PDF
Nr. 155MinisterratssitzungDienstag, 12. Mai 1953 Beginn: 9 Uhr Ende: 11 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Justizminister Weinkamm, Kultusminister Dr. Schwalber, Finanzminister Zietsch, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium).

Tagesordnung:

I. Entwurf einer Landfahrerordnung. II. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung. III. Wittelsbacher Ausgleichsfonds. IV. Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung. V. Lager Föhrenwald. VI. Bundesratsangelegenheiten: 1. Entwurf eines Bundesgesetzes über die Versammlungsordnung. 2. Ernennung eines weiteren stellv. Mitglieds des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt. 3. Sitzung des Bundesrats am Freitag, den 15. Mai 1953. VII. Vollzug des Gesetzes über die Enteignung aus Gründen des Gemeinwohls, hier Antrag der Firma Otto Gruber & Co., München, Rosenheimer Straße 17. VIII. Personalangelegenheiten. IX. Zuschuß für die Israelitischen Kultusgemeinden. X. Deutsche Verkehrsausstellung 1953. XI. Beflaggung am 23. Mai 1953. XII. Veranstaltungen usw..

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner eröffnet in Abwesenheit des Herrn Ministerpräsidenten die Sitzung.

I. Entwurf einer Landfahrerordnung1

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, das Staatsministerium des Innern habe einem Beschluß des Landtags vom 10. Februar 1953 entsprechend den gesonderten Entwurf einer Landfahrerordnung ausgearbeitet, der die Bestimmungen des früheren Gesetzentwurfs eines Landfahrer- und Arbeitsscheuengesetzes2 im wesentlichen übernehme.3 Bedenken seien von keiner Seite erhoben worden, nur müsse Art. 15, der das Inkrafttreten regle, wie folgt geändert werden:

„Dieses Gesetz tritt am … in Kraft.“

Der Ministerrat erklärt sich mit dieser Änderung einverstanden.

Staatsminister Weinkamm macht darauf aufmerksam, daß in Art. 12 wie folgt zitiert werden müsse:

„Bei einer Verurteilung nach Art. 11 Nr. 1, 3 oder 4“, da Artikel 11 keinen Absatz 1 enthalte; ebenso müßte die Begründung auf Seite 21 abgeändert werden.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt zu, worauf beschlossen wird, den Entwurf mit diesen beiden Änderungen dem Landtag zuzuleiten.4

Landfahrerordnung vom 22. Dezember 1953

II. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung5

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, an sich bestünden gegen die vom Staatsministerium der Finanzen vorgeschlagenen Änderungen zum Entwurf eines zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung keine Bedenken,6 er stehe aber auf dem Standpunkt der Staatskanzlei, die es nicht für zweckmäßig halte, an diesem Gesetzentwurf, bei dem es sich um eine zweite Fassung handle und der erst am 30. April 1953 dem Landtag zugeleitet worden sei,7 sofort wieder Änderungen vorzunehmen.

Staatsminister Zietsch erklärt, auch er sei dieser Meinung.

Die vom Finanzministerium angeregten Änderungen könnten bei den Ausschußberatungen von den Vertretern der Staatsregierung mündlich angeregt werden.

Ministerialrat Dr. Gerner bemerkt, daß in der vorgeschlagenen neuen Fassung des Art. 53 des Befreiungsgesetzes die Worte „in der Neufassung des vorliegenden Gesetzes“ besser durch die Worte „in der Fassung des zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung“ ersetzt werden müßten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß diesem Vorschlag wohl beigetreten werden könne.

Der Ministerrat beschließt, grundsätzlich die Abänderungsvorschläge des Staatsministeriums der Finanzen zu genehmigen, von einer formellen Vorlage8 an den Landtag aber abzusehen.9

III. Wittelsbacher Ausgleichsfonds10

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner verweist auf die vom Staatsministerium der Finanzen mit Note vom 25. April 1953 vorgelegte Vormerkung über die Lage des Wittelsbacher Ausgleichsfonds.11

Der Ausgleichsfonds beabsichtige, Kunstgegenstände im Werte von rund einer Million DM freihändig zu veräußern und weitere Kunstgegenstände im Werte bis zu 500 000 DM an den Bayerischen Staat gegen Barzahlung oder im Tausch gegen Grundstücke abzugeben, um dadurch einerseits Barmittel zu beschaffen, andererseits die Ansprüche des vormaligen Königshauses wenigstens zum Teil zu befriedigen.12 Zu der beabsichtigten Maßnahme sei die Zustimmung der Bayer. Staatsregierung erforderlich.

Staatsminister Dr. Schwalber erklärt, er habe die Vormerkung erst so spät erhalten, daß er sich in dieser doch recht schwerwiegenden Angelegenheit noch nicht äußern könne. Abgesehen von dem Umstand, daß es an sich nicht einfach sei, Kunstwerke im Wert von einer Million zu verkaufen, so sei dies – wenn überhaupt – nur im Ausland möglich, so daß die Bundesregierung sich einschalten werde. Ein großes Angebot von Kunstgegenständen werde auch auf den Preis drücken, wozu noch komme, daß für zweitklassige Werke höhere Preise gegenwärtig überhaupt nicht zu erzielen seien.

Außerdem halte er es für angebracht, zu prüfen, wie weit die Rechtsansprüche des Hauses Wittelsbach gingen und ob die seit 1948 erfolgten Investierungen in Gebäuden usw. erforderlich gewesen seien. Zu beiden Fragen habe das Finanzministerium noch nicht Stellung genommen, auch zu derjenigen nicht, ob dem Haus Wittelsbach die Investitionen zum Wiederaufbau zugemutet werden könnten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann führt aus, das Vermögen, um das es sich handle, gehöre dem Ausgleichsfonds, man müsse also die Frage stellen, ob er verpflichtet sei, die kriegsbeschädigten Objekte wieder herzustellen. Einen Anspruch auf gleichbleibende Erträge habe das Haus Wittelsbach nicht, andererseits wäre es nicht erfreulich, wenn es in Schwierigkeiten komme, weil es wieder aufgebaut habe. Die Renten aus dem Ausgleichsfonds seien so gering, daß den Mitgliedern des früheren Königshauses weitere Verzichte nicht zugemutet worden könnten.

Staatsminister Dr. Oechsle macht darauf aufmerksam, daß eigentlich beabsichtigt sei, Gegenstände im Wert von 5 Millionen DM zu verkaufen.13 Es frage sich, ob das alles ins Ausland gehen müsse oder ob der Staat ein Vorkaufsrecht habe. Es habe den Anschein, als ob ungewöhnlich hohe Beträge investiert worden seien, so daß Schwierigkeiten unvermeidlich auftreten mußten. Außerdem bitte er um Auskunft, ob das Einkommen einkommensteuerfrei sei.

Staatssekretär Dr. Ringelmann erwidert, als Körperschaft des öffentlichen Rechts unterliege der WAF der Einkommensteuer nicht, wohl aber die werbenden Betriebe.

Staatsminister Dr. Schwalber wirft die Frage auf, ob das Finanzministerium Gelder zum Ankauf der Kunstwerke zur Verfügung stellen könne, da er als Kultusminister besonderen Wert darauf legen müsse, den bayerischen Kunstbesitz im Land zu behalten.

Staatsminister Zietsch stellt fest, daß in der Tat erhebliche Schwierigkeiten bestünden, die in der Vormerkung dargelegt seien. Allerdings fühle sich das Finanzministerium nicht ganz wohl, weil über eine Reihe von Einzelheiten keine genügende Klarheit bestehe. Er halte es für gut, wenn auf Grund der heutigen Diskussion noch einzelne Fragen an den WAF gestellt würden.

Staatsminister Dr. Schwalber faßt die noch offenen Punkte wie folgt zusammen:

1. Wie weit ist der Anspruch des Hauses Wittelsbach, das auf einen Teil der ihm gesetzlich zustehenden Erträge habe verzichten müssen, gerechtfertigt?

2. Waren die Investitionen unentbehrlich oder sind Vermögensmehrungen eingetreten?

3. Welche Beträge könne das Finanzministerium zum Ankauf von Kunstwerken aus Wittelsbacherschem Besitz zur Verfügung stellen?

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner fügt hinzu, bei der ersten Frage müsse auch noch festgestellt werden, wie die Einsparungen dem Grund und der Höhe nach verwendet worden seien.

Staatsminister Dr. Oechsle meint, nachdem die Schwierigkeiten bestünden, sollte man die Sache nicht zu lange hinziehen und überlegen, ob nicht mit einem Zwischenkredit ausgeholfen werden könne.

Staatssekretär Dr. Ringelmann erläutert dann im einzelnen die Vormerkung vom 25. April, worauf Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner einen Überblick über die Verhandlungen bei der Abfindung der Wittelsbacher im Jahre 1920 gibt und die geschichtlichen Wurzeln des Wittelsbachischen Besitzes aufzeigt.

Abschließend ersucht Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner, möglichst bald eine Klärung zwischen Kultus- und Finanzministerium einerseits und dem Wittelsbacher Ausgleichsfonds andererseits herbeizuführen.

Staatssekretär Dr. Ringelmann weist noch darauf hin, daß eine Möglichkeit bestehe, Kunstwerke über den Grundstock anzukaufen, diese kämen aber nicht in den Haushalt des Kultusministeriums.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner unterrichtet dann noch in kurzen Zügen Herrn Ministerpräsident Dr. Ehard, der von jetzt an der Sitzung beiwohnt.14

Wittelsbacher Ausgleichsfonds

IV. Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung15

Staatsminister Zietsch berichtet, der Bundestag habe in der vergangenen Woche das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung verabschiedet,16 es werde am 13. Mai im Finanzausschuß und in der nächsten Woche im Plenum des Bundesrats beraten. Der Bundestag habe einer Inanspruchnahme der Einkommen- und Körperschaftssteuer in Höhe von 40% zugestimmt, was für die Länder, insbesondere aber für Bayern, nicht annehmbar sei. Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz hätten bereits einen Kabinettsbeschluß gefaßt, daß sie keinem höheren Anteil als 37% zustimmen könnten,17 in Baden-Württemberg liege ein gleichlautender Beschluß des Landtags vor.18

Die Mehrbelastung für Bayern würde 48 Millionen DM betragen, sie sei nicht tragbar.

Der Bundestag habe bewusst ein Junktim zwischen der kleinen Steuerreform und der Inanspruchnahme des Bundesanteils hergestellt und einen Antrag, diese Verbindung zu trennen, abgelehnt. Das Staatsministerium der Finanzen sei der Auffassung, daß unter allen Umständen der Vermittlungsausschuß angerufen werden müsse und zwar mit dem Ziel, die Steuervorlage von der Vorlage über die Inanspruchnahme zu trennen, wobei der ersteren zugestimmt werden könne. Was die Inanspruchnahme betreffe, so solle im Vermittlungsausschuß beantragt werden, sie bei 37% zu belassen.

Staatsminister Dr. Oechsle drückt seine Verwunderung darüber aus, daß im Bundeshaushalt 9,6 Milliarden DM für Besatzungslasten und für die innerdeutsche Aufrüstung eingesetzt seien, wovon auf letztere 2,4 Milliarden DM träfen. Bei der gegenwärtigen Situation könne dieser Betrag aber doch überhaupt nicht ausgegeben werden.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, auch wenn den Verträgen nicht zugestimmt werde,19 müsse der gesamte Betrag von 9,6 Milliarden DM vom Bundesfinanzministerium zur Verfügung gestellt werden.

Was den Vorschlag des Herrn Staatsministers der Finanzen betreffe, so sei er der Meinung, daß auf alle Fälle die Trennung von Steuerreform und Bundesanteil verlangt werden müsse. Außerdem halte er es für richtig, nochmals im Vermittlungsausschuß den Versuch zu machen, zu einer Staffelung zu kommen.

Die alte Forderung des Bundesrats, bei der Festsetzung des Defizits mitwirken zu können, müsse gleichfalls wiederum gestellt werden.

Staatsminister Zietsch stimmt diesen Ausführungen zu.

Staatssekretär Dr. Ringelmann regt an, jedenfalls im Vermittlungsausschuß den Beschluß zu fassen, daß über den ersten Teil des Gesetzentwurfs, nämlich die Steuerreform, entschieden werde. Dann müsse die Begrenzung des Bundesanteils auf 37% verlangt werden; wenn darüber keine Einigung zu erzielen sei, könne man versuchen, eine Abstufung im Finanzausschuß zwischen Bund und Ländern in der Weise zu erreichen, daß die finanzschwachen Länder begünstigt würden. Unter Umständen könne man dafür auch die Zustimmung des hessischen Finanzministers20 erreichen.

Staatsminister Zietsch kommt dann auf den Betrag von 25 Millionen DM zu sprechen, der für die innere Umsiedlung21 vorgesehen gewesen sei.

Staatssekretär Dr. Oberländer fügt hinzu, durch die Aufnahme der Ostzonenflüchtlinge sei die innere Umsiedlung zum Stillstand gekommen, auch die Lagerauflösung habe eingestellt werden müssen. Er halte es für dringend notwendig, daran festzuhalten, daß diese 25 Millionen DM nach wie vor Bayern zur Verfügung gestellt würden.

Staatssekretär Dr. Ringelmann kommt in diesem Zusammenhang darauf zu sprechen, daß auf Grund des Überleitungsgesetzes zur Kriegsopferversorgung22 der Bund 50 Millionen DM von Bayern zurückverlange, nachdem das Bundesfinanzministerium den Bundesrechnungshof in dieser Sache eingeschaltet habe. Das Finanzministerium habe mit dem Arbeitsministerium darüber verhandelt, er glaube, daß die bayerische Position nicht ungünstig sei.

Staatsminister Dr. Oechsle gibt zu bedenken, daß man den besonderen Nachkriegsverhältnissen in Bayern schon dadurch Rechnung getragen habe, daß man die ursprünglich auf 150 Millionen DM bezifferte Rückforderung auf 50 Millionen DM ermäßigt habe. Allzu zuversichtlich dürfe man also in dieser Sache nicht sein.

Der Ministerrat beschließt, den Vermittlungsausschuß anzurufen mit dem Ziel, Steuerreform und Inanspruchnahme des Anteils an der Einkommen- und Körperschaftssteuer zu trennen, ferner den Bundesanteil auf 37% zu beschränken und ein Mitwirkungsrecht des Bundesrats bei der Festsetzung des Defizits im Bundeshaushalt gesetzlich festzulegen.23

V. Lager Föhrenwald24

Staatssekretär Dr. Oberländer erklärt, nach der Übernahme des Lagers Föhrenwald von der IRO sei sofort alles Erforderliche geschehen und auch die zunächst aufgetretenen Schwierigkeiten mit dem Bund geregelt worden, so daß bis Dezember 1952 in dem Lager alles in bester Ordnung gewesen sei.25 Mitte Dezember seien dann plötzlich aus Paris illegal 200 Juden eingetroffen, die vom Deutschen Generalkonsulat26 in Paris ein Dauervisum erhalten hätten, obwohl die Pässe zwar für alle Länder gültig, für Deutschland aber ungültig gewesen seien. Trotz der Zusicherung des Auswärtigen Amtes, diese illegalen Einwanderer würden innerhalb von vier Wochen entfernt, seien diese heute noch in Föhrenwald. Vor acht Tagen seien sogar noch weitere 100 eingetroffen, dazu werde noch angekündigt, daß 3 – 4000 Illegale im Anzug seien.27

Seit dieser Zeit gebe es nichts wie Schwierigkeiten, vor allem auch mit den anderen, rechtmäßig in Föhrenwald befindlichen Juden, so daß sogar der Leiter des Jüdischen Hilfswerks28 gewarnt habe, weiteren Zuzug zu genehmigen.29 Der Joint30 habe zwar die sofortige Auflösung des Lagers Föhrenwald beschlossen, für die Bayer. Staatsregierung ergebe sich aber außerdem die Notwendigkeit, sofort mit der illegalen Zuwanderung Schluß zu machen, zumal andernfalls der Bund nicht weiter zahlen werde. Bedauerlich sei, daß der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinde, Herr Weinberger,31 im Gegensatz zu den anderen Juden die Illegalen in jeder Weise unterstütze.

Er schlage vor, die illegal nach Föhrenwald gekommenen 300 Juden in ein anderes Lager zu tun und das Auswärtige Amt dafür verantwortlich zu machen, daß das Generalkonsulat32 in Paris völlig unverständlicherweise die Visa ausgestellt habe; er halte es auch für richtig, die ganze Angelegenheit vor den Landtag zu bringen, zumal die Juden selbst Schutz gegenüber den Illegalen verlangten.

Staatsminister Dr. Oechsle gibt zu bedenken, daß 200 der Illegalen immerhin Visa für Deutschland hätten.

Staatssekretär Dr. Oberländer entgegnet, nachdem die Pässe nicht für Deutschland gelten, sei damit auch das Visum ungültig.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, der Rechtsberater des Joint in Deutschland, Herr Van Dam,33 sei zusammen mit dem Journalisten Landau34 bei ihm gewesen mit dem Vorschlag, die illegal Zugewanderten zu dulden, von jetzt an aber eine Sperre durchzuführen und die kriminellen Elemente wegzuschaffen. Er könne sich mit diesem Vorschlag nicht einverstanden erklären, jedenfalls nicht ohne die Zustimmung des Bundes und gebe zu bedenken, daß eine Sperre keinerlei Wirkung mehr haben werde, wenn man die Illegalen weiter dulde.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, wenn es schon nicht möglich sei, die 300 an die Grenze zu bringen, so sei man keinesfalls verpflichtet, sie in Föhrenwald zu lassen.

Staatsminister Dr. Oechsle befürchtet, daß durch die Verlegung in ein anderes Lager ein neuer Kristallisierungspunkt gebildet werden könne.

Staatssekretär Dr. Oberländer weist darauf hin, daß der Joint die sofortige Auflösung mit allen Mitteln unterstützen werde.35

Es bestehe kein Zweifel, daß das Auswärtige Amt erhebliche Schuld an den Vorfällen trage und sein Versprechen, die Illegalen in vier Wochen zu entfernen, nicht gehalten habe. Was die Verlegung betreffe, so könnte man sie einfach dadurch bewerkstelligen, daß man erkläre, die Fürsorgeunterstützung werde nur z.B. in einem weit entfernten Landkreis ausbezahlt. Außerdem halte er eine Polizeiwache im Lager für erforderlich, wozu man wohl der Genehmigung durch den Landtag bedürfe.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner regt an, die Kriminellen an die Grenze zu schicken und auszuweisen, dafür könnten ihnen dann Pässe nach Israel ausgestellt werden.

Staatssekretär Dr. Oberländer wendet ein, daß die Illegalen keinerlei Papiere hätten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner weist dann darauf hin, daß sich Israel bereit erklärt habe, diese Juden zu übernehmen. Jedenfalls sei auch er dafür, die Angelegenheit im Landtag zu behandeln und sich zu überlegen, ob überhaupt noch Unterstützungen ausgezahlt werden sollten.

In längerer Aussprache wird überlegt, ob eine Möglichkeit besteht, die Fürsorgeunterstützung überhaupt zu streichen.

Staatsminister Dr. Oechsle macht den Vorschlag, die Illegalen in kleinen Gruppen von ungefähr 50 aufzusplittern und dann im Land zu verteilen. Auf alle Fälle scheine es dringend erforderlich zu sein, eine schärfere Überwachung der Grenze durchzuführen, nachdem offensichtlich die erst kürzlich gekommenen 100 Juden illegal die Grenze überschritten hätten.

Der Ministerrat faßt daraufhin folgenden Beschluß:

1. Das Lager Föhrenwald wird aufgelöst. Die Durchführung wird in Verbindung mit den zuständigen Bundesstellen und dem Joint geregelt.

2. Jede weitere illegale Zuwanderung soll unter allen Umständen verhindert werden. Die Illegalen werden wieder über die Grenze abgeschoben. Zu diesem Zweck wird die Bundesregierung ersucht, die Grenzbehörden entsprechend zu benachrichtigen. Die Illegalen erhalten bei uns keine Unterstützung mehr.

3. Soweit Illegale in Bayern sind und unterstützungsbedürftig sind, wird die Unterstützung nur dort gewährt, wo es die Staatsregierung anordnet. Über Aufenthalts- und Unterstützungsort entscheiden die zuständigen bayerischen Behörden.

Staatsminister Dr. Oechsle hält es für notwendig, Punkt 1 noch näher zu erläutern.

Staatssekretär Dr. Oberländer sichert zu, dies im Landtagsausschuß zu tun.36

Föhrenwald

VI. Bundesratsangelegenheiten

1. Entwurf eines Bundesgesetzes über die Versammlungsordnung37

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet über den Entwurf eines Bundesgesetzes über die Versammlungsordnung und verweist auf die 14 Punkte enthaltenden Abänderungsvorschläge des Staatsministeriums des Innern. Es sei wahrscheinlich, daß der Gesetzentwurf vom Bundestag vor den Wahlen nicht mehr verabschiedet werden könne.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, in diesem Fall werde ein bayerisches Gesetz erlassen. Auf alle Fälle sei es unbedingt notwendig, wegen der 14 Verbesserungsvorschläge den Vermittlungsausschuß anzurufen.

Der Ministerrat erklärt sich mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses einverstanden.38

2. Ernennung eines weiteren stellv. Mitglieds des Kontrollausschusses beim Bundesausgleichsamt39

Ministerialrat Dr. Gerner führt aus, dem Ministerratsbeschluß vom 28.4.1953 zufolge habe die Staatskanzlei beim Bundesausgleichsamt angefragt, ob die Ernennung eines zweiten Stellvertreters im Kontrollausschuß für zulässig gehalten werde.

Das Bundesausgleichsamt hat nun mitgeteilt, daß nach dem Wortlaut des Gesetzes ein genereller zweiter Stellvertreter ausgeschlossen sei,40 das Mitbringen eines Sachverständigen, der gehört werden könne, sei aber möglich. Die Frage, ob ein zweiter Stellvertreter ad hoc an Stelle des Mitglieds oder des ordentlichen Stellvertreters bestimmt werden könne, sei zweifelhaft, sie sei noch Gegenstand von Besprechungen zwischen Bundesfinanzministerium und Bundesausgleichsamt. Inzwischen sei nun auch die angekündigte Note des Herrn Staatsministers der Finanzen vom 28.4.1953 gekommen, in der gebeten werde, zum Vertreter des bayerischen Mitglieds im Kontrollausschuß einen Angehörigen des Staatsministeriums der Finanzen zu benennen.

Staatssekretär Dr. Oberländer widerspricht diesem Vorschlag, worauf Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, hier handle es sich um die Frage, wie eine Koordinierung zwischen dem Staatsministerium des Innern bzw. Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer und dem Finanzministerium hergestellt werden könne. Er sei der Meinung, daß sich diese Verbindung doch ohne weiteres ermöglichen lasse. In diesem Zusammenhang bitte er aber nochmals darauf hinzuwirken, daß die Koordinierung überhaupt nicht nur zwischen den Ministern bestehen, sondern auch schon bei den Referenten beginnen müsse.

Staatssekretär Dr. Oberländer fügt hinzu, er habe mit Herrn Staatssekretär Dr. Ringelmann eingehend besprochen, wie hinsichtlich des Kontrollausschusses eine befriedigende Zusammenarbeit herbeigeführt werden könne.

3. Sitzung des Bundesrats am Freitag, den 15. Mai 195341

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, daß auf Antrag von Nordrhein-Westfalen am nächsten Freitag eine Bundesratssitzung stattfinden werde, der noch eine Sitzung des Auswärtigen Ausschusses vorangehe. Was eigentlich beantragt werden solle, wisse er noch nicht, er höre nur, daß Herr Ministerpräsident Maier beabsichtige, einen Antrag einzubringen, den Teilen der Verträge, die die Bundesregierung für zustimmungsbedürftig halte,42 zuzustimmen, bei den anderen Teilen festzustellen, daß bis Ablauf der Frist am 27.4.1953 ein Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht gestellt worden sei und die Gesetze beschlossen seien.43

Staatsminister Dr. Oechsle stellt fest, daß sich Bayern von Anfang an für die Zustimmungsbedürftigkeit aller Gesetze ausgesprochen habe.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, wie sich die Sitzung am Freitag abspielen werde, könne er vorläufig noch nicht sagen. Er habe vor, entweder zuzustimmen oder aber sich einer Erklärung nur dann anzuschließen, wenn darin auch die Zustimmung, mindestens indirekt, enthalten sei.44

Anschließend setzt sich Ministerpräsident Dr. Ehard mit dem in der Süddeutschen Zeitung vom 12. Mai abgedruckten Aufsatz des Herrn Abg. Franz Marx45 auseinander.46

Staatsminister Dr. Oechsle weist darauf hin, daß inzwischen die SPD die Normenkontrollklage in Karlsruhe eingereicht habe, so daß ein Vertagungsantrag kommen könne. Dabei werde angenommen, daß die Erklärung der Bundesregierung über die Zustimmungsbedürftigkeit ausreiche, die Klage in Gang zu bringen.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, wenn am Freitag zum Teil ausdrücklich, zum Teil verklausuliert zugestimmt werde, dann habe das Bundesverfassungsgericht durchaus die Möglichkeit, sich mit der Sache zu befassen.

Staatsminister Dr. Oechsle ersucht Ministerpräsident Dr. Ehard, von sich aus keinen Antrag zu stellen.

Ministerpräsident Dr. Ehard sichert dies zu.47

VII. Vollzug des Gesetzes über die Enteignung aus Gründen des Gemeinwohls, hier Antrag der Firma Otto Gruber & Co., München, Rosenheimer Straße 1748

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner ersucht, die Behandlung dieser Angelegenheit nochmals zurückzustellen, da neuerdings im Hinblick auf Art. 163 Abs. 5 der Bayer. Verfassung49 verfassungsrechtliche Bedenken aufgetaucht seien. Es frage sich insbesondere, ob überhaupt nach dem Inkrafttreten der Verfassung das Gesetz über die Enteignung aus Gründen des Gemeinwohls vom 1. August 1933 i.d.F. vom 9. Dezember 1943 (GVBl. 1944 S. 1)50 noch anwendbar sei. Das Staatsministerium des Innern halte es für notwendig, diese Frage nochmals sorgfältig zu prüfen.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths bittet, diese Prüfung nach Möglichkeit zu beschleunigen, da es sich bei der Firma Otto Gruber & Co., Aspertsham, Gemeinde Fürstenzell, um einen besonders guten und leistungsfähigen Betrieb handle, dem im Hinblick auf die Notwendigkeit, im Notstandsgebiet des Bayer. Waldes Industriebetriebe anzusiedeln, größte Bedeutung zukomme.

Ministerpräsident Dr. Ehard unterstreicht diese Bemerkung und ersucht Herrn Staatsminister Dr. Schlögl, seinerseits den Versuch zu machen, mit der Grundstückseigentümerin, Frl. Kopfinger, zu einem Ausgleich zu kommen.

Die Angelegenheit wird zurückgestellt.51

VIII. Personalangelegenheiten

1. Der Ministerrat beschließt, die Amtszeit des Ministerialdirektors im Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr, Heinrich Brunner, auf die Dauer von drei Jahren bis 31. Mai 1956 zu verlängern.52

2. Außerdem wird beschlossen, die Amtszeit des Ministerialdirektors im Staatsministerium der Justiz, Hans Walther,53 bis 31. Dezember 1954 zu verlängern.

3. Dagegen wird der Antrag des Präsidenten des Obersten Rechnungshofs, die Amtszeit des Vizepräsidenten beim Bayer. Obersten Rechnungshof Ernst Fischer54 noch einmal55 zu verlängern, nicht genehmigt.

IX. Zuschuß für die Israelitischen Kultusgemeinden56

Staatsminister Zietsch führt aus, der Vorsitzende der Israelitischen Kultusgemeinden, Herr Weinberger, habe sich darüber beschwert, daß die bisherigen Zuschüsse in Höhe von jährlich 400 000 DM bzw. nach der Kürzung 340 000 DM wegfallen sollten. Das Finanzministerium habe vorgesehen, daß als Abfindung für die nächsten vier Jahre noch ein Betrag von 600 000 DM gezahlt werde, von dem auf das Haushaltsjahr 1953 240 000 DM entfielen.57

Nachdem auch der Landtag der vorgesehenen Regelung zugestimmt habe, bitte er es dabei zu belassen.58

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

X. Deutsche Verkehrsausstellung 195359

Staatsminister Zietsch teilt mit, die Kosten für den Empfang des Herrn Ministerpräsidenten anläßlich der Verkehrsausstellung in Höhe von 10 000 DM könnten aus Einzelpl. XIII Kap. 1302 Tit. 203 zur Verfügung gestellt werden. Nachdem das Finanzministerium auf die Verwendung der Mittel keinen Einfluß ausüben könne, schlage er vor, den Betrag von 10 000 DM der Staatskanzlei zur Bewirtschaftung zuzuweisen.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.60

Deutsche Verkehrsausstellung München

XI. Beflaggung am 23. Mai 1953

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, das Bundesministerium des Innern habe den Ländern vorgeschlagen, anläßlich des Jahrestages der Verkündigung des Grundgesetzes am 23. Mai zu beflaggen.

Der Ministerrat beschließt, an diesem Tag in den Bundes- und Landesfarben zu flaggen.

XII. Veranstaltungen usw.

a) Vorführung der amerikanischen Luftwaffe in Fürstenfeldbruck am 13. Mai 1953

Es wird festgestellt, daß an dieser Veranstaltung der Herr Ministerpräsident, die Herren Staatsminister Dr. Schwalber und Dr. Schlögl und die Herren Staatssekretäre Dr. Brenner, Maag und Krehle teilnehmen worden.61

b) Tag der Amerikanischen Armee am 16. Mai 1953

Als Vertreter der Bayer. Staatsregierung werden Herr Staatsminister Dr. Schlögl und die Herren Staatssekretäre Dr. Brenner und Dr. Koch erscheinen.62

c) 50-jähriges Jubiläum des Allgemeinen Deutschen Automobil-Clubs (ADAC)63

Es wird vereinbart, die Vertretung der Bayer. Staatsregierung zu dieser Feier dem Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr zu übertragen.

d) Einweihung des Caritas-Altersheims in München-Biederstein am 17. Mai 195364

Die Vertretung der Bayer. Staatsregierung wird dem Staatsministerium des Innern übertragen.

e) Bundestreffen der Karpatendeutschen Landsmannschaft am 1. und 2. August 195365

Staatssekretär Dr. Oberländer erklärt sich bereit, die Schirmherrschaft über diese Veranstaltung zu übernehmen.

f) Hauptversammlung der Deutschen Lebensrettungsgesellschaft in München (19.–23. Mai 1953)66

Der Ministerrat stellt fest, daß die Übernahme der Schirmherrschaft durch den Herrn Ministerpräsidenten oder ein anderes Mitglied der Bayer. Staatsregierung nicht erforderlich sei.

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Hans Ehard
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Karl Schwend Ministerialdirektor