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Nr. 121MinisterratssitzungDienstag, 30. September 1952 Beginn: 9 Uhr 15 Ende: 12 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Schwend (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Justizminister Weinkamm, Kultusminister Dr. Schwalber.

Tagesordnung:

I. Entwurf eines Gesetzes über staatliche Auszeichnungen für die Rettung von Menschen aus Lebensgefahr. II. Personalangelegenheiten. III. Gesetz über die Förderung des Wohnungsbaues für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge in Berlin. IV. Bundesgesetz zu Art. 107 Grundgesetz. V. Energieversorgung in Ostbayern. VI. [„Spiegel“-Mitteilung betr. Geldmittelzuwendungen an Josef Müller]. [VII. Fall Tichauer]. [VIII. Beteiligung von Abgeordneten an der Aufstellung des Staatshaushalts]. [IX. Zuschuß des Bayerischen Staates für die Instandsetzung der Olympia-Sportanlagen in Garmisch-Partenkirchen]. [X. Bundesanstalt Nürnberg].

I. Entwurf eines Gesetzes über staatliche Auszeichnungen für die Rettung von Menschen aus Lebensgefahr1

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, der vorliegende Gesetzentwurf sehe vor, daß für eine unter Einsatz des eigenen Lebens erfolgreich ausgeführte Lebensrettung die Bayerische Rettungsmedaille am Band verliehen werde. In Fällen, in denen die Rettungstat ohne unmittelbare Lebensgefahr ausgeführt worden oder ohne Erfolg geblieben sei, werde eine öffentliche Belobigung ausgesprochen. Nach Art. 7 könne neben der Auszeichnung auch noch eine Belohnung in Geld gewährt werden. Eine besondere Bestimmung – Art. 8 – behandle Rettungstaten von Jugendlichen, bei denen die Verleihung der Rettungsmedaille bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres ausgesetzt werde. Diese erhielten mit einem Anerkennungsschreiben des Bayer. Ministerpräsidenten eine Armbanduhr als Geschenk.

Einwendungen gegen den Gesetzentwurf seien von keiner Seite geltend gemacht worden. Er gehe übrigens auf einen Initiativgesetzentwurf der Abg. Meixner und Fraktion zurück, der vom Landtag zurückgestellt worden sei, um der Staatsregierung Gelegenheit zu geben, einen eigenen Gesetzentwurf vorzulegen.

Der Ministerrat beschließt, dem Gesetzentwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen und ihn dem Landtag zuzuleiten.2

II. Personalangelegenheiten

1. Entlassung des Ministerialrats Wagenhöfer3 des Staatsministeriums der Finanzen aus dem bayer. Staatsdienst

Der Ministerrat beschließt, dem Antrag auf Entlassung zuzustimmen, dagegen kein Rücktrittsrecht einzuräumen.4

2. Ernennung des Ministerialdirigenten im Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten Heinrich Brunner zum Ministerialdirektor5

Der Ministerrat beschließt, diese Ernennung vorzunehmen.

Staatsminister Dr. Seidel weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß der Gesetzentwurf über die Verteilung der Zuständigkeiten des ehemaligen Staatsministeriums für Verkehrsangelegenheiten im Landtag noch nicht endgültig verabschiedet sei, da noch über den Einspruch des Senats verhandelt werden müsse. Dieser habe sich bekanntlich dafür ausgesprochen, die Regierungsvorlage insoweit wieder herzustellen, als die Schiffahrt auf den staatlichen Gewässern dem Finanzministerium unterstellt werden solle. Selbstverständlich werde er, falls der Landtag dem Einspruch des Senats Rechnung trage, in allen Fragen, die mit der staatlichen Schiffahrt zusammenhingen, enge Verbindung mit dem Staatsministerium der Finanzen halten.

