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Nr. 97MinisterratssitzungMontag, 6. Februar 1950 Beginn: 16 Uhr 45 Ende: 18 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Staatssekretär Dr. Konrad (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium), Ministerialrat Leusser (Bayer. Staatskanzlei), Ministerialrat von Miller1 (Oberste Baubehörde), Ministerialrat Dr. Barbarino2 (Finanzministerium), Präsident Dr. Grasmann3 (Landeszentralbank).

Entschuldigt:

Stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Bundesangelegenheiten. II. Wohnungsbau. [III. Bereitstellung von Mitteln im Vorgriff auf den neuen Haushaltsplan]. [IV. Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung].

I. Bundesangelegenheiten

Ministerialrat Leusser berichtet, die Tagesordnung für die nächste Bundesratssitzung liege zwar noch nicht vor,4 das Programm sei aber sehr groß und sämtliche Ausschüsse seien daran beteiligt. Die meisten Punkte, die im Plenum am Freitag behandelt werden sollten, seien allerdings noch nicht geklärt.

1. Gesetz über die Anerkennung freier Ehen rassisch und politisch Verfolgter5

Ministerialrat Leusser meint, dieser Entwurf sei wohl unbedenklich.

2. Gesetz über die Errichtung einer Bundesstelle für den Warenverkehr im Bereich der gewerblichen Wirtschaft6

Hier handle es sich vor allem darum, sich darüber klar zu werden, was eine Bundesoberbehörde sei, welche Befugnisse sie ausüben könne und ob hier eine solche Stelle überhaupt notwendig sei.7

Staatsminister Dr. Seidel ersucht, ihm gewisse Vollmachten zu erteilen, wenn er Bayern im Bundesrat vertrete. Er halte es für notwendig, die Frage dieser Bundesstelle noch an Ort und Stelle zu prüfen, bevor er sich endgültig entscheide.

3. Gesetz zur Erstreckung und Verlängerung der Geltungsdauer des Wirtschaftsstrafgesetzes8

Ministerialrat Leusser erklärt, es handle sich hier in der Hauptsache darum, das Wirtschaftsstrafgesetz auch im Land Rheinland-Pfalz in Kraft zu setzen; Bedenken bestünden nicht.

4. Gesetz über die Aufgaben des Bundes auf dem Gebiet der Seeschiffahrt9

5. Gesetz über die Schaffung eines besonderen Arbeitgebers für die unständigen Hafenarbeiter (Hafensonderbetrieb)10

Der Ministerrat beschließt, daß die Vertretung in diesen beiden Punkten, ebenso wie in den Punkten 2 und 3 durch das Wirtschaftsministerium erfolgen solle.11

6. Gesetz über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz)12

Staatssekretär Dr. Grieser stellt fest, daß die bayerische Regelung für die Heimkehrer schon längst durchgeführt und im übrigen wesentlich günstiger sei, als in dem Heimkehrergesetz vorgesehen.13 Er empfehle dringend, diesen Entwurf noch in den Ausschüssen, vor allem im Sozialpolitischen Ausschuß zu beraten.

Staatsminister Dr. Seidel schlägt vor, auf die bayerische Regelung hinzuweisen und jedenfalls zu versuchen, daß die Ausschüsse entsprechende Vorschläge ausarbeiten.

Es wird vereinbart, daß Herr Staatsminister Dr. Ankermüller die Sache im Bundesrat vertritt, worauf er noch ersucht, ihm möglichst bald eine Stellungnahme des B. Staatsministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge zu übermitteln.14

7. Erstes Wohnungsbaugesetz15

Ministerialrat Leusser weist darauf hin, daß Bundesminister Wildermuth diesen Gesetzentwurf unter Übergehung des Bundesrates bereits an den Bundestag gegeben habe.

Ministerialrat von Miller, Oberste Baubehörde, weist darauf hin, daß gegen den Entwurf schwere Bedenken bestünden, vor allem weil ein ganz neues Verfahren beabsichtigt sei, das niemand bekannt sei. Er befürchte, daß mit diesem Gesetz überhaupt nicht gebaut werden könne, das sei übrigens auch die Meinung aller Sachverständigen in allen Ländern. Vor allem beabsichtige Herr Bundesminister Wildermuth, mit dem er selbst verhandelt habe, ein neues Verfahren für die Bewilligung der Mittel einzuführen, das bedeute, daß zunächst überhaupt kein Bescheid herausgebracht werden könnte, bis die Richtlinien erschienen seien.16 Man müsse unbedingt zu erreichen versuchen, daß die Gelder nach den Bestimmungen der Länder verteilt würden, da nur auf diese Weise keine Stockung im Bauen eintreten würde.

Staatsminister Dr. Seidel gibt zu bedenken, daß nicht von bayerischer Seite aus der Bundeswohnungsbau durch Widerstände behindert werde.

Ministerialrat von Miller entgegnet, es sei die Absicht aller Länder, durchzusetzen, daß ihre Richtlinien maßgebend seien.17

Staatsminister Dr. Seidel meint, er habe gewisse Bedenken wegen der parteipolitischen Zusammensetzung der Wiederaufbauminister. Wenn allerdings auch Bayern schwerwiegende Einwendungen zu erheben habe, müßten sie geltend gemacht werden.

Staatsminister Dr. Ankermüller erklärt nachdrücklich, diese Bedenken seien tatsächlich sehr schwerwiegend, sie würden von allen Sachverständigen in der Arbeitsgemeinschaft geteilt.

Ministerialrat von Miller fügt ergänzend hinzu, der Gesetzentwurf der SPD wahre erstaunlicherweise die Rechte der Länder viel mehr, als der Entwurf der Bundesregierung.18 Er glaube, Bundesminister Wildermuth habe unnötigerweise diesen Entwurf zu einer Prestigesache gemacht. Er müsse es jedenfalls bedauern, daß jetzt neue Schwierigkeiten aufträten, nachdem sich das Verfahren in Bayern sehr gut eingespielt habe.

Das Kabinett beschließt, diesen Punkt durch Herrn Staatsminister Dr. Seidel vertreten zu lassen.19

8. Gesetz über den Bundesfinanzhof20

Es wird festgestellt, daß hier keine Bedenken bestehen.

9. Gesetz über die Finanzverwaltung21

Staatssekretär Dr. Müller erklärt, hier habe das Staatsministerium der Finanzen Einwendungen zu erheben, der Entwurf werde am Donnerstag nochmals im Finanzausschuß besprochen.22

10. Gesetz zur Regelung der Kriegsfolgelasten23 In dieser Sache ist nichts weiteres veranlaßt.

11. Gesetz über den Lohnsteuerjahresausgleich für das Kalenderjahr 194924

12. 2. Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über eine landwirtschaftliche Betriebszählung im Vereinigten Wirtschaftsgebiet25

13. Entwurf einer Anordnung über Stundung und Vergütung von Tabaksteuern für Zigarren26

Zu diesen drei Punkten wird festgestellt, daß Einwendungen nicht zu erheben sind.

14. Bewilligungen für Straßenunterhalt und Straßenbau27

Ministerialrat Leusser teilt mit, daß hiezu noch keine Unterlagen vorhanden seien. Vorläufig sei die Sache wohl nicht besonders dringlich.

Der Ministerrat beschließt sodann, daß die Bayer. Staatsregierung durch Herrn Staatsminister Dr. Seidel bzw. Herrn Staatssekretär Geiger und Herrn Staatssekretär Dr. Müller vertreten werden solle.

II. Wohnungsbau28

Ministerialrat von Miller berichtet, im Jahre 1949 seien insgesamt 197 Millionen DM an öffentlichen Mitteln für Baumaßnahmen vergeben worden, wozu noch etwa 100 Millionen DM privates Kapital käme. Die Zahl der beschäftigten Bauarbeiter steige fortwährend, allerdings habe in letzter Zeit auch die Zahl der arbeitslosen Bauarbeiter zugenommen. In Bayern habe man im Jahre 1949 auf [19]50 45000 Wohnungen gebaut, von denen 35000 durch die öffentliche Hand gefördert worden seien. Dazu kämen noch 20000 Wohnungen, die bereits unter Dach seien, so daß man fast auf 70000 komme. Die Erfolge seien tatsächlich so groß, daß man sie gar nicht bekanntgeben dürfe, weil sonst unter Umständen die Mittel des Bundes gekürzt würden. Besonders fördernd wirkte sich die Befreiung von der Grundsteuer aus, dann auch die Verordnung zur Behebung der Baulust. Es sei natürlich jetzt notwendig, auch für das nächste Jahr entsprechende Mittel zur Verfügung zu stellen.

Um Bundesmittel zu erhalten, sei es bekanntlich erforderlich, von Bayern aus ca. 70 Millionen bereitzustellen und zwar schon mit Beginn des Baujahres. Das Bauprogramm sei bereits ausgeschrieben, auch die Anträge lägen schon vor, so daß sofort mit dem Bau begonnen werden könne, wenn die entsprechenden Mittel bereitstünden.

Die Oberste Baubehörde müsse mit Nachdruck darauf bestehen, daß die Baunotabgabe verlängert werde; dabei sei erfreulich, daß sich jetzt auch die Gewerkschaften dafür ausgesprochen hätten. An weiteren Mitteln wolle das Finanzministerium 30 Millionen zur Verfügung stellen, dazu kämen noch 5 Millionen aus dem Fußballtoto. Die Oberste Baubehörde müsse aber jetzt schon wissen, mit welchem Gesamtbetrag sie rechnen könne, wenn auch die Beträge erst im Laufe des Jahres benötigt würden.

Staatssekretär Dr. Müller erklärt, das Finanzministerium habe sich zu einer Herabsetzung der Baunotabgabe in der Landwirtschaft von 5 auf 4 von Tausend bereitgefunden, zu weiteren Konzessionen sei es aber nicht in der Lage.

Staatsminister Dr. Hundhammer versichert, in der Fraktion für die Baunotabgabe sich einsetzen zu wollen. Die Schwierigkeiten gingen natürlich in der Hauptsache von der Landwirtschaft aus, er glaube aber, auch die bäuerlichen Mitglieder der Fraktion überzeugen zu können.29 Zweifellos sei die Arbeitslosigkeit eine soziale Gefahr, die auch vor der Landwirtschaft nicht haltmachen werde.

Staatsminister Dr. Schlögl schlägt vor, die Baunotabgabe in der Landwirtschaft auf Wohnhäuser und Ställe zu beschränken, während die übrigen Gebäude, wie Stadel, Schupfen usw. frei bleiben sollten.

Staatssekretär Dr. Müller lehnt diesen Vorschlag ab mit dem Hinweis darauf, daß dann vollkommen neue Bescheide herausgegeben werden müßten, was zu großen Schwierigkeiten führe.

Staatsminister Dr. Schlögl regt dann weiter an, in den Gesetzentwurf eine Bestimmung hineinzunehmen, wonach auch kriegszerstörte landwirtschaftliche Anwesen berücksichtigt werden müßten.

Staatsminister Dr. Seidel erklärt, gegen diesen Vorschlag keine Bedenken zu haben.

Ministerialrat Dr. Barbarino weist darauf hin, daß Bayern 31,8 Millionen [DM] aus der Soforthilfe für diejenigen Fürsorgeleistungen erhalte, die bis zum Anlaufen der Soforthilfe gezahlt worden seien. Davon müßten 80% für den sozialen Wohnungsbau verwendet werden, während 20% zur freien Verfügung stünden; vielleicht sei hier eine Möglichkeit, der Landwirtschaft zu helfen.

Staatsminister Dr. Seidel schließt sich an und betont, die Landwirtschaft müsse die ihr zur Verfügung gestellten ERP-Mittel so rasch als möglich verwenden.

Der Ministerrat beschließt sodann, dem Gesetzentwurf über die Verlängerung der Baunotabgabe grundsätzlich zuzustimmen mit der Maßgabe, daß noch eine Bestimmung über die Berücksichtigung der kriegszerstörten landwirtschaftlichen Anwesen hereingenommen werde.30

[III.] Bereitstellung von Mitteln im Vorgriff auf den neuen Haushaltsplan

Staatssekretär Dr. Müller führt aus, das Staatsministerium der Finanzen habe drei Anträge vorbereitet und zwar

1. den schon in den vorhergehenden Ministerratssitzungen besprochenen Antrag vom 5. Januar 1950. Dieser Antrag könne sofort an den Landtag weitergegeben werden.

Der Ministerrat beschließt, diesen Antrag möglichst umgehend dem Bayer. Landtag zuzuleiten.31

Staatssekretär Dr. Müller fährt fort, der zweite Antrag lautet folgendermaßen:

„Die Staatsregierung wird ermächtigt, zur Förderung von Maßnahmen auf den Gebieten des landwirtschaftlichen Wasserbaues, der Wasserversorgung, der Abwasserbeseitigung und Verwertung Schuldverschreibungen der Bayer. Landesbodenkreditanstalt und der Bayer. Gemeindebank bis zum Betrag von 25 Millionen DM aus Kassenmitteln des Bayer. Staates anzukaufen und im Bedarfsfall nach den Bestimmungen des LZB Gesetzes vorübergehend beleihen zu lassen.“

Er habe mit Herrn Präsidenten Dr. Grasmann über diesen Antrag gesprochen. Die Möglichkeit für die Meliorationen hänge unbedingt davon ab, rund 25 Millionen zu erhalten.

Der Präsident der Landeszentralbank, Herr Dr. Grasmann, erklärt, er habe zu diesem Antrag gewisse Bedenken, die auch durch den letzten Satz nicht behoben seien. Nach dem Landeszentralbankgesetz sei es erforderlich, daß diese Papiere erst über den Markt gegangen seien, bevor sie beliehen werden können.

Nach längerer Aussprache wird beschlossen, den Antrag doch in der vom Finanzministerium vorgeschlagenen Form dem Bayer. Landtag vorzulegen.32

Staatssekretär Dr. Müller legt sodann noch den dritten Antrag des Finanzministeriums vor, der sich mit der Bereitstellung von Mitteln für den Straßen- und Brückenbau befaßt.

Ministerialrat Dr. Barbarino weist darauf hin, daß 1950 für die Autobahn und die früheren Reichs-, jetzt Bundesstraßen von Bayern aus nichts mehr geleistet werden müsse. Man könne nunmehr mehr für die Landstraßen I. Ordnung aufwenden.

Der Ministerrat beschließt, auch diesen Antrag dem Landtag vorzulegen.33

[IV. Mißbrauch der Arbeitslosenversicherung]

Präsident Dr. Grasmann weist darauf hin, daß die Beschäftigtenzahl in den letzten Monaten trotz der Zunahme der Arbeitslosigkeit gestiegen sei. Er halte es für notwendig, durch eingehende Untersuchungen festzustellen, ob die Gewährung von Arbeitslosenversicherung tatsächlich in allen Fällen berechtigt sei. Er könne sich auch nicht erklären, warum die Spareinnahmen ständig zunehmen.

Staatsminister Krehle erwidert, Arbeitslosenversicherung bekomme nur der, der eine Anwartschaft von 26 Wochen habe, außerdem müsse eine Bescheinigung des Arbeitgebers vorliegen. Vielleicht könne man 10 oder 15000 verheiratete Frauen feststellen, mehr ließe sich aber nicht erreichen.

Ministerpräsident Dr. Ehard schlägt vor, daß sich Herr Staatsminister Dr. Ankermüller und Herr Präsident Dr. Grasmann über diese Frage noch gesondert unterhalten sollten.

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
Im Auftrag
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister