Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Justizminister Dr. Müller, Innenminister Dr. Ankermüller, Kultusminister Dr. Hundhammer, Finanzminister Dr. Kraus, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Krehle, Verkehrsminister Frommknecht, Staatsminister Dr. Pfeiffer (Bayer. Staatskanzlei), Staatssekretär Dr. Konrad (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Schwalber (Innenministerium), Staatssekretär Fischer (Innenministerium-Oberste Baubehörde), Staatssekretär Dr. Sattler (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Grieser (Arbeitsministerium), Staatssekretär Geiger (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Sühler (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Sedlmayr (Verkehrsministerium), Staatssekretär Sachs (Sonderministerium), Ministerialdirektor Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Senatspräsident Bodenstein (Sonderministerium), Oberstlandesgerichtsrat Kuchtner (Justizministerium).
Staatssekretär Jaenicke (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Müller (Finanzministerium).
I. Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung. [II. Beflaggung am Neujahrstag]. [III. Entwurf eines Gesetzes über die Änderung des Gesetzes über Zuwendungen an berufsmäßige Wehrmachtsangehörige und ihre Hinterbliebenen]. [IV. Personalangelegenheiten]. [V. Bayerischer Pilgerzug nach Rom]. [VI. Rückblick auf das Jahr 1949].
Dr. Müller teilt mit, auf den dem Kabinett vorliegenden Entwurf habe sich das Justizkollegium in seiner letzten Sitzung geeinigt.2
Stv. MinisterpräsidentKuchtner berichtet, dieser Entwurf schließe sich an die Systematik des Befreiungsgesetzes an und sehe vor, daß nur mehr gegen Hauptschuldige oder Belastete ein Verfahren durchgeführt werden solle, während in allen übrigen Fällen das Verfahren durch Beschluß einzustellen sei. Die §§ 13 und 24 schlössen sich an den Entwurf des B. Staatsministeriums für Sonderaufgaben an.5
Oberstlandesgerichtsrat6 habe in Abweichung vom bisherigen Entwurf des Justizkollegiums bestimmt, daß nicht von der Gleichstellung als solcher ausgegangen werde, sondern daß diese in den einzelnen Punkten wieder hergestellt werde, in denen sie bisher nicht gegeben gewesen sei; dies beträfe insbesondere die Tätigkeitsbeschränkungen, das aktive und passive Wahlrecht und die Fähigkeit, öffentliche Ämter zu bekleiden. Die Ausnahmen von der Gleichstellung seien in den Abs. 3 und 4 enthalten in Verbindung mit § 7.7 Dabei könne die Frage der Verordnung Nr. 1138 nur in der Form des Abs. 3 geregelt werden, wonach Artikel 649 unberührt bliebe.
§ 3Sachs erklärt, er habe den Vorschlag gemacht, den Abschluß der politischen Befreiung von den Folgen der Entnazifizierung zu trennen, da es sich hier um eine politische Frage handle. Er befürchte schwierige Verhandlungen im Parlament gerade über die Aufhebung der Folgen der Entnazifizierung. Vielleicht wäre es das zweckmäßigste, gleichzeitig mit diesem Gesetz ein Gesetz über die Folgen einzubringen, damit könnte man erreichen, daß das erste Gesetz ohne Verzug erledigt werde.
StaatssekretärDr. Ehard und Stv. Ministerpräsident Dr. Müller teilen diese Auffassung nicht, zumal vereinbart worden sei, den vorliegenden Entwurf gleichzeitig an die Landtage zu bringen.
MinisterpräsidentSachs weist noch auf die Schwierigkeiten hin, die schon jetzt wegen des Bundesamnestiegesetzes aufgetreten seien.10 Auch das hessische Gesetz über den Abschluß der politischen Befreiung werde noch überprüft und man könne nicht absehen, wie diese Prüfung ausfallen werde.11 Es berühre ihn auch eigenartig, daß das Justizkollegium, das sich doch aus den Justizministern aller Zonen zusammensetze, einen Gesetzentwurf vorlege, der nur für die amerikanische Zone gültig sei.12
StaatssekretärDr. Ehard erwidert, man müsse nun doch diesen Entwurf zur Grundlage machen und es frage sich nur, ob man ihn in der Form, in der er vorliege, an den Landtag weiterleiten könne.
MinisterpräsidentZweifellos sei § 3 sehr bedeutsam, nachdem hier alle Tätigkeitsbeschränkung aufgehoben und insbesondere die Frage des Wahlrechts klar gelöst sei. Er halte es schon für richtig, diese Fragen in dem Gesetz selbst zu regeln. Man könne ja in der Begründung darauf hinweisen, wer sich alles damit befaßt habe und wie man sich darauf geeinigt habe.
Sachs verweist darauf, daß es außer den Mitläufern und Entlasteten noch andere Gruppen gebe, die in § 3 Abs 1. nicht erwähnt seien, z.B. die Gruppen der Weihnachts-, Heimkehrer- und Jugendamnestie. Bekanntlich sei ja in der Verordnung Nr. 113 von diesen Amnestierten die Rede.
StaatssekretärDr. Ehard stellt sich auf den Standpunkt, daß es wohl wichtig sei, sich auf die Gruppen des Gesetzes selbst zu beschränken; er glaube nicht, daß hier irgendwelche Schwierigkeiten auftreten könnten.
MinisterpräsidentKuchtner referiert über Art. 4,13 der unter anderem festsetze, daß Maßnahmen, die zum Zwecke der Sicherung der Wiedergutmachung erforderlich gewesen seien, aufrechterhalten werden müssen. Die Einstufung selbst sei nicht nachprüfbar, sondern nur die verhängten Sühnemaßnahmen. Nach Abs. 4 sollten insbesondere Wohnungs- und Aufenthaltsbeschränkungen wegfallen, Maßnahmen, die praktisch an sich keine Rolle gespielt hätten.
OberstlandesgerichtsratSachs erklärt, er habe gegen diesen § erhebliche rechtliche und fachliche Bedenken: Zunächst sei man in Bayern mit dem Abschluß der Entnazifizierung bedeutend weiter als in allen anderen Ländern, weil man bei uns über den Art. 53 des Befreiungsgesetzes14 eigentlich bereits alles schon erledigt habe, z. B. Berufsverbote, teilweise Einziehung des Vermögens usw. Wenn man nun den Berufungskammern eine nochmalige Überprüfung überlasse, so wird eine unhaltbare Situation entstehen. An sich habe er damit gerechnet, mit den Berufungskammern bis 1. April 1950 aufhören zu können, unter diesen Umständen würden sie sich aber noch jahrelang hinziehen. Jedenfalls müsse diese Bestimmung für Bayern in Wegfall kommen, sie sei lediglich im Interesse von Württemberg-Baden und Hessen gemacht worden. Er wiederhole nochmals, daß durch die weite Auslegung des Art. 53 in Bayern in fast allen Fällen bereits eine Überprüfung stattgefunden habe.
StaatssekretärKuchtner berichtet, die anderen Länder seien unter keinen Umständen bereit, von den Überprüfungsmöglichkeiten des § 4 abzusehen. Gegen den Weg des Gnadenerweises seien vor allem rechtsstaatliche Gesichtspunkte geltend gemacht worden, unter anderem sei es eine unzulässige Ausdehnung des Gnadenweges, wenn ganze Gruppen begnadigt würden. Hier handle es sich um Rechtsmaßnahmen, die nur in einem richtigen Verfahren durchgeführt werden könnten. Er halte es nicht für möglich, daß Bayern hier eigene Wege gehe.
OberstlandesgerichtsratDr. Ehard schlägt vor zu überlegen, ob nicht für Bayern eine Sonderregelung getroffen werden könnte. Nachdem auf dem Weg über den Art. 53 schon eine Reihe von Sühnemaßnahmen beseitigt worden seien, könne doch nicht mehr sehr viel übrig bleiben.
MinisterpräsidentSachs antwortet, trotzdem würden zweifellos eine Unzahl von Betroffenen die Möglichkeit des § 4 ausnützen. Der einzige Ausweg, den er noch vorschlagen könne, sei der, die Überprüfung dem Kassationshof zu übertragen.
StaatssekretärDieser Vorschlag findet allgemeine Zustimmung.
Dr. Ehard erklärt dazu noch, die Einwände des Herrn Staatssekretärs Sachs seien zweifellos ernst zu nehmen und er glaube auch, daß mit einer Zusammenfassung beim Kassationshof ein großer Teil der Gefahren beseitigt sei.
MinisterpräsidentDr. Müller macht darauf aufmerksam, daß der Kassationshof mit aller richterlichen Unabhängigkeit ausgestattet werden müsse.
Stv. MinisterpräsidentDr. Hundhammer hält es für bedenklich, so wie bisher vorgesehen in § 4 Maßnahmen zu Gunsten der Hauptschuldigen und Belasteten zu treffen. Dem Vorschlag, den Kassationshof als unabhängiges Gericht einzusetzen, stimme er zu.
StaatsministerEs wird daraufhin beschlossen, den § 4 des Gesetzentwurfs des Justizkollegiums insofern zu ändern, daß in Abs. 1 an die Stelle der „Berufungskammern� der „Kassationshof“ zu treten hat. Entsprechend sind die übrigen Absätze zu ändern.
Als neuer Absatz 2 wird folgende Bestimmung eingefügt:
„Der Kassationshof entscheidet mit richterlicher Unabhängigkeit in der Besetzung mit 3 Mitgliedern. Die Entscheidung ist unanfechtbar.“
Ferner wird beschlossen, im früheren Abs. 5 jetzt Abs. 6, Satz 2 „Der Träger ... zu hören“ zu streichen.
Dr. Ringelmann wird noch beschlossen, Satz 1 des jetzigen Absatzes 6 folgende Fassung zu geben:
Auf Vorschlag von Ministerialdirektor„Soweit Versorgungsbezüge wieder zugebilligt werden sollen, ist die Zustimmung des Trägers der Versorgungslast einzuholen.
§ 5 bleibt unverändert.
15 Auf Vorschlag des Herrn Senatspräsidenten Bodenstein 16 erhält § 6 folgende Fassung:
Zu § 6:17 bleibt unberührt“.
„Entscheidungen nach Art. 53 des Befreiungsgesetzes werden nicht mehr getroffen, soweit eine Nachprüfung durch den Kassationshof gem. § 4 dieses Gesetzes zulässig ist. Der Gnadenweg nach Art. 54Zu den §§ 7 und 8 werden keine Änderungen vorgeschlagen.
18 folgende Fassung:
Dagegen erhält § 9�Die Staatsregierung ist ermächtigt, Entscheidungen, die auf dem Gebiet der Befreiung des deutschen Volkes von Nationalsozialismus und Militarismus in einem anderen Lande der Bundesrepublik Deutschland gegen einen Betroffenen ergangen sind oder ergehen, für das Land Bayern allgemein anzuerkennen.“
Abs. 2: „Die Anhängigkeit eines dem Verfahren nach dem Befreiungsgesetz entsprechenden Verfahrens in einem anderen Lande der Bundesrepublik Deutschland steht der Durchführung eines Verfahrens in Bayern entgegen.
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Der Ministerrat beschließt abschließend, dem Gesetzentwurf im übrigen zuzustimmen.Dr. Ehard gibt ein Schreiben des Bundesinnenministeriums bekannt, in dem gebeten wird, an bestimmten Tagen die öffentlichen Gebäude zu beflaggen, unter anderem am Neujahrstag.
MinisterpräsidentDer Ministerrat entscheidet sich dahin, die Beflaggung nur an besonders wichtigen Tagen durchzuführen und am 1. Januar 1950 davon abzusehen.
Dr. Ehard erkundigt sich, ob inzwischen eine Einigung zwischen den Staatsministerien der Finanzen und für Arbeit und Soziale Fürsorge zustande gekommen sei und ob er den Entwurf nun dem Landtag zuleiten könne.
MinisterpräsidentDr. Grieser stellt fest, daß man sich noch nicht endgültig geeinigt habe.
StaatssekretärDr. Kraus erklärt, er müsse sich auf seinen Referenten, Ministerialdirektor Kallenbach22 verlassen, der ein sehr erfahrener Kenner der ganzen Materie sei. Er wolle nochmals mit ihm sprechen und dann endgültige Mitteilung machen.23
Staatsminister24 zum Ministerialdirektor im Staatsministerium der Justiz zu ernennen.
Auf Vorschlag des Herrn Staatsministers der Justiz beschließt der Ministerrat, Herrn Senatspräsidenten WaltherDr. Hundhammer berichtet sodann eingehend über die Reise des bayerischen Pilgerzuges nach Rom und den Empfang der bayerischen Kabinettsmitglieder26 beim Hl. Vater.27
StaatsministerDr. Ehard beschließt den Ministerrat mit einer Ansprache an das Kabinett, in der er für die Mitarbeit im vergangenen Jahr dankt und alles Gute für das Jahr 1950 wünscht.
MinisterpräsidentDr. Kraus erwidert die Wünsche im Namen des Kabinetts und drückt seine Genugtuung darüber aus, daß unter der Ministerpräsidentschaft des jetzigen Ministerpräsidenten so vieles für Bayern Wertvolle hätte geschehen können. Er müsse auch bei dieser Gelegenheit noch einmal hervorheben, daß gerade durch den Herrn Ministerpräsidenten beim Zustandekommen des Grundgesetzes unendlich vieles geleistet worden sei. Wenn es überhaupt eine Ländervertretung in der Gestalt des Bundesrates beim Bund gibt, so sei das einzig und allein sein Verdienst und niemand könne das auch im geringsten in Zweifel ziehen. Die künftige Fortentwicklung im föderalistischen Sinne beruhe im wesentlichen auf dieser Tatsache. Er halte sich für besonders verpflichtet, gerade für diese Tat seinen und aller übrigen Kabinettsmitglieder besonderen Dank auszusprechen.
StaatsministerDr. Ehard erwidert kurz auf die Ansprache des Herrn Staatsministers Dr. Kraus und fordert sodann zu einer stillen Gedenkminute für den im Laufe des Jahres 1949 verstorbenen Staatsminister Dr. Hagenauer28 auf.
Ministerpräsident