3. Verlängerung der Dienstzeit von Beamten im Bereich des Staatsministeriums der Justiz

Der Ministerrat faßt folgende Beschlüsse:

a) Die Dienstzeit des Oberlandesgerichtspräsidenten Dr. Anton Konrad6wird bis auf weiteres, aber längstens bis zum 31. Oktober 1953 verlängert. Das Staatsministerium der Justiz wird ersucht, die Frage des Ersatzes ernstlich zu prüfen.

b) Die Dienstzeit des Oberlandesgerichtspräsidenten Friedrich Welsch,7 der gleichzeitig Präsident des Bayer. Verfassungsgerichtshofs ist, wird bis 31. Juli 1953 verlängert.

c) Die Dienstzeit des Generalstaatsanwalts Dr. Albert Roll8 wird bis zum 30. November 19539 verlängert.

d) Die Dienstzeit des Ministerialrats Sigmund Eckhardt10 wird bis 31. März 1953 verlängert.

Der Ministerrat beschließt ferner, den Regierungsdirektor in der Bayer. Staatskanzlei Dr. Erich Gerner zum Ministerialrat zu ernennen.

III. Gesetz über die Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge in Berlin11

Staatssekretär Dr. Oberländer führt aus, dieser Gesetzentwurf der Bundesregierung werde am 1. Oktober 1952 im Vertriebenenausschuß behandelt. Er bitte deshalb, ihn heute schon im Ministerrat zu erörtern. Der Entwurf sehe vor, daß der Bundesminister der Finanzen ermächtigt werde, die zur Durchführung dieses Gesetzes erforderlichen Mittel bis zur Höhe von 225 Millionen DM im Wege des Kredits zu beschaffen.

Dabei solle der Bund dem Ausgleichsfonds im Rechnungsjahr 1952 zur Förderung des Wohnungsbaues für Umsiedler 200 Millionen DM zur Verfügung stellen, die der Ausgleichsfonds in vier gleichen Teilbeträgen bis längstens 1. Oktober 1957 zurückzahlen solle. Über die Verteilung werde unter anderem bestimmt, daß die Länder Nordrhein-Westfalen 116 Millionen DM, Baden-Württemberg 54 Millionen DM und Hessen 12 Millionen DM erhalten sollen. Wenn auch die gesamten Mittel in den Aufnahmeländern verbleiben, so könne man doch kaum von Bayern aus dagegen stimmen. Andererseits müsse man aber versuchen, mit diesem Gesetzentwurf auch eine Hilfe für die innerbayerische Umsiedlung zu verbinden.

Staatsminister Dr. Oechsle stellt fest, daß die Aufteilung zwischen Abgabe- und Aufnahmeländern an sich falsch sei, da es zweifellos auch in den Abgabeländern Aufnahmebezirke gebe.

Staatsminister Zietsch macht darauf aufmerksam, daß in dem Umsiedlungsgesetz vom 23. September 1952, dem Bayern zugestimmt habe12, festgesetzt sei, daß den Aufnahmeländern Bundesmittel zusätzlich zur Verfügung gestellt werden sollten, um die Aufnahme zu erleichtern. Dieses Gesetz sei die Grundlage des vorliegenden Entwurfs, so daß auch er der Meinung sei, man könne schlecht dagegen angehen.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sich dafür aus, den gesamten Fragenkomplex des Wohnungsbaues aufzuwerfen.

Staatssekretär Dr. Oberländer stimmt zu und empfiehlt nochmals, den Versuch zu machen, ähnliche Beträge, wie sie hier für die Aufnahmeländer bestimmt seien, für die innerbayerische Umsiedlung zu erhalten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnet es als dringend notwendig, Klarheit darüber zu erlangen, mit welchen Mitteln für den sozialen Wohnungsbau 1953 man überhaupt rechnen könne.

Staatsminister Zietsch meint, es sei schwer, bei der Debatte über diesen Gesetzentwurf auch die Frage des Wohnungsbaues aufzuwerfen. Es handle sich hier doch darum, daß das Bundesfinanzministerium auf dem freien Markt 200 Millionen DM beschaffen müsse, die dann dem Ausgleichsfonds zur Vorfinanzierung zur Verfügung gestellt würden. Er verweise dabei auf §6, der die Rückzahlung usw. auf die Vorschriften der §§ 298 ff., 347 ff. des Lastenausgleichsgesetzes abstelle. Er glaube nicht, daß der Ausgleichsfonds dadurch eingeschränkt werde, sondern daß lediglich die Möglichkeit, auf dem freien Markt eine Anleihe von 500 – 600 Millionen DM aufzunehmen, was der Bund beabsichtige, verringert werde.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß tatsächlich gegen den Entwurf wohl nichts gemacht werden könne, aber sorgfältig überlegt werden müsse, ob und in welcher Form die Frage des sozialen Wohnungsbaues aufgeworfen werden könne. Bayern jedenfalls habe unmittelbar nach dem Krieg Millionen Flüchtlinge aufnehmen müssen, ohne daß es von irgendwoher zusätzliche Mittel erhalten habe.

Staatsminister Dr. Oechsle fügt hinzu, dazu komme noch, daß Nordrhein-Westfalen z. B. auch erhebliche Mittel für den sozialen Wohnungsbau von der Bundesanstalt in Nürnberg erhalte.

Der Ministerrat beschließt, in der Sitzung des Vertriebenenausschusses des Bundesrats so vorzugehen, daß dem Gesetzentwurf zwar zugestimmt, dazu aber ausdrücklich erklärt werde, die Frage der innerbayerischen Umsiedlung und das Problem des sozialen Wohnungsbaues müßten bald entschieden werden.

Staatsminister Zietsch sichert zu, die gleiche Haltung im Finanzausschuß am kommenden Donnerstag einzunehmen.13

IV. Bundesgesetz zu Art. 107 Grundgesetz14

Staatsminister Zietsch teilt mit, am Donnerstag werde in der Sitzung des Finanzausschusses des Bundesrats auch die Frage eines Bundesgesetzes zu Art. 107  GG behandelt werden. Diese Bestimmung sehe ja vor, daß die endgültige Verteilung der Steuern auf Bund und Länder spätestens bis 31. Dezember 1952 durch ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedürfe, erfolgen solle. Aus politischen Gründen beabsichtige die Bundesregierung, einen solchen Gesetzentwurf nicht mehr vorzulegen, dagegen wolle man durch ein verfassungsänderndes Gesetz Art. 107 bis 31. Dezember 1955 verlängern. Wenn der Verlängerung zugestimmt werde, könne auch nach dem 31. Dezember 1952 die Neuverteilung durch einfaches Gesetz vorgenommen werden. Falls der Bundesrat dagegen die Zustimmung verweigere, dann könne die Neuverteilung nur mit qualifizierter Mehrheit erfolgen.

Ministerpräsident Dr. Ehard bestätigt diese Auffassung und betont, daß die Möglichkeit, durch ein einfaches Gesetz die Neuverteilung vorzunehmen, in der Tat nur bis 31. Dezember 1952 bestehe. Von diesem Zeitpunkt ab sei auf alle Fälle ein verfassungsänderndes Gesetz notwendig, Er sei der Meinung, daß der Verlängerung des Art. 107 durch ein verfassungsänderndes Gesetz nicht zugestimmt werden solle.

Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.15

V. Energieversorgung in Ostbayern

Staatsminister Zietsch teilt mit, es bestehe die Möglichkeit, daß die Elektrizitätswerke der Ostzone die Lieferung von Strom an Teile der Regierungsbezirke Unterfranken und Oberfranken abschalteten, weiter sei zu befürchten, daß die gegenwärtige Durchleitung von Strom über das in der Ostzone gelegene Umspannwerk Neuhaus nach Coburg unterbrochen werde. Die Bayernwerk AG wolle nun Umspannwerke bauen, die einen Kostenaufwand von 4,605 Millionen DM erforderten. Das Bundeswirtschaftsministerium habe diesen Betrag im Rahmen der Hilfsmaßnahmen zwar anerkannt, sich aber bisher nur bereiterklärt, einen Betrag von 2,365 Millionen DM zu gewähren. Aus eigenen Mitteln könne die Bayernwerk AG den Rest von 2,24 Millionen DM nicht aufbringen. Der Bau des Umspannwerks Coburg mit einem Aufwand von 2,5 Millionen DM sei bisher deshalb noch nicht begonnen worden. Er bitte den Herrn Ministerpräsidenten, ein Fernschreiben an den Herrn Bundeswirtschaftsminister zu richten, da die Angelegenheit äußerst dringlich sei und insbesondere mit dem Bau des Umspannwerks Coburg sobald als möglich begonnen werden müsse.

Ministerpräsident Dr. Ehard sichert zu, dieses Fernschreiben abzusenden und bittet, ihm einen Entwurf vorzulegen.

Es wird noch vereinbart, daß Abschriften des Fernschreibens auch den Herren Staatsministern des Innern und für Wirtschaft zugeleitet werden.

VI. [„Spiegel“-Mitteilung betr. Geldmittelzuwendungen an Josef Müller]16

Ministerpräsident Dr. Ehard kommt auf die im „Spiegel“ vom 20. August 1952 veröffentlichte17 und von der Bayernpartei für eine Interpellation verwendete Mitteilung zu sprechen,18 wonach er von Herrn Dr. Josef Müller aus Mitteln des Landesrabbiners Dr. Ohrenstein 2000 DM erhalten haben solle. Er verweise darauf, daß er der Presse gegenüber eine eingehende Richtigstellung abgegeben habe.

[VII.] Fall Tichauer19

Ministerpräsident Dr. Ehard fährt fort, in der Presse sei eine Meldung erschienen, wonach der jetzt verhaftete frühere Angestellte des Wirtschaftsministeriums, Tichauer,20 erklärt habe, er habe aus einem für die Vorbereitung der Spielbanken in Bayern bestimmten Betrag erhebliche Teilbeträge an verschiedene Mitglieder des Bayer. Landtags gegeben.21 Soviel er wisse, sei bisher dem Justizministerium von diesen Bestechungen noch nichts bekannt geworden.22

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, die Behauptung Tichauers sei so schwerwiegend, daß sich der Ältestenrat damit befassen müsse. Seines Erachtens müßten alle Mittel angewendet werden, um diese Fälle aufzuklären.

[VIII.] Beteiligung von Abgeordneten an der Aufstellung des Staatshaushalts

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, Herr Senatspräsident Dr. Singer23 habe sich gegen die Zuziehung von Landtagsabgeordneten bei der Aufstellung des Haushalts gewandt und auf die Rechte des Senats aus Art.40BV hingewiesen.24

Staatsminister Zietsch erwidert, es sei richtig, daß er im Haushaltsausschuß zugesichert habe, rechtzeitig Mitglieder dieses Ausschusses bei der Aufstellung des Haushaltsplans zuzuziehen, aber lediglich als Zuhörer. Über das Verfahren sei man noch nicht endgültig schlüssig geworden. Natürlich sei er auch bereit, Mitglieder des Senats zu diesen Besprechungen zu bitten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann fügt hinzu, es könnten höchstens einige Abgeordnete und zwar nur zur Unterrichtung zugezogen werden. Wenn Herr Präsident Singer meine, dies verstoße gegen die Verfassung, so sei dies wohl nicht ganz unberechtigt. Er glaube aber, daß die Schwierigkeiten überwunden werden könnten, wenn man auch Mitglieder des Senats berücksichtige.

[IX.] Zuschuß des Bayerischen Staates für die Instandsetzung der Olympia-Sportanlagen in Garmisch-Partenkirchen25

Der Ministerrat beschließt, eine Beschlußfassung zurückzustellen, da am 24. Oktober 1952 in Bonn eine Sitzung stattfinden werde, in der die endgültige Entscheidung über die Höhe der Beteiligung des Bundes an den Kosten getroffen werden solle.26

[X.] Bundesanstalt Nürnberg27

Staatsminister Dr. Oechsle erinnert daran, daß der Ministerrat beschlossen habe, 900000 DM für den Bau von Wohnungen für die Beamten und Angestellten der Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung in Nürnberg zur Verfügung zu stellen. Es werde nun behauptet, im Gegensatz zu der Anstalt selbst erfülle der Bayerische Staat seine Verpflichtungen nur mangelhaft und leiste pro Wohnung erheblich weniger als die Anstalt. Er frage deshalb, ob es möglich sei, den bewilligten Betrag von 900000 DM um 150000 DM zu erhöhen.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, es sei völlig ausgeschlossen, aus den Mitteln für den sozialen Wohnungsbau noch Gelder abzuziehen.

Der Ministerrat beschließt daraufhin, die Erhöhung nicht vorzunehmen.

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Protokollführer des
Ministerrats
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Karl Schwend
Ministerialdirektor