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Nr. 11MinisterratssitzungDienstag, 8. Februar 1955 Beginn: 9 Uhr Ende: 11 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Kultusminister Rucker, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Tagesordnung:

I. Die Richtlinien der Politik des Ministerpräsidenten. II. Die bayerische Finanzpolitik 1955/56. III. Bundesratsangelegenheiten. IV. Besichtigung der Bayerischen Motorenwerke durch die Bayerische Staatsregierung. V. Personalangelegenheiten. VI. Eröffnung der deutsch-französischen Universitätswoche in München. VII. Landeszentrale für Heimatdienst. VIII. Bayerische Staatszeitung. IX. Fall Schörner.

I.Die Richtlinien der Politik des Ministerpräsidenten

und

II.Die bayerische Finanzpolitik 1955/56

Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnet es als notwendig, im Hinblick auf verschiedene Vorkommnisse in der letzten Zeit, einige grundsätzliche Ausführungen über den Art. 47 Abs. 2 der Bayer. Verfassung zu machen, der bekanntlich vorsehe, daß der Ministerpräsident die Richtlinien der Politik bestimme und dafür gegenüber dem Landtag die Verantwortung trage.1

Anschließend verweist Ministerpräsident Dr. Hoegner auf die Kommentare von Nawiasky/Leusser zu Art. 47 BV,2 von Professor Anschütz zu Art. 56 der Weimarer Verfassung3 und von Professor von Mangoldt zu Art. 65 Grundgesetz.4

Er sehe sich genötigt, diese Erklärung abzugeben, weil die Richtlinien der Politik, wie er sie als Ministerpräsident auffasse, darin bestünden, vor allem die Koalitionsvereinbarungen einzuhalten. Damit sei klargelegt, daß die Einheitlichkeit der Richtlinien gewahrt bleiben müsse und es nicht angehe, daß Mitglieder des Kabinetts Ausführungen machten, die mit eben diesen Richtlinien nicht zu vereinbaren seien und dem Ministerpräsidenten größte Schwierigkeiten bereiteten. Er bitte dringend, zurückhaltend zu sein und keine Fragen aufzugreifen, die in den Koalitionsvereinbarungen nicht geregelt seien. Dazu gehöre auch die Vereinfachung der Verwaltung, bei der zunächst einmal das Gutachten des Sachverständigenausschusses abgewartet werden müsse. Leider seien in letzter Zeit Erklärungen abgegeben worden, die bedenklich seien, z.B. spreche der Herr Finanzminister von der Aufhebung von 20 Finanzämtern, also eine Angelegenheit, die auf seine Veranlassung hin ausdrücklich aus der Regierungserklärung5 herausgenommen worden sei. Ferner habe sich Herr Staatssekretär Eilles über die Zusammenlegung und Aufhebung von Gerichten geäußert. Er fürchte, daß aus dem ganzen Land Proteste einlaufen und Deputationen nach München kommen würden, da sich alles in irgendeiner Weise betroffen fühlen und zur Wehr setzen werde. Er halte es für unbedingt geboten, bei der Behandlung von Fragen, die mit Einsparungen und Vereinfachungen zusammenhingen, nicht auf Einzelheiten einzugehen. Anderenfalls werde sich überall ein Sturm gegen die Regierung erheben und die Abgeordneten aller Parteien sich zusammenschließen.

Schließlich sei zu seinem Bedauern im Landtag erklärt worden, für den Straßenbau stünden nur 1,5 Mio DM zur Verfügung.

Es sei ihm noch nicht bekannt, wie diese Mitteilung zustande gekommen sei. In welcher Weise hätten sich dabei die Regierungsvertreter verhalten? Wenn auch der Herr Finanzminister erkläre, daß diese Äußerung unrichtig gewesen sei, so habe man doch sehen können, wie stark mißverständliche Mitteilungen wirken könnten. Bevor derartiges in Zukunft an die Öffentlichkeit komme, bitte er dringend, sich vorher genau zu vergewissern, wie die Lage eigentlich sei. Im übrigen halte er es für ausgeschlossen, für den Straßenbau nur einen derartig geringen Betrag bereitzustellen, wahrscheinlich werde aber der Herr Finanzminister in der Lage sein, dies aufzuklären.

Rechnungsjahr 1955 Punkt II der Tagesordnung: Die bayerische Finanzpolitik 1955/56 hänge mit Punkt I aufs engste zusammen. Er warne davor, einzelne Teile des Haushaltsplans bekanntzugeben, bevor der Ministerrat Stellung genommen habe. Er könne sich auch nicht damit einverstanden erklären, daß das Kabinett nicht den gesamten Haushalt eingehend zu beraten, sondern lediglich über Differenzpunkte zu entscheiden habe. Er schlage deshalb vor, der Herr Finanzminister möge in einer Sondersitzung einen allgemeinen Überblick über die Finanzlage und über die von ihm beabsichtigten Einsparungen geben. Auf alle Fälle müsse dafür gesorgt werden, daß eine einheitliche Finanzpolitik betrieben und vertreten werde, wenn man nicht der Allgemeinheit ein höchst unerfreuliches Bild geben wolle. Auch die Finanzpolitik gehöre zu den Richtlinien des Ministerpräsidenten, die sich – wie gesagt – vor allem auf das beschränkten, was in den Koalitionsvereinbarungen enthalten sei. Es sei seine Pflicht, heute diese ernste Mahnung an die Herren Kabinettsmitglieder zu richten, zumal er nach der Verfassung nicht auf Aufgaben verzichten dürfe, die ihm von eben dieser Verfassung zugewiesen seien.

Staatsminister Zietsch führt aus, der Haushaltsausschuß habe einen Überblick über die Haushaltslage gewünscht, in erster Linie über die Vorbereitungen zur Aufstellung des Haushaltsjahres 1955. Er habe mit seinen Herren das Vorgehen im Ausschuß genau besprochen und die Weisung gegeben, daß keine Einzelheiten vorher mitgeteilt werden sollten. Um so mehr habe er es bedauert, daß doch eine Erklärung über den Straßenbau abgegeben worden sei, die noch dazu den Tatsachen nicht entspreche.

Was die Finanzpolitik im ganzen betreffe, so sei er jederzeit bereit, in Kürze einiges darüber mitzuteilen, damit das Kabinett über die Grundzüge unterrichtet werde. Wenn jedoch der Herr Ministerpräsident eine Sondersitzung für notwendig halte, so werde er hiefür eine eigene Vorlage ausarbeiten lassen. Die Sondersitzung könne schon in der nächsten oder spätestens in der übernächsten Woche stattfinden.

Der Ministerrat vereinbart, die Sondersitzung in der Woche zwischen dem 21. und 26. Februar 1955 anzusetzen.

Staatssekretär Dr. Haas bezeichnet es als dringend notwendig, bei der Verwaltungsvereinfachung möglichst systematisch vorzugehen. Er schlage deshalb vor, alle Ministerien sollten von sich aus überlegen, welche Anregungen zu Einsparungen gemacht werden könnten. Nachdem das Gutachten der Kommission im Juni 1955 vorgelegt werden solle, halte er es für richtig, vorher nichts an die Öffentlichkeit zu geben, sondern dann erst den Ministerrat entscheiden zu lassen. Jedenfalls sei es unzweckmäßig, einzelne Behörden jetzt schon herauszugreifen, zumal man ja schon früher die größte Aufregung erlebt habe, wenn bei den Haushaltsberatungen das Justizministerium auf die Aufhebung von einzelnen Gerichten angesprochen worden sei.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bemerkt noch, der Koalitionsausschuß habe es sehr begrüßt, daß die Frage der Richtlinien der Politik auf die Tagesordnung gesetzt worden sei, der Ausschuß habe sich mit einem einstimmigen Beschluß zu der Auffassung bekannt, daß die Einheitlichkeit der Regierungspolitik unter allen Umständen gewahrt bleiben müsse.6

Staatssekretär Eilles stellt fest, die Presse habe das Entscheidende seiner Bemerkung, nämlich, daß sich der sogen. Kollmann-Ausschuß mit der Vereinfachung befaßt und der Landtag die endgültige Entscheidung zu treffen habe, fortgelassen.

Das Interview für den Bayerndienst, dessen Text schriftlich vorliege, sei von anderen Zeitungen nur unvollständig und mit wesentlichen Auslassungen gebracht worden.7

Rechnungsjahr 1955

III.Bundesratsangelegenheiten

1.Wahl des zweiten Vizepräsidenten des Bundesrates

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet, dem Herkommen entsprechend werde der regierende Bürgermeister von Berlin, Herr Dr. Suhr, zum 2. Vizepräsidenten des Bundesrats gewählt werden.

2.Entwurf eines Gesetzes über den Abschluß der Investitionshilfe der gewerblichen Wirtschaft (Investitionshilfe-Schlußgesetz)8

Ministerialrat Dr. Gerner fährt fort, Finanz- und Wirtschaftsausschuß empfehlen übereinstimmend, dem Gesetzentwurf gem. Art. 84 Abs. l und 105 Abs. 39 in Verbindung mit Art. 78 GG zuzustimmen. Im Koordinierungsausschuß habe zwar der Vertreter des Wirtschaftsministeriums bemerkt, die Richtlinien gäben zu Bedenken Anlaß, weil die kleinen und mittleren Unternehmungen, vor allem in Sanierungs- und Grenzlandgebieten, nicht genügend berücksichtigt worden seien. Trotzdem habe er davon abgeraten, den Vermittlungsausschuß anzurufen mit der Begründung, es sei zweckmäßiger, diesen Bedenken durch eine entsprechende Initiative der Landwirtschaftsminister Rechnung zu tragen.10

Der Ministerrat beschließt, dem Gesetzentwurf zuzustimmen.11

3.Entwurf eines Gesetzes über Zolländerungen12

und

4.Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Zolltarifs (Individuelle Zollsenkung)13

Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG wird nicht gestellt.

8.Entwurf einer Ergänzung (gemäß § 11 RWB) zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplanes für das Rechnungsjahr 195517

Der Minsterrat beschließt, sich der in der BR-Drucks. Nr. 34/1/55 niedergelegten Stellungnahme des Finanzausschusses anzuschließen.18

9.Entwurf einer Verordnung über die Verlängerung der Gültigkeitsdauer der Verordnung über die Mitwirkung des Bundes bei der Verwaltung der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer vom 12. August 1952 (BGB1. I S. 420) in der Fassung der Verordnung zum 22. Dezember 1953 (BGBl. I S. 1568)19

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet, der Finanzausschuß empfehle, dem Entwurf gemäß Art. 80 Abs. 2 GG zuzustimmen unter der Voraussetzung, daß der Bundesfinanzminister ein Schreiben an die Finanzminister der Länder richte, dessen Inhalt sich aus der Anlage zur Niederschrift über die Sitzung des Finanzausschusses vom 3. Februar 1955 ergebe. Das Bayer. Finanzministerium fordere noch als zweite Voraussetzung, daß die Zustimmung des Bundesfinanzministers zu Maßnahmen nach § 131 Abs. l Satz 3 der RAO als erteilt gelten solle, wenn der Betrag von 100 000 DM ( statt 50 000 DM ) nicht überschritten sei.

Staatsminister Zietsch meint, wichtig sei in erster Linie, daß der Brief des Bundesfinanzministers überhaupt geschrieben werde, die Einzelheiten seien von weniger erheblicher Bedeutung. Er empfehle, die Zustimmung zu erteilen, wenn der Brief eingelaufen sei.

Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.20

10.Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 195121

a) nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben nach § 83 RHO

b) Entlastung der Bundesregierung wegen der genannten Bundeshaushaltsrechnung nach § 108 RHO.

Der Stellungnahme des Finanzausschusses in den BR-Drucks. Nr. 372/1/54 wird beigetreten.

11.Bundeshaushaltsrechnung für das Rechnungsjahr 1952; hier: nachträgliche Genehmigung der über- und außerplanmäßigen Ausgaben nach § 83 RHO

Es wird festgestellt, daß dieser Punkt voraussichtlich von der Tagesordnung abgesetzt wird.22

12.Zustimmung des Bundesrates zur Bestellung eines Erbbaurechts an reichseigenen Grundstücken der ehem. Munitionsanstalt Mölln, Kreis Herzogtum Lauenburg, Schleswig-Holstein23

Der Bestellung des Erbbaurechts wird zugestimmt.

13.Entwurf eines Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung24

Ministerialrat Dr. Gerner stellt zunächst fest, daß es die beteiligten Ausschüsse ebenso wie der Koordinierungsausschuß für unumgänglich hielten, den Vermittlungsausschuß anzurufen und zwar mit dem Ziel, den § 2 und den gesamten § 47 des Entwurfs zu streichen.25

Die grundsätzliche Frage, um die es sich hier handle, sei die, ob das nach Art. 84 GG bestehende Weisungsrecht der Bundesregierung so ausgelegt werden könne, daß es sich nicht nur auf die Bundesregierung als Kollegium, sondern auch auf einzelne Ressortminister beziehe.26 S.E. dürfe man nicht von dem Grundsatz abgehen, daß nur die Bundesregierung als solche in bestimmten Fällen Weisungen erteilen könne.

Ministerpräsident Dr. Hoegner unterstützt diese Auffassung mit Nachdruck und betont, im vorliegenden Falle müsse es dazu führen, daß das Bundesarbeitsministerium dem bayer. Arbeitsministerium Weisungen erteile und Rechenschaft fordere.

Der Ministerrat beschließt, den Vermittlungsausschuß anzurufen und im übrigen alle Empfehlungen in der BR-Drucks. Nr. 29/1/55 zu unterstützen.27

Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung vom 2. Mai 1955

14.Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitsgerichtsgesetzes28

Die Abänderungsvorschläge in der BR-Drucks. Nr. 19/1/55 werden unterstützt.29

und

18.Entwurf eines Gesetzes über die patentamtlichen Gebühren34

Kein Antrag nach Art. 77 Abs. 2 GG.

19.Bericht des Rechtsausschusses über Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht35

Von einer Äußerung und einem Beitritt zu diesen Verfahren wird abgesehen.

21.Umbenennung des Ausschusses für Flüchtlingsfragen

Bedenken bestehen nicht.

23.Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung39

Staatsminister Stain macht darauf aufmerksam, daß nach dem Ausscheiden des Herrn Staatsministers a.D. Dr. Oechsle und des Herrn Staatssekretärs a.D. Krehle noch kein Ministerratsbeschluß gefaßt worden sei, um die Nachfolger im Vorstand und Verwaltungsrat der Bundesanstalt für Arbeitslosenvermittlung und Arbeitslosenversicherung zu benennen.

Der Ministerrat beschließt, als Nachfolger im Bundesrat Herrn Staatsminister Stain (Vorstand) und Herrn Staatssekretär Weishäupl (Verwaltungsrat) vorzuschlagen.40

IV.Besichtigung der Bayerischen Motorenwerke durch die Bayerische Staatsregierung

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest eine Einladung der Direktion der BMW AG an die Mitglieder der Bayerischen Staatsregierung.

Staatsminister Zietsch empfiehlt, der Einladung erst Folge zu leisten, wenn die zur Zeit schwebenden Verhandlungen der BMW AG mit der M.A.N. abgeschlossen und die noch ungeklärten steuerlichen Fragen geregelt seien.

Staatsminister Bezold unterrichtet dann das Kabinett über eine Besprechung, die er mit der Direktion der BMW gehabt habe, dabei seien auch die steuerlichen Fragen, von denen die Entscheidung über den Verkauf des Werkes Allach an die M.A.N. abhängig sei, erörtert worden.41 Er selbst habe keine Zusicherung gemacht, aber erklärt, er sei bereit, den Herrn Finanzminister um möglichstes Entgegenkommen zu bitten.

Staatsminister Zietsch gibt dann einen eingehenden Überblick über die steuerliche Seite der Angelegenheit, der anschließend noch von Herrn Staatssekretär Dr. Panholzer ergänzt wird.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths erinnert daran, daß das frühere Kabinett beschlossen habe, den damaligen Staatsminister für Wirtschaft zu ermächtigen, alles zu tun, um den Verkauf des Werkes Allach an die M.A.N. zu fördern. Die jetzigen Verhandlungen seien sehr schwierig, auch die Landesanstalt sei noch zu keinem Ergebnis gekommen. Er selbst sei sich auch noch nicht schlüssig geworden, nachdem es den Eindruck habe, daß sowohl die M.A.N. wie die BMW abwechselnd Forderungen erhöben, die einfach zu weit gingen, soweit sie sich an den Staat richteten.

Er glaube aber, daß der Verkauf auf alle Fälle durchgeführt werde, nachdem die Verträge bereits unterschrieben seien.

Auf Vorschlag von Herrn Ministerpräsidenten Dr. Hoegner wird beschlossen, die Besichtigung der BMW für Anfang März vorzusehen und die heute aufgeworfenen Fragen im Ministerrat vom 22. Februar 1955 zu behandeln.42

V.Personalangelegenheiten

1. Versorgungsansprüche des Herrn Staatssekretärs a.D. Dr. Nerreter

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein Schreiben des Herrn Staatssekretärs a.D. Dr. Nerreter bekannt, mit dem dieser – gestützt auf ärztliche Zeugnisse – Ansprüche auf Versorgung nach dem Ministerversorgungsgesetz erhebe. Herr Nerreter erkläre, durch die Anstrengungen seiner vierjährigen Tätigkeit als Mitglied des Kabinetts habe er sich die Zuckerkrankheit zugezogen.

Der Ministerrat beschließt, das erwähnte Schreiben dem Staatsministerium der Finanzen zuzuleiten und dieses Ministerium um eine amtsärztliche Untersuchung des Herrn Staatssekretärs a.D. Dr. Nerreter zu ersuchen.

2. Besetzung des Lehrstuhls für Bundes- und Landesverwaltungsrecht an der Universität Würzburg43

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest ein Schreiben des Herrn Staatsministers des Innern, in dem erhebliche Bedenken gegen die Absicht erhoben würden, dem Privatdozenten an der Münchner Universität, Dr. Dürig, den Lehrstuhl für Bundes- und Landesverwaltungsrecht an der Universität Würzburg zu übertragen.

Dr. Dürig, der zur Zeit Vorlesungen an der Universität Tübingen halte, habe am 6. Juni 1954 in Nürnberg eine öffentliche Rede gehalten, die ihn kaum für geeignet erscheinen lasse, an einer bayerischen Hochschule gerade Verwaltungs- und Verfassungsrecht zu lehren. Der Herr Staatsminister des Innern halte es für geboten, dafür Sorge zu tragen, daß derartige Lehrstühle nur mit Persönlichkeiten besetzt würden, deren Verfassungstreue außer Zweifel stehe.44

Er selbst habe auch den Eindruck, daß Dr. Dürig, dessen Äußerungen in Nürnberg zweifellos zu verurteilen seien, noch nicht über die notwendige Reife verfüge, von einem so wichtigen Lehrstuhl aus die akademische Jugend zu lehren.

Dieser Auffassung schließen sich sowohl Staatsminister Bezold, wie Staatssekretär Dr. Haas mit Entschiedenheit an.

Staatsminister Rucker wendet ein, der Vorschlag der Universität Würzburg für die Besetzung dieses Lehrstuhls enthalte drei Namen, nämlich

a) Professor Dr. Bachof in Erlangen, der den Ruf zweifellos ablehnen werde,

b) Dr. Dürig und

c) Professor Spanner aus Graz.

Die Universität erkläre, sonstige geeignete Persönlichkeiten seien nicht aufzufinden und Dr. Dürig werde für sehr geeignet gehalten.45 Was den Text der Ansprache in Nürnberg betreffe, so stehe nicht ganz eindeutig fest, welche Äußerungen Dr. Dürig gemacht habe, jedenfalls klinge der Text im ganzen gesehen nicht so aufreizend wie Auszüge.46

Staatssekretär Dr. Meinzolt führt aus, er kenne Dr. Dürig, der sich bei Professor Dr. Apelt habilitiert habe, sehr genau und er schätze ihn hoch. Er halte ihn für einen Mann guter Art und guten Willens, für eine soldatische Natur mit allen Mängeln und Vorzügen. Zu berücksichtigen sei auch, daß er als Flüchtling viel durchgemacht habe. Sein Bruder sei Ordinarius für Kirchengeschichte an der Hochschule in Regensburg,47 er selbst sei praktizierender Katholik und stehe den Nationalsozialismus völlig ablehnend gegenüber. Er habe jetzt eine Professur in Tübingen verwaltet und einen Ruf an die dortige Universität bekommen; diesen Ruf werde er sicher annehmen, wenn er nicht nach Würzburg komme, Persönlich halte er die Rede Dr. Dürigs zweifellos für eine Entgleisung, die auch zu einem Tadel des Dekans der juristischen Fakultät in Tübingen geführt habe.48

Würzburg brauche dringend einen guten Lehrer für öffentliches Recht, eine andere geeignete Persönlichkeit habe sich nicht finden lassen. Über seine Ausführungen in Nürnberg habe er mit ihm gesprochen, er halte ihn nach wie vor für geeignet und sei bereit, über diese Entgleisung hinwegzusehen.49

Staatssekretär Dr. Haas entgegnet, die Rede liege im Manuskript vor und sei nicht zu widerlegen. Er halte es für unmöglich, einen Mann, der solche Auffassungen vertrete, als Lehrer für öffentliches Recht einzusetzen. Die Erfahrungen, die man gerade mit Staatsrechtlern im Jahre 1933 gemacht habe, lassen heute größte Vorsicht angebracht erscheinen.

Staatsminister Rucker meint, das Manuskript enthalte mehr, als tatsächlich öffentlich gesagt worden sei.

Nach weiterer Aussprache stellt Ministerpräsident Dr. Hoegner fest, daß in der Rede Dr. Dürigs in Nürnberg ein völlig unmöglicher Führungsanspruch der Soldatenverbände erhoben worden sei, ferner, daß auch aus den sonstigen Ausführungen hervorgehe, Dr. Dürig müsse erst reifer werden, um akademischer Lehrer für Staats- und Verwaltungsrecht werden zu können.

Er schlage deshalb vor, der Ministerrat möge dem Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus nahelegen, den Privatdozenten Dr. Dürig nicht zu ernennen.

Der Ministerrat beschließt diesem Vorschlag entsprechend.50

VI.Eröffnung der deutsch-französischen Universitätswoche in München51

Ministerpräsident Dr. Hoegner macht auf die Eröffnung der deutsch-französischen Universitätswoche am 14. Februar 1953, vormittags 10 Uhr, aufmerksam und bittet die Herren Kabinettsmitglieder, nach Möglichkeit daran teilzunehmen.

Die für den gleichen Zeitpunkt angesetzte Koalitionsbesprechung müsse verschoben worden.

An dem Empfang, den die Staatsregierung am 16. Februar gebe, könne er selbst nicht teilnehmen, da er am gleichen Tag auf der Ministerpräsidentenkonferenz in Düsseldorf sei.52 Er bitte Herrn Staatsminister Dr. Baumgartner, an seiner Stelle die Gäste zu empfangen.

Staatsminister Dr. Baumgartner erklärt sich dazu bereit.53

VII.Landeszentrale für Heimatdienst54

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, es werde vorgeschlagen, eine Landeszentrale für Heimatdienst mit einem Sekretariat usw. zu errichten.55 Bekanntlich verfüge das Staatsministerium des Innern über einen Betrag von 100 000 DM für staatsbürgerliche Erziehung usw. Er glaube, daß es nicht notwendig sei, eine neue Behörde zu errichten. Allerdings frage es sich, ob der Betrag von 100 000 DM nicht erhöht werden soll, nachdem z.B. Baden-Württemberg für die gleichen Zwecke 350 000 DM zur Verfügung stelle.56

Staatsminister Zietsch meint, wenn dieser Betrag erhöht werde, müsse eine neue Einrichtung geschaffen werden, sonst erhöhe sich lediglich die Zuwendung an die Organisationen, die schon jetzt berücksichtigt würden. Im übrigen frage es sich, welche Pläne die Landeszentrale eigentlich habe und was für ein Programm sie aufstellen könne. Wenn dies noch nicht geklärt sei, habe es keinen Sinn, die Zuwendungen zu erhöhen.

Staatsminister Dr. Baumgartner und Staatsminister Dr. Koch stimmen darin überein, daß die Tätigkeit der Bundeszentrale für Heimatdienst ohne großen praktischen Wert ist.57

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt abschließend, er werde sich zunächst einmal über die Arbeiten in Württemberg unterrichten, wo offenbar der Heimatdienst schon am weitesten ausgebaut sei.58

Landeszentrale für Heimatdienst

VIII.Bayerische Staatszeitung59

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, daß die Auflage der Bayerischen Staatszeitung in den letzten drei Jahren um etwa 3500 Exemplare zurückgegangen sei.60 U.a. seien von den Dienststellen der Landpolizei nahezu 4000 Exemplare abbestellt worden. Der Pflaum-Verlag bitte nun, auf die Landpolizei einzuwirken, daß diese Abbestellung rückgängig gemacht würde, er sei selbst auch der Meinung, daß die Polizeidienststellen den Staatsanzeiger haben müßten.61

Staatsministor Dr. Geislhöringer erwidert, von dieser Angelegenheit sei ihm nichts bekannt, er werde der Sache nachgehen.62

IX.Fall Schörner63

Staatsminister Dr. Koch teilt mit, das bis jetzt eingegangene Material über Schörner reiche zu einer Anklage nicht aus. Schörner werde seit vergangenen Samstag vernommen, Anhaltspunkte dafür, daß er strafrechtlich verfolgt werden könne, hätten sich noch nicht ergeben.64 Vielleicht könne man aber sagen, er habe unverantwortlich gehandelt und könne aus diesem Grund zur Rechenschaft gezogen werden.

Staatsminister Zietsch entgegnet, Schörner sei bei einem Besuch im Finanzministerium erklärt worden, eine Pension werde an ihn nicht gezahlt.65 Sein Ministerium habe jetzt dem Bundesinnenministerium mitgeteilt, daß der Fall Schörner im Wege eines Disziplinarverfahrens aufgegriffen werde. Sein minderjähriger Sohn bekomme eine Rente von 132,- DM im Monat, diese werde auch weiterlaufen.66

Zum Schluß der Sitzung bittet Ministerpräsident Dr. Hoegner die Herren Staatsminister Dr. Geislhöringer und Stain, sowie die Herren Staatssekretäre Vetter und Weishäupl zu einer Besprechung wegen der Abt. V und VI des Staatsministeriums des Innern am kommenden Dienstag um 8 Uhr 30 zu ihm zu kommen.67

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär