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Nr. 16MinisterratssitzungFreitag, 23. Januar 19481 Beginn: 15 Uhr 30 Ende: 17 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Finanzminister Dr. Kraus, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Sonderminister Dr. Hagenauer, Staatsminister Dr. Pfeiffer, Staatssekretär Fischer (Innenministerium), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Lacherbauer (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium).

Entschuldigt:

Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium).

Tagesordnung:

I. Generalstreik in Bayern. II. Bericht des Herrn Ministerpräsidenten über Frankfurt.

I. [Generalstreik in Bayern]

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, daß am Vormittag des 23. Januar 1948 eine Unterredung mit den Gewerkschaften stattgefunden habe.2 Dabei habe die Staatsregierung den Gewerkschaften ihren Standpunkt mitgeteilt, während andererseits bei diesen die Bereitschaft gefunden worden sei, gewisse Dinge im engeren Kreis zu besprechen. So sollen verschiedene Fragen zwischen dem Bauernverband und den Gewerkschaften besprochen werden mit dem Ziel, festzustellen, was man zu einer Verbesserung der Erfassung tun könne, und zwar auch auf gewerblichem Gebiet. Ihn selbst störe besonders ein Umstand, nämlich, daß es angeblich in Bayern wirklich so viel schlechter als anderswo sein solle und er müsse sich fragen, ob es tatsächlich notwendig gewesen sei, ausgerechnet allein in Bayern und nirgends sonst einen Generalstreik auszurufen. Die Gewerkschaften hätten geantwortet, an sich sei es wohl überall gleich schlecht, sie hätten aber die Sache auffangen müssen, da sie sonst über ihren Kopf hinweg gemacht worden wäre. Zusammenfassend könne er wohl feststellen, daß bei der Besprechung von heute Vormittag eine gewisse Beruhigung eingetreten sei, weshalb man sich auch über ein Presse – Communiqué habe einigen können. Allerdings seien die Führer der Gewerkschaften sehr ungehalten über die Erklärung des Herrn Finanzministers Kraus gewesen.3

Staatsminister Dr. Pfeiffer verliest anschließend das Presse – Communiqué.4

Staatsminister Dr. Kraus führt aus, die Verlautbarung des Finanzministeriums sei auf eine Anfrage des Oberfinanzpräsidenten Grabower5 in Nürnberg hin erfolgt.6 Er habe sich mit Staatssekretär Dr. Müller und einigen Beamten ausgesprochen und eine Erklärung verfaßt, die den Beamten kein Streikrecht zugestehe, nachdem in Art. 22/11 des Beamtengesetzes7 für Staatsbeamte der Streik ausdrücklich verboten sei. Gerade die amerikanische Militärregierung habe ein besonderes Gewicht darauf gelegt, daß diese Bestimmung in das Beamtengesetz aufgenommen wurde. Bei den Angestellten habe er darauf hingewiesen, daß diese einen Diensteid geleistet hätten und auch in einem besonderen Treueverhältnis zum Staat stünden. Wenn sie streiken, würden sie sich eines schweren Vertrauensbruches schuldig machen, der die Lösung des Dienstverhältnisses nach sich ziehe mit der Unmöglichkeit, wieder eingestellt zu werden. Als Beamter-Minister habe er die Pflicht gehabt, auf die an ihn gerichtete Anfrage eine Antwort zu geben, die man sich genau überlegt habe. Er weise auch darauf hin, daß im Haushaltsausschuß seine Erklärung ohne Widerspruch zur Kenntnis genommen worden sei und auch der außerordentliche Ministerrat8 keine Einwendungen erhoben habe. Lediglich Herr Justizminister Dr. Müller habe gemeint, es wäre besser gewesen, den Hinweis auf die Militärregierung zu unterlassen. Er stehe heute noch zu seiner Erklärung, die notwendig gewesen sei, um die Desorientierung in weiten Kreisen der Beamten und Angestellten zu beseitigen. In Nürnberg sei nämlich offen zum Ungehorsam gegen das Gesetz aufgefordert worden. Die Nürnberger Gewerkschaften hätten erklärt, sie stünden hinter den streikenden Beamten und Angestellten, worauf er seinerseits bekanntgegeben habe, die Regierung stütze alle Arbeitenden, während die Streikenden zur Rechenschaft gezogen würden.9

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, man müsse unterscheiden zwischen dem, was man an sich tun könnte und dem, was im gegebenen Fall tatsächlich durchgesetzt werden könne.

