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Nr. 18MinisterratssitzungMittwoch, 20. Februar 1946 Beginn: 15 Uhr 20 Ende: 18 Uhr 20
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Arbeitsminister Roßhaupter, Innenminister Seifried, Kultusminister Dr. Fendt, Finanzminister Dr. Terhalle, Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Wirtschaftsminister Dr. Erhard, Verkehrsminister Helmerich, Minister für Sonderaufgaben Schmitt, Staatssekretär Staatsrat Dr. Pfeiffer, Staatssekretär Ficker (Innenministerium), Staatssekretär Thunig (Staatsministerium für Ernährung und Landwirtschaft), Staatssekretär Fischer (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Staatsrat Dr. Ehard (Justizministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Staatssekretär Waldhäuser (Verkehrsministerium), Reichsbahnpräsident Dr. Rosenhaupt.

Tagesordnung:

I. Bericht über die Arbeiten des Denazifizierungsausschusses in Stuttgart. [II. Zivilinternierte]. [III.] Die Lage im Sachverständigenwesen. [IV.] Abänderung des Gesetzes Nr. 2 über die Personenkraftwagen von Mitgliedern der NSDAP oder ihrer Gliederungen. [V. Petitionsrecht]. [VI. Kraftfahrzeugumschreibung]. [VII. Veröffentlichung von Gesetzen und Verordnungen]. [VIII. Entwurf eines Gesetzes über die Anmeldung von Heeresgut]. [IX. Währungsreform]. [X. Autonome Brandversicherungsanstalt in der Pfalz]. [XI. Borkenkäfergefahr infolge des enormen Holzeinschlags]. [XII. Kritik an der Landesforstverwaltung]. [XIII. Termine].

I. [Bericht über die Arbeiten des Denazifizierungsausschusses in Stuttgart]

Staatsminister Schmitt führt aus, die diesmalige Sitzung des Denazifikations-ausschusses1 sei von Überraschungen und Schwierigkeiten begleitet gewesen, die nicht immer leicht zu lösen gewesen seien. Vom Kontrollrat in Berlin sei eine vierköpfige Delegation dagewesen. Der Führer dieser Delegation Fahy2 habe bereits am ersten Tag Richtlinien des Kontrollrats vorgelegt, die sich im wesentlichen auf das erste bayerische Gesetz stützten, jedoch in dem zu erfassenden Personenkreis viel weiter gingen. Die Deutschen hätten gleich den Vorschlag gemacht, das am 7. und 8. Februar in Stuttgart beschlossene Gesetz, das von den drei Ministerpräsidenten angenommen worden sei, als Grundlage zu nehmen und in dieses die Abweichungen und Ergänzungen aus den Richtlinien des Kontrollrats einzubauen. Nach einigem Hin und Her sei dies zugestanden worden. Zunächst habe man dann mit der Durcharbeitung der einzelnen Paragraphen begonnen. Nach einigen Verhandlungstagen sei die erste Liste der zu erfassenden Aktivisten und Hauptschuldigen übergeben worden, nach zwei Tagen eine weitere, die aber ebenfalls noch ergänzt wurde, als endgültige Liste. Durch die stufenweise Überreichung dieser Listen sei zunächst ein ganz gewaltiger Schock entstanden. Die in der Liste aufgeführten Personen, die als Hauptschuldige und Aktivisten in Frage kommen, sollten nicht nur durch die Kammern geschleust, sondern bereits bei Inkrafttreten des Gesetzes einer Reihe von Auflagen unterliegen, welche die deutsche Delegation im ersten Moment sehr erschreckt hätten. So sollten sie sofort aus allen Beamtenstellen und aus allen führenden Stellen in der Wirtschaft entfernt werden, nicht erst nach ihrer Prüfung durch den Ausschuß. Außerdem sollte sofort die Vermögenssperre eintreten. Nach einer längeren Unterbrechung und gemeinsamer Beratung der deutschen Delegationen habe man sich entschlossen, den Vorschlag zu unterbreiten, diese Personen durch den Anklagevertreter, der jetzt obligatorisch sei, scharf zu prüfen. Man habe geglaubt, dadurch die obligatorische Ausschaltung verhindern zu können. Zunächst habe es den Anschein gehabt, als ob die Amerikaner darauf eingingen. Am anderen Tage sei aber von Oberst Bowie,3 dem neuen Führer der amerikanischen Delegation (Fahy war inzwischen abgereist) mitgeteilt worden, er habe mit General Clay ein Ferngespräch geführt und habe von diesem die Auskunft erhalten, inwieweit er Zugeständnisse machen könne. Dieser habe geäußert, daß er darauf nicht eingehen könne. In dieser Sitzung habe die deutsche Delegation eine starke Lektion erhalten. Diese Lektion habe mit einem Ultimatum oder mit einer Drohung geendet: Wenn sich die Deutschen nicht auf die Kontrollratsrichtlinien4 einigten, so werde die Denazifizierung von der Militärregierung durchgeführt. Dies bedeute keineswegs eine Erleichterung. Selbst auf die Gefahr hin, daß die Säuberung vorübergehende Störungen hervorrufen könne, so seien diese doch nicht so groß wie das Elend, das die Nazis und die Militaristen über die Welt gebracht hätten. Wenn man durch diese Säuberung erreichen könne, daß Nazismus und Militarismus ausgerottet werden, müßten kurzfristige Störungen in Kauf genommen werden. Nach der Säuberung müsse eine Schicht durch eine andere abgelöst werden. Wenn keine Einigung erzielt werde, werde die Militärregierung die Säuberung nicht mit derselben Fairneß durchführen, wie es die deutschen Behörden tun könnten. Nach dieser Sitzung, welche die deutsche Delegation sehr schockiert habe, und die ziemlich barsch abgebrochen worden sei, habe es der ganzen diplomatischen Kunst von Staatssekretär Dr. Pfeiffer bedurft, um wieder eine Plattform für die Verhandlungen zu finden. Es habe dann eine kleine Aussprache stattgefunden, an der auch der württembergische Ministerpräsident beteiligt gewesen sei. In dieser Sitzung hätten die Amerikaner erklärt, daß durch den Nationalsozialismus ungeheures Leid entstanden sei und daß die amerikanischen Soldaten schon das zweite Mal nach Europa gemußt hätten, um einen von Deutschland heraufbeschworenen Krieg zu beenden. Der Nationalsozialismus und Militarismus müsse unter allen Umständen mit Stumpf und Stiel ausgerottet werden. Es habe dann eine Einladung des Oberbürgermeisters von Stuttgart5 stattgefunden, bei der sich die Konferenzteilnehmer näher gekommen seien, was auch dazu geholfen habe, die Schwierigkeiten zu überwinden.6 Die Verhandlungen seien dann weitergeführt worden. Man habe verschiedene Kommissionen und Unterkommissionen gebildet, die ein Gesetz zustandegebracht hätten, wobei man erreicht habe, daß die Liste des zu erfassenden Personenkreises als Anhang dem Gesetz beigefügt worden und ausdrücklich als Liste des Kontrollrats bezeichnet worden sei. Bei der Durchführung des Gesetzes sei man selbstverständlich an die Richtlinien des Kontrollrats gebunden, die für alle Zonen verbindlich seien. Die Personen, für welche die Rechtsvermutung der Liste bestehe, seien mit Inkrafttreten des Gesetzes aus allen Positionen zu entfernen. Es sei lediglich eine zweimonatige Respektsfrist eingeräumt worden, in welcher wir Gelegenheit nehmen sollten, die Hauptschuldigen und Aktivisten zu fassen und so rasch als möglich durch die Ausschüsse zu schleusen. Die Strafbestimmungen des Gesetzes, die durch den Kontrollrat vorgeschrieben seien, träten erst zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes in Kraft. Die automatische Rechtsvermutung der Liste sei widerlegbar. Sie könne durch Entscheide der Kammern entkräftet und vollkommen widerlegt werden. Schwerwiegend sei, daß das Verfahren mit umgekehrter Beweislast durchgeführt werde. Die Aktivisten hätten von sich aus den Nachweis zu erbringen, daß sie nicht als solche in Betracht kämen. Daran sei nichts zu rütteln gewesen. Er wolle sich nun bemühen, in kurzen Zügen das Positive herauszuheben. Dies sei seiner Meinung nach folgendes:

1.) Die Entnazifizierung komme restlos in deutsche Hände und zwar nach dem Wunsch des Kontrollrats bereits ab 1. März.

2.) Die bisherigen Gesetze der Militärregierung, vor allem das Gesetz Nr. 8 kämen in Wegfall.

3.) Die bisher entschiedenen Fälle könnten alle nochmals aufgegriffen werden, auch bisher für o.k. befundene Fälle könnten erneut überprüft werden. Das Urteil der Kammer sei endgültig.

4.) Durch die Einbeziehung der Kasernierung als Sühnemaßnahme für Hauptschuldige und Aktivisten sei die Möglichkeit geschaffen, daß diese gegen Kriegsgefangene ausgetauscht werden könnten, wobei erklärt worden sei, daß der Kontrollrat damit einverstanden sei.

5.) Alle Personen, die in der amerikanischen Zone auf Grund des Gesetzes entfernt würden, könnten in keiner anderen Zone in gleicher Stellung weiter beschäftigt werden.

6.) Dieses Gesetz werde wahrscheinlich zum allgemeinen Gesetz für ganz Deutschland erklärt werden, weil die Richtlinien des Kontrollrats für allgemein bindend erklärt worden seien.

7.) Auch die Behandlung der Jugendlichen sei sehr milde; außer wenn es sich um Aktivisten oder Hauptschuldige handle, sollten die Jugendlichen nicht einmal zu Mitläufern erklärt werden. Der Stichtag des alten Entwurfs 1.1. 1920 sei heraufgesetzt worden auf 1. 1. 1919.

8.) Zwischen Aktivisten und Hauptschuldigen auf der einen Seite und Mitläufern auf der anderen Seite finde eine scharfe Trennung statt. Die schon äußerlich als Mitläufer erkennbaren Personen könnten im vereinfachten Verfahren behandelt werden, müßten also nicht durch die Kammern geschleust werden.

9.) Auch die ausländischen Faschisten könne man durch dieses Gesetz erfassen, ebenso diejenigen, die von Hitler nach dem 30. Januar 1933 die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hätten.

10.) Unser Grundsatz der individuellen Überprüfung sei absolut gewährleistet, das sei für uns die Hauptsache.

Zur Durchführung des Gesetzes sei eine Registrierung durchzuführen. Hier handle es sich um eine unabdingbare Forderung des Kontrollrats. Die deutsche Delegation hätte sich einmütig gegen ein Fragebogen-System gewehrt, hätte aber nicht verhindern können, daß ein sogenannter Meldebogen eingeführt werde. Man habe schon einen Entwurf gemacht mit einigen Fragen, die von allen über 18 Jahre alten Deutschen ausgefüllt werden müßten. Man habe diesen Vorschlag gemacht, um das Wort Registrierung nicht zu gebrauchen. Man habe sich darüber unterhalten, ob nicht dadurch schon eine Diskriminierung entstehe. Man habe sich aber dann entschlossen, alle über 18 Jahre alten Deutschen diesen Meldebogen unterschreiben zu lassen. Die Meldebogen sollten dem Anklagevertreter dazu dienen, den Personenkreis festzustellen, der vor die Ausschüsse komme, und die Hauptschuldigen und Aktivisten zu erkennen, um eine schnelle Durchführung dieser Fälle zu ermöglichen. Bei jeder Kammer müsse ein Anklagevertreter fungieren, welcher die Voruntersuchung zu führen und die Anklage zu erheben habe. Die Kammer selbst könne nach freiem Ermessen entscheiden. Ein Hauptschuldiger, der als solcher angeklagt sei, könne, wenn er die nötigen Beweise erbringe, absolut freigesprochen werden. Die Kammer sei nicht an den Antrag des Anklagevertreters gebunden. Es sei ferner die Bedingung gestellt worden, daß alle Länder einen Denazifizierungsminister zu ernennen hätten. In Bayern und Großhessen sei bereits ein solcher vorhanden, Württemberg werde ihn jetzt einführen.7 Der Minister habe eine Reihe von Vollmachten z. B. die Genehmigung der Weiterbeschäftigung in bedeutenden Unternehmungen, im Sicherheits- und Gesundheitsdienst usw. Er sei verantwortlich für die Durchführung eines gerechten Verfahrens. Er habe die Mitglieder und Vorsitzenden der Kammern, sowie die Anklagevertreter zu ernennen und zu vereidigen. Er müsse die Durchführungsbestimmungen zum Gesetz erlassen und habe die Durchführungsanweisungen zu geben. Zusammenfassend wolle er sagen, wenn das Gesetz in deutsche Hände komme, so sei uns nach den Erläuterungen von Oberst Oppenheimer, der uns bei den Verhandlungen weitgehend unterstützt habe, die Möglichkeit gegeben, das Gesetz großzügig auszulegen und anzuwenden, so daß Härten und Erschütterungen vermieden und manche Ungerechtigkeiten, die bisher entstanden seien, wieder gutgemacht werden könnten. Er schlage vor, daß das Gesetz, so wie es heute bestehe, angenommen werde. Er richte diese Bitte vor allem an den Ministerpräsidenten, zumal vorgesehen sei, daß morgen in Stuttgart die Endredaktion vorgenommen werden solle. In Anerkennung der Verdienste der bayerischen Delegation,8 die den ersten Entwurf geliefert habe, solle die endgültige Unterzeichnung am kommenden Montag durch die drei Ministerpräsidenten und den Kontrollrat in München auf einer außerordentlichen Sitzung des Länderrats stattfinden.9 Zum Schluß wolle er noch bemerken, daß die deutsche Delegation auch den Vorschlag unterbreitet habe, daß eine bestimmte Stelle beim Länderrat und bei der Militärregierung benannt werde, die für die Durchführung dieses Gesetzes verantwortlich sei. Man habe diesen Antrag gestellt, weil erklärt worden sei, daß der Kontrollrat sich die Aufsicht Vorbehalte. Er werde zwar nicht alle Fälle nachprüfen, aber Stichproben machen. Man habe auch bestimmte personelle Vorschläge gemacht. Wenn diese Vorschläge akzeptiert würden, dann glaube er, daß man im engsten Kontakt mit diesen Herren die Säuberung in dem von uns gewünschten Sinne zur Durchführung bringen könne zum Segen unseres bayerischen Volkes. Es sei mitgeteilt worden, daß sowohl das Gesetz wie auch die Verhandlungen vertraulich behandelt werden müßten bis zur endgültigen Unterzeichnung. Staatssekretär Dr. Ehard werde noch über die juristische Seite einige Ausführungen zu machen haben, ebenso Staatssekretär Dr. Pfeiffer. Er glaube, daß dann ein rundes Bild dieser Verhandlungen entstehe.

Staatssekretär Dr. Ehard führt aus, er wolle in großen Zügen ein Bild des Gesetzes geben und sich zunächst auf das Grundsätzliche beschränken. Ebenso könne er einen Überblick über die Wirkungen des Gesetzes nur im ganzen geben. Er wolle ganz objektiv vorgehen und zunächst keine Stellung zum Für und Wider nehmen. Das Gesetz zerfalle in zwei Teile. Der erste Teil, das eigentliche Gesetz, sei entstanden aus dem bayerischen Gesetz und aus dem Drei-Länder-Gesetz von Stuttgart. Der zweite Teil, ein Anhang, der aber ein wesentlicher Bestandteil des Gesetzes sei, sei eine Liste von Personengruppen, die uns vom Kontrollrat bindend vorgeschrieben worden sei. Das Gesetz sei im Aufbau im wesentlichen unverändert geblieben. Es habe nur die Ergänzungen erfahren, die durch die Hinzufügung der Liste notwendig geworden seien. Es seien auch einige Verschärfungen eingetreten, die aber durchaus erträglich, manchmal sogar erwünscht gewesen seien. Im übrigen habe es sich um einen Kampf nicht nur um einzelne Paragraphen, sondern auch um Formulierungen, um Worte und philologische Auslegungen von Übersetzungen gehandelt. In manchen Formulierungen werde man ein etwas labiles Gleichgewicht finden, das man gerne akzeptiert habe, nachdem die Amerikaner erklärt hätten, wenn wir das Gesetz in unserer Hand hätten, sei es unsere Sache, es auszulegen. Wir seien also nur an den engen Kreis gebunden, der uns vorgeschrieben sei, hätten aber einen gewissen Spielraum in der Auslegung, insbesondere in der Entwicklung von Begriffen, z. B. des Begriffs „gewöhnliche Arbeit“. Es gebe nunmehr folgende Gruppen:

1.) Die Hauptschuldigen, die auf Wunsch der Amerikaner eingefügt worden seien,

2.) Die Belasteten, die unserer Gruppe Aktivisten, Militaristen und Nutznießer entsprächen,

3.) die minder Belasteten, diese entsprächen unserer Bewährungsgruppe. Diese Gruppe sei von den Amerikanern schließlich zugestanden worden,

4.) die Mitläufer,

5.) die Entlasteten.

Die Definition sei folgendermaßen aufgebaut: Bei den Hauptschuldigen und Belasteten sei der wesentliche Tatbestand im Gesetz enthalten, etwas lokkerer bei der Bewährungsgruppe, bei den Mitläufern und den Entlasteten. Die Frage sei nun, welche Folgen sich an die Einreihung in diese Gruppen anknüpften. Hier seien Sühnemaßnahmen von entscheidender Bedeutung vorgesehen und zwar seien für Hauptschuldige und Belastete eine Reihe von Sühnemaßnahmen zwingend vorgeschrieben. Hier handle es sich um ein Diktat der Amerikaner, das sich aber auch mit unserer Auffassung decke. Schon in unseren Entwürfen seien eine Reihe von Maßnahmen vorgeschrieben gewesen, die zwingend einzutreten hätten bei den Hauptschuldigen. Für die Hauptschuldigen sei Arbeitslager bis zu 10 Jahren vorgesehen, gegen Aktivisten könne Arbeitslager bis zu 5 Jahren ausgesprochen werden. Bei der Einreihung in die Gruppen könnten zugunsten oder zuungunsten der Betroffenen eine Reihe von Umständen berücksichtigt werden, die entweder die Belastung erhöhten oder erleichterten. Auch bei der Zuweisung von Sühnemaßnahmen könnten mildernde Umstände berücksichtigt werden, so daß das, was schon geschehen sei, angerechnet werden könne. Der übrige Teil der Sühnemaßnahmen sei geblieben. Sie könnten auswahlweise zugeteilt werden. Für die Mitläufer komme im großen und ganzen nur ein Sonderbeitrag in Frage, entweder in Form eines laufenden Betrags oder einer einmaligen Zahlung oder in beidem, entweder durch eine Steuervorschrift oder im Anschluß an eine Steuervorschrift. Man denke an eine generelle Form, so daß es nicht notwendig sei, jeden Mitläufer durch das Verfahren durchzuschleusen. Zum Ablauf des Verfahrens habe er folgendes zu bemerken: Es sei ein Anklagevertreter eingebaut, eine Art Staatsanwalt, der die Vermittlungen führen, anzuklagen und den Antrag auf Einreihung in eine Gruppe zu stellen habe. Die Vorschriften über das Verfahren vor den Kammern seien im wesentlichen unverändert geblieben. Es gebe Spruchkammern und Berufungskammern. In das Gesetz seien eine Reihe von Strafvorschriften eingebaut, die von den Amerikanern gewünscht worden seien. Diese seien sehr ernst zu nehmen. Er komme nun zum Kernpunkt der Sache, der Liste. Diese sei uns in einem sehr späten Stadium als bindend unterbreitet worden. Man habe nur gewisse Erleichterungen und Varianten einführen können, auch sei es möglich gewesen, die Liste in zwei Klassen zu unterteilen. Sonstige Abänderungen seien aber nicht gestattet worden. Diese Liste enthalte eine Unzahl von Personen, die entweder zur Partei oder einer Gliederung in einer besonderen Beziehung gestanden seien. Sie enthalte aber auch einen sehr großen Kreis von Personen, die gar nicht mit der Partei in Zusammenhang stehen müßten, sondern die bloß wegen ihres Amtes oder ihrer Tätigkeit unter die Liste fielen. Sie fielen sogar gruppenweise dann unter diese Liste, wenn sie nach einem bestimmten Zeitpunkt in eine gewisse Gehaltsklasse gekommen oder darüber hinaus befördert worden seien. Der Kreis sei sehr groß. Diese Liste nun sei durch eine Gruppe ergänzt worden, die etwas labiler sei, nämlich diejenigen, die unter das Gesetz Nr. 8 fielen. Diese hätten hineingearbeitet werden müssen, weil sonst eine Aufhebung des Gesetzes Nr. 8 nicht zu erreichen gewesen sei. Es sei nun die Frage, welche Wirkungen diese Liste habe. Man müsse hier zwei große Gruppen von Wirkungen scharf unterscheiden: Mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes müßten alle Leute, die in dieser Liste aufgezählt seien, automatisch entlassen werden, zwar mit einer Frist, für die zuletzt zwei Monate zugestanden worden seien; insbesondere sei auch für das Inkrafttreten der Strafbestimmung diese Frist gewährt worden. Um den Begriff „Entlassung“ sei in langen Verhandlungen sehr heftig gekämpft worden. Man unterscheide eine Beschäftigung in der öffentlichen Verwaltung, in der halböffentlichen Verwaltung und eine Beschäftigung in Privatunternehmungen. So weit öffentliche Verwaltung in Betracht komme, seien die in der Liste enthaltenen Personen aus den Ämtern zu entfernen und könnten nur in gewöhnlicher Arbeit beschäftigt werden. Hier spielte der Begriff „gewöhnliche Arbeit“ eine sehr große Rolle. Es heiße nicht „gewöhnlicher Arbeiter“, sondern „in gewöhnlicher Arbeit“. Die Übersetzung „gewöhnlicher Arbeiter“ sei von jeher falsch gewesen. Gewöhnliche Arbeit heiße nicht Handarbeit, sondern bedeute eine Stellung, in der der Betreffende keinerlei leitende Befugnisse habe, keinerlei Einfluß auf die Leitung des Geschäftsbetriebes, keinerlei Einfluß auf das Personal, auf dessen Entlassung oder Einstellung. Bei den öffentlichen Betrieben bestehe insofern noch eine Verschärfung, daß der Betreffende zwar in einer untergeordneten Stellung weiterbeschäftigt werden dürfe, aber nicht mehr in demselben Ressort. So könne z.B. jemand, der Sparkassendirektor gewesen sei, als Rechner in einer untergeordneten Stellung wieder beschäftigt werden, aber nicht mehr bei der Sparkasse. Ein leitender Arzt eines Krankenhauses könne nicht mehr als Abteilungsleiter verwendet werden, aber in einem anderen Krankenhaus als einfacher Chirurg tätig sein, wobei es nicht schade, daß er in dieser Eigenschaft Anweisungen an seinen Assistenten oder an die Krankenschwestern gebe. In dieser Form habe man versucht, den Begriff der gewöhnlichen Arbeit zu definieren; dieser Begriff sei aber noch entwicklungsfähig. Bei der öffentlichen Verwaltung habe dieser Begriff die schärfste Formulierung erfahren. Bei der gemischten öffentlichen Verwaltung sei er vermieden. Man habe mehr detailliert abgestellt auf die Entfernung aus einer leitenden Stellung unter Ausschaltung jeglichen Einflusses auch auf den technischen Betrieb und auf die Personalpolitik. Die dritte Gruppe, Unternehmungen der privaten Hand, werde mit einigen Variationen ebenso behandelt wie die halböffentlichen Betriebe. Der wesentliche Unterschied gegenüber den automatischen Entlassungen liege darin, daß hier noch differenziert würde. Es werde unterschieden zwischen bedeutenden Unternehmungen und weniger wichtigen Betrieben. Der Begriff „bedeutende Unternehmungen“ sei noch etwas labil. Von den automatischen Entlassungen würden zunächst nur die bedeutenden Unternehmungen betroffen und diejenigen, bei denen der Staat beteiligt sei. Bei den weniger wichtigen Betrieben obliege es der Entscheidung des Denazifikationsministers, ob er hier eine Entlassung anordnen oder sonstige Maßnahmen treffen wolle. Die automatische Entlassung brauche nicht zu erfolgen, wenn entweder die Amerikaner selbst eine vorläufige Weiterbeschäftigung gestattet hätten oder wenn der deutsche Minister eine zeitweilige widerrufliche Beschäftigung erlaube mit der Bedingung, daß die betreffende Person nicht in einer leitenden Stellung beschäftigt werden dürfe. Dies gelte aber nicht für das Erziehungswesen, den Rundfunk und die Presse. Die zweite große Wirkung der Liste sei die, die sie auf den Prozeß ausübe. Im Gesetz seien Weisungen für den Anklagevertreter enthalten. Wenn er einen Mann in der Liste finde, z. B. als Hauptschuldigen, müsse er zunächst einmal die nötigen Ermittlungen anstellen. Er sei gezwungen, diesen Mann als Hauptschuldigen anzuklagen und den Antrag zu stellen, daß er in die Gruppe der Hauptschuldigen eingereiht werde. Finde er ihn in der Gruppe der Aktivisten, so sei er gezwungen, ihn anzuklagen und einen Antrag zu stellen. Aber hier könne er nach dem Ergebnis seiner Untersuchung beantragen, ihn einzureihen als Hauptschuldigen, Aktivisten oder als Mitglied der Bewährungsgruppe. Selbst dürfe er eine Einstellung des Verfahrens nicht vornehmen, sondern müsse unter allen Umständen eine Entscheidung der Kammer herbeiführen. Die Wirkung vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen sei folgendermaßen: Er gelte als verdächtig im Sinne der Liste, er sei verpflichtet, sich selbst zu entlasten. Er müsse selbst Entlastungsbeweise vorlegen. Beim Hauptschuldigen seien strengere Anforderungen zu stellen als beim Aktivisten. Auch der Hauptschuldige könne einen Entlastungsbeweis bis zur völligen Entlastung vor der Kammer führen. Der Anklagevertreter könne das aber nicht selbst machen. Vor der Kammer sei das Verfahren folgendermaßen: Der Anklagevertreter stelle seinen Antrag, an den er gebunden sei. Hier müsse dann der Betroffene seinen Entlastungsbeweis führen. Dann entscheide die Kammer. Diese sei völlig frei in ihrer Entscheidung. Sie beschließe auf Grund des Beweismaterials nach freiem richterlichen Ermessen. Sie könne praktisch einen Mann, der als Hauptschuldiger angeklagt sei, als Entlasteten einstufen. Das sei das Entscheidende bei der Sache, das nehme der Wahrscheinlichkeitsvermutung – so wolle er sie nennen, nicht Rechtsvermutung – auch den letzten Stachel. Einige Punkte habe er noch anzufügen. Wenn der Anklagevertreter etwas erfahre, so müsse er dies aufgreifen, eine Voruntersuchung durchführen und wenn er zu der Auffassung komme, daß es sich um einen Mitläufer oder Entlasteten handle, sei er nicht gezwungen, einen Antrag zu stellen. Es sei uns in Aussicht gestellt worden, daß bei den Mitläufern ein vereinfachtes Verfahren durchgeführt werden könne. Die Amerikaner hätten gesagt, der Schock sei nicht so groß wie es ursprünglich ausgesehen habe. Auf dem Gebiet der öffentlichen Verwaltung seien die Entlassungen bereits durchgeführt. So weit die Leute bereits bestätigt seien, blieben sie bestätigt. Sie könnten aber trotzdem überprüft werden, das hatten wir uns Vorbehalten. Wenn jemand bestätigt sei, könne er aber nur als Mitläufer betrachtet werden, das habe die Folge, daß er zahlen müsse. Sonst hätten die Bestätigten gegenüber denjenigen, die noch nicht bestätigt seien aus irgendeinem zufälligen Grunde, nur einen ungerechtfertigten Vorteil. Die Leute, die von der Militärregierung entlassen worden seien, könnten von den deutschen Ausschüssen ohne Vorbehalt überprüft werden. Die Amerikaner hätten gesagt, daß diese Nachprüfungen von ihnen anerkannt würden. Das stehe auch im Gesetz. Auf dem Gebiete der Wirtschaft sei zur Zeit das Gesetz Nr. 8 maßgebend. Dort bestehe zur Zeit ein Durcheinander. Wenn dieses Durcheinander beseitigt werde, sei es doch wohl besser. Die Gefahr, daß jeder Bäkker, Metzger, Schuster usw. unter dieses Gesetz falle, sei durch die verschiedenen Variationen, die wir erreicht hätten, beseitigt. Das sei das, was man in großen Zügen über das Gesetz sagen könne. Besondere Fragen, die noch gestellt würden, wolle er gerne beantworten.

Staatssekretär Dr. Pfeiffer erklärt, er habe nicht sehr viel ergänzend zu sagen. Im einzelnen handle es sich um folgendes: Es sei offensichtlich gewesen, daß die Amerikaner der Sache eine sehr große Bedeutung zumessen. Der Führer der amerikanischen Delegation sei der Chef der Rechtsabteilung ihres Elements im Kontrollrat gewesen, der frühere stellvertretende Justizminister Fahy. Sein Adlatus sei Oberst Bowie gewesen, der Professor des Verwaltungsrechts an der Harvard-Universität sei. Ein weiteres Mitglied der Delegation sei Oberst Oppenheimer gewesen, der alle durch die Kenntnis des nationalsozialistischen Aufbaus [sic!] verblüfft habe. Oberst Oppenheimer leite an sich den Aufbau der deutschen Justiz von Frankfurt aus. Er habe aber auch genau so viel Verständnis für die politische Situation in den drei Ländern bewiesen, die nicht einheitlich sei. Er habe sich auch sehr bemüht, sichtbare Härten zu überbrücken. Weiter seien anwesend gewesen ein Major Demut von der Wirtschaftsabteilung des Kontrollrats, der im Privatleben Rechtsanwalt sei, und ein Major Elman, der an einer Universität als Rechtslehrer tätig sei. Weiter seien abgestellt gewesen ein Major Mahder und ein junger Diplomat Morris, der bei Pollock als Adjutant tätig sei.10

Fahy sei an die Sache mit sehr großer Ernsthaftigkeit und einem gewissen Wohlwollen herangegangen. Er habe das Memorandum, das am ersten Tag übergeben worden sei, als Antwort auf das bayerische Gesetz bezeichnet. Der hessische Entwurf sei ganz ignoriert oder als schlecht angesprochen worden. Die Fassung des Gesetzes vom 8. Januar 1946 sei noch in keiner Weise berücksichtigt worden. Als gewaltiges Hemmnis habe sich der Umstand gezeigt, daß die Amerikaner nicht so mit dem Stoff vertraut gewesen seien wie wir und praktisch nicht gewußt hätten, auf was sie hinaus wollten, indem sie nur Kritik übten und einige Anregungen machten, während sie aber etwas Konstruktives nicht von sich gaben. Erst im Laufe der Aussprache seien sie dann auf Probleme gekommen, deren Ernst sie erkannt hätten. Die sehr kritische Situation am Mittwoch sei herbeigeführt worden durch ein Telefongespräch zwischen General Clay und Bowie, bei dem Clay wesentlich mehr gesprochen habe als Bowie. Es sei in Betracht zu ziehen, daß die Amerikaner unter einem doppelten Zwang stünden. Die Leute, die hier seien, hätten gesehen, daß ihre Methoden zu einem Chaos führen müßten. Trotz allem Durcheinander hätten sie das eigentliche Ziel, eine planmäßige und gründliche Säuberung von Nationalsozialismus und Militarismus, nicht erreicht. Ganz harmlose Leute verlören ihre Existenz. Das sei ihnen auch ganz klar. Oberst Bowie habe aber erklärt, wenn die Amerikaner die Denazifizierung wieder übernähmen, dann werde die Sache nicht so fair gehandhabt, wie sie von den Deutschen durchgeführt werde, wenn auch auf Grundlage eines unvollkommenen Gesetzes. Auf der anderen Seite hingen die Amerikaner aber am letzten Ende einer Schnur, die gesteuert werde von der öffentlichen Meinung in Amerika. Die Präsidentenwahlen würfen bereits ihre Schatten voraus.11 Die öffentliche Meinung wirke sich aus auf das Weiße Haus. Dieses gebe die Wirkungen weiter an McNarney, dieser an General Clay und dieser wieder an die amerikanische Kommission. Es handle sich hier um ein Stoßverstärker-System, das sich darin geäußert habe, daß in einer kritischen Situation Bowie entsetzlich hart angefahren worden sei und dies an uns weitergegeben habe. Er habe dabei aber und das habe zu den Vermittlungsvorschlägen geführt, in gewissem Umfange erkennen lassen, daß die Lösung für Amerika sich optisch gut präsentieren müsse. Die Kontrollratsrichtlinien seien anzunehmen, damit allen Forderungen Genüge geleistet sei. Zur Verhandlungsform habe er folgendes zu sagen: Bei diesem nicht klaren Erkennen des Zieles des Verhandlungspartners sei es nicht immer leicht gewesen, die richtige Linie zu finden. Einerseits habe nicht der geringste Zweifel erweckt werden dürfen, als ob wir nicht eine absolut klare, gerechte und strenge Bestrafung der Schuldigen verlangten, andererseits habe man auch den politischen Erfordernissen und den Forderungen nach Gerechtigkeit Rechnung tragen müssen. Man habe auch eine gewisse Würde wahren müssen. Die Deutschen seien als ebenbürtige Verhandlungspartner aufgetreten. Sie seien nicht da gewesen, um lediglich ein Diktat entgegenzunehmen. Es habe der Standpunkt bestanden, daß, wenn das Gesetz die Unterschrift der Ministerpräsidenten tragen solle und sie dafür verantwortlich seien, man auch miteinander verhandeln müsse. Man habe sich bemüht, Würde mit dem Willen zur Verständigung zu verbinden. Daraus allein sei auch die Verständigung möglich gewesen. Als die Amerikaner durch Vermittlung von Oberst Oppenheimer mit uns die Verbindung wieder aufgenommen hätten, habe man von beiden Seiten die Grenze dessen gesehen, was man sich zumuten könnte. Man sei stillschweigend übereingekommen, nicht mehr von dem Unerfüllbaren zu reden, sondern jeder habe sich bemüht, dem anderen zu zeigen, daß er bereit sei, alles zu tun, was er leisten könne. Das habe dann auch zur Verständigung über dieses ganze Problem geführt, wobei die Amerikaner mitgeholfen hätten; insbesondere habe Oppenheimer einen Weg gewählt, der für die Amerikaner das Gesicht wahrte, der aber die maßgeblichen Dinge in unsere Hände hineinführte, sowohl durch das Recht der Interpretation, als auch durch die Erklärung, daß sie absolutes Vertrauen in unsere Rechtssprechung hätten. Die Lösung sei die gewesen, daß die Amerikaner bestimmten, wer von dem Gesetz erfaßt werde. Sobald diese Personen aber vor unseren Kammern angetreten seien, entscheide, so schwer auch die Anklage sei, allein die deutsche Kammer. Das sei ein sehr wichtiger Punkt, vielleicht der ausschlaggebende. Die Amerikaner seien sehr vertraut gewesen mit dem Nazi-Partei-Apparat und hätten uns hier manche Aufklärung gegeben. Auf der anderen Seite seien sie aber überhaupt nicht vertraut gewesen mit der zahlenmäßigen Auswirkung der Dinge, die sie gefordert hätten. Er glaube, daß bei der Erklärung dieser Auswirkung einmal bei ihnen eine Schockwirkung aufgetreten sei. Sie hätten auf einmal gefragt, wie sich die Denazifizierung ziffernmäßig auswachse. Die anderen Delegationen hätten überhaupt keine Ziffern zur Verfügung gehabt. Er habe jedoch für Bayern über den Daumen geschätzt folgende Ziffern angeben können: Unter Zugrundelegung von 11% komme man auf ungefähr 800.000 eingeschriebene Parteimitglieder. Das wirke sich ungefähr folgendermaßen aus: Hiervon seien etwa 500.000 Mitläufer, etwa 240.000 fielen in die Bewährungsgruppe; es blieben dann noch etwa 10.000 Hauptschuldige, 10 bis 12.000 Aktivisten und 40.000 Leute von der SS usw., die für Arbeitsdienst oder Arbeitslager in Betracht kämen. Hier sei bei den Amerikanern eine Schrecksekunde eingetreten. Sie hätten dann die anderen Herren gefragt, die angegeben hätten, daß diese Schätzung schon richtig sei. Auch Minister Schmitt habe sie bestätigt. Die Amerikaner hätten dann diese Ziffern zusammengestellt und festgestellt, daß in Bayern etwa 20 bis 22.000 unter die verschärften Bestimmungen fielen. Er habe geantwortet, das hielten wir für richtig; so viele müsse es in Bayern gegeben haben. Von diesem Augenblick an hätten die Amerikaner ihren Widerstand gegen die Einführung einer Bewährungsgruppe und die Mitläufergruppe aufgegeben. Diskussionsgegenstand sei dann nur noch der gewesen, ob diese Zahl von 20 bis 25.000 stimme. Man dürfe sich nicht darüber täuschen, die Amerikaner wollten ein anderes Ergebnis sehen. Wenn wir das Verfahren durchführten und zu geringeren Ergebnissen kämen als es die Amerikaner erwarteten, sagten sie, daß wir es nicht anständig gemacht hätten. Diese Zahlen hätten aber eine für die Amerikaner tragbare und politisch vernünftige Regelung gegeben. Sie seien dann selber zu dem Schritt übergegangen, der in der bayerischen Kommission wiederholt besprochen worden sei, daß man bei den Mitläufern auf ein formularmäßiges Verfahren komme, damit man diese große Zahl von Leuten rasch verbescheiden könne. Bei dem Thema Registrierung sei die Frage die gewesen, daß es schwierig erschienen sei, alles neu zu registrieren. Dem hätten die Amerikaner gegenübergestellt, daß wir nicht vergessen sollten, daß wir zwei Millionen Flüchtlinge in Bayern hätten. Man müsse eine Handhabe bekommen, um jeden durch den Fragebogen festzulegen. Am Anfang könne man keine Rückfragen halten, die Festlegung geschehe am besten nach einer Methode, bei der niemand diskriminiert werde. Wenn man das Registrierverfahren ganz allgemein einführe, sei das die beste Grundlage für die Prüfung auch der zugeströmten Massen. Noch ein letztes habe er anzuführen: Am Freitag abend sei man zu dem Punkt gekommen, daß man mit der Überarbeitung fertig gewesen sei sowohl in der Kommission für das Gesetz wie auch in der für den Katalog. Man habe auf Abschrift der Reinschriften und der Übersetzungen warten müssen. Die Amerikaner hätten uns zum Wegfahren aufgefordert, man habe sich aber entschlossen, da zu bleiben und nicht eher zu gehen als die anderen Verhandlungspartner. Dieses Angebot habe er benützt, um den Grundsatz anzusprechen, daß das Recht der Billigung dieses Gesetzes auf der Seite der Ministerpräsidenten gleichwertig sei dem Recht der Billigung durch General Clay. Die Ministerpräsidenten setzten ihren Namen ein, die Kabinette trügen die Verantwortung vor dem ganzen Land. Infolgedessen müßten sie mit der gleichen Unabhängigkeit die Entscheidung treffen; deshalb müsse er für die Ministerpräsidenten das gleiche Recht reservieren, wie es die amerikanische Delegation für General Clay reserviert habe. Bowie habe darauf gelächelt und gesagt, ich hätte ganz recht, der gute Name meines Ministerpräsidenten hänge daran, es sei besser, man rede ganz offen. Clay werde entscheiden, ebenso seien aber auch die Ministerpräsidenten frei in ihrer Entscheidung. Es sei ihm (Staatssekretär Dr. Pfeiffer) ein Bedürfnis gewesen, das Recht des deutschen Vertragspartners dem des amerikanischen Verhandlungspartners gleichzustellen in einem Falle, in dem man seinen Namen hergebe. Das sei von der Gegenseite als selbstverständlich akzeptiert worden und solle als weiterer Beweis des guten Willens gewertet werden. Die Verhandlungsformen böten überhaupt günstige Aussichten für die Zukunft. Wenn unser Vorschlag angenommen werde, daß Oppenheimer technischer und Pollock politischer Experte für die Zone werden solle, seien die Aussichten noch günstiger, da dann alles, was zwar nicht geschrieben worden sei, aber die Atmosphäre ausmache, gewahrt bleibe.

Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sämtlichen Mitgliedern der bayerischen Delegation den herzlichen Dank des Kabinetts für die geleistete Mühe und verantwortungsvolle Arbeit in Stuttgart aus.

Staatsminister Roßhaupter fragt an, er sei sich nicht recht klar über den Begriff Militarist. Er wisse nicht, ob unter den NS-Führungsoffizieren, die unter Klasse II fielen, alle Offiziere zu verstehen seien oder nur die NS-Führungsoffiziere (Abschnitt L Klasse II Nr. 1). Auch bezüglich der Nr. 6 sehe er noch nicht ganz klar. Er frage an, ob in jedem einzelnen Fall entschieden werde, ob jemand Aktivist oder Hauptschuldiger und wenn er beides nicht sei, ob er dann unter die Bewährungsgruppe falle und mit gewissen Auflagen in einem Amt beschäftigt und bestätigt werden könne.

Staatsminister Schmitt erwidert, daß der Betreffende während der Bewährungszeit nicht an leitender Stelle beschäftigt werden könne.

Staatsminister Roßhaupter entgegnet, er habe augenblicklich einen konkreten Fall, nämlich den eines Oberstleutnants im Auge.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, dieser falle nicht unter die automatische Entlassung und sei zu prüfen wie jeder andere auch.

Staatsminister Roßhaupter fährt fort, er glaube, daß die Festlegung der Grenze der Ziffer 6 auf den Generalmajor in der Bevölkerung zu großen Unstimmigkeiten führen werde. Es sei schon sehr stark Sturm gelaufen worden gegen die Beschäftigung der Zwölfender, die naturgemäß einen vollkommen reinen Fragebogen hätten, weil sie bei der Wehrmacht sich der Partei hättenentziehen können.12 Wenn nun auch das noch Platz greifen solle, daß jemand bis zum Obersten in die Bewährungsgruppe hineinkommen könne und dann, weil er nicht parteipolitisch belastet sei, in eine Stellung hineingebracht werden könne, dann werde das bei der Bevölkerung einen tiefen Eindruck hervorrufen.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, der Katalog bedeute ja zunächst nur, daß diese Leute automatisch aus ihren Stellen zu entlassen seien. Was mit ihnen sonst zu geschehen habe, ergebe sich aus dem Artikel 7, in dem eine Reihe von Tatbeständen festgelegt sei. Wenn jemand unter diesen Artikel falle, dann sei er Militarist, gleichgültig welchen Rang er gehabt habe. Wenn jemand nicht im Katalog enthalten sei, bedeute es nicht, daß er in die Bewährungsgruppe falle. Der Katalog besage nur, daß jemand, der darin enthalten sei, sofort zu entlassen sei und als Hauptschuldiger oder Aktivist angeklagt werden solle. Darüber hinaus bleibe aber das Gesetz bestehen. Wenn der Tatbestand des Gesetzes erfüllt sei, dann sei jemand Hauptschuldiger, ganz gleichgültig, ob er in der Liste stehe oder nicht. Der Anklagevertreter sei angewiesen, alles, was er an Material finde, aufzugreifen. An der Liste dürfe man unter keinen Umständen etwas verschärfen, da man auch nichts mildem könne. Die Liste bedeute nur eine Wahrscheinlichkeitsvermutung und eine Umkehrung der Beweislast.

Staatsminister Schmitt weist ebenfalls auf den Artikel 7 Absatz 2 Nr. 4 hin, nach dem jemand ohne Rücksicht auf seinen Rang als Militarist angeklagt werden könne. Er habe vorhin vergessen, darauf hinzuweisen, daß die Amerikaner verlangt hätten, daß aus unserem Entwurf die Strafbestimmung gegen Denunzianten gestrichen werde. Sie sagten, wir seien vielleicht teilweise auf Denunziation angewiesen.

Staatsminister Roßhaupter fährt fort, daß, als die ausländischen Gewerkschaftsführer in München gewesen seien,13 auch General McSherry dabei gewesen sei. Er habe bei dieser Gelegenheit den General gefragt, ob er der Meinung sei, daß, wenn das Gesetz angenommen werde, es auch auf das Arbeitsministerium angewendet werde, weil die Denazifizierungsvorschriften für das Arbeitsministerium strenger seien als die für die übrigen Ministerien. Der General habe ihm geantwortet, er solle sich darüber keine Sorgen machen, die Bestimmungen des neuen Gesetzes würden sicher nicht milder sein als die des Gesetzes über die Errichtung des Arbeitsministeriums. Nun dürfe er in seinem Ministerium keinen Militaristen beschäftigen, gleichviel ob er belastet sei oder nicht. Ein Offizier könne überhaupt nicht eingestellt werden. So habe er alle Bewerbungen aus diesen Kreisen ablehnen müssen. Nun werde das aber wohl für die Zukunft anders werden. Wenn jemand Offizier, aber sonst nicht belastet sei, dann könne er eigentlich beschäftigt werden. Auf Grund des Gesetzes über die Errichtung des Arbeitsministeriums dürfe er aber auch keine Mitglieder des Stahlhelms, der Deutschnationalen und der Deutschen Volkspartei beschäftigen. Er habe bisher auch alle zurückgewiesen. Er nehme an, daß dies in Zukunft aber anders werde, da diese Leute in dem neuen Denazifizierungsgesetz nicht besonders genannt seien. Er müsse jedenfalls in dieser Richtung volle Klarheit haben, weil sonst Zwiespältigkeiten entstünden.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, die Frage, ob neben den in diesem Gesetz vorgesehenen Ausschüssen andere Behörden oder Ausschüsse Entscheidungen treffen dürften, sei geklärt. Es gebe keine anderen Ausschüsse mehr. Die andere Frage sei die, ob die Militärregierung sich besondere Genehmigungen Vorbehalte oder besonders strenge Anforderungen für gewisse Spitzenstellungen stellen könne. Dies werde durch dieses Gesetz nicht ausgeschaltet oder geklärt. Die Amerikaner behielten sich die Kontrolle über die Durchführung des Gesetzes und die Bestätigung vor. Es könne praktisch so sein, daß jemand vollkommen entlastet sei, die Amerikaner ihn aber trotzdem nicht bestätigten, weil er besonderen Anforderungen nicht entspreche. Er empfehle auch nicht, diese Frage mit diesem Gesetz zu koppeln. Wenn man dies tue, dann werde das Ergebnis eine Verschärfung der Gesamtsituation sein. Man solle diese Frage überhaupt nicht mit den Amerikanern diskutieren. Die Anforderungen würden sich in der Zukunft sicher auch ändern.

Staatsminister Schmitt bezeichnet dies als absolut richtig. Er wolle noch hinzufügen, daß Oppenheimer gesagt habe, der Grundsatz sei der, solange noch Antifaschisten da seien, müßten diese zuerst berücksichtigt werden. Das gelte vor allem auch für die Landeszentralstellen. Er z. B. werde sich nicht in die Nesseln setzen dadurch, daß er eine Beamtenstelle mit einem höheren Offizier besetzen würde. In der Schlußaussprache sei noch auf etwas aufmerksam gemacht worden: Grundsatz der Militärregierung sei der, daß ein Mann, der in einem Betrieb auf Grund des Gesetzes ausgestellt werde, auch nicht in gewöhnlicher Arbeit in demselben Unternehmen arbeiten könne, weil dort keine Garantie gegeben sei, daß er mit gewöhnlicher Arbeit beschäftigt werde, sondern in Wirklichkeit den alten Einfluß aufrecht erhalte.

Staatsminister Roßhaupter fügt an, er habe seine Frage nicht vorgebracht wegen eines Einzelfalles, sondern um eine grundsätzliche Klärung herbeizuführen. Als seinerzeit das Gesetz zur Errichtung des Arbeitsministeriums erlassen wurde, habe es sich auch um eine allgemeine Regelung gehandelt. Er habe damals schon darauf hingewiesen, daß es schwer fallen würde, unter diesen Umständen die geeigneten Kräfte zu finden. Es sei ihm erwidert14 worden, er habe wohl recht, aber er müsse diese Aufgabe bewältigen, denn gerade im Arbeitsministerium würden es die Arbeiter schwer verstehen, daß dort noch Nazis oder Militaristen säßen. Er müsse dafür sorgen, daß Leute hereinkämen, zu denen die Arbeiter Vertrauen hätten. Nun handle es sich darum, daß bei allen seinen Ämtern die Beschäftigung solcher Leute verboten sei. Er habe nur fragen wollen, ob dieses Verbot aufgehoben sei. Er habe nur noch eine Frage bezüglich der Staatsangehörigkeit, die unter O II Nr. 5 und 6 behandelt sei. Hier handle es sich doch hauptsächlich um die Volksdeutschen.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, diese seien bewußt getroffen worden. Es werde nur eine Ausnahme gemacht werden für diejenigen, die die deutsche Staatsangehörigkeit durch Heirat oder Adoption erhalten hätten.

Staatsminister Dr. Erhard erkundigt sich nach dem Anklagevertreter.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, daß der Anklagevertreter vom zuständigen Minister ernannt werde. Dieser sei gewissermaßen der Staatsanwalt. Dazu komme aber noch, daß den Antrag auf Einleitung eines solchen Verfahrens eine ganze Reihe von Leuten oder Gruppen stellen könnten. Dann müsse der Anklagevertreter das Verfahren aufnehmen. Die Wirkung des Antrags sei die, daß den Antragstellern das Urteil zugestellt werden müsse, damit sie gegebenenfalls Berufung einlegen könnten. Der Anklagevertreter, der anfänglich nur als Supplement eingebaut worden sei, sei nun ständig und zwingend vorgeschrieben, wie der Staatsanwalt im Strafprozeß.

Staatsminister Dr. Baumgartner erkundigt sich, wer der zuständige Minister sei.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, dies sei der Denazifikationsminister.

Staatsminister Dr. Erhard erklärt, in der Wirtschaft mache die Frage der Nutznießer Sorgen. Er denke an einen Fall, daß jemand, der ganz klein angefangen habe, sich aber bewährt und in jungen Jahren Direktor in einem Unternehmen geworden und sehr rasch zu einem sehr hohen Gehalt aufgestiegen, aber nicht bei der Partei gewesen sei. Dieser könne unter das Gesetz fallen.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, daß diese Gruppe aus dem Gesetz Nr. 8 hereingenommen worden sei. Es sei möglich, daß der Betreffende unter M II Nr. 10 falle. Diese Definition sei zwangsweise hereingenommen worden, biete aber Raum für ein freies Ermessen. Die Auslegung des Begriffs „bedeutende Unternehmung“ sei flüssig. Es bestünden nun zwei Möglichkeiten. Entweder man rühre nicht daran, dann ergebe sich zwangsweise, daß ein gewisses Ermessen notwendig sei. Wenn man aber eine Definition jetzt versuche, dann werde sie ganz bestimmte Grenzen erfahren, von denen wir zwar den Anfang kennten, deren Ende wir aber nicht absähen, da die Amerikaner dazu neigten, bei Summen eigenartige Vorstellungen zu haben. Die Formulierung sei aus dem englischen Text übernommen worden, dadurch sei die Liste erweitert worden. Jetzt handle es sich um eine etwas labile Sache. Vielleicht solle man sie besser so lassen. Oppenheimer habe angedeutet, daß hier für das Ermessen ein Spielraum bestehe. Es frage sich, ob man eine positive Bestimmung aufnehmen oder der Entwicklung Spielraum lassen solle.

Staatsminister Dr. Erhard erwidert, sein Grundgedanke sei der, daß junge Leute, die in die Wirtschaft eingetreten und zu hohen Stellungen gekommen seien, als Nutznießer angesehen werden könnten, obwohl sie nie bei der Partei waren.

Staatssekretär Dr. Ehard bezeichnet dies als möglich. Es handle sich bei dem Katalog aber nicht um eine endgültige Entscheidung, sondern immer nur um eine Wahrscheinlichkeitsvermutung, die widerlegt werden könne. Dabei treffe den Beschuldigten nicht die volle Beweislast, d.h. wenn er den Gegenbeweis nicht führen könne, dann werde er als Nutznießer angesehen werden, sondern es müßten auch von amtswegen Nachprüfungen durchgeführt werden. Die Kammer sei in ihrer Entscheidung frei. Das sei der Unterschied zwischen der Rechtsvermutung und der Wahrscheinlichkeitsvermutung.

Staatsminister Dr. Erhard erkundigt sich noch, ob die Kammern aus Vertretern der politischen Parteien bestünden.

Staatssekretär Dr. Ehard bejaht dies. Es müßten mindestens zwei Beisitzer da sein. Die Errichtung der Kammern nach Berufsgruppen sei uns nicht zugestanden worden, dagegen müßten die Beisitzer aus den Berufsgruppen entnommen werden.

Staatsminister Dr. Erhard erkundigt sich weiter, ob die Registrierungsformulare schon da seien.

Staatssekretär Dr. Ehard antwortet, über das Registrierungsverfahren sei nur am Rande gesprochen worden. Die Amerikaner wollten von diesem Verfahren ausgehen. Alles, was in der Liste stehe, solle registriert werden. Sie hätten ursprünglich die Bestimmung gehabt, daß fünf Männer, auch wenn sie Nazis seien, die Registrierung verlangen könnten. Wenn jemand registriert werde, hätte er durch dieses Verfahren gehen und für die Dauer der Registrierung suspendiert werden sollen. Das Registrierungsverfahren hätte also die automatische Entlassung herbeigeführt. Das hätte aber dazu geführt, daß ein paar Nazis von heute auf morgen z. B. das ganze Kabinett hätten lahmlegen können, wenn sie verlangt hätten, daß die Minister registriert werden sollten. Auf diese Weise wäre praktisch der Katalog unendlich weit ausgedehnt worden. Davon seien sie durch diesen Hinweis abgebracht worden. Das jetzt vorgesehene Meldeverfahren sei so gedacht, daß ein Meldebogen herausgegeben werde, der aber nicht völlig erschöpfend sein könne. Er habe den Zweck, daß man auf Anhieb die Leute, die sehr stark verdächtig seien, herausfinden könne. Seine Befürchtung von Anfang an sei gewesen, daß man nicht in Papier ersticken dürfe. Man ersticke aber, wenn man die große Masse der Mitläufer erfasse. Das Gesetz sei zum Scheitern verurteilt, wenn auch die Masse der Entlasteten durch ein Verfahren laufen müßte. Es könne nur durchgeführt werden, wenn die Mitläufer und Entlasteten vorerst abseits geschoben und die wirklich Hauptschuldigen und Belasteten vorgenommen würden.

Staatsminister Schmitt fügt an, die Hessen hätten zuerst das Registrierungsverfahren annehmen wollen. Man müsse aber die Aktivisten und Hauptschuldigen heraussuchen und vor die Kammer bringen, so daß man auch während der Sperrfrist Gelegenheit habe, die meisten Fälle durchzuschleusen und die Suspendierungen nicht allzu sehr ins Gewicht fallen zu lassen. Wenn man das Meldeverfahren annehme, brauche man allein drei Monate, um dieses Verfahren durchzuführen. Eine Frage scheine ihm noch wichtig zu sein, nämlich die, ob man an der zweimonatigen Respektfrist festhalten solle; dann bleibe aber für diese Frist auch noch das Gesetz Nr. 8 bestehen. Man müsse sich entscheiden, ob auch noch andere Ausschüsse nebenher laufen sollten oder ob man auf die zwei Monate ganz verzichten oder sie mindestens auf einen Monat abkürzen solle.

Staatssekretär Dr. Ehard erklärt, das Gesetz müsse sofort in Kraft treten, auch die automatische Entlassung der in dem Katalog aufgeführten Personen. Das lasse sich aber in 24 Stunden nicht durchführen. Man brauche eine gewisse Anlauffrist. Der Idealzustand sei der, wenn man sage, die automatischen Entlassungen müßten bis zum 1. Mai vollendet sein. Hier ergebe sich aber die Frage, was mit den Strafvorschriften sei. Man könne dann nur sagen, wer nach dem 1. Mai einen Hauptschuldigen oder Aktivisten beschäftige, werde bestraft. Das ginge ganz einfach, wenn man die Komplikation nicht hätte mit dem Gesetz Nr. 8, das mit seinen Strafvorschriften noch in Kraft sei. Dagegen sagten die Amerikaner, wenn man die Strafvorschriften des neuen Gesetzes erst ab 1.4. oder 1.5. in Kraft treten lasse, dann sei eine Zeit, in der überhaupt keine vorhanden seien, wenn man das Gesetz Nr. 8 sofort aufhebe. Nun könne man es so machen, das Gesetz Nr. 8 aufzuheben mit Ausnahme der Strafvorschriften. Ob sich aber dadurch nicht auch Komplikationen ergäben, lasse sich im Augenblick noch nicht sicher überblicken. Im Notfall müsse man es in Kauf nehmen, daß an einem Tag die Entlassungs- und Strafvorschriften in Kraft träten; ganz schön sei das aber nicht. Es könnten folgende Schwierigkeiten eintreten: Wenn jemand in der Zwischenzeit vor Gericht gestellt werde, werde er sagen, er habe das Gesetz nicht überblicken können, weil die Liste viel zu kompliziert sei. Der Richter werde vielleicht dann die Schuldfrage nicht bejahen können. Dieselbe Situation sei aber auch jetzt schon auf Grund des Gesetzes Nr. 8 gegeben. Man müsse darauf hoffen, daß keine übermäßig große Anzahl von Strafverfahren komme. An dieser Frage dürfe man aber das Gesetz nicht scheitern lassen.

Staatsminister Schmitt erwidert, er habe sich die Sache so gedacht, daß die Entlassungen sofort mit der Verkündung des Gesetzes in Kraft treten sollen, die Strafbestimmungen aber erst einen Monat später.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, daß die Amerikaner uns dies nicht konzedieren würden, daß die Strafvorschriften des Gesetzes Nr. 8 wegfielen. Sie würden höchstens sagen, das Gesetz Nr. 8 wird aufgehoben, die Strafvorschriften bleiben aber in Kraft, bis die des neuen Gesetzes in vollem Umfange in Kraft getreten seien.

Staatsminister Schmitt bezeichnet dies als einen Ausweg.

Staatsminister Seifried erkundigt sich, ob auch in den übrigen Besatzungszonen ein ähnliches Gesetz erlassen werde.

Staatsminister Schmitt erwidert, es sei ausdrücklich gesagt worden, daß dieses Gesetz für ganz Deutschland erlassen werden solle.15

Staatssekretär Dr. Pfeiffer führt an, in Württemberg sei die Sache so, daß ein Beamter im Norden von den Amerikanern entlassen werde. Er gehe dann in den Süden und werde in Tübingen von den Franzosen prompt eingestellt. Für Württemberg liege eine große Erleichterung darin, daß auch diese Entlassungen überprüft und die Beamten zurückgeholt werden könnten.

Staatsminister Seifried führt an, daß der Kriminalkommissar in Preußen etwas ganz anderes gewesen sei als in Bayern. In Preußen sei er höherer Beamter gewesen, in Bayern ein mittlerer.

Staatsminister Schmitt erwidert, man habe sich gegen die Einbeziehung dieser Kategorie gewehrt.

Staatssekretär Dr. Ehard fügt hinzu, daß man oft um den einzelnen Mann gerungen habe. Darauf sei gesagt worden, der Betreffende könne sich ja entlasten. Es gebe noch viel mehr Gruppen, deren Einreihung außerordentlich bedenklich sei. Ob jemand in eine Gruppe falle, entscheide dem Anschein nach die Liste, auf die Dauer aber wir. Das hätten uns die Amerikaner angeboten, daß, wenn die Ausführung des Gesetzes in unsere Hände komme, wir es auslegen könnten.

Staatssekretär Dr. Meinzolt erkundigt sich, ob die Tätigkeit der bisher bestehenden Ausschüsse nur als vorbereitende Verhandlung angesehen werde.

Staatsminister Schmitt bejaht diese Frage. Diese Ausschüsse könnten nur vorbereitende Aufgaben ausführen, weil die Fachausschüsse abgelehnt worden seien.

Staatssekretär Dr. Ehard fügt an, die Tätigkeit der vorbereitenden Ausschüsse spiele bei uns keine so große Rolle wie in Württemberg. Die Arbeit dieser Ausschüsse könne aber ausgewertet werden. Der Anklagevertreter könne sie jedenfalls als Material verwerten.

Staatsminister Dr. Baumgartner erkundigt sich nach den Treuhändern, die bei vielen Betrieben eingesetzt seien, die nicht so belastet seien.

Staatsminister Schmitt erwidert, daß Tausende Treuhänder verschwinden werden.

Staatssekretär Dr. Ehard weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß im Gesetz der Treuhänder nur zur Verwaltung und Sicherung eingesetzt werde. Man müsse hier jedes Wort beachten.

Staatsminister Dr. Baumgartner fragt noch an, was mit den Treuhändern werde, die von der Militärregierung eingesetzt seien.

Staatsminister Schmitt antwortet, daß diese Treuhänderschaften hinfällig seien bei kleineren Betrieben, wenn es sich nicht um Hauptschuldige oder Belastete handle.

Reichsbahnpräsident Dr. Rosenhaupt erkundigt sich, ob die Beamten, die nach diesem Gesetz in gewöhnlicher Arbeit weiter verwendet werden dürften, Beamte blieben.

Staatsminister Schmitt und Staatssekretär Dr. Ehard verneinen diese Frage.

Staatssekretär Dr. Meinzolt fragt an, ob die Gesuche zur Denazifizierung, die in jedem Ministerium in großer Zahl vorlägen, weiter bearbeitet werden sollen. Seiner Meinung nach müsse die Behandlung eingestellt werden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt abschließend, er müsse bereits am Freitag zu einer Vorbesprechung wieder nach Stuttgart fahren. Am Montag solle das Gesetz unterschrieben werden. Da er die Verantwortung nicht allein übernehmen könne, bitte er um die Ermächtigung, dem Gesetz zuzustimmen. Der bayerische Entwurf sei seinerzeit einstimmig angenommen worden. Wenn es gewünscht werde, werde auch der neue Entwurf, der den Kabinettsmitgliedern vorliege, im einzelnen durchbesprochen werden.

Staatsminister Roßhaupter glaubt, daß die Zustimmung erteilt werden könne unter der Voraussetzung, daß von Seiten des Kontrollrats nicht noch gewichtige Änderungen vorgeschlagen werden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnet dies als selbstverständlich. Für diesen Fall werde er den Ministerrat vorher noch einmal zusammenberufen. Er fragt an, ob eine Abstimmung notwendig sei.

Staatsminister Schmitt bittet um Abstimmung.

Ministerpräsident Dr. Hoegner nimmt die Abstimmung vor. Durch Probe und Gegenprobe wird festgestellt, daß die Ermächtigung einstimmig erteilt wird.

[II. Zivilinternierte]

Staatssekretär Dr. Ehard regt an, ob es nicht möglich sei, daß man im Anschluß an die Genehmigung dieses Gesetzes im Länderrat die Frage der Zivilinternierten aufwerfe. Bei den Verhandlungen in Stuttgart hätten die Amerikaner dafür Verständnis gezeigt.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, die Frage der Zivilinternierten hänge mit den Haftprüfungsausschüssen zusammen.

Staatssekretär Dr. Ehard erwidert, eine ganze Reihe von Leuten, die automatisch verhaftet worden seien, seien auch wieder automatisch entlassen worden.16

Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, daß eine Beschleunigung des Verfahrens vor den Haftprüfungsausschüssen notwendig sei. Diese hätten bis jetzt nur 19 Verfahren endgültig erledigt, während die Amerikaner über 1.000 Entlassungen von sich aus vorgenommen hätten. Die Frage könne aber selbstverständlich aufgeworfen werden, um weiteren Verhaftungen ein Ende zu setzen.

Staatsminister Schmitt führt aus, der Ministerpräsident habe der bayerischen Delegation schon den Dank ausgesprochen. Die einmütige Zustimmung zu dem Gesetz sei der beste Dank für die geleistete Arbeit. Er wolle es nicht unterlassen, zu sagen, daß die bayerische Delegation im Gegensatz zu den anderen vom ersten Augenblick an zusammengestanden und in ihrer Stellungnahme immer einmütig gewesen sei. Die juristische Tätigkeit der bayerischen Delegation sei nicht nur von seiten des Kontrollrats gewürdigt worden, sondern allgemein als hervorragend anerkannt und in einer Erklärung unterstrichen worden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, er nehme diese Erklärung mit Vergnügen zur Kenntnis. Dasselbe werde wohl der Ministerrat tun. Es sei ein Zeichen dafür, daß wir vernünftige Menschen seien.

Staatsminister Helmerich erkundigt sich noch, ob in der Frage der Zivilintemierten nun angestrebt werde, daß automatische Verhaftungen nur auf Grund eines bestimmten Beamtenverhältnisses oder einer Beförderung nicht mehr stattfinden sollen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bejaht dies.

Staatsminister Helmerich fragt weiter an, ob dies auch dahin zu verstehen sei, daß diese Personen wieder entlassen werden könnten.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, das gehe nur über die Prüfungsausschüsse. Hier handle es sich aber um ein kompliziertes Verfahren. Die Entlassung liege nicht in unserer Hand.

Staatsminister Seifried erklärt, er habe vertraulich gehört, daß die Kategorie der automatischen Haft wesentlich verringert werden solle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, er werde auch anregen, nachdem dieses Verfahren sehr langwierig sei, es zu vereinfachen. Man wolle es von unserer Seite aus so einfach wie möglich gestalten. Es werde aber mit der bekannten deutschen Gründlichkeit gearbeitet und das gehe zu langsam. Darüber habe sich auch der General schon beschwert.

[III. Die Lage im Sachverständigenwesen]

Staatsminister Schmitt erklärt, er habe dem Ministerpräsidenten am 13. Februar 1946 eine kurze Darstellung der Lage im Sachverständigenwesen gegeben. Er habe diese Frage aufgegriffen, weil auf diesem Gebiet eine Änderung unbedingt eintreten müsse, schon mit Rücksicht auf das Denazifizierungsgesetz.

Ministerpräsident Dr. Hoegner hält es für besser, das Denazifizierungsgesetz abzuwarten und die Sachverständigen dann beschleunigt durchzuschleusen.

Staatsminister Dr. Erhard fügt hinzu, die Frage sei im Hauptausschuß des Länderrats in Stuttgart schon behandelt worden. Es herrsche hier eine ziemliche Unklarheit. Alle abgebauten Syndici drängten sich in diese Berufe hinein. Vor diesen müsse die Öffentlichkeit geschützt werden. Diese rein fachliche Seite der Angelegenheit müsse aber mit der Denazifizierung verbunden werden. Ein Gesetzentwurf sei in Vorbereitung, der eine neue Registrierung und Überprüfung in politischer Hinsicht vorsehe.

Staatsminister Schmitt erklärt sich von diesen Auskünften befriedigt.

[IV. Abänderung des Gesetzes Nr. 2 über die Personenkraftwagen von Mitgliedern der NSDAP oder ihrer Gliederungen]

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, beim Vollzug des Gesetzes Nr. 217 hätten sich Unzuträglichkeiten insoferne herausgestellt, als der Personenkreis, für den Ausnahmen nach Artikel 2 vorgesehen seien,18 sich als zu eng erwisen habe. Die Frage sei nun, ob man das Gesetz abändern solle im Sinne der Vorschläge, wie sie vom Direktor des Verkehrswesens gemacht seien. Hier handle es sich aber um Kautschukbegriffe. Jede Verwaltung werde sagen, daß der frühere Nationalsozialist ein Dienstauto brauche. Eine andere Frage sei die, ob man die Abänderung dieses Gesetzes nicht bis zum Inkrafttreten des Denazifizierungsgesetzes zurückstellen solle.

Staatsminister Schmitt spricht sich für diese Anregung aus.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, das Gesetz Nr. 2 gehe allerdings über das Denazifizierungsgesetz hinaus. Im Herbst habe sich der Erlaß eines solchen Gesetzes als notwendig erwiesen, weil die Klagen allgemein geworden seien. Er hoffe, daß es durchgeführt werde.

Staatssekretär Krehle und Staatssekretär Ficker erklären, daß dies nicht der Fall sei.

Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, daß das Versagen vielfach auch auf die örtlichen Militärregierungen zurückzuführen sei. Im übrigen gingen die amerikanischen Richtlinien weiter. Er schlage trotzdem vor, die Sache zurückzustellen. Er glaube, daß die Nachteile, die bei der Anwendung des Gesetzes evtl, erwachsen, nicht so groß seien wie diejenigen, die bei einer sofortigen Abänderung schon jetzt für die Staatsautorität entstehen würden.

Staatsminister Helmerich bittet, trotzdem dem Antrag näher zu treten. Der Leiter der Verkehrsabteilung,19 der um die Abänderung nachgesucht habe, habe sicher seine berechtigten Gründe dafür gehabt.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, wir hätten auch berechtigte Gründe dafür, das Gesetz nicht sofort abzuändern. Der Antrag sei nicht abgelehnt, sondern nur etwas zurückgestellt. Er könne vielleicht im März erneuert werden.

Hiermit herrscht allseitiges Einverständnis.20

[V. Petitionsrecht]

Ministerpräsident Dr. Hoegner bringt das Petitionsrecht der Staatsbürger zur Sprache. Alle Staatsbürger hätten das Recht gehabt, beim Landtag Beschwerde zu erheben,21 auch die Beamten. Zur Zeit sei kein Parlament vorhanden. Es sei nun die Frage, ob das Petitionsrecht überhaupt bestehe und wenn ja, an wen Petitionen gerichtet werden könnten. Es sei vorgekommen, daß ein Beamter an ihn Berichte über eine Nazi-Stadt geschrieben und besondere Anträge gestellt habe. Als er den Bericht an die zuständigen Stellen zurückgegeben habe, habe der Beamte einen Rüffel bekommen, weil er nicht den Dienstweg eingehalten habe. Das schade dem Ansehen des Ministerpräsidenten. Er sei der Meinung, das Petitionsrecht bestehe noch und zwar zum Ministerpräsidenten. Jeder habe das Recht, sich an ihn zu wenden und es sei untragbar, wenn man jemanden zur Rede stelle, weil er sich an die höchste Stelle gewendet habe.

Staatsminister Roßhaupter teilt diese Auffassung. Es sei ein Vakuum vorhanden, bis der Landtag in Funktion trete. Der Beratende Landesausschuß könne nicht entscheiden, auch nicht die verfassunggebende Landesversammlung. Diese hätten nur bestimmte Aufträge, während der Ministerpräsident der verantwortliche Leiter der gesamten Politik sei und deshalb auch die Macht des Staates in seiner Person vereinige. Nachdem ein anderes Beschwerderecht nicht bestehe, sei die einzige Möglichkeit, Beschwerden an den Ministerpräsidenten zu bringen.

Staatsminister Helmerich erinnert daran, daß im Reichstag ein Beamtenausschuß bestanden habe. Dieser würde es sich sehr verbeten haben, daß Beamte weil sie sich an ihn gewendet haben, deswegen beanstandet worden seien. Trotzdem halte er es für zweckmäßig, wenn der Beamte sich zuerst an seinen Vorgesetzten und dann an den Ministerpräsidenten wende.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fügt hinzu, wenn er die Eingaben von Beamten nicht an die betreffende Stelle zurückgeben könne, ohne daß die Beamten beanstandet würden, müsse er ja zu ihrem Schutz einen ganzen Stab einrichten, der die Angelegenheiten draußen untersuche. Er stellt als einmütige Meinung des Ministerrats fest, daß zur Zeit ein Petitionsrecht zum Ministerpräsidenten bestehe und daß keine nachgeordnete Behörde berechtigt sei, einen Beamten, der von diesem Recht Gebrauch mache, deswegen zur Rede zu stellen oder zu bestrafen.

[VI. Kraftfahrzeugumschreibung]

Staatsminister Helmerich teilt mit, daß es unmöglich sei, die neuen Kraftfahrzeugschilder so zu liefern, daß die Umschreibung bis zum 28. Februar beendet sei. Eine Verlängerung werde von den Amerikanern aber nur dann gestattet, wenn der Ministerpräsident und der Arbeitsminister sich verpflichten, so viele Arbeitskräfte zu beschaffen, daß die betreffende Firma in drei Schichten arbeiten könne. Er bitte darum, daß diese Arbeitskräfte zugewiesen würden.

Staatsminister Roßhaupter erwidert, eine größere Anzahl von Facharbeitern könne man zur Zeit nicht zur Verfügung stellen. Er bitte um eine Angabe der Zahl.

Staatsminister Helmerich erwidert, eine genaue Zahl könne er noch nicht angeben.

Staatsminister Roßhaupter erklärt, wenn er diese Zahl nicht wisse, könne er keine Anordnungen treffen. In Nordbayern seien manche Fachkräfte arbeitslos. Die Unterbringung in Südbayern stoße aber auf Schwierigkeiten. Wenn die Verkehrsverwaltung die Unterbringungsmöglichkeiten schaffe, dann könne man die Leute beibringen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner ist der Ansicht, daß die Sache am besten durch Vereinbarung der beiden Ministerien geregelt werde. Er sei grundsätzlich zu jeder Unterstützung bereit.

[VII. Veröffentlichung von Gesetzen und Verordnungen]

Ministerpräsident Dr. Hoegner bringt eine weitere Sache zur Sprache. Es sei, da das Gesetz- und Verordnungsblatt so selten erscheine, angefragt worden, ob Gesetze und Verordnungen nicht auch mit der Verkündung in einem Amtsblatt in Kraft treten könnten, wenn eine ausdrückliche Bestimmung hierüber im Gesetz oder der Verordnung enthalten sei. Er halte das für zulässig. Bei sehr eiligen Gesetzen könne man sogar bestimmen, daß das Gesetz mit der Veröffentlichung im Rundfunk in Kraft trete. Das Letztere sei allerdings bedenklich.

Staatsminister Helmerich schlägt vor, einen Staatsanzeiger herauszugeben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, dafür brauche man eine Lizenz, die aber nur auf eine Person ausgestellt werden könne.

Staatssekretär Ehard warnt davor, die Veröffentlichungen allzu sehr zerflattem zu lassen. Es sei unbedenklich, Veröffentlichungen des Arbeitsministeriums in dessen Amtsblatt zu veröffentlichen, wenn sie sich nur auf bestimmte Personenkreise bezögen. Es sei aber bedenklich, Gesetze in einen Staatsanzeiger hineinzunehmen. Unbedenklich sei die Verkündung eines Gesetzes im Rundfunk, aber dann müsse man es doch ins Gesetz- und Verordnungsblatt hineinnehmen und einen besonderen Hinweis auf diese Verkündung geben. Bei Strafgesetzen ergäben sich sonst Schwierigkeiten.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, das Richtigste wäre es, wenn man einen Staatsanzeiger hätte.22 Alle Gesetze und Verordnungen müßten trotzdem im Gesetz- und Verordnungsblatt erscheinen. Es müsse dafür gesorgt werden, daß dieses rascher gesetzt und gedruckt werde.

[VIII. Entwurf eines Gesetzes über die Anmeldung von Heeresgut]

Staatsminister Seifried legt den Entwurf eines Gesetzes über die Anmeldung von Heeresgut vor.23 Das Gesetz Nr. 54 habe das Besitz- und Nutzungsrecht an jeglichem in Bayern gelegenem Vermögen der Wehrmacht, der SA, des NSKK,24 NSFK,25 der SS und des SD auf das Land Bayern übertragen, soweit es nicht der amerikanischen Militärregierung Vorbehalten geblieben sei.26 Von diesen Vermögenswerten seien schon erhebliche Teile abhanden gekommen oder verschleudert worden. Es handle sich nun darum, das noch vorhandene Vermögen möglichst vollständig zu erfassen und sicherzustellen; ferner darum, den Verbleib des abhanden gekommenen oder verschleuderten Vermögens festzustellen. In erster Linie sei es wichtig, an das verschobene und versteckte Wehrmachtsgut heranzukommen. Zu diesem Zwecke müsse eine Meldepflicht eingeführt werden, deren Verletzung mit Strafe bedroht sei. Diesem Zweck diene das vorliegende Gesetz.

Das Gesetz wird einstimmig angenommen.27

[IX. Währungsreform]

Staatsminister Baumgartner schlägt vor, daß der Ministerpräsident sich in allernächster Zeit im Länderrat mit der Währungsfrage befasse. Der frühere Reichskanzler Luther28 sei bei ihm gewesen und habe auf die Wichtigkeit dieser Sache hingewiesen29 und gebeten, beim Ministerpräsidenten empfangen zu werden.30 Er schlage eine Zwischenlösung vor. So wie bisher, daß nur die Professoren herumgeschrieben und in Ausschüssen stundenlang geredet werde, gehe es nicht mehr weiter. Der Länderrat und der Kontrollrat müßten sofort mit dieser Frage befaßt werden, wenn nicht eine Katastrophe kommen solle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, er habe über diese Frage mit einem Obersten vom Kontrollrat gesprochen. Die Frage werde solange nicht gelöst, solange Deutschland eine russische Besatzungszone habe. Ganz allgemein habe er zu bemerken, eine Lösung der Währungsfrage31 in der Form, wie sie in der Presse angedeutet werde,32 sei erst dann möglich, wenn die entsprechende Anzahl von Gütern vorhanden und wenn unsere Produktion angelaufen sei. Sonst trete der Gegensatz zwischen Angebot und Nachfrage wieder auf. Im „Main-Echo“33 seien Ausführungen gemacht worden, die geradezu gemeingefährlich seien. Sie seien in striktem Gegensatz zu den Veröffentlichungen gestanden, die auf Anregung des Finanzministeriums erfolgt seien.34 Solche Veröffentlichungen seien unverantwortlich, nicht nur vom Verfasser, sondern auch vom Verleger und Redakteur. Durch diesen Artikel sei geradezu zur Hamsterei von Kleingeld aufgefordert worden.35 Er glaube nicht, daß es sich um bösen Willen handle, sondern um Ahnungslosigkeit und Nachlässigkeit.

Staatsminister Terhalle schließt sich dieser Auffassung an. Man dürfe nichts publizieren, was eine Vorwegnahme der Planung bedeuten könne. Er sei erst heute früh von der „Neuen Zeitung“ angerufen worden, ob es richtig sei, daß auf Anordnung der Währungsstelle 1 und 2-Mark-Scheine herausgegeben werden sollten. Er habe jedoch nichts davon gewußt, auch gar nichts wissen können, ebenso die Militärregierung nicht, da eine solche Anordnung nicht ergangen sei. Die Veröffentlichung im „Main-Echo“ sei ein übler Strich durch das Konzept des Finanzministeriums. In der „Neuen Zeitung“ sei übrigens eine Resolution des Schwabacher Kreisverbandes der Sparkassen36 enthalten gewesen, die gefaßt worden sei nach einem Vortrag des Leiters des Giroverbandes Dr. Weber37, in dem ganz genau die künftige Währungspolitik festgelegt sei.38 Dem Finanzministerium sei es verboten, irgend etwas zu publizieren, was die Währungsfrage vorwegnehmen könne. Er habe den Innenminister gebeten, ihn mit Herrn Weber zusammenzubringen, damit die Sache geregelt werde.39 Man kümmere sich in der Presse überhaupt schon viel zu viel um diese Dinge und lasse unverantwortliche Artikel los. Der Ton, der angeschlagen werde, sei nicht objektiv. Es sei nun nämlich so, daß diejenigen, die Pläne fabrizierten – und es würden am laufenden Band Pläne fabriziert40 mit dem Herzen und dem Gemüt arbeiteten und zu persönlich dabei seien. Man müsse aber an die Dinge sine ira et studio herangehen. Luther solle seinen Plan zeigen, er habe ihn übrigens schon einmal mit ihm erörtert.41 Im übrigen wolle er vertraulich hinzufügen, am Freitag habe er in Stuttgart gehört, der Kontrollrat wolle im März etwas von sich aus unternehmen. Er hoffe dies nicht und halte es auch nicht für wahrscheinlich. Wenn man verlange, daß im Zeitpunkt der Währungsreform die Ware für das neue Geld schon unbedingt da sein müsse, so könne dies das Todesurteil für uns bedeuten. Heute unterblieben alle wirtschaftlichen Dispositionen, weil wir ein schlechtes Geld hätten. Niemand arbeite mehr, eine Radikalkur wäre das Richtige. So einfach seien die Dinge aber nicht. Er persönlich sei der Überzeugung, daß man nur durch einen radikalen Eingriff die Leute zur Arbeit bringen könne.

Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, daß man durch Steuern etwas erreichen könne.

Staatsminister Dr. Terhalle erwidert, mit Steuern schöpfe man nicht ab, sondern gebe nur etwas von einer Stelle an eine andere. Man vermeide höchstens das Drucken neuer Noten. Die Dinge lägen nicht so einfach.

Staatsminister Dr. Baumgartner ergänzt, er habe große Sorgen wegen der Veröffentlichung von Geheimrat Weber in der „Süddeutschen Zeitung“.42 Dieser Artikel habe fürchterliche Folgen auf dem Lande gehabt.43 Aus diesem Grunde habe er seine Ausführungen gemacht.

Ministerpräsident Dr. Hoegner weist noch darauf hin, daß Luther noch unter Hitler Botschafter in Washington gewesen sei.44

[X. Autonome Brandversicherungsanstalt in der Pfalz]

Staatsminister Seifried teilt mit, er habe die Nachricht bekommen, daß in der Pfalz die Errichtung einer autonomen Brandversicherungsanstalt in Angriff genommen werde. Die Bayerische Versicherungskammer könne aber keine Verpflichtung anerkennen, Reserven herauszugeben, falls der Plan Wirklichkeit würde.45

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt hiezu, keine französische Behörde habe die rechtliche Möglichkeit, mit uns unmittelbar zu verkehren. Das ginge nur über die amerikanische Militärregierung. Es sei jeder bayerischen Behörde untersagt, von sich aus Verhandlungen mit einer anderen Zonenregierung zu führen. Keine bayerische Behörde könne direkt mit Behörden in der Pfalz verhandeln. Derartige Ansinnen, wie Aktiva oder Reserven herauszugeben, seien zurückzuweisen. Die Betreffenden seien an die Militärregierung oder den Kontrollrat zu verweisen.

Dieser Standpunkt wird einstimmig gebilligt.

[XI. Borkenkäfergefahr infolge des enormen Holzeinschlags]

Staatsminister Seifried führt weiter aus, bei ihm seien wiederholt Abordnungen von Privatwaldbesitzern gewesen; diese hätten in Denkschriften darauf hingewiesen, daß die Borkenkäfergefahr eine solche Ausdehnung angenommen habe, daß durch den unsinnigen Holzeinschlag die größte Gefahr für den Wald bestehe. Wenn man noch zwei Monate zuwarte, werde ein Schaden eintreten, der nicht mehr wieder gutgemacht werden könne.

[XII. Kritik an der Landesforstverwaltung]

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, hierüber sei die Meinung der Forstverwaltung einzuholen, die ihm direkt unterstehe. Allerdings habe er noch niemand davon gesehen, er bekomme auch nie ein Schriftstück. Die Forstverwaltung tue, als ob sie ein Staat im Staate sei. Es sei höchste Zeit, daß da Ordnung hineinkomme.

[XIII. Termine]

Staatssekretär Dr. Pfeiffer teilt mit, daß am nächsten Montag voraussichtlich der Länderrat sei, der über das Denazifizierungsgesetz beschließen solle. Es werde im Rathaussaal eine kurze Sitzung stattfinden.46 Am Dienstag sei die vorläufige Eröffnung des vorläufigen Landtags.47 Er bitte darum, daß die Minister ihre Reden bis zum Montag der Staatskanzlei zur Verfügung stellten. Die weiteren Einzelheiten würden noch rechtzeitig bekanntgegeben werden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt, er höre zu seinem Schrecken, daß in diesen Tagen eine große Zahl von Ministern entweder in Stuttgart oder Frankfurt sei. Das müsse geändert werden.48

Staatssekretär Dr. Pfeiffer erwidert, er habe in Stuttgart angegeben, daß in der nächsten Woche keine Beanspruchung erfolgen solle.

Staatsminister Dr. Erhard erwidert, er habe am 26. und 27. Februar Besprechungen in Frankfurt mit Herren der englischen Zone, auch General Draper und der englische Verbindungsoffizier seien anwesend.

Staatsminister Roßhaupter erklärt, vom 25. bis 27. Februar seien Sitzungen des sozialen Arbeitsausschusses. Ministerialbeamte könne man nicht hinschicken. Es bestehe sonst die Gefahr, daß Beschlüsse entstünden, die vom Minister nicht gebilligt würden. Man solle versuchen, die Sitzung in Stuttgart zu verschieben.

Staatssekretär Dr. Pfeiffer erwidert, er habe schon mit Pollock gesprochen. Er habe Pollock rechtzeitig verständigt. Pollock werde selbst nach München kommen und auch McNarney und Murphy veranlassen zu kommen.49 Err werde morgen offizielle Schritte unternehmen, damit die Sitzungen in Stuttgart verschoben würden.

Der Bayerische Ministerpräsident:
gez. Dr. Wilhelm Hoegner
Der Sekretär d. Ministerrats:
gez. Claus Leusser
Ministerialrat
Der Leiter d. Bayer. Staatskanzlei:
gez. Dr. Anton Pfeiffer
Staatssekretär