtsführung war ja kein Novum – wegen mangelnder Führungskompetenz und fachlicher Unfähigkeit.225 Auerbach, gegen dessen Person seit März 1951 staatsanwaltliche Ermittlungen liefen, wurde schließlich durch Ministerratsbeschluß vom 20. März offiziell aus seiner Stellung entlassen.226 Die Vorkommnisse des Jahres 1951 um das Bayerische Landesentschädigungsamt nahmen für die beiden Hauptprotagonisten bekanntermaßen ein unglückliches Ende. Philipp Auerbach nahm sich am 15. August 1952, einen Tag nach seiner Verurteilung u.a. wegen Veruntreuung, Erpressung und unbefugten Führens eines akademischen Titels, das Leben. Justizminister Josef Müller mußte am 26. Mai 1952 von seinem Amt zurücktreten, da er sich im Zuge des weiteren Verlaufs der sogenannten Auerbach-Affaire und des Gerichtsverfahrens gegen Auerbach mit dem Vorwurf unregelmäßigen Finanzgebarens konfrontiert sah: Müller mußte zugeben, im Jahre 1950 vom bayerischen Landesrabbiner Aaron Ohrenstein227 eine Summe in Höhe von 20000 DM entgegengenommen zu haben, für die er keinerlei Verwendungsnachweise vorlegen konnte.

Neben dem Fall des Landesentschädigungsamtes bahnte sich am Anfang des Jahres 1951 für die Staatsregierung aber noch ein weiterer politischer Skandal an: Beim Wiederaufbau des im Januar 1951 festlich wiedereröffneten Münchner Residenztheaters waren Haushaltsüberschreitungen in solch einer Höhe vorgekommen, daß Kultusminister Schwalber sich gezwungen sah, beim Finanzministerium eine vorschußweise Genehmigung von Finanzmitteln in Höhe von 1,8 Mio DM zu beantragen – ein Fehlbetrag, der sich bis zum April 1951 sogar auf knapp über 4 Mio DM erhöhen sollte.228 Ursächlich für diese enorme Haushaltsüberschreitung waren ungenügende Vorplanungen, verspätete und mangelhafte Kostenkalkulationen, Fehler der Bauleitung und unerwartete Probleme bei der technischen Bauausführung. Vor allem aber hatten die Verantwortlichen im Kultusministerium und in der Obersten Baubehörde die Beschlüsse des Haushaltsausschusses und des Theater-Unterausschusses des Bayerischen Landtags, die beide für eine zügige Fertigstellung des prestigeträchtigen Theaterbaus plädiert hatten, wohl als Freibrief für eine ungebremste Bautätigkeit interpretiert. Nachdem vor der Sommerpause der Antrag der Staatsregierung auf Genehmigung der zur Deckung des Defizits nötigen Mittel im Landtag nicht mehr zur Behandlung gekommen war, faßte der Ministerrat – gezwungenermaßen – den Beschluß, in Absprache mit dem Zwischenausschuß des Landtags und dem Landtagspräsidenten und vorbehaltlich einer späteren Zustimmung des Landtages, den dringendsten Zahlungsverpflichtungen umgehend nachzukommen. Im Hintergrund standen hier zum einen die Sorge um Handwerksbetriebe, die wegen ausstehender Rechnungen in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten waren, zum andern und primär aber die finanzielle Belastung des Staatshaushalts durch Zinsverpflichtungen, die durch unbezahlte Rechnungen aufgelaufen waren.229 Die Vorkommnisse um den Wiederaufbau des Residenztheaters hatten im Bayerischen Landtag die Einrichtung eines Untersuchungsausschusses zur Folge, der im August 1951 seine Arbeit aufnahm und im Ergebnis die Einleitung von Dienststrafverfahren gegen sieben Verantwortliche empfahl, die allerdings letztendlich nicht durchgeführt wurden. Innerhalb der Staatsverwaltung jedoch wurde der Fall des Residenztheaters nun konkret zum Anlaß genommen, die Institution der Obersten Baubehörde – deren Fortbestand in der hergekommenen Organisationsform wohl schon länger kritisch gesehen wurde230 – und deren Aufgaben und Kompetenzen grundsätzlich zur Disposition zu stellen.231 Zwar kam es diesbezüglich zu interministeriellen Gesprächen,232 auch waren die Mißstände bei der Obersten Baubehörde Gegenstand einer Landtagsinterpellation,233 die Behandlung der Frage der Neuorganisation oder einer schärferen Kompetenzabgrenzung der Baubehörde gegenüber den anderen Ressorts verlief allerdings im Sande. Dabei fand sich die Oberste Baubehörde im Jahre 1951 besonders starker Kritik ausgesetzt, da die Probleme beim Bau des Residenztheaters beileibe nicht die einzigen Unregelmäßigkeiten darstellten und die Finanzierung staatlicher Baumaßnahmen generell aus dem Ruder zu laufen drohte.234 Auch im Falle etwa der Errichtung von Dienstwohnungen für die Grenzpolizei in Waldsassen,235 beim Bau eines neuen Gesundheitsamtes in Straubing 236 oder der Dienstwohnung des Augsburger Regierungspräsidenten 237 war es zu teilweise eklatanten Etatüberschreitungen gekommen.

Das Finanzgebaren und die offensichtlichen Organisationsschwierigkeiten der Obersten Baubehörde allerdings waren nicht die alleinige Ursache für die wachsende Unzufriedenheit mit dieser Behörde. Auch durch ihre Aktivitäten auf dem Feld der staatlichen Energieversorgungspolitik beispielsweise sorgte sie bei den anderen Ressorts für Unmut. Nach wie vor gab es eine kritische Lage bei der Kohleversorgung. 238 und wenn auch im Gegensatz zum Vorjahr im Jahre 1951 kaum noch akute Engpässe oder gar Lieferbeschränkungen in der bayerischen Stromversorgung mehr auftraten,239 so war der Ausbau der Elektrizitätsversorgung doch nach wie vor höchst dringlich. Erschwert oder verzögert wurden Fortschritte hier nicht zuletzt dadurch, daß auf dem Gebiet der Energiewirtschaft eine Kompetenzkonkurrenz zwischen der Obersten Baubehörde, dem Landeslastverteiler, den Energieversorgern wie etwa dem Bayernwerk sowie dem Innen- und dem Wirtschaftsministerium bestand, die zwar schon länger erkannt und problematisiert worden war, letztendlich aber nicht aufgelöst wurde.240 Kritik erntete die Oberste Baubehörde vor allem wegen zweier energiepolitischer Alleingänge: Ende Juli 1951 leitete die Staatsregierung dem Landtag den Entwurf einer als Zehnjahresplan konzipierten Denkschrift über den Aushau der öffentlichen Elektrizitätsversorgung in Bayern zu.241 Diese Denkschrift basierte wesentlich auf dem „Bericht über den gegenwärtigen Stand und den weiteren Ausbau der Elektrizitätsversorgung in Bayern“ der Obersten Baubehörde vom Juni 1950, der von der Baubehörde ohne Autorisierung von oben ausgearbeitet und veröffentlicht worden war. Diese Eigenmächtigkeit, ja Kompetenzanmaßung war in den anderen Ressorts nicht in Vergessenheit geraten. Die interministeriellen Beratungen über die endgültige Ausformulierungen der Denkschrift waren daher von so deutlichen sachlichen Spannungen zwischen den Einzelressorts geprägt, daß mangels der Erreichbarkeit eines Konsenses die Denkschrift zunächst nicht als Regierungspapier, sondern ausdrücklich nur als Stellungnahme der Obersten Baubehörde bekanntgemacht werden sollte. Insbesondere herrschte Skepsis wegen einer sehr starken, ja fast einseitigen Fixierung der Obersten Baubehörde auf den Ausbau der Wasserkraft. Auch die private Elektrizitätswirtschaft sah ihre Interessen durch die Denkschrift eingeschränkt.

In einen Konflikt mit dem eigenen Ministerium geriet die Oberste Baubehörde schließlich, als sie der Stadt Ingolstadt – auf Initiative des Bundeswirtschaftsministeriums hin und diesmal mit Rückendeckung aus dem Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft – die Genehmigung zum Bau eines kommunalen Gaswerks versagte und dies mit den Plänen für eine weiträumige Ferngasversorgung in Bayern begründete, für die ein übergeordnetes Interesse bestehe.242 Staatsminister Hoegner hob diese Entscheidung auf und folgte damit der Argumentation der Kommunalabteilung seines Ministeriums, die der Obersten Baubehörde eine willkürliche Auslegung der Rechtslage und die Mißachtung einschlägiger Bestimmungen der Bayerischen Verfassung attestiert hatte.

Weitere Projekte der bayerischen Energieversorgung wurden allerdings 1951 trotz verschiedentlich auftretender – zumeist finanzieller – Hürden erfolgreich vorangetrieben. Zu nennen sind hier das bayerisch-österreichische Donaukraftwerksprojekt Jochenstein, dessen Bau 1952 nach Vertragsabschluß zwischen der Bundesrepublik, dem Freistaat Bayern und der Republik Österreich begonnen wurde,243 der zwischen 1954 und 1959 errichtete Sylvensteinspeicher,244 der 1954 fertiggestellte Roßhauptener Speicher 245 am Lech bei Füssen, der weiter fortschreitende Aushau der Unteren Isar 246 oder das 1952 in Betrieb genommene Aschaffenburger Dampfkraftwerk. 247

Es deuten sich in dieser beispielhaften Auflistung von Energieprojekten bereits die mit Beginn der Arbeit des Kabinetts Ehard III einsetzenden und sich während der folgenden Dekade unter den Regierungen Hoegner II (1954–1957) und Seidel (1957–1960/61) intensivierenden Bemühungen der Staatsregierung um eine gezielte Planung der Wirtschafts- und Infrastrukturentwicklung Bayerns an. Bereits in seiner Regierungserklärung vom 9. Januar 1951 hatte Ministerpräsident Ehard die Bedeutung der Landesplanung betont und die Aufstellung eines Landesentwicklungsplanes sowie den Entwurf eines Gesetzes über die Landesplanung angekündigt.248 Tatsächlich legte Innenminister Hoegner bereits im Juli 1951 den ersten Entwurf eines Landesplanungsgesetzes vor, das allerdings erst viel später, im Dezember 1957, in Kraft treten sollte.249 Unabhängig davon aber ist bereits für das Jahr 1951 in den Ministerratsprotokollen ein spürbarer Relevanzanstieg der Wirtschafts- und Infrastrukturförderung zu verzeichnen. Neben den oben genannten Großprojekten auf dem Feld der Energieversorgung sind so unterschiedliche Maßnahmen zu nennen wie die Förderung des Straßenbaus insbesondere in den strukturschwachen ostbayerischen Gebieten,250 das 1951 in die konkrete Planungsphase eingetretene Projekt eines Verkehrsflughafens Nordbayern in Mittelfranken,251 der Kampf gegen die Abwanderung von Betrieben aus Bayern,252 die Förderung, Subventionierung und Werbung für die ersten Wagner-Festspiele in Bayreuth nach dem Kriege253 oder die Planungen für die Deutsche Verkehrsausstellung in München im Jahre 1953.254 Ebenfalls in die Liste wirtschaftspolitischer Steuerungsmaßnahmen einzureihen sind die Versuche der Staatsregierung, durch die Entsendung von Regierungsvertretern in die Aufsichtsräte etwa der Rhein-Main-Donau AG 255 oder der Bayernwerk AG 256 den Einfluß der Regierung auf Wirtschaftsunternehmen zu sichern und die Staatsinteressen an der Wirtschaftsentwicklung zu wahren. Insbesondere im Falle der Bayernwerk AG kam es in der Frage der Neuwahl des Aufsichtsrates zu scharfen personalpolitischen Auseinandersetzungen zwischen Finanzminister Zorn und dem alten Bayernwerk-Aufsichtsrat, da Zorn kategorisch für eine Stärkung des Einflusses des Finanz- und vor allem des Wirtschaftsministeriums eintrat.

Ein resümierender Blick auf die bis hierher knapp abgehandelten wirtschaftspolitischen und strukturfördernden Aktivitäten der Staatsregierung läßt dann auch die aus Sicht der Staatsregierung wohl bedeutendste wirtschaftliche Interventionsmaßnahme des Jahres 1951 als konsequent erscheinen: den Ankauf einer 26%igen Beteiligung an der zum Flick-Konzern gehörenden Maximilianshütte im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg durch den Freistaat.257 Das Mitte des 19. Jahrhunderts ursprünglich von belgischen Investoren gegründete und im Jahre 2002 endgültig stillgelegte Eisenwerk hatte seit 1929/30 mehrheitlich zum Konzernimperium Friedrich Flicks258 gehört. Nach Kriegsende war die Maximilianshütte das einzig noch geschlossen erhaltene Unternehmen des zerschlagenen Flick-Konzerns und stand unter treuhänderischer Verwaltung und Aufsicht der Property Control. Bereits im Jahre 1946 hatte die Regierung Hoegner Anstrengungen unternommen, die Eisenwerks-Gesellschaft in staatliches Eigentum zu überführen, war aber am Widerstand der amerikanischen Behörden gescheitert, die solchen Sozialisierungsplänen höchst skeptisch gegenüberstanden. In den Folgejahren aber rissen die Gespräche zwischen dem Freistaat und Vertretern des Flick-Konzerns-Friedrich Flick selbst saß nach seiner Verurteilung in den Nürnberger Wirtschaftsprozessen im Jahre 1947 in Haft-über eine staatlich Beteiligung nie ab; diese Kontakte mündeten ab Januar 1949 schließlich in konkrete Verhandlungen. Nach seiner vorzeitigen Haftentlassung im August 1950 trat Friedrich Flick dann in persönliche Gespräche mit Richard Ringelmann ein. Letzterer war, zunächst noch als Ministerialdirektor im Finanzministerium, dann als Finanzstaatssekretär die treibende Kraft hinter den Beteiligungsplänen. Friedrich Flick verband mit dem Verkauf einer 26%igen Minderheitsbeteiligung an den Freistaat das Ziel, die Maxhütte von weiteren alliierten Entflechtungsmaßnahmen auszunehmen, außerdem wäre er durch den Verkauf vor erneuten Entnazifizierungsmaßnahmen in Bayern geschützt.259 Der bayerische Staat auf der anderen Seite, so führte Staatssekretär Ringelmann im Ministerrat vom 4. September 1951 aus, erhalte mit der Anteilsbeteiligung die Möglichkeit, auf den Geschäftskurs des einzigen Stahlwerks in Bayern Einfluß zu nehmen und ferner verhindern zu können, daß Geschäftsanteile der Maxhütte an außerbayerische Investoren verkauft würden, „die für die bayerische Wirtschaft kein Interesse hätten.“260 Der anvisierte Kaufpreis von 20 Mio DM und die Aussicht auf eine auf drei Jahre verteilte Ratenzahlung, die zu 1/3 auch in Steuergutscheinen erfolgen könne, bezeichnete Ringelmann als „einmalige Gelegenheit“. Unausgesprochen blieb im Ministerrat, daß man durch eine Minderheitsbeteiligung des Freistaates an der Maxhütte eine künftige Anwendung des vor allem innerhalb der CSU höchst unbeliebten Artikels 160 der Bayerischen Verfassung261 – des sogenannten „Sozialisierungsartikels“-auf die Eisenwerksgesellschaft würde vermeiden können. Bezeichnenderweise präsentierte Staatssekretär Ringelmann zugleich mit seinen Ausführungen auch schon den fertigen Entwurf eines entsprechenden Vorvertrages zwischen seinem Ministerium und der Flick KG. Es war allein Wirtschaftsminister Seidel, der den bereits weit fortgeschrittenen Planungen des Finanzministeriums als einziges Kabinettsmitglied entschieden entgegentrat. Hanns Seidel wies die Argumente Ringelmanns sämtlich als nicht zwingend zurück, insbesondere sichere die Minderheitsbeteiligung von 26% keinesfalls ausreichende Einflußmöglichkeiten – anders sei dies bei einer Mehrheitsbeteiligung von 51%-, und überhaupt setze die Regierung mit einer Beteiligung an der Maxhütte falsche Prioritäten, wenn gleichzeitig an anderer Stelle dringend benötigte Finanzhilfen für die Wirtschaft fehlten.262 Ein internes Papier des Wirtschaftsministeriums verwies weiterhin auf grundsätzliche Bedenken hinsichtlich risikoreicher staatlicher Beteiligungen an Privatunternehmen, ferner darauf, daß die Staatsregierung in die seit längerem schwelenden Arbeitsauseinandersetzungen mit der Belegschaft der Maxhütte hineingezogen werden könnte sowie schließlich auf die anstehenden großen Investitionen bei der für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Maxhütte notwendigen Modernisierung. Auch könnten künftige Lenkungsmaßnahmen des Bundes auf dem Eisensektor jeden bayerischen Einfluß auf die Geschäftspolitik der Maxhütte konterkarieren, und ohnehin sei die zukünftige Entwicklung des Marktes für Eisen beispielsweise durch die Umsetzung des Schuman-Planes oder das Vordringen neuer Konkurrenzunternehmen völlig offen.

Hanns Seidel gab seinen Widerstand gegen die Beteiligungspläne in der Folge aber sukzessive auf. Er hatte im Kabinett für seine Position keine Rükkendeckung gefunden und schließlich konzedierte auch das Wirtschaftsministerium, daß sich die Vor- und Nachteile der Beteiligung letztendlich die Waage hielten.263 Ausschlaggebend war für das Einlenken des Wirtschaftsministers wohl auch, daß die Verhandlungen mit Friedrich Flick generell einen positiven Verlauf nahmen264 und vor allem die Friedrich Flick KG verpflichtet werden sollte, den Kaufpreis von 20 Mio DM wieder in Bayern zu investieren.265 Der Landtag billigte die staatliche Beteiligung an der Maxhütte und die damit verbundene nötige Bereitstellung von Mitteln aus dem Außerordentlichen Haushalt in seiner Sitzung vom 13. Dezember 1951. Bereits im Jahre 1955 aber veräußerte der Freistaat seine Anteile wieder; die Maxhütte gelangte wieder vollständig zum Flick-Konzern.

Eine völlig konträre Grundhaltung zur Frage staatlicher Beteiligungen an Industrieunternehmungen vertrat Wirtschaftsminister Seidel allerdings dann im Falle der Entflechtung der ehemaligen IG-Farben AG. 266 Es handelte sich hierbei im einzelnen vor allem um die Kunstseidefabrik Bobingen, die Alexander Wackerwerke in Burghausen, die Süddeutschen Kalkstickstoffwerke in Trostberg und die Anorgana Gendorf. Mit Nachdruck betonte Hanns Seidel das starke wirtschaftliche Interesse, das der Freistaat am früheren IG-Eigentum in Bayern habe und brachte den Gedanken ins Spiel, „mit bayerischen Banken zusammen eine Gesellschaft zu gründen mit der einzigen Aufgabe, die IG-Beteiligungen innerhalb Bayerns zu erwerben.“267

Der bisherige Überblick über die – wohlgemerkt: nach ihrer Relevanz ja bewußt in Auswahl vorgestellten – inhaltlichen Schwerpunkte der Ministerratsprotokolle 1951 läßt die Vielfalt der Sachfragen und die Arbeitsbelastung, der die Staatsregierung und die Staatsverwaltung gegenüberstanden, bereits deutlich erahnen. Dabei hat bis jetzt weder die Landesgesetzgebung eine Erwähnung erfahren noch wurde das Augenmerk auf einen zweiten zentralen Aspekt gerichtet, der die Rahmenbedingungen der Regierungsarbeit betraf: gemeint ist die neue und veränderte Rolle der US-Besatzungsmacht, die im Jahre 1951 ganz erhebliche und nachhaltige Auswirkungen auf die bayerische Landespolitik hatte.

Mit Blick auf die Bedeutung und die besatzungspolitischen Aktivitäten der Amerikaner im Jahre 1951 sind dabei zwei gleichzeitige und gegenläufige Entwicklungen festzustellen. In Fortsetzung des Trends aus dem Jahre 1950 gingen auf der einen Seite die direkten Eingriffe der Amerikaner in die bayerische Landespolitik oder die bayerische Gesetzgebung rapide zurück,268 ja die amerikanischen Interventionen tendierten hier von zwei Ausnahmen abgesehen – im oben behandelten Fall des Landesentschädigungsamtes269 sowie im Falle der amerikanischerseits abgelehnten Novelle des Bayerischen Beamtengesetzes270 – mittlerweile gegen null. Ursächlich mag hierfür auch die Persönlichkeit des US-Landeskommissars George N. Shuster mit seiner diplomatischen und zurückhaltenden Amtsführung gewesen sein. Der generelle Schwund an Bedeutung und besatzungspolitischer Präsenz des US-Landeskommissariates in Bayern manifestierte sich beispielsweise aber auch in der geräuschlosen Amtsübergabe von Shuster auf dessen bisherigen Stellvertreter und nunmehrigen Nachfolger Oron J. Hale271 im Dezember 1951. Bereits sechs Monate später, zum 30. Juni 1952, wurde das Landeskommissariat endgültig aufgelöst und seine Funktion in Teilen vom amerikanischen Generalkonsulat in München übernommen.272 Generell korrespondierte diese Entwicklung mit derjenigen auf Bundesebene. Denn den drei westlichen Besatzungsmächten blieb zwar weiterhin die Ausübung der obersten Gewalt in Westdeutschland vorbehalten – die Revision des Besatzungsstatuts vom 6. März 1951 hatte hier keine grundsätzliche Änderung gebracht allerdings erhielten die Beziehungen zwischen den Besatzungsmächten und der Bundesrepublik nunmehr eine zwar erst in den Anfängen befindliche, aber nichtsdestotrotz neue partnerschaftliche Qualität: Es wurden im Jahre 1951 „die Weichen gestellt für eine Ablösung des Besatzungsstatuts durch vertragliche Regelungen.“273

Während genuin besatzungsrechtliche Fragen für die Regierungsarbeit also zunehmend in den Hintergrund traten, stand die Staatsregierung auf der anderen Seite aber wegen militärischer Ansprüche der US-Army vor einer Reihe großer organisatorischer und logistischer Herausforderungen. Die Landespolitik geriet zum Jahreswechsel 1950/51 unversehens in den Sog der konfrontativ aufgeladenen weltpolitischen Großwetterlage, hervorgerufen und geprägt durch die Folgen des im Juni 1950 ausgebrochenen Korea-Krieges. Die Außen- und Verteidigungsminister der Westalliierten sowie des Atlantikrates hatten als Reaktion auf ihrer New Yorker Konferenz vom 12. bis 26. September 1950 u.a. die Verstärkung der alliierten Truppenpräsenz in Europa beschlossen,274 was für Bayern konkret zur Folge hatte, daß hier für die Unterbringung der neuen US-amerikanischen Truppen eine Reihe von Kasernen geräumt werden mußten, die überwiegend von Flüchtlingen belegt waren oder von deutschen Behörden genutzt wurden. Über die Zahl der zu räumenden Objekte kursierten Anfang 1951 ständig neue Angaben.275 Letztendlich verlangte die US-Army in der amerikanischen Zone die Freimachung von 53 Kasernen, von denen allein 28 in Bayern lagen und die mit einer Ausnahme bis Mitte 1951 zur militärischen Verfügung stehen sollten. Diese Forderung stellte die Bayerische Staatsregierung – und hier insbesondere den fachlich zuständigen Flüchtlingsstaatssekretär Oberländer – vor enorme Probleme, dienten die Kasernen doch zumeist der Unterbringung von Displaced Persons oder Vertriebenen, die die Kasernen oftmals nicht nur als Wohnraum, sondern auch als Betriebs- und Arbeitsstätten nutzten, oder die Kasernengebäude waren noch von der International Refugee Organization belegt276 Nicht nur war die Umsiedlung dieser Personengruppen allein für sich genommen schon logistisch schwierig genug – zusätzlich sträubten sich viele bayerische Kommunen vehement dagegen, daß in ihrem Gemeindebereich Ersatzwohnungsbauten für die umzusiedelnden DPs und Flüchtlinge entstehen sollten.277 So beispielsweise in Landshut, wo der Ersatzwohnungsbau für DPs sich um Jahre verzögerte.278 Auch besonders gelagert war der Fall in Garmisch-Partenkirchen. Die Staatsregierung hatte die Räumung der dortigen Kaserne ursprünglich wegen der dort untergebrachten großen Flüchtlingszahl um jeden Preis vermeiden wollen, war damit aber erfolglos geblieben. In der Folge versuchte die Gemeinde Garmisch auf eigene Faust- und zwar z.T. durch direkte Intervention bei der AHK-nicht nur eine Stationierung amerikanischer Truppen zu verhindern, sondern sie wollte gleichzeitig auch die ansässigen Flüchtlinge abschieben, indem die Gemeinde sich dem Ersatzwohnungsbau verweigerte.279 Die Wagner-Festspielstadt Bayreuth wiederum kämpfte gegen die Räumung der dortigen Leopold-Kaserne mit dem Argument, eine Umsiedlung von Flüchtlingen und die Aufnahme neuer US-Truppen würde die Durchführung der anstehenden ersten Nachkriegs-Festspiele 1951 touristisch beeinträchtigen.280

Stellten die Kasernenfreimachungen die Staatsregierung schon vor enorme Herausforderungen, so sollten mit einem weiteren Plan des US-Militärs noch größere Probleme entstehen. Mitte Februar 1951, mit Bekanntgabe der endgültigen Liste der zu räumenden Kasernen, erklärten die Amerikaner für ihre Besatzungstruppen gleichzeitig das Bedürfnis nach einem 153 Quadratkilometer großen Truppenübungsplatz in der US-Zone. Sondiert wurden hierfür Standorte östlich von Frankfurt am Main, bei Bitburg in der Eifel sowie in Bayern die bereits von der Wehrmacht genutzten Truppenübungsplätze Wildflecken und Hammelburg, ferner ein Gebiet zwischen Würzburg, Ochsenfurt und Rothenburg ob der Tauber sowie die Gegend zwischen Augsburg und Donauwörth, bevor dann im Juni die Staatsregierung völlig überraschend davon informiert wurde, daß die Amerikaner eine Erweiterung des unterfränkischen Truppenübungsplatzes Hammelburg beschlossen hatten.281 Zuvor hatte die Staatsregierung die Anlage eines weiteren Truppenübungsplatzes in Bayern als unzumutbare Belastung – hier bestand bereits der Truppenübungsplatz im oberpfälzischen Grafenwöhr – noch kategorisch abgelehnt. Vor allem aber hätte eine Erweiterung von Hammelburg die Umsiedlung von 20000 Personen, davon 3000 Vertriebenen, erfordert. Ein für Bayern noch akzeptabler Kompromiß wäre eine Erweiterung des Übungsgeländes im unterfränkischen Wildflecken gewesen; in diesem Falle hätte der neue Truppenübungsplatz teils auf bayerischem, teils auf hessischem Boden gelegen.282 Große Empörung herrschte in der Staatsregierung insbesondere über das Verhalten und die Informationspolitik der im Oktober 1950 in Bonn errichteten Dienststelle Blank, 283 zuständig für die „mit der Vermehrung der alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen“, der Vorgängerinstitution des 1955 errichteten Bundesverteidigungsministeriums. Die Dienststelle Blank hatte sämtliche Vorverhandlungen mit den Amerikanern ohne Beiziehung oder Unterrichtung der Staatsregierung geführt. Präventiv erklärte die Staatsregierung, daß keine bayerische Behörde in irgendeiner Form bei einer Räumung des Hammelburger Areals Unterstützung leisten würde. Die vermeintlich endgültige Entscheidung für Hammelburg sorgte auch für hektische politische Aktivitäten der CSU-Bundestags- und Landtagsfraktionen und eine Intervention der Staatsregierung – über den Bevollmächtigten Bayerns beim Bund – unmittelbar bei der Bundesregierung: Gegenüber dem Bundeskanzler griff die Staatsregierung zum letzten Druckmittel, indem Staatsrat Rattenhuber dem Bundeskanzler im Falle der Entscheidung für das Hammelburger Gelände mit dem Rücktritt des Bayerischen Ministerpräsidenten und der Aufkündigung der CDU/CSU-Fraktionsgemeinschaft im Bundestag drohte.284

Ob nun dieses Ultimatum letzte Wirkung zeigte, oder eher die durchaus wohlwollende Fürsprache von High Commissioner McCloy und Land Commissioner Shuster bei den Verantwortlichen der US-Armee,285 oder gar die vehementen Proteste der Hammelburger Bevölkerung – die Amerikaner jedenfalls nahmen im Juli 1951 überraschend von der Erweiterung des Truppenübungsplatzes Hammelburg Abstand und erklärten sich mit einem anderen Standort einverstanden, der zuvor von der Staatsregierung bereits als Alternative ins Spiel gebracht, von den Amerikanern aus militärischen Gründen zunächst aber abgelehnt worden war: der in den späten 30er Jahren errichtete ehemalige Wehrmachtstruppenübungsplatz Hohenfels in der Oberpfalz, gelegen im Gebiet zwischen den Landkreisen Neumarkt, Parsberg und Amberg,286 dessen Gebiet ab 1948 z.T. von den früheren Grundbesitzern, z.T. von Flüchtlingsbauern wieder besiedelt worden war.

Die Staatsregierung konnte angesichts dieser neuen, im Grunde ja positiv gewendeten Sachlage nur reaktiv agieren – unmißverständlich hatte die US-Army klargestellt, daß im Falle von Verzögerungen oder bei auftretenden Schwierigkeiten bei der Erweiterung des Hohenfelser Gebietes eine sofortige Beschlagnahme des Hammelburger Areals erfolgen würde. Nachdem die US-Behörden bezüglich der Ausmaße des neuen Truppenübungsplatzes eine Ausdehnung von rund 17 mal 9 km gefordert hatten, ging es bei den intensiven Beratungen des Kabinetts – zu denen, wie bereits erwähnt, zahlreiche Experten aus den Einzelressorts und politische Vertreter der betroffenen Gemeinden und Landkreise hinzugezogen bzw. angehört wurden287 – im Grunde nur um die prinzipielle Frage, ob die Staatsregierung eine Ausweitung des Truppenübungsgeländes in Richtung Westen oder nach Norden empfehlen solle. Tatsächliche Entscheidungsgewalt besaß die Staatsregierung nicht. Unter Außerachtlassung militärstrategischer Fragen oder dem Detailverlauf der Truppenübungsplatzgrenzen, die im Ministerrat auch diskutiert wurden, spitzte sich die Auseinandersetzung auf eine Grundsatzentscheidung zu: Das Kabinett hatte eine Güterabwägung vorzunehmen zwischen einer Westerweiterung des alten Truppenübungsplatzes, die eine Umsiedlung von ca. 1400 Personen und die Beschlagnahme vornehmlich privaten Ackerlandes und Waldes erfordert hätte, oder einer von der Dienststelle Blank in Bonn ins Spiel gebrachten Erweiterung nach Norden, von der knapp über 1600 Personen betroffen gewesen wären und die eine umfangreiche Abtretung von Staatswald nach sich gezogen hätte. Vor allem der zum Ministerrat hinzugezogene Vertreter der Landesplanungsstelle im Wirtschaftsministerium, aber auch Finanzminister Zietsch betonten den Wert des Staatsforstes und plädierten daher für die Westlösung, während Innenminister Hoegner, hier unterstützt von Arbeitsminister Oechsle, vor allem auf die politischen Konsequenzen verwies wenn der „Staatsregierung der Vorwurf gemacht werden könne, sie trete für die Westlösung ein, weil sie damit keinen Staatswald zu opfern brauche.“ Der Ministerrat folgte dieser politischen Erwägung und sprach sich in der Sitzung vom 14. August mit acht gegen drei Stimmen für eine Norderweiterung aus.288 Das Kabinett ahnte dabei allerdings nicht, daß das amerikanische Oberkommando EUCOM in Heidelberg gegenüber der Dienststelle Blank die Nordlösung bereits am 7. August abgelehnt hatte. Die Staatsregierung erfuhr hiervon erst anläßlich eines von der Dienststelle Blank für den 17. August angesetzten Ortstermins in Parsberg, bei dem die abschließende Besprechung der Truppenübungsplatzerweiterung zwischen Vertretern des Freistaates, der Dienststelle Blank und von HICOG sowie EUCOM stattfand,289 und zum wiederholten Male sah sich Ministerpräsident Ehard zu einer scharfen Beschwerde bei Bundeskanzler Adenauer über das Agieren der Dienststelle Blank veranlaßt.290

Immerhin wurde am 17. August, dies war zumindest ein bescheidener Teilerfolg für die Staatsregierung, eine Einigung über die sogenannte ‚kleine‘ Westlösung erreicht, d.h. die ursprünglich geplante Größenordnung des Truppenübungsplatzes war von ca. 180 qkm auf rund 160 qkm reduziert worden. Damit mußten 174 Flüchtlingsbauern aus dem alten Übungsplatzgelände und 171 alteingesessene Bauernfamilien aus dem Erweiterungsgebiet weichen, vier Gemeinden – Griffenwang, Lutzmannstein, Geroldsee und Pielenhofen – aus dem Erweiterungsgebiet wurden aufgegeben. Trotz großer Probleme bei der Umsiedlung, der schwierigen Suche nach Ersatzhöfen für die umzusiedelnden Landwirte und teilweise chaotischen logistischen Zuständen – gleichzeitig neben der Umsiedlung fanden beispielsweise noch hektische flächendeckende Abholzungsaktionen der früheren Waldbesitzer statt – war das Hohenfelser Gelände im Herbst 1951 geräumt und wurde am 16. November zur militärischen Sperrzone erklärt.

Wenngleich die Fragen der alliierten Truppenverstärkung, die Kasernenfreimachungen und die Truppenübungsplatzerrichtung sicherlich die besatzungspolitisch bedeutendsten Aspekte des Jahres 1951 darstellten, so hatte sich die Staatsregierung noch mit einer Reihe weiterer Handlungen der US-Besatzungsmacht auseinanderzusetzen, die teilweise sogar zu erregten öffentlichen Protesten gegen die US-Behörden führten. Anzuführen sind hier beispielsweise die Pläne der US-Army, vor allem in die fränkischen Mainbrücken in und um Würzburg Sprengkammern einzubauen, um die Brücken im Kriegsfalle zerstören zu können – ein Vorhaben, das von der betroffenen Bevölkerung und den lokalen politischen Führern offen boykottiert wurde, so daß das Landeskommissariat sich gezwungen sah, eine disziplinierende Intervention der Staatsregierung einzufordern.291 Für gleichfalls großen öffentlichen Unmut und offen anti-amerikanische Ressentiments sorgten die letzten Hinrichtungen von sieben in der Haftanstalt Landsberg einsitzenden Häftlingen in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 1951. 292 Diese waren die letzten in den Nürnberger Prozessen und Nachfolgeprozessen verurteilten, denen High Commissioner McCloy bzw. der Oberbefehlshaber der US-Truppen in Europa, General Thomas T. Handy,293 nach langwierigem Prüfungsverfahren im Januar 1951 die Begnadigung verweigerten. Ministerpräsident Ehard sah sich anläßlich dieser Entscheidung mit einem Antrag der Deutschen Gemeinschaft im Bayerischen Landtag konfrontiert, in dem die Staatsregierung aufgefordert wurde, an höchster Stelle – nämlich beim amerikanischen Präsidenten – für eine Aussetzung der Todesurteile und eine Neuaufnahme der Verfahren vor ordentlichen Gerichten einzutreten.294 Die Staatsregierung unter Ministerpräsident Ehard verfolgte hier allerdings eine strikte Politik der Nichteinmischung bzw. der vorbehaltlosen Unterstützung der amerikanischen Haltung. Im Unterschied zu weiten Teilen der öffentlichen Meinung in den frühen fünfziger Jahren war innerhalb der Staatsregierung auch nicht ansatzweise ein echtes politisches Interesse am Schicksal der Landsberger Häftlinge spürbar, im Gegenteil verweigerte die Regierung sich beispielsweise lange dem Ansinnen der Bundesregierung und der anderen Länder, die Landsberger Häftlinge juristisch im Sinne des Gesetzes über die Unterhaltsbeihilfe für Angehörige von Kriegsgefangenen vom 13. Juni 1950 als Kriegsgefangene zu behandeln und an Angehörige der Landsberger Häftlinge Renten oder andere Versorgungsleistungen auszuzahlen.295

Weniger Anlaß für politische Grundsatzkonflikte, aber durchaus Auslöser lebhafter Debatten war die Entscheidung der US-Besatzungsmacht zur Rückübertragung des Kehlsteinhauses bei Berchtesgaden und der dazugehörigen Zufahrtsstraße auf den Freistaat 296 sowie die Verhältnisse auf dem Obersalzberg und die Freigabe der dortigen Bauten.297 Für die künftige Nutzung des Teehauses auf dem Kehlstein, einem Geschenk der NSDAP an Adolf Hitler zu dessen 50. Geburtstag, erwartete das Landeskommissariat von der Staatsregierung konkrete Vorschläge. Aufgrund der schlechten bzw. saisonal zeitlich stark eingeschränkten Erreichbarkeit des Gebäudes – die Zufahrtsstraße war nur in den Sommermonaten befahrbar – sah der Ministerrat als einzig sinnvolle Verwendungsmöglichkeit die Einrichtung eines Wirtschaftsbetriebes, ein Vorschlag, der auch von der Seite Berchtesgadens vorgebracht worden war. Der Landkreis Berchtesgaden war wiederholt bei der Staatsregierung vorstellig geworden und drängte – im Sinne seiner touristischen Eigeninteressen – massiv auf einen ungehinderten öffentlichen Zugang zum Obersalzberg und zum Kehlsteinhaus. Dagegen stand ganz oben auf der Prioritätenliste des Ministerrates – hierin im Einklang mit der Haltung der Amerikaner – das Interesse daran, die Entstehung einer NS-Pilgerstätte auf dem Obersalzberg unter allen Umständen zu unterbinden. Denn in der Tat häuften sich auf dem Obersalzberggelände die Fälle unautorisierter Touristenausflüge unter der Leitung offen rechtsextremer Fremdenführer und es blühte der Handel mit NS-Devotionalien. Der Ministerrat beschloß daher, die Zufahrtsstraße zum Kehlstein und das Teehaus selber vorläufig zu sperren298 und einen bereits zwischen dem Finanzministerium und dem Landkreis Berchtesgaden geschlossenen Vertrag über die Nutzung der Kehlsteinstraße wieder aufzuheben.299 Bezüglich der Freigabe des Obersalzberges faßte der Ministerrat den Entschluß, diese erst nach dem völligen Abbruch der durch den Luftangriff der Royal Air Force am 25. April 1945 zerstörten früheren Anwesen und nach Aufforstungsarbeiten zu erteilen. Erhalten werden sollte auf dem Obersalzberg nur der sogenannte Gutshof mit seinem landwirtschaftlichen Betrieb.300 Das Kehlsteinhaus wurde mit Wirkung vom 1. April 1952 schließlich an den Deutschen Alpenverein-Sektion Berchtesgaden verpachtet mit der expliziten vertraglichen Auflage, jeglichem Aufkommen von neofaschistischen Umtrieben im Kehlsteingebiet präventiv und aktiv entgegenzutreten.301

Im Regierungsjahr 1951 schließlich mußte die Staatsregierung noch einen weiteren Aufgabenbereich von den US-Stellen übernehmen, der in engem sachlichen Zusammenhang mit den oben behandelten Kasernenräumungen stand: Die Überführung der 38 in Bayern bestehenden Einrichtungen der International Refugee Organization (IRO) in die deutsche Verwaltung,302 was für Bayern die zusätzliche Verantwortung für weitere 60000 Personen mit DP-Status bedeutete. Der Ministerrat beschloß auf Anraten von Staatssekretär Oberländer, gegenüber den amerikanischen Stellen die Übernahme der IRO-Lager kategorisch abzulehnen. Obwohl im Falle einer Übernahme eine finanzielle Beteiligung des Bundes in Aussicht stand – ein weiterer Unterhalt der IRO-Lager fiel in die Kategorie der Kriegsfolgelasten – fürchtete man eine zusätzliche finanzielle Belastung des Staatshaushalts, und außerdem hegte das Kabinett den Verdacht, daß die Amerikaner die Verantwortung für künftige unpopuläre Kasernenräumungen auf bayerische Stellen abwälzen wollten. Ganz generell bestand aber sehr wenig Neigung, sich mit dem Problem der DPs – die im Ministerrat durchaus auch einmal pauschal als auswanderungsunwillig und kommunistisch infiltriert etikettiert wurden303 – auseinanderzusetzen. Die Übernahme der IRO-Lager erfolgte schließlich, nachdem die Amerikaner die Bedingungen Bayerns – Herabsetzung der Kosten, eine Garantie amerikanischer Sachmittelhilfen, die ausschließliche deutsche Polizeihoheit in den Lagern und eine deutliche Verringerung des von der IRO zu übernehmenden Personals – akzeptierten.304 Bei den überführten IRO-Einrichtungen handelte es sich nicht ausschließlich um Flüchtlingslager, sondern auch um Sanatorien oder Krankenhäuser wie z.B. in Gauting305 oder Lehrwerkstätten und Berufsausbildungsstätten wie etwa in Ingolstadt.306 Der Fall der IRO-Jugendausbildungsstätte in Ingolstadt sorgte im Ministerrat – wie weiter oben in dieser Einleitung bereits angedeutet – für erhebliche Spannungen, da Staatssekretär Oberländer ohne Wissen des Kabinetts und ohne die Kenntnis von Innenminister Hoegner versucht hatte, die Trägerschaft der Einrichtung nicht – was naheliegend gewesen wäre – der Stadt Ingolstadt zu übertragen, sondern der Sudetendeutschen Landsmannschaft; ein Plan, der allerdings am geschlossenen Widerspruch des Ministerrates wie am finalen Veto des Innenministers scheiterte.307

Die bisherigen Ausführungen zur bayerischen Landespolitik lassen unschwer erkennen, wie sehr die Agenda der Staatsregierung im Jahre 1951 von Sachfragen und Problemkomplexen geprägt war, die von außen herangetragen bzw. der Regierung gleichsam aufoktroyiert wurden. Wendet man den Blick nun auf die legislativen Vorhaben des Jahres 1951, so ist zunächst zweierlei zu konstatieren: Zum einen kommt der Landesgesetzgebung in den Ministerratsprotokollen quantitativ tatsächlich ein bemerkenswert verminderter Stellenwert zu, obwohl ja gerade im ersten Regierungsjahr des Kabinetts Ehard III durchaus eine Reihe wichtiger Gesetze auf den Weg gebracht wurden. Zum zweiten ist auf die gesetzgeberische Dominanz des Innenministeriums zu verweisen, das eindeutig die meisten und gewichtigsten Gesetzesvorhaben initiierte.308

An erster Stelle genannt werden müssen hier die drei großen neuen Kommunalgesetze, deren Erlaß der sozialdemokratische Innenminister Hoegner unter dem Schlagwort der „Demokratisierung der inneren Verwaltung“ mit starkem persönlichen Engagement vorantrieb – die neue bayerische Gemeindeordnung vom 25. Januar 1952, die Landkreisordnung vom 16. Februar 1952 sowie die Berzirksordnung vom 17. Juli 1953.

Das Projekt einer neuen Gemeindeordnung,309 die die provisorische Gemeindeordnung aus dem Jahre 1946 ablösen sollte, war seit dem Jahre 1948, seit der Erarbeitung einer Denkschrift über die Demokratisierung der Verwaltung durch das Innenministerium, kaum vorangetrieben worden, obwohl die US-Besatzungsmacht größten Wert auf eine umfassende Dezentralisierung und Demokratisierung der Kommunalverwaltung legte und diesbezüglich auch politischen Druck ausgeübt hatte.310 Die Regierung Ehard II war im Jahre 1950 unter Zugzwang geraten, weil die SPD im Sommer einen Gemeindeordnungsentwurf aus der Feder Wilhelm Hoegners vorgelegt hatte – der dann in Folge eilig ausgearbeitete Regierungsentwurf war vom alten Landtag allerdings nicht mehr behandelt worden. Ab März 1951 beriet der Ministerrat den Entwurf des Innenministeriums, der als Kompromiß zwischen den Vorgaben der SPD-Vorlage und des Regierungsentwurfs von 1950 zustande gekommen war. Hauptdiskussionspunkte im Kabinett waren weiterhin die Direktwahl der Bürgermeister, die Frage der haupt- oder nebenamtlichen Tätigkeit der Bürgermeister oder die Einführung basisdemokratischer Elemente wie Gemeindebegehren oder Gemeindeentscheid. Es waren nach wie vor diese plebiszitären Elemente, aber auch die Lockerung der Staatsaufsicht über die Gemeinden oder die Erweiterung von deren Aufgaben, die einem signifikanten Teil des Kabinetts wie auch der Landtagsabgeordneten höchst suspekt waren und blieben – vornehmlich waren die Bedenken hier natürlich in der CSU anzutreffen. Letztendlich wurde in der neuen Gemeindeordnung vom Januar 1952 zwar die Direktwahl des Bürgermeisters – unabhängig von der Gemeindegröße – durchgesetzt und auch die Pflicht zur jährlichen Einberufung einer Bürgerversammlung verankert, Bürgerbegehren und Bürgerentscheid allerdings wurden in den Landtagsberatungen von der CSU und der Bayernpartei gekippt und fanden keinen Eingang in die neue Gemeindeordnung.

Von der Entstehungsgeschichte wie von den Hauptkontroversen und -neuerungen her ähnlich gelagert wie die neue Gemeindeordnung war die Landkreisordnung,311 Auch die Reform der Landkreisordnung ist in unmittelbarem Zusammenhang mit einer Demokratisierung der inneren Verwaltung Bayerns zu sehen. Die früheren Bezirke – bzw. ab 1939: die Landkreise – in Bayern hatten seit jeher einem vom Innenministerium bestellten Bezirksamtmann bzw. Landrat unterstanden; die Selbständigkeit und Selbstverwaltung der Landkreise war dann unter der NS-Herrschaft zunächst schrittweise eingeschränkt und schließlich völlig beseitigt worden. Die übergangsweise erlassene Landkreisordnung vom 18. Februar 1946 brachte dann insofern ein Novum, als der Landrat nun vom Kreistag gewählt wurde. Wohl erst nach der Amtsübernahme von Staatsminister Hoegner wurde im Innenministerium Anfang 1951 die Arbeit an einer neuen Landkreisordnung aufgenommen, die die Landkreise wieder als echte Selbstverwaltungskörperschaften mit nunmehr durchgehend demokratisch legitimierten Organen konstituierte. Mit der neuen Landkreisordnung vom 16. Februar 1952 wurde analog zur Regelung der neuen Gemeindeordnung die Direktwahl des Landrates eingeführt. Der Landrat war somit kein Laufbahnbeamter der inneren Verwaltung mehr, das Amt des Landrates wandelte sich in ein politisches Amt.

Als letztes der drei kommunalen Neuerungsgesetze wurde im Regierungsjahr 1951 von Innenminister Hoegner die neue Bezirksordnung auf den Weg gebracht,312 die allerdings erst zwei Jahre später in Kraft trat. Die vom Innenminister zunächst angestrebte Ausweitung der Zuständigkeiten und Selbstverwaltungskompetenzen der Bezirke hatte allerdings keine Aussicht, realisiert zu werden:313 Aufgrund des begrenzten Aufgabenbereichs der Bezirke – dazu gehörten der Unterhalt psychiatrischer Krankenhäuser, Aufgaben der sozialen und der Gesundheitsfürsorge, der Betrieb besonderer schulischer Einrichtungen oder die Heimatpflege – wurde deren Bedeutung weithin als so gering eingeschätzt, daß zu einem früheren Zeitpunkt bereits einmal deren Abschaffung als Selbstverwaltungskörperschaften in Betracht gezogen worden war. Die neue Bezirksordnung brachte als demokratisches Element immerhin auch die Direktwahl des Bezirkstages, und die Ernennung des Regierungspräsidenten durch die Staatsregierung mußte im Benehmen mit dem Bezirkstag erfolgen. Das im Hoegner’schen Entwurf noch enthaltene Bezirksbegehren und der Bezirksentscheid fanden keinen Eingang in die veröffentlichte Endfassung.

Im vorliegenden Zusammenhang sind noch die beiden ungefähr zeitgleich mit der Gemeinde- und Landkreisordnung in Kraft getretenen Änderungsgesetze zum Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz anzuführen,314 mit denen das Kommunalwahlrecht an das Landeswahlrecht angepaßt wurde und nun auch diejenigen Personen, die gemäß dem Befreiungsgesetz als Mitläufer eingestuft waren, wieder das aktive und passive Wahlrecht erhielten.

Ein wichtiges Sachthema aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums war 1951 weiterhin die Polizeifrage. Während es bezüglich des Grenzschutzes – wie weiter oben ja bereits erwähnt315 – vorübergehend zu Interessenkonflikten mit dem Bund kam, hatte die Staatsregierung bereits 1950 mit der Errichtung von Bereitschaftspolizeien der Länder ihre föderalistische Grundhaltung erfolgreich gegenüber der Bundesregierung durchgesetzt, die ursprünglich eine Bundesbereitschaftspolizei hatte errichten wollen. Das entsprechende bayerische Gesetz über die Bereitschaftspolizei datierte vom 31. Mai 1951,316 und in der Folge wurde vom Innenministerium der organisatorische Aufbau der Bereitschaftspolizeieinheiten forciert. Der Ministerrat hatte sich mit der Errichtung von Bereitschaftspolizeischulen,317 Fragen der Besoldung,318 der Festsetzung und Verteilung der Planstellen 319 und der Finanzierung der notwendigen neuen Polizeiunterkünfte zu beschäftigen.320 Im weiteren Sinne ebenfalls unter die Rubrik der Polizei- und Sicherheitsgesetzgebung des Innenministeriums fallen das Gesetz über die Befriedung des Landtagsgebäudes vom 7. März 1952, 321 durch das ein Sperrkreis mit einem Radius von einem Kilometer um das Landtagsgebäude geschaffen wurde, das Gesetz über gebührenpflichtige Verwarnungen durch die Polizei vom 7. März 1952 322 oder auch das Gesetz über die Verwahrung geisteskranker, geistesschwacher, rauschgift- oder alkoholsüchtiger Personen vom 30. April 1951. 323

Die hier nur kursorisch und enumerativ angesprochenen Aspekte der inneren Sicherheit verweisen auf ein weiteres Thema, das in den Ministerratsprotokollen 1951 im Vergleich zu den Vorjahren eine deutlich gesteigerte Prominenz besitzt: die Auseinandersetzung mit dem parteipolitischen Extremismus der frühen Fünfziger Jahre. Auslösende Momente waren hier vor allem die im Zusammenhang mit der DDR-Propaganda über die gesamtdeutsche Frage 324 intensivierte Aktivität der KPD sowie das aggressive Auftreten der rechtsextremen Sozialistischen Reichspartei im niedersächsischen Landtagswahlkampf. Speziell in Bayern sorgte sich die Staatsregierung um KPD-nahe Personen im öffentlichen Dienst,325 um links- und rechtsradikale Tendenzen innerhalb der Polizei 326 sowie um die Eindämmung kommunistischer Propagandaaktionen, die im Zusammenhang mit der geplanten Kasernenräumung in Bayreuth 327 oder der Errichtung eines Truppenübungsplatzes entweder in Hammelburg 328 oder in Hohenfels 329 gestartet wurden. Einem von seiten des Bundesinnenministeriums verkündeten Beschluß, der allen Wirtschaftsunternehmen, die verfassungsfeindliche Organisationen unterstützten, mit Sanktionen und dem Entzug öffentlicher Aufträge drohte, schloß sich die Staatsregierung durch Ausgabe einer eigenen internen Weisung an die Ressorts an.330 Es folgte die Ankündigung der Bundesregierung, sofort nach Aufnahme der Arbeit des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe den Antrag auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der SRP zu stellen,331 einem Antrag, dem das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1952 mit dem ersten Parteienverbot der bundesrepublikanischen Geschichte auch stattgab. Zuvor war Innenminister Hoegner noch Ziel beleidigender persönlicher Angriffe der SPR geworden, weil das Staatsministerium des Innern durch Bekanntmachung vom 29. März 1951 ein neben anderen extremistischen Parteien u. a. auch die SRP betreffendes politisches Versammlungsverbot in Bayern verhängt hatte.332 Ferner folgte das Kabinett zwei weiteren Beschlüssen der Bundesregierung und sprach sich – zwar unter Betonung, dies erfolge auf Grundlage eigener Prüfung – für ein Verbot der Freien Deutschen Jugend 333 sowie des Rates der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes aus.334 Bereits zuvor hatte der Ministerrat beschlossen, Veranstaltungen kommunistischer Tarnorganisationen zu verbieten bzw. in denjenigen Verdachtsfällen, in denen ein solches Verbot juristisch nicht eindeutig begründbar erschien, kommunistische Veranstaltungen zu überwachen.335

Angesichts des Anstiegs des politischen Extremismus brachte die Bundesregierung als weitere Maßmahme gegen Ende des Jahres 1951 den Entwurf eines Gesetzes über die politische Treuepflicht der Angehörigen des öffentlichen Dienstes ein,336 das aber nicht verabschiedet wurde. In Bayern reagierte Innenminister Hoegner mit verschiedenen Maßnahmen auf rechtsextremistische Bestrebungen. Zwar gab es in Bayern keine starke, straff organisierte und offen rechtsradikale Partei wie die SRP in Niedersachsen, diesbezügliche Warnzeichen wurden aber auch vom Bayerischen Innenministerium registriert. Im Juli 1951 erwirkte das Innenministerium ein Redeverbot gegen den Vorsitzenden des Schutzbundes ehemaliger Berufssoldaten, der mit antisemitischen Äußerungen aufgefallen war.337 Auf die nationalsozialistischen Umtriebe auf dem Obersalzberg wurde bereits in anderem Zusammenhang verwiesen,338 und ebenfalls am Brennpunkt Berchtesgaden kam es Anfang Dezember 1951 auf einer Parteiveranstaltung der SPD zu tumultartigen Auseinandersetzungen mit Anhängern der Deutschen Gemeinschaft und zahlreichen früheren NSDAP-Mitgliedern. 339 Nicht zuletzt die nach Hinweisen auf rechtsradikale Anschlagspläne erfolgte Anordnung des ersten Einsatzes der Bayerischen Bereitschaftspolizei zum Schutze des Landtagsgebäudes durch Innenminister Hoegner am 10. Dezember 1951 zeigte, daß die rechtsextremistische Bedrohung vom Innenministerium sehr ernst genommen wurde.340 Es war diese allgemeine Entwicklung, die Hoegner – nach einer vorausgegangenen Empfehlung des Landtages – zur Vorlage des Gesetzes gegen nationalsozialistische Kundgebungen bewog.341 Dieses Gesetz, das nationalsozialistisch gefärbte politische Veranstaltungen verbot, den Verantwortlichen eine Geld- oder Gefängnisstrafe androhte und das insbesondere gegen die Verwendung nationalsozialistischer Symbole und das Absingen nationalsozialistischen Liedguts gerichtet war, trat als Gesetz gegen die Verwendung von Kennzeichen verbotener Organisationen vom 27. März 1952 in Kraft.

Ein weiteres Projekt des Innenministeriums, das von Staatsminister Hoegner persönlich gewünscht und nach seiner Amtsübernahme stark forciert wurde, war die Sammlung und Bereinigung des bayerischen Landesrechts. 342 Durch dieses Unterfangen, das erst mit dem Zweiten Gesetz zur Bereinigung des bayerischen Landesrechts (Zweites Rechtshereinigungsgesetz – 2. RBerG) vom 15. Juli 1957 gegen Ende der Viererkoalition unter der Ministerpräsidentschaft Wilhelm Hoegners zum Abschluß kam, wurden sämtliche seit dem Jahre 1802 erlassenen und noch gültigen bayerischen Gesetze und Verordnungen einer Überprüfung unterzogen und von rund 22000 auf knapp über 1000 reduziert.

Gegenüber diesen mannigfachen Initiativen des Staatsministeriums des Innern tritt die politische Aktivität der anderen Ressorts in den Ministerratsprotokollen – fast zwangsläufig – deutlich zurück. Das Staatsministerium für Unterricht und Kultus legte 1951 den Entwurf eines Berufsschulgesetzes vor, das erst am 25. März 1953 in Kraft trat.343 Das Berufsschulwesen in Bayern basierte auch nach 1945 im wesentlichen noch auf zwei Königlichen Verordnungen aus dem Jahre 1913, und mit dem neuen Berufsschulgesetz, dessen Entwurf im übrigen – obwohl bereits seit längerem in Vorbereitung – vom Kultusministerium erst auf Druck des Landtages und des Wirtschaftsministeriums präsentiert wurde, sollten vor allem die Berufsschulausbildung den neuen Qualifikationsanforderungen des modernen Arbeitsmarktes angepaßt und ein flächendeckender Ausbau des Berufsschulsektors erreicht werden. Weiterhin erarbeitete das Kultusministerium das Gesetz über die Schulpflicht vom 15. Januar 1952, 344 mit dem die Schulpflicht auf alle Bewohner des Freistaates ausgedehnt wurde, während sie vorher nur für Personen mit deutscher Staatsbürgerschaft gegolten hatte. Ebenfalls im Schulpflichtgesetz enthalten war die Verschiebung des Schuljahresbeginns von Herbst auf Ostern, womit das bayerische Schuljahr an die Regelung in den Ländern angeglichen werden sollte;345 dieses Vorhaben allerdings wurde vom Landtag gekippt. Gleichfalls auf Drängen des Landtages war der Entwurf des Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über die Besoldung und Versorgung der Volksschullehrer (Oberlehrergesetz) vom 20. November 1951 vorgelegt worden, mit dem die früheren Oberlehrerstellen in den Volksschulen, d.h. die durch Änderung des Reichsbesoldungsrechts im Jahre 1939/40 abgeschaffte Beförderungsstufe unterhalb der Schulleiterebene, wieder eingeführt wurde.346 Dieses bayerische Oberlehrergesetz übrigens hatte auch eine bundespolitische Komponente, die im Ministerrat zu eingehenden Diskussionen führte: Denn das Bundesfinanzministerium hatte unter Verweis auf die beamtenrechtliche Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes gegen ein solches Gesetz Einwände erhoben, die das Kabinett wie der Landtag allerdings bewußt ignorierten. Ebenfalls zu schulpolitischen Konflikten mit dem Bund – konkret: mit dem CSU-geführten Bundesfinanzministerium unter Fritz Schäffer – kam es in der Frage der Fortführung der Schulspeisung an bayerischen Schulen. 347 Das Bundesfinanzministerium hatte bereits zugesagte Mittelzuweisungen an die Länder wieder gestrichen, worauf der Ministerrat zunächst die zwar allgemein aus sozialen und medizinisch-ernährungswissenschaftlichen Gründen als weiterhin dringend notwendig erachtete Schulspeisung einstellen wollte, dann aber doch den Beschluß faßte, die Schulspeisung für bedürftige Kinder zunächst aus Landesmitteln finanziert für eine befristete Zeit weiterzuführen.348 Nur einmal behandelte der Ministerrat auf Anfrage von Innenminister Hoegner den Entwurf eines Gesetzes über die Ausbildung für das Lehramt an Volksschulen (Lehrerbildungsgesetz), mit dem ein Kernpunkt der Schulreformpläne der US-Besatzungsmacht – die Ausbildung der Volksschullehrer an Pädagogischen Hochschulen oder Universitäten – erfüllt werden sollte.349 Das CSU-geführte Kultusministerium sperrte sich allerdings lange gegen diese amerikanische Forderung und hatte im Jahr zuvor den entsprechenden Gesetzentwurf nur auf Druck der Amerikaner vorgelegt. Das parteipolitisch umstrittene Lehrerbildungsgesetz wurde von der Staatsregierung – vor allem mit Verweis auf die Unmöglichkeit der Finanzierung – dilatorisch behandelt. Es kam erst im Jahre 1958 zustande.

In die thematische Reihe des Schulwesens und des beruflichen Ausbildungswesen fügt sich das einzig erwähnenswerte Gesetzesvorhaben des Jahres 1951 aus dem Landwirtschaftsministerium: Mit dem Entwurf eines Gesetzes über die praktische Ausbildung in der Landwirtschaft sollten die Bestimmungen der Lehrlingsausbildung im Landwirtschaftssektor neu geregelt und insbesondere die Verträge zwischen Lehrlingen und Ausbildungsbetrieben von der individuellen Genehmigung des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten abhängig gemacht werden.350 Die Gesetzesvorlage des Landwirtschaftsministeriums war allerdings auf Referentenebene offensichtlich so eilig verfaßt worden, daß der Entwurf im Ministerrat in formaler Hinsicht auf die fundamentale Kritik der anderen Ressorts stieß und zur Überarbeitung an das Landwirtschaftsministerium zurückverwiesen wurde;351 das Gesetz kam erst 1954 zustande.

Im Vergleich zu den Vorjahren standen im Regierungsjahr 1951 Personalangelegenheiten sowie beamtenrechtliche Fragen in deutlich ausgeweitetem Umfang auf der Agenda des Ministerrates. Bereits sehr bald nach der Regierungsbildung hatte sich das neue Kabinett mit der Festsetzung der Versorgungsbezüge früherer Regierungsmitglieder zu befassen- und zwar Zurückgehend bis zu den Mitgliedern des Kabinetts Hoegner I.352 Das Kabinett hatte in langwierigen und schwierigen Debatten individuell die Ruhegehaltsansprüche für frühere Regierungsangehörige festzusetzen, da die einzig bestehende gesetzliche Grundlage – das Gesetz Nr. 52 über Gehalt, Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung der Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung vom 5. September 1946 – für dieses Procedere höchst lückenhaft war und nur ungenügende Rechtssicherheit für die Berechnung der Ruhegehaltsbezüge bot. Das Gesetz Nr. 52 sah unter anderem vor, daß Ruhegehaltsansprüche nur nach vierjähriger Regierungszugehörigkeit und nach Vollendung des 50. Lebensjahres erworben werden können; weiterhin war auch nicht klar geregelt, wie Dienstjahre berechnet werden sollten, die außerhalb des bayerischen Staatsdienstes im öffentlichen Dienst abgeleistet worden waren, in anderen Fällen bestand ein erheblicher Ermessensspielraum. Die Vorgaben des Gesetzes Nr. 52 konnten bei buchstabengetreuer Auslegung etwa dazu führen, daß – wie in einem Gutachten des Finanzministeriums ernsthaft vorgeschlagen – Kultusminister a.D. Hundhammer keinerlei Ruhegehaltsansprüche zugebilligt werden sollten, da seine Dienstzeit als Minister zwei Tage unter der gesetzlich vorgeschriebenen Vier-Jahres-Frist gelegen habe, oder daß Innenminister Hoegner es im Ministerrat für eine „Ehrenpflicht“ erklären mußte, Innenminister a.D. Willi Ankermüller, der 49-jährig aus der Regierung ausgeschieden war und nur Anspruch auf Übergangsgeld besaß, beim „Aufbau einer Existenz behilflich zu sein.“353 Aufgrund dieser speziellen Problemlagen wie auch diversen anderen allseits und schon seit langem bekannten Defiziten des Gesetzes Nr. 52 nahm das Kabinett Ehard III noch im Jahre 1951 eine entsprechende Reform in Angriff, die mit dem Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Gehalt, Ruhegehalt und Hinterbliebenenversorgung der Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung vom 19. Januar 1953 zum Abschluß kam.354

Ebenfalls ein wichtiges und bereits seit längerem in der Schwebe befindliches beamtenrechtliches Gesetzesvorhaben des Jahres 1951 war die geplante Novelle zum bayerischen Beamtengesetz vom 28. Oktober 1946. 355 Dieser Gesetzentwurf allerdings scheiterte – als einziger seit 1949 – am Einspruch der US-Besatzungsmacht. Die Gesetzesnovelle war bereits in der ersten Nummer des Bayerischen Gesetz- und Verordnungsblattes des Jahres 1951 veröffentlicht worden, die jedoch nach dem Veto der Amerikaner eingestampft werden mußte. Strittig war insbesondere die Frage der politischen Betätigung von Beamten; die Amerikaner hielten an ihrem Grundsatz einer strikten Trennung zwischen Verwaltung und Legislative fest und verlangten, daß im Beamtengesetz ein Verbot der Wählbarkeit von Beamten in den Landtag enthalten sein müsse. Ferner wurde die in der bayerischen Gesetzesnovelle enthaltene Einschränkung der Stellung und des Aufgabenbereichs des Bayerischen Landespersonalamtes beanstandet. Die Versuche der Staatsregierung, der Besatzungsmacht durch das Zugeständnis von Detailänderungen – beispielsweise sollten Beamte in Leitungspositionen, bei denen ein Interessenkonflikt zwischen Abgeordnetenmandat und dienstlicher Stellung zu befürchten war, nicht für den Landtag wählbar sein356 –, doch noch die Zustimmung zur Beamtengesetznovelle abzuringen, blieben erfolglos. Ein vom Finanzministerium erarbeiteter letzter revidierter Entwurf der Novelle vom Juli 1951 wurde in der Folge ebenfalls nicht weiter behandelt.357 In engem sachlichen Zusammenhang mit der Beamtengesetznovelle sind auch der Entwurf einer Laufbahnverordnung 358 zu sehen sowie der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz). 359 Mit dem Änderungsgesetz zum Landeswahlgesetz sollte dabei vor allem eine zentrale Forderung der Sozialdemokraten aus den Koalitionsverhandlungen, nämlich eine Verringerung der Abgeordnetenzahl im Bayerischen Landtag von 204 auf 150, 360 erfüllt werden. Nach dem amerikanischen Einspruch gegen die Beamtengesetznovelle wurde von der Staatsregierung allerdings auch angedacht, die Frage des passiven Wahlrechts der Beamten zusätzlich im Landeswahlgesetz zu regeln, um so für das neue Beamtengesetz doch noch die Genehmigung zu erlangen.361 Auch die Änderung des Landeswahlgesetzes kam jedoch nicht zustande.

