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Nr. 2MinisterratssitzungSamstag, 20. Oktober 19451 Beginn: 15 Uhr 20 Ende: 17 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Staatssekretär Staatsrat Dr. Pfeiffer, Staatssekretär Staatsrat Dr. Ehard (Justizministerium), Innenminister Seifried, Staatssekretär Ficker (Innenministerium), Arbeitsminister Roßhaupter, Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Finanzminister Dr. Terhalle, Staatssekretär Staatsrat Dr. Müller (Finanzministerium), Kultusminister Dr. Fendt, Staatsrat Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Wirtschaftsminister Dr. Erhard und Minister ohne Portefeuille Schmitt.

Tagesordnung:

[I.] Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern. [II. Bayerischer Beratender Landesausschuß].

[I. Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern]

Ministerpräsident Dr. Hoegner eröffnet die Ministerratssitzung, deren Gegenstand die Vorberatung des Gesetzes über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern bildet.2 Einleitend hebt er die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes hervor. Es sei höchst zweifelhaft, ob die Weimarer Verfassung noch gelte3 und auch ob die alte bayerische Verfassung von 1919 noch in Kraft sei. Nachdem Bayern wieder ein Staat geworden und als solcher anerkannt sei, bestehe die Notwendigkeit, die Grundzüge einer staatlichen Ordnung in einer Art Verfassung oder besser in einer vorläufigen Verfassung wieder festzulegen.

Der Ministerpräsident tritt dann sofort in die Beratung der einzelnen Artikel ein. Er verliest zunächst den Wortlaut des Artikels 1.4

Dieser Artikel wird einstimmig angenommen.

Hierauf wendet sich Ministerpräsident Dr. Hoegner dem Artikel 2 zu.5 Nach seiner Verlesung erklärt er, daß dieser Artikel selbstverständlich den Einschränkungen des Artikels 14 unterliege.6 Er habe es aber für zweckmäßig gehalten, diese allgemeine Einschränkung an den Schluß zu setzen, denn sonst müßte bei jedem Artikel der Verfassung hinzugesetzt werden: „Vorbehaltlich der Zustimmung der Militärregierung“. Es sähe auch besser aus, wenn diese stärkste Einschränkung der Souveränität erst am Schluß aufgeführt werde und nicht gleich am Anfang des neuen Staatsgrundgesetzes erscheine.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt weiter fest, daß zur Zeit kein deutsches Reich bestehe,7 Bayern befinde sich auch in keinem Bundesverhältnis. Daher besitze Bayern auf allen Gebieten die unumschränkte Staatshoheit; wenn es einmal von dieser Staatshoheit etwas abgebe, dann geschehe dies freiwillig.

Staatsrat Dr. Pfeiffer weist darauf hin, daß es sich hier um eine Tatsache von größter historischer Bedeutung handle. Bayern hätte alle Rechte eines souveränen Staates, wenn keine Besatzung da wäre. Jedes neue Gebilde, das über Bayern entstehe, habe nur so viel Souveränität, als Bayern von seiner Souveränität abgebe.

Hierzu bemerkt Ministerpräsident Dr. Hoegner, daß es 1919 ganz anders gewesen sei. Damals bestand als Souverän das deutsche Volk. Von einem deutschen Volk im staatsrechtlichen Sinne könne man aber heute nicht mehr sprechen. Das deutsche Volk sei in eine Reihe von „Staats“ gebilden aufgesplittert, die von verschiedenen Mächten besetzt seien, eine traurige Tatsache, über die man aber nicht hinweg komme. In der heute gegebenen Lage sei es notwendig, von unten anzufangen. Man habe mit dem Aufbau bei den Gemeinden begonnen. In den wenigen Monaten seit der Besetzung seien – wenigstens in der amerikanischen Zone schon wieder Staaten entstanden. Ob Bayern bei der künftigen Neugestaltung des Reiches freiwillig handeln könne, wisse man nicht. So weit es aber vom Willen der Regierung abhänge, stehe er auf dem Standpunkt, daß Bayern sich in keinem Bundesverhältnis befinde. Bayern sei ein selbständiger Staat. Wenn Bayern künftig in ein Bundesverhältnis eintrete, dann binde es sich freiwillig und gestehe nur so viel Rechte zu, als es selber zugestehen wolle. Wenn es allerdings von außen gezwungen werde, so sei dies etwas anderes; das sei dann eben höhere Gewalt. Sonst könne aber Bayern eine Einschränkung seiner Staatshoheit nur freiwillig anerkennen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bittet hierauf den Ministerrat um sein Einverständnis zu diesem Standpunkt, da hiervon sein Auftreten bei den Konferenzen der Ministerpräsidenten und auch bei den Besprechungen mit den Vertretern der Alliierten abhänge.

Staatsminister Dr. Baumgartner erkundigt sich, wie es mit dem Staatsgebiet stehe, insbesondere mit der Pfalz und Lindau.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, er habe ganz vertraulich mit einem Vertreter der französischen Regierung gesprochen. Dieser habe ihm mitgeteilt, Frankreich denke nicht daran, die Pfalz oder Lindau Bayern zu entfremden. Dies sei mit aller Bestimmtheit unter Hinweis auf die viele hundert Jahre alte französisch-bayerische Freundschaft zugesichert worden und zwar ohne jede Gegenleistung. Er, der Ministerpräsident, habe erwidert, daß er selbstverständlich keinen Schritt tun könne ohne Einverständnis der amerikanischen Besatzungsbehörde, das könne aber die freundschaftlichen Gefühle zwischen Frankreich und Bayern nicht stören. Es habe sich bei der ganzen Sache um eine freiwillige Erklärung der französischen Regierung gehandelt. Er dürfe annehmen, daß sie ziemlich offiziell sei.

Staatsrat Dr. Pfeiffer betont, daß es im Hinblick auf diese Perspektiven von Wichtigkeit sei, die Auffassung von der unumschränkten Staatshoheit zur Grundlage des politischen Handelns zu machen. Die Uneinigkeit in den Auffassungen bei den Siegermächten sei unser stärkstes Aktivum. Weiter kämen wir wahrscheinlich in eine Situation, wie sie seit der Völkerwanderung nicht mehr dagewesen sei. Bayern habe 7,5 Millionen Grundbevölkerung. Wenn nun die Invasion durch Flüchtlinge aus Polen Tatsache werde, wenn dann auch noch die Sudetendeutschen dazu kämen, bekämen wir in Bayern sicher 4 bis 5 Millionen Fremdbevölkerung. Wir müßten daher für alle Fälle die Staatshoheit so stark in Anspruch nehmen, wie es überhaupt nur möglich sei. Wenn Abstriche kämen, dann geschehe dies von anderer Seite.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß er es noch für notwendig halte, damit niemand die Regierung dunkler separatistischer Pläne bezichtigen könne, zu betonen, daß der Artikel 2 nur die Folgerung aus der gegenwärtigen staatsrechtlichen Lage ziehe. Niemand denke an einen dauernden Separatismus. Er selbst für seine Person erkläre, daß er Anhänger einer föderalistischen Neugliederung Deutschlands sei, einer föderalistischen allerdings, nicht einer zentralistischen. Das habe er schon in Stuttgart ausgesprochen, daß er sich gegen jeden Zentralismus wende.8 Er glaube, daß hierüber Einigkeit herrsche und daß diese Erklärung geeignet sei, irgendwelche Befürchtungen zu zerstreuen.

Artikel 2 wird hierauf einstimmig angenommen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest hierauf den Artikel 3.9

Absatz 1 wird einstimmig angenommen.

Hinsichtlich des Absatzes 2 bittet Staatsrat Dr. Pfeiffer zunächst um Anfertigung eines Musters. Er fragt an, ob es für dieses Wappen eine historische Interpretation gebe oder ob es sich um eine Neuschöpfung handle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß es sich um ein altes Symbol handle.

Absatz 2 wird hierauf vorläufig zurückgestellt, bis dem Ministerrat ein entsprechendes Muster vorgelegt wird.10

Bei Artikel 4 geht Ministerpräsident Dr. Hoegner absatzweise vor. Zu Absatz l11 erklärt er, daß man von der gegebenen Sachlage ausgehen müsse. Über der vorläufigen Regierung könne nur das Volk stehen. Nachdem es sich hier nur um eine vorläufige Verfassung handeln könne, sei es zweckmäßig, in absehbarer Zeit – innerhalb eines halben oder ganzen Jahres – eine neue Verfassung vorzubereiten, weil wir dann ein Parlament bekämen, das die Aufgabe einer verfassunggebenden Versammlung habe.

Staatsminister Roßhaupter gibt zu erwägen, ob nicht auch diese Arbeiten der verfassunggebenden Körperschaft übertragen werden sollen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, daß man ja nur vorbereite. Er denke nicht daran, bei diesen Vorarbeiten formale langatmige Beratungen abzuhalten; zunächst seien viel wichtigere praktische Dinge zu tun, aber vorbereitet solle die neue Verfassung schon werden, zwar nicht in der Art, daß die Regierung der verfassunggebenden Versammlung einen fertigen Entwurf vorlege. Jedenfalls müsse aber eine gewisse Klärung der Meinungen bereits im Schoße der Regierung erfolgen.

Absatz 1 wird einstimmig angenommen.

Zu Absatz 212 führt Ministerpräsident Dr. Hoegner aus, daß hier selbstverständlich wieder die Einschränkung des Artikels 14 gelte. Im übrigen spreche diese Bestimmung lediglich die Feststellung einer Tatsache aus.

Staatsrat Dr. Meinzolt schlägt vor, das Wort „vorläufig“ zu streichen, da es überflüssig sei.

Mit dieser Maßgabe wird Absatz 2 einstimmig angenommen.

Zu Absatz 313 schlägt Staatsminister Seifried vor, anstelle des Wortes „abzulegen“ aus stilistischen Gründen das Wort „geben“ zu nehmen.

Staatsrat Dr. Meinzolt schlägt vor, anstelle von „sie hat Rechenschaft zu geben“ zu sagen „sie wird Rechenschaft geben“.

Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sich für die Beibehaltung des Wortes „hat“ aus. Dies bedeute auch nur eine Verpflichtung, der man sich freiwillig unterwerfe.

Staatsrat Dr. Ehard pflichtet der Meinung des Ministerpräsidenten bei.

Absatz 3 wird hierauf einstimmig angenommen mit der Maßgabe, daß an die Stelle des Wortes „abzulegen“ das Wort „geben“ tritt.

Artikel 5 wird nach Verlesung durch Ministerpräsident Dr. Hoegner ohne Debatte einstimmig angenommen.14

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest hierauf den Artikel 6. Er schlägt vor, unter g) die Worte „und Sozialpolitik“ zu streichen, da die offizielle Bezeichnung dieses Ministeriums bereits Staatsministerium für Arbeit laute. Es erhebe sich auch die Frage, ob man nicht die Einrichtung eines bayerischen Verkehrsministeriums von der Militärregierung verlangen sollte.

Staatsminister Schmitt fragt wegen des Denazifikationsministeriums an.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schlägt hiefür folgenden Zusatz vor: h) Sonderaufgaben.

Staatsminister Schmitt meint hierzu, daß ganz allgemein der Artikel so formuliert werden solle, daß Erweiterungen des Kabinetts noch möglich seien, da ja z. B. noch ein Verkehrsminister hinzukommen könne.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, daß man dem dadurch Rechnung tragen könne, daß man das Wort „vorerst“ einsetze.

Wirtschaftsminister Dr. Erhard schneidet die Frage der Staatssekretäre an.

Hiefür schlägt Ministerpräsident Dr. Hoegner zu Absatz 1 folgenden Zusatz vor: „und der erforderlichen Zahl von Staatssekretären“ oder noch besser einen Absatz 2: „Die besonders berufenen Staatssekretäre sind Mitglieder der Regierung“.

Artikel 6 wird hierauf in folgender Fassung einstimmig angenommen:

I.) Die Bayerische Regierung besteht aus einem Ministerpräsidenten und vorerst je einem Staatsminister für

a) Justiz; b) das Innere; c) Unterricht und Kultus; d) Wirtschaft; e) Ernährung und Landwirtschaft; f) Finanzen und Steuern; g) Arbeit; h) Sonderaufgaben.

II.) Die besonders berufenen Staatssekretäre sind Mitglieder der Regierung.15

Hierauf verliest Ministerpräsident Dr. Hoegner den Artikel 7 und bittet um Wortmeldung.

Staatsrat Dr. Pfeiffer erklärt, er glaube, der Text des Artikels 7 sei mit Rücksicht auf die ursprüngliche Fassung des Artikels 6 festgelegt worden. Da seien es 8 Minister gewesen. Dazu sei nun noch der Minister ohne Portefeuille gekommen und komme vielleicht noch der Verkehrsminister. Mit den Staatssekretären zähle die Regierung gegenwärtig schon 14 Mitglieder. Es scheine deshalb das Erfordernis der Anwesenheit von 6 Mitgliedern für die Beschlußfähigkeit der Regierung zu gering. Er glaube, daß die Zahl der Regierungsmitglieder, die für die Beschlußfähigkeit erforderlich sei, in Bruchteilen ausgedrückt werden solle, damit sie auch beweglich sei. Er schlage deshalb das Erfordernis einer 2/3-Anwesenheit vor.

Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sich für das Erfordernis der Anwesenheit von 10 Mitgliedern aus.

Staatsminister Roßhauptermeint demgegenüber, daß die Zahl 10 zu hoch sei.

Staatsrat Dr. Pfeiffer schließt sich dem an. Er führt hiezu aus: wenn die politische Konstellation anders wäre, dann wären keine Staatssekretäre, sondern nur Staatsräte berufen worden, dann wären 2/3 der Regierungsmitglieder nur 7. Die Zahl 10 sei also zu hoch.

Staatsminister Roßhaupter hält auch die Festlegung eines Bruchteiles für besser.

Hierauf wird Artikel 7 mit der Maßgabe einstimmig angenommen, daß anstelle der Worte in Absatz 1 „6 Mitglieder“ die Worte „2/3 der Mitglieder“ treten.16

Hierauf verliest Ministerpräsident Dr. Hoegner den Artikel 8. Er erklärt, daß die Berufung und Entlassung der Regierungsmitglieder die Funktion des Ministerpräsidenten sei. Da zu den Regierungsmitgliedern auch die Staatssekretäre zählten, müsse Satz 1 durch den Zusatz „und Staatssekretäre“ ergänzt werden. Satz 2 des Absatzes 1 sei aus der Weimarer Verfassung entnommen.17

Artikel 8 wird mit der vom Ministerpräsidenten vorgeschlagenen Ergänzung einstimmig angenommen.18

Nach Verlesung des Artikels 9 führt Ministerpräsident Dr. Hoegner aus, daß man hier Bedenken haben könne wegen des Ausdruckes Landtag. Der Landtag sei eigentlich ein Parlament. Der in Artikel 9 vorgesehene Ausschuß sei aber kein Parlament, weil er nicht gewählt, sondern berufen sei. Er habe auch nicht die Gesetzgebung. Er frage an, ob man diesen Landtag nicht als Ausschuß bezeichnen solle.

Minister Dr. Terhalle schlägt vor, ihn als Vorläufer des kommenden Landtags zu bezeichnen.

Staatsminister Dr. Baumgartner hält die Bezeichnung dieses Regierungsbeirates als Ausschuß für etwas zu wenig.

Staatsrat Dr. Pfeiffer schlägt folgende Fassung vor: Als Vorläufer des kommenden Landtags einen beratenden Landesausschuß.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schließt sich diesem Vorschlag an und schlägt folgende Formulierung vor: Als Vorläufer des künftigen Landtags einen beratenden Landesausschuß.

Zu Absatz 3 erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, man könne zweifeln, ob man das Wort „muß“, „kann“ oder „soll“ wählen solle. Er schlage „soll“ vor, das sei auch eine Bindung und bereite die schrittweise Erweiterung zur vollen Demokratie vor.

Staatsrat Dr. Meinzolt schlägt für das Wort „Gesamtministerium“ in Satz 2 des Absatzes 3 das Wort „Regierung“ wie in Artikel 6 vor.

Staatsrat Dr. Pfeiffer gibt zu erwägen, ob man nicht anstelle des Wortes „Regierung“ immer das Wort „Staatsregierung“ anwenden solle, um eben die Staatshoheit Bayerns zum Ausdruck zu bringen. Es müßten dann Artikel 4, Artikel 6, Artikel 8 und Artikel 9 entsprechend abgeändert werden.

Artikel 9 wird hierauf einstimmig in folgender Fassung angenommen:

1.) Der Ministerpräsident beruft als Vorläufer des künftigen Landtages einen beratenden Landesausschuß und bestimmt seine Geschäftsordnung. Die Mitglieder des Landesausschusses werden vom Ministerpräsidenten ernannt und abberufen.19

2.) Dem Landesausschuß können weder Wegbereiter noch Anhänger oder Förderer des Nationalsozialismus angehören.

3.) Der Landesausschuß soll vor Erlaß wichtiger Gesetze und vor Festlegung des Haushaltsplanes gehört werden. Die Staatsregierung kann ihm weitere Rechte verleihen.

Ebenso wird einstimmig beschlossen, in den Artikeln 4, 6 und 8 anstelle des Wortes „Regierung“ das Wort „Staatsregierung“ zu setzen.

Zu Artikel 10 erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, daß dieser das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden festlege.

Staatsminister Dr. Terhalle fragt an, ob nicht die Worte „im Rahmen der Gesetze“ überflüssig seien.

Ministerpräsident Dr. Hoegner antwortet, diese seien nicht überflüssig, weil das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden nicht originär sei. Die Quelle des Rechtes sei der Staat, aber dieser könne sein Recht an die Gemeinden delegieren.

Staatsrat Dr. Ehard fragt an, ob nicht die Gemeindeverbände hereingenommen werden müßten und schlägt hiefür den Zusatz in Absatz 1 „und Gemeindeverbände“ vor.

Mit diesem Zusatz wird Artikel 10 einstimmig angenommen.20

Zu Artikel 11 erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, daß es sich hier um eine tatsächliche Feststellung handle.

Staatsrat Dr. Meinzolt hält den Ausdruck „Behördenapparat“ für zu schwerfällig und schlägt den Ausdruck „die Behörden“ vor.

Staatsminister Dr. Terhalle schlägt anstelle der Worte „im Land“ „im Staat“ vor.

Demgegenüber meint Staatsminister Dr. Baumgartner, daß die Amerikaner das Wort Staat ungern hörten. Diese sagten, das Wort Staat komme von Preußen. Das Wort Staat müsse man daher möglichst vermeiden. Man könne hier ruhig den Ausdruck „Land“ belassen. Man spreche doch auch von Landesfarben.

Zur Vermeidung aller Schwierigkeiten und aus stilistischen Gründen macht Staatsrat Dr. Ehard den Vorschlag, Artikel 11 folgendermaßen zu fassen:

„Die Staats- und Gemeindebehörden werden unter Ausschaltung der Nationalsozialisten sowie ihrer Wegbereiter und Förderer neu aufgebaut“.

In dieser Fassung wird Artikel 11 einstimmig angenommen.

Zu Artikel 1221 erklärt Ministerpräsident Dr. Hoegner, daß die Rechtspflege an und für sich unter die Staatsbehörden des Artikels 11 falle. Er halte es aber für notwendig, die Rechtspflege besonders hervorzuheben.

Artikel 12 wird einstimmig angenommen.

Zu Artikel 13 äußert sich Ministerpräsident Dr. Hoegner, daß es sich um eine Übergangsbestimmung handle.22

Artikel 13 wird einstimmig angenommen.

Artikel 14 bezeichnet Ministerpräsident Dr. Hoegner als eine Feststellung, die am Schluß angefügt werden müsse.23

Artikel 14 wird einstimmig angenommen.

Staatsminister Dr. Fendt regt noch einmal an, das Wort „Staat“ immer durch „Land“ zu ersetzen, nur nicht in dem Worte „Staatshoheit“. Der Ausdruck „Land“ sei jedenfalls populär.

Staatsrat Dr. Pfeiffer kann dieser Auffassung nicht zustimmen. Er erinnert an die schweren Auseinandersetzungen beim Erlaß der Weimarer Verfassung, welche zur Ersetzung der Begriffe Staat und Eigenstaatlichkeit das Wort „Land“ hereingenommen habe.24 Wegen der Amerikaner brauche man keine Bedenken zu haben. Bei diesen habe das Wort Land den Sinn von Staat.25 Er bittet, bei dem Ausdruck Staat zu verbleiben.

Staatsminister Dr. Terhalle unterstreicht diese Ausführungen. Er fügt hinzu, daß in Norddeutschland der Ausdruck Landesverwaltung Provinzialverwaltung bedeute. Diese Verwechslung solle hintangehalten werden.

Es wird einstimmig beschlossen, daß es bei dem Ausdruck Staatsregierung bleibt.

Staatsrat Dr. Pfeiffer wünscht, daß der beratende Landesausschuß rasch gebildet werde.26 Der Landesausschuß komme dem Bedürfnis nach Orientierung entgegen. Die entfernter liegenden Gebiete könnten dadurch in den Staatsapparat eingeschaltet werden, außerdem sei er ein Ventil, wo Wünsche und Meinungen ausgesprochen werden können. Er halte es für zweckmäßig, wenn Entwürfe über den Landesausschuß an die Regierung gelangen würden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt dieser Auffassung zu. Er habe dies bereits in der Regierungserklärung angekündigt. Er wolle in den Landesausschuß 50 Personen berufen.27 Über diese Zahl wolle er nicht hinausgehen.

Staatsminister Roßhaupter hält Unterausschüsse des Landesausschusses für notwendig.

Staatsminister Dr. Baumgartner fragt an, ob die Versammlungen des Landesausschusses öffentlich seien.

Ministerpräsident Dr. Hoegner antwortet, daß er dies vorerst nicht für richtig halte. Der Landesausschuß soll ein Ventil für die Volksstimmung sein. Schon das sei wertvoll. Andererseits habe die Regierung auch die Gelegenheit, dem Ausschuß und damit dem ganzen Lande ihre Schwierigkeiten mitzuteilen. So dienten die Ausschüsse mittelbar der Volksaufklärung.

Staatsminister Roßhaupter verlangt, daß Nordbayern im Landesausschuß besonders stark vertreten sein müsse.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß er sich die Berufung folgendermaßen vorstelle:

Zunächst Vertreter der politischen Parteien. Man könnte hierbei auf den Landtag vor 1933 zurückgehen, dann Vertreter aus allen Berufen, auch Beamte. Er schlage vor, eine allgemeine Aussprache über diesen Ausschuß nach Verabschiedung des Gesetzes über die vorläufige Staatsgewalt zu eröffnen. Weitere Anträge zu diesem Gesetz werden nicht gestellt. Ergänzungen werden nicht gewünscht. Ergänzungen über Grundrechte und Grundpflichten28 hält Ministerpräsident Dr. Hoegner nicht für notwendig, da sie sich aus dem Begriff der demokratischen Republik von selbst ergäben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß das Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern einstimmig angenommen sei.29

[II. Bayerischer Beratender Landesausschuß]

Hierauf eröffnet er die Aussprache über den beratenden Landesausschuß.

Staatsminister Dr. Baumgartner hält es für wichtig, daß von vorneherein festgelegt wird, daß der Landesausschuß überparteilich ist; es dürfte im Lande nicht die Meinung entstehen, daß jede Partei eine bestimmte Anzahl von Sitzen beanspruchen könne, so daß gleich wieder ein Parteienstreit entstehe. Man müsse festlegen, daß es sich um eine beratende Körperschaft handle.

Demgegenüber weist Ministerpräsident Dr. Hoegner darauf hin, daß dies ja schon in Artikel 9 stehe. Durch das freie Ernennungs- und Abberufungsrecht sei es ja schon zum Ausdruck gebracht, daß nicht bestimmte Parteien Anspruch auf bestimmte Sitze hätten. Bei einer Mitgliederzahl von 50 Personen gehe das schon gar nicht. Aber über die Richtlinien der Berufung müsse schon eine Aussprache erfolgen.

Der Ministerpräsident erklärt weiter, er sei der Meinung, daß die Berufung des Landesausschusses zu den vordringlichsten Aufgaben gehöre. Er wolle Vertreter der verschiedensten Richtungen einberufen. Damit meine er selbstverständlich Vertreter der politischen Gruppen und Vertreter aller Berufe. Er kenne selbst z. B. ein paar Bauern, die in ihrem Bezirke großes Ansehen genießen und die er berufen wolle.

Staatsminister Roßhaupter meint, daß man bei der Berufung Rücksicht auf die Fragen nehmen müsse, die zunächst vordringlich zu lösen seien, z.B.: Bauwesen, Steuern, Flüchtlingsprobleme, Überfremdung des Beamtenkörpers usw.

Staatsrat Dr. Pfeiffer schlägt vor, daß auch Bürgermeister der verschiedenen Gemeindekategorien in den Landesausschuß berufen werden sollen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner ergänzt dies dahin, daß er auch den einen oder anderen Landrat berufen wolle.

Staatsminister Roßhaupter meint, daß hiefür in erster Linie solche von Bezirken an der Nord- und Ostgrenze in Betracht kämen.

Staatsminister Dr. Fendt schlägt die Berufung von Universitätsprofessoren vor.

Staatsminister Dr. Terhalle führt aus, da die Zahl der Sitze begrenzt sei, solle man nur allgemein orientierte Persönlichkeiten nehmen und den Ministerien überlassen, Ausschüsse mit Spezialisten zu berufen.

Hiergegen wendet sich Staatsminister Roßhaupter. Man solle in den Landesausschuß auch Sachverständige mit Spezialkenntnissen berufen. Diese seien fast wichtiger als die politischen Vertreter, wenigstens für die nächste Zukunft. Auch jüngere Leute solle man berücksichtigen, damit diese für den Staat und für seine Aufgaben interessiert würden und Wegbereiter für die praktischen Aufgaben des zukünftigen Parlaments seien.

Staatsminister Schmitt schlägt vor, daß nicht alle Vertreter als ständige Vertreter ernannt werden sollten. Vielleicht könne man die Vertreter auswechseln.

Ministerpräsident Dr. Hoegner und Staatsminister Roßhaupter halten dies für zu schwierig.

Auch Staatsrat Dr. Pfeiffer wendet sich dagegen. Jedes Mitglied des Landesausschusses sei ein Sammelpunkt der Wünsche der Bevölkerung. Bei einer Auswechslung würde nur Unsicherheit eintreten. Ein solcher Apparat müsse sich einspielen und könne nicht ständig erneuert werden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß diese Berufung in den Landesausschuß keine dankbare Aufgabe sei. Aber irgendwie müßten Vorschläge hereinkommen. Es fehlt zwar nicht an Leuten, die sich selbst vorschlagen, aber dabei habe er noch wenig Brauchbares gefunden.

Staatsminister Schmitt wünscht, daß auch Frauen in den Landesausschuß berufen werden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner ist damit einverstanden. Er halte dies für ganz richtig.

Staatsminister Dr. Baumgartner meint, daß man besser vorwärts komme, wenn man von der Zahl 50 ausgehe und die Sitze dann verteile.

Dagegen wendet sich Ministerpräsident Dr. Hoegner, da er sich nicht binden möchte.

Staatsminister Dr. Erhard verlangt für die einzelnen Ministerien die Möglichkeit, kleinere Ausschüsse bilden zu können, die nicht im Landesausschuß in Erscheinung treten. Man könne aber dann sagen, die von diesen Ausschüssen vertretene Meinung sei schon etwas geläutert.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, das sei etwas ganz anderes. Keinem Minister sei es benommen, irgendwelche Berater heranzuziehen, besonders dann, wenn keine Ausgaben dadurch entstünden.

Der Ministerpräsident erklärt abschließend, er möchte die Sache nicht länger als 2 bis 3 Wochen hinausziehen. Anfang Dezember wolle er den Landesausschuß erstmals einberufen, obwohl die Vorarbeiten nicht einfach seien.

Staatsrat Dr. Pfeiffer gibt zu erwägen, ob nicht eine bestimmte Zahl von Mitgliedern von der Staatsregierung berufen werden solle, die übrigen von den Regierungspräsidenten, weil diese die örtlichen Verhältnisse besser kennen, während die Regierung die Notwendigkeiten der Zentrale besser übersehe.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß er daran auch schon gedacht habe; er habe sich bei der Fassung des Artikels 9 vollständig freie Hand gelassen. Mit den Vorschlägen der Regierungspräsidenten sei es aber etwas besonderes. Die Regierungspräsidenten seien Beamte. Sie würden öfters angegriffen. Es bestehe Gefahr, daß der Regierungspräsident sich dann Leute aussuche, die ihm paßten. Man habe dann den Vorwurf zu erwarten, daß die von den Regierungspräsidenten vorgeschlagenen Leute solche seien, die staatsfromm seien. Das könne man aber nicht brauchen.

Staatsminister Seifried führt aus, daß auch auf politischem Gebiet und bei den Gewerkschaften schon reges Leben herrsche. Aus diesen Kreisen würden sicher Vorschläge kommen von Personen, die vom Vertrauen weiter Volksschichten getragen seien, auch wenn die Regierungspräsidenten kein Vorschlagsrecht bekämen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, daß die Berufsverbände sich bis jetzt noch nicht hätten hören lassen. Man werde aber an sie herantreten.

Als solche Berufsverbände schlagen Staatsminister Dr. Baumgartner vor den Bauernverband und Staatssekretär Ficker die Genossenschaften, die Innungen und die Gewerkschaften.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt sich mit diesem Vorschlag einverstanden und fügt noch die Industrie- und Handelskammern hinzu.

Staatsrat Dr. Pfeiffer führt aus, daß es sich dann um eine Mischung von Berufung und Entsendung handle. Die endgültige Auswahl habe aber der Ministerpräsident.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt dem zu. Er werde wohl mehr Vorschläge bekommen, als er Leute brauchen könne. Außer diesen Vorschlägen wolle er aber noch den einen oder anderen berufen, den er persönlich kenne, z.B. aus Kreisen der Bauern, die nicht so bekannt seien. An die Vorschläge der Berufsverbände möchte er nicht gebunden sein; er wolle sie als Vorschläge zur Auswahl betrachten. Durch die Reihenfolge der aufgeführten Namen könnten die Verbände den Wert bestimmen, den sie den einzelnen Personen beilegten. Das sei auch schon eine Form der Demokratie.

Staatsrat Dr. Pfeiffer fügt hinzu, daß man gleich Fragebogen bei der Aufforderung zum Vorschlag verlangen solle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner faßt den Inhalt der Vorschläge folgendermaßen zusammen:

1. Vorschläge politischer Gruppen,

2. Vorschläge von Wirtschaftsverbänden,

3. freie Wahl aus den freien Berufen heraus, z. B. Universitätsprofessoren, Ärzte, Rechtsanwälte usw.

Er wolle keine besondere Verordnung erlassen, sondern gleich praktisch vorgehen.

Staatsminister Seifried erklärt, daß sich bei der Beratung von wichtigen Fragen der Ausschuß von Geheimrat Weber30 sehr bewährt habe.

Ministerpräsident Dr. Hoegner ist damit einverstanden, auch das eine oder andere Mitglied dieses Ausschusses hereinzunehmen, z. B.

Geheimrat Weber selbst, wenn er sich dazu bereit findet.

Der Bayer. Ministerpräsident:
gez. Dr. Wilhelm Hoegner
Der Sekretär des Ministerrats:
gez. Claus Leusser
Oberregierungsrat
Der Leiter der Bayer. Staatskanzlei:
gez. Dr. Anton Pfeiffer
Staatssekretär