PDF
Nr. 37MinisterratssitzungDienstag, 5. Juli 1955 Beginn: 8 Uhr Ende: 10 Uhr 45
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hoegner, Stv. Ministerpräsident und Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Innenminister Dr. Geislhöringer, Kultusminister Rucker, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Bezold, Arbeitsminister Stain, Staatssekretär Dr. Haas (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Vetter (Innenministerium), Staatssekretär Eilles (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Meinzolt (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Panholzer (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr), Staatssekretär Simmel (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Weishäupl (Arbeitsministerium), Ministerialrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei), Dr. Baumgärtner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Justizminister Dr. Koch.

Tagesordnung:

I. Bundesratsangelegenheiten. II. Verbesserung der Richterbesoldung. III. Finanzverfassung. IV. Personalangelegenheiten. V. Verkehrsstille am 18. Juli 1955. VI. Naturschutzgebiet bei Pöcking. VII. Maßnahmen für die Grenzlandgebiete. VIII. Antrag des Präsidenten des Bayer. Roten Kreuzes auf Erhöhung des Staatszuschusses auf 300 000 DM. IX. Verlegung des Sammellagers für Ausländer in Nürnberg (Valka-Lager). X. Neuherausgabe der Werke des Dichters Fritz von Unruh. XI. Umgliederung der Fuchstalgemeinden aus dem Landkreis Kaufbeuren in den Landkreis Landsberg am Lech. XII. Besichtigung des Naturschutzgebietes am oberen Lech bei Schongau. XIII. Errichtung eines Atom-Reaktors. XIV. Förderung von Ausstellungen in Österreich. XV. Beschwerde des Abg. Dr. WüllnerBHE. XVI. Veranstaltungen usw..

I.Bundesratsangelegenheiten

1.Entwurf eines Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung1

Ministerialrat Dr. Gerner führt aus, die Vorschläge des Vermittlungsausschusses berücksichtigen die Anträge des Bundesrats unter Ziff. III der BR-Drucks. Nr. 167/55 nur zum Teil.2 Trotzdem empfehle der Koordinierungsausschuß, nunmehr dem Gesetzesbeschluß gemäß Art. 78 GG zuzustimmen, falls der Bundestag die Vorschläge des Vermittlungsausschusses übernehme.3 Möglicherweise werde von den Nachfolgeländern Preußens beantragt werden, dem Gesetzentwurf die Zustimmung zu versagen; in diesem Falle könne sich Bayern wohl der Stimme enthalten.

Der Ministerrat beschließt, grundsätzlich gemäß Art. 78 GG zuzustimmen. Wenn ein Antrag gestellt wird, die Zustimmung zu versagen, wird sich Bayern der Stimme enthalten.4

2.Entwurf eines Bannmeilengesetzes5

Ein Antrag gemäß Art. 77 GG wird nicht gestellt.

3.Entwurf eines Gesetzes über Änderungen von Vorschriften des Zweiten Buches der Reichsversicherungsordnung und zur Ergänzung des Sozialgerichtsgesetzes (Gesetz über Kassenarztrecht – GKAR)6

Ministerialrat Dr. Gerner weist darauf hin, daß von den Wünschen des Bundesrats im Vermittlungsausschuß nur ein Teil berücksichtigt worden sei.7

Staatssekretär Weishäupl erklärt, es habe wohl wenig Sinn, die Zustimmung zu versagen, auch wenn nicht allen Wünschen des Bundesrats Rechnung getragen worden sei.

Der Ministerrat beschließt, gemäß Art. 78 GG zuzustimmen.8

4.Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes (4. ÄndG LAG)9

Ministerialrat Dr. Gerner erinnert daran, daß der Ministerrat am 21. Juni 1955 beschlossen habe, dem Getzentwurf in der Fassung des Beschlusses des Bundestags vom 8. Juni 1955 gemäß Art. 78 GG zuzustimmen. Wahrscheinlich werde aber Nordrhein-Westfalen einen Initiativantrag im Sinne des letzten Absatzes auf Seite 2) der Sitzungsniederschrift über die Koordinierungsbesprechung vom 20. Juni 1955 einbringen, falls sich in der Bundesratssitzung vom 8. Juli 1955 keine Mehrheit für die Zustimmung ergeben sollte.10 Das Finanzministerium empfehle, diesen Initiativantrag des Landes Nordrhein-Westfalen zu unterstützen.

Der Ministerrat beschließt, zunächst am Beschluß vom 21. Juni 1955 festzuhalten, gegebenenfalls aber den Initiativantrag Nordrhein-Westfalens zu unterstützen.11

6.Entwurf eines Gesetzes über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 195514

Es wird beschlossen, den Vermittlungsausschuß gemäß Art. 77 Abs. 2 GG mit dem Ziel anzurufen, in § 1 des Gesetzes die Worte „40 vom Hundert“ durch die Worte „ein Drittel“ zu ersetzen.15

7.Entwurf eines Sechsten Gesetzes über die Übernahme von Sicherheitsleistungen und Gewährleistungen im Ausfuhrgeschäft16

Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG werden nicht erhoben.17

und

11.Zustimmung des Bundesrates zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem Teilgrundstück der ehem. Lehrlingsausbildungswerkstätten der ehem. Kriegsmarinewerft Wilhelmshaven in Westerstede21

Zustimmung gemäß § 47 RHO in Verbindung mit § 57 der RWB und den §§ 3 und 5 der Anlage 3 zu den Reichswirtschaftsbestimmungen.

12.Veräußerung der Aktien der Howaldtswerke Hamburg AG22

Zustimmung gemäß § 47 Abs. 3 RHO.

13.Entwurf eines Gesetzes über die Beschränkung von Grundeigentum für die militärische Verteidigung (Schutzbereichsgesetz)23

Ministerialrat Dr. Gerner erläutert die in der BR-Drucks. Nr. 200/1/35 zusammengefaßten Empfehlungen der beteiligten Ausschüsse, die auf eine eingehende Stellungnahme des Rechtsausschusses zurückgehen.

Der Ministerrat beschließt nach kurzer Aussprache, die Empfehlungen unter Ziff. l, 2 a, b, 3, 4 a, b, 5, 6 a, b, 7 a, wobei zu letzterer Empfehlung der Begründung des Rechtsausschusses der Vorzug gegeben werden sollte, ferner 7 b und d, 8, 9 a, b, 10 a, b, 11, 12 a, b, 13, 14, 15 a, b, 16 a, b, 17 a, b, 18, 20 a, b, 21, 22, 23, 24 und 25 zu unterstützen, dagegen nicht diejenigen unter 2 c und d.24

15.Entwurf eines Gesetzes über Erfindungen von Arbeitnehmern und Beamten26

Ministerialrat Dr. Gerner fährt fort, gegen die Unterstützung der Empfehlungen unter Ziff. II 1, 2, 4, 5, 6, 7, 8 a, b, c und 9 der BR-Drucks. Nr. 202/1/55 bestünden keine Bedenken. Dagegen sei im Koordinierungsausschuß hinsichtlich der Empfehlungen unter Ziff. 3 a und 3 b zu § 9 des Entwurfs keine Einigung zustande gekommen. Für Ziff. 3 a habe sich insbesondere der Vertreter des Arbeitsministeriums ausgesprochen.

Staatssekretär Weishäupl begründet eingehend diese Empfehlung, die zum Zweck habe, den Schutz des Arbeitnehmers, der eine Erfindung gemacht habe, auszudehnen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner schließt sich dieser Auffassung an, worauf der Ministerrat mit Mehrheit beschließt, die Empfehlung unter Ziff. 3 a zu unterstützen, dagegen nicht diejenige unter 3 b.27

und

19.Entwurf eines Gesetzes über die Aufhebung von Bestimmungen über den Seidenbau31

Einwendungen werden nicht erhoben.

25.Entwurf eines Gesetzes über die deutsch-ägyptische Vereinbarung vom 31. Juli 1954 über die Gewährung eines Zollkontingentes für ägyptische Baumwollgarne37

Einwendungen gemäß Art. 76 Abs. 2 GG werden nicht erhoben.

26.Entwurf einer Verordnung über die Statistik der nach dem Wohnungseigentumsgesetz begründeten Rechte38

Ministerialrat Dr. Gerner berichtet, im Koordinierungsausschuß habe der Vertreter der Obersten Baubehörde39 die Notwendigkeit der in diesem Entwurf vorgesehenen Statistik betont.40

Der Ministerrat stellt dagegen nach eingehender Aussprache fest, daß eine Notwendigkeit für diese Verordnung nicht bestehe und beschließt, den Entwurf abzulehnen.41

27.Allgemeine Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung42

Zustimmung gemäß Art. 84 Abs. 2 GG mit der Maßgabe, daß die Änderungsvorschläge unter Ziff. 1 mit 6 der BR-Drucks. Nr. 173/1/55 berücksichtigt werden.43

II.Verbesserung der Richterbesoldung44

Staatsminister Zietsch führt aus, die Ergänzungsvorlage sei unter der Voraussetzung an den Landtag gebracht worden, daß alle weitergehenden Anträge abgelehnt würden. Trotzdem brächten nicht nur Abgeordnete der Opposition, sondern auch der Koalitionsparteien neue Anträge ein; es reiche nicht aus, diese Anträge nur zurückzustellen, sie müßten vielmehr von vornherein abgelehnt werden. Er bitte mit Nachdruck in den Fraktionen darauf hinzuweisen.

Unter anderem liege ein Antrag der CSU wegen des Finanzausgleichs vor, mit dem beantragt werde, den Antrag um 1 Mio DM zu erhöhen. Nachdem eben erst in der Ergänzungsvorlage die Ansätze für die Verbesserung der Straßen der Landkreise um 2 Mio DM erhöht worden seien, müsse es dabei sein Bewenden haben.

Von besonderer Bedeutung sei der jetzt vorliegende Antrag des Abg. Dr. Lippert, der eine Verbesserung der Richterbesoldung zum Ziele habe. Außerdem beabsichtige auch der Abg. Dr. Lacherbauer, einen entsprechenden Initiativantrag zu stellen.

Das Finanzministerium habe bereits mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß die Länder am 20. Mai 1955 ein Stillhalteabkommen über die Beamtenbesoldung abgeschlossen hätten,45 so daß ein eigenmächtiges Vorgehen Bayerns in der Richterbesoldung ausgeschlossen sei. Die Staatsregierung müsse sich an dieses Abkommen gebunden fühlen, mindestens solange, bis die Neuordnung der Besoldung am 1. April 1956 in Kraft trete. Leider sei auch das Justizministerium anderer Meinung, er müsse sich aber gegen alle Bestrebungen, bestimmte Gruppen von Beamten schon jetzt herauszugreifen, zur Wehr setzen und deshalb das Justizministerium bitten, keine eigenen Wege zu gehen.

Er bitte also in den Fraktionen zu erklären, daß die Staatsregierung an das Stillhalteabkommen solange gebunden sei, bis die Besoldungsneuordnung herauskomme.

Staatssekretär Eilles erklärt, in der Regierungserklärung sei auf den Mißstand hingewiesen, der dadurch entstanden sei, daß im vergangenen Jahr hinsichtlich der Richterbesoldung nur eine Teillösung zustande gekommen sei. Auch Herr Staatsminister Dr. Koch habe bei seiner Haushaltsrede darüber gesprochen.

Richtig sei allerdings, daß der Richterverein seine Forderungen im vergangenen Jahr zum großen Teil aufgegeben habe, allerdings offenbar ohne Zustimmung seiner Mitglieder und auf ein unmittelbares Eingreifen des damalig;n Ministerpräsidenten hin. Es sei nicht einzusehen, warum Bayern als einziges Land in der Bundesrepublik eine schlechtere Richterbesoldung haben müsse. Sei es denn wirklich notwendig, daß allein Bayern in dieser Hinsicht an dem Stillhalteabkommen festhalte? Sowohl die Bayernpartei wie die FDP seien schon 1954 dafür eingetreten, die Besoldung der bayerischen Richter derjenigen der anderen Länder anzugleichen, beide Parteien kämen in eine schwierige Lage, wenn die unbedingt notwendige Neuregelung wieder aufgeschoben würde.

Staatsminister Zietsch erwidert, auch er sei für eine Sonderbehandlung der Richter. Er gebe zu, daß 1954 nur eine Teillösung infolge des Drucks entstanden sei, den der damalige Ministerpräsident auf den Richterverein ausgeübt habe, trotzdem sei es ausgeschlossen, die Neuordnung schon in diesem Jahr vorwegzunehmen und das unter den Ländern geschlossene Abkommen nicht einzuhalten. Er erinnere daran, daß es äußerst schwierig gewesen sei, zu diesem Abkommen zu gelangen.

Staatssekretär Eilles gibt zu bedenken, daß die Opposition einen Antrag nach dem anderen stellen werde, worauf Staatsminister Zietsch antwortet, es bleibe nichts übrig, als diese Anträge abzulehnen.

Staatssekretär Weishäupl bemerkt, der Sozialpolitische Ausschuß des Landtags habe den Antrag der CSU auf Erhöhung des Blindengeldes abgelehnt. Wenn aber jetzt die Richterbesoldung verbessert werde, sei es nahezu unmöglich, einen neuerlichen Antrag auf Erhöhung des Blindengeldes abzufangen,

Staatssekretär Dr. Guthsmuths warnt davor, im Hinblick auf die Mieterhöhung und Kohlenpreiserhöhung auch mit Gehaltsverbesserungen in diesem Jahr zu beginnen. Auch er glaube, daß Bayern sich nicht über das Stillhalteabkommen hinwegsetzen könne, zumal ein Nachgeben gegenüber den Richtern mit Sicherheit entsprechende Forderungen, z.B. des Philologenverbandes, herbeiführen würde.

Staatssekretär Dr. Haas stimmt zu und betont, wie schwierig es gewesen sei, das Stillhalteabkommen abzuschließen. Freilich sei zuzugeben, daß die Regelung im Jahre 1954 hinsichtlich der Richterbesoldung denkbar unglücklich gewesen sei und erhebliche Unruhe und Verbitterung unter den Richtern hervorgerufen habe.

Die FDP habe sich bekanntlich dagegen gewehrt, daß lediglich Vorrückungsstellen geschaffen worden seien, eine Lösung, die nicht beibehalten werden könne. Vielleicht sei es ein Ausweg, den Richtern bindend zu versprechen, daß es sich jetzt nur um eine vorläufige Regelung handle und im Rahmen der allgemeinen Besoldungsneuordnung eine endgültige Verbesserung gefunden werden könne. Zusätzlich könne man noch erklären, das von der früheren Regierung eingeführte System der Vorrückungsstellen sei untragbar.

Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, das Justizministerium habe im vergangenen Jahr ausdrücklich erklärt, nicht auf Vorrückungsstellen verzichten zu können. Es sei freilich richtig, daß damals auf den Richterverein ein gewisser Druck ausgeübt und dieser zum Nachgeben veranlaßt worden sei.

Auf Frage von Staatsminister Dr. Baumgartner meint Staatsminister Zietsch, es müsse genügen, wenn sich die Staatsregierung jetzt auf das Stillhalteabkommen berufe und feststelle, bei der Neuordnung der Besoldung werde auch die Richterbesoldung so behandelt werden, daß jeder zufrieden sein könne.

Staatssekretär Dr. Guthsmuths erinnert daran, daß im Jahre 1954 die Frage der Lehrerbesoldung die Hauptrolle gespielt habe46 und das damalige Kabinett einschließlich des Herrn Finanzministers immerhin darüber erleichtert gewesen sei, daß der Richterverein nicht auf den ursprünglichen Forderungen bestanden habe.

Ministerpräsident Dr. Hoegner verliest dann den Wortlaut des Stillhalteabkommens und schlägt vor, in den anderen Ländern anzufragen, ob sie damit einverstanden seien, wenn Bayern die Richterbesoldung an die Regelung in den übrigen Bundesländern angleiche. Bis die Antwort einlaufe, werde es sicher September werden.

Staatssekretär Eilles erkundigt sich, ob das Justizministerium seinen Gesetzentwurf auf dem üblichen Weg, also über das Finanzministerium usw., vorlegen solle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner entgegnet, zunächst müsse sich die Staatskanzlei an die Länder, die das Stillhalteabkommen unterzeichnet hätten, wenden, um ihre Meinung zu dem bayerischen Vorschlag festzustellen. Er bitte, für die Beratung in den Fraktionen folgendes festzuhalten:

1. Durch das Stillhalteabkommen vom 20. Mai 1955 ist festgestellt, daß Bayern ohne die Zustimmung der anderen Länder keine Sonderregelungen einführen kann.

2. Die Staatskanzlei tritt an die Länder mit dem Ersuchen um Mitteilung heran, ob sie einer Verbesserung der Richterbesoldung in Bayern zustimmen wollen.

Wenn in dieser Weise vorgegangen werde, könne der Antrag Dr. Lippert zunächst hinausgeschoben werden.

Staatsminister Bezold empfiehlt, klar und deutlich zu erklären, daß die Schuld beim früheren Ministerpräsidenten liege, der den Richterverein beeinflußt habe.

Ministerpräsident Dr. Hoegner erklärt demgegenüber, er bitte darauf Rücksicht zu nehmen, daß eine Reihe von Mitgliedern der jetzigen Regierung bereits der früheren angehört hätten.

Man dürfe schließlich nicht übersehen, daß die im Jahre 1954 getroffene Regelung die Zustimmung des gesamten damaligen Kabinetts gefunden habe.47

Besoldung

III.Finanzverfassung48

Staatsminister Zietsch unterrichtet den Ministerrat über eine Sitzung des Unterausschusses des Vermittlungsausschusses, die am vergangenen Freitag in Bad Ems stattgefunden habe; Gegenstand der Aussprache sei die Vorlage des Finanzverfassungsgesetzes gewesen.

Die Länder hätten sich eingehend mit dem sogenannten Bedarfsdeckungsprinzip, an dem der Bundestag bisher festgehalten habe, befaßt und eine Stellungnahme dazu abgegeben. Das Ergebnis sei nun gewesen, daß auch die Vertreter des Bundestags das Bedarfsdeckungsprinzip aufgegeben hätten.

In der erwähnten Sitzung seien verschiedene Vorschläge eingehend erörtert und schließlich eine Unterkommission von Fachleuten eingesetzt worden, die vor allem feststellen solle, ob sich der Vorschlag, die Einkommen- und Körperschaftsteuer aufzuteilen und nach einem bestimmten System auf Bund und Länder zu verteilen, verwirklichen lasse. Die nächste Beratung über die von der Unterkommission ausgearbeiteten Vorschläge werde am 16. September 1955 stattfinden.

Er sei der Meinung, die Finanzminister würden dann wohl erklären, die Frist des Art. 107 GG laufe ab, der Bundesanteil müsse auf drei Jahre unverändert festgelegt werden und die Höhe des Anteils sei über den Vermittlungsausschuß zu vereinbaren, erwarte, daß der Anteil schließlich auf 35 oder höchstens 36% festgesetzt werde.

Der Ministerrat nimmt den Bericht zur Kenntnis.49

IV.Personalangelegenheiten

1. Verlängerung der Amtszeit des Direktors der Landesversicherungsanstalt Schwaben, Hans Imler50

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt bekannt, das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge habe am 28. Januar 1954 die Amtszeit des Direktors der Landesversicherungsanstalt Schwaben, Hans Imler, bis 30. Juni 1955, das ist um 1¼ Jahre über die Altersgrenze hinaus, verlängert, ohne damals die notwendige Zustimmung des Ministerrats einzuholen. Es beantrage jetzt, die Amtszeit um ein weiteres Jahr, also bis 30. Juni 1956, zu verlängern. Zwingende Gründe für die Verlängerung mache das Arbeitsministerium nicht geltend, so daß wohl die Voraussetzungen für einen Beschluß im Sinne des Antrags nicht gegeben seien, zumal die erste Verlängerung ohne Zustimmung des Ministerrats erfolgt sei.

Staatsminister Stain weist darauf hin, daß das Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge diesen Antrag im Hinblick auf das Selbstverwaltungsrecht der Landesversicherungsanstalt habe stellen müssen, die sich einstimmig für eine neuerliche Verlängerung der Amtszeit Imlers ausgesprochen habe.

Der Ministerrat beschließt einstimmig, den Antrag abzulehnen.

2. Verwendung des Oberregierungsrats Dr. Ernst Deuerlein

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, das Staatsministerium für Unterricht und Kultus empfehle, Oberregierungsrat Dr. Deuerlein am Institut für Zeitgeschichte zu verwenden; gegen diesen Vorschlag habe allerdings Herr Staatssekretär Dr. Haas Bedenken erhoben.

Staatsminister Rucker meint, der Beamte könne in diesem Institut beschäftigt werden, während er die Voraussetzungen für den Archiv- und Bibliotheksdienst nicht mitbringe.

Staatsminister Dr. Baumgartner schlägt vor, Dr. Deuerlein einen bestimmten Auftrag zu geben, z.B. die Neuherausgabe einer Ortsgeschichte Bayerns. Ein solches Werk sei zuletzt im Jahre 1860 herausgegeben worden.51 Er glaube, daß Dr. Deuerlein für diese Aufgabe sehr geeignet sei.

Staatssekretär Dr. Meinzolt hält es für möglich, Dr. Deuerlein zur Dienstleistung an die Kommission für bayer. Landesgeschichte abzuordnen mit dem Sonderauftrag, die Ortsgeschichte Bayerns neu herauszugeben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stimmt zu und ersucht Herrn Staatsminister Rucker, diese Sache in die Wege zu leiten.52

Der Ministerrat erklärt sich einstimmig mit dem Vorschlag einverstanden.53

V.Verkehrsstille am 18. Juli 1955

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, die Organsation „Unteilbares Deutschland“, deren Präsident der frühere Reichstags-Präsident Paul Löbe sei, richte an alle Ministerpräsidenten der Länder die Bitte, anläßlich des Beginns der Genfer Konferenz am 18. Juli 1955 um 12 Uhr mittags eine völlige Stille von Verkehr und Arbeit herbeizuführen.54

Staatssekretär Simmel unterstützt als Mitglied des Kuratoriums dieses Ersuchen und empfiehlt, einheitlich mit allen anderen Ländern vorzugehen.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird beschlossen, zunächst die Fühlung mit den anderen Ländern aufzunehmen.55

VI.Naturschutzgebiet bei Pöcking

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, der Bund Naturschutz in Bayern mache mit Schreiben vom 4. Juli 1955 darauf aufmerksam, daß die Verwaltung des Herzogs Luitpold von Bayern beabsichtige, das unter Landschaftsschutz stehende Ufergelände zwischen Possenhofen und dem Forsthaus am See in Parzellen zu veräußern, damit dort Häuser errichtet würden. Die Verwaltung rechne damit, die Ausnahmegenehmigung für die Bebauung zu erhalten.56

Er habe bereits als Innenminister dieses Vorhaben verhindert und sei auch weiterhin der Auffassung, daß es sich hier um ein Naturschutzgebiet handle, das keinesfalls beeinträchtigt werden dürfe. Er bitte deshalb den Herrn Staatsminister des Innern, die Angelegenheit nur vom Ministerrat entscheiden zu lassen. Es handle sich hier um das letzte Gebiet am Starnberger See, das noch unter Naturschutz stehe.

Staatsminister Dr. Geislhöringer sichert zu, gegebenenfalls die Angelegenheit dem Ministerrat zur Entscheidung vorzulegen.

Der Ministerrat ist einmütig der Auffassung, daß eine Verbauung des Geländes nicht in Frage kommt.

Naturschutz

VII.Maßnahmen für die Grenzlandgebiete57

Ministerpräsident Dr. Hoegner erinnert an den Vorschlag des Herrn Staatsministers der Finanzen, für die Verteilung der Grenzlandgebiete einen Zweckverband zu gründen. Diese Anregung habe nun auch die Arbeitsgemeinschaft Grenzland, deren Sitz in Cham sei, aufgegriffen.58 Er werde das Schreiben der Arbeitsgemeinschaft den Staatsministerien der Finanzen und für Wirtschaft und Verkehr zuleiten, damit es von diesen Ministerien geprüft werde. Zur Behandlung im Ministerrat sei die Sache wohl noch nicht reif.59

VIII.Antrag des Präsidenten des Bayer. Roten Kreuzes auf Erhöhung des Staatszuschusses auf 300 000 DM

Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt ein Schreiben des Präsidenten des Bayer. Roten Kreuzes, Herrn Landtagspräsidenten Dr. Ehard, bekannt, in dem gebeten werde, den für das Rechnungsjahr 1955/56 vorgesehenen Staatszuschuß von 200 000 DM um 100 000 DM zu erhöhen. Zur Begründung werde ausgeführt, daß sich die Aufgaben des Bayer. Roten Kreuzes, die größtenteils Aufgaben der öffentlichen Hand seien, gegenüber den letzten Jahren wesentlich vermehrt hätten. Den gleichen Antrag habe das Bayer. Rote Kreuz auch an den Präsidenten des Bayer. Landtags gerichtet.60

Er werde das Schreiben zunächst den Herrn Staatsministern des Innern und der Finanzen zur Erwägung zuleiten, damit die Möglichkeit, den Staatszuschuß unter Umständen im Nachtragshaushalt zu erhöhen, geprüft werde.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.61

IX.Verlegung des Sammellagers für Ausländer in Nürnberg (Valka-Lager)62

Ministerpräsident Dr. Hoegner führt aus, in einem Schreiben vom 28. Juni 1955 beschäftige sich der amerikanische Botschafter, Mr. Conant, mit dem Vorschlag, als zweite und letzte Maßnahme zur Aufhebung des Valka-Lagers ein neues Lager in der Alten Regensburger Straße in Nürnberg zu errichten. Für die Umsiedlung stelle die US-Armee Gebäude zur Verfügung, während die amerikanische Botschaft von den entstehenden Kosten einen Betrag von 100 000 DM übernehmen wolle.

Botschafter Conant weise darauf hin, daß dieser Plan von der Bundesregierung befürwortet und auch von Beamten der Bayerischen Staatsregierung und der Regierung von Mittelfranken für befriedigend gehalten werde, während die Stadtverwaltung Nürnberg diese Lösung ablehne. Angehörige der Botschaft hätten die Frage mit Herrn Staatsminister Dr. Geislhöringer besprochen, der sich daraufhin an den Bürgermeister von Nürnberg gewandt habe. Mr. Conant bittet, daß der Ministerpräsident sich selbst dieser Sache annehme, einmal, weil sie besonders wichtig sei und zum anderen, weil es für die Botschaft schwierig sein werde, den Unkostenbeitrag noch lange nach dem Abschluß des Rechnungsjahres, dem 30. Juni 1955, zur Verfügung zu halten.

Staatsminister Stain erklärt, er habe von dieser Frage erst durch die Ministerratsvormerkung Kenntnis erhalten und bitte deshalb, die Erörterung um acht Tage zurückzustellen. Wegen des Valka-Lagers gebe es bekanntlich ständig Schwierigkeiten mit der Stadt Nürnberg, er bezweifle auch, ob man der Nürnberger Bevölkerung zumuten könne, daß in der Stadt ein weiteres Lager errichtet werde. Zunächst müßten aber Erkundigungen in Verbindung mit dem Staatsministerium des Innern eingezogen werden.

Staatsminister Dr. Geislhöringer erklärt sich damit einverstanden und sichert zu, Herrn Staatsminister Stain einen Abdruck des Briefes zur Verfügung zu stellen, den er an den Herrn Oberbürgermeister von Nürnberg gerichtet habe.63

Valka/Langwasser

X.Neuherausgabe der Werke des Dichters Fritz von Unruh

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, in einem Schreiben vom 28. Juni 1955 beschäftige sich der Herr Ministerpräsident Zinn von Hessen mit der Frage, in welcher Weise die Werke Fritz von Unruhs neu herausgegeben werden könnten. Herr Ministerpräsident Zinn trage sich mit dem Gedanken, eine Fritz von Unruh-Stiftung ins Leben zu rufen und bitte um Stellungnahme, ob Bayern bereit sei, aus Staatsmitteln einen Betrag in Höhe von 10 000 DM zu übernehmen.

Nach kurzer Aussprache wird beschlossen, sich im Hinblick auf die angespannte Finanzlage an der Herausgabe der Werke Fritz von Unruhs nicht zu beteiligen.

XI.Umgliederung der Fuchstalgemeinden aus dem Landkreis Kaufbeuren in den Landkreis Landsberg am Lech64

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, das Staatsministerium des Innern bitte mit Note vom 27. Juni 1955 einen Beschluß des Ministerrats darüber herbeizuführen, ob ein Gesetzentwurf über die Umgliederung der Fuchstalgemeinden aus dem Landkreis Kaufbeuren in den Landkreis Landsberg am Lech vorgelegt werden soll.65 Dabei werde darauf hingewiesen, daß das Staatsministerium des Innern bereits mit Entschließung vom 16. Februar 1953 an die Regierung von Schwaben festgestellt habe, der Antrag eigne sich nicht zur Weiterbehandlung.66 Auch jetzt sehe sich das Ministerium nicht in der Lage, den Antrag auf Umgliederung zu befürworten.67

Staatssekretär Vetter bezeichnet es als unmöglich, dem Antrag stattzugeben und stellt fest, der Ministerratsbeschluß werde gebraucht, um den Interessenvertretern einen beschwerdefähigen Bescheid geben zu können.

Auf Vorschlag des Herrn Ministerpräsidenten wird folgender Beschluß gefaßt:

Die Staatsregierung sieht sich nicht veranlaßt, eine Rechtsverordnung über die Umgliederung der Fuchstalgemeinden vor der Verwaltungsvereinfachung vorzulegen.68

XII.Besichtigung des Naturschutzgebietes am oberen Lech bei Schongau69

Es wird vereinbart, die Besichtigung dieses Naturschutzgebietes erst im August durchzuführen.70

XIII.Errichtung eines Atom-Reaktors71

Staatsminister Rucker unterrichtet den Ministerrat über den Verlauf der am 29. Juni 1955 unter dem Vorsitz des Bundeskanzlers abgehaltenen Sitzung. Zu einer Entscheidung sei es noch nicht gekommen, da die Vorschläge der Forschungsgemeinschaft noch nicht vorlägen. Die Kosten eines Atom-Reaktors für wissenschaftliche Zwecke beliefen sich auf etwa 16 Mio DM. Es werde jetzt die endgültige Entscheidung Professor Heisenbergs eingeholt werden, der sich zweifellos für München entscheiden werde. In der Sitzung, an der der Herr Bundeskanzler ständig teilgenommen habe, sei es noch nicht notwendig gewesen, ein bayerisches Angebot abzugeben.

Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt abschließend fest, daß sich der Bundeskanzler offenbar für die bayerischen Wünsche einsetzen werde.72

Atomenergie

XIV.Förderung von Ausstellungen in Österreich

Staatssekretär Dr. Guthsmuths führt aus, das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr habe schon seit Jahren österreichische Ausstellungen in jeder Weise gefördert, z.B. durch deutsche Sonderausstellungen, Übernahme von Schirmherrschaften usw. Wegen der gegenwärtigen politischen Spannungen verhalte sich jetzt aber die Wirtschaft sehr zurückhaltend.73 Nachdem es sich hier um eine Frage handle, die die Richtlinien der Politik betreffe, frage er den Herrn Ministerpräsidenten, ob das Staatministerium für Wirtschaft und Verkehr österreichische Ausstellungen in der gleichen Weise wie vorher unterstützen solle.

Ministerpräsident Dr. Hoegner spricht sich mit Nachdruck dafür aus und betont, Österreich beabsichtige offenbar nach dem Abzug der Besatzungstruppen mit der Bundesrepublik ein Übereinkommen zu finden, das den beiderseitigen Wünschen entspreche. Er empfehle deshalb, die wirtschaftlichen Beziehungen so wie bisher weiter zu pflegen und sich auch in Zukunft an Ausstellungen zu beteiligen.

Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden

XV.Beschwerde des Abg. Dr. WüllnerBHE

Ministerpräsident Dr. Hoegner teilt mit, Abg. Dr. Wüllner beschwere sich darüber, daß schriftliche Anfragen an die Minister nicht beantwortet würden. Er bitte dringend, die Verantwortung in Zukunft nicht hinauszuzögern, da die Landtagsabgeordneten Anspruch darauf hätten, möglichst umgehend Auskunft zu erhalten.

XVI.Veranstaltungen usw.

a) Einladung zu einer Internationalen Sternfahrt in Murnau am 8. Juli 1955

Es wird vereinbart, daß die Vertretung der Staatsregierung durch Herrn Regierungspräsidenten Dr. Mang übernommen wird.

b) 5. Tagung der Nobelpreisträger in Lindau 11.–17. Juli 195574

Ministerpräsident Dr. Hoegner erkundigt sich, wer von den Herren Kabinettsmitgliedern der Einladung zur 5. Tagung der Nobelpreisträger Folge leisten könne; ihm selbst sei es unmöglich, am 11. Juli 1955 zur Eröffnung nach Lindau zu fahren.

Staatssekretär Dr. Haas erklärt sich bereit, die Bayerische Staatsregierung bei der Tagung in Lindau zu vertreten.

c) Inthronisation des Erzbischofs von Bamberg am 13. Juli 195575

Es wird festgestellt, daß an der Feier Herr Ministerpräsident Dr. Hoegner, Herr Staatsminister Rucker und die Herren Staatssekretäre Eilles und Weishäupl teilnehmen.

d) Landesverbandstagung der Interessengemeinschaft der Wehrmachtsbediensteten e.V. am 16./17. Juli 1955

Der Ministerrat beschließt, mit der Vertretung bei dieser Veranstaltung Herrn Regierungspräsidenten Dr. Ulrich zu beauftragen.

Abschließend erkundigt sich Ministerpräsident Dr. Hoegner, wann der Entwurf des Bayerischen Forstgesetzes und der Entwurf einer Verordnung über den Privatwald vorgelegt werde.76

Staatsminister Dr. Baumgartner erwidert, die Arbeiten für beide Entwürfe seien nahezu abgeschlossen.

Ministerpräsident Dr. Hoegner fährt fort, auch der Entwurf des Landesstraf- und Verordnungsgesetzes sei noch nicht wieder vorgelegt worden.77

Staatssekretär Eilles antwortet, dieser Entwurf werde noch weiter beraten.

Die nächste Sitzung des Ministerrats wird für Montag, den 11. Juli 1955, abends 19 Uhr, festgelegt.

Der Bayerische Ministerpräsident gez.: Dr. Wilhelm Hoegner
Der Protokollführer des Ministerrats gez.: Frhr. von Gumppenberg Ministerialrat
Der Leiter der Bayerischen Staatskanzlei gez.: Dr. Albrecht Haas Staatssekretär