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Nr. 112MinisterratssitzungMittwoch, 28. Juni 1950 Beginn: 15 Uhr 30 Ende: 18 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Verkehrsminister Frommknecht, Staatssekretär Dr. Konrad (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium), Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer,1 Würzburg, Oberregierungsrat Dr. Henle2 (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Innenminister Dr. Ankermüller, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Krehle, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Entwurf einer Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern. II. Bundesangelegenheiten. III. Personalangelegenheiten. IV. [Haushaltsdenkschrift des Finanzministeriums]. [V. Bericht über den gegenwärtigen Stand und den weiteren Ausbau der bayerischen Elektrizitätsversorgung]. [VI. Fall Nüsslein].

I. Entwurf einer Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern3

Ministerpräsident Dr. Ehard begrüßt Herrn Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer und dankt ihm für seine Bereitwilligkeit, vor dem Ministerrat seine Auffassung zu dem Entwurf der neuen Gemeindeordnung darzulegen.

Staatssekretär Dr. Schwalber berichtet sodann über das Entstehen des Entwurfs4 und führt aus:

Vor zwei Jahren sei eine Denkschrift über die Demokratisierung der Verwaltung abgefaßt worden,5 die die Zustimmung des Rechts- und Verfassungsausschusses des Bayer. Landtags gefunden habe. Auf dieser Denkschrift und auf verschiedenen ihrer Tendenz entsprechenden Beschlüssen des Landtags fuße nun der vorgelegte Entwurf.6 Die grundsätzlichen Linien seien bereits wiederholt durch den Herrn Innenminister in der Öffentlichkeit bekanntgegeben worden,7 unter anderem auch auf den Tagungen der kommunalen Spitzenverbände, wo sie eingehend besprochen worden seien.8 Auf eine kurze Formel gebracht könne man sagen, daß der Entwurf die Parole vertrete: Demokratisierung der Verwaltung. Er selbst könne aber nicht verhehlen, daß man genau so gut auch Kommunalisierung der Staatsverwaltung sagen könne. Dabei dürfe man aber keinesfalls vergessen, daß gerade Bayern eine sehr alte Tradition in der gemeindlichen Selbstverwaltung habe.9 Man müsse sich über die Tragweite des vorliegenden Entwurfs im klaren sein und jeder Schritt müsse wohl überlegt werden, handle es sich doch darum, die Form der Kommunalverwaltung endgültig zu regeln.

Staatssekretär Dr. Schwalber fährt fort, er wolle nun auf die Hauptgesichtspunkte des Entwurfs eingehen.

Art. 8 stelle das Prinzip auf, daß den Gemeinden in ihrem Gebiet die Wahrnehmung aller öffentlichen Aufgaben zustehe, die nicht auf Grund gesetzlicher Vorschrift von anderen Aufgabenträgern zu erfüllen seien oder erfüllt würden (sog. Allzuständigkeit).10 Von der in der alten bayerischen Gemeindeverfassung11 vorgesehenen Einrichtung der Ortschaften sei abgesehen worden.12 Außerdem werde entgegen dem Verlangen der kommunalen Spitzenverbände an der bisherigen Zweiteilung in den eigenen und übertragenen Wirkungskreis festgehalten,13 der ja auch in der Bayer. Verfassung verankert sei (Art. 9 und 10).14 Die Frage der verschiedenen Wirkungskreise sei natürlich in politischer Hinsicht bedeutungsvoll; denn hier handle es sich darum, wie weit der Staat sich noch in den Gemeinden durchsetzen könne.

Gemeindeverfassung:

Hier sei zum Teil die repräsentative, zum Teil die unmittelbare Demokratie vorgesehen (Art. 18[/1]),15 wobei im Gegensatz zu früher der Bürgermeister in sämtlichen Gemeinden ohne Rücksicht auf ihre Größe unmittelbar durch das Volk zu wählen sei.16 An sich stehe er persönlich bezüglich der Abgrenzung von repräsentativer und unmittelbarer Demokratie auf dem Standpunkt, daß sich nicht eines für alle schicke und den Bedürfnissen der verschiedenen Gemeinden Rechnung getragen werden sollte. Es sei nun einmal jetzt zwischen Großstädten und Landgemeinden ein wesentlicher Unterschied vorhanden.

Art. 18/2 sehe die Abberufung des Gemeinderats und des 1. Bürgermeisters vor Ablauf der Wahlzeit durch Gemeindeentscheide vor, wenn 1/4 der Gemeindebürger dies schriftlich beantragen.17 Diese Bestimmung sei auf Grund eines Landtagsbeschlusses aufgenommen worden, er könne sie nur als sehr bedenklich bezeichnen, insbesondere, wenn man die politischen Vorgänge in einigen Städten in der letzten Zeit betrachte.18

Das Mitberatungsrecht der Gemeindebürger mit Hilfe von Bürgerversammlungen19 sei in Art. 19 verankert,20 nachdem aber nur von einer Beratung die Rede sei, gebe die Bestimmung zu keinen Bedenken Anlaß. Dagegen sei der Art. 20 äußerst zweifelhaft,21 der den Sachentscheid der Gemeinde vorsehe, d.h., daß wichtige Gemeindeangelegenheiten unter bestimmten Voraussetzungen der Entscheidung der Gemeindebürger zu unterstellen seien. Man müsse befürchten, daß der Gemeinderat auf diesem Umweg sich vor schwerwiegenden Entscheidungen drücken und die Zuflucht in die Anonymität eines Volksentscheids suchen werde.

Die repräsentative Verwaltung der Gemeinden sei in den Art. 30 ff. geregelt. Art. 3522 sehe z.B. vor, daß der 1. Bürgermeister in Gemeinden bis zu 10000 Einwohner ehrenamtlich, in größeren Gemeinden berufsmäßig tätig sei. Diese Einrichtung sage ihm persönlich nicht zu, da ja mit Rücksicht auf die besonderen Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden es diesen selbst überlassen bleiben müßte, ob sie sich für einen ehrenamtlichen oder berufsmäßigen Bürgermeister entscheiden wollten. Die Amtszeit der Bürgermeister sei auf 4 bzw. 6 Jahre festgesetzt. Auch diese Regelung müsse noch genau überlegt werden; denn die Erfahrung habe gezeigt, daß es sehr schwer sei, wirklich erfahrene Verwaltungsbeamten zu finden, nachdem deren Amtszeit so kurz befristet sei und sie keinerlei Gewißheit über ihre weitere Zukunft hätten.

Von den berufsmäßigen Gemeinderatsmitgliedern handle Art. 39,23 der deren Zahl festsetze und bestimme, daß sie nur beratende Stimme hätten. Gerade darüber hätte eine Reihe von Besprechungen stattgefunden und die jetzige Regelung stelle einen Kompromiß dar.

Die Kreisfreiheit werde in Art. 7 in der Weise geregelt, daß sie mit Genehmigung des Landtags durch Rechtsverordnung der Staatsregierung verliehen werde.24

Besonders große Bedenken habe er auch gegen die Art. 58 ff., in denen besondere Bestimmungen für kreisfreie Städte über 100000 Einwohner enthalten seien. Unter anderem sei vorgesehen, daß die Großstädte in Stadtbezirke aufzuteilen seien, für die eigene Verwaltungsorgane gebildet werden müßten.25 Seiner Meinung nach könne in modernen Großstädten nur eine einheitliche Stadtverwaltung wirklich wirksam arbeiten; wenn man natürlich auch berücksichtigen müsse, daß durch die Einrichtung kleiner Stadtbezirke die Großstadtbürger näher an die Stadt und ihre Einrichtungen herangebracht werden könnten.

Das Prinzip sei insoferne etwas gelockert worden, als die Stadtbezirke nicht mehr Verwaltungseinheiten darstellen, sondern nur durch den Stadtrat für eine selbständige Erledigung geeignete Gemeindeangelegenheiten übertragen bekommen könnten.26 Der Städteverband habe sich gegen diese Bestimmung sehr entschieden ausgesprochen, sein Bestreben gehe auf alle Fälle dahin, aus Art. 58 eine Kann-Vorschrift zu machen.27 Soweit er Einblicke habe, werde aber keine Großstadt daran denken, von dieser Kann-Vorschrift dann auch wirklich Gebrauch zu machen. Man müsse sich darüber klar sein, daß Art. 58 ff. in den Kommunen größte Unruhe hervorgerufen hätten.28

Von den wirtschaftlichen Bestimmungen verweise er auf Art. 66 ff., die von den Gemeindenutzungsrechten handelten.29 Die Bedeutung der Nutzungsrechte sei in den verschiedenen Teilen verschieden, am größten sei sie in Oberbayern und hier wieder im Gebirge. Art. 67 bestimme,30 daß Nutzungsrechte gegen Entschädigung aufgehoben werden könnten, wenn die Mehrheit der Berechtigten zustimme oder wenn ein überwiegendes Interesse der Gesamtheit die Aufhebung erfordere. Diese Bestimmung werde zweifellos bei den Nutzungsberechtigten auf schärfsten Widerstand stoßen, wozu noch komme, daß auch Art. 67 Abs. 2, der die Ablösung regle, vorsehe, daß der Reinertrag der letzten 10 Jahre zu berücksichtigen sei, also ein Zeitraum, wo die Verhältnisse keineswegs normal gewesen seien. Im übrigen sei ja auch noch nicht geklärt, wo das Geld für die Ablösung der Rechte herkommen solle.

Er halte es für ausgeschlossen, daß die Gemeinden oder der Staat diese Summen aufbringen könnten.

Sehr sorgfältig zu überlegen seien auch die Art. 72 ff., die von der wirtschaftlichen Betätigung der Gemeinden handelten.31 Unter anderem werde bestimmt, daß die Gemeinde wirtschaftliche Unternehmen nur errichten, übernehmen oder wesentlich erweitern dürfe, wenn der öffentliche Zweck das Unternehmen rechtfertige und es nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Gemeinde und zum voraussichtlichen Bedarf stehe. Man dürfe sich nicht verhehlen, daß in den Bestimmungen dieses Abschnitts eine gewisse Tendenz zur Sozialisierung unverkennbar sei.

Die staatliche Aufsicht werde durch die Art. 103 ff. bestimmt,32 sie sei wesentlich eingeschränkt, trotzdem habe sich der Städteverband für eine noch weitere Einschränkung ausgesprochen.33

Diese Aufzählung enthalte die wesentlichsten Punkte, die zu Meinungsverschiedenheiten Anlaß geben. Er dürfe wohl annehmen, daß das Kabinett damit einverstanden sei, wenn man die sonstigen Bestimmungen, über die Einmütigkeit bestehe, im einzelnen nicht mehr behandle.

Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer dankt zunächst dem Herrn Ministerpräsidenten und Herrn Staatssekretär Dr. Schwalber, daß ihm Gelegenheit gegeben werde, vor dem Ministerrat seine Auffassung zu der Gemeindeordnung darzulegen.34

Der Entwurf sei eine brauchbare Grundlage für eine gute neue Gemeindeordnung. Trotzdem habe er an einer Reihe von Bestimmungen Kritik üben und auch darauf hinweisen müssen, daß es bedenklich sei, diesen Entwurf noch dem Landtag vor den Neuwahlen zuzuleiten, weil kaum noch Zeit sei, alle Bestimmungen gründlich zu beurteilen.

Die Denkschrift zur Demokratisierung der Verwaltung35 sei weitgehend durch die Besatzungsmacht beeinflußt worden, deren Einfluß gerade auf diesem Gebiet auch heute noch sehr stark sei,36 was z.B. schon daraus hervorgehe, daß die Neue Zeitung zu allen Fragen der Gemeindeordnung höchst einseitig Stellung nehme.37

Leider müsse er feststellen, daß bisher von deutscher Seite keine entsprechende Erwiderung erfolgt sei. Er halte es für notwendig, die Öffentlichkeit bewußt und eingehend aufzuklären und der Bevölkerung zu zeigen, wie die Regelung der gemeindlichen Angelegenheiten früher gewesen sei.

Von Anfang an hätten die Vertreter der Besatzungsmacht versucht, eine falsche Auffassung über die frühere Gemeindeordnung in das bayerische Volk hineinzubringen. In Wirklichkeit sei ja gerade in Deutschland die Gemeinde ein Gebilde eigener Substanz gewesen, sogar in der Zeit des absolutistischen Fürstenstaates, später habe Freiherr vom Stein38 den Gedanken der gemeindlichen Selbstverwaltung wieder zum Leben erweckt, während in Bayern schon vor 100 Jahren als Sprecher dieser Gesinnung Staatsrat Zentner39 in geradezu klassischer Weise diese Gedanken formuliert habe.40

Die Gemeindeordnung von 186941 habe diese Tradition übernommen, während seit 1878 die Verwaltungsgerichtsbarkeit das Eigenleben der Gemeinden gesichert habe.42 Die wesentlichen Dinge seien in mustergültiger und ausreichender Weise geschützt worden, eine Tatsache, der sich die Gemeinden auch durchaus bewußt gewesen seien. Er selbst habe dann das Entstehen der Gemeindeordnung von 1927 miterlebt,43 die wesentlich ein Werk von Geheimrat Laforet44 gewesen sei. Über diese ganze Entwicklung, auf die Bayern tatsächlich stolz sein könne, herrsche bei den Amerikanern völlige Ahnungslosigkeit. Er halte es deshalb für dringend notwendig, mit dem neuen Landeskommissar, Mr. Shuster, sobald als möglich ins Gespräch zu kommen und ihm zu zeigen, wie tatsächlich die historische Entwicklung der Gemeinden in Bayern gewesen sei und welche Rechte diese von jeher gehabt hätten. Interessant sei auch, daß entgegen den üblichen Behauptungen der Staatszentralismus in anderen Ländern, z.B. in den Vereinigten Staaten oder in England, wo die Gemeinden für alles eine Ermächtigung des Unterhauses bräuchten, viel größer sei wie in Deutschland.

Man müsse sich darüber klar sein, daß die Amerikaner von all diesen Dingen nichts wüßten,45 ebensowenig die meisten Deutschen, weshalb man unbedingt die öffentliche Meinung aufklären müsse. Vielleicht könne der Herr Ministerpräsident ein öffentliches Gespräch darüber veranstalten. Er selbst sei der Meinung, daß die Demokratie auf das äußerste gefährdet sei. Zum Begriff des Föderalismus gehöre der Aufbau des Staates von unten, deshalb müsse man auch alles versuchen, um die tüchtigsten Männer und Frauen zur Mitarbeit in der Gemeinde zu bewegen. Die Bevölkerung verlange mit Recht eine leistungsfähige, korrekte und sparsame Verwaltung.

Mit besonderem Nachdruck müsse er feststellen, daß die Gemeindeordnung von 1927 in jeder Weise vorbildlich sei. So habe sie z.B. das Einkammer-System hervorragend durchgeführt, also die Zusammenarbeit von berufsmäßigen und von durch das Volk gewählten Stadträten.46 Im Gegensatz dazu sei der Entwurf des Ministeriums des Innern stark durch Gespräche mit den Amerikanern beeinflußt und habe sich deren Schlagwort vom Kampf gegen die Gemeindebürokratie zu eigen gemacht.47 Die Zusammenarbeit, wie sie die Gemeindeordnung 1927 eingeführt habe, habe es möglich gemacht, daß junge Leute in diesem Gedanken der Selbstverwaltung aufgegangen seien und ihn zu ihrer Herzenssache gemacht hätten. Er erinnere daran, daß der frühere Oberbürgermeister von Nürnberg, Dr. Luppe,48 die verschiedensten Arten des preußischen Gemeindeverfassungsrechts49 kennengelernt habe und mit großer Skepsis gegenüber der bayerischen Regelung von Frankfurt nach Nürnberg gekommen sei. Nachdem Dr. Luppe zwei Jahre mit der bayerischen Gemeindeordnung gearbeitet habe, gab er bei jeder Gelegenheit auch außerhalb Bayerns bekannt, daß nach seiner Überzeugung die bayerische Regelung die ideale Lösung sei.

Die bayerische Gemeindeverfassung sei ein hervorragendes Mittelding zwischen der autoritären Bürgermeisterverfassung und der schwerfälligen Magistratsverfassung und habe dadurch eine Amtsführung erreicht, die die rascheste und lebendigste sei, die man sich vorstellen könne. Die bayerischen Städte seien der Meinung, daß hier gerade in Bayern eine großartige Tradition herrsche und man eine Gemeindeverfassung habe, die die beste Form überhaupt sei, die es jemals in Deutschland gegeben habe. Wenn das Dritte Reich nicht gekommen wäre,50 hätte zweifellos die bayerische Gemeindeverfassung Schule gemacht und sich überall durchgesetzt. Es sei ihm völlig unverständlich, daß man überhaupt den Entwurf einer neuen Gemeindeordnung vorgelegt habe, ohne in der Begründung ein einziges Wort über die bisherige Entwicklung und die alte Gemeindeordnung zu sagen. Der Städtetag stehe auf dem Standpunkt, daß es darauf ankomme, tüchtigen Leuten nicht die Freude daran zu nehmen, den Beruf eines Stadtrats zu ergreifen. Wer sich für diesen Beruf entscheide, müsse tatsächlich das Gefühl haben, vollwertiges Mitglied des Stadtratskollegiums zu sein; die Frage des Stimmrechts selbst spiele dann keine allzu wichtige Rolle. Nur auf diese Weise könne wirklich erreicht werden, daß qualifizierte Kräfte gefunden würden.

Was die Frage der sogenannten Allzuständigkeit (Art. 8)51 betreffe, so sei ihm diese natürlich nicht neu. Wie weit man den Bürgermeister selbst herausstellen wolle, sei dagegen ein anderes Problem. Man könnte dabei an einen Vergleich mit der Stellung des Bundeskanzlers nach dem Grundgesetz und des bayerischen Ministerpräsidenten nach der Bayer. Verfassung denken.52 Bezüglich der Staatsaufsicht könne er Herrn Staatssekretär Dr. Schwalber durchaus zustimmen,53 da er sich darüber im klaren sei, daß auch der Staat seine Rechte und Möglichkeiten ausüben müsse.

Im übrigen sei es unmöglich, in dieser Legislaturperiode auch noch die Kreisordnung54 durchzubringen. Er halte es aber für höchst bedenklich, eine Gemeindeordnung ohne die Kreisordnung zu schaffen und befürchte die größten Schwierigkeiten.

Zu der Frage des übertragenen Wirkungskreises wolle er nur feststellen, daß sie in diesem Entwurf noch nicht geklärt sei. Er müsse nochmals betonen, daß die Gemeindeordnung von 1927 ein einheitliches Gemeindeverfassungsrecht geschaffen habe, das durch Einzelbestimmungen die Verschiedenheiten in den Gemeinden vorzüglich geregelt habe.

Wenn man an eine so schwierige Aufgabe, wie die Schaffung einer neuen Gemeindeordnung gehe, dürfe man nichts übersehen, auch nicht die Gefahren der unmittelbaren Demokratie, die sich z.B. im Falle Ansbach gezeigt hätten.55 Man könne es sich unter den gegenwärtigen Umständen einfach nicht leisten, nach dieser Richtung etwas Überflüssiges zu tun. In Unterfranken z. B. sei von allen Seiten einmütig gegen die in Art. 1856 vorgesehene Abberufung des Bürgermeisters Stellung genommen worden. Auch Art. 20,57 der den Sachentscheid der Gemeindebürger vorsehe, sei höchst bedenklich, denn schließlich sei es nun einmal so, daß wichtige Entscheidungen doch nur von sachkundigen Leuten getroffen werden könnten. Er persönlich werde jedenfalls mit allen Mitteln für die repräsentative Demokratie eintreten. Die Stellung des ersten Bürgermeisters müsse stark ausgebaut werden, dabei könne man es ruhig den einzelnen Städten überlassen, ob sie sich für berufsmäßige oder ehrenamtliche Bürgermeister entscheiden wollen. Durch Paragraphen allein könne man derartige Entscheidungen den Städten nicht vorwegnehmen. Dabei wolle er nur an München erinnern, wo die Oberbürgermeister Schmid58 und Scharnagl59 ehrenamtlich tätig gewesen seien. Wenn allerdings die Ehrenamtlichkeit nur formell sei, dann handle es sich in Wirklichkeit doch um einen hauptamtlichen Bürgermeister. Auf alle Fälle trete er aber dafür ein, daß man hier den Städten die Möglichkeit gebe, nach eigenem Ermessen zu entscheiden.

Notwendig sei es übrigens auch, die Stellung des zweiten Bürgermeisters klarer festzulegen, als dies in Art. 37 des Entwurfs geschehen sei.60 In einer großen Verwaltung sei es undenkbar, daß nur ein Mann an der Spitze stehe. Deshalb spreche er sich dafür aus, auch einen zweiten Bürgermeister hauptamtlich zu machen. In der Gemeindeordnung von 1927 sei vorgeschrieben gewesen, daß ein hauptamtlicher zweiter Bürgermeister bestellt werden müsse, der keineswegs aus dem Stadtrat selbst stammen mußte.61

Staatssekretär Dr. Schwalber macht darauf aufmerksam, daß sich die Staatsaufsicht nicht mehr an den Bürgermeister richte, sondern an die Gemeinde selbst, eine Regelung, die zu erheblichen Schwierigkeiten führen könne.62

Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer setzt sich dann mit der vorgesehenen Aufteilung der Großstädte auseinander63 Er halte es für einen vollständigen Leerlauf, diese Regelung durchzuführen, die zweifellos erhebliche Gelder verschlingen und tatsächlich nichts erreichen werde. Wenn man schon daran denke, die §§58 ff. zu Kann-Vorschriften zu machen, dann wäre es besser, diesen ganzen Abschnitt überhaupt herauszulassen, der tatsächlich keinen Sinn habe. Die Ablehnung dieser Regelung sei bei allen Großstädten einmütig erfolgt.

Ministerpräsident Dr. Ehard dankt Herrn Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer für seine Ausführungen und bittet, noch einzelne Fragen an ihn zu richten. Er selbst sei auch der Auffassung, daß es völlig unmöglich sei, die Gemeindeordnung ohne ausführliche Begründung vorzulegen, in der auch auf die ganze historische Entwicklung des Gemeindeverfassungsrechts eingegangen werde. Hierbei dürfe man sich nicht nur auf Erörterungen der einzelnen Bestimmungen beschränken, sondern müsse auch eine ausführliche Darlegung des eigenen Standpunkts beifügen. Zweifellos werde von amerikanischer Seite versucht werden, den vorliegenden Referentenentwurf des Innenministeriums mit allen Mitteln durchzusetzen. Als Gegengewicht halte er es für erforderlich, eine historische Einleitung der Begründung zu bringen, ungefähr in der Art, wie es Herr Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer soeben meisterhaft getan habe. Er bitte den Herrn Oberbürgermeister, dabei behilflich zu sein; denn diese Einleitung sei wirklich von besonderer Wichtigkeit und könne auch dazu beitragen, die Bevölkerung entsprechend aufzuklären.64

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller wirft die Frage auf, ob es überhaupt zweckmäßig sei, noch in dieser Sitzungsperiode des Landtags die Gemeindeordnung vorzulegen. Er persönlich halte die Zeit überhaupt schon für zu knapp und rate ab, es noch mit dem jetzigen Landtag zu versuchen. Vielleicht könne man zunächst den Ausweg gehen, ein Gutachten des Senats einzuholen.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, das werde ohnehin geschehen, zumal ihn der Präsident des Senats ausdrücklich darum gebeten habe. Trotzdem müsse man aber vom Kabinett aus einen Abschluß herbeiführen, sich vorher aber noch intensiv mit den strittigen Problemen auseinandersetzen.

Staatsminister Dr. Hundhammer führt aus, er stimme mit dem Herrn Ministerpräsidenten überein, daß auf die Begründung besonderes Gewicht gelegt werden müsse. Andererseits glaube er auch, daß es schwer möglich sein werde, den Entwurf noch im jetzigen Landtag durchzubringen. So wie der Entwurf jetzt dem Kabinett vorliege, gebe er zu den größten Bedenken Anlaß und die Kritik des Herrn Oberbürgermeisters Dr. Stadelmayer, ebenso wie die des Herrn Staatsrats Dr. Meinzolt65 müsse entsprechend gewürdigt werden.66 Alles, was heute im Ministerrat an Bedenken vorgetragen worden sei, müsse unter allen Umständen berücksichtigt werden, insbesondere die Frage der Aufteilung der Großstädte, die Stellung der Bürgermeister, die verschiedenen Formen der unmittelbaren Demokratie usw.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, vor der Zuleitung an den Senat brauche man noch die Stellungnahme der einzelnen beteiligten Ministerien und zwar für die Gebiete, auf denen bei den verschiedenen Ressorts besonderes Interesse bestehe67 Das werde wohl nicht allzuviel Zeit in Anspruch nehmen, er bitte aber, diese Äußerungen beschleunigt herbeizuführen. Heute könne man sich wohl darauf beschränken, allgemein grundsätzliche Fragen zu besprechen und das andere zurückzustellen.

Staatssekretär Dr. Schwalber gibt zu bedenken, daß es eigentlich wohl das richtigste gewesen wäre, die Gemeindeordnung von 1927 mit gewissen Modifikationen zu übernehmen. Daß dies nicht geschehen sei, gehe im wesentlichen wohl auf den Einfluß der Besatzungsmacht zurück. Allerdings könne man auch nicht gut den Herrn Innenminister desavouieren, der sich sehr stark für die Denkschrift zur Demokratisierung der Verwaltung und nun für den Entwurf eingesetzt habe. Auch heute noch sei die Gemeindeordnung für die Amerikaner außerordentlich interessant.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, die Denkschrift sei vielleicht auch in gewisser Weise ein Blitzableiter gewesen, zumal sie ja stark von den Amerikanern beeinflußt gewesen sei. Zusammenfassend bitte er nochmals, die Äußerungen der einzelnen Ministerien bald zu übersenden und außerdem eine Begründung zu entwerfen, die auf den Ausführungen des Herrn Oberbürgermeisters Dr. Stadelmayer fuße, aber im Ministerrat noch besprochen werden müsse.

Auf Frage von Oberbürgermeister Dr. Stadelmayer antwortet Staatssekretär Dr. Schwalber, man werde sicher auf Seiten der Amerikaner auf großen Widerstand stoßen, wenn man versuchen wolle, eine längere Amtszeit der Bürgermeister festzusetzen, wenn dies auch zweifellos zu begrüßen sei.68

II. Bundesangelegenheiten

1. Oberregierungsrat Dr. Henle berichtet, Herr Staatsrat Rattenhuber69 habe mitgeteilt, daß die Tagesordnung der nächsten Bundesratssitzung um 6 weitere Punkte vermehrt worden sei;70 dabei handle es sich mit Ausnahme von einer Sache um Angelegenheiten, die dem Bundesrat von der Bundesregierung überhaupt noch nicht zugestellt worden seien. Staatsrat Rattenhuber bitte deshalb den Ministerrat um einen Beschluß, daß die neuen Punkte von der Tagesordnung abgesetzt werden sollen. Erörtert sei bisher lediglich das Volkszählungsgesetz,71 bei dem es sich um einen Rückläufer handle und das keine Schwierigkeiten biete. Auch gegen die Anordnung über den Warenverkehr über die Zonengrenze seien keine Einwendungen zu erheben.72

2. Oberregierungsrat Dr. Henle fährt fort, der Wirtschaftsausschuß habe sich mit der Ernennung eines Stellvertreters für Professor Dr. Preller73 im Kapitalverkehrsausschuß74 befaßt. Minister Dr. Hilpert75 habe als seinen Vertreter Senator Dudek76 vorgeschlagen, infolgedessen müßte von Seiten der amerikanischen Zone als Vertreter Professor Prellers eine Persönlichkeit, am besten aus Bayern, vorgeschlagen werden. Es wird vereinbart, daß über diese Frage Herr Staatsminister Dr. Seidel oder Herr Staatssekretär Geiger nochmals persönlich mit Minister Hilpert sprechen sollen.77

3. Für den Verwaltungsbeirat der Bundesauskunftsstelle für den Außenhandel müssen drei Vertreter bestellt werden.78 Staatssekretär Geiger wird beauftragt, einen bayerischen Vertreter vorzuschlagen.

4. Der Ministerrat befaßt sich sodann mit der Frage, welche Bundesoberbehörden von bayerischer Seite aus angefordert werden sollen.79

Es besteht Übereinstimmung darüber, daß von besonderer Wichtigkeit die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung sei und daß versucht werden müsse, hier in den zuständigen Ausschüssen Einfluß zu gewinnen.80

III.Personalangelegenheiten

Der Ministerrat beschließt, der Ernennung des Angestellten Dr. Vinzenz Koppert81 zum Oberregierungsrat und Leiter des Landesamts für Kurzschrift zuzustimmen.82

IV. Haushaltsdenkschrift des Finanzministeriums

Ministerpräsident Dr. Ehard beanstandet, daß die Denkschrift des B. Staatsministeriums der Finanzen zum Haushaltsplan83 Mitgliedern des Haushaltsausschusses des Bayer. Landtags zugeleitet worden sei, obwohl sie weder vom Finanzministerium selbst, noch vom Kabinett bisher gebilligt worden sei. Er ersuche dringend, solche vorzeitigen Veröffentlichungen in Zukunft zu unterlassen.

[V.] Bericht über den gegenwärtigen Stand und den weiteren Aushau der bayerischen Elektrizitätsversorgung

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, das gleiche sei mit diesem Bericht der Obersten Baubehörde geschehen,84 der ebenfalls ohne Unterrichtung der beteiligten Ministerien und ohne daß diese Gelegenheit gehabt hätten, dazu Stellung zu nehmen, im Geschäftsordnungsausschuß des Landtags verteilt worden sei.

Es sei unmöglich, in derartigen wichtigen Fragen ohne Verständigung des Ministerrats mehr oder weniger vollendete Tatsachen zu schaffen. In Zukunft müsse er darauf bestehen, daß alle derartigen Berichte oder Denkschriften zum mindesten zunächst der Staatskanzlei zugingen, die dann dafür sorgen werde, daß die beteiligten Ressortministerien Gelegenheit hätten, sich zu äußern.

Staatsminister Dr. Seidel fügt hinzu, er habe von diesem Bericht der Obersten Baubehörden keine Ahnung gehabt und könne deshalb auch zunächst kein Urteil über ihn abgeben.

Staatssekretär Fischer erklärt, der Abg. Piehler85 habe gefordert, daß an Stelle der bisherigen Denkschrift86 eine neue Darlegung des gegenwärtigen Stands in der Energieversorgung ausgearbeitet werde, ein Wunsch, dem er sich nicht habe entziehen können.87 Im übrigen behandle die Denkschrift lediglich die technische Seite der Angelegenheit.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, zum mindesten hätten aber doch die übrigen Ministerien, die sowohl vom wirtschaftlichen wie vom finanziellen Standpunkt aus ein erhebliches Interesse an der Sache hätten, unterrichtet werden müssen. Er halte es auch nach wie vor für dringend notwendig, möglichst bald eine Besprechung über die Fragen der Energiewirtschaft anzusetzen.88 In diesem Sinne habe er ja auch bereits an Herrn Staatssekretär Dr. Müller geschrieben.89

Staatsminister Dr. Seidel stellt fest, daß er schon oft versucht habe, eine vernünftige Kompetenzverteilung in der Energiewirtschaft zu erreichen, augenblicklich sei er aber nicht mehr daran interessiert und lehne es ab, jetzt noch eine Verantwortung zu übernehmen.90

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt abschließend fest, daß er es nicht mehr dulden werde, wenn in Zukunft über seinen Kopf hinweg derartige Dinge gemacht würden.91

[VI.] Fall Nüßlein92

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller teilt mit, der Unterausschuß93 des Bayer. Landtags, der sich mit dem Fall Nüsslein beschäftige, habe einen Vergleich vorgeschlagen. Seiner Ansicht nach habe der Ausschuß dazu keine Berechtigung; es handle sich hier um eine reine Frage der Exekutive oder um eine Sache der zivilgerichtlichen Entscheidung.

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
Im Auftrag
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister