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Nr. 7MinisterratssitzungSamstag, 1. Februar 1947 Beginn: 8 Uhr 15 Ende: 11 Uhr
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner, Innenminister Seifried, Kultusminister Dr. Hundhammer, Finanzminister Dr. Kraus, Wirtschaftsminister Dr. Zorn, Landwirtschaftsminister Dr. Baumgartner, Arbeitsminister Roßhaupter, Verkehrsminister Frommknecht, Staatsminister für Sonderaufgaben Loritz, Staatssekretär Dr. Ankermüller (Innenministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Hagenauer (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Gentner (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Staatssekretär Schuberth (Verkehrsministerium), als Berichterstatter z. Punkt I [II] d. Tagesordnung: Ministerialrat Roemer1 (Justizministerium).

Entschuldigt:

Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayerische Staatskanzlei), Staatssekretär Pittroff (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Höltermann (Sonderministerium).

Tagesordnung:

[I. Begrüßung Staatssekretär Jaenickes im Ministerrat]. [II.] Entwurf eines Rückerstattungsgesetzes nach dem Stand vom 25. Januar 1947. [III.] Treuhändergesetz. [IV.] Gesetz über die Versicherungsaufsicht in der amerikanischen Besatzungszone. [V. Angelegenheit Wingorsky-Mulfinger]. [VI. Pressekonferenz]. [VII. Absenkung des Walchensees]. [VIII. Informelles Treffen mit Generalleutnant Bernstein]. [IX. Landesflüchtlingskonferenz der KPD].

[I. Begrüßung Staatssekretär Jaenickes im Ministerrat]

Zu Beginn der Sitzung begrüßt Ministerpräsident Dr. Ehard Staatssekretär Jaenicke und spricht seine Wünsche für gute Zusammenarbeit aus. Sodann wird in die Tagesordnung eingetreten.

[II. Entwurf eines Rückerstattungsgesetzes nach dem Stand vom 25. Januar 1947]2

Ministerialrat Roemer weist einleitend darauf hin, daß es sich bei diesem Entwurf bereits um die zehnte Umarbeitung handle.3 Bei den letzten Besprechungen in Stuttgart4 waren außer Vertretern der Militärregierung auch die Vertreter der jüdischen Organisationen anwesend gewesend, u. a. Rechtsanwalt Ostertag5 aus Stuttgart, ferner Mitglieder der jüdischen Organisationen des Auslandes, darunter Mr. Robinson6 aus New York. Der Grundgedanke der Verhandlungen sei gewesen, unter allen Umständen zu einem Einverständnis mit den Vertretern der geschädigten Juden zu gelangen und die außerordentlich großen Gegensätze auszugleichen. Ministerialrat Roemer bespricht sodann den Entwurf7 und erklärt, daß in § 1 die Grundsätze über die Rückerstattung festgelegt seien, während in § 2 die Entziehungsfälle ausgeführt seien. Der Kernpunkt des ganzen Gesetzes sei der § 3, in dem die Vermutung für eine den Rückerstattungsanspruch begründende Entziehung bei bestimmten Personengruppen festgelegt wird. Nach Abs. 2 könne diese Vermutung nur in ganz bestimmten Fällen widerlegt werden.8 Die Fassung dieser Bestimmung sei von Seiten der Vertreter der geschädigten Juden als conditio sine qua non bezeichnet worden, wobei natürlich Härten unvermeidlich seien. Trotz aller Versuche hätte man keine Milderungen erreichen können; dabei sei von einem jüdischen Vertreter erklärt worden, man könne kein Zutrauen zu den deutschen Behörden haben. Auch den Gerichten sei kein Ausweichen und keine Abmilderung möglich. Der in der französischen Zone ausgearbeitete sogenannte Koblenzer Entwurf sei erheblich elastischer. In § 6 sei vor allem der Abs. 6 von Bedeutung, der das gesetzliche Erbrecht des Staates nach § 1936 BGB ausschließe.9 An Stelle des Staates solle eine internationale Organisation der Juden Erbe werden, die die rückerstatteten Vermögenswerte zur Wiedergutmachung der Juden verwenden solle. Der ebenfalls wichtige Abs. 8 sei noch nicht endgültig angenommen.

§ 11a sei der einzige Fall des Gesetzes, wo der gute Glaube geschützt werde, der sonst nirgendswo berücksichtigt werde. Satz 2 des Abs. 1 stehe allerdings noch nicht endgültig fest. Abs. 3 scheine einem Rahmengesetz über die Wiedergutmachung zu entstammen, das derzeit im Kontrollrat beraten werde. Besonders sei auch auf die §§12 und 12a hingewiesen. In den §§17 und 18 werde die Haftung bei schwerer und einfacher Entziehung geregelt. Der § 19, der mit diesen Bestimmungen im Zusammenhang stehe, werde zweifellos auch zu großen Härten führen. Auch bei § 23 sei es nicht möglich gewesen, Entgegenkommen zu erreichen, vor allem habe man vergeblich versucht, bei Wertsteigerung eine Mehrbelastung zuzulassen. Zu § 38 sei vor allem zu sagen, daß die Frist zur Anmeldung der Rückerstattungsanzeige viel zu lange sei.10 Man habe aber auch hier keine Konzessionen erlangen können, da sich die Militärregierung und die jüdischen Organisationen auf die noch in Kraft befindliche Trading-with-enemy-act berufen hätten. Zusammenfassend weist Ministerialrat Roemer auf die Hauptmängel des Entwurfes hin:

1. die zu lange Rückerstattungsfrist des § 38,

2. die jüdischen Organisationen können Vermögen auch zugunsten ausländischer Geschädigter verwenden,

3. die außerordentlich harte Bestimmung des § 3,

4. die sich aus der Tatsache, daß die Währungsreform noch nicht durchgeführt ist, ergebenden Schwierigkeiten,

5. die Geltung des Gesetzes nur in der US-Zone.

Allerdings sei eine Ausdehnung für ganz Deutschland geplant. Jedenfalls sei seiner Auffassung nach die Ausdehnung für die drei Westzonen unbedingt notwendig. In Stuttgart habe man gewünscht, daß dieses Gesetz von den Ministerpräsidenten mit einer entsprechenden Empfehlung an die Militärregierung weitergeleitet werde, damit es dann als Gesetz der Militärregierung verkündet wird.

Ministerpräsident Dr. Ehard, dankt Ministerialrat Roemer für seine aufschlußreichen Darlegungen und betont nachdrücklich, daß es sich bei diesem Gesetz nur um die Rückerstattung,11 nicht aber Wiedergutmachung handle. Seiner Ansicht nach habe dieses Gesetz eine doppelte Seite, nämlich eine politische, bei der man sich einer feindlichen und mißtrauischen Atmosphäre gegenüber sehe und feststellen müsse, daß es keine Möglichkeit gebe, sich einem Diktat gegenüber zu wehren. Was die rechtliche Seite betreffe, so handle es sich bei diesem Entwurf um ein Musterbeispiel für ein raffiniertes Rechtsgewebe. Es bestehe die Möglichkeit, auch wirklich jeden guten Glauben auf die Seite zu drücken. Außerdem könne mit Hilfe dieses Gesetzes ein Riesengeschäft gemacht werden und zweifellos gerade ein großer Teil derjenigen Werte, die wir so notwendig bräuchten, abwandern oder in ausländische Hände kommen. Man müsse sich der Tragweite der Angelegenheit bewußt sein. Es sei unvermeidlich, daß vielen Leuten bei der Durchführung Unrecht geschehen werde und damit ein neues Anwachsen des Antisemitismus zu befürchten sei. Wenn auch eine Ausdehnung auf ganz Deutschland zugesagt sei, so handle es sich doch wieder nur um ein Zonengesetz, so daß man dasselbe wie beim Entnazifizierungsgesetz erleben werde. Wenn das Gesetz tatsächlich für die US-Zone allein durchgeführt werde, so würden sich dieselben unerfreulichen Folgen wie beim Entnazifizierungsgesetz herausstellen und Süddeutschland abermals besonders belastet werden. Er beabsichtige, seine Unterschrift nicht zu geben, außer auf schriftliche Weisung der Militärregierung.

Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner meint, man dürfe den Grundgedanken nicht aus dem Auge verlieren, daß nämlich eine Rückerstattung stattfinden müsse. Allerdings sei es außerordentlich schwierig, nach 12 Jahren den früheren Zustand wieder herzustellen. Viele Leute hätten aus Gefälligkeit Juden ihre Geschäfte um den richtigen Preis abgekauft, um ihnen die Auswanderung zu ermöglichen.12 Hier gehe das Gesetz unbedingt zu weit. Außerdem störe ihn die in dem Entwurf vorgesehene ausländische Kollektivität, wobei der Begriff des jüdischen Volkes neu hereingebracht werde. Seiner Ansicht nach sollte herrenloser jüdischer Besitz zu Wiedergutmachungszwecken herangezogen werden. Auch er habe aus diesen Gründen größte Bedenken. Zweifellos würden für unsere Wirtschaft schwere Zeiten kommen, wenn das Gesetz bis zum äußersten ausgenützt werde.

Ministerialrat Roemer wirft ein, daß auch amerikanische Vertreter General Clay nicht zu einer Abmilderung bestimmen konnten, da dieser offensichtlich bindende Weisungen aus Washington hatte.

Ministerpräsident Dr. Ehard äußert seine Befürchtung, daß in dem Moment zugegriffen werde, wo die Möglichkeit zu einem wirtschaftlichen Aufschwung komme.

Staatssekretär Dr. Müller weist auf zwei Fälle hin, in denen schon bisher eine Sonderbehandlung der US-Zone erfolgt sei und zwar erstens in der Entnazifizierung und zweitens in der Frage der Landeszentralbanken. Zu 1 erinnere er an das Gesetz Nr. 38 über die Entnazifizierung, das in der britischen Zone in Kraft getreten sei und erheblich günstiger wie unser Gesetz vom 5. März 1946 sei.13 Eine Anwendung bei uns sei leider nicht möglich, da ja nach der im Kontrollratsgesetz Nr. 3814 ermöglichten Sonderregelung das Gesetz vom 5. März 1946 in Kraft bleiben könne. Zu 2 weise er darauf hin, daß die Reichsbank für die gesamte britische Zone weiter bestehe und man nicht daran denke, in den einzelnen Ländern Landeszentralbanken zu schaffen.15 Nun komme dieses dritte Gesetz, gegen das er allergrößte Bedenken habe. Er schlage vor, das Gesetz abzulehnen und zu verlangen, daß es durch Kontrollratsbeschluß für sämtliche vier Zonen in Kraft gesetzt werde.16

Staatsminister Seifried gibt zu bedenken, daß man doch unbedingt an der Rückerstattungs- und Wiedergutmachungspflicht festhalten müsse.

Ministerpräsident Dr. Ehard antwortet, das sei selbstverständlich, es komme aber auf das „Wie“ an.

Staatsminister Dr. Zorn bezeichnet die wirtschaftlichen Folgen dieses Gesetzes als einfach beängstigend. Fünf Milliarden Reichsmark aus der Property Control reichten nicht aus, um die Rückerstattungsansprüche zu befriedigen. Auch er sei für Ablehnung des Entwurfes unter Betonung der grundsätzlichen Berechtigung der Rückerstattungsansprüche.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt zusammenfassend, er werde versuchen, ein Gesetz für alle Zonen zu erreichen. Wenn sich das nicht erreichen lasse, werde er beantragen, daß die Militärregierung das Gesetz für die amerikanische und britische Zone von sich aus erlassen sollte. Würden die Ministerpräsidenten genötigt, zu unterschreiben, dann aber nur auf ausdrückliche Anweisung der Militärregierung. Er befürchte im übrigen, daß die nationalistischen Strömungen durch solche Maßnahmen unerhörten Auftrieb bekämen und also genau das eintrete, was man nicht haben wolle.

Der Ministerrat faßt daraufhin einstimmig folgenden Beschluß:

Der Bayerische Ministerpräsident wird ermächtigt, auf der Tagung des Länderrats in Stuttgart am 4. Februar 1947 zu beantragen, daß das Rückerstattungsgesetz als Kontrollratsgesetz für alle vier Zonen in Kraft treten soll.17 Falls dieser Antrag nicht angenommen wird, soll der Bayerische Ministerpräsident die Forderung erheben, daß die Unterzeichnung des Rückerstattungsgesetzes durch die Ministerpräsidenten nur auf ausdrückliche Anweisung der Militärregierung erfolgen soll.18

Anschließend werden noch kurz das Ehetauglichkeitsgesetz und das Ehenichtigkeitsgesetz19 besprochen, die ebenfalls in Stuttgart zur Beratung kommen sollen. Änderungen werden nicht vorgenommen.

[III. Treuhändergesetz]

Ministerpräsident Dr. Ehard verliest das Gesetz unter Hinweis darauf, daß es eine sehr lange Vorgeschichte20 habe und allmählich dringend notwendig geworden sei.

Staatsminister Dr. Kraus erklärt, das hessische Kabinett habe bereits seine Zustimmung gegeben. Er selbst habe in Stuttgart vorbehaltlich der Genehmigung durch das bayerische Kabinett ebenfalls zugestimmt.21

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß das Treuhändergesetz dem Landtag vorgelegt werden müsse; Bedenken gegen einzelne Bestimmungen würden wohl nicht bestehen. Er ersuche um Ermächtigung, im Länderrat zuzustimmen22 und das Gesetz dem Landtag vorzulegen.23

Staatsminister Dr. Baumgartner erkundigt sich, wie es überhaupt mit der Einsetzung der Treuhänder stehe,24 da man sich ihm gegenüber in Niederbayern sehr über wilde Einsetzung durch das Landesamt für Vermögensverwaltung beschwert habe.

Staatsminister Dr. Zorn erwidert, die Vorschläge für Einsetzung von Treuhändern würden durch die Außenstelle, die Einsetzung selbst durch das Landesamt für Vermögensverwaltung gemacht werden. Allerdings sei es sehr schwierig, von den Amerikanern eingesetzte Treuhänder, die sich nicht bewährten, weg zu bringen.

Der Ministerrat erklärt sich sodann einstimmig mit dem vom Herrn Ministerpräsidenten gemachten Vorschlag einverstanden.25

[IV. Gesetz über die Versicherungsaufsicht in der amerikanischen Besatzungszone]26

Ministerpräsident Dr. Ehard weist darauf hin, daß die Privatversicherungen überhaupt nicht beaufsichtigt seien. Das Reichsaufsichtsamt für das Versicherungswesen sei nach Hamburg ausgewichen und versuche nun, seine Aufsicht auch in die amerikanische Zone auszudehnen.27 Das habe die Einrichtung eines Amtes für die amerikanische Zone notwendig gemacht, das nach München gelegt werden solle. In Stuttgart sei der Vorschlag bereits angenommen worden.

Staatsminister Dr. Kraus wirft ein, Württemberg, Hessen hätten noch Vorbehalte wegen des Sitzes gemacht, da aber außer der Post kein weiteres Amt in Bayern sei,28 habe er gefordert, das Versicherungsaufsichtsamt nach München zu legen.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, später könne dieses Amt als Amt für ganz Deutschland ausgedehnt werden.

Staatssekretär Dr. Müller berichtet, man habe im Finanzrat in Frankfurt bereits über diese Frage verhandelt29 Hamburg sei in der Lage gewesen, das Reichsaufsichtsamt neu aufzustellen, da man dort weniger durch die Entnazifizierung beeinträchtigt sei.

Staatsminister Dr. Kraus teilt ergänzend mit, in Hamburg hätten sich bereits eine Reihe von „Reichsbehörden“ gebildet, so ein Reichsrechnungshof, Reichsschuldenverwaltung usw.30

Staatssekretär Dr. Müller führt aus, auf sein Betreiben habe man diese Fragen zurückgestellt. Vielfach halte man ihm vor, in der US-Zone habe man nicht das notwendige Personal und der Hauptsitz der Privatversicherungen befinde sich in der britischen Zone. Beides sei richtig, aber nur deshalb, weil wegen der scharfen Entnazifizierung in der US-Zone alles nach Norddeutschland abwandere. Seiner Ansicht nach solle man das Amt bei uns einrichten und die Sache im Finanzrat dilatorisch behandeln. Ähnlich werde es übrigens mit der Branntwein-Monopol-Verwaltung werden, die er im August 1945 in München aufgebaut habe.31

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt daraufhin das Einverständnis des Kabinetts fest, daß das Aufsichtsamt für das Versicherungswesen in der amerikanischen Besatzungszone errichtet und dessen Sitz nach München verlegt werden solle.

Bei der Verlesung des Gesetzes widerspricht Staatsminister Dr. Kraus dem § 532 und erklärt, man müsse grundsätzlich daran festhalten, daß Bayern in allen Fällen nur 1/2 der Kosten übernehme, da ja seine Stimme im Länderrat auch nicht schwerer wiege wie die der anderen Länder.

Ministerpräsident Dr. Ehard antwortet, grundsätzlich müsse an der Drittelung festgehalten werden, wenn man auch in diesem einzelnen Fall wohl davon abgehen könne, da die Kosten ja nicht hoch seien. Er werde aber jedenfalls die bayerische Auffassung in Stuttgart zu Protokoll geben.33

[V.] Angelegenheit Wingorsky-Mulfinger

Ministerpräsident Dr. Ehard berichtet kurz über die ihm von Staatskommissar Dr. Auerbach mitgeteilte Angelegenheit Wingorsky-Mulfinger, wonach einem Juden durch einen Nationalsozialisten mit Hilfe von Wohnungsamt und Polizei zugewiesene Möbel weggenommen worden seien, wobei der Jude schwer mißhandelt worden sei. Er ersuche Minister Seifried um Aufklärung.34

Staatsminister Seifried verliest eine im Staatskommissariat für rassisch, religiös und politisch Verfolgte aufgenommene Aktennotiz und weist besonders darauf hin, daß es sich bei den Angehörigen des Herrn Wingorsky um amerikanische Staatsbürger handle,35 deren Onkel im amerikanischen Außenministerium sei. Das Sonderministerium sei ebenso wie das Arbeitsministerium unterrichtet worden, ferner habe er selbst Anweisung gegeben, Mulfinger sofort zu verhaften. Die schuldigen Polizeibeamten seien gestern von Polizeipräsident Pitzer vernommen worden und würden wohl vom Dienst suspendiert sein. Er habe von Oberbürgermeister Dr. Scharnagl Bericht eingefordert, der aber bisher noch nicht eingelaufen sei. Merkwürdigerweise scheine die umfangreiche Aktennotiz des Herrn Staatskommissars Dr. Auerbach erst sehr verspätet dem Herrn Oberbürgermeister ausgehändigt worden zu sein. Jedenfalls werde vom Staatsministerium des Innern von Aufsichts wegen eingeschritten werden, da die Stadt bzw. deren Beamte selbst belastet seien.

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, wenn solche Methoden angewendet würden,36 dürfe man sich über diesen Fall nicht wundern. Man müßte die Gelegenheit benützen, um sich darüber klar zu werden, daß einzelne Ämter rücksichtslos parteipolitisch besetzt würden und damit häufig ungeeignete Leute in wichtige Stellungen kämen. Er sei aufs höchste entrüstet über die unglaublichen Methoden, die in diesem Fall von Polizei und Wohnungsamt angewendet worden seien. Wenn man schon wage, gegen Juden in dieser Form vorzugehen, könne man sich denken, mit welchen Mitteln man in anderen Fällen arbeite.

Staatsminister Seifried führt noch ergänzend aus, daß sich General Müller eingehend habe Bericht erstatten lassen. Es sei zu befürchten, daß Oberbürgermeister Dr. Scharnagl bzw. Polizeipräsident Pitzer in große Schwierigkeiten kämen. Sollte im übrigen Mulfinger noch nicht verhaftet sein, werde er seine Verhaftung sofort anordnen.

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, der Landtag hätte nun Gelegenheit, sich in aller Öffentlichkeit gegen diese Methoden zu wenden.

Auf Vorschlag von Staatssekretär Ankermüller, die Sache offiziell vor den Landtag zu bringen, antwortet Ministerpräsident Dr. Ehard, er möchte das Ergebnis der Untersuchungen abwarten, um dann mitteilen zu können, was von Seiten der Regierung aus geschehen sei.

Staatssekretär Dr. Ankermüller erkundigt sich weiter, ob es zweckmäßig sei, die Militärregierung von den Maßnahmen des Kabinetts zu verständigen.

Ministerpräsident Dr. Ehard erwidert, er werde noch die Äußerung der Beamten abwarten müssen, da möglicherweise ein krimineller Tatbestand vorliege.

Staatssekretär Krehle wirft ein, es müsse sofort festgestellt werden, wer vom Wohnungsamt den Befehl gegeben habe, zugunsten des Nazi die Möbel aus der jüdischen Wohnung zu entfernen. Er verweist dabei auf einen Bericht in der „Süddeutschen Zeitung“ über den Rundgang eines Beamten des Wohnungsamtes mit einem Journalisten.37

[VI.] Pressekonferenz

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, daß demnächst eine Pressekonferenz notwendig sei; er bitte zu überlegen, was man der Presse mitteilen solle.38

Staatsminister Dr. Hundhammer wendet sich gegen die häufig entstellten Berichte in der Presse und verweist auf den Artikel über die Eröffnung der Universität München in der Nummer vom Samstag, den 1. Februar 1947 in der „Süddeutschen Zeitung“.39

Staatsminister Seifried erwähnt in diesem Zusammenhang die völlig falsche Darstellung über Flüchtlingsfragen im letzten „Münchner Mittag“.40

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt dann fest, daß im Laufe der nächsten Wochen eine Pressekonferenz stattfinden solle. Außerdem weist er auf die Unzahl von herumschwirrenden Gerüchten hin, die offensichtlich in die Welt gesetzt würden, um Verstimmungen und Mißverständnisse zwischen den Kabinettsmitgliedern herbeizuführen. Er ersuche, solche Dinge durch vertrauensvolle gegenseitige Aussprache zu klären.

[VII.] Absenkung des Walchensees41

Staatssekretär Fischer berichtet über die notwendige Absenkung des Walchensees, die Straßensperrungen und Räumung von Gebäuden notwendig mache. Vorsorglich sei eine Anordnung des Landratsamtes Tölz nach § 75 des Wassergesetzes ergangen, die sofort vollstreckbar sei; offen sei dann nur noch die Frage der Haftung. Den entsprechenden Auftrag werde der Landrat von Bad Tölz dem Bayernwerk erteilen. Im übrigen sei bei gleichbleibender Kälte am 25. Februar 1947 der Walchensee am Ende.42 In Minden habe man ihm den Vorwurf gemacht, daß Bayern in Energie schwimmen würde und daß man hier beim Stromverbrauch in aufsteigender Linie sei.43 Er habe daraufhin entgegnet, daß auf unserem Rücken die großen Stromlieferungen ausgetragen würden, wozu noch die auf bayerischem Boden liegenden Stickstoffwerke kämen, die außerordentlichen Stromverbrauch hätten.44 Nunmehr werde auch die Gruppe III der zu versorgenden Betriebe abgeschaltet, was sich verheerend auswirken werde. Staatssekretär Fischer berichtet weiterhin, daß ein Zentralprüfungsamt für den höheren technischen Verwaltungsdienst in Bielefeld geschaffen werden solle. Er ersucht um Ermächtigung, sich gegen diesen Vorschlag zu wenden und zu beantragen, daß die Ausbildung der höheren technischen Beamten auf Länderbasis erfolgen solle.

Der Ministerrat erklärt dazu einstimmig sein Einverständnis.

[VIII. Informelles Treffen mit Generalleutnant Bernstein]

Staatsminister Seifried gibt eine Einladung zu einem Abendessen im Restaurant „Treppchen“ bekannt, wo der Generalleutnant Rabbi Bernstein45 erscheinen werde, der sehr maßgebend in Wiedergutmachungsfragen sei.

Es wird festgestellt, daß der Ministerpräsident und jedenfalls auch die Staatsminister Seifried und Dr. Hundhammer an dem Essen teilnehmen werden.

[IX. Landesflüchtlingskonferenz der KPD]

Staatsminister Seifried berichtet, Staatssekretär Jaenicke sei eingeladen worden, über Flüchtlingsfragen auf der Landesflüchtlingskonferenz der KPD zu sprechen.46 Da es der Wille der Amerikaner sei, die Flüchtlingsfrage nicht den Parteien auszuliefern, sei die Entscheidung über die Einladung von grundsätzlicher Bedeutung.

Staatsminister Dr. Hundhammer erklärt sich entschieden gegen eine Beteiligung an dieser Konferenz, während Ministerpräsident Dr. Ehard vorschlägt, sich die Sache noch einmal in Ruhe zu überlegen.47

Der Bayerische Ministerpräsident:
gez. Dr. Hans Ehard
Der Sekretär des Ministerrats:
I.V.:
gez. Levin Frhr. v. Gumppenberg
Oberregierungsrat