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Nr. 63MinisterratssitzungDonnerstag, 28. April 1949 Beginn: 15 Uhr 30 Ende: 19 Uhr 45
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Hans Ehard, stv. Ministerpräsident Dr. Müller, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Finanzminister Dr. Kraus, Arbeitsminister Krehle, Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium).1

Entschuldigt:

Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Verkehrsminister Frommknecht, Staatsminister Dr. Pfeiffer, Sonderminister Dr. Hagenauer, Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium).

Tagesordnung:

I. Bericht des Herrn Ministerpräsidenten über Bonn. II. Flüchtlingsfragen. III. Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Bayerischen Staates für das Rechnungsjahr 1949 (Haushaltsgesetz). IV. Kohlenbergwerk sowie Kalk- und Zementwerk Marienstein. V. Personalangelegenheiten. VI. Friedhofsgelände in Flossenbürg. [VII. Disziplinargerichte].

Zu Beginn des Ministerrats beglückwünscht Ministerpräsident Dr. Ehard Staatsminister Dr. Kraus zum 70. Geburtstag und dankt ihm für sein unermüdliches tatkräftiges Eintreten für die Interessen Bayerns auf dem Gebiet der Finanzen.

Staatsminister Dr. Kraus dankt daraufhin dem Herrn Ministerpräsidenten und den Mitgliedern des Kabinetts für ihre Glückwünsche.

I. Bericht des Herrn Ministerpräsidenten über Bonn

Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt einleitend, die neue Situation, die sich in Bonn ergeben habe, mache es notwendig, in der nächsten Woche einen außerordentlichen Ministerrat einzuberufen.2 Für heute wolle er nur auf folgendes hinweisen: Bekanntlich sei durch das Dokument I der Außenministerkonferenz 3 den deutschen Ministerpräsidenten Vollmacht und Auftrag gegeben worden, ein Grundgesetz zu entwerfen, das einen Bundesstaat auf föderalistischer Grundlage vorsehe, ferner die Rechte der Länder in finanzieller und staatsrechtlicher Hinsicht sichere, gleichzeitig aber auch eine Bundesregierung schaffe, die Deutschland nach außen vertreten könne. Bis 25. März 1949 sei von Seiten der Alliierten durch wiederholte Demarchen mit zunehmender Intensität darauf hingewiesen worden, daß Dokument I nicht genügend beachtet sei.4 Die ablehnende Haltung der SPD habe sich in den letzten Monaten mehr und mehr verschärft, bis schließlich der Parteiausschuß der SPD in Hannover 6 Bedingungen aufgestellt und von deren Erfüllung die Zustimmung zum Grundgesetz abhängig gemacht habe.5 Die Alliierten hätten nun bekanntlich plötzlich ihren ursprünglichen Standpunkt geändert, so daß am vergangenen Montag bei einer Besprechung in Frankfurt zwischen den Generälen und 17 Vertretern des Parlamentarischen Rates eine Einigung zwischen den Parteien erreicht worden sei.6 Allerdings liege noch kein endgültiger Text vor und die Referate, die er über die Einigung in Bonn gehört habe, hätten in keiner Weise ein klares Bild ergeben. Wie nun das Grundgesetz eigentlich aussehe, wisse er nicht; teilweise sei auch erklärt worden, man könne noch nicht von einer Vereinbarung, sondern nur von einer Absprache über die Grundlinien des Entwurfs reden. Jedenfalls habe Dr. Pfeiffer entsprechende Vorbehalte gemacht.

Anschließend stellt Ministerpräsident Dr. Ehard nochmals fest, um welche strittigen Punkte es sich im wesentlichen handle:

Die Frage der Zuständigkeit auf dem Gebiet der Gesetzgebung, die Vollmachten des Bundesrats, die Regelung der Finanzen und kulturellen Fragen.

Staatsminister Dr. Kraus gibt einen Überblick über die beabsichtigte Regelung der Steuern und der Finanzverwaltung und erklärt, man könne sich keinesfalls mit dem Verlust der Umsatzsteuer, die eine krisenfeste Steuer sei, einverstanden erklären.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß Bayern überhaupt nichts hätte erreichen können, wenn es von Anfang an nein gesagt hätte. Er gebe die Hoffnung noch nicht auf, daß vielleicht doch noch gewisse Erfolge zu erzielen seien. Auch im Falle einer Ablehnung sei es nicht gleichgültig, wie das Grundgesetz werde.

Stv. Ministerpräsident Dr. Müller schlägt vor, der Öffentlichkeit gegenüber vorläufig noch keine Festlegung vorzunehmen. Bisher habe er nur erklärt, daß die CSU völlig einig in der Beurteilung der gegenwärtigen Lage sei. Die CSU müsse jedenfalls geschlossen zu einem Ja oder Nein kommen, wobei er selbst mehr zu einem Nein neige. Die Haltung Dr. Adenauers7 in den kulturellen Fragen sei ihm nicht ganz verständlich. Offensichtlich möchte er in Bonn so rasch als möglich abschließen und eine Regierung bilden. Was die beiden großen christlichen Konfessionen betreffe, so sei ihre Haltung in den kulturellen Fragen völlig übereinstimmend.

Der Ministerrat erklärt sich sodann damit einverstanden, zu Beginn der nächsten Woche eine außerordentliche Sitzung abzuhalten.8

II. Flüchtlingsfragen

1. Finanzierung der Landesvertretung der Ausgewiesenen9

Staatssekretär Jaenicke nimmt Bezug auf die am 5. 4. 1949 beim Herrn Ministerpräsidenten stattgefundene Besprechung mit dem Vorstand des Hauptausschusses der Flüchtlinge,10 bei der unter Zustimmung des Finanzministers vereinbart worden sei, daß der Hauptausschuß für die Landesvertretung einen Betrag von ca. 25000 DM erhalten solle. Unabhängig davon laufe noch ein Antrag des Hauptausschusses, seine eigenen Mittel von 150000 auf 183 000 DM zu erhöhen. Er halte es nicht für richtig, wenn lediglich die Landesvertretung berücksichtigt werde und der Hauptausschuß, also die eigentliche gesetzliche Vertretung der Flüchtlinge, nicht. Vielleicht könne man aber die vom Hauptausschuß beantragte Erhöhung seiner Mittel auf 10000 DM begrenzen.

Ministerpräsident Dr. Ehard unterstreicht diese Ausführungen und tritt dafür ein, unter allen Umständen den Hauptausschuß selbst auch zu berücksichtigen. Jedenfalls dürfe keine unmittelbare Finanzierung der Landesvertretung vorgenommen werden.

Staatsminister Dr. Kraus erklärt sich grundsätzlich mit der von Herrn Staatssekretär Jaenicke vorgeschlagenen Regelung einverstanden, weist aber darauf hin, daß wegen der Einzelheiten noch verhandelt werden müsse.

Der Ministerrat beschließt sodann bekanntzugeben, daß grundsätzlich die Mittel des Hauptausschusses den Erfordernissen entsprechend erhöht werden sollen und daß der Hauptausschuß darüberhinaus einen Zuschuß erhalten solle, den er nach seinem Ermessen für die Zwecke der Landesvertretung verwenden könne. Die Einzelheiten sollen noch durch eine Besprechung zwischen Herrn Staatssekretär Jaenicke und dem Finanzministerium geklärt werden.

2. Übernahme von Ausgewiesenen in die französische Zone

Staatssekretär Jaenicke berichtet über den bisherigen Verlauf der Verhandlungen in Frankfurt über die Übernahme von Flüchtlingen aus Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Bayern im Verhältnis 2:1:1. Die größten Schwierigkeiten habe ihm dabei Ministerpräsident Lüdemann11 von Schleswig-Holstein gemacht, bezeichnenderweise dabei unterstützt von dem hessischen Vertreter, obwohl Hessen an der ganzen Aktion überhaupt nicht beteiligt sei. Gewisse Mißverständnisse mit Südwürttemberg, die durch verschiedene Intrigen entstanden seien, hätten sich aber in der Zwischenzeit aufgeklärt.

Gestern habe man die Frage eines Finanzausgleichs über die Übernahme behandelt, bei der als Vertreter des Bayer. Finanzministeriums Oberregierungsrat Wagenhöfer12 zugegen gewesen sei. Zunächst habe es den Anschein gehabt, als ob die französische Zone die ersten 120000 Flüchtlinge bedingungslos übernehmen wolle, während erst bei den restlichen 180000 eine finanzielle Regelung vorausgehen müsse. Nunmehr habe sich aber herausgestellt, daß eine finanzielle Regelung auch Voraussetzung für die Übernahme der 120000 sei. Es handle sich in der Hauptsache um die Transportkosten und Fürsorgesätze für 4 Monate. Er habe vorgeschlagen, diese Kosten nicht zu bezahlen, sondern der französischen Zone mit einer Anleihe beizustehen, die aber von allen deutschen Ländern entsprechend ihrem Steueraufkommen aufgebracht werden müsse. Dieser Vorschlag habe allgemeine Zustimmung gefunden, mit Ausnahme von Schleswig-Holstein, das überhaupt keine Kosten übernehmen wolle.

Die Situation stelle sich nun so dar, daß die abgebenden Länder die Transportkosten übernehmen, während die übernehmenden Länder als Übergangshilfe einen Betrag von 200 DM pro Kopf als zinsloses Darlehen erhalten sollen. Eine endgültige Abdeckung des Kredits solle dann in einem abschließenden Finanzausgleich erfolgen. Der zunächst auf Bayern treffende Betrag könne auf ungefähr 6, 4 Millionen [DM] beziffert werden. Was die Überführung selbst betreffe, so sei die Durchführung der Aktion so schwierig, daß im Laufe des heurigen Jahres wohl nur 30000 Flüchtlinge abgegeben werden könnten.

3. [Flüchtlingskredite]13

Anschließend wird noch kurz die Frage der Flüchtlingskredite14 besprochen, wobei Ministerpräsident Dr. Ehard feststellt, daß es seiner Ansicht nach noch an der nötigen Zusammenfassung fehle.

Staatssekretär Jaenicke weist darauf hin, daß er schon vor längerer Zeit einen Antrag auf Bildung eines interministeriellen Ausschusses für die Flüchtlingskredite gestellt habe.

Staatsminister Dr. Kraus teilt mit, eine entsprechende Regelung werde zur Zeit unter Einschaltung des Wirtschaftsministeriums vorbereitet.

III. Gesetz über die Feststellung des Haushaltsplans des Bayerischen Staates für das Rechnungsjahr 1949 (Haushaltsgesetz)

Staatsminister Dr. Kraus berichtet kurz über den vorliegenden Gesetzentwurf15 und ersucht um Verabschiedung, da die Angelegenheit dringlich sei.16

Der Ministerrat stimmt sodann dem Haushaltsgesetzentwurf in unveränderter Form zu und beschließt, den Gesetzentwurf gemäß Art. 40 der Bayer. Verfassung dem Bayer. Senat zur Stellungnahme zuzuleiten.17

IV. Kohlenbergwerk sowie Kalk- und Zementwerk Marienstein18

Abgeordneter Emmert 19 als Vertreter des Wirtschaftsministeriums weist darauf hin, daß eine Änderung der Besitzverhältnisse in Marienstein schon deshalb nicht möglich sei, weil die Freigabe des Bergwerks durch die Militärregierung noch nicht erfolgt sei. Was die Vorschläge des Finanzministeriums betreffe, so sei Vorschlag III von vorneherein undurchführbar, da beide Gesellschaften überschuldet seien.20

Ministerpräsident Dr. Ehard meint, man könne also in dieser Angelegenheit zunächst gar nichts tun und müsse abwarten, bis die Eigentumsverhältnisse geklärt seien.

Abgeordneter Emmert weist noch darauf hin, daß bereits Anträge auf Zwangsvollstreckung vorliegen und daß ferner heute eine Entscheidung fallen solle, welche Zuschüsse von der Deutschen Kohlenbergbauleitung21 gewährt werden könnten.

Ministerialrat Freudling 22 vom Finanzministerium betont, daß das Gutachten des Herrn Dr. Ing. Langecker hoffnungslos sei;23 Marienstein benötige im Jahr einen Zuschuß von rund 1 Million DM, während außerdem in den nächsten Jahren für Investitionen 2–3 Millionen DM aufgewendet werden müßten.

Nachdem Abgeordneter Emmert einen Überblick über die Lage des oberbayerischen Pechkohlenbergbaues24 gegeben hat, erklärt Staatsminister Krehle, mit der Liquidierung von Marienstein würden 800 Arbeiter arbeitslos. Das müsse unter allen Umständen verhindert werden. Er selbst könne allerdings aus den Mitteln des Arbeitsstockes25 keinen Betrag zur Verfügung stellen, da diese Mittel zweckgebunden seien.

Ministerpräsident Dr. Ehard stellt abschließend fest, zunächst müsse bis 1. Juli 1949 weitergemacht werden, da vorher die Eigentumsverhältnisse nicht geklärt seien. Bis zu diesem Zeitpunkt benötige man aber einen Zuschuß von 500000 DM, von dem aber wahrscheinlich die deutsche Kohlenbergbauleitung 230000 DM übernehmen werde. Die Frage der endgültigen Finanzierung könne im Augenblick nicht geklärt werden, sie müsse zunächst noch offen gelassen werden, wenn man sich auch im wesentlichen über die einzuschlagende Richtung klar sei.26

V. Personalangelegenheiten

1. Ernennung von Regierungspräsidenten

Der Ministerrat beschließt nach längerer Aussprache, die Besetzung der freigewordenen Regierungspräsidenten-Stellen in München und Augsburg zunächst noch zurückzustellen, dagegen den bisherigen kommissarischen Regierungspräsidenten von Oberfranken, Dr. Gebhard,27 endgültig zum Regierungspräsidenten zu ernennen.

2. Der Ministerrat stimmt der Ernennung des bisherigen Senatspräsidenten Walther28 zum Präsidenten des Oberlandesgerichts Nürnberg zu.

3. Der Ministerrat ist mit der Ernennung des Konservators Professor Dr. Hans Gebhart29 zum Direktor der Staatlichen Münz-Sammlung einverstanden.

4. Landespersonalamt30

a) Es wird beschlossen, Herrn Ministerialrat Dr. Peter Erber31 vom Sonderministerium mit Wirkung vom 1. Juni 1949 zum Generalsekretär des Bayer. Landespersonalamtes zu ernennen.

b) Ministerpräsident Dr. Ehard teilt mit, als Nachfolger des ausgeschiedenen Mitglieds des Landespersonalamtes, des Herrn Abgeordneten Georg Reuter,32 sei Direktor Enzensberger33 von den Bayer. Elektrizitätswerken vorgeschlagen worden. Er ersuche um Zustimmung.

Der Ministerrat beschließt, Direktor Enzensberger zum Mitglied des Landespersonalamtes zu berufen.

5. Der Ministerrat stimmt der Ernennung des Ministerialrats im Kultusministerium, Eugen Mayer,34 zum Ministerialdirigenten zu.

6. Der Ministerrat ist mit der Wiedereinstellung des Reichsrichters beim ehem. Reichsfinanzhof, Dr. Rudolf Koch,35 als Richter am Obersten Finanzgerichtshof36 in Besoldungsgruppe B 7a einverstanden.

7. Fall Dr. Schwarzmann

Ministerpräsident Dr. Ehard berichtet über die Angriffe des Abgeordneten Loritz gegen Dr. Schwarzmann37 und die Äußerung, die er selbst auf einer Pressekonferenz dazu abgegeben habe.38 Er beabsichtige nicht, Herrn Dr. Schwarzmann auf Druck des Herrn Loritz aus der Staatskanzlei zu entlassen.39

VI. Friedhofsgelände in Flossenbürg

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt ein Schreiben des Herrn Generalanwalts Dr. Auerbach bekannt, in dem die Bayer. Staatsregierung gebeten wird, das Friedhofsgelände des ehem. Konzentrationslagers Flossenbürg unter internationalen Schutz zu nehmen.40 Die Bayer. Staatsregierung sei natürlich nicht in der Lage, diesen Wunsch zu erfüllen; man könne sich aber bereiterklären, das Friedhofsgelände in staatlichen Schutz und Pflege zu übernehmen.

Nach kurzer Aussprache wird folgender Beschluß gefaßt:

„Die Bayer. Staatsregierung nimmt das Friedhofsgelände des ehem. Konzentrationslagers Flossenbürg in staatlichen Schutz und Pflege. Das B. Staatsministerium für Unterricht und Kultus wird beauftragt, die Ausführung dieses Beschlusses zu übernehmen und die Verbindung mit den beteiligten Kreisen des In- und Auslandes aufzunehmen.“41

[VII. Disziplinargerichte]

Staatsminister Krehle betont die Notwendigkeit, möglichst bald Disziplinargerichte ins Leben zu rufen. Der in seinem Ministerium spielende Fall des Ministerialrats Schieckel42 sei seit 11/2 Jahren unerledigt, da die Disziplinargerichte noch nicht arbeiteten.

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
In Vertretung
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Regierungsdirektor
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Anton Pfeiffer
Staatsminister