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Nr. 1MinisterratssitzungMontag, 8. Oktober 19451 Beginn: 14 Uhr Ende: 14 Uhr 40
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Staatsminister des Innern Josef Seifried, Staatsminister für Unterricht und Kultus Dr. Franz Fendt, Staatsminister der Finanzen Dr. Terhalle, Staatsminister für Wirtschaft Dr. Erhard, Staatsminister für Ernährung und Landwirtschaft Dr. Baumgartner, Staatsminister für Arbeit und Fürsorge Roßhaupter, Staatsrat Dr. Pfeiffer, Staatsrat Dr. Ehard (Staatsministerium der Justiz), Staatsrat Dr. Meinzolt (Staatsministerium für Unterricht und Kultus), Staatsrat Dr. Müller (Staatsministerium der Finanzen), Staatssekretär Dr. Kroth (Staatsministerium für Wirtschaft), Staatssekretär Krehle (Staatsministerium für Arbeit und Fürsorge).

Tagesordnung:

[I. Verzögerung der Genehmigung der Regierung durch die Militärregierung]. [II.] Abänderung der Regierungserklärung. [III.] Einrichtung von Warenhäusern für Displaced Persons. [IV. Ministergesetz]. [V.] Schaffung eines Beratenden Ausschusses.

[I. Verzögerung der Genehmigung der Regierung durch die Militärregierung]

Ministerpräsident Dr. Hoegner eröffnet die Ministerratssitzung mit dem Hinweis darauf, daß die Genehmigung der neuen Regierung durch die amerikanische Militärregierung dadurch verzögert worden sei, daß die Vorlage von Fragebögen erforderlich geworden sei,2 die von drei Herren noch nicht abgegeben worden sind.

[II. Abänderung der Regierungserklärung]

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt dann bekannt, daß die Militärregierung im großen und ganzen mit dem Entwurf der Regierungserklärung3 einverstanden war, jedoch den Wunsch geäußert hat, daß der Nationalsozialismus darin weniger ausführlich erwähnt werde. Infolgedessen wurde die Erklärung in den nachstehenden Punkten abgeändert:

Auf Seite 1 wurde der Absatz „Gerechtigkeit… bis Bekenntnis“ neu eingefügt, wogegen einige bisherige Sätze gestrichen wurden. Neu ist ferner auf Seite 3 oben der Satz „Im Verhältnis ... bis Entschiedenheit ab“.

Auf Anregung von Minister Dr. Baumgartner wurden in diesem Absatz die Worte „die beiden“ durch „Kirche und Staat“ ersetzt, ebenso auf Vorschlag von Minister Dr. Terhalle das Wort „Änderungen“ durch „Neuerungen“.

Staatsrat Dr. Pfeiffer begrüßte die Aufnahme dieses Satzes4 in der Regierungserklärung auf das wärmste, besonders im Hinblick auf die verzerrte Wiedergabe der Äußerungen des Herrn Ministerpräsidenten über diesen Punkt in der Presse.5

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärte dazu, daß er niemals gesagt habe, daß er die Trennung von Staat und Kirche verlange. Er habe vielmehr lediglich geäußert, Trennung von Kirche und Staat sei ein Schlagwort, bezüglich dessen man genau angeben müsse, was man darunter verstehe. Gegenüber der ersten Fassung der Regierungserklärung wurde auf Seite 4 oben der Satz beginnend „Der Bauer“ abgeändert. Der vorletzte Satz auf Seite 4 wurde dahin berichtigt, daß in der neuen Fassung nur mehr von wirtschaftlichen und Währungsfragen, nicht mehr von Fragen der Gesetzgebung die Rede ist. Ministerpräsident Dr. Hoegner teilte dazu mit, daß diese Änderung deshalb erfolgen müsse, weil mit der Errichtung von einheitlichen Reichsstellen für Fragen der Gesetzgebung gerechnet werden muß. Auf Seite 5 ist der Satz „Nach dem … bis Pfalz“ neu eingefügt worden. Ministerpräsident Dr. Hoegner gab dazu noch bekannt, daß er bereits in der Schweiz Gelegenheit gehabt habe darauf hinzuweisen, daß die Pfalz ununterbrochen seit dem Jahre 1214 mit Bayern verbunden sei, nachdem sie in diesem Jahr auf „anständige Weise“, nämlich durch Heirat, erworben worden sei.6

Gegen sämtliche Abänderungen des ersten Entwurfes der Regierungserklärung wurde von keinem der Anwesenden Bedenken erhoben.

Minister Dr. Baumgartner wies daraufhin, daß die Genehmigung der neuen bayerischen Regierung möglichst bald erfolgen müsse, da z. B. auf dem Gebiet seines Ministeriums eine Reihe dringender Fragen zu regeln sei, wie das Verbot der Biererzeugung in Bayern, die Lieferung von 60.000 to Kartoffeln in die englische Zone, die erhöhte Viehlieferung nach Berlin usw.

Minister Roßhaupter fragte an, ob nicht wenigstens die bisher schon im Amt befindlichen Minister ohne Prüfung der Fragebogen weiter amtieren könnten, was von Ministerpräsident Dr. Hoegner nicht bezweifelt wurde.

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilte noch mit, daß in den nächsten Tagen in Höchst [bei Frankfurt a.M.] Besprechungen über wirtschaftliche Fragen stattfinden würden, an denen fünf bayerische Vertreter, darunter ein Mitglied des Bayer. Statistischen Landesamts teilnehmen sollen.7

[III. Einrichtung von Warenhäusern für Displaced Persons]

Außerdem gab er bekannt, daß laut Anordnung der Militärregierung in jedem der Regierungsbezirke ein Warenhaus zur Ausstattung der Displaced Persons (Fremdarbeiter) eingerichtet werden solle.8 In dieser Anordnung ist genau festgesetzt, welche Kleidungsstücke, Decken usw. jeder der in Frage kommenden Personen zu beanspruchen hat. Falls die vorhandenen Vorräte nicht ausreichen, kann laut der genannten Anordnung zur Requisition geschritten werden. Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnete die gestellten Forderungen an sich als bescheiden, sie würden jedoch immerhin eine starke Belastung der Bevölkerung bedeuten. Allerdings sei schon in mehreren Fällen die Versorgung der Fremdarbeiter durch die Landräte mit Winterkleidung durchgeführt worden.

[IV. Ministergesetz]

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärte die baldige Erlassung eines Staatsgesetzes über die Abgrenzung der Rechte und Pflichten der Minister als dringend erforderlich.9

[V. Schaffung eines Beratenden Ausschusses]

Außerdem werde schon in Kürze der geplante Beratungskörper10 einberufen werden, dem Persönlichkeiten aus den verschiedensten Klassen und Berufen angehören sollen und der etwa monatlich zusammentreten solle, um Wünsche und Beschwerden der Bevölkerung zu vertreten. Es sei selbstverständlich, daß diesem Gremium kein früherer Nationalsozialist angehören dürfe. Einzelheiten über Art und Weise der Tätigkeit dieses Ausschusses müssen noch geregelt werden.

Staatsrat Dr. Müller erklärte dazu, daß er bereits einen ähnlichen Ausschuß für den Bereich des Finanzministeriums gegründet habe.

Staatsrat Dr. Pfeiffer erklärte die Einberufung dieses Ausschusses für äußerst dringlich, er glaube, daß eine weitgehende Beruhigung im Lande eintreten werde, wenn durch die Mitglieder dieses Ausschusses bekannt werde, was von seiten der Regierung bereits getan worden ist, welche Fragen zurzeit bearbeitet werden (z. B. das Flüchtlingsproblem, die Frage der öffentlichen Sicherheit, die Straffung der Zentralgewalt usw.).

Die Sitzung wurde durch den Herrn Ministerpräsidenten um 14 Uhr 40 geschlossen.