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Nr. 48MinisterratssitzungSamstag, 6. November 19481 Beginn: 10 Uhr Ende: 14 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, stv. Ministerpräsident Dr. Müller, Finanzminister Dr. Kraus, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Sonderminister Dr. Hagenauer, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Staatskanzlei), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Bauabteilung), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium).2

Entschuldigt:

Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Lacherbauer (Justizministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Verordnung über die Durchführung des Gesetzes über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Der bayerische Rundfunk“. II. Anträge der Raumkommission. III. Flüchtlingsfragen. IV. Ernährungsfragen. V. Personalangelegenheiten. [VI. Landtagsgebäude im Maximilianeum]. [VII. Parlamentarischer Rat in Bonn].

I. Verordnung über die Durchführung des Gesetzes über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Der bayerische Rundfunk“3

Staatssekretär Dr. Sattler berichtet über den Entwurf4 und teilt mit, das Gesetz über den bayerischen Rundfunk5 sehe 33 Mitglieder des Rundfunkrats vor, während jetzt 35 Kandidaten aufgestellt seien.6 Die Organisationen der Musiker und Schriftsteller hätten sich bisher noch nicht darüber einigen können, wer die Berechtigung habe, einen Vertreter zu entsenden. Im übrigen sei jetzt über alle anderen Punkte eine Einigung zustande gekommen, auch über die Zusammensetzung des Wahlprüfungsausschusses.

Der Ministerrat beschließt sodann, dem Entwurf in der vorliegenden Form zuzustimmen.7

II. Anträge der Raumkommission

Ministerialrat Dr. Baer berichtet eingehend über die bisherige Tätigkeit der Raumkommission8 und die Schwierigkeiten, die sie zu überwinden habe. Im besonderen führte er aus, die Unterbringung der Kriegsbeschädigtenabteilung9 in dem Haus Prinzregentenstraße 48 wird zwar bis zum 15. November 1948 erfolgen, da das Staatsministerium für Arbeit und Soziale Fürsorge darauf bestehe. Die Raumkommission habe sich aber auf den Standpunkt gestellt, daß die Unterbringung einer Behörde, die nicht Zentralstelle sei, in der Prinzregentenstraße an sich möglichst vermieden werden sollte. Außerdem verliest Ministerialrat Dr. Baer einen Antrag der Raumkommission an den Ministerrat, zu seiner Unterstützung einen Beschluß zu fassen,10 der folgenden Wortlaut habe:

1.) Die Behörden haben die Raumkommission zu unterrichten, wenn Diensträume im Zuge der Aufhebung oder Verkleinerung von Dienststellen oder aus sonstigen organisatorischen Gründen frei werden.

2.) Über freien Dienstraum darf nur im Benehmen mit der Raumkommission verfügt werden.

3.) Die Raumkommission kann die zwischenzeitlich ohne ihre Zustimmung erfolgte Verfügung über Räume erforderlichenfalls zu Gunsten anderweitiger vordringlicher Raumbedarfsdeckung ändern.

4.) Die Behörden sind verantwortlich, daß der Vollzug der Beschlüsse der Raumkommission nicht verzögert wird.

5.) Durch Ausbau neu gewonnene Räume sind der Raumkommission vor Belegung anzuzeigen.

Der Ministerrat erläßt den Beschluß dem Wortlaut des Antrags der Raumkommission entsprechend.

III. Flüchtlingsfragen

Staatssekretär Jaenicke berichtet eingehend über die demagogische Tätigkeit des Vorsitzenden des Lagerausschusses Dachau, Egon Herrmann.11 Dieser habe in den letzten Tagen eine Versammlung von Delegierten der übrigen bayerischen Flüchtlingslager einberufen, wobei von nahezu 300 Lagern lediglich 59 Delegierte zusammengekommen seien; noch dazu sei es fraglich, ob deren Wahl auf demokratische Weise erfolgt sei. Diese Delegierten hätten nun Herrmann mit der Wahrnehmung ihrer Interessen gegenüber der bayerischen Staatsregierung beauftragt.

Nachdem Herrmann in einer Rede den bayerischen Ministerpräsidenten in der heftigsten Form angegriffen und beleidigt habe, halte er es für dringend notwendig, daß der Herr Ministerpräsident gegen ihn Strafantrag stelle. Da Herrmann versucht habe, seine aufhetzerischen Reden auch in anderen Lagern fortzusetzen und diese zum Hungerstreik zu veranlassen, habe er über ihn auf Grund einer Anordnung der Militärregierung vom Jahre 1946, welche politische Reden in Lagern verbiete, ein Redeverbot verhängt.12 Dessen Forderungen seien im übrigen von einer beispiellosen Maßlosigkeit und völlig unerfüllbar.13 Die berechtigten Forderungen, soweit sie tatsächlich Mißstände im Lager Dachau betroffen hätten, habe er ohnehin sofort, nachdem er sich über die Zustände unterrichtet habe,14 erfüllt. Dagegen habe er in scharfer Form die neuen Forderungen Herrmanns abgelehnt und ersuche den Ministerrat, ihn entsprechend zu unterstützen. Die Militärregierung habe er dauernd auf dem Laufenden gehalten und diese wünsche auch, Herrmann solle auf demokratische Weise überwunden werden. Erfreulicherweise könne er feststellen, daß in den meisten Lagern den Parolen, die von Dachau ausgehen, nicht Folge geleistet würde.

Nach kurzer Aussprache wird auf Antrag von Staatssekretär Jaenicke folgender Beschluß gefaßt:

„Der bayerische Ministerrat billigt in seiner Sitzung vom 6. November 1948 die ablehnende Haltung des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen, Wolfgang Jaenicke, gegenüber der undemokratischen Forderung des Dachauer Lagerausschusses, die übrigen bayerischen Flüchtlingslager gegenüber der bayerischen Staatsregierung zu vertreten.“15

Ministerpräsident Dr. Ehard äußert Bedenken gegenüber dem Vorschlag, daß er Strafantrag gegen Herrmann stellen solle;16 er halte es für zweckmäßiger, diesen mit politischen Mitteln zu bekämpfen.

Staatsminister Dr. Hagenauer stellt fest, bei den Angriffen Herrmanns gegen den Herrn Ministerpräsidenten handle es sich zweifellos um eine so einwandfreie formale Beleidigung, daß mit einer glatten Verurteilung zu rechnen sei. Im übrigen sei es gar nicht notwendig, die Sache vor dem Amtsgericht in Dachau zu behandeln, sie könne ohne weiteres auch vor die Strafkammer München II gezogen werden.

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht Justizminister Dr. Müller, diese Frage mit dem Landgericht München II zu klären, da er davon seine endgültige Entscheidung abhängig machen wolle.17

Anschließend bezeichnet Staatssekretär Jaenicke die Situation in den Flüchtlingslagern, die jetzt sämtlich überbelegt seien, als sehr besorgniserregend. Es sei auch nicht mehr möglich, irgendein Ziel in den Landkreisen zu bezeichnen, wo die Flüchtlinge noch untergebracht werden könnten, weil alle Landkreise bereits überfüllt seien. In den letzten Tagen habe er Gelegenheit gehabt, eingehend über die Situation mit Botschafter Murphy zu sprechen, der offensichtlich beeindruckt gewesen sei und ihn gebeten habe, den Herrn Ministerpräsidenten zu veranlassen, bei der nächsten Sitzung den Generälen die Frage nochmals vorzutragen.

Bei der Beurteilung der augenblicklichen Lage müsse man dazu noch berücksichtigen, daß 25 00018 Rückkehrer aus Dänemark erwartet würden,19 außerdem ca. 30 000 Kriegsgefangene aus Jugoslawien,20 und man auch noch mit dem Hereinströmen von ca. 170 000 Deutschen aus der Tschechoslowakei rechnen müsse.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt sich bereit, mit General Clay nochmals über die Flüchtlingsfrage zu sprechen, darüberhinaus halte er es aber für notwendig, ein eingehendes Schreiben mit den erforderlichen Unterlagen an Landesdirektor Van Wagoner mit der Bitte um Weitergabe an General Clay zu überreichen. In diesem Schreiben müßte ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß Bayern die Hilfe der Amerikaner erbitten müsse, nachdem es von den anderen Ländern im Stich gelassen werde. Selbstverständlich müsse dieses Schreiben genaue und einwandfreie Zahlenangaben enthalten.21

Der Ministerrat stimmt diesem Vorschlag einhellig zu.

IV. Emährungsfragen

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, die Militärregierung dringe darauf, daß die eigene Ernte beigebracht werde22 und mache davon ihre Importe abhängig. Es sei infolgedessen doch notwendig geworden, einen Aufruf der bayerischen Staatsregierung an die Bauern zu erlassen, gegen den der Ministerrat ursprünglich Bedenken gehabt habe.23 Ministerpräsident Dr. Ehard verliest sodann den vom Landwirtschaftsminister ausgearbeiteten Entwurf des Aufrufs.24 Da dieser nicht den vollen Beifall des Kabinetts findet, wird er von einer Redaktionskommission umgearbeitet. Es wird sodann beschlossen, den Aufruf in der umgearbeiteten Fassung zu erlassen.25

Staatsminister Dr. Schlögl berichtet sodann, er habe seit 8. Oktober wieder die Möglichkeit, die Bewirtschaftung in Bayern durchzuführen, allerdings nur mittels drastischer Maßnahmen. Er habe nun praktisch die bayerische Grenze abgesperrt und strengste Kontrollen auf allen Straßen usw. durchgeführt.26 Diese Maßnahme habe er auch auf Produkte ausdehnen müssen, die amtlich frei seien, so daß unter Umständen mit Schadensersatzansprüchen gerechnet werden müsse. Die Zustände in der Landwirtschaft seien außerordentlich unerfreulich, unerhörte Preistreibereien seien an der Tagesordnung und er habe in den letzten Wochen Ordnungsstrafen in Höhe von 1,3 Millionen festsetzen müssen.27 Leider geschehe auf diesem Gebiet von Frankfurt aus nichts. Er glaube aber, wenn er seine Maßnahmen 6 Wochen lang durchführen könne, einen wesentlichen Erfolg erreichen zu können.

Staatssekretär Geiger weist darauf hin, daß man keinerlei Möglichkeit habe, Höchstpreise festzusetzen; nachdem diese schon bei bewirtschafteten Gegenständen nicht beachtet worden seien, hätten sie bei nichtbewirtschafteten Dingen keinen Sinn.

Ministerpräsident Dr. Ehard empfiehlt in diesem Zusammenhang dem Herrn Landwirtschaftsminister, die Milchablieferung in Taufkirchen an der Vils sofort überprüfen zu lassen, da er Anlaß habe anzunehmen, daß dort vieles nicht in Ordnung sei.

V. Personalangelegenheiten

1.) Der Ministerrat erklärt seine Zustimmung zur Ernennung des Direktors der Zweiganstalt Nürnberg der Landeszentralbank von Bayern, Josef Höchstetter, zum Leiter der Bayerischen Disconto-Bank.28

2.) Überführung ehemaliger über 50 Jahre alter Angestellter des Reichsnährstandes in das bayerische Beamtenverhältnis

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, Herr Landtagspräsident Dr. Horlacher habe sich wegen der Übernahme des Landwirtschaftsrats Dr. Riemerschmid29 und der Assistentin Anna Neumaier, ehemaliger Beamter des Reichsnährstands, in das Beamtenverhältnis an ihn gewandt und darauf hingewiesen, daß beide Gegner des Nationalsozialismus gewesen seien, Dr. Riemerschmid sogar mehrmals verhaftet worden sei.

Staatsminister Dr. Kraus erklärt, er habe Tausende von Reichsbeamten, die bayerische Beamte werden wollten, und Bayern sei keinesfalls in der Lage, hier alle Wünsche zu erfüllen.30 Es werde Sache des neuen Bundesstaates sein, für die ehemaligen Reichsbeamten zu sorgen. Wenn er bei Dr. Riemerschmid eine Ausnahme mache, so werden sich Hunderte von anderen Leuten darauf berufen und man käme in größte Schwierigkeiten.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller sowie Staatsminister Dr. Schlögl setzen sich für Dr. Riemerschmid ein und ersuchen den Finanzminister, seine Bedenken zurückzustellen.

Schließlich wird beschlossen, den Fall vorläufig noch zurückzustellen und später auf ihn zurückzukommen.

[VI.] Landtagsgebäude im Maximilianeum

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, es sei dringend notwendig, sobald als möglich die Bauarbeiten am Maximilianeum zum Abschluß zu bringen.31 Er bitte festzustellen, wie nun eigentlich die Verhandlungen mit der Stiftung Maximilianeum ständen,32 vielleicht sei es das zweckmäßigste, wenn sich Herr Justizminister Dr. Müller mit Ministerialrat Roemer33 darüber bespreche.

Staatssekretär Dr. Sattler teilt mit, in den letzten Tagen sei ein Kompromiß dahin zustande gekommen, wonach die Studenten wenigstens noch einige Zeit in dem Gebäude verbleiben könnten. Er glaube, daß die Sache im wesentlichen als erledigt betrachtet werden dürfte.34

[VII.] Parlamentarischer Rat in Bonn

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, am 5. November 1948 habe bei ihm eine eingehende Besprechung über die Frage stattgefunden, welche Stellungnahme seitens Bayerns bezüglich der Gestaltung der Finanzen im zukünftigen Bund eingenommen werden solle.35 Dabei müsse man unterscheiden zwischen den Finanzquellen, der Gesetzgebung und der Verwaltung. Eine Redaktionskommission habe nun auf Grund der gestrigen Besprechungen einen ausführlichen Entwurf ausgearbeitet, über den man sich jetzt im Ministerrat unterhalten könne.

Staatssekretär Dr. Müller führt aus, der Entwurf gliedere sich im wesentlichen in vier Abschnitte:

Besatzungskosten (Bund oder Länder),

Zoll- und Steuergesetzgebung,

Zoll- und Steuerverwaltung,

Steuerschwache bzw. steuerstarke Länder.36

Der Ministerrat berät in eingehender Aussprache den ihm vorliegenden Entwurf, der in seinen wesentlichen Darlegungen einhellige Zustimmung findet, und stellt fest, daß er als Grundlage für die von Bayern einzunehmende Haltung in der Finanzfrage dienen könne.37

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
In Vertretung
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister