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Nr. 206MinisterratssitzungDienstag, 6. April 1954 Beginn: 15 Uhr Ende: 20 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Justizminister Weinkamm, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Stain (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Kultusminister Dr. Schwalber, Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium).

Tagesordnung:

I. Bundesratsangelegenheiten. II. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz). III. Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts Nürnberg-Fürth gegen Felix Eisner wegen Verunglimpfung der Bundesrepublik u.a. IV. Dienstzeitregelung am Karsamstag 1954. V. Entlassung von Arbeitern durch die Besatzungsmacht im Werk Allach der Bayer. Motorenwerke AG.

Ministerpräsident Dr. Ehard begrüßt zu Beginn der Sitzung Herrn Staatsminister Dr. Seidel, der nach längerer Krankheit heute zum erstenmal wieder einer Kabinettssitzung beiwohnen könne.

I. Bundesratsangelegenheiten

1. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz)1

2. Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die Finanzverfassung (Finanzanpassungsgesetz)2

3. Entwurf eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz)3

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß die heutige Besprechung mit Herrn Bundesfinanzminister Schäffer, an der die Herren Staatsminister Zietsch und Dr. Seidel, Herr Staatssekretär Dr. Ringelmann, Herr Ministerialdirektor Schwend und Herr Ministerialrat Dr. Gerner teilgenommen hätten, zu einem annehmbaren Ergebnis geführt habe.4

Ministerialrat Dr. Gerner führt aus, die Finanzreform umfasse bekanntlich drei Gesetzentwürfe, nämlich Finanzverfassungs-, Finanzanpassungs- und Länderfinanzausgleichsgesetz.

Beim Finanzverfassungsgesetz handle es sich um ein Gesetz nach Art. 107 GG, das mit einfacher Mehrheit beschlossen werden könne. Die übereinstimmende Auffassung gehe dahin, daß ein auf diese Weise zustande gekommenes Gesetz Verfassungskraft erlange.

Es verteile die Steuern zwischen dem Bund und den Ländern und treffe einige grundsätzliche Regelungen über den sogenannten horizontalen Finanzausgleich. Für den Bundesrat sei der Umstand von besonderer Bedeutung, ob es tatsächlich zutreffe, daß das Gesetz nach Art. 107 verfassungskräftig werde.

Ministerpräsident Dr. Ehard unterstreicht die Wichtigkeit dieser Frage, worauf Ministerialrat Dr. Gerner fortfährt, die Bundesregierung und die Länder seien der Auffassung, daß es tatsächlich Verfassungskraft erlange. Den Weg nach Art. 79 GG (Änderung des Grundgesetzes) zu beschreiben, erscheine nicht empfehlenswert, das sei wenigstens die Meinung der Ausschüsse gewesen. Vielleicht könne auch daran gedacht werden, ein Gutachten des Bundesverfassungsgerichts einzuholen. Der Rechtsausschuß schlage jedoch vor, auch diesen Weg nicht zu beschreiten.

Zu den Gesetzentwürfen habe der Finanzausschuß des Bundesrats drei Gegenvorschläge gemacht, es sei wohl am zweckmäßigsten, von diesen Vorschlägen auszugehen. Dabei dürfe er darauf hinweisen, daß der Finanzausschuß an sich weder eine Bundes- noch eine Landesergänzungsabgabe vorsehe.

Staatsminister Zietsch betont, daß nach dem Vorschlag des Finanzausschusses daran festzuhalten sei, daß Einkommen- und Körperschaftsteuern Landessteuern seien.

Ministerialrat Dr. Gerner fügt hinzu, insoweit werde also Art. 106 Abs. l und 2 nicht geändert.5

Staatsminister Zietsch teilt mit, der Gedanke der Ergänzungsabgabe stamme von einem Arbeitsausschuß des Bundesfinanzministeriums, an dessen Beratungen Herr Staatssekretär Dr. Ringelmann beteiligt gewesen sei. Eine Zusatzsteuer oder Ergänzungsabgabe habe nur dann einen Sinn, wenn dadurch die Länderparlamente bei ihren Ausgabebewilligungen auf ihre besondere Verantwortung hingewiesen würden. Man könne z.B. daran denken, daß durch eine Ergänzungsabgabe besondere Mittel für den Aufbau der Hochschulen oder den Straßenbau finanziert werden könnten, in Höhe von z.B. 2%; jedenfalls dürfe das Aufkommen daraus nur zweckbestimmt, aber nicht als allgemeines Deckungsmittel verwendet werden.

Der Finanzausschuß habe sich deshalb auch auf den Standpunkt gestellt, daß der Vorschlag des Bundes, einfach eine Zusatzsteuer als allgemeines Deckungsmittel einzuführen, nicht richtig sei.

In der letzten Besprechung der Finanzminister seien eingehende Erörterungen mit Bundesfinanzminister Schäffer geführt worden, in der jetzigen Vorlage sei aber nur mehr die Ergänzungsabgabe für den Bund, nicht mehr für die Länder enthalten, die Finanzminister glaubten deshalb, ihr nicht zustimmen zu können. An sich sei es konsequent, wenn Schäffer Einkommen- und Körperschaftsteuer als gemeinschaftliche Steuern von Bund und Ländern betrachte, nachdem aber diese beiden Steuern in der Tat Ländersteuern seien, könne eine Ergänzungsabgabe nur mit Zustimmung des Bundesrats eingeführt werden. Ursprünglich habe ja der Finanzausschuß die Ergänzungsabgabe überhaupt ablehnen wollen, er müsse sich überlegen, ob nicht dieser erste Vorschlag wieder aufgegriffen werde.

Staatssekretär Dr. Ringelmann unterstreicht diese Ausführungen und betont gleichfalls, daß eine Ergänzungsabgabe nur gemeinsam für Bund und Länder in Frage komme.

Ministerpräsident Dr. Ehard schließt sich dieser Auffassung an.

Ministerialrat Dr. Gerner verliest daraufhin den Entwurf eines bayerischen Antrags, der in der Plenarsitzung des Bundesrats vom 9. April eingebracht werden könne. Der Antrag laute wie folgt:6

„l. § 1 Abs. 1 mit 3 erhält folgende Fassung:

(1) Die Zölle, der Ertrag der Monopole, die Verbrauchssteuern mit Ausnahme der Biersteuer, die Beförderungssteuer, die Umsatzsteuer, die einmaligen Zwecken dienenden Vermögensabgaben und die zur Durchführung des Lastenausgleichs erhobenen Ausgleichsabgaben, die Abgabe ‚Notopfer Berlin‘ und die Bundesergänzungsabsabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer fließen dem Bund zu.

(2) Die Biersteuer, die Kraftfahrzeugsteuer, die Verkehrssteuern mit Ausnahme der Beförderungssteuer und der Umsatzsteuer, die Einkommensteuer und die Körperschaftsteuer, der nach Maßgabe der Landessesetzebung erhobene Landeszuschlag zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer, die Vermögensteuer, die Erbschaftsteuer, die Realsteuern und die Steuern mit örtlich bedingtem Wirkungskreis fließen den Ländern und nach Maßgabe der Landesgesetzgebung den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zu.

(3) Von dem Aufkommen an Einkommensteuer und an Körperschaftsteuer erhält der Bund einen Anteil von … v.H.“

Die Begründung zu diesem Antrag sei folgendermaßen formuliert worden:

„1. Bayern erkennt an, daß sich eine dem Bund zufließende Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer als notwendig erweisen mag. Bayern ist jedoch der Auffassung, daß die Möglichkeit der Erhebung einer Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer nicht nur dem Bund eingeräumt werden kann, sondern auch den Ländern eröffnet werden muß.

2. Von einer Entscheidung des Bundesrats über die Höhe des Bundesanteils an der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sollte im gegenwärtigen Zeitpunkt abgesehen werden. Diese Entscheidung sollte vielmehr zurückgestellt werden bis im Zuge der weiteren Behandlung der Gesetzesvorlagen zur sogenannten Finanzreform die zur Bemessung der Höhe des Bundesanteils erforderliche Klarheit gewonnen ist.“

Praktisch werde damit nichts anderes getan, als in Art. 106 Abs. l und 2 GG die Ergänzungsabgabe für Bund und Länder einzubauen.

Staatssekretär Dr. Ringelmann empfiehlt, in Punkt 2 Satz 2 der Begründung nach den Worten „Gesetzesvorlagen zur“ die Worte: „Steuer- und zur“ einzufügen.

Diesem Vorschlag wird zugestimmt.

Ministerialrat Dr. Gerner fährt fort, das bedeutsamste sei, daß für jeden einzelnen Haushalt ein Zuschlag eingeführt werden müsse.

Wenn man den Gedanken der Bundesergänzungsabgabe grundsätzlich bejahe, erscheine es zweckmäßig, eine Beschränkung des Hebesatzes mit einer gewissen Modifikation zu versehen, in der Richtung, daß der Bund für den Fall, daß er eine Ergänzungsabgabe von mehr als 3% einführen wolle, an die Zustimmung des Bundesrats gebunden sei. Infolgedessen sei zu Punkt 5 der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes über eine Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer7 folgender Antrag entworfen worden:

„Der Bundesrat wolle beschließen, gemäß Art. 76 Abs. 2 GG zu vorbezeichnetem Entwurf folgende Änderungen vorzuschlagen:

1. Die Einleitungsformel erhält folgende Fassung:

„Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrats das folgende Gesetz beschlossen.“

2. § 6 erhält folgende Fassung:

„ § 6 Hebesatz

(1) Der Hebesatz der Ergänzungsabgabe wird durch Gesetz bestimmt. Soll er mehr als 5 v.H. der Einkommensteuer (Lohnsteuer) und der Körperschaftsteuer betragen, so bedarf das Gesetz der Zustimmung des Bundesrats.

(2) Bis zum Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes für das Rechnungsjahr 1955/56 beträgt der Hebesatz 2,5 v.H. der Einkommensteuer (Lohnsteuer) und der Körperschaftsteuer.“

Die Begründung könne dann folgendermaßen lauten:

„1. Nach der derzeitigen Rechtslage bedarf der Entwurf auf Grund des Art. 105 Abs. 3 GG der Zustimmung des Bundesrats.

2. Es scheint geboten, bei einer Erhöhung des Hebesatzes über 5 v.H. der Einkommensteuer (Lohnsteuer) und der Körperschaftsteuer, die Zustimmung des Bundesrats vorzusehen.“

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt dazu noch, das Gesetz selbst bedürfe demnach der Zustimmung des Bundesrats, die außerdem erforderlich sei, wenn der Hebesatz mehr als 5% der Einkommen- und Körperschaftsteuer betragen solle.

Staatsminister Dr. Seidel führt aus, der Landeszuschlag könne von großem Wert sein, wenn nur auf diese Weise ein bestimmter Zweck erreicht werden wolle. Man müsse sich aber darüber klar sein, daß sowohl die Bundesergänzungsabgabe wie ein etwaiger Landeszuschlag in der Öffentlichkeit auf erhebliche Schwierigkeiten stoßen könne. Er bitte deshalb die Herren Kabinettsmitglieder, und besonders den Herrn Staatsminister der Finanzen, in der Öffentlichkeit sehr zurückhaltend zu sein und etwa so zu formulieren, daß sich die Staatsregierung über die Problematik der Ergänzungsabgabe durchaus im klaren sei und das letzte Wort über den Länderzuschlag noch nicht gesprochen werden könne. Man habe es aber von Bayern aus für erforderlich gehalten, wenn schon ein derartiger Entwurf vorgelegt werde, dafür zu sorgen, daß jedenfalls einer Begrenzung des Hebesatzes gewährleistet sei.

Jedenfalls glaube er, daß vorläufig nicht allzuviel mit dem Landeszuschlag operiert werden dürfe.

Staatsminister Zietsch erwidert, er könne diesen Ausführungen völlig zustimmen und sei bereit, auch im Bundesrat vorsichtig vorzugehen. Es werde ja schwierig genug sein, den Vorschlag dem Landtag schmackhaft zu machen. Im übrigen müsse er in diesem Zusammenhang die Frage stellen, ob Bayern für die Vorschläge des Finanzausschusses im Bundesrat stimmen werde, falls sich der Vorschlag mit der Bundesergänzungsabgabe und dem Landeszuschlag nicht verwirklichen lasse.

Ministerpräsident Dr. Ehard bejaht diese Frage und fügt hinzu, an sich müsse versucht worden, die Zustimmung des Bundesrats zu erreichen und im übrigen die jeweilige Höhe des Hebesatzes gleichfalls von der Zustimmung des Bundesrats abhängig zu machen. Auf alle Fälle müsse daran festgehalten werden, daß die Bundesergänzungsabgabe abzulehnen sei, wenn nicht gleichzeitig auch ein Landeszuschlag eingeführt werde.

Staatsminister Dr. Oechsle meint, der Landeszuschlag sei zweifellos für bestimmte Zwecke, die anders nicht verwirklicht werden könnten, wertvoll. Es frage sich aber doch, ob dagegen nicht insofern Bedenken bestünden, als die bayerische Industrie in ihrer Weiterentwicklung gestört werden könne, wenn z.B. nur in Bayern ein solcher Zuschlag erhoben werde. Bei der Bundesergänzungsabgabe sei das ja insofern anders, da sie im ganzen Bundesgebiet erhoben werde.

Staatsminister Zietsch erläutert die Umstände, die die Einführung der Bundesabgabe ohne einen gleichzeitigen Landeszuschlag untragbar8 machten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann fügt hinzu, dieser Punkt sei im übrigen bereits eingehend erörtert worden.

Auch Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, auch aus allgemeinen staatspolitischen Erwägungen sei es nicht zu verantworten, der Bundesergänzungsabgabe zuzustimmen, aber auf einen Landeszuschlag zu verzichten.

Staatssekretär Dr. Nerreter sieht die besondere Bedeutung des Landeszuschlags in der Tatsache, daß man ihn zwar jederzeit erheben könne, aber von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch mache.

Staatsminister Dr. Seidel schließt sich dieser Meinung au und stellt fest, daß Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg den Landeszuschlag wohl nie erheben würden. Die Möglichkeit, ihn zu erheben, sei aber für den Finanzminister vorteilhaft, da er dann bei Forderungen des Landtags jederzeit sagen könne, er sei damit einverstanden unter der Voraussetzung, daß der Landeszuschlag erhoben werde; unter diesen Umständen werde sich wohl kaum eine Partei finden, die dann ihre Forderungen noch durchsetzen wolle.

Staatsminister Dr. Oechsle erklärt damit seine Bedenken für ausgeräumt, im übrigen habe er sie nur zur Sprache gebracht, weil die Unternehmer im allgemeinen ständig prüften, wo die Verhältnisse steuerlich gesehen für sie am günstigsten seien.

In diesem Zusammenhang betont Staatsminister Dr. Seidel, daß in Bayern die geringsten Gewerbesteuern seien, allerdings bestehe hier das Frachtproblem, eine Schwierigkeit, in der aber schon vieles getan worden sei.

Ministerpräsident Dr. Ehard faßt dann das Ergebnis der bisherigen Aussprache zusammen und teilt noch mit, der Bundesfinanzminister habe sich bereit erklärt, sich neutral zu verhalten. Man könne von ihm ja auch nicht erwarten, daß er sich die bayerischen Anträge zu eigen mache.

Staatssekretär Dr. Ringelnann kommt dann nochmals auf den Antrag zu Punkt 5 der Tagesordnung zu sprechen und zwar auf Abs. 2 des zu ändernden § 6.9 Zur Klarstellung wolle er darauf aufmerksam machen, daß diese Bestimmung den Bundesfinanzminister nicht hindere, schon für einen vorausgehenden Zeitraum die Ergänzungsabgabe zu erheben; Bundesfinanzminister Schäffer beabsichtige nämlich, diese Abgabe schon für das erste Vierteljahr 1955 zu erheben.

Staatsminister Dr. Seidel erklärt, er halte die bisherigen Vorschläge schon deshalb für richtig, weil der Bundestag mit großer Wahrscheinlichkeit einen Länderzuschlag ablehnen werde, während er der Bundesergänzungsabgabe vielleicht zustimmen werde. Der Bundesrat habe dann eine günstige Position für die Vorhandlungen im Vermittlungsausschuß und könne dort erklären, wenn schon eine Ergänzungsabgabe für den Bund eingeführt werde, müßte sie den Ländern auch zustehen, die anders ihre Zustimmung verweigern würden.

Der Ministerrat beschließt, den beiden Anträgen zu Punkt 1 und Punkt 5 der Tagesordnung zuzustimmen.

Ministerialrat Dr. Gerner erkundigt sich, ob die ganze Vorlage abgelehnt werden müsse, wenn die Anträge keine Mehrheit fänden?

Der Ministerrat beschließt, die Vorlage unter diesen Umständen abzulehnen.

Ministerpräsident Dr. Ehard verweist dann nochmals auf den Antrag zu Punkt 1 der Tagesordnung, demzufolge § 1 Abs. 3 des Finanzverfassungsgesetzes folgenden Wortlaut erhalten solle:

„Von dem Aufkommen an Einkommensteuer und an Körperschaftsteuer erhält der Bund einen Anteil von … v.H.“

Er halte es für richtig, hinsichtlich des Bundesanteils noch nicht endgültig Stellung zu nehmen, weil erst das Ergebnis im ganzen abgewartet werden müsse. Erst dann könne sich Bayern zu dieser Frage verbindlich äußern. Was die Höhe des Bundesanteils betreffe, so würden die Länder mit einem Vorschlag von 35% nicht durchkommen, wenn dem bayerischen Standpunkt überhaupt entgegengekommen werde, könnte man vielleicht einer Aufteilung im Verhältnis von 40 zu 60 zustimmen. Gegebenenfalls könne man immer noch erklären, die Lage habe sich nicht verbessert, also werde Bayern an dem bisherigen Prozentsatz von 38% für den Bund festhalten. Jedenfalls halte er es – wie gesagt – für unzweckmäßig, sich jetzt schon festzulegen.

Der Ministerrat erklärt sich ausdrücklich mit diesem Standpunkt einverstanden.

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet dann weiter, der bayerische Antrag zu Punkt 1 der Tagesordnung enthalte noch einen weiteren Punkt 2, der wie folgt laute:10

„§ 1 Abs. 5 erhält folgende Fassung:

Zwischen leistungsfähigen und leistungsschwachen Ländern ist ein angemessener finanzieller Ausgleich herbeizuführen. Das Nähere bestimmt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrats bedarf. Dieses Gesetz kann ferner bestimmen, daß der Bund aus eigenen Mitteln leistungsschwachen Ländern Zuweisungen zur ergänzenden Deckung ihres allgemeinen Finanzbedarfs gewährt.“

Ministerpräsident Dr. Ehard macht darauf aufmerksam, daß dieser Antrag mit Punkt 3 der Tagesordnung (Länderfinanzausgleichsgesetz) im Zusammenhang stehe.

Staatssekretär Dr. Ringelmann bittet zu beachten, daß in Abs. 2 dieses Antrags besonders bedeutsam sei, daß der Bund Zuweisungen an leistungsschwache Länder nur aus eigenen Mitteln gewähren könne.

Der Ministerrat beschließt, auch diesem Teil des Antrags zu Punkt 1 der Tagesordnung zuzustimmen.

Ministerialrat Dr. Gerner verliest dazu folgende Begründung:11

Der Gegenvorschlag des Finanzausschusses unter § 1 Abs. 5 sollte nur in der aus Ziff. 3 des vorliegenden Antrags des Landes Bayern sich ergebenden Beschränkung in ein Gesetz nach Art. 107 GG aufgenommen werden. Der übrige Inhalt des § 1 Abs. 5 in der Fassung des Gegenvorschlags des Finanzausschusses gehört in das Finanzausgleichsgesetz. Dabei ist jedoch nach Auffassung Bayerns hinsichtlich der Auffüllung der bundesdurchschnittlichen Steuerkraft für die einzelnen Länder an die in § 8 der Regierungsvorlage zum Länderfinanzausgleichsgesetz (BR-Drucks. Nr. 78/54c ) aufgestellten Grundsätze anzuknüpfen.12

Zu Punkt 3:

Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz) vom 27. April 1955 Entwurf eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz).

Ministerpräsident Dr. Ehard verweist auf den hier vorliegenden bayerischen Antrag.13 Von besonderer Bedeutung sei, ob allein das Aufkommen an Landessteuern zugrunde gelegt werde oder dazu auch noch das Aufkommen an Realsteuern. Wenn man die Realsteuer weglasse, so sei die Folge, daß die finanzstarken Länder bevorzugt und die steuerschwachen benachteiligt würden. Auf diese Weise werde sich nämlich eine zu verteilende Finanzmaße von 346 statt 436 Mio DM ergeben, Bayern also statt 66 nur 54 Mio DM erhalten.

Bei den Beratungen sei folgende Überlegung angestellt worden: Die steuerstarken Länder hätten ein Interesse daran, das Aufkommen an Realsteuern nicht dazu zu zählen und behaupteten, die steuerschwachen Länder müßten sie dabei unterstützen, dann werde § 8 unangetastet bleiben. Wenn die letzteren damit aber nicht einverstanden seien, müsse man sich überlegen, ob der Prozentsatz der Steuerkraft von 95 nicht auf 90 gesenkt werde, was natürlich für die steuerschwachen höchst ungünstig sei; Bayern würde dabei überhaupt leer ausgehen.14

Staatsminister Zietsch führt aus, die gebenden Länder seien bisher in der Mehrheit, sie würden dies auch in Zukunft bleiben. Wenn Bayern als nehmendes Land nun auf die Bundesvorlage zukomme, könnten die gebenden Länder mißtrauisch werden, so daß zweifellos eine gewisse Gefahr bestehe. Er glaube deshalb, es sei besser, sich auf einer Basis, die an sich viel günstiger als bisher sei, zu einigen. Herr Staatssekretär Dr. Ringelmann habe sich in diesem Punkt im Finanzausschuß der Stimme enthalten.

Hinsichtlich der Festlegung der Steuerkraft sei man zu der Auffassung gekommen, daß es zweckmäßig sei, diese verfassungskräftig zu machen, damit jeder wisse, woran er sei. Wenn man andererseits die Entscheidung dem Gesetzgeber überlasse, könnten sich jedes Jahr neue Auseinandersetzungen ergeben, wozu noch die Möglichkeit komme, daß die Prozentzahl der Steuerkraft mit einfacher Mehrheit alljährlich geändert werde. Wenn sich tatsächlich die Steuerkraft Bayerns in den nächsten Jahren so erheblich verbessere, daß es an 95% herankomme, brauche es ja den Finanzausgleich überhaupt nicht mehr.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint dagegen, man könne schwer den Vorwurf entgehen, auf 12 Mio DM verzichtet zu haben, wenn man von vorneherein davon absehe, das Aufkommen an Realsteuern hinzuzunehmen, zumal man später darauf dann nicht mehr zurückgreifen könne. Wenn Bayern beim Finanzausgleich nicht zum Zuge komme, könne es immer noch sagen, es bestehe auf einem möglichst niedrigen Prozentsatz des Bundesanteils an der Einkommen- und Körperschaftsteuer. Anders wäre die Sache, wenn hier eine reine Ländervereinbarung vorliege und man sich einigen müßte; in diesem Fall würde er auch nachgeben. Nachdem es aber ein Bundesgesetz werden solle und Bayern durch eine etwa zustimmende Haltung nichts ändern könne, jedenfalls nicht im ersten Durchgang, sollte man sich konsequent sagen, Bayern sei für die Lösung, die seinem Vorteil entspreche.

Staatsminister Dr. Oechsle hält dies für richtig, meint aber, es werde doch zu Auseinandersetzungen im Bundesrat kommen.

Ministerpräsident Dr. Ehard entgegnet, wenn die Bundesregierung die Empfehlungen des Bundesrats nicht aufnehme, werde sich der Bundestag an sich mit diesem Text befassen und auch eine Debatte im Bundesrat nicht zu vermeiden sein.

Staatssekretär Dr. Nerreter stimmt Ministerpräsident Dr. Ehard zu und spricht sich gegen Konzessionen aus, die selbst das Bundesfinanzministerium den Ländern nicht zumute.15

Staatssekretär Dr. Ringelmann erwähnt, man sei davon ausgegangen, daß einigermaßen gleiche Startbedingungen für die Länder geschaffen werden müßten. Diese Bedingungen aber gehörten in den Finanzausgleich, deshalb könnte man sie in Art. 106 hineinbringen.

Ministerpräsident Dr. Ehard entgegnet, er habe die Empfindung, daß die Verhältnisse unter den Ländern noch nicht so geklärt seien, daß man alles schon in dieser Weise festlegen solle. Der Plan, die Sache verfassungskräftig zu machen, habe auch gewisse Gefahren.

Ministerialrat Dr. Gerner erklärt, es sei unbestritten, daß der vertikale Finanzausgleich in dieses Gesetz nach Art. 107 GG hineinkommen könne. Es sei aber zweifelhaft, ob das gleiche mit dem horizontalen Finanzausgleich der Fall sei. Jedenfalls hätten sich alle Ländervertreter im Unterausschuß des Rechtsausschusses dagegen ausgesprochen, diesen Weg zu gehen. Der Rechtsausschuß selbst habe es zwar im Grundsatz für möglich gehalten, den horizontalen Finanzausgleich in ein Gesetz nach Art. 107 einzubauen. Er persönlich habe aber die Meinung, dahinter stehe die Erwägung, notfalls das Bundesverfassungsgericht anzurufen.

Staatssekretär Dr. Ringelmann glaubt, alle, nicht nur die gebenden Länder würden mißtrauisch werden, wenn diese Dinge verfassungsmäßig verankert würden. Durch eine Neuregelung der Einkommen- und Körperschaftsteuer könnten unter Umständen auch reiche Länder in ihrer Steuerkraft herabsinken, deshalb werde eine Reihe von Ländern nicht an sozusagen zementierten Beträgen festhalten wollen.

Der Ministerrat erklärt sich dann nochmals ausdrücklich mit dem Antrag einverstanden, durch welchen § 1 Abs. 5 des Finanzverfassungsgesetzes eine neue Fassung erhalten soll.

Ministerialrat Dr. Gerner verliest dann den bayerischen Antrag zu Punkt 3 der Tagesordnung (Länderfinanzausgleichsgesetz),16 der folgendermaßen laute:

„Bayern geht von dem vom Finanzausschuß des Bundesrats als Anlage 3 zu BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c vorgelegten Gegenvorschlag zum Entwurf eines Gesetzes über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz) aus.

Es hält jedoch folgende Änderungen dieses Gegenvorschlags für geboten, die der Bundesrat gemäß Art. 76 Abs. 2 GG vorzuschlagen beschließen wolle.

I. Es wird folgender § 1 eingefügt:
§ 1

(1) Die Länder, deren Aufkommen an Landessteuern und an Realsteuern ihrer Gemeinden je Einwohner (Steuerkraft) den Bundesdurchschnitt übersteigt, leisten zu Gunsten der Länder, deren Steuerkraft 95 v.H. des Bundesdurchschnitts nicht erreicht, jährlich Beiträge.

(2) Bei der Bemessung der Beiträge werden angesetzt

1. der Betrag, der an 80 v.H. der bundesdurchschnittlichen Steuerkraft fehlt, mit 100 v.H.,

2. der Betrag, der von 80 bis 90 v.H. an der bundesdurchschnittlichen Steuerkraft fehlt, mit 75 v.H.,

3. der Betrag, der von 90 bis 95 v.H. an der bundesdurchschnittlichen Steuerkraft fehlt, mit 50 v.H.

(3) Die Sonderbelastungen, die den Ländern Bremen und Hamburg als Stadtstaaten und aus der Unterhaltung ihrer Seehäfen erwachsen, sowie die übermäßigen Belastungen des Landes Schleswig-Holstein sind nach Maßgabe des § 5 beim Steuerkraftausgleich zu berücksichtigen.

II. § 1 in der Fassung der Gegenvorschläge des Finanzausschusses (Anlage 3 zu BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a mit c) wird § 2 mit folgendem Eingang:

§ 2

Als Steuereinnahmen eines Landes im Sinne des § 1 gelten seine kassenmäßigen Einnahmen. (Im übrigen unverändert).

III. Als § 3 wird § 5 Abs. 1 mit 5 der Regierungsvorlage zum Entwurf eines Länderfinanzausgleichsgesetzes (BR-Drucks. Nr. 78/54 c) eingefügt.

IV. Als § 4 wird § 2 der Gegenvorschläge des Finanzausschusses zum Entwurf eines Länderfinanzausgleichsgesetzes (Anlage 3 der BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c) eingefügt.

V. § 5 erhält folgende Fassung:

Die in § 1 Abs. 3 bezeichneten Belastungen der Länder Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein werden beim Steuerkraftausgleich wie folgt berücksichtigt:

1. Zum Ausgleich der Sonderbelastungen als Stadtstaaten wird bei der Berechnung des Aufkommens an Landessteuern je Einwohner die Einwohnerzahl des Landes Bremen mit 110 v.H., die Einwohnerzahl des Landes Hamburg mit 120 v.H. gewertet.

2. Zum Ausgleich der Sonderbelastungen, die den Ländern Bremen und Hamburg aus der Unterhaltung ihrer Seehäfen erwachsen, werden die nach § 2 ermittelten Steuereinnahmen des Landes Bremen um 11%, die des Landes Hamburg um 9% gekürzt.

3. Zum Ausgleich der Sonderbelastungen des Landes Schleswig-Holstein werden die nach § 2 ermittelten Steuereinnahmen dieses Landes um 20% gekürzt.

VI. Als § 6 wird § 4 der Gegenvorschläge des Finanzausschusses zum Entwurf eines Länderfinanzausgleichsgesetzes (Anlage 3 der BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c) mit folgender Maßgabe eingefügt:

Der Klammersatz in § 4 Abs. 1 der Gegenvorschläge des Finanzausschusses erhält folgende Fassung:

(§ 2 unter Berücksichtigung der Sonderberechnung nach § 5 Ziff. 2 ).

VII. Als §§ 7, 8, 9, 10 und 11 werden die §§ 5, 6, 7, 8 und 9 der Gegenvorschläge des Finanzausschusses zum Entwurf eines Länderfinanzausgleichsgesetzes (Anlage 3 der BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c) unverändert übernommen.

VIII. § 12

Dieses Gesetz ist erstmals für das Rechnungsjahr 1955 anzuwenden. Es tritt am 1.1.1955 in Kraft.

§ 9 Abs. 2 tritt mit der Verkündung des Gesetzes in Kraft.

Begründung:

Nach Auffassung Bayerns erscheint es nicht angängig, den horizontalen Finanzausgleich ausschließlich nach dem Verhältnis der Landeseinnahmen aus den Landessteuern zu bemessen, da die Länder auch für die Bedürfnisse ihrer Gemeinden zu sorgen haben und nach dieser Richtung erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern bestehen. Deshalb müssen entsprechend den Gedankengängen der Regierungsvorlage (Art. 06 f Abs. 2 Satz 1 2. Halbsatz des Entwurfs eines Finanzverfassungsgesetzes; §§ 3 und 5 des Entwurfs eines Länderfinanzausgleichsgesetzes) auch die Realsteuereinnahmen der Gemeinden beim horizontalen Finanzausgleich berücksichtigt werden.

Der vorliegende Antrag greift daher insoweit auf die §§ 3 und 5 der Regierungsvorlage des Entwurfs eines Länderfinauzausgleichsgesetzes (BR-Drucks. Nr. 78/54 c) zurück. Im übrigen übernimmt er mit den erforderlich werdenden redaktionellen Änderungen die Gegenvorschläge des Finanzausschusses zum Entwurf eines Länderfinanzausgleichsgesetzes (Anlage 3 zu BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c).“

Ministerpräsident Dr. Ehard betont, daß damit festgelegt sei, daß der horizontale Finanzausgleich nicht verfassungsmäßig verankert werde.

Ministerialrat Dr. Gerner stellt dann die Frage, ob man nicht zweckmäßig in der Vorbesprechung des Bundesrats so vorgehen solle, daß der Präsident zuerst über die Gegenvorschläge der Finanzminister und etwa ergänzende Landesanträge abstimmen lasse.

Auch Staatssekretär Dr. Ringelmann hält einen grundsätzlichen Beschluß, daß nach den Vorschlägen der Finanzminister ergänzt durch die bayerischen Anträge, abgestimmt werden müsse, für notwendig.

Der Ministerrat beschließt seine Zustimmung.

Ministerialrat Dr. Gerner fährt fort, erst wenn die Vorschläge der Finanzminister und die Anträge keine Mehrheit fänden, wäre über die Regierungsvorlage abzustimmen, deshalb dürfe er annehmen, sich über die BR-Drucks. Nr. 78/1/54 zu unterhalten.

Der Ministerrat beschließt, zu Punkt 1 der Tagesordnung bei einer etwaigen Stellungnahme zur Fassung der Regierungsvorlage gemäß Art. 76 Abs. 2 GG die Empfehlungen in der BR-Drucks. Nr. 78/1/54a mit Ausnahme derjenigen unter Ziff. III 1, in BR-Drucks. Nr. 78/1/54b mit Ausnahme derjenigen unter Ziff. III 1 b, 3 a, 5 d und 5 f und in BR-Drucks. Nr. 78/1/54c unter Ziff. III 1 und 2 zu unterstützen.17

Ferner wird beschlossen, den Antrag des Landes Schleswig-Holstein in BR-Drucks. Nr. 78/2/54 a nicht zu unterstützen.

Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz) vom 27. April 1955

Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955 Zu Punkt 2 der Tagesordnung: Entwurf eines Gesetzes zum Finanzanpassungsgesetz.

Gegen diesen Entwurf werden in der Aussprache erhebliche Bedenken geltend gemacht, insbesondere von Herrn Staatssekretär Stain.

Staatsminister Dr. Oechsle empfiehlt, den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik anzunehmen.

Der Ministerrat beschließt, den Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik zu unterstützen. Der Gegenvorschlag des Finanzausschusses in Anlage 2) der BR-Drucks. Nr. 78/1/54 a bis c wird nur insoweit unterstützt, als er nicht dem Antrag des Ausschusses für Arbeit und Sozialpolitik widerspricht.

Außerdem wird vereinbart, eine Erklärung abzugeben, in der die Bedenken des Herrn Staatssekretärs Stain enthalten sind.18

Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern (Viertes Überleitungsgesetz) vom 27. April 1955

4. Entwurf eines Gesetzes zur Neuordnung von Steuern19

Ministerialrat Dr. Gerner führt aus, die Steuerreform sei auf dem Grundsatz aufgebaut, daß eine Tarifsenkung nur vertretbar sei, wenn alle bisherigen Vergünstigungen wegfielen; deshalb habe sich auch der Finanzausschuß gegen alle Sondervergünstigungen ausgesprochen. Wenn sich heute der Ministerrat über diesen Grundsatz einigen könne, sei es kaum mehr notwendig, die einzelnen Empfehlungen in den BR-Drucks. Nr. 102/1/54 und 102/2/54 zu erörtern.20

Staatsminister Zietsch erklärt nachdrücklich, nachdem die Länder den Hauptausfall zu tragen hätten, könnten sie das Bundesfinanzministerium nur darin unterstützen, wenn es bei der vorgesehenen Tarifsenkung alle Sondervergünstigungen beseitigen wolle.

Ministerpräsident Dr. Ehard und Staatsminister Dr. Seidel unterstützen diese Auffassung.

Staatsminister Dr. Oechsle dagegen meint, das große Problem sei wohl, daß durch den Wegfall der sogenannten 7c-Gelder der soziale Wohnungsbau beeinträchtigt werden könne.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths erwidert, mit Hilfe dieser Mittel sei zwar sehr viel gebaut worden, er glaube jedoch, daß ihre Bedeutung nicht mehr so groß sei.

Staatssekretär Dr. Nerreter befürchtet, daß der Wohnungsbau sehr erheblich zurückgehen werde, wenn die 7c-Gelder wegfielen.

Staatsminister Zietsch hält dem entgegen, daß die Beseitigung schon in der kleinen Steuerreform enthalten sei und es nicht angehe, diese Vergünstigung jetzt neuerdings einzuführen.21

Ministerpräsident Dr. Ehard unterstreicht diese Bemerkung und stellt fest, daß die Steuerreform gefährdet werde, wenn die Vergünstigungen beibehalten würden. Er sei der Meinung, daß man unbedingt an dem Grundsatz: Tarifsenkung ja, Vergünstigungen nein, festhalten müsse.

Staatssekretär Dr. Ringelmann fügt hinzu, auch der Wirtschaftsausschuß des Bundesrats habe eine Verlängerung der 7c-Gelder nicht mehr verlangt.

Staatsminister Zietsch empfiehlt, der Regierungsvorlage zu folgen. Es sei unmöglich, den Steuerausfall noch zu vergrößern, zumal wenn beabsichtigt sei, die Erhöhung der Umsatzsteuer abzulehnen.

Staatssekretär Stain kommt dann auf den § 33 a zu sprechen und erklärt, insoweit stehe die Steuerreform in Widerspruch zum Bundesvertriebenengesetz.

Nach weiterer Aussprache wird beschlossen, grundsätzlich die Wiederaufnahme oder Neueinführung irgendwelcher Sondervergünstigungen abzulehnen. Es soll aber erklärt werden, daß § 33 a keine Benachteiligung der Vertriebenen darstelle, sondern daß diese Bestimmung nur auf andere Personenkreise ausgedehnt worden sei.

Sodann werden die in den erwähnten Bundesratsdrucksachen enthaltenen Empfehlungen im einzelnen besprochen.

Die Empfehlungen in der BR-Drucks. Nr. 102/1/54 werden unterstützt mit Ausnahme derjenigen unter Ziff. 1, 2, 3, 4 b, 4 c, 6 b, 6 c, 7, 12 b, 14 b, 18, 19 b, 23, 25, 28, 31, 32, 41f. und 53.

Stimmenthaltung soll hinsichtlich der Empfehlung unter Ziff. 33 geübt werden.

Schließlich wird noch beschlossen, die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses in der BR-Drucks. Nr. 102/2/54 nicht zu unterstützen.22

Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954

5. bereits auf Seite 6 behandelt.23

6. Entwurf eines Gesetzes zur Erhebung einer Abgabe „Notopfer Berlin“ (NOG 1955)24

Unterstützt werden die Empfehlungen unter Ziff. II 1, 2, 4, 5 bis 9, 11 der BR-Drucks. Nr. 103/1/54, dagegen nicht diejenigen unter Ziff. II 3 und 10.25

7. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umsatzsteuergesetzes26

Der Ministerrat beschließt, den Gesetzentwurf entsprechend der Empfehlungen der beteiligten Ausschüsse in Ziff. II 1 der BR-Drucks. Nr. 105/1/54 als Ganzes abzulehnen.27

und

13. Entwurf einer Verwaltungsanordnung betreffend Körperschaftsteuer-Richtlinien für das Kalenderjahr 1953 (KStR 1953)36

Zustimmung gemäß Art. 108 Abs. 6 GG, die Empfehlungen unter Ziff. II der BR-Drucks. Nr. 119/1/54 werden nicht unterstützt.37

14. Benennung eines Mitglieds für den Bundesschuldenausschuß38

Bedenken werden nicht erhoben.

15. Antrag auf Zustimmung des Bundesrats zur Veräußerung von 2 Grundstücken in Berlin-Charlottenburg, Kurfürstendamm 40/41 und Berlin-Charlottenburg, Knesebeckstr. 35/36, Ecke Mommsenstraße39

Zustimmung.

16. Entwurf eines Gesetzes zur weiteren Vereinfachung des Wirtschaftsstrafrechts (Wirtschaftsstrafgesetz 1954)40

Unterstützung der Empfehlungen in der BR-Drucks. Nr. 106/1/54 mit Ausnahme derjenigen unter Ziff. 9.41

17. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften des Gesetzes betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften und des Rabattgesetzes42

Staatssekretär Dr. Guthsmuths teilt mit, das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr sei der Auffassung, daß dieser Gesetzentwurf abgelehnt werden solle.

Staatsminister Dr. Oechsle entgegnet, er halte diesen Gesetzentwurf doch für einen geeigneten Versuch, einen vernünftigen Weg zu finden und empfehle, keine Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG zu erheben.

Der Ministerrat beschließt, keine Einwendungen zu erheben.43

19 a) Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes45

b) Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes zur Änderung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes

Zu a) Zustimmung gemäß Art. 78 GG.

Zu b) Ministerialrat Dr. Gerner teilt mit, daß dieser Punkt von der Tagesordnung abgesetzt werde.

20. Umbenennung des Ausschusses für Flüchtlingsfragen

Der Ministerrat beschließt, gegen die Umbenennung des Ausschusses für Flüchtlingsfragen keine Einwendungen zu erheben.

und

25. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Viehseuchengesetzes50

Keine Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG.51

26. Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung von Gesetzen auf dem Gebiet der Fischerei in der Ostsee52

Die Empfehlung des Agrarausschusses in der BR-Drucks. Nr. 101/1/54 wird unterstützt, im übrigen worden keine Einwendungen nach Art. 76 Abs. 2 GG erhoben.53

27. Entwurf eines Gesetzes über das internationale Zuckerabkommen vom 1. Oktober 195354

Keine Einwendungen nach Art. 76 Abs. 2 GG.

29. Entwurf eines Gesetzes über das Zollabkommen vom 30. Dezember 1953 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen56

Keine Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG.

30. Entwurf der Achten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen (öffentlich-rechtliche Lebens-, Unfall- und Haftpflichtversicherungsanstalten)57

Ministerialrat Dr. Gerner macht darauf aufmerksam, daß dieser Punkt der Tagesordnung voraussichtlich abgesetzt werde.

31. Entwurf der Verwaltungsvorschriften zur Durchführung der sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften (§§ 72 bis 74) des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen58

Der Ministerrat beschließt, gemäß Art. 84 Abs. 2 GG59 nach Maßgabe der in der BR-Drucks. Nr. 82/1/54 Ziff. 1 mit 4 enthaltenen Abänderungsvorschläge zuzustimmen, die Anträge des Landes Nordrhein-Westfalen aber nicht zu unterstützen.60

33. Entwurf einer Verordnung M Nr. 1/54 zur Ergänzung der Verordnung M Nr. 1/52 über Preise für Milch, Butter und Käse62

Ministerialrat Dr. Gerner führt aus, im Koordinierungsausschuß habe der Vertreter des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten63 vorgeschlagen, die Absetzung dieses Entwurfs zu beantragen, da es notwendig erscheine, ihn vorher nochmals im Agrarausschuß zu behandeln.64

Staatsminister Dr. Schlögl weist darauf hin, daß der Zweck dieser Verordnung sei, den Milchpreis in Norddeutschland, wo die Milch im Gegensatz zu Bayern bekanntlich einen geringeren Fettgehalt habe, zu erhöhen. Er könne dem Verordnungsentwurf nur zustimmen, wenn eine Erklärung abgegeben werde, daß das Bundesernährungsministerium die Fragen, die sich aus der Verordnung ergeben, dem Agrarausschuß zur Behandlung zuleiten solle. Im übrigen denke er nicht daran, in Bayern den Milchpreis auf Grund der Vorkommnisse in Norddeutschland zu erhöhen.

Der Ministerrat beschließt Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG unter der von Herrn Staatsminister Dr. Schlögl geforderten Voraussetzung.65

34. Entwurf einer Verordnung zur Regelung des Hopfenanbaus66

Zustimmung gemäß Art. 80 Abs. 2 GG nach Maßgabe der in der BR-Drucks. Nr. 65/1/53 in Ziff. 1 mit 14 enthaltenen Abänderungsvorschläge.

35. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes67

Zustimmung gemäß Art. 78 in Verbindung mit Art. 105 Abs. 3 GG.68

II. Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz)69

Der Ministerrat beschließt, diesen Punkt der Tagesordnung abzusetzen, zumal nach Mitteilung von Herrn Ministerialrat Dr. Gerner in einigen Punkten Bedenken des Staatsministeriums der Justiz und der Bayer. Staatskanzlei bestehen.70

Zweites Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid (Landeswahlgesetz) vom 11. August 1954

III. Ermittlungsverfahren des Oberstaatsanwalts Nürnberg-Fürth gegen Felix Eisner wegen Verunglimpfung der Bundesrepublik und anderem71

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet, der Regierungsinspektor Eisner beim Versorgungsamt Regensburg habe im Jahre 1952 im Versorgungsamt einem im gleichen Amt beschäftigten Inspektoren-Anwärter gegenüber geäußert, daß man zur heutigen Regierung kein Vertrauen haben könne, daß Korruption vorherrsche und somit Verbrecher in der Regierung säßen usw.

Das Staatsministerium der Justiz bitte um Entscheidung des Ministerrats, ob wegen der in der genannten Äußerung liegenden Beleidigung der Staatsregierung Strafantrag gestellt werde. Gegen Eisner laufe außerdem ein Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg-Fürth. Dem Beschuldigten werde zur Last gelegt ein Vergehen nach § 96 Abs. 1 Ziff. 1 StGB (Beschimpfung der Bundesrepublik).

Staatsminister Dr. Oechsle erklärt, daß auf alle Fälle ein Disziplinarverfahren durchgeführt werden müsse.

Verunglimpfung ders./Beleidigungsverfahren

Der Ministerrat beschließt, im Hinblick auf das bereits in einer anderen Sache laufende Ermittlungsverfahren Strafantrag wegen Beleidigung der Staatsregierung zu stellen.

IV. Dienstzeitregelung am Karsamstag 1954

Auf Vorschlag des Herrn Staatsministers Zietsch wird beschlossen, der bisherigen Übung entsprechend auch in diesem Jahr am Karsamstag, den 17. April 1954, bei allen Staatsbehörden Dienstbefreiung zu gewähren mit der Maßgabe, daß im übrigen im Monat April der freie Samstag entfällt.72

V. Entlassung von Arbeitern durch die Besatzungsmacht im Werk Allach der Bayer. Motorenwerke AG73

Staatsminister Dr. Oechsle unterrichtet den Ministerrat über die Besprechung, die er mit den Vertretern der Besatzungsmacht am vergangenen Freitag gehabt habe.74 Zu einer klärenden Aussprache sei es leider nicht gekommen, nachdem der zuständige Oberst erklärt habe, die Entlassungen seien auf Weisung höherer Stelle erfolgt, die wiederum ihre Anweisungen unmittelbar aus den Vereinigten Staaten erhalten hätten. Als Grund sei lediglich die Sicherheit der Armee angegeben worden, seine Bemühungen, irgendwelche Einzelheiten zu erfahren, seien vergeblich geblieben.

Er habe daraufhin festgestellt, die Staatsregierung müsse infolgedessen prüfen, ob sie sich mit dem Hauptquartier der amerikanischen Armee in Heidelberg in Verbindung setzen müsse. Die Frage sei nun, ob die Staatsregierung tatsächlich diesen Schritt unternehmen oder die Initiative der Bundesregierung überlassen solle, nachdem die Fraktion der SPD im Bundestag eine Interpellation eingebracht und Herr Bundesarbeitsminister Storch bereits Material angefordert habe. Persönlich sei er aber doch der Meinung, die Staatsregierung solle von sich aus versuchen, mit Heidelberg zu verhandeln. Im übrigen habe er den Eindruck gehabt, daß die politischen Beamten der Amerikaner den Fall bedauerten, die Offiziere aber andererseits sich in keiner Weise beeinflussen liessen.

Ministerpräsident Dr. Ehard weist darauf hin, daß in zahlreichen Fällen auch amerikanische Staatsangehörige selbst entlassen würden, ohne daß Gründe angegeben würden. Was den Fall Allach betreffe, so werde er nochmals mit Herrn Penzel sprechen, welche Schritte wohl am geeignetsten seien.75

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Hans Ehard
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Karl Schwend Ministerialdirektor