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Nr. 32Außerordentliche Ministerratssitzung16. Juni 1955 Beginn: 19 Uhr Ende: 23 Uhr 15
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Justizminister Dr. Koch, Kultusminister Rucker, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Herr Pfefferkorn (Bayer. Staatskanzlei), Abg. Dr. Becher, Abg. Dr. Brücher, Abg. Dr. Lacherbauer und Abg. von Knoeringen.

Tagesordnung:

I. Aktive Finanzpolitik. II. Interpellation der Koalitionsparteien über den Zustand des bayerischen Straßennetzes.

I.Aktive Finanzpolitik2

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt einleitend fest, daß sich die Finanzlage des Bayerischen Staates im Laufe der letzten Monate erheblich gebessert habe. Dabei könne er den Monatsbericht des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen für April 1955 vom 25. Mai 1955 zugrundelegen, in dem auf Seite 13 unter der Überschrift „Steueraufkommen im Monat April 1955“ mitgeteilt werde, daß das Aufkommen an Besitz- und Verkehrssteuer des Landes im April 1955 122,2 Mio DM betragen habe, d.s. 29,9 Mio DM mehr als im April 1954. An dem Mehraufkommen seien sämtliche Steuern mit Ausnahme der Vermögenssteuer beteiligt, was auf einen allgemeinen Aufschwung der gesamten Wirtschaft schließen lasse.

Wie er höre, beabsichtige der Herr Finanzminister, dieses Mehraufkommen von rund 30 Mio DM im wesentlichen zur Abtragung von Schulden des bayerischen Staates zu verwenden, während Herr Staatssekretär Dr. Panholzer wünsche, daß damit wenigstens zum Teil dringende kulturelle Aufgaben, z.B. der Wiederaufbau der Alten Pinakothek, die Sicherung der Residenz usw., erfüllt werden sollten.

Er selbst habe außerdem den Wunsch, daß bei dieser günstigen Entwicklung zusätzliche Mittel für den Straßenbau, die Gesundheitsfürsorge und das geplante Max Planck-Institut für Holzforschung bereitgestellt würden.

Er habe es für notwendig gehalten, auf diese Gesichtspunkte hinzuweisen, da es nicht mehr tragbar sei, daß von Seiten der Staatsregierung bei der Beratung des Haushalts ständig Kürzungen gegenüber 1954 vorgeschlagen würden, während andererseits die Opposition Agitationsanträge stellen könne. Auf die Dauer könne die jetzige Staatsregierung für wichtige Vorhaben nicht weniger aufwenden als die bisherige Regierung. Wenn eine Möglichkeit bestehe, Verbesserungen vorzunehmen, so müsse dies unbedingt geschehen. Wie gesagt, verweise er ausdrücklich auf den Bericht des Staatsministeriums der Finanzen, wobei er allerdings bemerken müsse, daß der Herr Finanzminister selbst die Verantwortung für den Haushalt zu tragen habe.

Staatsminister Zietsch bestreitet zunächst, daß er bereits Pläne für die Abtragung von Schulden gefaßt habe und führt dann folgendes aus:

1. Bei der Aufstellung des Haushaltsplans 1955 sei bekanntlich mit Nachdruck erklärt worden, sollte sich die Lage hinsichtlich der Einnahmen und Ausgaben günstiger entwickeln, als im Januar vorauszusehen, so könnten in einem Nachtragshaushalt die Mittel, die aus dem Mehraufkommen verblieben, denjenigen Titeln zur Verfügung gestellt werden, die am stärksten gekürzt worden seien; dabei sei in erster Linie an das Staatsministerium des Innern gedacht worden. Diese Erklärung sei festgehalten und auch in einer Koalitionsbesprechung erörtert worden. Um den Haushalt abgleichen und die Opposition an billiger Propaganda hindern zu können, habe man die Ansätze niedrig gehalten und davon abgesehen, die Fehlbeträge früherer Jahre einzuplanen. Außerdem sei ja dann noch ½ Jahr der Forsteinnahmen mitherangezogen worden, um für den Haushalt 1955 eine sichere Grundlage zu gewinnen.

Selbstverständlich sei sich das Finanzministerium darüber klar gewesen, daß eine solche Politik nicht vier Jahre fortgesetzt werden könne, zumal in der Regierungserklärung festgelegt sei, daß die Regierung bestrebt sei, Fehlbeträge früherer Jahre abzutragen. Auf alle Fälle sei die Regierung aber für den Haushalt 1956, für den ja auch zusätzliche Forsteinnahmen nicht mehr zur Verfügung stünden, gehalten, entsprechende Beträge auf der Einnahmen- oder Ausgabenseite zu finden. Das Hauptaugenmerk für 1956 müsse auf die Einnahmenseite gerichtet werden, um sagen zu können, für dieses Jahr stehe die Ausgabenseite fest. Diese Aufgabe sei jetzt schon dem Finanzministerium gestellt.

2. Die erfreuliche Entwicklung bei den Steuern sei bewußt im Monatsbericht für April 1955 festgehalten worden, da das Finanzministerium nichts verschweigen wolle. Ähnliche Feststellungen könnten bereits auch für den Monat Mai getroffen werden, eine Entwicklung, die auch den Bund und die anderen Länder überrascht habe. Allerdings werde man die steuerlichen Haupttermine – 10. Juni und 10. September – noch abwarten müssen, da sich bisher wohl eine günstige Tendenz abzeichne, aber noch keine Zahlen zur Verfügung stünden, auf die man sich festlegen könne. Er glaube, daß man erst im Oktober die notwendige Klarheit besitze, um für das zweite Halbjahr des laufenden Haushaltsjahres eine Voraussage machen zu können. Damit seien dann auch wohl Verbesserungen auf der Ausgabenseite möglich.

Er bitte, bei der heutigen Besprechung die Entwicklung der Ausgaben nicht außer acht zu lassen. Hier müsse er feststellen, daß unangenehme Veränderungen durch das am 1. April 1955 in Kraft getretene Überleitungsgesetz vorgefallen seien, was einen Ausfall von etwa 20 Mio DM bedeute, dies müsse im Nachtragshaushalt berücksichtigt werden. Dazu komme noch das Inanspruchnahmegesetz, das nicht den Ausgleich bringen werde, der eigentlich nach dem 4. Überleitungsgesetz zu erwarten gewesen sei. Die Länder wollten freilich das Inanspruchnahmegesetz bis nach dem 10. Dezember 1955 zurückgestellt haben, ein Verlangen, das wohl erfüllt werde. Alles in allem habe sich aber, besonders mit Rücksicht auf die beschleunigte Wiederaufrüstung, die Lage der Länder verschlechtert. Der Bundestag sei immer dann einig, wenn es gegen die Länder gehe.

Auch die Personallasten würden steigen, nicht sinken, zumal jetzt der Landtag Stellenmehrungen und -hebungen in Aussicht genommen habe. Er befürchte deshalb, daß die Ausgabenseite nicht so wie vorgesehen bleiben werde und dadurch die erfreuliche Entwicklung der Steuern wieder aufgewogen werde.

3. Was nun die aktive Finanzpolitik betreffe, so verstehe er darunter eine gesunde Haushaltswirtschaft. Eine richtige aktive Finanzpolitik müsse sich auf die vier Jahre der Regierungstätigkeit und gerade das letzte Jahr davon3 erstrecken. Insgesamt stünden für diesen Zeitraum etwa 8000 Mio DM zur Verfügung, mit denen man auskommen müsse. Das Finanzministerium müsse sich aber auch gewisse Reserven vorbehalten, vor allem, nachdem die Aufrüstung bestimmt mehr als die vom Bundesfinanzminister angegebenen 9 Milliarden DM erfordern werde. Er befürchte, daß der Mehrbedarf auf Kosten der Länder gesucht werde.

Die Anleihe aus dem Jahre 1952 in Höhe von 190 Mio DM müsse jetzt umgeschuldet, d.h. mit einem niedrigeren Zinsfluß auf 15 Jahre erstreckt werden. Dadurch werde es gelingen, im Zinsendienst etwa 1½ Mio DM einzusparen. Dazu komme die Anleihe von 200 Mio DM aus dem Jahre 1954. In diesem Jahr müssten etwa 160 Mio DM an Darlehen auf einige Jahre aufgenommen werden, die Verzinsung und Tilgung betrage dafür etwa 7½%, das bedeute eine neue Zinsbelastung von etwa 11 Mio DM. Auch für 1956 müsse ein ao. Haushalt aufgestellt werden. Dafür seien 100 Mio DM notwendig, die ebenfalls 7 bis 7½% kosteten. Das gleiche gelte für die Jahre 1957 und 1958. Insgesamt seien also etwa 500 Mio DM ao. Haushaltsbeträge auf dem Darlehensmarkt zu beschaffen, d.h. man müsse 35 Mio DM neu für den Zinsendienst einsetzen. Ab 1958 setze dann die Tilgung ein.

Dazu kämen noch Aufgaben, die höhere Mittel als bisher verlangten, er erinnere nur an die Lehrerbildung, wenn auch die Mittel hiefür erst ab 1957 benötigt würden. Vordringlich sei aber der Neubau der Kliniken in München, die sehr erhebliche Kosten verursachten und ein eigenes Bauprogramm erforderten; den Bedarf schätze er auf mindestens 100 Mio DM, von den übrigen Baumaßnahmen für die Universität abgesehen. Wenn die günstige Konjunktur anhalte, komme man vielleicht zurecht, ein Finanzminister dürfe aber nicht optimistisch sein.

4. Wenn im Nachtragshaushalt zusätzliche Mittel bereitgestellt würden, müsse gleichzeitig der Haushalt 1956 festgelegt sein, der sich an den Haushalt 1955 halten müsse. Dabei müsse er noch darauf hinweisen, daß zu den langfristigen Verpflichtungen zunächst einmal die schwebende Schuld der Rechnungsfehlbeträge der vergangenen zwei Regierungsperioden gehöre, die etwa 150 Mio DM ausmachten. Wenn die Tilgungsrücklage hierfür verwendet werden könne, wäre man in etwa drei Jahren damit fertig. Dabei sei aber zu beachten, daß das Instrument der Steuergutscheine4 durch die Verlängerung der Umlaufzeit seinem ursprünglichen Sinne entfremdet worden sei; dies sei allerdings möglich und zweckmäßig gewesen.

Diese Entwicklung sei jedoch ab 1956 nicht mehr fortzusetzen, im Gegenteil müsse das Volumen der Steuergutscheine verringert werden.

Auf alle Fälle müsse im o. Haushalt eine gewisse Bewegungsfreiheit beibehalten und schon vom ersten Etatjahr an eine Reserve geschaffen werden, ohne Rücksicht darauf, was die Opposition behaupte, denn es komme – wie schon gesagt – auf das Jahr 1958 an.

Abschließend bitte er, das derzeitige günstige Steueraufkommen nicht zu überschätzen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner wirft dann folgende Fragen auf:

1. Ist berücksichtigt, daß der bayerische Staat jährlich Darlehen in größerer Höhe, z.B. für den sozialen Wohnungsbau, zwischen 200–220 Mio DM, ausgibt, ohne daß die Rückflüsse wieder dem Staatshaushalt zugute kommen? Die bisherige Regelung räume nur der Landesbodenkreditanstalt Vorteile ein. Er halte dies für reformbedürftig.

2. Auch an Gemeinden werden für Verbesserung der Wasserversorgung usw. Darlehen ausgegeben, aus denen Rückflüsse stattfinden, die von Jahr zu Jahr steigen. Werden diese Beträge berücksichtigt?

3. Inwieweit ist es möglich, Grundstockvermögen des Staates zu aktivieren und mobilisieren? Auch darüber bitte er um Auskunft.

Staatssekretär Dr. Haas stellt die Frage, ob das Staatsministerium der Finanzen bereits einen Überblick über die Gesamthöhe des Mehraufkommens aus den Steuern besitze.

Auch er sei der Meinung, daß eine aktive Finanzpolitik von neuen Ideen ausgehen müsse. Könnten bei den staatlichen Beteiligungen Veräußerungen erfolgen, was sei dabei zu erwarten? Sei es möglich, das Bürgschaftssystem einzuschränken?

Auch das scheine ihm erwägenswert zu sein.

Staatsminister Zietsch erwidert, das Mehraufkommen an Steuern für die Monate April und Mai betrage zusammen rund 60 Mio DM;5 er könne aber noch nicht mit 6 multiplizieren und eine endgültige Feststellung treffen, da bis jetzt nur eine günstige Tendenz für zwei Monate6 zu beobachten sei.

Ministerpräsident Dr. Hoegner betont, daß die jetzigen Zahlen eine wirkliche Erhöhung gegenüber den Ansätzen bedeuteten und man damit der größten Sorgen ledig sei.

Staatssekretär Weishäupl führt aus, seiner Meinung nach müssten sich die Maßnahmen der Regierung schon jetzt sichtbar auswirken, man könne aber nicht die Entscheidung bis 1958 aufschieben. Außer den vom Herrn Ministerpräsidenten erwähnten dringenden Aufgaben mache er noch aufmerksam auf die Röntgenreihenuntersuchung, die mangels Mittel noch nicht im genügenden Umfange vorgenommen werden könne, jedoch von größter Bedeutung sei und eine wirkliche Gesundheitsfürsorge darstelle. Bei den bisherigen Untersuchungen habe man über 900 neue Fälle offener Tbc festgestellt, das bedeute, auf die gesamte Bevölkerung umgerechnet, 19 000 Fälle, die bisher unbekannt gewesen seien.

Ein weiterer Punkt sei die Erhöhung des Blindengeldes, einen dahingehenden Antrag der CSU könne die Koalition kaum ablehnen. Außerdem bemerke er noch, daß dringend zusätzlich Personal für die Gewerbeaufsicht benötigt werde und die Mittel für die Jugendförderung erhöht werden müssten. Schließlich erwähne er noch den Umstand, daß 12 000 Wohnungen für Evakuierte gebaut werden müssen. Alles in allem handle es sich um eine Reihe von dringlichen Aufgaben, die man mit einer starren Finanzpolitik nicht lösen könne.

Staatssekretär Simmel stimmt Herrn Staatssekretär Weishäupl zu und betont, daß Herr Staatsminister Zietsch die Unmöglichkeit, Grundstockvermögen zu verwerten, eingeräumt habe. Die Staatsregierung werde nicht danach gefragt, ob sie den Haushalt abgeglichen habe, sondern was unter ihrer Leitung geschaffen worden sei. Eine Reihe von äußerst brennenden wirtschaftlichen Problemen lägen vor, die bewältigt werden müssten, er erinnere nur an das Atomkraftwerk.7

Wenn es gelinge, dieses Werk in München zu errichten, habe man mehr geleistet als durch die Vorlage eines abgeglichenen Haushalts.

Anschließend schildert Staatsminister Stain die Auswirkungen des mehr und mehr zunehmenden Mangels an Facharbeitern. Den Schwierigkeiten könne nur durch den beschleunigten Bau von Wohnungen in der Nähe der Betriebe begegnet werden. Dabei handle es sich um eine Aufgabe, die nicht mehr hinausgeschoben werden könne.

Die Bürgschaftspolitik gebe seines Erachtens keinen Anlaß zu restriktiven Maßnahmen, sie habe sich vielmehr gut und erfolgversprechend entwickelt. Er betone nochmals die Notwendigkeit, gerade in den ersten beiden Jahren der neuen Regierung Arbeitskräfte aus den unterentwickelten Betrieben zu sammeln und ihnen an geeigneten Orten Arbeits- und Wohnmöglichkeiten zu beschaffen; anders könne ihre Abwanderung in andere Länder, z.B. nach Baden-Württemberg, nicht verhindert werden. Dagegen könne man prüfen, welche Aufgaben in den kommenden Jahren wegfallen dürften.

Staatssekretär Dr. Panholzer erinnert an die schwierige Lage zu Beginn des Jahres und bemerkt, das Finanzministerium habe in der Regierungserklärung den Auftrag bekommen, einen ausgeglichenen Etat vorzulegen. Daß die Entwicklung der Steuern so günstig sei, habe man ursprünglich nicht annehmen können. Er betone aber, daß zwar bei der Lohnsteuer die festgestellte Erhöhung bleiben werde, dagegen bei der veranlagten Einkommensteuer noch eine gewisse Unsicherheit festzustellen sei; hier werde vor Anfang Oktober eine Auswertung der Steuersenkungen noch nicht möglich sein. Es wäre gefährlich, sich schon jetzt auf den gegenwärtigen günstigen Stand einzurichten und darauf zu bauen, daß es auch in Zukunft so bleiben werde. Er bitte dringend, in allen Fällen nicht nur zu fragen, welche Mittel gebraucht würden, sondern auch wieviel zur Verfügung stehe.

Ausdrücklich erkläre er, daß zwischen ihm und dem Herrn Finanzminister noch niemals Meinungsverschiedenheiten bestanden hätten, im Gegenteil hätten sie sich stets auf einer gemeinsamen Linie gefunden. Allerdings halte er die baldige Wiederherstellung der Pinakothek und die Sicherung der Residenz für unbedingt erforderlich. Es würde auch für die jetzige Regierung einen großen Erfolg bedeuten, wenn diese Pläne bald durchgeführt würden.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt ausdrücklich fest, daß das Staatsministerium der Finanzen für 1955 die Steuereinnahmen in gleicher Höhe wie für 1954 festgesetzt habe.

Staatsminister Dr. Baumgartner dankt dem Herrn Finanzminister für den Einblick, den er heute gegeben habe. Allerdings müsse er im Hinblick auf den Gegenstand der Besprechung die Frage stellen, ob denn kein Weg möglich sei, die Regierungspolitik aktiver zu gestalten.

Auch er halte die Auffassung, die Regierung solle die Ausgaben allmählich bis 1958 steigern, nicht für richtig, nachdem sich die öffentliche Meinung schon in den nächsten Monaten bilden werde. Wenn von einem Mehreingang an Steuern von 30 Mio DM ausgegangen werden könne, müsse seiner Auffassung nach mindestens ein erheblicher Teilbetrag sofort verwendet werden, wobei es auf die Höhe nicht einmal so sehr ankomme. Herr Staatsminister a.D. Dr. Schlögl habe nicht ganz Unrecht gehabt, wenn er in Ingolstadt behauptet habe, es geschehe jetzt nicht genug für die Landwirtschaft und man habe gerade hier Streichungen und Kürzungen bei den Förderungsmaßnahmen vorgenommen. Sei es denn nicht möglich, die kurzfristigen Schulden durch eine langfristige Staatsanleihe umzuschulden, wenn man die Hilfe aller bayerischen Kreditinstitute in Anspruch nehme? Wie stark sei überhaupt die Verschuldung?

Was könne auf Grund der vorhandenen Aktiva geschehen? Jedenfalls warne er davor, die Dinge allzu fiskalisch zu betrachten.

Staatsminister Zietsch erwidert, auf dem Kapitalmarkt sei jede Menge von Geld zu erhalten, aber nur als kurzfristiges Darlehen. Bei einer Laufzeit von 10 Jahren müsse man entweder 7½% Zins und Tilgung bezahlen oder überhaupt darauf verzichten.

Der Bayerische Staat habe an Zins- und Tilgungsverpflichtungen jährlich etwa 250 Mio DM zu leisten, in diesem Betrag sei aber die kurzfristige Verschuldung nicht enthalten. 1959 und 1960 werde eine Erleichterung um etwa 20 Mio DM eintreten.

Jede neuaufgenommene Schuld werde also diesen Betrag entsprechend erhöhen; die Grenze der Verschuldung liege aber dort, wo die Grenze der Zins- und Tilgungsmöglichkeit liege. Bekanntlich müssten die Zinsen aus dem o. Haushalt bezahlt werden, der Tilgungszeitraum könne dagegen verlängert werden.

Was nun die Mobilisierung des Vermögens betreffe, so handle es sich hier um Pfänder, auf die man die Schulden aufnehmen könne. Natürlich sei es noch möglich, dieses Vermögen weiter zu belasten, das bedeute aber eine weitere Erhöhung der Zinsverpflichtungen, die – wie gesagt – nur bis zu einem bestimmten Punkt möglich sei.

Leider müsse er noch die Planung vermissen, auf der das Finanzministerium aufbauen und seine Überlegungen anstellen könne. Diese Frage müsse er also an das Kabinett zarückgeben, da ihre Lösung nicht Sache des Finanzministeriums sei. Das Ministerium müsse für die Jahre 1956–1958 wissen, welche Vorbereitungen zu treffen seien. Herr Minister Stain habe für seinen Bereich schon davon gesprochen, es müsse aber eine allgemeine Übersicht vorliegen. Heute sei auch die Seite der Investierungen zu beraten, das bedeute z.B. auch die Fragen der Lehrerbildung, des Neubaus für die Universität, des Straßenbaues usw.

Was die Lehrerbildung anlage, werde in den nächsten Tagen im Landtag die Frage gestellt werden, welche Mittel dafür erforderlich seien. Die Antwort werde lauten, man benötige dafür nicht 120, sondern nach den letzten Schätzungen etwa 50 Mio DM,8 verteilt auf etwa zehn Jahre. Wenn ein Gesetz verabschiedet sei und feststehe, in welcher Form gewisse Pläne durchzuführen seien, müsse sich eben das Finanzministerium überlegen, wie es die Kosten aufbringe. Bei der Lehrerbildung werde das gemeinsam mit dem Staatsministerium für Unterricht und Kultus geschehen, ähnlich wie es auch beim Berufsschulgesetz gemacht worden sei.

An Herrn Staatsminister Bezold dürfe er noch folgende Frage richten:

Die erfreuliche Entwicklung der Steuern beruhe auf der jetzt nahezu erreichten Vollbeschäftigung. Könne nun heute schon gesagt werden, ob diese günstige Konjunktur bis 1958 anhalte? Er glaube nämlich, daß jedes Jahr eine gewisse Krisenreserve vorhanden sein müsse, die dann allerdings 1958 eingesetzt werden könne.

Abschließend stelle er fest, daß zu den 250 Mio DM des jährlichen Zins- und Tilgungsdienstes noch die 135 Mio DM betragenden Fehlbeträge früherer Zeiten kämen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schlägt vor, heute vor allem folgende beiden Punkte zu besprechen:

a) Inwiefern können beim laufenden Haushalt Kürzungen vermieden werden, die politisch nicht tragbar seien, und auch von den Landtagsmitgliedern der Koalition bei den Ausschußberatungen nicht aufrecht erhalten werden könnten?9 Die Aufwendungen, die in dieser Hinsicht notwendig seien, halte er für verhältnismäßig gering; so brauche z.B. das Staatsministerium des Innern etwa 10 Mio DM für den Straßenbau.

Staatsminister Zietsch erwidert, das Finanzministerium werde diesen Betrag zur Verfügung stellen, wenn es unvermeidlich sei.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, um diese Kürzungen zu vermeiden, müsse sich das Kabinett von vornherein darüber klar werden, was es selbst tun könne.

b) Eine ganz andere Frage sei die nach einer aktiven Finanzpolitik, d.h., welche großen Aufgaben und Pläne seien in den nächsten vier Jahren zu erfüllen? Hier stimme er dem Herrn Finanzminister zu, wenn er erkläre, es sei Sache der einzelnen Ressorts, Vorschläge zu machen. Damit im Zusammenhang stehe die Überlegung, in welcher Form das Vermögen des Staates verwertet werden könne.

Abg. Dr. Brücher beklagt, daß der Kultushaushalt dem Landtag in genau derselben Form wie in den vergangenen Jahren, nur um 10% gekürzt, vorgelegt worden sei. Ihrer Meinung nach hätte man prüfen müssen, was zu ändern sei. Insbesondere sei die Kürzung der für die Erwachsenenbildung, der Begabtenförderung usw. vorgesehenen Beträge zu bedauern. Sie empfehle, den Kultusetat genau durchzusehen, um die Gewichte richtig zu verteilen. Außerdem müsse sie bemerken, die Stellungnahme des Herrn Finanzministers vom 28. Januar 1955, in der es heiße, daß die Lehrerbildung im Hinblick auf die Kosten nicht durchgeführt werden könne, sei nicht aufrecht zu erhalten.

Staatsminister Zietsch wirft ein, die Stellungnahme baue auf einer vom Staatsministerium für Unterricht und Kultus im vergangenen Jahr ausgearbeiteten Denkschrift auf.

Abg. Dr. Brücher fährt fort, was die Finanzpolitik für die Zukunft anlange, so wolle sie darauf hinweisen, daß das höhere Schulwesen in Bayern in den vergangenen zehn Jahren vernachlässigt worden sei und hier unbedingt Abhilfe geschaffen werden müsse.

Staatsminister Zietsch stellt fest, daß nicht das Finanzministerium die Kürzungen im Kultusetat vorgeschlagen habe, sondern das Kultusministerium selbst.

Staatssekretär Dr. Meinzolt führt aus, es sei höchst bedauerlich, daß das Kultusministerium bisher aus dem Stadium der Kulturverwaltung noch nie herausgekommen sei. Kulturpolitik müsse aber schöpferisch sein. Dafür werde aber das Kultusministerium eine Reihe von Vorschlägen bringen können, wenn es dazu die Möglichkeit habe.

Staatsminister Bezold erklärt, die Staatsregierung habe ein gewichtiges Argument in der Hand, wenn sie der Opposition gegenüber auf die Einsparungen verweise. Dies müsse nur entsprechend begründet werden, z.B. dadurch, daß man aufzeige, welche Schuldenlast die letzte Regierung aufgehäuft habe.

Für die große Menge der Steuerzahler sei es immerhin wichtig, darüber etwas zu erfahren.

Mit wichtigen Plänen könne man auch s. E. nicht bis 1958 warten. Was die Frage des Herrn Finanzministers betreffe, so könne er nur sagen, für einen Pessimismus sei keinerlei Anlaß. Die Menschheit sei zwar nie vor Katastrophen sicher, wenn aber die jetzige Wirtschaftspolitik fortgehe, sei irgendeine Gefahr, daß in absehbarer Zeit die steigende Tendenz absinke, nicht gegeben. ln den letzten Monaten sei wieder eine starke Aufwärtsentwicklung (Beschäftigung, Exportaufträge usw.) festzustellen. Auch die Aufrüstung werde eine Belebung für Bayern bringen. Außerdem stehe man hier einer Lage gegenüber, welche die Grundstoffe unserer Industrie (Kohle, Erdöl usw.) außerordentlich günstig betrachten lasse. Von großer Bedeutung sei, ob es gelingen werde, die Atomforschung hier in Bayern einzurichten, zumal hier die Bodenschätze vorhanden seien, die man dafür brauche. Er glaube, daß die Schwierigkeiten hinsichtlich der Facharbeiter, besonders deren Unterbringung, gelöst werden könnten.

Alles in allem glaube er mit Nachdruck feststellen zu können, daß kein Grund bestehe, bei der Betrachtung der Zukunft pessimistischer als in anderen Gebieten der Bundesrepublik zu sein. Auch Bayern sei in der Lage, die Dinge zu gestalten. Wie dies zu geschehen habe, müsse allerdings heute Abend erörtert werden.

Jedenfalls stimme er dem Herrn Ministerpräsidenten zu, wenn dieser sage, es sei unsinnig, Etatpositionen zu verteidigen, von denen man wisse, daß sie durch Anträge der Opposition mit Hilfe anderer Abgeordneter doch erhöht würden. In diesem Falle sei es schon besser, das, was zu geschehen habe, selbst zu machen.

Staatssekretär Dr. Haas meint, zweifellos seien bestimmte Positionen im Kultusetat unterbewertet, z.B. die Erwachsenenbildung, so daß insoweit keine Kulturpolitik gemacht werden könne. Die Ansätze seien gar nicht haltbar und hätten von vorneherein höher bewertet werden sollen.

Der Herr Finanzminister habe Jahr für Jahr in seiner Etatrede erklärt, übrigens auch in diesem Jahr, daß das Äußerste geschafft worden sei. Er könne also heute eigentlich nicht erklären, die Ressorts sollten Wünsche äußern, er werde dann die notwendigen Mittel beschaffen. Für das Haushaltsjahr 1955/56 sei doch mit äußerster Mühe ein ausgeglichener Etat vorgelegt worden, noch dazu mit Hilfe von drei Kunstgriffen, nämlich die Hinausschiebung der früheren Fehlbeträge, der Einbeziehung eines weiteren halben Jahres aus den Forsteinnahmen und der Verlängerung der Umlaufzeit der Steuergutscheine. Insgesamt handle es sich dabei um 180 Mio DM, die im nächsten Jahr aufgebracht werden müssten. Eigentlich habe er gedacht, der Herr Finanzminister werde heute Vorschläge oder Berechnungen vorlegen, z.B. über die staatlichen Beteiligungen, Staatsbürgschaften usw. 180 Mio DM bedeuteten ja immerhin 6,5% des gesamten Haushaltsvolumens.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schlägt dann vor, auf Grund der Steuereinnahmen aus den Monaten April und Mai die Einnahmen um 15 Mio DM zu erhöhen, um damit die schlimmsten Kürzungen zu beseitigen, bevor die Opposition im einzelnen Anträge stelle. Außerdem empfehle er, einen Ausschuß aus den Kabinettsmitgliedern zu bilden, um die wichtigsten Punkte festzustellen; nachdem er unbeteiligt sei, stelle er sich gerne als Schiedsrichter zur Verfügung.

Der Ministerrat erklärt sich einstimmig mit diesen Vorschlägen einverstanden.

Staatsminister Zietsch führt aus, Herr Staatssekretär Dr. Haas habe ihn mißverstanden, wenn er annehme, das Finanzministerium habe eine völlige Schwenkung vorgenommen. Er habe vielmehr zunächst eine eingehende Planung für die kommenden drei Jahre gefordert; erst wenn diese vorliege, könne das Finanzministerium feststellen, was geschehen könne.

Abg. von Knoeringen dankt für die Einladung an die Vorsitzenden der Fraktionen, an der heutigen Sitzung teilzunehmen. Er habe das Gefühl, daß bis jetzt schon viel geleistet worden sei, ohne daß es allerdings gelungen sei, dies der Bevölkerung zum Bewußtsein zu bringen.

Die bisherige Beratung zeige, daß kein Anlaß zum Pessimismus bestehe, das bisher Geleistete müsse aber der Öffentlichkeit in entsprechender Form dargelegt werden. Dies sei vielleicht eine Aufgabe der Landeszentrale für Heimatdienst.10

Wenn tatsächlich über 100 Mio DM für den Straßenbau ausgegeben würden, so könne dies jedermann zum Bewußtsein gebracht werden; sinnfällige Dinge müssten nun einmal in den Vordergrund gestellt werden, um die Behauptung zu widerlegen, daß die Regierung bisher nur verwaltet aber nicht regiert habe.

Er empfehle, ein Sonderprogramm aufzustellen und vom Finanzministerium annehmen zu lassen, das dann mit der nötigen Wirkung bekanntgegeben werden könne. Er denke dabei z.B. an den großen Erfolg, den die endgültige Auflösung der Flüchtlingslager bedeuten könne. Auch die Frage des Atommeilers, die heute schon berührt worden sei, halte er für außerordentlich wichtig.

Vielleicht könne der Herr Ministerpräsident aus den Mitgliedern seines Kabinetts einen kleinen Aktionsausschuß zusammenstellen, der die Vorschläge der Ressorts prüfen und gewisse Prioritäten aufstellen könne. Wenn es gelinge, zehn bedeutsame Punkte festzulegen, werde der Opposition der Wind aus den Segeln genommen. Er bitte den Herrn Ministerpräsidenten dringend, sich der Aufgaben bewußt zu sein, die auf ihn zukämen. Freilich sei er überall höchst wirksam tätig, er werde aber dafür verantwortlich gemacht werden, daß das Programm dieser Regierung eine Gestalt bekomme, die allgemein anerkannt werde. Hierfür müßten schließlich auch einige Millionen zur Verfügung gestellt werden. Er halte zusätzliche und richtungweisende Maßnahmen für erforderlich. Abschließend bitte er nochmals, möglichst rasch einen solchen kleinen Ausschuß einzuberufen.

Abg. Dr. Lacherbauer schildert die Schwierigkeiten, die daraus entstünden, daß die Opposition Anträge stelle, denen man eigentlich nicht entgegentreten könne. Zunächst habe selbstverständlich die Parole ausgegeben werden müssen, daß an den Ansätzen nichts geändert werden dürfe. Es sei aber außerordentlich schwierig, dies durchzuhalten.

Die Mitteilung über die erhöhten Steuereingänge im April und Mai sei überaus erfreulich. Nachdem der Haushaltsausschuß bisher nur den Haushalt des Kultusministeriums beraten habe, schlage er vor, das Kabinett möge möglichst bald für jeden einzelnen Haushalt einen Nachtrag bringen, durch welchen zurückgebliebene Positionen aufgebessert werden könnten.

Er bitte dringend, nicht bis zum Oktober zuzuwarten, sondern schon jetzt die doch unvermeidlichen Ergänzungen vorzunehmen. Selbstverständlich könne dem Finanzministerium nicht mehr zugemutet werden, als was zu verantworten sei. Er wiederhole aber, daß in einer Reihe von Punkten die Abgeordneten der Koalitionsparteien nicht mehr gehindert werden könnten, auch ihrerseits Anträge zu stellen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt in diesem Zusammenhang mit, daß Presseangriffe gegen die Regierung vorbereitet würden; er bitte deshalb, spätestens innerhalb der nächsten 14 Tage in jedem Ministerium einen Bericht über die bisherigen Leistungen ausarbeiten zu lassen.

Staatssekretär Dr. Panholzer erinnert daran, daß der Herr Finanzminister schon in seiner Haushaltsrede erklärt habe, einen Nachtragshaushalt vorlegen zu können, wenn sich das Steueraufkommen verbessere.11 Er halte es für richtig, durch eine umfassende Vorlage eines Nachtragshaushalts im Herbst die Initiative zu ergreifen, als jetzt schon der Opposition nachzugeben. Vorzeitige Ergänzungen seien schwieriger und gefährlich, zumal schon einige Haushalte beraten worden seien, bei denen man die strengen Maßstäbe des Januar angewendet habe. Er empfehle, dem Beispiel des Bundestags zu folgen, der rücksichtslos alle Anträge der Opposition in dieser Hinsicht ablehne.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths hält es für richtig, die Finanzpolitik der Sparsamkeit mit derjenigen der Verschuldung in angemessener Weise zu verbinden. An dem ausgeglichenen Haushalt müsse festgehalten werden, bei den Haushaltsberatungen könne aber der Ausweg über den Ergänzungshaushalt gefunden werden. Wenn es sich tatsächlich zeige, daß nicht so rücksichtslos gespart werden müsse, wie ursprünglich angenommen, werde sich die Opposition erheblich schwerer tun als bisher.

Von größer Bedeutung sei aber auch die Frage der Reservepolitik. Das Finanzministerium habe sicher die Möglichkeit, zusätzliche Mittel aus Aktivierungen sich vorzubehalten.

Was die gesamte Planung betreffe, so mache er darauf aufmerksam, daß die Landesentwicklung vor einem entscheidenden Umbruch stehe. Der Bund habe ein sogenanntes Atomgesetz12 fertig und trage sich mit der Absicht, auf die Bodenschätze in den Ländern zurückzugreifen. Bayern sei seit kurzem in der glücklichen Lage, äußerst wertvolle Bodenschätze zu besitzen, die vor allem für die Atomforschung höchst wichtig seien.

Er halte den Zeitpunkt für gekommen, jetzt völlig außerhalb aller Etatüberlegungen ein großes Entwicklungsprogramm aufzustellen. Seiner Meinung nach müsse man zweigleisig verfahren, d.H. sowohl haushaltsmäßig, als auch in der Richtung auf die zusätzliche Finanzierung wichtigster Aufgaben.

Staatsminister Dr. Geislhöringer spricht sich mit Nachdruck dafür aus, die Sparsamkeit nicht zu übertreiben, insbesondere dürfen auf dem Gebiet des Gesundheitswesens keine Kürzungen vorgenommen werden. Auch die Einsparungen beim Straßenbau seien zu hoch. Die gesamten Mittel in diesem Haushalt betragen nur mehr 68,2 Mio DM gegenüber 120 Mio DM im Jahre 1954. Die vorhandenen Mittel seien im September verbraucht, es müssten dann unbedingt zusätzliche Gelder bereitgestellt werden. Auch er sei im übrigen der Meinung, daß die Verbesserungen jetzt schon vorgenommen werden müssten und damit nicht bis zum Herbst gewartet werden könne.

Staatssekretär Eilles schlägt vor, noch heute den angeregten Ausschuß für die aktive Finanzpolitik einzusetzen und bittet den Herrn Ministerpräsidenten, den Vorsitz zu übernehmen.

Die Aufgabe dieses Ausschusses stelle er sich etwa folgendermaßen vor:

1. Es ist zu prüfen, welche Kürzungen sofort außer Kraft gesetzt werden können.

2. Wo dies nicht sofort möglich ist, müsse überlegt werden, ob es besser sei, die Haushalte von sich aus zu erweitern oder Anträge der Koalitionsparteien abzuwarten.

Der Ausschuß müsse aber schnellstens wissen, wieviel von den zusätzlich eingegangenen Steuern das Finanzministerium zur Verfügung stellen könne. Ob und wie ein Betrag von 15 Mio DM verteilt werden könne, habe der Ausschuß zu entscheiden.

3. Der Ausschuß arbeitet ein großes Wirtschaftsprogramm unverzüglich aus, das mit den einzelnen Ministerien durchbesprochen wird.

Staatsminister Rucker bemerkt, der Haushalt des Kultusministeriums werde morgen wieder im Haushaltsausschuß behandelt. Bekanntlich sei er ganz schematisch um 10% gekürzt worden, es sei deshalb notwendig, von der Regierung aus die Initiative zu ergreifen. Nachdem schon eine Reihe von Anträgen vorlägen, müsse er die Frage stellen, was morgen geschehen könne.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, er werde noch einen entsprechenden Vorschlag bringen.

Staatsminister Stain weist darauf hin, daß die Frostschäden im wesentlichen bereinigt seien. Diese erfreuliche Tatsache müsse vom Innenministerium entsprechend bekanntgemacht werden.

Die Schwierigkeiten der Abgeordneten der Koalitionsparteien, die Herr Abg. Dr. Lacherbauer aufgezeigt habe, könnten sofort beseitigt werden, wenn jedem Abgeordneten bekannt sei, daß Verbesserungen vorgenommen würden; damit könne dann jeder Antrag der CSU abgelehnt werden. Er halte es aber für notwendig, die heute besprochenen Pläne in den Fraktionen entsprechend zu erläutern. Die Abgeordneten müssten sich aber dann auch an die aufgestellten Prioritäten halten und lokale Gesichtspunkte zurückstellen.

Übrigens heiße es schon in den Koalitionsvereinbarungen, daß zwischen den Staatsministerien der Finanzen, für Wirtschaft und Verkehr, für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten und für Arbeit und soziale Fürsorge Übereinstimmung bestehen müsse. Schon auf der Regierungsebene müssten demnach die wirtschaftspolitischen Fragen geklärt werden, was auch im Sinne der gesunden Landesentwicklung liege.

Schließlich habe auch er noch an den Herrn Finanzminister die Bitte, den Nachtragshaushalt nicht erst im Herbst zu bringen, besonders bei den Ministerien, die durch das Finanzanpassungsgesetz getroffen seien.

Staatssekretär Simmel spricht dann über wirtschaftspolitische Fragen und unterstreicht die Notwendigkeit, dem Bergwerk Stockheim zu helfen, dem die Stillegung drohe. Für dieses Bergwerk seien an sich Beträge im Haushalt vorgesehen, es müsse aber sofort ein Vorgriffsantrag in Höhe von 67 500 DM gestellt werden.13

Abg. Dr. Lacherbauer meint, an sich wäre es natürlich angenehm, wenn die Koalitionsabgeordneten Anträge auf Verbesserungen stellen könnten. Er halte es aber für zweckmäßiger, wenn die Regierung ihrerseits Ergänzungen vorschlage mit der Begründung, auf der Einnahmenseite hätten sich Mehrungen ergeben, die Erhöhungen zuließen, ohne daß der Grundsatz, an einem abgeglichenen Haushalt festzuhalten, erschüttert werde. Gewisse Schwierigkeiten bereite allerdings der Kultusetat, der schon zum guten Teil behandelt worden sei.

Staatssekretär Vetter nennt daraufhin drei Punkte, bei denen aktive Finanzpolitik getrieben werden könne und zwar

1. den sozialen Wohnungsbau,

2. den Straßenbau,

3. die Gesundheitsfürsorge.

Hier handle es sich zweifellos um drei Punkte, deren Verwirklichung von der ganzen Bevölkerung mit größter Zustimmung aufgenommen werde. Für die Durchführung ein Sonderprogramm aufzustellen, werde keine große Schwierigkeit bereiten.

Für den Straßenbau benötige das Staatsministerium des Innern vom Finanzministerium 10 Mio DM aus dem Verkehrsfinanzgesetz,14 ein Vorgriff müsse aber gestattet werden.

Die Oberste Baubehörde müsse in der Lage sein, jetzt schon Verträge abzuschließen, um im Oktober die Straßendecken zu legen. Wenn im o. oder ao. Haushalt zusätzlich 30 Mio DM eingesetzt würden und zwar nur, um planen zu können, sei viel geschehen. Heuer brauche das Innenministerium davon nur 5 Mio DM, das andere könnte auf das nächste Jahr verschoben werden. Die Oberste Baubehörde werde aber dadurch in die Lage versetzt, die Pläne für das ganze Jahr 1956 vorzulegen.

Staatsminister Dr. Koch bedauert das Fehlen eines klaren Programms, das gebraucht werde, um der Opposition entsprechend entgegentreten zu können. Die CSU werde sich das Vergnügen, Anträge zu stellen, nicht nehmen lassen. Er halte es deshalb für sehr wichtig, den Gedanken, den Herr Abg. von Knoeringen ausgesprochen habe, weiter zu verfolgen, zumal jetzt mehr Mittel als erwartet zur Verfügung stünden. Allerdings sei es besonders wichtig, zusätzliche Mittel zu erschließen, soweit sehe er noch keine Aussicht.

Ministerpräsident Dr. Hoegner macht daraufhin folgende Vorschläge:

1. Die heutige Sitzung ist streng geheim, die Abdrucke des Protokolls sind zu numerieren und den Mitgliedern des Kabinetts persönlich auszuhändigen.

2. Wieviel kann das Staatsministerium der Finanzen für die Ergänzungen zur Verfügung stellen, die erforderlich sind, um die gegenüber früheren Jahren gekürzten Ansätze aufzubessern? Nach den Angaben des Finanzministeriums beliefen sich die Mehreinnahmen gegenüber den Haushaltsansätzen im April und Mai auf insgesamt 60 Mio DM, mit 6 multipliziert also auf 360 Mio DM. Er nehme an, daß mit einem Mehraufkommen von 100 Mio DM sicher gerechnet werden könne.

Wieviel könne also zur Ergänzung der noch nicht verabschiedeten Haushalte praktisch bereitgestellt werden?

Bisher sei die Rede von etwa 15 Mio DM gewesen.

Staatsminister Zietsch erwidert, nicht widersprechen zu wollen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, er setze dabei voraus, daß dadurch ein Nachtragshaushalt nicht ausgeschlossen werde.

Staatsminister Dr. Baumgartner meint, für die Ergänzungen könne man vielleicht doch 20 statt 15 Mio DM annehmen. Allerdings liege die Verantwortung bei Herrn Staatsminister Zietsch.

Staatsminister Zietsch erklärt, sich überstimmen zu lassen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt fest, daß der Herr Finanzminister die Verantwortung zu tragen habe und richtet an ihn die ausdrückliche Frage, ob er selbst bereit sei, bis zur Höhe von 15 Mio DM Mittel für die notwendigsten Ergänzungen zur Verfügung zu stellen.

Staatsminister Zietsch erkundigt sich, ob die Mittel für den Straßenbau miteinbezogen seien.

Ministerpräsident Dr. Hoegner verneint diese Frage.

Staatsminister Zietsch erklärt daraufhin, das Mehraufkommen aus der Kraftfahrzeugsteuer werde dem Straßenbau zugute kommen, während 15 Mio DM nur aus dem erhöhten Steueraufkommen genommen würden.

Der Ministerrat faßt daraufhin auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten folgenden Beschluß:

Zur Ergänzung des Staatshaushalts werden zunächst Mittel bis zur Höhe von 15 Mio DM zur Verfügung gestellt.

Ministerpräsident Dr. Hoegner bezeichnet es dann als die Aufgabe des Kabinetts, unter Zuziehung der Fraktionen diese 15 Mio DM zu verteilen.

In der morgigen Sitzung des Haushaltsausschusses könne dann erklärt werden, die Anträge sollten bis zum Schluß der Beratungen des Staatshaushalts zurückgestellt werden, weil das Finanzministerium in der Lage zu sein glaube, im Hinblick auf die günstige Entwicklung der Finanzlage zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen zu können.

Abg. Dr. Becher stellt die Frage, ob in der Begründung gesagt werden könne, daß sich die Koalitionsparteien in dieser Weise verabredet hätten.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erwidert, dies sei nicht möglich, da es Sache der Staatsregierung sei, diese Ergänzungen vorzunehmen. Als Ministerpräsident habe er das Recht und die Pflicht, die verfassungsmäßige Zuständigkeit der Staatsregierung wahren.

Auf Frage von Staatssekretär Dr. Meinzolt antwortet Ministerpräsident Dr. Hoegner, auch ein Antrag auf Erhöhung der Zuschüsse für die nichtstaatliehen höheren Schulen könne in der erwähnten Begründung zurückgestellt werden.

Am besten sei es wohl, wem der Herr Finanzminister im Haushaltsausschuß erscheine und im Namen der Staatsregierung eine entsprechende Erklärung abgebe. Er schlage vor, dabei aber keine Summe zu bezeichnen, sondern nur mitzuteilen, daß die Ergänzungsvorlage demnächst abgegeben werde.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.

Staatsminister Zietsch fügt hinzu, er werde die Erklärung noch entsprechend formulieren.

Ministerpräsident Dr. Hoegner kommt dann auf die Landesentwicklung zu sprechen und greift dabei folgende drei Gebiete heraus:15

1. Wiederaufbau der Universitätskliniken, der Alten Pinakothek, des Nationaltheaters und der Residenz sowie den Neubau des Instituts für Atomforschung.

2. Ausbeutung der Bodenschätze, Ausbau der Energiewirtschaft, Errichtung eines Atom-Meilers.

3. Straßenbau und Autobahnen.

In diesem Zusammenhang verweist Staatsminister Zietsch auf das seiner Haushaltsrede angehängte Schema, in dem schon ein gewisses Programm enthalten sei, das für 1956 noch genauer aufgestellt werde.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, für die Landesentwicklung habe man zwar einzelne Vorschläge, aber keine eingehenden Äußerungen der Ministerien. Er bitte deshalb, daß jedes Ressort, besonders das Wirtschaftsministerium, einen genauen Plan für die nächsten 3½ Jahre aufstelle. Wenn die Pläne der Staatskanzlei zugegangen seien, werde er sie dann im Ministerrat zur Sprache bringen.

Die Aufteilung der 15 Mio DM müsse innerhalb der nächsten 8–10 Tage vorgenommen worden sein, die Festlegung der Prioritäten habe durch den Ministerrat zu erfolgen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt abschließend fest, daß zunächst also Ergänzungen der einzelnen Positionen, soweit notwendig, auf die Höhe des Vorjahres vorgenommen werden sollen.

Das Positive an der heutigen Entscheidung sei, daß die Staatsregierung unerwartet zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen könne, während die Opposition bisher nur Anträge gestellt habe, ohne gleichzeitig Vorschläge über die Deckung machen zu können.

Staatsminister Bezold bezweifelt, ob die heute gefaßten Beschlüsse richtig seien und meint, es wäre besser gewesen, die Anträge der Opposition einfach abzulehnen.16

Rechnungsjahr 1955

II.Interpellation der Koalitionsparteien über den Zustand des bayerischen Straßennetzes17

Staatsminister Dr. Geislhöringer gibt Einzelheiten aus der Antwort auf die vorliegende Interpellation bekannt und betont, daß die Frostschäden in Höhe von etwa 14½ Mio DM bis jetzt fast völlig beseitigt worden seien.

Nach kurzer Aussprache wird beschlossen, die Besprechung dieses Punktes auf eine Woche zu vertagen.18

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär