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Nr. 70Außerordentliche MinisterratssitzungDienstag, 20. November 1951 Beginn: 20 Uhr Ende: 21 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Justizminister Dr. Müller, Kultusminister Dr. Schwalber, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Dr. Mayer1 (Kultusministerium).

Entschuldigt:

Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium).

Tagesordnung:

I. Entwurf eines Gesetzes über die Schulpflicht. [II. Antrag des Dr. Heinz Breidenbach, München 23, Mandlstr. 2 und 28 andere vom 22. 1. 1951, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Braun, München 2, Promenadenplatz 9/I, auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Art. 15 und 47 des Bayer. Gesetzes über das öffentliche Versicherungswesen (Versicherungsgesetz) vom 7. 12. 33 (GVBL S. 467  )]. [III. Mittel zum Bau des Sylvensteinspeichers].

I. Entwurf eines Gesetzes über die Schulpflicht2

Staatsminister Dr. Schwalber gibt einen Überblick über die Vorgeschichte dieses Gesetzes und erinnert daran, daß der Landtag am 5. April 1951 die Verlegung des Schuljahresbeginns vom Herbst auf das Frühjahr beschlossen habe.3 Dieser Beschluß habe es notwendig gemacht, das Reichsschulpflichtgesetz zu ändern und den Übergang von einem System auf das andere festzulegen. Es habe sich als zweckmäßig herausgestellt, nicht die einzelnen Bestimmungen des Reichsschulpflichtgesetzes zu ändern, sondern ein bayerisches Gesetz an dessen Stelle zu setzen. Dieses werde sich von dem ersteren vor allem in drei Punkten unterscheiden:

a) der vorliegende Gesetzentwurf stelle die allgemeine Schulpflicht für alle Kinder fest, die in Bayern ihren Aufenthalt haben, also nicht nur für deutsche Staatsangehörige (§ 1);

b) § 3 bestimme, daß das Schuljahr am zweiten Dienstag nach Ostern beginne und am Donnerstag vor dem Palmsonntag endige und

c) im § 17 werde der Übergang geregelt, und zwar in der Weise, daß im Jahr 1952 keine Schulaufnahme und keine Schulentlassung stattfinden solle, das im Herbst 1951 begonnene Schuljahr also bis Ostern 1953 dauere.

Auf Frage erklärt Staatsminister Dr. Schwalber, der Landtag könne selbstverständlich dieses Gesetz in jeder Weise abändern und z.B. auch wieder den Herbstbeginn des Schuljahres beschließen.

§ 17 bringe die wesentlichsten Schwierigkeiten mit sich. Das Kultusministerium habe eine Reihe von Gutachten eingeholt, dabei habe sich eigentlich nur der Bayer. Bauernverband für die Verkürzung des Schuljahres ausgesprochen.4 Alle anderen Gutachten, unter anderem eines des Staatsministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge, hätten sich für die Verlängerung bis Ostern 1953 ausgesprochen.5

Staatsminister Zietsch meint, mit der Verlängerung an den Volksschulen sei er einverstanden, er habe aber doch gewisse Bedenken, auch bei den höheren Schulen diese durchzuführen.

Staatsminister Dr. Schwalber erwidert, der Landtag habe bekanntlich beschlossen, ein Jahr zu überspringen.6 Wenn nun das Schuljahr nochmals verkürzt werde, so bedeute das, daß innerhalb eines Jahres der Sprung von der 5. auf die 8. Klasse erfolge.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths gibt zu bedenken, daß größte Schwierigkeiten auftauchen könnten, die Schulentlassenen in Lehrstellen unterzubringen, wenn zwei Jahrgänge gleichzeitig entlassen würden.

Ministerialdirektor Dr. Mayer antwortet, das Kultusministerium habe eine Übergangsbestimmung vorgesehen, so daß keinesfalls zwei Jahrgänge Zusammentreffen würden.

Nach längerer Aussprache wird beschlossen, dem §1 und dem § 3 zuzustimmen, ferner die in § 17 vorgesehene Übergangsregelung beizubehalten.

Staatsminister Dr. Schwalber fährt dann fort, die Frage, ob Ausnahmen insofern zugelassen werden könnten, daß Kinder, die nach dem 31. März das 6. Lebensjahr vollenden, noch zur Schule zugelassen werden können, sei eingehend geprüft worden. Alle Pädagogen hätten sich gegen Ausnahmen erklärt, so daß § 4 Abs. 3 die Bestimmung enthalte, daß Kinder, die das festgesetzte Alter nicht erreicht haben, vom Besuch der Volksschule ausgeschlossen seien.

§2:

Staatsminister Dr. Schwalber teilt mit, es sei7 vorgeschlagen worden, § 2 Ziff. 2 wie folgt zu fassen:

„Soweit sie nach Feststellung der Schulaufsichtsbehörde bildungsunfähig sind“.8

Der Ministerrat beschließt, diesen Vorschlag zu übernehmen.

§3:

Diese Bestimmung bleibt unverändert.

§4:

Hier wird nochmals die Möglichkeit von Ausnahmen besprochen, wobei Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner anregt, durch die Schulaufsichtsbehörde in begründeten Fällen Ausnahmen zuzulassen.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, man sollte es vorläufig bei der vorliegenden Fassung des § 4 belassen, zumal sich ja darüber bestimmt eine eingehende Diskussion im Landtag ergeben werde.

§ 5:

§ 5 findet Zustimmung mit der Maßgabe, daß in Abs. 1 nach dem Wort „können“ die Worte „durch die Schulleitung“ eingefügt werden.9

§ 6:

§ 6 wird angenommen mit der Maßgabe, daß nach dem Wort „Schulpflicht“ in Abs. 2 die Worte „durch die Schulaufsichtsbehörde“ eingefügt werden.10

Staatsminister Dr. Schwalber erklärt dazu, das Kultusministerium habe daran gedacht, im § 6 Abs. 1 festzulegen, daß die Schulpflicht mindestens acht Jahre11 dauere, man sei aber davon abgekommen, da sich dafür im Landtag bestimmt keine Mehrheit finden lasse.

§ 7:

§ 7 bleibt unverändert.

§ 8:

In dieser Bestimmung wird lediglich in Abs. 1 Ziff. 1 das Wort „Bonner gestrichen.12

§ 9:

Hier wird beschlossen, nach dem Wort „kann“ in Abs. 4 die Worte einzufügen „durch die Schulaufsichtsbehörde“.13

§ 10:

Staatsminister Dr. Schwalber weist darauf hin, daß zu § 10 Abänderungsvorschläge des Ministeriums des Innern vorlägen, die ohne weiteres übernommen werden könnten.14 Es handle sich im wesentlichen darum, daß Abs. 2 wie folgt zu lauten habe:

„Hierüber entscheidet die Schulaufsichtsbehörde gemeinsam mit dem zuständigen Bezirksfürsorgeverband“.

Entsprechend müsse dann auch Abs. 3 geändert werden.15

§11 bis §13:

Diese Bestimmungen werden unverändert übernommen.

§14:

Der Ministerrat beschließt, zunächst in Ziff. 1 Satz 2 das Wort „nur“ durch das Wort „insbesondere“ zu ersetzen.

Eine eingehende Aussprache findet dann über Ziff. 2 statt, wonach die Berufsschulpflicht mit der Vollendung des 18. Lebensjahres zu enden habe.16

Staatsminister Dr. Seidel begründet, unterstützt von Staatssekretär Dr. Guthsmuths, den Vorschlag des Wirtschaftsministeriums, statt des 18. Lebensjahres erst das 21. Lebensjahr zu nehmen. Dies sei insbesondere deshalb notwendig, weil auch die Lehrverträge weit über das 18. Lebensjahr hinaus abgeschlossen würden.

Ministerialdirektor Dr. Mayer legt eingehend dar, warum diese Bestimmung notwendig sei und bemerkt, daß keine Möglichkeit bestehe, Leute über 18 Jahre zum Besuch der Berufsschule zu zwingen. Wenn tatsächlich eine Verlängerung bis zum 21. Lebensjahr beschlossen werde, sei es notwendig, noch eine Strafbestimmung einzufügen, er glaube aber nicht, daß man diesen Ausweg nehmen könne.

Der Mimsterrat beschließt, § 14 unverändert zu übernehmen.

§ 15:

§ 15 wird ebenfalls unverändert gelassen.

§ 16:

Der Ministerrat beschließt, § 16 folgende neue Fassung zu geben:

„Kinder und Jugendliche, welche die Pflicht zum Besuch der Volks- und Berufsschule nicht erfüllen, können – unabhängig von den sonstigen Mitteln der Schule und den im Gesetz über Ahndung der Schulversäumnisse gegebenen Möglichkeiten – auf Anordnung der Schulleitung der Schule im Verwaltungszwang zugeführt werden.“17

§ 17 bis §19:

§ 17 bis § 19 werden unverändert genehmigt.

§ 20:

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß es nicht möglich sei, eine Übertretung, die fahrlässig begangen werde, mit Geld- oder Haftstrafe zu bedrohen. Er schlage vor, die Worte „vorsätzlich oder fahrlässig“ überhaupt wegzulassen.

Der Ministerrat beschließt, diesem Vorschlag zu entsprechen und dabei noch das Wort „die“ durch das Wort „welche“ zu ersetzen.18

Staatsminister Dr. Schwalber erwidert dann noch auf eine Anfrage des Herrn Staatssekretärs Dr. Guthsmuths, daß es sich bei § 18 Abs. 2 lediglich um eine Übergangsvorschrift handle.

§ 21:

Zu § 21 wird die Frage erörtert, ob das Staatsministerium für Unterricht und Kultus die erforderlichen Ausführungsbestimmungen im Benehmen mit dem Staatsministerium des Innern oder einem anderen Ministerium erlassen solle.

Es wird beschlossen, an der Fassung des Entwurfs festzuhalten.19

[II.] Antrag des Dr. Heinz Breidenbach, München 23, Mandlstr. 2 und 28 andere vom 22. 1. 1931, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Walter Braun, München 2, Promenadenplatz 9/1, auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit der Art. 15 und 47 des Bayer. Gesetzes über das öffentliche Versicherungswesen (Versicherungsgesetz) vom 7. 12. 33 (GVBL S. 467  )20

Der Ministerrat beschließt, als Vertreter der Bayerischen Staatsregierung für den Termin vor dem Verfassungsgerichtshof am 30. November 1951 Herrn Ministerialrat Konrad Frank21 und Herrn Oberregierungsrat Dr. Schmitt-Lermann22 vom Bayer. Staatsministerium des Innern zu bevollmächtigen.23

[III. Mittel zum Bau des Sylvensteinspeichers]24

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erkundigt sich noch, ob es richtig sei, daß keine Betriebsmittel mehr für den Bau des Sylvensteinspeichers zur Verfügung stünden.

Staatsminister Zietsch erwidert, daß er keinesfalls weitere Betriebsmittel für den Sylvenstein zur Verfügung stellen könne, da die verfügbaren Gelder dringend für das noch wichtigere Projekt des Jochensteins verwendet werden müßten. Die Oberste Baubehörde habe aber Kenntnis davon gehabt, daß sie mit keinen weiteren Mitteln für den Sylvenstein rechnen könne.25

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
Im Auftrag
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Karl Schwend
Ministerialdirigent