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Nr. 36MinisterratssitzungMontag, 25. Juni 1951 Beginn: 16 Uhr 30 Ende: 19 Uhr 30
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Justizminister Dr. Müller, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialrat Leusser (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Kultusminister Dr. Schwalber, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Bundesratsangelegenheiten. II. [Benennung von Richtern für das Bundesverfassungsgericht]. [III. Vertretung Bayerns im Kontrollausschuß beim Hauptamt für Soforthilfe]. [IV. Kehlsteinhaus]. [V. Truppenübungsplatz Hammelburg].

I. Bundesratsangelegenheiten

1. Schuman-Plan1

Staatsminister Dr. Seidel führt aus, er wolle weder zur politischen noch zur staatsrechtlichen Seite des Schuman-Plans Stellung nehmen, sondern nur die wirtschaftliche Bedeutung darlegen, wobei sich ergeben werde, daß auch im wirtschaftlichen Bereich neben großen Chancen auch Risiken vorhanden seien.

Die französische Presse und Industrie behaupten, durch den Plan werde die französische Wirtschaft den Deutschen ausgeliefert, während von deutscher Seite Bedenken bestünden, daß die deutsche Wirtschaft dadurch unter die Botmäßigkeit Frankreichs falle. Nachdem also auf beiden Seiten Einwände grundsätzlicher Art erhoben würden, sei es notwendig, im einzelnen die Wirkungen des Planes festzustellen. Man wolle folgendes erreichen:

a) eine geordnete Versorgung des gemeinsamen Bedarfs,

b) die Sicherung des gleichen Zugangs zu den gleichen Produktionsgütern,

c) Vorsorge für die Festsetzung der Preise,

d) die Bildung der Voraussetzungen zum Ausbau des Produktionspotentials,

e) Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter,

f) Entwicklung des zwischenstaatlichen Aufbaues,

g) Modernisierung der Produktion usw.

Die Methoden, die angewandt werden sollen, gingen im wesentlichen auf folgende Grundsätze zurück:

a) Es soll die Möglichkeit zu beschränkten Eingriffen geschaffen werden,

b) es soll der Aufbau eines sehr weitgehenden planwirtschaftlichen Systems vorgesehen werden.

Dabei denke man an allgemeine Informationen, die Beschaffung von Finanzierungsmitteln und deren Verteilung, die Organisierung des Wettbewerbs, sowie direkte und unmittelbar Eingriffe nur beim Vorliegen besonderer Umstände. Die verbotenen Mittel sollen dabei sein: Einfuhr- und Ausfuhrzölle, dann diskriminierende Maßnahmen, Subventionierungen aller Art und erschwerende Praktiken durch Aufteilung und Ausbeutung der Märkte.

Was die Frage der Investitionen betreffe, so zeige sich, daß hier besonders scharfe Kritik geübt werde. Wenn auch die Gewerkschaften, an ihrer Spitze der neugewählte Präsident,2 sich für die Annahme des Schuman-Plans ausgesprochen hätten, so teile doch einer ihrer Wortführer, Dr. Agartz,3 diese Auffassung nicht und richte seine schärfsten Angriffe gegen die Investitionen. Er behaupte unter anderem, Frankreich habe ohne die erforderlichen Voraussetzungen die Kapazität der französischen Stahlproduktion stark erhöht. Wenn nun Deutschland, dessen Stahlproduktion durch eine Anordnung der Siegermächte bisher beschränkt gewesen sei, dem Schuman-Plan beitrete, so beginne es mit einem schlechten Start, während die Franzosen ihre künstlich erhöhte Kapazität entsprechend ausnützen könnten. Dieser Einwand habe sicher seine Berechtigung, aber nur dann, wenn die Auffassung der Bundesregierung, daß alle bisherigen besatzungsrechtlichen Eingriffe mit dem Inkrafttreten des Schuman-Plans aufgehoben würden, nicht zutreffend sei. Die Bundesregierung stütze sich dabei auf einen Brief des französischen Außenministers Schuman, in dem in Aussicht gestellt werde, daß alle diese Maßnahmen aufgehoben würden, also z.B. auch die Ruhrbehörde, die Kohlen- und Stahlkontrollgruppen4 und die Anordnungen des Alliierten Sicherheitsamtes. Wenn das zutreffe, sei der Einwand von Dr. Agartz unberechtigt, denn der Vertrag sehe folgendes vor:

Investitionen sollen erleichtert werden durch Kredite an Unternehmen mit Sonderhaftung seitens der hohen Behörde. Diese habe dann Rechte zum Eingreifen, wenn die Investitionen finanziert werden sollten

a) durch Mittel, die die Hohe Behörde selbst verschafft und

b) sofern es sich um Mittel handle, die nicht aus dem Aufkommen des einzelnen Staates stammen. Jede andere Investition könne von der Hohen Behörde nicht beeinflußt werden. Bezüglich der Kohle könne Dr. Agartz keinen Einwand bringen, da die Investitionen insoweit dort eingesetzt werden sollen, wo sie am rationellsten wirken, was unbestreitbar in Deutschland der Fall sei.

Ein weiterer Einwand von Dr. Agartz richte sich gegen die Möglichkeit der Preisbildung. Hier sei folgendes zu sagen:

Die Montanunion habe den Grundsatz aufgestellt, daß ein Eingreifen in die Preisbildung grundsätzlich nicht vorzusehen ist; nur dann, wenn die Preise ein unerträgliches Niveau erreicht hätten, könne die Montanunion für ein Preissystem eintreten. Soweit die Kohle in Frage komme, sei Deutschland unbedingt im Vorteil, da bei uns zweifellos am billigsten produziert werde. Die deutsche Kohlenwirtschaft werde also höchsten ein Ansteigen des Kohlenpreises erwarten können. Auch die Frage des Kohleexportpreises werde sich dann ganz natürlich lösen. Allerdings gäbe es für den Übergang den Nachteil, daß nach den Bestimmungen der Montanunion der Binnenkohlenpreis vom Exportkohlenpreis nicht abweichen dürfe. Man mache aber einen Fehler, wenn man insoweit den Plan kritisiere, denn zweifellos ergebe sich für Deutschland und seine billige Kohle eine Chance, wenn ein einheitlicher Markt geschaffen werde. Besonders Dr. Wagenführ5 stelle mit Nachdruck fest, daß damit unbedingt die Möglichkeit gegeben sei, die Absatzsorgen für Kohle, die schon oft auf der deutschen Kohlenwirtschaft gelastet hätten, zu beseitigen.

Dies sei im wesentlichen der ökonomische Inhalt des Plans. In der Informationssitzung des Bundesrates sei aber auch auf folgendes hingewiesen worden:

Man könne nicht bloß die sogenannte Basisindustrie (Kohle, Eisen, Stahl, Energie usw.) international gesondert behandeln, der Vertrag habe daneben unabweisbar die Tendenz, zusätzlich zur Montanunion weitere Kreise zu bilden, um allmählich eine allgemeine europäische Wirtschaft zu organisieren. Dieser Gedanke sei nicht nur bestechend, sondern in der Tat realistisch.

Er persönlich sei der Meinung, der Schuman-Plan werde zum Tragen kommen, jedenfalls werde sich das in den nächsten 1 1/2 Jahren zeigen. Nachdem nach dem Urteil aller Sachverständigen, mit Ausnahme von Dr. Agartz, die Chancen so groß seien, daß man das Risiko, das damit verbunden sei, eingehen könne, rate er auch zur Zustimmung. Allerdings müsse dabei noch auf folgendes hingewiesen werden:

Bekanntlich habe der Wirtschaftsausschuß einen Beschluß gefaßt, wonach spätestens bei der Ratifizierung des Plans eine verbindliche Zusage darüber vorliegen müsse, daß die besatzungsrechtlichen Institutionen und Bestimmungen, wie die Ruhrbehörde, die Eingriffsrechte der Alliierten Sicherheitsbehörde, die Kohlen- und Stahlkontrollgruppen, die Beschränkung der Stahlproduktion usw. vollständig fortfallen müßten, und zwar jedenfalls in dem Augenblick, in dem die Hohe Behörde des Schuman-Plans ihre Aufgaben übernehmen werde.6 Diese Bedingung des Wirtschaftsausschusses sei der Bundesregierung gar nicht unangenehm, zumal der Bundeskanzler an Außenminister Schuman in diesem Sinne bereits geschrieben und dieser im April 1951 entsprechend geantwortet habe.7

Der Wirtschaftsausschuß habe beschlossen, folgendes zu empfehlen:

Der Bundesrat halte eine Empfehlung des Bundesrates für notwendig, daß bei den Verhandlungen über die zusätzlichen Abkommen entsprechend dem darin niedergelegten Schutzprinzip (§ 24 bis 31) der zusätzliche deutsche Investitionsbedarf berücksichtigt werde.8

Zusammenfassend wolle er noch folgendes sagen:

Er sei unbedingt für die Annahme des Schuman-Plans, wobei er sich aber darüber klar sei, daß die Überwindung des nationalen Egoismus in allen Ländern noch große Schwierigkeiten machen werde. Es werde sich noch erweisen müssen, ob die Hohe Behörde tatsächlich europäisch denken und handeln werde. Wenn der Schuman-Plan nur den einzigen Erfolg habe, daß die Befugnisse der Ruhrbehörde auf die Hohe Behörde der Montanunion übertragen würden, so sei das allein schon ein großer Fortschritt. Die Ruhrbehörde sei ja unbeeinflußt von jeder politischen Stimmung, in ihr herrsche nur das Interesse der Teilnehmer der Behörde, also Englands, Frankreichs und der Beneluxstaaten. Die Situation werde völlig anders, wenn die Hohe Behörde ihre Funktion ausübe, die nicht die Nachfolgerin der Ruhrbehörde sei, aber große Möglichkeiten habe, bei Schwierigkeiten einzugreifen und die außerdem auf die bei den einzelnen Teilnehmern herrschende öffentliche Meinung Rücksicht nehmen müsse. Er dürfe dabei an das Gegenbeispiel der OEEC erinnern.

Auf eine Anfrage des Herrn Staatsministers Dr. Müller erwidert Staatsminister Dr. Seidel, es sei richtig, daß unter Umständen einmal eine große Kohlenschwemme eintreten werde; ohne einen gemeinsamen Markt komme aber die deutsche Wirtschaft dann in größte Schwierigkeiten.

Was die Arbeitnehmer in einem solchen Fall betreffe, so sei vorgesehen, daß aus dem Aufkommen der Montanunion Beihilfen gewährt würden, um freiwerdende Arbeitskräfte in anderen Wirtschaftszweigen unterzubringen. Jedenfalls seien die ertragreichsten Bergwerke in Deutschland, was auch ein Hauptargument der Befürworter des Plans, nämlich der Herren Wagenführ und Bauer,9 gewesen sei.

Staatsminister Zietsch hält die Empfehlung des Wirtschaftsausschusses, wonach eine Reihe von Fragen vor der Ratifizierung geklärt sein müßten, für sehr bedeutsam, vor allem hinsichtlich der Klarstellung über die Höhe10 der Stahlerzeugung.

Ministerpräsident Dr. Ehard stimmt zu und hält es für richtig, im Bundesrat grundsätzlich zuzustimmen, dabei aber zu erklären, daß die vom Wirtschaftsausschuß des Bundesrates formulierten Voraussetzungen geklärt sein müßten.

Staatssekretär Dr. Koch bezeichnet die durch den Schuman-Plan vorgesehene Regelung als Teilregelung des Wirtschaftslebens in Europa. Wenn dieses Teilproblem herausgelöst werde, bestehe immerhin eine gewisse Gefahr, daß wir die Steuerung der übrigen Wirtschaft aus der Hand geben.

Staatsminister Dr. Seidel antwortet, darüber habe man sich eingehend unterhalten. Wenn höhere Kohlenpreise erzielt würden, könnten hier starke Investitionen gemacht werden, was uns wieder von der Verpflichtung entlaste, Investitionen in der Montanindustrie zu betreiben. Ohne Schuman-Plan stehe man unbedingt vor der Notwendigkeit, diese Investitionen über den Etat sicherzustellen und durch starke Eingriffe in andere Industrievorhaben zu lenken. Davon werde man entlastet und bekäme andere Beträge frei, um die Wirtschaftspolitik fortsetzen zu können. Darüber hinaus würde das bedeuten, daß unser Preisniveau an das europäische angeglichen werde, was günstige Auswirkungen für die Exportwirtschaft haben könne. Die deutsche Exportsituation sei nicht wegen der Rohstoffpreise günstiger, sondern wegen der Leistungsfähigkeit unserer Betriebe und wegen des etwas geringeren Lebensstandards unserer Arbeiterschaft. Diese Situation werde sich ändern und es könnten sich für die Exportwirtschaft Übergangsschwierigkeiten ergeben, aber auch nicht mehr, da wir durch unsere bessere Leistung immer im Vordergrund bleiben könnten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann erkundigt sich, wie es mit der Industrie zur Veredelung von Kohle sei.

Staatsminister Dr. Seidel antwortet, wenn die Ruhrbehörde bleibe, werde der Ausbau dieses Industriezweiges kaum möglich sein, weil man Deutschland aus reinen Konkurrenzgründen den überhöhten Kohlenexport auferlegt habe. Das werde sich in dem Augenblick ändern, wo die Hohe Behörde in der Lage sei, die Verteilung der Kohle zu regeln. Im übrigen scheine sich die europäische Kohlenbilanz aufzulockern, z.B. habe Belgien vor, die Exportbeschränkungen wieder aufzuheben und auch England wolle den Kohleexport wieder aufnehmen.

Was das Saargebiet betreffe, so werde dieses wirtschaftlich an die Montanunion angegliedert, wobei es unbekannt sei, welche staatsrechtlichen Folgen das haben werde.11

Sein Votum laute nun wie folgt:

a) er stimme dem Schuman-Plan zu, habe aber nichts dagegen, wenn sich der Ministerrat im Sinne des Votums des Wirtschaftsausschusses festlege;

b) staatsrechtlich stehe er auf dem Standpunkt, daß ein verfassungsänderndes Gesetz nicht notwendig sei. Die Frage, ob es sich um ein Zustimmungsoder ein einfaches Gesetz handle, habe er nicht überprüft;

c) politisch12 sei er der Auffassung, daß mit dem Beitritt zur Montanunion wohl ein gewisses Risiko verbunden sei. Er halte es aber für notwendig, dieses Risiko zu übernehmen. Man werde nie zu einer europäischen Gemeinschaft kommen, wenn man nicht einmal den Anfang mache.

Ministerialrat Leusser berichtet sodann über die staatsrechtlichen Fragen, mit denen sich der Rechtsausschuß am 14. Juni 1951 eingehend befaßt habe.13

Nach Art. 24 GG14 könne der Bund durch Gesetz Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen. Die Bundesregierung stehe auf dem Standpunkt, daß hierzu ein einfaches Gesetz genüge und berufe sich dabei auf die Entstehungsgeschichte des Art. 24. Der Rechtsausschuß sei aber zu dem Ergebnis gekommen, daß die Entstehungsgeschichte keinen Anhaltspunkt dafür biete, worauf auch Professor Kaufmann15 hingewiesen habe. Wenn man dem Bund die Befugnisse habe verleihen wollen, nicht nur eigene, sondern auch fremde Hoheitsrechte, und zwar solche der Länder, auf zwischenstaatliche Einrichtungen zu übertragen, so hätte es einer ausdrücklichen Bestimmung dieser Art bedurft. Man müsse wohl davon ausgehen, daß ohne Änderung des Grundgesetzes nach Maßgabe des Art. 24 GG nur eigene Hoheitsrechte des Bundes übertragen werden können. Der Rechtsausschuß sei dann zu dem Ergebnis gekommen, daß für den Entwurf eines Gesetzes betr. Vertrag über die Gründung der europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 1951 (Ratifizierungsgesetz) es nicht einer Verfassungsänderung bedürfe. Soweit nach dem Vertrag Gesetzgebungsbefugnisse des Bundes auf die europäische Gemeinschaft übertragen werden, handle es sich nur um Gegenstände der konkurrierenden Gesetzgebung (Art. 74 Ziff. 11, 16, Art. 105 GG).16 Insoweit seien wohl die Voraussetzungen aus Art. 72 Abs. 2  GG17 (Bedürfnisfrage) gegeben. Der Bund übertrage daher ein nach dem Grundgesetz ihm zustehendes Gesetzgebungsrecht, ohne daß Hoheitsrechte der Länder berührt würden.

Auch die in der europäischen Gemeinschaft zu übertragende Rechtsprechungsgewalt greife in die Hoheitsrechte der Länder nicht ein, da sie sich auf Rechtsstreitigkeiten erstrecke, für die nach innerdeutschem Recht eine Zuständigkeit der Länder an sich gar nicht begründet war.

Dagegen werde die Verwaltungshoheit der Länder betroffen. Eine Bundesauftragsverwaltung der Länder (Art. 85)18 könne ohne Verfassungsänderung nicht errichtet werden. Eine bundeseigene Verwaltung könnte nur nach Maßgabe des Art. 77 Abs. 3  GG19 errichtet werden und bedürfe im Rahmen dieser Bestimmung der Zustimmung des Bundesrates. Der Rechtsausschuß sei dann für eine Durchführung des Bundesgesetzes durch die Länder als eigene Angelegenheit, die dem Rechtsgrundsatz der Art. 3020 und 83 GG21 entspreche, zu folgendem Ergebnis gekommen:

Im Bereich der landeseigenen Verwaltung können dem Bund nach Maßgabe des Art. 84 GG an sich den Ländern zustehende Hoheitsbefugnisse mit Zustimmung des Bundesrates eingeräumt werden und zwar

a) Befugnisse zur Regelung der Einrichtung der Behörden und des Verwaltungsverfahrens (Art. 84 Abs. I),22

b) Befugnisse zum Erlaß allgemeiner Verwaltungsvorschriften (Art. 84 Abs. 2),23

c) Befugnisse zum Erlaß von Einzelweisungen (Art. 84 Abs. 5).24

Befugnisse dieser Art sollten nur der Hohen Behörde eingeräumt werden (Art. 14, 15 des Vertrags über die Gründung der Montanunion). Dies könne durch den Bund nach Maßgabe des Art. 24 Abs. 1  GG25 geschehen, wenn und nachdem im Wege einer mit der Zustimmung des Bundesrates erfolgten Verabschiedung des vorliegenden Entwurfs eines Ratifizierungsgesetzes die vorbezeichneten Befugnisse von den Ländern auf den Bund übergeleitet worden sind.

Diesem Vorschlag des Rechtsausschusses sei Professor Dr. Kaufmann im wesentlichen gefolgt allerdings nicht mehr bis zum Schluß.

Für diesen bayerischen Vorschlag hätten sich fünf Länder entschieden, sechs hätten sich dagegen ausgesprochen und Nordrhein-Westfalen habe sich die Entscheidung noch Vorbehalten; immerhin habe sich damit eine Mehrheit dafür ergeben.

Staatssekretär Dr. Koch äußert gegen diese Auffassung Bedenken, vor allem in der Hinsicht, daß auf diese Weise alle möglichen Befugnisse auf den Bund übergeleitet werden könnten.

Ministerialrat Leusser erwidert, dies könne ja nur mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, andererseits müsse man in Betracht ziehen, daß die Mehrheit der Länder noch auf dem Standpunkt stehe, ein einfaches Gesetz genüge. Man sei sich darüber klar, daß der bayerische Vorschlag eine Konstruktion sei, die noch durchgearbeitet werden müsse.

Staatssekretär Dr. Koch weist darauf hin, daß man bisher Art. 84 Abs. 5 [GG] so aufgefaßt habe, daß Einzelanweisungen nur an Behörden gegeben werden könnten; nun gebe man sich damit zufrieden, daß unter Umständen auch solche Weisungen an einzelne Unternehmen erteilt werden könnten.

Ministerialrat Leusser erklärt, die Hohe Behörde könne sich an den Bund wenden, ein Weg, der durch Art. 84 Abs. 5 [GG] gedeckt sei, es könnten damit aber noch keine Weisungen an Unternehmen gedeckt werden.

Ministerpräsident Dr. Ehard weist darauf hin, daß man sich gegen Einzelanweisungen im innerdeutschen Verkehr nicht habe durchsetzen können; obwohl Bayern auf dem Standpunkt stehe, daß dies durch Art. 84 Abs. 5 [GG] nicht gedeckt sei. Auf jeden Fall müsse von bayerischer Seite aus auf ein Zustimmungsgesetz hingestrebt werden, wenn man sich auch der Schwächen dieser Konstruktion bewußt sei.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

Ministerpräsident Dr. Ehard fährt fort, was die politische Seite betreffe, so sei dies wohl auf eine einfache Formel zu bringen: Entweder strebe man eine europäische Gemeinschaft auf der politischen Ebene an, diese habe aber keine Durchschlagskraft, wenn man nicht über Straßburg eine europäische Exekutive und Legislative erreiche.26 Der Weg des Schuman-Plans greife ein Teilgebiet heraus, wenn man das wolle, müsse man den Plan auch annehmen. Ohne ein gewisses Risiko gehe das natürlich überhaupt nicht.

Staatssekretär Dr. Koch meint, die Entscheidung sei schwierig, nachdem noch keine Gleichberechtigung Deutschlands im Rahmen der europäischen Völker bestehe.

Ministerpräsident Dr. Ehard stimmt zu und stellt fest, daß bei voller Souveränität wohl keine Bedenken bestünden. Praktisch müsse man aber doch wohl sagen, daß der Schuman-Plan eine fast an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit bringe, daß ein Teil der bestehenden Hemmungen und Schwierigkeiten wegfalle. Zweifellos habe sich die deutsche Wirtschaft seit 1945 wieder durchgesetzt, s.E. könne sie sich auch weiterhin in einer europäischen Gemeinschaft durchsetzen.

Staatsminister Zietsch erklärt, wenn die Voraussetzungen, die der Wirtschaftsausschuß fordere, durchgesetzt werden könnten, seien die bisherigen Bedenken wohl erheblich geringer.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, man stehe doch vor der Frage, ob es vorteilhafter sei, den jetzigen Zustand zu belassen oder zu versuchen, über den Schuman-Plan zu einer weiteren größeren wirtschaftlichen Selbständigkeit zu kommen. Er halte es für bedenklich, die Möglichkeit aufzugeben, die der Plan Deutschland tatsächlich biete.

Staatsminister Dr. Müller hält es für möglich, über die Montanunion auch an den amerikanischen Markt heranzukommen.

Staatssekretär Dr. Koch erklärt, im Prinzip sei er für den Beitritt zur Montanunion, trotz großer Sogen; allerdings müßten vorher unter allen Umständen die Bedingungen, die der Wirtschaftsausschuß aufgestellt habe, erfüllt sein.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, er habe darüber auch mit dem Bundeskanzler gesprochen, der diese Auffassung völlig teile.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird sodann folgendes beschlossen:

a) Bei dem Ratifikationsgesetz handle es sich um eine Zustimmungsgesetz. Selbst27 wenn sich für den bayerischen Standpunkt keine Mehrheit finde, müsse daran festgehalten werden.

b) Die Bedingungen, die der Wirtschaftsausschuß aufgestellt und Herr Staatsminister Dr. Seidel vorgetragen hat, müssen übernommen werden.

Es wird vereinbart, daß an der Bundesratssitzung außer dem Herrn Ministerpräsidenten die Herren Staatsminister Dr. Seidel und Zietsch und die Herren Staatssekretäre Dr. Koch und Maag teilnehmen.28

2. Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 195029 sowie die Ergänzungsvorlagen der Bundesregierung zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 195030

3. Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 195131

Ministerialrat Leusser weist darauf hin, daß die Gesetzentwürfe erst jetzt dem Bundesrat gedruckt zugegangen seien und noch nicht nachgeprüft werden konnte, inwieweit den Bedenken des Bundesrates Rechnung getragen worden sei.32 Verschiedene Fachausschüsse hätten sich mit den einzelnen Plänen befaßt und verschiedene Punkte herausgegriffen, von einer ordnungsgemäßen Arbeit könne aber keine Rede sein. Der Finanzausschuß scheine aber keine Erklärung abgeben zu wollen.33

Ministerpräsident Dr. Ehard schlägt vor, beim Gesetzentwurf über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für 1950 keine Absetzung zu beantragen, wohl aber solle man das bezüglich des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1951 erwägen, und zwar mit der Begründung, daß er nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.34

4. Entwurf eines Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen zur Förderung der deutschen Wirtschaft35

5. Entwurf eines Gesetzes über die Verlängerung der Dauer bestimmter Patente36

6. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet37

Zu diesen drei Punkten der Tagesordnung werden keine Bedenken erhoben.

7. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Reichsdienststrafordnung38

Ministerialrat Leusser führt aus, mit diesem Gesetzentwurf werde sich noch der Rechtsausschuß befassen; seine Bedeutung bestehe darin, daß das Gesetz eines Tages wohl Rahmengesetz für die Länder werden könne. Es werde versucht werden, im Rechtsausschuß die Anregungen des Bayer. Justizministeriums durchzusetzen, im übrigen bestünden wohl keine Bedenken.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

8. Entwurf eines zweiten Gesetzes zu Änderung des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 195139

Ministerialrat Leusser fährt fort, dieser Punkt werde wohl von der Tagesordnung abgesetzt werden, da im Ausschuß für Innere Angelegenheiten des Bundesrates noch keine Einigung zustande gekommen sei.40

9. Entwurf eines Gesetzes über das Handelsabkommen zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Königlich Ägyptischen Regierung41

10. Entwurf eines Gesetzes zur Ordnung des Schornsteinfegerwesens42

Es wird beschlossen, Einwendungen nicht zu erheben.

11. „Gutachten über die betrieblichen Verhältnisse und die Kosten der deutschen Erdölgewinnung im Bundesgebiet“

Der Ministerrat beschließt, sich der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses des Bundesrates anzuschließen.43

12. Entwurf eines Gesetzes über besondere Maßnahmen in der Getreidewirtschaft44

Ministerialrat Leusser fährt fort, der Koordinierungsausschuß habe sich den Abänderungsvorschlägen des Agrar- und Wirtschaftsausschusses angeschlossen.45 Besondere Bedenken bestünden gegen § 3 des Entwurfs, der gestrichen werden sollte.46 Diese Bestimmung gebe praktisch die Möglichkeit, die Zwangswirtschaft wieder einzuführen, da hier vorgesehen sei, daß das Bundesernährungsministerium Bestimmungen über die weitere Lenkung des abgelieferten Getreides treffen könne. Der Koordinierungsausschuß sei der Auffassung, daß ein Einzelweisungsrecht in diesem Umfang nicht eingeräumt werden sollte.

Staatssekretär Maag fügt hinzu, der Agrarausschuß habe sich für die Streichung des § 247 und für eine neue Fassung des § 3 ausgesprochen.48

Ministerialrat Leusser meint, es sei wohl am besten, grundsätzlich nach den Vorschlägen des Agrarausschusses zu stimmen, aber die Streichung des § 3 zu fordern. Die Einzelweisungen müßten aber im Rahmen des Art. 84 [GG] bleiben.49

Der Ministerrat beschließt, diesem Vorschlag entsprechend zu verfahren.50

13. Entwurf einer Zweiten Durchführungsverordnung zum Zuckergesetz51

Der Ministerrat beschließt, entsprechend den Abänderungsvorschlägen des Agrarausschusses dem Entwurf zuzustimmen.52

14. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Tabaksteuergesetzes53

Staatssekretär Dr. Ringelmann erklärt, der Finanzausschuß habe zwar vorgeschlagen, einen Antrag nach Art. 77 Abs. 2  GG nicht zu stellen, er halte es aber doch für richtig, den Vermittlungsausschuß anzurufen, nachdem der Abschnitt III, steuerliche Erleichterung für kleinere Betriebe, gestrichen worden sei. Gerade Bayern habe ein großes Interesse daran, daß der dritte Abschnitt bestehen bleibe.

Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.54

15. Entwurf eines Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit55

Es wird beschlossen, keinen Antrag nach Art. 77 Abs. 2 zu stellen.

16. Entwurf eines Gesetzes betr. Weitergeltung der Getreidepreise56

Ministerialrat Leusser teilt mit, es handelt sich darum, die Getreidepreise bis 21. Juli 1951 weiter gelten zu lassen. Die Angelegenheit sei sehr wichtig und man müsse versuchen, diesen Punkt noch auf die Tagesordnung zu setzen.

II. Benennung von Richtern für das Bundesverfassungsgericht57

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, anscheinend sei Ministerialrat Dr. Kratzer58 vom Wirtschaftsministerium doch bereit, eine Wahl zum Richter am Bundesverfassungsgericht anzunehmen. Angeblich sei er jedoch bisher noch von keiner Stelle offiziell vorgeschlagen worden.

Staatssekretär Dr. Koch ersucht, ihm die erforderlichen Unterlagen sofort zuzuleiten.

Der Ministerrat beschließt, Ministerialrat Dr. Kratzer vorzuschlagen.59

[III.] Vertretung Bayerns im Kontrollausschuß beim Hauptamt für Soforthilfe60

Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, bisher sei bayerischer Vertreter im Kontrollausschuß Herr Staatssekretär a.D. Dr. Müller gewesen. Morgen, den 26. Juni, finde eine wichtige Sitzung des Ausschusses statt, bei der die Vergebung von ca. 300 Millionen Soforthilfemittel behandelt werden solle. Herr Staatssekretär Dr. Oberländer habe ihn gebeten, ihn mit der Wahrnehmung der morgigen Sitzung zu beauftragen, nachdem ihm das Landesamt für Soforthilfe in Bayern unterstellt sei.

Der Ministerrat beschließt, Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer mit der Vertretung Bayerns für die Sitzung am 26. Juni zu beauftragen, eine endgültig Entscheidung über die ständige Vertretung im Kontrollausschuß aber noch nicht zu treffen.

Staatssekretär Dr. Ringelmann sichert zu, in dieser Sache morgen ein Schreiben des Finanzministeriums zu übersenden.61

[IV.] Kehlsteinhaus62

Ministerpräsident Dr. Ehard erinnert nochmals daran, daß es notwendig sei, möglichst bald eine Entscheidung über die zukünftige Verwendung des sogenannten Teehauses auf dem Kehlstein bei Berchtesgaden zu treffen. Nach allem, was er bisher gehört habe, scheine die einzige Lösung, die in Frage komme, die zu sein, in diesem Haus einen Wirtschaftsbetrieb zu errichten.

Staatssekretär Dr. Ringelmann antwortet, es hätte schon eine Reihe von Verhandlungen wegen des Gutshofs63 stattgefunden und er halte es für zweckmäßig, in diesem Zusammenhang auch über das Teehaus zu entscheiden; wahrscheinlich müßten die beiden Objekte zusammengefaßt werden. Auch seiner Meinung nach komme nur ein Wirtschaftsbetrieb in Frage.64

[V.] Truppenübungsplatz Hammelburg65

Staatssekretär Dr. Oberländer teilt mit, in Unterfranken sei nach wie vor große Erregung über die Erweiterung des Truppenübungsplatzes Hammelburg, die der Kommunistischen Partei Gelegenheit zu hemmungsloser Propaganda biete.66 Allem Anschein nach seien aber die Amerikaner nicht bereit, nachzugeben.

Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer, am 26. Juni nochmals zur Dienststelle Blank zu gehen. Jedenfalls müßte nach wie vor alles versucht werden, um etwas für Hammelburg zu erreichen.67

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
Im Auftrag
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Karl Schwend
Ministerialdirigent