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Nr. 9Außerordentliche MinisterratssitzungMontag, 31. Januar 1955 Beginn: 19 Uhr 30 Ende: 21 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Kultusminister Rucker, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatseekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei), Ministerialdirigent Dr. Freudling (Finanzministerium), Ministerialrat Dr. Eggendorfer (Wirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Bavaria Film GmbH.

I.Bavaria Film GmbH1

Ministerpräsident Dr. Hoegner beginnt mit der Feststellung, der Zweck der heutigen Sondersitzung sei eine Unterrichtung des Kabinetts über den gegenwärtigen Stand der Veräußerung der Bavaria Filmkunst.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erteilt hierauf dem Herrn Staatsminister der Finanzen das Wort, der seinerseits Herrn Ministerialdirigenten Dr. Freudling um eine Darlegung des Sachverhalts und der Rechtslage ersucht.

Ministerialdirigent Dr. Freudling führt folgendes aus:

Das Reich hatte seine Interessen an der Filmwirtschaft in mehreren Gesellschaften zusammengefaßt. Diese Gesellschaften waren ihrerseits in der Cautio GmbH verbunden. Tochtergesellschaft der Cautio GmbH war die UFI-Film GmbH. Eine Gründung der UFI-Film GmbH war die Ufa, deren Tochtergesellschaften ihrerseits die AFIFA und die Bavaria Filmkunst waren. Das Ufa-Vermögen wurde durch Bundesgesetz aufgelöst, ebenso wie die Cautio. Zweck des Bundesgesetzes ist eine Reprivatisierung innerhalb von 2 Jahren, d.h. bis Juni 1955. Nach dem Bundesgesetz dürfen die öffentlichen Körperschaften, d.h. Bund, Länder und Gemeinden, von der Liquidationsmaße nichts erwerben, Ausländer dürfen sich nur bis zu 25 v.H. beteiligen. Der UFI-Liquidationsausschuß verschaffte sich einen Überblick über das Vermögen, in welchem die Theatermasse einen erheblichen Teil ausmacht. Es handelt sich hier um Filmtheater in den größeren Städten Westdeutschlands, hauptsächlich in Nordrhein-Westfalen. Die Wirtschaftsprüfer haben die Bewertung für die Bavaria abgeschlossen. Der Substanzwert wurde auf etwa 20–25 Mio DM festgesetzt. Die AFIFA und die Theatermasse werden zur Zeit bewertet. Die Theatermasse soll nach vorläufigen Schätzungen einen Substanzwert von rund 60 Mio DM haben. Der Ertragswert ist noch nicht bestimmt.

Die Verwertungsverhandlungen sind am weitesten bei der Bavaria Filmkunst gediehen. Es wurde beschlossen, das Vermögen in eine neue Bavaria Filmkunst einzubringen, deren Rechtsform vom künftigen Erwerber bestimmt werden soll. In diese neue Bavaria Filmkunst soll nicht das gesamte Vermögen der alten Gesellschaft eingebracht werden, weil in dieser zahlreiche Vermögenswerte enthalten sind, an denen der künftige Erwerber kein Interesse haben wird. Bei diesen Werten handelt es sich beispielsweise um Grundstücke in Berlin und um alte Filme, sogen. Reprisen. Diese letzteren Vermögenswerte sollen mit der alten Bavaria Filmkunst liquidiert werden. Ein weiterer Grund dafür, daß das Vermögen der alten Bavaria Filmkunst nicht vollständig in die neue übergeführt wird, ist der Umstand, daß die alte Gesellschaft mit zahlreichen Verbindlichkeiten belastet ist, die die Veräußerung erschweren würden.2 Es handelt sich hier in erster Linie um Lastenausgleichs- und Rückerstattungsforderungen. Diese Verbindlichkeiten sollen daher ebenfalls bei der alten Bavaria verbleiben.

Für die neue Bavaria ist bereits das Muster einer Eröffnungsbilanz erstellt worden, welche auf der Aktiv- wie auf der Passivseite mit 20 Mio DM abschließt. Der Erwerber benötigt ein Grundkapital von 8 Mio DM, zu welchem noch eine gesetzlich vorgeschriebene Rücklage in Höhe von 1,5 Mio DM kommt. An Verbindlichkeiten hat der Erwerber etwa 7 Mio DM zu übernehmen. Die Höhe dieser Verbindlichkeiten ist allerdings gegenwärtig noch streitig.

Die alte Ufa hat mit der Bavaria Filmkunst einen Vertrag abgeschlossen, auf Grund dessen alle Gewinne der Bavaria Filmkunst an die Ufa abgeführt werden, welche ihrerseits auch für einen allenfallsigen Verlust einsteht. In den vergangenen Jahren hat die Bavaria Filmkunst erhebliche Gewinne erzielt. Die Liquidatoren der Ufa verlangen nunmehr die Abführung dieser Gewinne in Höhe von etwa 5 Mio DM. Die Finanzbehörden stehen allerdings auf dem Standpunkt, daß für die Bavaria Filmkunst keine Pflicht zur Abführung der Gewinne mehr besteht, weil der erwähnte Organvertrag mit der Entflechtung gegenstandslos geworden sei und in Widerspruch zu den geltenden gesetzlichen Bestimmungen stehe. Der Streit ist gegenwärtig beim Finanzgericht München anhängig, mit der Entscheidung ist in nächster Zeit zu rechnen, sodaß damit für den Erwerber der Bavaria Filmkunst eine der bestehenden Unklarheiten beseitigt werde.

Von den Liquidatoren der Bavaria Filmkunst ist ein Prospekt über die Verwertung anfangs Dezember ausgegeben worden.3 Die Verkaufsverhandlungen wurden der Süddeutschen Bank übertragen, welche eine Provision von 2 v.H. des Verkaufswertes erhält. Es haben sich auch schon einzelne Interessenten gemeldet. Zunächst eine Gruppe, welche durch Freiherrn von Hirschberg vertreten wird, aber nur selbst 1 Mio DM aufbringen kann; ferner der Filmproduzent Ferdinand Dörfler,4 der die Hälfte des erforderlichen Kapitals aufgebracht hat. Als dritte Interessentengruppe haben sich die Agfa-Leverkusen und die Süddeutsche Bank gemeldet, welche je 25% übernehmen wollen. Eine vierte Gruppe schließlich hat sich gemeldet, doch werden deren Hintermänner noch nicht benannt. Eine Erschwerung bei den Verkaufsverhandlungen stellt die ungewisse Zukunft der Theatermasse dar. Das Bundeswirtschaftsministerium vertritt die Auffassung, daß die Theatermasse in eine eigene Gesellschaft eingebracht werden soll, an der sich die künftige Bavaria und die AFIFA mit je 25 v.H. beteiligen sollen, während der Rest des Kapitals im Lande Nordrhein-Westfalen aufgebracht werden soll. Verschiedentlich wird erklärt, daß das Land Nordrhein-Westfalen selbst die Absicht hat, durch den Erwerb der Theatermasse eine eigene Filmindustrie aufzubauen. Das Bundeswirtschaftsministerium vertritt die Auffassung, daß 25 v.H. des Bavaria-Anteils sofort für den Beitritt zur künftigen Theatergesellschaft zurückgestellt werden müssen. Inzwischen hat sich allerdings die Auffassung durchgesetzt, daß es richtiger ist, 25 v.H. der Theatermasse dem Bewerber der Bavaria Filmkunst nur anzubieten, nicht aber ihn zum Erwerb zu verpflichten. Das dürfte auch unter dem Gesichtspunkt zweckmäßig sein, weil damit die Veräußerung der Bavaria-Filmkunst schneller durchgeführt werden kann, nachdem sich die Gründung der Theatergesellschaft noch verzögern dürfte.

Zur Zeit stehen die Verhandlungen so, daß noch einige Angebote abgewartet werden. Anfangs März soll wieder eine Sitzung stattfinden. Hierbei soll eine Entscheidung über die Angebote getroffen werden. In letzter Zeit ist auch ein Plan erörtert worden, daß Berlin und München sich in die Liquidationsmasse zu je 50 v.H. teilen sollen. Dieser Plan wird allerdings die Zustimmung Nordrhein-Westfalens, das hauptsächlich wegen der Theatermasse interessiert ist, nicht finden.

Zusammenfassend ist folgendes zu sagen:

Für die Gesundung der deutschen Filmwirtschaft ist eine Konzentration unerläßlich. Diese Konzentration soll nicht Zusammenschluß in einer Hand sein, vielmehr läßt es sich vertreten, etwa vier Gesellschaften zu gründen (Bavaria, AFIFA, Theatergesellschaft und schließlich noch eine Hamburger Gruppe). Doch sind unbedingt vertragliche Vereinbarungen zwischen den einzelnen Gesellschaften bezw. Gruppen erforderlich. Endgültiges über das zukünftige Aussehen der deutschen Filmwirtschaft läßt sich heute noch nicht sagen.

Ministerialrat Dr. Eggendorfer, dem auf Vorschlag des Herrn Staatsministers für Wirtschaft und Verkehr das Wort erteilt wird, bestätigt die Darlegung des Sachverhalts durch Ministerialdirigent Dr. Freudling.

Er fügt hinzu, die Presse habe bezüglich des Prospektes für die Veräußerung der Bavaria-Filmkunst zwei Punkte bemängelt. Einmal sei der Prospekt angeblich zu wenig detailliert. Hierzu sei zu sagen, daß jeder, der ein ernsthaftes Interesse am Erwerb der Bavaria-Filmkunst habe, alle gewünschten weiteren Aufschlüsse erhalten könne. Die zweite Beanstandung des Prospektes gründe sich auf die Behauptung, daß die einzelnen Werte zu hoch angesetzt seien. Hierzu sei zu sagen, daß die Bewertung sehr sorgfältig vorgenommen worden sei. Einzelne Werte seien weit unter dem vom Wirtschaftsprüfer geschätzten Wert festgesetzt worden. Der Verkaufswert sei auch so festgesetzt, daß dem Erwerber eine Rentabilität von 10% gesichert sei. Bayern habe kein Interesse an einem zu teueren Verkauf, sei vielmehr lediglich daran interessiert, daß die Bavaria-Filmkunst fortbestehe und die Ateliers in Geiselgasteig weiterhin beschäftigt seien. Was die Andeutung des Ministerialdirigenten Dr. Freudling bezüglich einer Aufteilung der Liquidationsmasse zwischen Bayern und Berlin betreffe, so könne heute schon gesagt werden, daß Nordrhein-Westfalen auf diesen Vorschlag nicht eingehen werde.

Staatsminister Dr. Baumgartner meint, bezüglich der weiteren Behandlung der Angelegenheit stelle sich folgende Frage:

Wie könne verhindert werden, daß die Bavaria-Filmkunst in Hände komme, von welchen die bayerischen Verhältnisse nicht genügend berücksichtigt würden? S.E. sei es richtig, ein Bankenkonsortium aus bayerischen Banken zu interessieren.

Ministerpräsident Dr. Hoegner hält dem entgegen, daß wohl nur wenig dabei gewonnen werde, da die Banken selbst das Filmgeschäft nicht betreiben, sondern allenfalls erworbene Anteile wieder weiter veräußern wollten.

Staatsminister Bezold führt aus, bei dem Sachverhalt erhebe sich die politische Frage, ob der Bund am baldigen Verkauf überhaupt interessiert sei oder nicht vielmehr den Verkauf verhindern wolle. Zuweilen gewinne man den Eindruck, daß der Bund bestrebt sei, nach den Vorbildern der Vergangenheit wieder einen Staatsfilm zu schaffen. Der Bund tue auf jeden Fall nichts, um die Verkaufsverhandlungen voran zu treiben. Die Folge davon sei, daß der im Gesetz vorgesehene Termin für die Veräußerung (Juni dieses Jahres ) nicht eingehalten werden könne.

Staatsminister Dr. Geislhöringer betont das Interesse des bayerischen Staates an einem Fortbestand der Bavaria-Filmkunst. Bei der Art des Unternehmens lasse sich ein Ertragswert schwer feststellen, bestimmbar sei allenfalls der Verkehrswert. Soweit er unterrichtet sei, sei der Wert von 20–25 Mio DM noch stark übersetzt, auch habe er gehört, daß die Bewerter nicht immer glücklich gewählt worden seien, insbesondere soll hierfür auf Persönlichkeiten zurückgegriffen worden sein,5 die zwar in der Montanwirtschaft, nicht aber in der Filmwirtschaft bewandert seien. Auch er sei der Auffassung, daß das Interesse des Bayerischen Staates an einem Fortbestand der Bavaria-Filmkunst eine möglichst niedrige Festsetzung des Wertes und damit eine leichtere Verkäuflichkeit erfordere.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths führt hierzu aus, die Bewertung sei im Bayer. Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr mit größter Sorgfalt überprüft worden. Es treffe zwar zu, daß die Bewerter teilweise aus der Montanindustrie gekommen seien, doch bestehe das Vermögen der Bavaria-Filmkunst nur zu 50% aus Spezialeinrichtungen der Filmindustrie. Bezüglich der übrigen Vermögenswerte handle es sich um allgemeine Einrichtungen, Maschinen usw., die überall gleich zu bewerten seien. Soweit es sich um die Bewertung von Filmgegenständen gehandelt habe, seien Fachleute, insbesondere die seinerzeitigen Erbauer der Ateliers, zugezogen worden. Insgesamt sei man bei der Bewertung immer an die unterste Grenze herangegangen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt die Einigkeit des Ministerrats darin fest, daß Geiselgasteig im Interesse des bayerischen Staates als Produktionsstätte erhalten bleiben müsse, er wolle nunmehr noch die Frage stellen, ob die von Ministerialdirigent Dr. Freudling erwähnten Interessenten konkrete Kaufangebote abgegeben hätten.

Ministerialdirigent Dr. Freudling und Ministerialrat Dr. Eggendorfer erklären, daß einzige nach ihrer Auffassung konkrete Angebot sei der gemeinsame Vorschlag der Süddeutschen Bank und der Agfa-Leverkusen, je 25% zu übernehmen. Angesichts des Ansehens und der wirtschaftlichen Bedeutung dieser beiden Interessenten würden wohl die restlichen 50% auch noch verkauft werden können. Würde man diesem Verkaufsangebot näher treten, so würden alle Pläne, die Veräußerung der Bavaria-Filmkunst auf die lange Bank zu schieben, durchkreuzt. Alles in allem sei mit einem Verkaufspreis von etwa 9 Mio DM zurechnen.

Auf die Frage von Staatsminister Dr. Baumgartner, ob das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr bei dem Verkauf nicht die Initiative ergreifen könne, erklärt Staatsminister Bezold, dies sei nicht möglich, ohne die Verkaufsaussichten zu verschlechtern.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths fügt hinzu, die beiden beteiligten Staatsministerien der Finanzen und für Wirtschaft und Verkehr seien bezüglich des Vorgehens bei der Veräußerung der Bavaria-Filmkunst einer Meinung. Das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr begrüße die Beteiligung der Agfa-Leverkusen an der Bavaria-Filmkunst besonders, weil damit eine dauernde Beschäftigung der Ateliers am ehesten erreicht werden könne.

Staatsminister Zietsch erklärt, im gegenwärtigen Zeitpunkt empfehle sich ein aktives Eingreifen nicht, da man durchaus verschiedener Meinung darüber sein könne, wie man sich im Augenblick zu verhalten habe. Er auf jeden Fall sei sich darüber noch nicht im klaren.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schließt die Sitzung mit der Feststellung, daß mit der Unterrichtung des Kabinetts durch die beiden Ministerien der Zweck der heutigen Sitzung erreicht sei.

Der Ministerrat beschließt, die beiden Ministerien zu beauftragen, die Verhandlungen voranzutreiben und innerhalb von vier Wochen das Kabinett wiederum über den Stand der Angelegenheit zu unterrichten.

In der Presseverlautbarung über die heutige Kabinettssitzung soll lediglich mitgeteilt werden, daß das Kabinett sich über den Stand der Veräußerung der Bavaria-Filmkunst unterrichtet hat.6

Bavaria Film
Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats In Vertretung gez.: Hans Kellner Regierungsdirektor
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär