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EinleitungD

I. Quellencharakteristik

Für das Kabinett Ehard III, das als große Koalition vom 18. Dezember 1950 bis zum 14. Dezember 1954 amtierte, sind insgesamt 241 Ministerratsprotokolle überliefert. Im vorliegenden Editionsband kommen davon 56 Protokolle aus dem Zeitraum vom 8. Januar 1953 bis zum 29. Dezember 1953 zum Abdruck.1

Bei sechs der 56 Kabinettssitzungen handelt es sich um außerordentliche Ministerratssitzungen, von denen allein drei in den Monat Januar fielen. Sie wurden aus Anlaß der Aufstellung des Staatshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1953 einberufen.2 Erneut auf der Tagesordnung eines außerordentlichen Ministerrats stand der Haushaltsplan 1953 am 29. Juli 1953;3 die zwei außerordentlichen Ministerratssitzungen am 12. und 14. Dezember dienten der Besprechung der Auseinandersetzung zwischen Bayern und dem Bund vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe um die Auszahlung von Weihnachtszulagen an Staatsbedienstete4 sowie der Aufstellung des Staatshaushalts 1954.5

Die Ministerratssitzungen fanden weiterhin in ihrem wöchentlichen Turnus am Dienstagvormittag statt – zeitlich zwischen den am Montag stattfindenden Koordinierungsbesprechungen für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei6 und den in aller Regel zur Wochenmitte beginnenden Bundesratsberatungen in Bonn gelegen. Wenige Ausnahmen von dieser Regel finden sich nur für die Sitzungen vom 8. Januar, die an einem Donnerstag stattfand, für den Ministerrat vom 16. März, vom 3. August sowie vom 7. Dezember – jeweils an einem Montag –, und schließlich für die Kabinettssitzung vom 16. September, die an einem Mittwoch abgehalten wurde. Der wöchentliche Sitzungsturnus wurde nur zweimal, zwischen dem 31. März und dem 15. April wegen des Osterfestes und zwischen dem 25. August und 8. September – in der Sommerferienzeit – für jeweils 14 Tage unterbrochen. Von den sechs außerordentlichen Ministerratssitzungen wurden zwei auf einen Montag gelegt (19. Januar und 14. Dezember), zwei auf einen Mittwoch (21. Januar und 29. Juli) und eine auf einen Samstag (12. Dezember). Zwischen Montag, dem 19. Januar, und Mittwoch, dem 21. Januar, wurden an drei aufeinanderfolgenden Tagen zwei außerordentliche und eine reguläre Kabinettssitzung abgehalten. Am Dienstag, dem 27. Januar, fand vormittags eine reguläre, am Abend eine außerordentliche Ministerratssitzung statt.

Der Ministerrat tagte im Sitzungssaal der Staatskanzlei in der Münchener Prinzregentenstraße 7, dem früheren preußischen Gesandtschaftsgebäude. Am 16. März allerdings versammelte sich das Kabinett nicht in der Staatskanzlei, sondern im Saal der unmittelbar benachbarten Schack-Galerie in der Münchener Prinzregentenstraße Nr. 97 – dem späteren regulären Sitzungsort des Ministerrats –, und am 25. August kamen die Regierungsmitglieder am Tegernsee zur Beratung zusammen.8

Die Einberufung zum Ministerrat erfolgte durch den Ministerpräsidenten oder den Stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Ausfertigung und Unterzeichnung der Einladungen durch den Generalsekretär des Ministerrates oder einen seiner Stellvertreter.9 Wie bereits in den Jahren zuvor zeichnete Regierungsdirektor Levin Freiherr von Gumppenberg10 die überwiegende Mehrzahl der Einladungen, zwölf Einladungsschreiben tragen die Unterschrift von Oberregierungsrat Hans Kellner11 von der Staatskanzlei. Die Einladungen zu den Kabinettssitzungen gingen den Regierungsmitgliedern in der Regel vier bis fünf Tage vor dem angesetzten Termin zu. Zu zwei Kabinettsprotokollen existieren keine Einladungen, es handelte sich hierbei um die zwei außerordentlichen Ministerratssitzungen vom 29. Juli und 12. Dezember. Den Einladungen waren stets vorläufige Tagesordnungen beigefügt, die sich zumeist aber nur partiell mit der tatsächlich im Kabinett verhandelten Agenda deckten. Den Kabinettsmitgliedern wurden auch im Regierungsjahr 1953 weiterhin keine Vorlagen zur Sitzungsvorbereitung übersandt, obwohl der Ministerpräsident dies in der konstituierenden Sitzung des Kabinetts Ehard III vom 20. Dezember 1950 angekündigt hatte.12

Von den Regierungsmitgliedern blieben im Schnitt drei pro Kabinettssitzung entschuldigt fern. Nur im Ministerrat vom 21. April waren sämtliche Kabinettsmitglieder anwesend, in der Sitzung vom 13. Oktober fehlte als einziger Arbeitsminister Oechsle. Bei differenzierter Betrachtung der An- und Abwesenheitslisten ergeben sich einige deutliche Auffälligkeiten, die sich an die Tendenz vorangegangener Regierungsjahre anschließen: Wirtschaftsminister Seidel fehlte – ganz ähnlich und annähernd so oft wie im Jahre 1952 – in 19 Sitzungen, ebenso Justizstaatssekretär Koch. Arbeitsminister Oechsle nahm an 17 Kabinettssitzungen nicht teil; Innenstaatssekretär Nerreter war 14 mal, Justizminister Weinkamm war zehnmal, Kultusminister Schwalber elfmal entschuldigt. In ähnlichen Größenordnungen bewegten sich die Absenzen von Flüchtlingsstaatssekretär Oberländer, Kultusstaatsekretär Brenner und Landwirtschaftsstaatssekretär Maag (alle jeweils elf Fehltage); Wirtschaftsstaatssekretär Guthsmuths ließ sich in neun Sitzungen entschuldigen. Finanzstaatssekretär Ringelmann fehlte in zehn, sein Vorgesetzter Zietsch in nur sieben Kabinettssitzungen. Erneut auffällig sind die regelmäßigen Präsenzen des früheren bayerischen Arbeitsministers und nunmehrigen Staatssekretärs im Arbeitsministerium Krehle (drei Absenzen), der in den Protokollen nach wie vor sehr unauffällig bleibt. Der Stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Hoegner blieb dem Ministerrat nur zweimal fern. In vier Sitzungen führte Wilhelm Hoegner den Vorsitz im Ministerrat,13 als Ministerpräsident Ehard sich vom 15. Juni bis 17. Juli auf einer Amerika-Reise befand; abgesehen von diesem Zeitraum war der Regierungschef in allen Kabinettssitzungen anwesend. Sonderfälle sind jedoch die Protokolle Nr. 139, Nr. 155 und Nr. 189: Im außerordentlichen Ministerrat vom 21. Januar stieß Ministerpräsident Ehard mit Verspätung hinzu, im Ministerrat vom 12. Mai war er erst ab Tagesordnungspunkt IV anwesend, und im außerordentlichen Ministerrat vom 14. Dezember ist Hans Ehard zwar als Anwesender aufgeführt, er tritt allerdings nur ein einziges Mal als Sprecher auf und das Protokoll endet mit der Feststellung, die Frage des Haushaltsfehlbetrages 1954 „in der Ministerratssitzung vom 15. Dezember 1953 in Gegenwart des Herrn Ministerpräsidenten zu besprechen.“ Es ist davon auszugehen, daß der Regierungschef dieser Kabinettssitzung nur zeitweise beiwohnte. Eine große Ausnahme stellt mit Blick auf die Sitzungsteilnahme ferner Landwirtschaftsminister Schlögl dar, der mit 28 Fehltagen nur an exakt der Hälfte der Kabinettssitzungen teilnehmen konnte. Ursächlich war eine ernste Erkrankung, die Staatsminister Schlögl vom 20. Oktober 1953 bis zum 25. Januar 1954 durchgehend von seiner Teilnahme am Ministerrat abhielt.

Neuer Teilnehmer in der Kabinettsrunde war ab dem 1. Dezember der bisherige BHE-Landtagsabgeordnete Walter Stain.14 Es handelte sich hierbei um die einzige Personalveränderung in der Regierung. Stain folgte Theodor Oberländer zum 24. November im Amt des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen nach, nachdem Oberländer vorausgehend im Oktober als neuer Bundesminister für Vertriebene in die Bundesregierung eingetreten war.15 Stain war dabei nicht die erste Wahl der BHE-Landtagsfraktion für den Staatssekretärsposten gewesen, er galt – Jahrgang 1916 – als eigentlich zu jung. Stain profitierte von dem Umstand, daß gegen den ursprünglich nominierten BHE-Landtagsabgeordneten Herbert Schier16 Gerüchte über Kontakte zu kommunistischen Personen, ja gar über geheimdienstliche Aktivitäten für die Tschechoslowakei kursierten und er daher von der CSU und der Staatsregierung für nicht tragbar gehalten wurde.17

Nach der Bundestagswahl vom 6. September 1953 war auch Innenstaatssekretär Nerreter von der CSU kurz als möglicher künftiger Bundesjustizminister im Gespräch, später im Oktober 1953 dann wurde er als neuer Bundespostminister gehandelt, was Nerreter allerdings ablehnte.18 Neben den Staatsministern und Staatssekretären waren regelmäßige Teilnehmer am Ministerrat der Leiter der Staatskanzlei, Ministerialdirektor Karl Schwend,19 in 43 Sitzungen, sowie der in der Staatskanzlei für Bundesangelegenheiten zuständige Ministerialrat Erich Gerner,20 in 49 Sitzungen. Gerner, der im Ministerrat regelmäßig über die Bundesratsangelegenheiten Bericht erstattete. war im Oktober 1950 zum Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund nach Bonn abgeordnet um zum 1. Oktober 1951 in Nachfolge für den nunmehrigen Beauftragen Bayerns beim Bund, Claus Leusser,21 in die Staatskanzlei versetzt worden. Weiterhin wohnte der Chef des Presse- und Informationsamtes der Staatskanzlei, Franz Baumgärtner,22 50 Ministerratssitzungen bei.23

In etwas verringertem Maße als im Vorjahr24 wurden im Regierungsjahr 1953 Angehörige der Ministerialbürokratie als Sachverständige oder Berichterstatter zum Ministerrat hinzugezogen. In Vertretung für den abwesenden Karl Schwend nahm Ministerialdirigent Fritz Baer25 von der Staatskanzlei am 27. Januar, am 26. Mai, am 9. Juni und am 3. November am Ministerrat teil; ferner war Baer bei den außerordentlichen Ministerratssitzungen vom 21. Januar und vom 14. Dezember anwesend, als der Staatshaushaltsplan 1953 bzw. 1954 auf der Tagesordnung stand. Im außerordentlichen Ministerrat vom 21. Januar waren bei der Beratung des Staatshaushalts darüber hinaus auch der Ministerialdirigent und Leiter der Haushaltsabteilung im Staatsministerium der Finanzen, Josef Traßl26 sowie Ministerialrat Otto Barbarino,27 ebenfalls aus dem Finanzministerium, anwesend. Nur zu vier weiteren Gelegenheiten kamen im Ministerrat noch andere Nicht-Regierungsmitglieder bei einzelnen Tagesordnungspunkten zu Wort: Am 31. März legten Landeslastverteiler Manfred Engl28 und Oberregierungsrat Arnold29 vom Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr ihre divergierenden Ansichten zur Frage der Zuständigkeiten bezüglich der Elektriztätsverteilung in den bayerischen Grenzgebieten dar.30 In der Kabinettssitzung vom 14. Juli referierte der Leiter der Obersten Siedlungsbehörde, Regierungsdirektor Karl Engelhardt,31 in ausdrücklichem Auftrag des abwesenden Landwirtschaftsministers Schlögl über die Frage der Eingliederung von Vertriebenen und DDR-Flüchtlingen in die bayerische Landwirtschaft.32

Im Ministerrat vom 18. August in Tegernsee nahm der Amtschef des Innenministeriums, Ministerialdirektor Carl Platz,33 am Tagesordnungspunkt „Aufhebung des Interzonen-Paßzwangs“ teil;34 ebenfalls nur zu einem Tagesordnungspunkt – betreffend die Frage der Ladenöffnungszeiten an den Sonntagen vor Weihnachten – war Ministerialdirektor Georg Heilmann35 zum Ministerrat vom 1. Dezember geladen.36

Claus Leusser schließlich wohnte dem Ministerrat vom 7. Dezember bei, als das Kabinett den Verfassungsstreit um die Weihnachtszuwendungen 195337 sowie das umstrittenene Straffreiheitsgesetz 38 behandelte – diese juristischen Themen waren wohl so gewichtig, daß die Anwesenheit des Bevollmächtigten Bayerns beim Bund und ehemaligen Bundesverfassungsrichters Leusser als hilfreich angesehen wurde.

Die Mitschrift und die endgültige Abfassung der Ministerratsprotokolle lag wie in den Vorjahren auch zumeist in der Verantwortung des Generalsekretärs des Ministerrates, Levin Freiherr von Gumppenberg. Sieben Protokolle wurden von Oberregierungsrat Hans Kellner ausgefertigt, im Ministerrat vom 17. November übernahm Kellner ab dem Tagesordnungspunkt III die Protokollführung. Bemerkenswerterweise lassen sich dabei hinsichtlich des Stils, des Umfanges und der Gestaltung der Niederschriften der zwei Protokollanten keine signifikanten Charakteristika oder Unterschiede festmachen.

Sowohl von den genannten Protokollführern wie von Ministerpräsident Ehard – in den Fällen, in denen der Stellvertretende Ministerpräsident den Vorsitz im Ministerrat führte, auch von Wilhelm Hoegner – wurden in den Protokollentwürfen des Registraturexemplars im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die die Vorlagen für die endgültigen, an die Teilnehmer des Ministerrates versandten Schlußfassungen bildeten, zum Teil handschriftliche Änderungen und Korrekturen vorgenommen. In aller Regel handelt es sich hierbei um die Berichtigung von Schreib- oder Übertragungsfehlern oder geringfügige sprachlich-stilistische Verbesserungen. Die handschriftlichen Bemerkungen Hans Ehards dienten fast ausschließlich der sachlichen Ergänzung oder der sprachlichen Präzisierung juristischer Sachverhalte. Glättende oder mäßigende sprachliche Eingriffe, die die Diktion der Protokolltexte entschärfen sollten – wie es insbesondere bei den Ministerratsprotokollen der Jahre 1947/48, in weniger ausgeprägter Form auch 1949 noch gängige Praxis gewesen ist –, kamen nur mehr sehr vereinzelt vor.

Die im Registraturexemplar enthaltenen Protokolle sind immer von Ministerpräsident Ehard bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner, dem jeweiligen Protokollführer und dem Leiter der Staatskanzlei Karl Schwend abgezeichnet. Vier Protokolle unterzeichnete Ministerialrat Baer in Vertretung für Karl Schwend; diese Fälle decken sich allerdings nicht genau mit denjenigen Ministerratssitzugen, in denen der Leiter der Staatskanzlei nicht anwesend war: Das Protokoll vom 27. Oktober ist von Baer abgezeichnet, obwohl Schwend am Ministerrat teilgenommen hatte. In zwei Fällen – in den Protokollen vom 11. und 18. August – tragen die Protokolle nur die Unterschrift des Protokollführers und des Ministerpräsidenten.

Ebenfalls mit handschriftlichem Vermerk ist in den Entwürfen des Registraturexemplars stets das Datum genannt, an dem die Protokolle in ihrer endgültigen Fassung den Teilnehmern des Ministerrats zugesandt wurden. Der durchschnittliche zeitliche Abstand zwischen dem protokollierten Sitzungstermin und dem Versand der Niederschriften betrug zwischen zwei und drei Wochen. Gängige Praxis war es auch, mehrere Protokolle gesammelt zu verschicken. Neben den Kabinettsmitgliedern erhielt auch Erich Gerner ein Exemplar des hektographierten Protokolls zur Leitung der Koordinierungsbesprechungen sowie zum Vortrag über Bundesangelegenheiten in den jeweils folgenden Kabinettssitzungen. Analog zum früheren Procedere, dem bayerischen Bevollmächtigten beim Stuttgarter Länderrat ein Protokoll zuzuleiten, darf angenommen werden, daß auch der Bevollmächtigte Bayerns in Bonn, Claus Leusser, ein Exemplar erhielt.

Es ist von der Praxis auszugehen, daß der Protokollführer die Reinschrift nach eigener Durchsicht dem Ministerpräsidenten bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats nochmals zur Genehmigung vorlegte. Nach Durchsicht, Korrektur und Freigabe konnte das Protokoll vervielfältigt und verteilt werden.

Es oblag ansonsten den Ministern und Staatssekretären, die Regierungsbeschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten zur Bekanntgabe und zum Vollzug weiterzuleiten. In vielen Fällen wurden zu diesem Zweck maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten nur den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten.

Bei den Protokollen des bayerischen Ministerrats handelt es sich auch 1953 weiterhin und zumeist um in indirekter Rede gehaltene ausführliche Verlaufsprotokolle. Im Gegensatz zu reinen Ergebnisprotokollen werden hier der Diskussionsverlauf, der Prozeß der Meinungsbildung oder auch sachliche wie persönliche Konfliktlinien im Ministerrat deutlich nachvollziehbar, wenn natürlich auch ein Verlaufsprotokoll nur eine geraffte Form der Wiedergabe darstellt und auch durch oft wiederkehrende Formulierungen wie „nach längerer Debatte“, „nach kurzer Aussprache“ u.ä. offensichtlich die schriftliche Dokumentation kontroverser Debatten im Ministerrat abgemildert oder vermieden werden sollte.

Auch im Jahre 1953 fand mit Blick auf den Protokollcharakter eine markante Veränderung ihre Fortsetzung, die sich ansatzweise bereits im Regierungsjahr 1950 abgezeichnet und im Jahr 1951 deutlich verstärkt hatte – es handelt sich um die teilweise Abkehr vom Verlaufsprotokoll insbesondere mit Blick auf die Dokumentation der Diskussionen der Bundesangelegenheiten. Da sich unter dem im Ministerrat nun regelmäßig abgehandelten Tagesordnungspunkt „Bundesratsangelegenheiten“ eine stetig wachsende Vielzahl von Einzelthemen subsummiert fand, ähneln die betreffenden Protokollabschnitte – wohl aus nachvollziehbaren Gründen der Zeit- und Platzersparnis – jetzt streckenweise der Form eines reinen Ergebnisprotokolls. Vor allem zu offensichtlich wenig umstrittenen Sachfragen finden sich regelmäßig nur sehr kurze allgemein-zusammenfassende Formulierungen wie „Bedenken werden nicht erhoben“, „Der Ministerrat beschließt Zustimmung“, oder „Der Ministerrat beschließt, Stimmenthaltung zu üben“. Auch ist im Zusammenhang mit der Behandlung des Tagesordnungspunktes „Bundesangelegenheiten“ festzuhalten, daß die in den Ministerratsprotokollen dokumentierten Beiträge von Erich Gerner zur Bundesgesetzgebung und zur Tagesordnung des Bundesrates oft wörtlich mit dem in aller Regel sehr knapp formulierten Protokoll der vorangegangenen Koordinierungsbesprechung übereinstimmen.

Die politische Agenda in Bayern und die Regierungspolitik wurden während der Amtszeit der Regierung Ehard III nicht nur am Kabinettstisch behandelt, sondern auch, wie aus manchen Ministerratsprotokollen deutlich wird, in Koalitionsbesprechungen zwischen Vertretern der Regierungsparteien, die in unregelmäßigen Turnus am Montag vor der Kabinettssitzung stattfanden. Zu diesen Koalitionsbesprechungen allerdings wurden in den einschlägigen Archivbeständen keinerlei weiterführende Hinweise, Unterlagen oder Niederschriften ausfindig gemacht.

II. Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

1. Bundespolitik

Das dritte Regierungsjahr des Kabinetts Ehard III war auf der Ebene der Bundespolitik gleichzeitig das letzte Amtsjahr der ersten, am 14. August 1949 gewählten Adenauer-Regierung. Am 6. September 1953 wurde in der Wahl zum zweiten Deutschen Bundestag das zweite Kabinett Adenauer39 bestätigt, und dieser Umstand hatte Konsequenzen für das Ausmaß und die Art der Behandlung bundespolitischer Themen im bayerischen Kabinett – denn die Bundesregierung hatte angesichts der bevorstehenden Bundestagswahlen in der ablaufenden Legislaturperiode im Jahre 1953 die Strategie verfolgt, ihre Gesetzgebungstätigkeit merklich einzuschränken: „Legte die Bundesregierung Wert auf das Inkrafttreten bestimmter einzelner Gesetze, so waren die Chancen dafür um so größer, je weniger Gesetzentwürfe dem Bundestag vorgelegt wurden.“ Bundeskanzler Adenauer hatte Anfang 1953 explizit auf eine „Reduzierung des Programms“ gedrängt.40 In der Tat scheint das Bundestagswahljahr 1953 ursächlich zu sein für eine bemerkenswerte Diskrepanz, die sich in den Ministerratsprotokollen zwischen einer hohen Gesamtquantität der behandelten Bundesangelegenheiten auf der einen und der verhältnismäßig geringen Anzahl zentraler Gesetzgebungsverfahren des Bundes auf der anderen Seite auftut. Die Zahl der in den Protokollen unter dem Tagesordnungspunkt „Bundesratsangelegenheiten“ abgehandelten Unterpunkte ist im Regierungsjahr 1953 in Fortsetzung des Trends der Vorjahre erneut markant angestiegen: So standen beispielsweise im Ministerrat vom 23. Juni allein 56 Bundesratsangelegenheiten auf der Tagesordnung, in der Kabinettssitzung von 14. Juli waren es gar 74 Punkte. Auffällig ist dabei im Jahre 1953 jedoch die große Zahl an Durchführungsverordnungen sowie Änderungs-, Ergänzungs- oder Verlängerungsgesetzen betreffend beispielsweise den Lastenausgleich ,41 den Wohnungsbau,42 das Sozialversicherungswesen,43 die Arbeitslosenversicherung und Arbeitslosenfürsorge44 oder die Regelung der Wiedergutmachung von NS-Unrecht für Angehörige des öffentlichen Dienstes.45 Spürbar angestiegen ist im Vergleich zu den Vorjahren auch die Anzahl der Gesetzentwürfe, die vom Bundesrat und insbesondere von den Fraktionen des Bundestages initiiert wurden, insgesamt handelte es sich hier um 40 Vorlagen. Ebenfalls deutlich vermehrt kommen unter dem Punkt „Bundesratsangelegenheiten“ von der Bundesregierung abgeschlossene internationale Abkommen und Konventionen bzw. die entsprechenden Gesetze hierzu vor. Nur in Auswahl und exemplarisch seien hier genannt das Gesetz über das Zusatzprotokoll vom 20.3.1952 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten ,46 das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu der Konvention vom 9. Dezember 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes ,47 das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Abkommen über die Vorrechte und Befreiungen der Sonderorganisationen der Vereinten Nationen vom 21.11.1947 ,48 das Gesetz über den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zu den vier Genfer Rotkreuz-Abkommen vom 12. August 1949 ,49 das Abkommen mit Österreich und Frankreich über Sozialversicherungsfragen,50 mit der Schweizerischen Eidgenossenschaft über deutsche Vermögenswerte in der Schweiz ,51 mit Japan und Brasilien über Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes,52 mit der Schweiz, Luxemburg und Frankreich über den kleinen Grenzverkehr53 oder mit Italien über die Arbeitslosenversicherung.54

Die beiden wichtigsten bundespolitischen Themen der Ministerratsprotokolle des Regierungsjahres 1953 waren denn auch außenpolitischer Natur: Es handelte sich um das Entschädigungsabkommen mit dem Staate Israel sowie um die Ratifizierungsgesetze zum EVG- und zum Generalvertrag . Beide Angelegenheiten beschäftigten den Ministerrat wiederholt und ausführlich. Die Intensität der Diskussion dieser beiden Punkte im Kabinett war dabei zwei Umständen geschuldet: Zum einen hatte der bayerische Ministerpräsident Hans Ehard von Oktober 1949 bis 1954 den Vorsitz im Bundesratsausschuß für Auswärtige Angelegenheiten – bis zur Umbenennung 1950: für Zwischenstaatliche Beziehungen – inne,55 eine Position, die allein für sich genommen schon einen gewissen Informationsvorsprung in außenpolitischen Angelegenheiten bedeutete und sicherlich auch einen gesteigerten außenpolitischen Gestaltungswillen begründete. Weiterhin und zum zweiten wird hier der Anspruch Ehards auf eine mehr als symbolische Beteiligung der Länder an den außenpolitischen Entscheidungen der Bundesregierung deutlich, die gleichzeitig auch der Stärkung des föderalistischen politischen Binnensystems dienen sollte: Der bayerische Ministerpräsident „versprach sich von einer Durchsetzung eines Mitwirkungsanspruches auf diesem klassischen politischen Feld eine paradigmatische Wirkung für alle anderen politischen Bereiche.“56

Am 10. September 1952 hatte die Bundesregierung mit dem Luxemburger Abkommen eine Globalentschädigung mit Israel in Höhe von 3 Milliarden DM vereinbart, verbunden mit einer Zusatzzahlung in Höhe von 450 Millionen DM zugunsten der Conference on Jewish Material Claims against Germany .57 Dieses Wiedergutmachungsabkommen zwischen dem jungen westdeutschen und dem israelischen Staat, das das erste seiner Art für die Bundesrepublik war, wurde von Seiten der bayerischen Staatsregierung mit nur sehr verhaltenem Enthusiasmus behandelt. Zum einen hatte die Bundesregierung bezüglich des Globalentschädigungsabkommens zunächst eine äußerst zurückhaltende Informationspolitik verfolgt, dann im Februar 1953 aber die Länder dazu gedrängt, das Ratifizierungsgesetz zum Abkommen möglichst zügig durch den Bundesrat zu bringen.58 Zum anderen wurde im Ministerrat auch grundsätzliche und inhaltliche Kritik geübt. Innenminister Hoegner fragte im Ministerrat vom 10. Februar nach der juristischen Notwendigkeit bzw. Zulässigkeit eines solchen Entschädigungsabkommens, da der Staat Israel nicht als Rechtsnachfolger der unter der nationalsozialistischen Herrschaft ermordeten Juden angesehen werden könne. Weitere Einwände bezogen sich auf wirtschaftliche Aspekte: So stand die Befürchtung im Raum, das Abkommen mit Israel könne negative Auswirkungen auf die bayerischen Handelsbeziehungen mit arabischen Staaten haben. Abgelehnt wurde weiterhin eine Bestimmung des Wiedergutmachungsabkommens, das unter deutscher Flagge fahrenden Schiffen das Einlaufen in israelische Häfen untersagte sowie der Status der „israelischen Mission“. Diese Kommission sollte als Vertreterin der israelischen Interessen in der Bundesrepublik alleinverantwortlich für die Durchführung des Abkommens sein und sowohl als Institution wie auch hinsichtlich ihrer einzelnen Mitarbeiter in den Genuß quasi-diplomatischer Privilegien kommen – wie etwa umfassende Steuerbefreiungen oder Befreiung von der deutschen Straf- und Zivilgerichtsbarkeit. Haupteinwand gegen das Globalabkommen war allerdings die Kostenfrage – der Ministerrat warf die Frage auf, inwiefern angesichts der mit Israel ausgehandelten Entschädigungssummen die künftig weiterhin durchzuführende individuelle Wiedergutmachung finanziert werden solle.59 Der Bundesrat nämlich hatte hier bereits im Oktober 1952 den Entwurf eines Bundesentschädigungsgesetzes vorgelegt, der von Kosten in Höhe von 2,5 bis 3 Milliarden DM für individuelle Entschädigungsleistungen ausging.60

Letztendlich aber erkannten Bayern wie auch die anderen Länder die politische Notwendigkeit des Wiedergutmachungsabkommens an und folgten der Linie der Bundesregierung. Man könne, so Ministerpräsident Ehard im Ministerrat vom 17. Februar, das „Abkommen kaum ablehnen, wenn es vom Bundestag ratifiziert werde“; auch „handle es sich wohl kaum um ein Zustimmungsgesetz“ weshalb es nicht zweckmäßig sei und darauf verzichtet werden solle, „Nachforschungen in dieser Hinsicht anzustellen.“ Der Bundestag verabschiedete das Ratifizierungsgesetz zum Israel-Abkommen am 18. März, die Veröffentlichung erfolgte nur zwei Tage später am 20. März.

Wiedergutmachung

Das Israel-Abkommen stellte für die Bundesregierung gleichzeitig einen erheblichen Gewinn an außenpolitischer Handlungsfähigkeit wie an internationaler Reputation dar. Ähnlich verhielt es sich mit dem Londoner Schuldenabkommen vom 27. Februar 1953, mit dem die internationale Kreditwürdigkeit der Bundesrepublik wieder hergestellt und die Basis für künftige freie Außenhandelsbeziehungen geschaffen wurde.61 Der Ministerrat billigte am 14. Juli ohne jede weitere Debatte insgesamt sieben Zustimmungsgesetze zum Schuldenabkommen.62

Deutlich konfliktträchtiger dagegen verlief – als weiteres außenpolitisches Großprojekt der ersten Adenauer-Regierung – das Ratifikationsverfahren zum EVG- und zum Generalvertrag . Die Auseinandersetzungen verliefen hier allerdings weniger zwischen den Ländern und dem Bund, sondern eher zwischen den Parteilinien, was zu erheblichen Verwerfungen innerhalb des Bundesrates führte.

Am 26. Mai 1952 waren in Bonn der Generalvertrag und am darauffolgenden 27. Mai der EVG-Vertrag unterzeichnet worden. Bundeskanzler Adenauer drängte – ähnlich wie beim Israel-Abkommen – auch hier auf eine rasche Ratifizierung dieser außenpolitisch bedeutsamen Verträge, sah sich allerdings auf verfassungspolitischem Terrain von mehreren Akteuren ausgebremst: Zum einen opponierte die Bundes-SPD vehement gegen die Westverträge. Schon im Vorfeld der Vertragsunterzeichnungen hatte die Bundestags-SPD im Januar 1952 Verfassungsklage auf Feststellung der Vereinbarkeit des EVG-Vertrages mit dem Grundgesetz gestellt; diese Klage wurde im Juni 1952 auch auf den Generalvertrag mit seinen Zusatzverträgen ausgeweitet. Zusätzlich hatte Bundespräsident Theodor Heuss63 am 10. Juni 1952 das Bundesverfassungsgericht in gleicher Angelegenheit um ein Rechtsgutachten ersucht. Der Bundesrat wiederum fühlte sich brüskiert, da die Bundesregierung taktisch und im Sinne eines zügigen Verfahrens ein Paket von insgesamt vier Ratifizierungsgesetzen zu den Westverträgen geschnürt hatte, von denen nur zwei – eher untergeordnete – Gesetze zustimmungspflichtig sein sollten, die wichtigen Hauptgesetze dagegen sollten vom Votum der Länderkammer ausgeschlossen bleiben. Dagegen betonte der Bundesrat in einer am 20. Juni 1952 einstimmig angenommenen Entschließung, daß nach seiner Rechtsauffassung alle vier Ratifizierungsgesetze der Zustimmung der Länderkammer bedürften. Hier nun nahm ein Konflikt zwischen dem bayerischen Ministerpräsidenten und einer vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Reinhold Maier64 angeführten Bundesrats-Fraktion ihren Anfang. Maier, seit Ende Juli 1952 Bundesratspräsident, verfolgte eine dilatorische Linie und plädierte dafür, die von der SPD und vom Bundespräsidialamt angestrebte Entscheidung durch das Bundesverfassungsgericht abzuwarten; Ministerpräsident Ehard dagegen insistierte auf einer politischen Lösung der Situation. Während der baden-württembergische FDP-Ministerpräsident Maier, seit April 1952 Chef einer Regierung aus FDP, SPD und BHE, aus partei- und koalitionstaktischen Erwägungen heraus agierte – und vielleicht agieren mußte –, war Hans Ehard von der Sorge um die institutionelle Rolle und Bedeutung der Ländervertretung, auch von einem politischen wie öffentlichen Ansehensverlust des Bundesrates, getrieben. Ehard, der Adenauers Politik der Westbindung im Grundsatz ja vorbehaltlos unterstützte, lehnte insbesondere eine Verlagerung der Entscheidungskompetenz weg vom Bundesrat hin zum höchsten Verfassungsgericht entschieden ab – dies widerspreche dem Geist des Grundgesetzes und gefährde das föderalistische Prinzip.

Der Deutsche Bundestag verabschiedete die Ratifikationsgesetze gegen die Stimmen der Opposition in dritter Lesung in seiner Sitzung vom 19. März 1953. Vorausgegangen waren weitere verfassungsrechtliche Manöver: Nachdem die Verfassungsklage der SPD im Juli 1952 vom Bundesverfassungsgericht vorläufig mit der Begründung zurückgewiesen worden war, daß gegen ein unabgeschlossenenes Gesetzgebungsverfahren keine Feststellungsklage erhoben werden könne, reichten die Bonner Koalitionsparteien ihrerseits – die bevorstehenden abschließenden Verhandlungen im Bundestag vor Augen – am 6. Dezember 1952 Organklage gegen die SPD ein, da deren Obstruktionspolitik in der Frage der Westverträge nach Auffassung der Regierungskoalition ebenfalls nicht verfassungskonform sei.65 Das Bundesverfassungsgericht wiederum erklärte kurz darauf in einer Entschließung vom 8. Dezember 1952, daß das vom Bundespräsidenten im Juni 1952 beantragte Gutachterverfahren zu den Westverträgen nicht nur unabhängig von den tagespolitischen Entwicklungen weiter geführt werde, sondern daß darüber hinaus künftige verfassungsrechtliche Gutachten des Gerichts grundsätzlich für beide Senate des Bundesverfassungsgerichts bindend sein müßten. Da hiermit der Organklage der Bonner Regierungsparteien gegen die Opposition die Erfolgsaussichten genommen waren, zog Bundespräsident Heuss am 9. Dezember 1952 auf Drängen der Bundesregierung seinen Gutachtensantrag beim Bundesverfassungsgericht zurück; die Organklage der Regierungskoalition selber wies das Bundesverfassungsgericht am 7. März 1953 zurück.

Nach der Verabschiedung der Westverträge durch den Bundestag lag der Ball im Frühjahr 1953 also erneut beim Bundesrat. In Vorbereitung der Bundesratssitzung vom 24. April 1953 diskutierte der Ministerrat in seiner Sitzung vom 21. April sehr ausführlich über die Materie.66 Bemerkenswerterweise ging es hier kaum mehr um legislative Details der vier Ratifizierungsgesetze und nur noch am Rande um das bis dahin turbulente Ratifizierungsverfahren, sondern die Aussprache im Ministerrat trug fast durchgehend den Charakter einer sachlichen außen- und sicherheitspolitischen Grundsatz- oder Generaldebatte: Thematisiert wurden die außenpolitischen Interessen der USA, die aktuelle und zukünftige geopolitische Rolle Deutschlands im Herzen Europas, das Verhältnis zu Frankreich oder die künftige Politik der Sowjetunion nach dem Tode Stalins.67 Deutlich wurden hier wieder die unterschiedlichen Standpunkte der Parteien zu den Westverträgen. Innenminister Hoegner begründete seine Ablehnung mit dem von der Bundes-SPD wiederholt vorgebrachten Argument, die Westverträge würden eine Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten in weite Ferne rücken lassen. Weiterhin verwies der stellvertretende Ministerpräsident auf potentielle Gefahren bei der künftigen Aufstellung deutscher Streitkräfte: Dies werde zwangsläufig und umgehend die Aufstellung einer ostdeutschen Armee nach sich ziehen, ferner seien bundesdeutsche Einheiten im Krisenfall auf sich allein gestellt, weil die US-Armee Deutschland nicht an der Elbe, sondern erst am Rhein verteidigen werde, und außerdem bestehe laut Hoegner unter Umständen auch die latente Gefahr einer erneuten Militarisierung, ja gar einer neuen Militärdiktatur auf deutschem Boden. Zuletzt verwies Hoegner auf den hohen Grad von politischer Abhängigkeit, in der die Bundesrepublik nach wie vor verharren werde und die erheblich ungünstiger sei als etwa die Stellung des Deutschen Reiches nach dem Ersten Weltkrieg. Den argumentativen Gegenstandpunkt vertrat im Ministerrat vor allem Wirtschaftsminister Hanns Seidel. Dieser hielt seinen SPD-Kollegen entgegen, daß die Bundesrepublik im Ernstfall ohnehin und unabhängig von einer West- oder Ost-Bindung zum Kriegsschauplatz werde und daß ferner eine Wiedervereinigung „durch Nichtstun genau so wenig gefördert wie verhindert“ werde. Was die Gefahr eines neuen deutschen Militarismus angehe, so prognostizierte Seidel den Aufbau einer grundsätzlich gewandelten Streitmacht, und mit Blick auf die von Innenminister Hoegner kritisierten fortbestehenden Abhängigkeiten der Bundesrepublik konstatierte der Wirtschaftsminister, „daß 1945 niemand auch nur im entferntesten habe vermuten können, Deutschland werde 1953 wieder einen solchen Grad von Freiheit erlangt haben.“ Die Ursache des parteipolitischen Dissenses in der Frage der Westverträge vermutete Hanns Seidel übrigens im Bundestagswahljahr 1953: Er sei der Überzeugung, „daß schon innerhalb weniger Monate eine gemeinsame Außenpolitik in Deutschland möglich wäre, wenn nicht unglücklicherweise die Bundestagswahlen bevorstünden.“ Damit nahm Seidel im Grundsatz die weiteren Ausführungen von Ministerpräsident Ehard im Ministerrat vorweg.

Das bayerische Kabinett beschloß am 21. April mit zehn gegen sechs Stimmen die Annahme der Westverträge. In der darauffolgenden entscheidenden Bundesratssitzung vom 24. April kam es dann jedoch wider Erwarten zu keiner endgültigen Entscheidung: Der Bundesrat folgte erneut der Linie des Bundesratsvorsitzenden Maier und vertagte unter Berufung auf den Bundesratsbeschluß vom 20. Juni 1952 die Abstimmung ein weiteres Mal. In der Folge geriet Maier von Seiten der Bundesregierung wie auch von Seiten der baden-württembergischen FDP – die Partei unterstützte die Westverträge auf Bundesbene vorbehaltlos – unter Druck. Gleichzeitig wurde von der Bundesregierung auch angedacht, die Verabschiedung der Westverträge durch eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat zu ermöglichen: Es wurde tatsächlich in Erwägung gezogen die niedersächsische Landesregierung unter SPD-Ministerpräsident Hinrich Kopf68 zu stürzen und durch eine Regierung aus CDU, FDP und BHE zu ersetzen. Als Ergebnis dieser krisenhaften Entwicklung im April und Mai 1953, während der auch der bayerische Ministerpräsident Ehard in fieberhaften Verhandlungen mit Bonner Stellen stand, kam es im Bundesrat am 15. Mai zu einem Kompromißbeschluß. Der Bundesrat nahm die Nebenverträge, deren Charakter als Zustimmungsgesetze allgemein außer Zweifel stand, mit 23 zu 15 Stimmen an und erhob gegen die beiden Hauptverträge keine Einwendungen. Allerdings bedeutete dieser Kompromiß eine erneute schroffe Brüskierung Bayerns im Bundesrat: Denn der Bunderatsvorsitzende Maier hatte im Plenum am 15. Mai nunmehr explizit die Zustimmungsbedürftigkeit der Hauptverträge negiert69 und sich damit nicht an eine vorangegangene Abmachung gehalten, wonach der Bundesrat eine Erklärung hätte abgeben sollen, in der die allgemeine Billigung der Westverträge ausdrücklich mit einer Zustimmung der Länder zu allen vier Teilverträgen verknüpft werden sollte.70

Die Verträge wurden am 28. März 1954 durch den Bundespräsidenten unterzeichnet und in den Hauptstädten Paris und Bonn hinterlegt, das Inkrafttreten wurde bekanntermaßen dann durch die Ablehnung des EVG-Vertrages durch die französische Nationalversammlung am 30. August 1954 verhindert. Die Bestimmungen des Generalvertrages traten dann in modifizierter Form erst als Teil der Pariser Verträge vom 5. Mai 1955, mit denen u.a. das Besatzungsstatut aufgehoben wurde, in Kraft.

Die Verabschiedung der Westverträge auf der großen Bühne der Außenpolitik sorgte auch noch für erhebliche Verwerfungen im kleinen. Im Ministerrat vom 28. April wurde Ministerpräsident Ehard von Innenminister Hoegner mit dem Vorwurf konfrontiert, er habe in der Bundesratssitzung vom 24. April denjenigen Parteien, die den Westverträgen kritisch gegenüberständen, pro-sowjetische Neigungen unterstellt. Später im Mai sah sich Hans Ehard einem Antrag des DG-Landtagsabgeordneten August Haußleiter71 ausgesetzt, demzufolge dem Ministerpräsidenten wegen seiner Stellungnahmen im Bundesrat zum EVG-Vertrag durch den Landtag das Mißtrauen ausgesprochen werden sollte. Ein Mißtrauensvotum gegenüber dem Regierungschef freilich war und ist in der Bayerischen Verfassung nicht vorgesehen. Auch die persönlichen Scharmützel mit dem baden-württembergischen Regierungschef kamen noch nicht zu einem Ende. Nachdem einen Tag vor der Bundesratssitzung vom 24. April ein Mitarbeiter der Staatskanzlei ebenso voreilig wie unbefugt im Namen der Staatsregierung eine Erklärung herausgegeben hatte, in der Reinhold Maier außenpolitische Mutlosigkeit vorgeworfen wurde,72 konterte der baden-württembergische Regierungschef in einer Parteitagsrede von Ende Juni mit der Aussage, die Bayerische Staatsregierung habe nach 1945 separatistische Bestrebungen verfolgt, auch habe das Grundgesetz nie durch die Unterschrift der Staatsregierung die bayerische Anerkennung erfahren. Ein empörter Wilhelm Hoegner kündigte im Ministerrat die Ausarbeitung einer Erklärung an, „in welcher die verleumderischen Äußerungen Dr. Maiers zurückgewiesen würden“ und „die Tatsachen, durch welche Dr. Maier widerlegt wird, historisch dargestellt werden.“73 Der seinerzeitige diplomatische Ernst der Lage wird wohl auch daran deutlich, daß das bayerische Kabinett in der Folge im Juli die Teilnahme bayerischer Vertreter an einem von Bundesratspräsident Reinhold Maier veranstalteten geselligen Bierabend geschlossen verweigerte.74

Diese Zwistigkeiten mit dem Nachbarland Baden-Württemberg waren übrigens nicht die einzigen länderübergreifenden Irritationen, die der Freistaat im Jahre 1953 zu bewältigen hatte. Probleme gab es ebenfalls mit dem Land Rheinland-Pfalz, als der Pfalzausschuß der Bayerischen Landtags für den Oktober – pünktlich zur beginnenden Weinlese – wieder seine traditionelle Pfalzfahrt plante.75 Diese Reisen in die linksrheinische, ehemals bayerische Pfalz waren von der rheinland-pfälzischen Regierung unter dem CDU-Ministerpräsidenten Peter Altmeier76 stets mit Argwohn betrachtet worden. Die bayerischen Bemühungen um die Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zur linksrheinischen Pfalz und die damit verbundene langfristige Absicht einer Rückführung in das bayerische Staatsgebiet im Rahmen einer Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Art. 29 des Grundgesetzes waren von dem neuen Bundesland Rheinland-Pfalz stets als unbotmäßige Einmischung in die eigenen inneren Angelegenheiten angesehen worden. 1953 kam es zu einer neuen Eskalationsstufe, als sich die rheinland-pfälzische Regierung und der bayerische Landtagspräsident Alois Hundhammer77 in öffentlichen Briefwechseln einen politischen Schlagabtausch über die historische, kulturelle und staatliche Identität der Pfalz lieferten. Ministerpräsident Ehard erklärte die Angelegenheit im Ministerrat vom 13. Oktober kurzerhand zu einer Sache zwischen dem Land Rheinland-Pfalz und dem Bayerischen Landtag und nahm die Staatsregierung damit geschickt aus der Schußlinie – denn die zentrale Führungsrolle, die der Staatskanzlei bei der Koordinierung und auch Finanzierung aller bayerischen Aktivitäten im Zusammenhang mit der „Pfalzfrage“ zukam, auch die Tatsache etwa, daß in jedem bayerischen Staatsministerium ein eigenes Pfalzreferat existierte,78 wurden hier völlig ausgeblendet.

Es war 1953 nur ein Zufall, daß die bayerische Pfalzpolitik auch eine gewisse bundespolitische Relevanz erhielt – allerdings nur indirekt und keinesfalls als politisch prioritäre Angelegenheit. Die Pfalz nämlich wurde von der Bundesregierung als Präjudiz für die Saarfrage angesehen, und die Behandlung der letzteren erschien in Bonn als noch verfrüht bzw. aus außenpolitischen Gründen nicht opportun, weshalb auch eine geplante Pfalzreise des Sachverständigenausschusses für den Vollzug des Art. 29 des Grundgesetzes unter dem Vorsitz des früheren Reichskanzlers Hans Luther79 (Luther-Ausschuß) auf Bitten der Bundesregierung abgesagt wurde.80 Der Luther-Ausschuß zur Neugliederung des Bundesgebietes übrigens sollte Anfang 1954 den Freistaat bereisen.81

Pfalz

Mit Blick auf die Innenpolitik der Bonner Republik war die legislative Bilanz des Jahres 1953, wie eingangs bereits angedeutet, verhältnismäßig ereignisarm. Mit dem Erlaß des Bundesbeamtengesetzes vom 14. Juli,82 des Gesetzes über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften vom 9. Juni,83 des Gesetzes zur Entflechtung reichseigenen Filmvermögens vom 5. Juni,84 des Postverwaltungsgesetzes vom 24. Juli85 und natürlich mit dem Bundesvertriebenengesetz vom 19. Mai 86 wurden größere und zentrale Gesetzesprojekte der Vorjahre zum Abschluß gebracht. Anzuführen ist in dieser Reihe weiterhin das Bundesentschädigungsgesetz vom 18. September,87 mit dem die auf der Ebene der westlichen Besatzungszonen unterschiedlich geregelte Wiedergutmachung für Verfolgte des NS-Regimes auf eine bundeseinheitliche Grundlage gestellt wurde. Das Gesetz, das ursprünglich auf Initiativentwürfe der Bundetags-SPD und des Bundesrates zurückging, wurde gegen den Willen der Bundesregierung, die erst in sprichwörtlich letzter Minute einen eigenen Entwurf vorgelegt hatte und dessen Behandlung vor allem aus haushaltspolitischen Erwägungen heraus auf die zweite Legislaturperiode hatte verschieben wollen, kurz vor der Bundestagswahl im Herbst verabschiedet. Reibungsloser verlief die Verabschiedung des Bundesevakuiertengesetzes vom 14. Juli, mit dem umfassend die Rückführung sowie die finanzielle und materielle Unterstützung derjenigen Personen geregelt wurde, die durch die Kriegseinwirkungen von ihren angestammten Wohnsitzen vertrieben worden waren.88

Ein höchst umstrittenes Gesetzesprojekt im Bundestagswahljahr 1953 – auf dessen Bedeutung eingangs bereits verwiesen wurde – war das Wahlgesetz zum zweiten Bundestag .89 Die Wahl zum ersten Bundestag im Jahre 1949 hatte auf Grundlage einer Regelung stattgefunden, die vom Parlamentarischen Rat und den Ministerpräsidenten der Länder vorbereitet worden war; das Grundgesetz sah vor, daß künftige Bundestagswahlen nach einem noch zu erlassenden Bundesgesetz durchzuführen seien. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung war nun unverhohlen daraufhin konzipiert, bei den kommenden Wahlen vom Herbst 1953 eine Schwächung der SPD und gleichzeitig eine Stärkung der bürgerlichen Kleinparteien zu erreichen. Beides war nicht im Sinne des bayerischen Ministerpräsidenten, der Rücksicht auf seinen Koalitionspartner SPD zu nehmen hatte und der gleichzeitig die Annäherungen der Adenauer-Regierung an die Bayernpartei, scharfe Konkurrentin der CSU auf Landesebene, entschieden mißbilligte. