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Nr. 93MinisterratssitzungDienstag, 22. April 1952 Beginn: 9 Uhr 15 Ende: 12 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Kultusminister Dr. Schwalber, Finanzminister Zietsch, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Dr. Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Regierungsdirektor Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Justizminister Dr. Müller, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium).

Tagesordnung:

I. Ausübung der Jagd durch die Alliierten. II. Bundesratsangelegenheiten. III. Entwurf eines Gesetzes über die beamten- und dienststrafrechtliche Stellung, Besoldung und Versorgung der Landräte und Bürgermeister. IV. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung von Zeltlagern. V. Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer usw. VI. Jüdische Kultusgemeinden. VII. [Personalvertretungsgesetz (Hier Schreiben des Bundes Bayer. Beamtenverbände e.V. vom 15.4.1952)]. [VIII. Zuschuß für die Olympischen Spiele 1952]. [IX. Einführung der Zwangshagelversicherung]. [X. Übertragung von Zuständigkeiten für den bayerischen Kreis Lindau]. [XI. Vilshofen].

I. Ausübung der Jagd durch die Alliierten1

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, daß vor kurzem der Stellvertreter des Landeskommissars für Bayern, Mr. Neuland,2 im Auftrag des Amerikanischen Hohen Kommissars bei ihm gewesen sei, um seine Meinung hinsichtlich der Jagdausübung durch Alliierte kennenzulernen, eine Frage, die bei den Beratungen über den Generalvertrag eine Rolle spiele.3 Er habe nun auch ein Schreiben von Mr. Neuland bekommen, das sieben Vorschläge enthalte; vor allem werde darin 60% des in staatlichen unverpachteten Jagdbezirken erlegten Wildes gefordert, der Abschuß von Zugvögeln (Enten usw.) in öffentlichen Gewässern, Einbehaltung des Wildprets und der Trophäen usw. Allerdings werde dabei zugesichert, daß die deutschen Abschußzeiten, die zulässige Jagdbeute und andere Bestimmungen beachtet würden.4 Selbstverständlich habe er bisher noch in keiner Weise zugestimmt und dies Mr. Neuland auch ausdrücklich erklärt.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner fügt hinzu, während der Abwesenheit des Herrn Ministerpräsidenten habe er schon eine Erklärung abgegeben, nachdem er vom Landwirtschaftsministerium erfahren habe, daß die Bundesregierung in Bonn ein Stellungnahme der bayerischen Regierung benötige. Dabei sei erklärt worden, es handle sich nur mehr um die Differenz zwischen 50 und 60%, da einen 50%igen Abschuß der Herr Landwirtschaftsminister schon zugestanden habe.

Er selbst habe sich dagegen auf den Standpunkt gestellt, es sei gänzlich ausgeschlossen, daß derartige Bedingungen vertraglich anerkannt würden. Man sei durchaus bereit, Angehörige der alliierten Truppen einzuladen, unter der Bedingung natürlich, daß die Jagdbeute dem Bayerischen Staat gehöre. Irgendeine vertragliche Bindung abzugeben, habe er abgelehnt.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths weist darauf hin, daß die freie Jagd auf Flugwild das Ende dieses Wildes bedeuten würde. Auch er halte es für ausgeschlossen, sich im Generalvertrag auf solche Vorschläge einzulassen.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner betont, daß die Bundesregierung überhaupt nicht zuständig sei, da es sich hier ausschließlich um die Rechte der Länder handle.

Staatssekretär Maag meint, um eine gewisse Regelung werde man wohl kaum herumkommen.

Dagegen tritt Staatsminister Zietsch auch dafür ein, keinerlei Zugeständnisse zu machen.

Ministerpräsident Dr. Ehard schlägt vor, daß er zunächst bei seinem Besuch in dieser Woche in Bonn feststellt, was nun eigentlich los sei und welche Absichten die Bundesregierung habe. Jedenfalls werde Bayern zunächst in keiner Weise zustimmen.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

Staatssekretär Dr. Koch weist noch darauf hin, daß ohne eine ausdrückliche Zustimmung der Länder irgendwelche Bestimmungen über die Jagd nicht Bestandteil des Generalvertrags werden könnten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt abschließend entschieden, das Landwirtschaftsministerium sei nicht berechtigt gewesen, Abmachungen zu treffen, die die bayerische Staatsregierung in dieser Frage binden könnten.5

II. Bundesratsangelegenheiten

1. Entwurf eines Gesetzes zur Durchführung des Art. 108 Abs. 2 des Grundgesetzes6

und

2. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Einkommensteuergesetzes und des Körperschaftsteuergesetzes (ESt- und KSt-Ergänzungsgesetz)7

In beiden Punkten Zustimmung nach Art. 78  GG.8

3. Entwurf eines Gesetzes über die Aufnahme eines Kredits durch den Bund im Rahmen der von den USA gewährten Wirtschaftshilfe9

Einwendungen werden nicht erhoben.

4. Entwurf einer Verwaltungsanordnung über die Änderung und Ergänzung der Einkommensteuer-Richtlinien 1950 für die Veranlagung zur Einkommensteuer 195110

Regierungsdirektor Dr. Gerner berichtet, der Koordinierungsausschuß empfehle, sich den in der BR-Drucks. Nr. 151/1/52  niedergelegten Empfehlungen des Finanzausschusses anzuschließen.11 Der Agrarausschuß dagegen schlage vor, der Empfehlung unter Ziff. I 8) nicht zuzustimmen. Hier handle es sich darum, daß eine steuerliche Doppelbegünstigung für Waldbesitz zustande kommen werde, eine Regelung, der das Finanzministerium nicht zugestimmt habe.

Nach kurzer Aussprache wird beschlossen, den Vorschlägen des Finanzausschusses einschließlich Ziff. I 8) zuzustimmen.12

5. Verwaltungsanordnung über die besondere Anerkennung steuerbegünstigter Zwecke13

Regierungsdirektor Dr. Gerner fährt fort, an sich werde empfohlen, dieser Verwaltungsanordnung zuzustimmen, es frage sich nur, ob auch noch der Landesverband Bayern der „Schutzgemeinschaft Deutscher Wald“ berücksichtigt werden könne.14

Staatssekretär Maag spricht sich dafür aus, an der vorliegenden Verwaltungsanordnung nichts mehr zu ändern, die Schutzgemeinschaft aber in die nächste Verwaltungsanordnung, mit der in Kürze gerechnet werden könne, aufzunehmen.

Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.15

6. Zustimmung des Bundesrates zur endgültigen Berechnung der Beiträge und Zuschüsse der Länder aus dem Finanzausgleich 1950 gem. §5 Abs. 3 der Ersten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern im Rechnungsjahr 1950 vom 26. Juni 1951 (BGBl. I S.408  )16

Es wird festgestellt, daß dieser Punkt von der Tagesordnung abgesetzt werden wird.17

7. Entwurf von Allgemeinen Verwaltungsvorschriften über die Änderung und Ergänzung der Dienstanweisung für die Standesbeamten und ihre Aufsichtsbehörden18

Regierungsdirektor Dr. Gerner erinnert an die Besprechung dieser Angelegenheit in einer der letzten Kabinettsitzungen und berichtet, daß in der Zwischenzeit ein Kompromiß zustande gekommen sei, der in den Empfehlungen des Innenausschusses BR-Drucks. Nr. 56/5/52  niedergelegt sei. Danach könne die konfessionelle Zugehörigkeit eingetragen werden, wenn der Berechtigte dies beantragt.19

Staatssekretär Dr. Nerreter führt aus, nach Meinung der Kirchen könne man einen Schritt weitergehen, nämlich, daß der Standesbeamte nach dem Bekenntnis zu fragen habe, dabei aber darauf hinweisen müsse, daß der Berechtigte die Beantwortung dieser Frage ablehnen könne. In diesem Fall müßten die Worte „Auf Antrag“ herausgenommen werden und ferner die Möglichkeit der Auskunftsverweigerung vorgesehen werden.

Staatssekretär Dr. Koch meint, die Empfehlung des Innenausschusses sei tragbar, er halte diese Regelung für ausreichend und neutral genug, sie habe überdies den Vorteil, daß sie wohl von allen Ländern akzeptiert werden könne.

Staatssekretär Dr. Nerreter bemerkt, er müsse ein entsprechendes Schreiben der evang.-lutherischen Kirche beantworten, außerdem habe auch die katholische Kirche ihre Wünsche angemeldet. Könne nicht doch versucht werden, eine weitergehende Fassung zu erreichen?

Regierungsdirektor Dr. Gerner erwidert, er sei mit seiner Meinung zunächst im Rechtsausschuß völlig allein geblieben, der jetzige Kompromißvorschlag sei doch schon eine erhebliche Verbesserung. Er befürchte, daß man mit weitergehenden Anträgen den Kompromiß wieder aufs Spiel setze.

Ministerpräsident Dr. Ehard spricht sich dafür aus, an dem gemeinsamen Antrag festzuhalten; die Notwendigkeit so zu verfahren, könne man ja den Kirchen erklären. Auch er glaube, daß ein weitergehender Antrag auf Widerspruch stoßen werde.

Der Ministerrat beschließt, nach Maßgabe der Empfehlungen des Innenausschusses zuzustimmen.20

8. Entwurf eines Gesetzes über Gebührenbefreiungen beim Wohnungsbau21

Der Ministerrat beschließt, zunächst sich dem Vorschlag des Finanzausschusses, den Entwurf in seiner Gesamtheit abzulehnen, anzuschließen.

Ferner wird beschlossen, falls sich für die Ablehnung keine Mehrheit finde, die Empfehlungen in den Ziff. II b und 5 der BR-Drucks. Nr. 144/1/52  zu unterstützen, dagegen nicht die Empfehlungen des Ausschusses für Wiederaufbau und Wohnungswesen.22

9. a) Bericht des Rechtsausschusses über Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht23

Dem Vorschlag des Koordinierungsausschusses entsprechend wird beschlossen, sich der Empfehlung des Rechtsausschusses unter Ziff. I der BR-Drucks. V Nr. 7/52 anzuschließen.24

Regierungsdirektor Dr. Gerner führt dann aus, der Rechtsausschuß habe in Ziff. II seiner Empfehlung die Auffassung vertreten, daß sich der Bundesrat an dem Verfahren betr. Abkommen über den Hafen in Kehl nicht beteiligen solle.25 Im Koordinierungsausschuß habe dann der Vertreter des Justizministeriums26 die Meinung vertreten, daß eine Beteiligung doch notwendig sei.

Es handle sich darum, daß die Bundesregierung zu einem Abkommen zwischen Baden und der französischen Regierung über den Kehler Hafen zugestimmt habe und zwar gem. Art. 32  GG.27 Die Verfassungsklage der SPD gehe dahin, daß es sich hier nicht um ein Verwaltungsabkommen, sondern um einen Staatsvertrag handle, so daß also durch die Zustimmung ein Teil des Generalvertrags28 vorweg genommen werde. Seiner Meinung nach habe Bayern kein Interesse, vor allem im Hinblick auf seine Verwaltungsabkommen mit Österreich,29 daß Art. 32  GG allzu eng ausgelegt werde. Auf diesen Standpunkt habe sich auch der Rechtsausschuß einstimmig gestellt.

Staatssekretär Dr. Koch empfiehlt, diese Frage doch sehr ernsthaft zu überlegen; in der Tat sei das Hafenabkommen seinem Inhalt nach eine Angelegenheit der auswärtigen Politik, so daß Bundestag und Bundesrat nicht hätten ausgeschaltet werden dürfen.

Ministerpräsident Dr. Ehard hält es nicht für zweckmäßig, ausgerechnet von Bayern aus sich an dem Verfahren zu beteiligen, während Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner darauf hinweist, daß an sich Art. 59  GG30 durch jedes Verwaltungsabkommen umgangen werden könne. Er halte es nicht für notwendig, in diesem Fall besonders zentralistisch zu sein und stimme dem Herrn Ministerpräsidenten zu, daß sich Bayern nicht beteiligen solle.

Staatssekretär Dr. Ringelmann macht darauf aufmerksam, daß Bayern Gefahr laufe, keinerlei Verwaltungsabkommen mit Österreich hinsichtlich der Wasserstraßen mehr abschließen zu können, wenn sich hier eine enge Auslegung des Art. 32  GG durchsetze.31

Der Ministerrat beschließt, von einer Beteiligung abzusehen.32

b) Antrag der Landesregierung Niedersachsen auf Feststellung der Nichtigkeit der Verordnung über Ausnahmen vom Mieterschutz vom 27.11.1951 (BGBl. I S.926  )33

Es wird beschlossen, sich der in der BR-Drucks. V Nr. 8/52 niedergelegten Empfehlung des Rechtsausschusses auf Beteiligung anzuschließen.

10. Entwurf eines Gesetzes über die Deckung der Rentenzulagen nach dem Rentenzulagengesetz im Haushaltsjahr 195234

Regierungsdirektor Dr Gerner fährt fort, der Ausschuß für Arbeit und Sozialpolitik empfehle, gegen den Gesetzentwurf keine Einwendungen zu erheben, dagegen schlage der Finanzausschuß verschiedene Änderungen vor, u.a., daß die Versicherungsträger in höherem Maß an den Lasten des Rentenzulagengesetzes beteiligt werden sollten.35

Staatsminister Dr Oechsle führt aus, es handle sich hier um eine sehr bedeutungsvolle Frage; zwischen dem Bundesarbeitsministerium und allen Arbeitsministerien der Länder sei völlige Übereinstimmung erzielt worden, weshalb er dringend ersuche, keine Änderungen mehr vorzunehmen.

Staatsminister Zietsch entgegnet, es werde hier versucht, Unzulänglichkeiten des Rentenzulagengesetzes auszugleichen, ein Versuch, dem er nicht zustimmen könne. Er müsse daher dafür eintreten, sich den Empfehlungen des Finanzausschusses anzuschließen.

Nach kurzer Aussprache wird beschlossen, der Empfehlung des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik entsprechend der Regierungsvorlage zuzustimmen.36

11. Entwurf einer Zweiten Verordnung über die vorläufige Neufestsetzung des Pauschbetrages zur Deckung der Ausgaben der Rentnerkrankenversicherung37

Einwendungen werden nicht erhoben

12. Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz) vom 13.7.1930 (BGBl. I S.327  )38

Regierungsdirektor Dr. Gerner macht darauf aufmerksam, daß dieser Punkt vermutlich von der Tagesordnung abgesetzt werde.

Der Koordinierungsausschuß empfehle vorsorglich Zustimmung.39 Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.40

13. Entwurf von Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Heimkehrergesetzes41

Auch hier wird festgestellt, daß dieser Punkt wahrscheinlich von der Tagesordnung abgesetzt werde, da die Verwaltungsvorschriften zunächst von einem Unterausschuß beraten werden sollten.

Regierungsdirektor Dr. Gerner betont noch, daß nach Meinung des Koordinierungsausschusses die Zuständigkeit des Bundesarbeitsministers in Nr. 63 nicht42 begründet sei.43

14. Entwurf eines Gesetzes über den Kapitalverkehr44

Der Ministerrat beschließt, die Empfehlungen unter Ziff. 1 a, b, 3, 4, 5 und 6 zu unterstützen, die Empfehlung unter Ziff. 2 dagegen nur dann, wenn sich keine Mehrheit für Ziff. 1 a, b finden sollte.45

Staatsminister Zietsch fügt hinzu, die Meinung des Finanzministeriums gehe nun dahin, daß § 1 Abs. 1 der Regierungsvorlage beibehalten werden könne.46

Der Ministerrat beschließt, die Empfehlungen in der BR-Drucks. Nr. 148/1/52  zu unterstützen.47

15. Entwurf eines Gesetzes über das landwirtschaftliche Pachtwesen (Landpachtgesetz)48

Zustimmung.

16. Erlaß von Rahmenbestimmungen durch den Bund auf dem Gebiete des Wasserrechts gem. Art. 75 Ziff. 4 GG49

Der Ministerrat beschließt, weiterhin an dem grundsätzlich ablehnenden Standpunkt festzuhalten, auf alle Fälle aber die Empfehlung des Agrarausschusses abzulehnen und die des Innenausschusses zu unterstützen.50

17. Entwurf eines Gesetzes über die Anrechnung von Renten in der Arbeitslosenfürsorge51

Regierungsdirektor Dr. Gerner berichtet, im Koordinierungsausschuß habe der Vertreter des Finanzministeriums52 die Absetzung von der Tagesordnung empfohlen, da der Entwurf noch im Finanzausschuß besprochen werden müsse.53

Der Ministerrat beschließt, grundsätzlich dem Entwurf zuzustimmen, vorausgesetzt, daß nicht die Absetzung erfolge.

18. Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten54

Regierungsdirektor Dr. Gerner teilt mit, Minister Spiecker55 von Nordrhein-Westfalen sei beauftragt worden, als Sprecher des Bundesrats im Bundestag aufzutreten und eine Stellungnahme abzugeben, die im wesentlichen darauf hinauslaufe, daß das Verhalten der Bundesregierung in dieser Angelegenheit nicht als fair bezeichnet werden könne.56

19. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Abschnittes I des Grundgesetzes (BT.-Drucksache Nr. 3206 (neu))57

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß man inhaltlich mit dem Gesetzentwurf wohl einverstanden sein könne, die grundsätzlichen Bedenken bestünden aber darin, daß im Grundgesetz ausdrücklich, im Gegensatz zur Bayer. Verfassung, darauf verzichtet worden sei, die soziale und Wirtschaftsordnung zu regeln; die Verfassungsgesetzgeber hätten dies ausdrücklich einer künftigen Nationalversammlung Vorbehalten.

Der Ministerrat schließt sich dieser Auffassung an.

20. Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung58 Staatsminister Dr. Oechsle stellt fest, daß der Beginn der Tätigkeit der Anstalt nicht gerade sehr ermutigend gewesen sei, insbesondere dadurch, daß zunächst die Ernennung des Präsidenten Scheuble59 nicht zustande gekommen sei. Als zweiter Mann sei von der Seite der Arbeitgeber der Dipl. Kaufmann Johann Spies60 aus München vorgeschlagen worden, auch hier seien aber bereits Schwierigkeiten aufgetaucht. In dieser Sache habe gestern noch eine Besprechung zwischen Herrn Staatsminister a.D. Dr. Ankermüller61 und Herrn Bunzel62 vom Arbeitgeberverband stattgefunden. Von anderer Seite wurde Präsident Dr. Heinz63 vorgeschlagen.64

Der Ministerrat beschließt, auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wegen des Vorschlags Spies über den Bayer. Bevollmächtigten in Bonn einen Vorstoß beim Bundesarbeitsministerium zu unternehmen.65

21. Mitglieder und stellv. Mitglieder des Ausschusses für Arbeit- und Sozialpolitik

Der Ministerrat beschließt, als stellv. Mitglieder des Ausschusses folgende Personen zu benennen:

Staatssekretär Krehle,

Regierungsdirektor Dr. Imhof,66

Regierungsdirektor Thannheiser,67

Regierungsdirektor Netzsch68 vom Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge.

III. Entwurf eines Gesetzes über die beamten- und dienststrafrechtliche Stellung, Besoldung und Versorgung der Landräte und Bürgermeister69

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner weist darauf hin, daß die Angelegenheit außerordentlich eilig sei und er dem Landtag versprochen habe, sich dafür einzusetzen, daß die Vorlage bald an den Landtag gegeben werde.70

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, nachdem die Stellungnahmen der übrigen Ministerien noch nicht eingelaufen seien, sei es doch wohl das beste, diesen Punkt nochmals zurückzustellen und in der nächsten Ministerratssitzung am Dienstag, den 29. April 1952, zu behandeln. Er bitte aber dafür Sorge zu tragen, daß die Äußerungen der Ministerien auch rechtzeitig abgegeben würden.

Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.71

IV. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung von Zeltlagern72

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner begründet die Notwendigkeit dieses Gesetzentwurfs und betont, daß die Anregung dazu von den Jugendorganisationen ausgegangen sei, die mit dem vorliegenden Entwurf durchaus einverstanden seien.73

Staatssekretär Dr. Koch stellt fest, daß rechtliche Bedenken gegen den Entwurf nicht bestünden.

Dagegen äußern Staatsminister Zietsch und die Staatssekretäre Dr. Nerreter und Dr. Guthsmuths erhebliche Bedenken gegen das ganze Gesetz und bezweifeln seine Notwendigkeit wie seine Durchführbarkeit.

Ministerpräsident Dr. Ehard hält es dagegen für richtig, etwas zu unternehmen, damit des wilde Zelten doch in geordnete Bahnen komme.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner fügt mit Nachdruck hinzu, der Gesetzentwurf richte sich in keiner Weise gegen das Jugendwandern, wohl aber gegen Auswüchse, die zweifelsohne immer wieder auftreten und die zu ernster Gefährdung der Gesundheit usw. führen könnten und sogar die Gefahr von Seuchen mit sich brächten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann verweist auf § 5 und spricht sich dafür aus, sich vor allem auf die Kennzeichnung von Zeltlagerplätzen zu beschränken.74

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner wiederholt die Forderung gerade der Jugendverbände, die am besten die Notwendigkeit beurteilen könnten, den Auswüchsen durch diesen Entwurf entgegenzutreten.

Nach kurzer Aussprache wird beschlossen, die Angelegenheit nochmals zurückzustellen, im Staatsministerium des Innern überprüfen zu lassen und dann in der nächsten Koalitionsbesprechung zu erörtern.75

V. Entwurf eines Gesetzes über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer usw.76

Ministerpräsident Dr. Ehard erinnert daran, daß im letzten Ministerrat ein Gutachten über die Bildung des Aufsichtsrats der Eisenwerkgesellschaft Maximilianshütte verteilt worden sei.77

Staatssekretär Dr. Ringelmann erläutert anschließend das Gutachten und unterstreicht die Wichtigkeit der Maxhütte für die eisenverarbeitende Industrie in Bayern. Wenn der Staat nach dem Vertrag mit der Friedrich Flick KG so weitgehend in das Unternehmen eingreifen könne, wie dies in der Tat der Fall sei, müsse er auch entsprechend vertreten sein, insbesondere durch Mitglieder des Kabinetts. Deren Abwesenheit im Aufsichtsrat sei schon im Hinblick auf die in den nächsten Jahren zu erwartenden hohen Investitionen des Werkes erforderlich. Es könne nicht bestritten werden, daß der Bayerische Staat mit einer Quote von 26% einen Einfluß habe, der sonst nur bei einer Beteiligung von mindestens 51% gegeben sei.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt ausdrücklich seine früheren auf Art. 57 der Bayerischen Verfassung78 begründeten Bedenken zurück.

Auch Staatssekretär Dr. Koch ist der Meinung, daß hier ein überwiegender Einfluß im Sinne dieser Verfassungsbestimmung vorliege.

Der Ministerrat beschließt, auf Grund dieses Gutachtens Mitglieder des Kabinetts für den Aufsichtsrat der Maxhütte zu benennen, die endgültige Nominierung aber von den Vorschlägen des Aufsichtsrats und des Staatsministeriums der Finanzen abhängig zu machen.79

VI. Jüdische Kultusgemeinden80

Staatsminister Dr. Schwalber begründet eingehend den Widerspruch des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus gegen den Vorschlag des Finanzministeriums, die Zuschüsse für jüdische Kultusgemeinden im Haushalt des Kultusministeriums auszubringen. Er betont dabei insbesondere, daß Wiedergutmachungsleistungen in seinem Haushalt keinen Platz hätten, für die Zuschüsse an Religionsgesellschaften aber nur der allgemeine Kopfsatz von 1,50 DM je Bekenntnisangehörigen zugrunde gelegt werden könne.

Staatssekretär Dr. Ringelmann entgegnet, es handle sich darum, daß die israelitischen Kultusgemeinden neu aufgebaut werden müßten, dagegen nicht um Fragen der Wiedergutmachung. Hier könne man nicht von dem Kopfbetrag ausgehen; die vorgesehenen Mittel von 400000 DM, die sich in den nächsten Jahren ermäßigen würden, seien ein Pauschbetrag.

Staatsminister Zietsch bemerkt, bei den jüdischen Angelegenheiten bestehe auf allen Gebieten eine besondere Situation, die man in Betracht ziehen müsse.

Staatsminister Dr. Schwalber, unterstützt von Staatsminister Dr. Oechsle, bemerkt nochmals die Notwendigkeit, zwischen den eigentlichen Zuschüssen und der Wiedergutmachung zu unterscheiden. Sicher sei, daß die Kultusgemeinden nur für Zwecke des Kultus keine 400000 DM benötigten, sondern diese Mittel auch für andere Zwecke, z.B. für Renten usw., verwendeten.

Auch Staatssekretär Dr. Brenner hält es für zweckmäßig, alle Religionsgemeinschaften bei den Zuschüssen gleichmäßig zu behandeln.

Der Ministerrat beschließt, die Frage nochmals zu überprüfen.

Ebenso wird beschlossen, nochmals festzustellen, was mit den jüdischen Friedhöfen geschehen könne und welchem Ministerium sie übertragen werden müssen.81

VII. Personalvertretungsgesetz (Hier Schreiben des Bundes Bayer. Beamtenverbände e.V. vom 15.4.1952)82

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt ein von Herrn Abg. Donsberger83 unterzeichnetes Schreiben des Bundes Bayer. Beamtenverband bekannt, in dem gegen einen Ministerratsbeschluß protestiert werde, demzufolge der Vertreter Bayerns im Bundesrat angewiesen worden sei, dafür einzutreten, daß das Personalvertretungsgesetz für den öffentlichen Dienst abgelehnt werde. Der zitierte Beschluß entspreche nicht völlig den Beschlüssen des Ministerrats vom 18. und 25. März 1952, es sei aber richtig, daß beschlossen worden sei, an der bayerischen Regelung des Betriebsrätegesetzes, die sich durchaus bewährt habe, festzuhalten.

Es wird vereinbart, dem Bund Bayer. Beamtenverbände eine entsprechende Antwort zu erteilen.84

[VIII.] Zuschuß für die Olympischen Spiele 195285

Staatsminister Zietsch teilt mit, in der letzten Finanzministerkonferenz sei festgestellt worden, daß eine Reihe vor Ländern schon Zuschüsse für die Olympischen Spiele gegeben hätte.86 Das Finanzministerium schlage vor, daß Bayern aus Einzelplan XIII Kap. 1211 Tit. 221 einen einmaligen Zuschuß von 20000.- DM gewähre.

Der Ministerrat beschließt, diesen Zuschuß zu geben.87

[IX.] Einführung der Zwangshagelversicherung88

Der Ministerrat vereinbart, in dieser Angelegenheit nichts mehr zu unternehmen, bis der im Ernährungsausschuß abgelehnte Antrag der SPD-Fraktion auf Einführung einer Pflichthagelversicherung im Plenum des Landtags behandelt werde.89

[X.] Übertragung von Zuständigkeiten für den bayerischen Kreis Lindau90

Regierungsdirektor Dr. Gerner berichtet über ein Schreiben des Kreispräsidenten von Lindau91 vom 17. April 1952, wonach die französische Besatzungsmacht durch General Widmer92 ihr Einverständnis mit der Niederschrift vom 13. Februar 1952 erklärt habe; ausgenommen werde allerdings die Zuständigkeitsregelung in der Justiz. Hier halte es General Widmer für notwendig, die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts Tübingen für Lindau bis auf weiteres beizubehalten.

Der Ministerrat nimmt diese Mitteilung zur Kenntnis.93

[XI.] Vilshofen

Ministerpräsident Dr. Ehard verliest ein Schreiben des Stadtrats Vilshofen, in dem um Hilfe für die Opfer eines schweren Verkehrsunfalls, der sich am 8. April in Vilshofen ereignet habe, gebeten werde.

Staatssekretär Dr. Nerreter hält es für bedenklich, hier eine Überbrückungshilfe zu geben, die nur der Versicherung zugutekommen werde. Die Verletzten hätten jederzeit die Möglichkeit, gegen den Halter des Kraftfahrzeuges vorzugehen.

Auch Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner hält es nicht für richtig, hier unmittelbare Hilfsmaßnahmen zu ergreifen und betont, die anderen Fälle, auf die Bezug genommen werde, z.B. das Eisenbahnunglück von Walpertskirchen, seien anders gelagert gewesen.94

Es wird vereinbart, nochmals Erkundigungen einzuziehen.

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Karl Schwend
Ministerialdirektor