Im Regierungsjahr 1951 kam es zur endgültigen Auflösung zweier Behörden, die nun wegen stark verringerter Aufgaben bzw. ihrer bevorstehenden Bedeutungslosigkeit als überflüssig angesehen wurden. Bereits seit längerem auf der Agenda stand die Überführung der Aufgaben des Verkehrsministeriums in den Bereich des Wirtschaftsministeriums.362 Bayern war neben Bremen das einzige Bundesland, das noch ein eigenes Verkehrsministerium unterhielt. Die Verhandlungen über die Aufhebung des Verkehrsministeriums zogen sich allerdings länger als geplant hin, nicht zuletzt wegen der Widerstände des geschäftsführenden Leiters des Verkehrsministeriums, Ministerialdirigent Brunner,363 aber auch, weil eine Einigung dahingehend erzielt werden mußte, welche Aufgaben – es ging hier insbesondere um sicherheitsrechtliche und verkehrspolizeiliche Fragen – dem Wirtschafts- und welche dem Innenministerium zugeteilt werden sollten. Die Aufhebung des Verkehrsministeriums erfolgte zum 1. Oktober 1952, die Neuverteilung von dessen Aufgaben dann durch das Gesetz über die Zuständigkeiten auf dem Gebiet des Verkehrswesens vom 17. Oktober 1952.364 Bereits im Jahr zuvor – zum 31. März 1950 – war das Staatsministerium für Sonderaufgaben aufgelöst worden. Die eigentliche Aufhebung dieses Ministeriums war im Ministerrat weder im Jahr 1950 noch danach jemals Gegenstand der Beratungen; im November 1951 beschloß das Kabinett aber, dem Justizminister die Zuständigkeit für die politische Befreiung zu übertragen.365 Der Ministerrat verhandelte in diesem Zusammenhang auch den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung,366 das allerdings erst im August 1954 in Kraft trat.

Der Regierungswechsel von Ende 1950 und Veränderungen im Aufbau der staatlichen Verwaltung brachten für das neue Kabinett Ehard III eine Reihe von wichtigen Personalentscheidungen mit sich, bei denen es z.T. auch um die Weiterverwendung hoher Beamter oder eine neue Aufgabenzuteilung ging. Besonders gelagert war hierbei der Fall des ehemaligen Flüchtlingsstaatssekretärs Wolfgang Jaenicke. 367 Jaenicke, dessen Verdienste um das Flüchtlingswesen unbestritten waren, sollte im Bereich des Innenministeriums weiterhin Aufgaben in der Flüchtlingsverwaltung wahrnehmen; angedacht waren – in Anbetracht von Jaenickes guten Kontakten ins Ausland – vor allem Repräsentationsaufgaben auf internationaler Ebene.368 Dieses personalpolitische Experiment scheiterte allerdings, primär wohl wegen starker persönlicher Dissonanzen zwischen Jaenicke und seinem Nachfolger, Staatssekretär Oberländer. Moniert wurde im Ministerrat aber auch das selbstbewußte Auftreten Jaenickes, der u.a. den Titel eines Staatsrates, ein Dienstzimmer und einen Dienstwagen beanspruchte oder eine dienstliche Reise nach Schweden ohne Absprache mit dem Innenministerium von acht Tagen auf drei Wochen ausdehnte.369 Abgesehen davon war die Person Jaenickes zu zahlreichen Gelegenheiten Gegenstand der Ministerratsberatungen, da dieser hartnäckig Beschwerde über die seiner Ansicht nach zu geringen Pensionsbezüge führte. Diese Vorkommnisse, kombiniert mit dem Umstand, daß die vertragliche Grundlage für Jaenickes Tätigkeit im Innenministerium einen juristisch improvisierten Charakter besaß, führten in der Summe schließlich dazu, daß das Kabinett sich auf Grundlage eines Vergleichs für eine Trennung von Jaenicke aussprach.370

Mit einem nicht minder selbstbewußten höheren Beamten hatte es der Ministerrat in der Person von Ministerialdirigent Brunner vom Verkehrsministerium zu tun. Der geschäftsführende Leiter des Verkehrsministeriums wehrte sich zäh gegen die Aufhebung seines Ressorts und forderte unter Verweis auf die Bedeutung des Verkehrssektors – unabhängig davon, ob das Verkehrsministerium aufgelöst würde oder nicht- und in Anspielung auf seine eigene Fachkompetenz für seine Person die bereits zugesagte Beförderung zum Ministerialdirektor, eine Forderung, die der Ministerrat im Zuge der Haushaltsberatungen auch erfüllte.371 Ein weiterer personeller Problemfall war der ehemalige hochrangige Mitarbeiter in der Staatskanzlei Friedrich Glum,372 im Jahre 1948 beurlaubt und seit 1950 in München als Honorarprofessor für Staats- und Verwaltungsrecht tätig, der auch nach seiner Beurlaubung weiterhin seine Bezüge als Ministerialdirigent erhielt. Der Ministerrat zog zunächst in Erwägung, Glum als Richter beim Bundesverfassungsgericht unterzubringen,373 später waren die Einrichtung einer eigenen Professur für Glum374 oder eine Richterstelle am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof im Gespräch, bis Glum letztendlich der Posten des Präsidenten des Verwaltungsgerichts in Ansbach angetragen wurde.375 Politisch sensibel war ebenso die wiederholt im Kabinett besprochene Versorgungsangelegenheit des Präsidenten der Bayerischen Landpolizei, Michael Freiherr von Godin. 376 Dieser war 1923 als Polizeioffizier an der Niederschlagung des Hitler-Putsches in München beteiligt gewesen und nach seiner ‚Schutzhaft‘ 1933/34 in die Schweiz emigriert, wo er in engem persönlichen Kontakt zu Wilhelm Hoegner gestanden hatte. Da Godin im Jahre 1926 freiwillig aus der Landespolizei ausgeschieden war, gestaltete sich die Berechnung seiner ruhegehaltsfähigen Dienstzeit problematisch. Es kam hier zu Differenzen zwischen Innenminister Hoegner und dem Finanzministerium, da der Ministerrat auf Betreiben des Innenministers zunächst den Beschluß gefaßt hatte, aus Billigkeitsgründen als Stichdatum für die Ruhegehaltsabrechnung den 1. Oktober 1933, den Tag der Verhaftung Godins durch die Nationalsozialisten, anzusetzen, was die zuständige Abteilung des Finanzministeriums jedoch unter Verweis auf die fehlende Rechtsgrundlage ablehnte.377

Die im Jahre 1951 anstehende Neubesetzung einer Reihe von Leitungspositionen in verschiedenen – teils neugeschaffenen – Behörden durch den Ministerrat fiel dagegen eher in die Rubrik regulärer personalpolitischer Entscheidungen. Nach der Entlassung Philipp Auerbachs als Leiter des Landesentschädigungsamtes entschied das Kabinett, Franz Zdralek, den während der Koalitionsverhandlungen abgelehnten SPD-Kandidaten für den Finanzministerposten, zunächst kommissarisch, ab Juni 1951 dann endgültig zum neuen Leiter des Landesentschädigungsamtes zu bestellen;378 ebenfalls wurde ab 1. Oktober der Vizepräsidentenposten im Landesentschädigungsamt mit dem bisherigen geschäftsführenden Direktor des Bayerischen Hilfswerkes, Heinz Meier,379 neu besetzt.380 Für das neu gegründete Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz wurde – nicht zuletzt auf Drängen der Besatzungsmacht – nach längerer Kandidatensuche der Münchner Oberstaatsanwalt Karl Kurz 381 bestellt;382 gegen Ende des Jahres wurde dem Polizeipräsidenten Josef Remold 383 und seinem Stellvertreter Julius Wölfinger 384 nach vorheriger kommissarischer Leitungsfunktion endgültig die Führung der Bayerischen Bereitschaftspolizei übertragen.385 Für die Regierungsbezirke Oberbayern und Niederbayern/Oberpfalz stand die Berufung neuer Regierungspräsidenten auf der Agenda des Kabinetts.386 Auf dem Gebiet der Energiepolitik wurde neu bestellt der Landeslastverteiler für Bayern,387 nachdem der bisherige Amtsinhaber Leonhard Wolf, 388 der wegen seiner Amtsführung wiederholt in der öffentlichen Kritik gestanden hatte, seinen Rücktritt eingereicht hatte.389 Bei der Neubesetzung des Leiterpostens der Obersten Siedlungsbehörde – der bisherige Amtsinhaber war überraschend verstorben – durch Landwirtschaftsminister Schlögl kam es zu Unstimmigkeiten zwischen dem Landwirtschaftsministerium und Staatssekretär Oberländer, da letzterer unter Verweis auf die Bedeutung des Siedlungswesens für die Flüchtlingsverwaltung die Leitung der Obersten Siedlungsbehörde mit einem Flüchtlingsvertreter besetzt wissen wollte.390 Aber nicht nur mit Blick auf Führungspositionen in Behörden oder Ämtern kam es im Ministerrat zu kontroversen Personaldebatten, sondern auch auf kulturpolitischem Terrain. Es ging hierbei um die anstehende Neuorganisation der Bayerischen Staatstheater, konkret um die Besetzung der gemeinsamen Intendanz von Staatsoper und Staatsoperette; 391 letztere stand wegen ihres künstlerischen Niveaus seit längerem in der Kritik. Im Kabinett kam es zu einer offenen Auseinandersetzung zwischen den Vertretern des Kultus- und Finanzministeriums, da der Wunschkandidat des Kultusministeriums, Rudolf Hartmann,392 nach Auffassung des Finanzministeriums weit überzogene Vertragsbedingungen diktieren wollte.393 Gleichzeitig mit der Frage der Neubesetzung der Intendanz wurde die Bestellung eines neuen Generalmusikdirektors verhandelt.

Zur Abrundung des vorliegenden Überblicks über die landespolitischen Schwerpunktthemen des Regierungsjahres 1951 ist noch ein Blick auf die Rolle und Bedeutung von Senat und Landtag bzw. das Verhältnis der Staatsregierung zu diesen beiden Kammern vonnöten – denn das Kabinett sah sich hier mit einem neuartigen und aus seiner Sicht durchaus gewöhnungsbedürftigen parlamentarischen Selbstbewußtsein konfrontiert. Die Regierungsphilosophie der Staatsregierungen der Nachkriegszeit, und dies gilt unabhängig von den jeweiligen Koalitionskonstellationen und gleichgültig, ob unter dem CSU-Ministerpräsidenten Hans Ehard oder dem ‚weiß-blauen‘ Sozialdemokraten Wilhelm Hoegner, war durchgehend von einem starken gouvernementalen Selbstverständnis und der Überzeugung geprägt, daß eine solide und effiziente Regierungstätigkeit eine starke und unabhängige, ausschließlich der qualifizierten Sacharbeit verpflichtete Exekutive erfordere – „Man müsse unbedingt dahin streben,“ so etwa eine Äußerung von Ministerpräsident Ehard, „daß auch in der Demokratie die Regierung eine gewisse Autorität habe.“394 Verantwortlich für diese Haltung mögen zum Teil sicherlich die Erfahrungen der Weimarer Zeit und des Dritten Reiches gewesen sein, die zweite- und möglicherweise auch näherliegende und gewichtigere – Ursache ist aber wohl in der Tradition des bayerischen Beamtenwesens zu suchen, der viele Regierungsmitglieder sozialisationsbedingt stark verhaftet waren. Zugespitzt formuliert kamen nach Auffassung der Staatsregierung dem Senat und insbesondere dem Landtag eher die Rolle von Akklamationsgremien zu, deren primäre Aufgabe die Unterstützung und Legitimierung der Regierungspolitik sein sollte. Bemerkenswerterweise konnte diese von Senat und Landtag erwartete Rolle aber gerade unter den Bedingungen einer großen Koalition nicht mehr als selbstverständlich vorausgesetzt werden, was der Staatsregierung, wie das obige Zitat Ehards illustriert, bereits früh bewußt zu werden schien: Schon in der ersten Sitzung des neuen Kabinetts beispielsweise legte Ministerpräsident Ehard Vorschläge dazu vor, wie die Staatsregierung künftig eine verbesserte Verbindung zu Landtag und Senat gestalten solle,395 sodann faßte der Ministerrat den Beschluß, darauf hinzuwirken, die Fragestunden des Landtages „vernünftig und sachlich zu gestalten“,396 und Innenminister Hoegner regte an, auf die Regierungsparteien präventiv dahingehend Einfluß zu nehmen, daß im Landtag „nicht unvernünftige Agitationsanträge eingebracht würden.“397 Ein generelles Novum und Ausdruck der offensichtlich gestiegenen Relevanz der Arbeit des Landtages ist der Umstand, daß die Besprechung und Vorbereitung von einzelnen Landtagssitzungen nun in den Ministerratsprotokollen wiederholt als eigene Tagesordnungspunkte geführt werden.398

Die Bemühungen der Staatsregierung um eine Disziplinierung der Regierungsfraktionen im Landtag fruchteten allerdings nicht immer. So reichte die SPD-Fraktion eine Interpellation über die Preisentwicklung ein, die Wirtschaftsminister Seidel nach eigenen Worten „gewisse Sorgen“ bereitete;399 eine FDP-Interpellation bezüglich der Haushaltsüberschreitungen beim Bau des Residenztheaters war ebenfalls von einigen SPD-Abgeordneten unterschrieben worden,400 und eine weitere Interpellation der FDP zur Tätigkeit des Bayernwerkes fand die Unterstützung einiger Mandatsträger der CSU. 401 Während die Staatsregierung Initiativen des Landtages wie beispielsweise die Einsetzung eines Sparkommissars 402 oder den Erlaß eines sogenannten Schmutz- und Schundgesetzes 403 – letzteres ein Projekt der CSU-Fraktion und insbesondere des nunmehrigen Landtagspräsidenten Hundhammer – verschleppen bzw. abbiegen konnte, setzte der Landtag die Regierung mit der Annahme eines interfraktionellen Antrages, zukünftig die Lizensierung von Spielbanken zu ermöglichen und einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, unter starken Handlungsdruck.404 Der Landtag war mit seinem Beschluß den Interessen und den Argumenten der bayerischen Fremdenverkehrsorte gefolgt, und die Staatsregierung mußte gegen ihren Willen und gegen ihre Überzeugung den Entwurf eines Gesetzes über die Zulassung von Spielbanken in Bayern vorlegen. Dieses Gesetz wurde vom Bayerischen Landtag in seiner Sitzung vom 22. Mai 1951 angenommen, jedoch anschließend nicht veröffentlicht, da der Senat vier Tage später seine Zustimmung verweigerte. Der Senat negierte kategorisch das staatliche Interesse am Spielbankenbetrieb und verwies insbesondere auf das sittlich-moralische Gefahrenpotential des Glücksspielbetriebes.405

Gewährte der Senat im Falle der Spielbankenfrage – die erst durch eine umstrittene Entscheidung der Viererkoalition im Jahre 1955 zur Genehmigung von weiteren bayerischen Kasinos gelöst wurde – der Staatsregierung noch volle Rückendeckung, so war die Arbeitsweise des Senats bei anderen Gelegenheiten im Ministerrat wiederholt Anlaß zur Beschwerde. Grundsätzliche Kritik erfuhr dessen Arbeit etwa im Zusammenhang mit der neuen bayerischen Gemeindeordnung: Dem Senat stand nach Art. 40 der Bayerischen Verfassung das Recht zur gutachtlichen Stellungnahme zu Gesetzesentwürfen zu, nach Ansicht der Staatsregierung allerdings – Innenminister Hoegner war hier Wortführer der Kritik-dehnte der Senat diese Bestimmung über Gebühr aus, überschritt seine verfassungsmäßigen Kompetenzen und verzögerte das Gesetzgebungsverfahren unnötig, indem er den Entwurf der Gemeindeordnung nicht nur begutachtete, sondern vielmehr Punkt für Punkt durchberiet und letztendlich, so Staatsminister Hoegner, einen neuen Gegenentwurf zur Regierungsvorlage anfertige.406

Der Bayerische Senat nahm aber nicht nur als Gutachtergremium Einfluß auf die Landesgesetzgebung, sondern er wurde im Jahre 1951 auch vermehrt politisch initiativ tätig. So klagte Innenminister Hoegner darüber, daß der Senat entgegen den Verfassungsbestimmungen Anträge mit Ersuchen an die Staatsregierung richte oder Petitionen annehme und bearbeite, was nur dem Landtag zustehe,407 und Staatsminister Seidel monierte bei gleicher Gelegenheit, daß der Senat parallel zur Landtagsinterpellation, aber ohne eigentliche Zuständigkeit, ebenfalls eine Anfrage zur Preisentwicklung gestellt habe.408 Mit dem Entwurf eines Änderungsgesetzes zum Gesetz über die Anerkennung als rassisch, religiös oder politisch Verfolgte vom 15. November 1950 409 oder dem Entwurf zur Änderung des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges durch die Polizei vom 22. November 1950 410 brachte der Senat zwei Gesetzesinitiativen ein, die beide im Ministerrat als unzweckmäßig beurteilt wurden und in der Folge nicht weiter behandelt wurden. Strikte Ablehnung erfuhr im Ministerrat auch ein Beschluß des Senats, wonach die „Staatsregierung die staatlichen Behörden anweisen soll, die Erteilung von Aufträgen nicht davon abhängig zu machen, daß die Auftragnehmer bereit seien, mehr als 30% der Auftragssumme in Steuergutscheinen entgegenzunehmen“: Das Finanzministerium war keinesfalls gewillt, in Fragen der staatlichen Ausgabenpolitik Vorschriften von außen entgegenzunehmen.411 Für aufrichtige Empörung im Kabinett sorgte schließlich ein weiterer Senatsbeschluß, in dem gefordert wurde, die Überwachung aller staatsverbürgten Kredite schnellstmöglich auf die Landesanstalt für Aufhaufinanzierung zu übertragen; außerdem wollte der Senat in halbjährlichem Turnus über die Ergebnisse dieser Überwachung informiert werden.412 Auslöser für diesen Beschluß war die Sorge des Senats über die Anzahl ausfallgefährdeter Flüchtlingsproduktivkredite. Die Staatsregierung sah diesen Beschluß gleichsam als Eingriff in ihre exekutiven Kompetenzen an, es handle sich um einen Antrag über die Vollziehung eines Gesetzes, und Anträge dieser Art könne nicht einmal der Landtag stellen. Staatsminister Zietsch erklärte im Kabinett die Notwendigkeit, den Senat „einmal auf die Grenzen seiner Befugnisse aufmerksam zu machen“,413 und Innenminister Hoegner nutzte den Anlaß zu einem kritischen juristischen Grundsatzreferat über die Rechte und Befugnisse des Senats und regte ebenfalls an, dem Senat gelegentlich einmal eine verfassungsrechtliche Nachhilfestunde zu erteilen. Die Initiativen für diese aus Sicht der Staatsregierung unbotmäßigen Ansprüche und Aktivitäten des Senats gingen dabei wohl stets von einzelnen Senatoren oder einzelnen Senatsausschüssen aus. Interventionen der Staatsregierung bei Senatspräsident Josef Singer414 blieben ohne die erhoffte disziplinierende Wirkung auf den Senat, obwohl Präsident Singer der Staatsregierung seine Unterstützung zugesichert und Abhilfe versprochen hatte.415

Das Verhältnis zwischen Staatsregierung und Senat, dies gilt es zu betonen, war allerdings nicht durchgehend konfrontativ. Bei der Behandlung des Gesetzes über die staatliche Rechnungs-, Verwaltungs- und Wirtschaftsprüfung (Rechnungshofgesetz RHG) vom 6. Oktober 1951,416 oder auch bei den Beratungen der neuen Landkreis- und Bezirksordnung wurden viele Anregungen und Verbesserungsvorschläge des Senats vom Kabinett übernommen.417

In der Bilanz also ist festzuhalten, daß sich Art und Ausmaß der politischen Aktivitäten von Landtag und Senat im Regierungsjahr 1951 spürbar ausgeweitet haben und das Kabinett Ehard III sich im Vergleich zu den Vorjahren deutlich intensiver mit dem Senat und dem Landtag auseinanderzusetzen hatte. Es erscheint in diesem Zusammenhang daher umso bemerkenswerter – vor allem in Anbetracht der Vielzahl an behandelten Bundesangelegenheiten daß die CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag in den Ministerratsprotokollen bis auf eine einzige Ausnahme keinerlei Erwähnung findet.418

Neben den großen politischen und legislativen Sachfragen des Regierungsjahres 1951 enthalten die Ministerratsprotokolle auch eine Vielzahl von verschiedensten Beratungspunkten und kleineren Themen von eher tagespolitischem Charakter, die oft wohl auch kurzfristig auf die Tagesordnung gesetzt wurden. Typisch für diese Kategorie sind etwa protokollarische Fragen: Beispielsweise die Konsular- undder Presseempfänge, die die neue Staatsregierung Ende Januar im Münchner Prinz-Carl-Palais abhielt,419 oder der Regierungsbeschluß zur Anordnung der Trauerbeflaggung anläßlich des Todes des österreichischen Bundespräsidenten 420 oder die Teilnahme von Regierungsmitgliedern am 70. Geburtstag des evangelischen Landesbischofs Hans Meisen. 421 Die Staatsregierung war weiterhin an der Organisation des Tages der Opfer des Nationalsozialismus am 29. April 1951,422 der mit einer Feierstunde im Landtag und einer Sonderaufführung in der Bayerischen Staatsoper begangen wurde, beteiligt und entschied im Spätherbst 1951 in Absprache mit den beiden großen Konfessionen, den Tag der Opfer des Krieges auf den 25. November zu legen.423

Generell nahm die Inanspruchnahme der Regierungsmitglieder durch solche und ähnliche protokollarische und repräsentative Aufgaben zu. In der konstituierenden Ministerratssitzung am 20. Dezember 1950 hatte Ministerpräsident Ehard das Kabinett bereits auf die zu erwartende zeitliche Belastung durch Besuche, Anfragen und Bittgesuche hingewiesen und seine Kabinettskollegen mit Blick auf die Teilnahme an Veranstaltungen und Feierlichkeiten zu äußerster Zurückhaltung gemahnt.424 Aber wohl nicht zuletzt die Erfolge des fortschreitenden Wiederaufbaus in Bayern und auch die Normalisierung des alltäglichen wie öffentlichen Lebens setzten dieser Absicht gleichsam natürliche Grenzen: Konnte Ministerpräsident Ehard beispielsweise die an die Staatsregierung herangetragene Erwartung, anläßlich der ersten Bayreuther Wagner-Festspiele nach 1945 einen Staatsempfang zu geben, noch zurückweisen,425 so häuften sich die Verpflichtungen andernorts – sei es die Teilnahme an Stadtjubiläen wie in Kitzingen oder Metten,426 an Einweihungen von Gebäuden oder Brücken, oder an Veranstaltungen wie dem Welt-Esperanto-Kongreß.427 Insbesondere der Ministerpräsident persönlich war als Veranstaltungsgast und Schirmherr sehr gefragt, wie beispielsweise bei der Eröffnung der Landwirtschaftswoche in München,428 bei der Taufe des sogenannten „Europa-Zuges“ – einer in Eisenbahnwaggons installierten rollenden Ausstellung über den Marshall-Planam Münchner Hauptbahnhof,429 beim Schlesiertag im September 1951 in München,430 bei der Internationalen Winterfahrt des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs,431 als Fürsprecher des Bundesverbandes der Heimkehrer 432 oder als Mitglied des Kuratoriums der Ausstellung „Deutsche Heimat im Osten433 oder des Kuratoriums der Helgoland-Stiftung, 434 deren Ziel der Wiederaufbau der von britischen Bombern zerstörten Nordseeinsel war. Die Belastung der Regierungsmitglieder durch die Teilnahme an Jubiläen und Veranstaltungen, ebenso die Anträge auf finanzielle Zuschüsse hierfür nahmen offensichtlich so überhand, daß die Staatsregierung sich schließlich zum Erlaß einer Bekanntmachung gezwungen sah, wonach sie künftig die Teilnahme zumindest an örtlichen Veranstaltungen sowie die Beteiligung an deren Finanzierung ablehnen müsse.435

Wiederholt hatte sich das Kabinett im Jahre 1951 mit Unglücksfällen und Katastrophen auseinanderzusetzen. So beschloß der Ministerrat nach einem schweren Zugunglück in Walpertskirchen im Landkreis Erding, den Angehörigen der 16 Todesopfer umgehend finanzielle Hilfen zur Verfügung zu stellen,436 und ebenfalls rasche Finanzhilfe erforderten die starken Unwetter des Sommers 1951 – zunächst in Oberfranken,437 dann in Schwaben438 und zuletzt in Niederbayern439 die zu großen Ernteausfällen, erheblichen Sachschäden und auch zu Todesfällen geführt hatten. Diese Ereignisse des Jahres 1951 führten dann auch zum Versuch der Einführung einer Zwangshagelversicherung in Bayern, die allerdings am Widerstand der Landwirte und des BBV scheiterte.440 Ebenfalls eine existentielle Bedrohung für die bayerische Landwirtschaft stellte im Jahre 1951 die Ausbreitung der Maul- und Klauenseuche dar, für deren Bekämpfung das Kabinett die Finanzierung des Ausbaues der Anstalt für Serumherstellung in Fürth beantragte, um die Impfmittelproduktion zu steigern.441

Nur zur abschließenden Veranschaulichung der Bandbreite und Vielfalt der Themen, die im Regierungsjahr 1951 auf der Agenda des Ministerrates standen, seien hier noch folgende Einzelpunkte kurz und exemplarisch aufgelistet: Auch 1951 stand die in Bayern ja traditionell hochpolitische Bierpreisfrage wieder auf der Tagesordnung.442 Der Ministerrat entschied, „aus sozialen und politischen Gründen“ eine Bierpreiserhöhung abzulehnen und für eine bundesweite Aufrechterhaltung der Bierpreisbindung einzutreten.443 Auf Anregung von Staatsminister Hoegner beschloß der Ministerrat 1951, die Grenztafeln an den bayerischen Landesgrenzen künftig mit der Aufschrift „Freistaat Bayern“ zu versehen.444 Ebenfalls auf Druck des SPD-Innenministers, hier lebhaft unterstützt von seinem Parteikollegen Zietsch vom Finanzministerium, beschäftigte sich das Kabinett mit der Anzahl und Nutzungsfrequenz der Dienstkraftwagen der Ministerien, die allgemein als zu hoch und damit dem öffentlichen Ansehen von Verwaltung und Regierung als abträglich eingeschätzt wurde.445 Im Ministerrat vom 27. November verwies Wirtschaftsstaatssekretär Guthsmuths auf eine moralisch-sittliche Problemdimension der US-amerikanischen Truppenverstärkung in Bayern: Im Umfeld des Truppenübungsplatzes Wildflecken hätten die Fälle der Kuppelei – d.h. nach zeitgenössischer juristischer Terminologie: der strafrechtlich relevanten Ermöglichung oder Begünstigung der „Unzucht“-in besorgniserregendem Maße zugenommen. Der Ministerrat beauftragte daraufhin den Leiter der Staatskanzlei, Ministerialdirigent Schwend, diese sogenannten „Vorfälle“ in Wildflecken beim Stellvertretenden Landeskommissar Oron J. Hale zur Sprache zu bringen.446 Ebenfalls mit einer von außen an die Staatsregierung herangetragenen Kritik an den Amerikanern mußte sich das Kabinett im Falle des Radiosenders „Radio Free Europe“ auseinandersetzen. Der Sender, dessen Hauptsitz am Münchner Englischen Garten lag, strahlte seit Mai 1951 auch Programme in tschechischer Sprache aus und wurde in der Folge von sudetendeutschen Vertriebenen wegen angeblich antideutscher Tendenzen in der tschechischsprachigen Berichterstattung kritisiert.447 Anders gelagert war das deutsch-amerikanische Konfliktpotential bei einem weiteren US-amerikanischen Radiosender: Die Amerikaner hatten bei Hallbergmoos nördlich von München ein großes landwirtschaftliches Areal erworben, um dort eine große Sendeanlage für die Radiostation „Voice of Amerika“ zu errichten. Die Käuferseite hatte versucht, unter Verweis auf die politische Bedeutung dieses Kaufs beim Freistaat eine Befreiung von der Grunderwerbsteuer zu erlangen, ein Ansinnen, das der Ministerrat auf nachdrückliche Empfehlung des Finanzministeriums aber ablehnte.448

Zu einem Interessenkonflikt zwischen Finanzministerium und Kultusministerium kam es auf kulturpolitischem Gebiet in der Frage des Central Collecting Point in München, einer Sammelstelle für Kunstgüter in der US-Zone, die während der nationalsozialistischen Herrschaft geraubt oder unter ungeklärten Umständen erworben worden waren. Finanz- und Kultusministerium stritten um die Zuständigkeitsfrage für die im Collecting Point verwahrten Gegenstände, die sich seit 1948 in der treuhänderischen Verwaltung des Ministerpräsidenten befanden; diese Treuhandschaft ging zum Ende 1951 dann auf die Bundesrepublik über.449 Nur kurz behandelte der Ministerrat eine weitere bedeutende kulturpolitische Angelegenheit: die Verwendung des Vermögens der im Jahre 1925 gegründeten und 1945 aufgelösten Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums, der sogenannten Deutschen Akademie, deren Nachfolgerin das 1951 in München gegründete Goethe-Institut zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland wurde. Das Kultusministerium plante, das Vermögen der Deutschen Akademie teils der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, teils dem Goethe-Institut zukommen zu lassen.450

Wiederholt aber beschäftigte sich das Kabinett mit dem Ankauf zweier Filme über die Landeshauptstadt München nach Kriegsende, die ein Mitarbeiter des Kultusministeriums produziert hatte. Oberregierungsrat Wilhelm Cronauer,451 der nach langjähriger freischaffender künstlerischer Tätigkeit im Dezember 1945 auf ungeklärten und sicherlich auch zufälligen Wegen als Angestellter in das Kultusministerium eingetreten war, hatte unmittelbar nach der deutschen Kapitulation mit Genehmigung der amerikanischen Besatzungsmacht einen längeren Film über das zerstörte München und einen kürzeren über die Fronleichnamsprozession 1945 gedreht.452 Im Kabinett herrschte allgemeine Übereinstimmung über die Qualität und den historischen Wert beider Filmwerke und es wurde ohne Diskussion ein Ankaufspreis in Höhe von 25 000 DM bewilligt – allerdings in Unkenntnis der Tatsache, daß der durchaus umtriebige und geschäftstüchtige Cronauer die Rechte an seinen Filmen juristisch aufgeteilt und nach Verhandlungen mit der Stadt München diese Filmrechte auch teilweise bereits an die Landeshauptstadt verkauft hatte. Der Freistaat zog sein Kaufangebot daraufhin zurück, hatte sich in der Folge aber noch lange Jahre auf dem Gerichtsweg mit Cronauer auseinanderzusetzen. Beide Filmwerke sind mittlerweile gemeinsam vom Filmmuseum München, vom Stadtarchiv München und vom Münchner Goethe-Institut in restaurierter digitaler Form neu veröffentlicht worden.

3. Abdruck der Koalitionsvereinbarung vom Dezember 1950

Koalitions-Abmachungen453

Die Christlich-Soziale Union, die Sozialdemokratische Partei und der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten, vertreten durch ihre Landesvorsitzenden und durch ihre Fraktionsvorsitzenden im Landtage, haben sich auf folgende Richtlinien für die Zusammenarbeit in einer Regierungs-Koalition geeinigt:

I. Staatspolitische Forderung:

Festhalten am bundesstaatlichen Charakter der Bundesrepublik auf der Grundlage des Grundgesetzes, vor allem keine Verschiebung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern zu Ungunsten der Länder, insbesondere auch keine unnötige Errichtung eigener Mittel- und Unterbehörden des Bundes.

II. Verwaltung:

1. Sparsame und zeitgemäße Verbesserung der Öffentlichen Verwaltung mit einem verfassungstreuen Berufsbeamtentum (Sparkommissar?). Neuregelung des Beamtenbesoldungsrechtes.

2. Vereinfachung der Rechtsvorschriften und Verbesserung des Verwaltungsgerichtsverfahrens.

3. Organisatorischer Neubau und Verstärkung der kommunalen Selbstverwaltung unter Wahrung des staatlichen Einflusses in Angelegenheiten, die sich nicht für die Selbstverwaltung eignen.

Durchführung nach demokratischen Grundsätzen und unter Angleichung der vorliegenden Entwürfe (Gemeinde-, Kreis-, Bezirksordnung).

4. Zusammenfassung der staatlichen Polizei. Sicherung des staatlichen Einflusses auf die kommunalen Polizei-Angelegenheiten von überörtlicher Bedeutung.

5. Schaffung eines zeitgemäßen Baurechtes und nachdrückliche Fortführung des sozialen Wohnungsbaues.

6. Nachdrückliche Forderung eines gerechten Flüchtlingsausgleichs zwischen den Ländern auf freiwilliger Grundlage.

III. Wirtschaft:

1. Fortsetzung der Industrialisierungspolitik unter besonderer Berücksichtigung der notleidenden Gebiete.

Förderung des Bauernstandes.

2. Verstärkte Fortführung eines entsprechenden Landesentwicklungsplanes (Wohnungswesen und Energie-Ausbau).

3. Vermeidung unmittelbarer zwangswirtschaftlicher Maßnahmen.

4. Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der bayerischen Industrie (Einflußnahme auf die Tarif- und Verkehrspolitik des Bundes) und des gewerblichen Mittelstandes (Präzisierung in der Stellungnahme in der Frage der Gewerbefreiheit).

5. Schaffung eines Gesetzes über die Landesplanung mit besonderer Berücksichtigung der Landesplanungsgemeinschaften, denen ein Recht auf Mitwirkung zugebilligt werden soll.

IV. Sozialpolitik:

1. Nachdrückliche Fortführung der Sozialpolitik zu Gunsten der sozial Schwachen.

Strenge Durchführung des Gesetzes über die Beschäftigung der Schwerbeschädigten.

2. Ausbau des Arbeitsschutzes und der Gewerbeaufsicht.

3. Bekämpfung der Jugendnot, insbesondere durch vorbeugende Maßnahmen.

V. Landwirtschaft:

1. Marktbildende Maßnahmen in Bezug auf die Preisbildung für die landwirtschaftlichen Produkte.

2. Fortsetzung der Fachschulbildung in der Landwirtschaft.

3. Beschleunigte Fortführung der Flurbereinigung und der Bodenreform.

4. Bekämpfung der Landflucht und Seßhaftmachung des bäuerlichen Nachwuchses durch Hebung der Lebensbedingungen der landwirtschaftlichen Bevölkerung.

5. Intensivierung und Technisierung der landwirtschaftlichen Erzeugung durch Förderung der genossenschaftlichen Selbsthilfe.

VI. Kulturpolitik:

1. Anerkennung der eigenständigen Aufgaben und Rechte der Kirchen, auch auf dem Gebiete der Erziehung im Rahmen der Bayerischen Verfassung. Ungehinderte Betätigung der Kirchen auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege.

Wiederherstellung der von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft beseitigten staatlichen Leistungen für die Kirchen nach Maßgabe der Kirchenverträge.

2. Loyale Durchführung der Bestimmungen des Konkordates und der Kirchenverträge, insbesondere hinsichtlich des Schulwesens.

Sicherung der Heranbildung geeigneter Lehrkräfte für die Bekenntnisschulen und für die Gemeinschaftsschulen.

Lehrerbildung an pädagogischen Instituten der Universitäten.

3. Nachdrücklicher Ausbau des Berufsschulwesens mit staatlicher Förderung.

Umfassende Berücksichtigung staatsbürgerlicher und wirtschafspolitischer Bildung.

4. Förderung des Schulhausneubaues und Vermehrung der Schulstellen zur Verminderung der Klassenstärken.

5. Staatsbürgerlich-demokratische Erziehung in allen Schulen als Unterrichtsprinzip und als Unterrichtsfach.

6. Einheitlich organischer Aufbau des gesamten bayerischen Schulwesens.

VII. Finanzpolitik:

1. Sparsame Ausgabenwirtschaft auf allen Gebieten der Staatsverwaltung unter Berücksichtigung der Steuerleistungsfähigkeit der Allgemeinheit.

2. Erweiterung der Prüfungstätigkeit des Obersten Rechnungshofes nach der betriebswirtschaftlichen Seite.

Vorlegung der Prüfungsberichte des Obersten Rechnungshofes an den Landtag unter Beinahme der Stellungnahme der Staatsregierung.

VIII. Verschiedenes:

1. Herabsetzung der Abgeordneten-Zahl zu erstreben [sic!].

2. Die Bayerische Staatsregierung verpflichtet sich, beim Bundesrat für eine Wirtschaftspolitik mit dem Ziele der Beseitigung der Arbeitslosigkeit einzutreten, ferner einen baldigen und sozial-gerechten Lastenausgleich und die Regelung der Mitbestimmung der Arbeiter und Angestellten in einem fortschrittlichen Sinne anzustreben.