Staatsminister Dr. Kraus antwortet, er habe auf eine präzise Anfrage eine präzise Antwort gegeben.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, ihn interessiere im Augenblick vor allem die Frage: Was soll geschehen, wenn Beamte oder Angestellte tatsächlich gestreikt haben. Wenn eine Erklärung herausgegeben worden sei, die man nicht durchhalten könne, so sei das sehr ungünstig.

Staatssekretär Dr. Müller teilt ergänzend mit, er habe mit Oberfinanzpräsident Grabower telefoniert, der ihm gesagt habe, die Militärregierung habe ihre Zustimmung zum Streik gegeben, da sich dieser nicht gegen sie selbst, sondern gegen die Staatsregierung richte. Durch die Mitteilung des Funktionärs der Gewerkschaften sei Unruhe geschaffen worden und ein Teil habe wohl bona fide gestreikt. Daraufhin habe er die Rechtslage klargestellt.

Staatsminister Krehle führt aus, es bestehe wohl kein Zweifel, daß die Gewerkschaften ein Streikrecht haben. Ganz einwandfrei sei die Sache bei den Angestellten nicht. Evtl. müßte durch ein Gerichtsverfahren die Rechtslage geklärt werden, unter Umständen sogar vor dem Verfassungsgerichtshof. Auch die Angestellten im öffentlichen Dienst hätten ein Streikrecht, wenn es sich um die Durchsetzung z. B. von Tarifstreitigkeiten usw. handle. Er glaube nicht, daß man in der Lage sei, die Konsequenzen auf der ganzen Linie bei den Angestellten zu ziehen. Man würde damit wohl nicht durchkommen. Wenn man unnachgiebig bleibe, könnten unliebsame Konsequenzen entstehen, unter Umständen sogar ein Generalstreik mit öffentlichen Unruhen. Er müsse auch darauf hinweisen, daß zwei Vertreter der Manpower Division an der entscheidenden Sitzung teilgenommen hätten und für ein Streikrecht der Beamten eingetreten seien, bis man sie entsprechend aufgeklärt habe. Am Streik selbst hätten sich ungefähr 800000 Personen beteiligt; vor allem in den Großstädten sei schon wegen des Ausfalls der Verkehrsmittel nicht gearbeitet worden.10 Die Frage der Lebensmittelzulagen müsse auch noch besprochen werden. Diese würden nur gewährt bei einer Arbeitszeit über 40 Stunden, so daß durch den Streik wohl eine große Zahl von Arbeitern unter 40 Stunden kämen; von rechtswegen müßten also die Zulagen entzogen werden. Er bitte aber um die Zustimmung, davon keinen Gebrauch zu machen, sonst werde am Montag die Arbeit überall niedergelegt.

Staatsminister Dr. Seidel erklärt, er stehe auf dem gleichen Standpunkt wie Staatsminister Dr. Kraus. Man könne aber mit guten Gründen sagen, daß von einer Disziplinierung abgesehen werde, weil gewisse Unklarheiten bestünden, für die die Streikenden beim ersten Falle nicht zur Rechenschaft gezogen werden könnten.

Staatsminister Dr. Ankermüller bestätigt, daß der Ministerrat die Stellungnahme von Staatsminister Dr. Kraus gebilligt habe.11 Es sei richtig, daß man heute keine Konsequenzen ziehen könne, man müsse aber für die Zukunft vorsorgen, da zumindest die innere Verwaltung in Tätigkeit bleiben müsse. Es dürfe nicht mehr vorkommen, daß wie dieses Mal Landratsämter und Bürgermeisterämter gestreikt hätten.

Staatsminister Frommknecht teilt mit, die Reichsbahn habe einen entsprechenden Aufruf erlassen und der Vorortsverkehr sei durchgeführt worden.

Staatsminister Dr. Seidel macht darauf aufmerksam, daß die Gewerkschaften nur den Wunsch geäußert hätten, man möge für dieses Mal keine Konsequenzen ziehen.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, man müsse die gegenseitigen Meinungen abgleichen, damit keine verschiedene Stellungnahme eingenommen werde. Es sei klar, daß die Beamten an sich kein Streikrecht hätten. Könne man diesen Standpunkt aber durchhalten, wenn die Militärregierung anderer Auffassung sei? Bei den Angestellten sei die Sache kritischer und er wisse nicht, ob man den Grundsatz allgemein durchführen könne. Auf eine Kraftprobe dürfe man es wohl nicht ankommen lassen.

Staatsminister Dr. Kraus führt aus, er habe es für notwendig gehalten, die Situation den Beamten gegenüber ganz klar darzulegen; auch Dr. Hoegner habe seinen Standpunkt geteilt. Welche Folgen daraus gezogen würden, sei eine andere Frage. Wahrscheinlich könne man überhaupt nicht vorgehen, bis Klarheit geschaffen sei. Der Abgeordnete Donsberger habe einen Antrag wegen der Vertretung der Beamten gestellt.12 Vielleicht könne man bei dieser Gelegenheit die Stellungnahme der Regierung genau festlegen.13 Im übrigen weise er nochmals darauf hin, daß im Haushaltsausschuß nicht einmal die Vertreter der SPD etwas eingewendet hätten.14

II. [Bericht des Herrn Ministerpräsidenten über Frankfurt]

Ministerpräsident Dr. Ehard berichtet über die Atmosphäre in Frankfurt, die er wieder bei seinem letzten Aufenthalt dort anläßlich der Beratungen über ein Obergericht kennengelernt habe.15 Er habe selten eine größere Verwirrung und Kopflosigkeit gesehen wie in Frankfurt und alles überschlage sich geradezu gegenüber den Amerikanern und Engländern. Die Art, wie dort gearbeitet werde, sei einfach kläglich. Gesetzentwürfe würden ohne jede Vorbereitung gemacht, dann wieder abgeändert und so fort. Auch innerhalb der Parteien bestehe keinerlei Klarheit. Offensichtlich wolle man im Wirtschaftsrat politische Propaganda treiben, wozu auch die Behandlung des sog. Speisekammergesetzes gehöre.16 Dieses Gesetz werde übrigens auch von General Clay gewünscht; allerdings seien die Amerikaner der Meinung, es würde genügen, dieses Gesetz auf Getreide, Nährmittel und Kartoffeln auszudehnen. Das habe aber gewissen deutschen Vertretern nicht genügt und diese wollten jetzt schon eine Ausdehnung auf Fleisch, Fett usw.. Zuletzt habe man allerdings diesen Plan wieder fallen lassen. Dabei sei ursprünglich nur eine Meldepflicht für Leiter landwirtschaftlicher Betriebe und Leiter von Betrieben, die Lebensmittel lagern, be- und verarbeiten, vorgesehen gewesen. Die Militärregierungen hätten aber eine Ausdehnung auch auf die Haushaltungen verlangt. Die Fraktion der CDU/CSU habe einen Vermittlungsvorschlag eingebracht, nach dem die Meldepflicht doch etwas beschränkt werde.17 Praktisch käme es darauf hinaus, daß die Leute, die nicht wüßten, was sie essen sollten, Fragebogen ausfüllen müßten. Ungefähr gleichzeitig mit dem Speisekammergesetz sei plötzlich Herr Reuter18 mit dem Antrag aufgetreten, die Butterrücklieferung für die Selbstversorger in den nächsten beiden Monaten aufzuheben. Diesen Antrag habe die Mehrheit des Wirtschaftsrates angenommen.19 Allerdings müsse man anerkennen, daß die Lebensmittelversorgung für den Normalverbraucher in Nordrhein-Westfalen außerordentlich schlecht sei. Er habe eine Aufstellung über die Kalorienzahlen, die in manchen Städten bereits wieder unter 1000 gesunken seien. Man dürfe aber nicht übersehen, daß Bayern bereits einen Vorschuß von 7000 to Fleisch geliefert habe.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller weist darauf hin, daß vor allem von Seiten Reuters der Kampf in Frankfurt parteipolitisch ausgetragen werde, trotzdem Ministerialdirektor Podeyn ebenfalls der SPD angehöre. In der SPD sollte ursprünglich Reuter ein Mißtrauensvotum gegen Semler einbringen. Man habe aber dann auf Eingreifen von Hannover hin davon abgesehen, weil man sich nationaler Ansprüche nicht begeben wollte.

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht, ihm für die Ernährungsdebatte im Landtag entsprechendes Material vorzubereiten.20 Anschließend berichtet Ministerpräsident Dr. Ehard über die Verhandlungen in Frankfurt bezüglich der Proklamation 7 mit dem Entwurf eines Obergerichts in Wirtschaftsfragen.21 Ministerpräsident Dr. Ehard teilt weiter mit, daß er am 22. Januar 1948 wegen des Statuts für den Wirtschaftsrat22 am Vormittag zu General Adcock gerufen worden sei,23 nachmittags sei ihm dann der Entwurf des Statuts ausgehändigt worden. Bei der Übergabe wurde erklärt, das Statut sei vertraulich, es dürfe nicht in die Presse und solle sofort24 diskutiert werden. Er habe das abgelehnt und erklärt, er müsse das Statut mit dem Kabinett und dem Landtag besprechen können. Die Engländer und Amerikaner hätten ihm dann erklärt, sie wollten nur seine persönliche Meinung wissen, worauf er geantwortet habe, er könne sein Amt nicht von der Person trennen und müsse die Möglichkeit haben, sich zu unterreden. Clay habe seinerzeit am 8. Januar25 ausdrücklich gesagt, einige Punkte seien festgelegt, die Ministerpräsidenten könnten sich aber zum Ganzen und zu Teilen äußern. Er habe jetzt in Frankfurt das Gefühl bekommen, als sei das Statut fertig und solle den Deutschen aufgezwungen werden. Man müsse die Stellungnahme festlegen und klar sehen, ob man zustimmen könne oder nicht. Bei dieser Gelegenheit müsse er aber doch darauf hinweisen, daß der Exekutivrat seinerzeit erklärt habe, ein Fehler des Statuts bestehe darin, daß gegen die Länder keine Zwangsmaßnahmen vollstreckt werden könnten. Was den Inhalt des Statuts betreffe, so könne er darüber noch nicht berichten, weil er noch keine Zeit gehabt habe, sich eingehend damit zu befassen. Anschließend wird das Statut an das Kabinett verteilt26 und beschlossen, am Montag in einem außerordentlichen Ministerrat darüber zu sprechen.27 Ministerpräsident Dr. Ehard schlägt vor, zu den einzelnen Abschnitten darin Stellung zu nehmen und sich gleichzeitig zu überlegen, was man von Bayern aus wünsche und für notwendig halte. Natürlich sei eine einheitliche deutsche Stellungnahme unbedingt erforderlich und man müsse sich darüber klar werden, was man bei einer Kompromißlösung noch konzedieren könne. Andererseits werde es unter Umständen auch notwendig sein, eine gesonderte bayerische Stellungnahme abzugeben. Für den Augenblick bitte er nur, das Statut absolut vertraulich zu behandeln und nicht aus der Hand zu geben.

Staatsminister Dr. Kraus betont, Ministerpräsident Dr. Ehard habe in der Frage des Gerichtshofes für die Bizone in Frankfurt einen großen Erfolg erzielt. Er hoffe, daß ein ähnlicher Erfolg auch in der Frage des Statuts erreicht werden könne. Über die Finanzfragen dieses Statuts sei er geradezu erschrocken. Die in den letzten Tagen abgehaltene Finanzminister-Konferenz28 habe sich ausführlich mit dieser Frage unterhalten, ebenso auch über die zukünftige Verfassung des Wirtschaftsrats überhaupt. In allen grundsätzlichen Punkten sei eine erfreuliche Übereinstimmung sämtlicher Finanzminister der US-Zone erzielt worden. Man habe auch einen Entwurf, der sich mit diesen Fragen beschäftige, ausgearbeitet.

Ministerpräsident Dr. Ehard weist darauf hin, es handle sich nur darum, eine Organisation, die nicht laufe, arbeitsfähig zu machen. Übrigens stehe in dem Statut schon, daß der Wirtschaftsrat eine öffentlich-rechtliche Körperschaft sein solle. Er habe den Eindruck, die Amerikaner seien nicht ganz glücklich und stünden unter starkem Druck offensichtlich deshalb, weil demnächst Besprechungen zwischen Amerika, England und Frankreich stattfinden sollen.29 Wahrscheinlich wolle man jetzt noch vorher den Wirtschaftsrat unter Dach und Fach bringen. Er ersuche abschließend, ihm rechtzeitig mitzuteilen, was vom Ressortstandpunkt aus zu sagen sei. Ministerialdirigent Prof. Dr. Glum30 werde nach Frankfurt fahren, um mit Mr. Dayton31 noch vorher zu sprechen.32

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär
des Ministerrats
In Vertretung
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Oberregierungsrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister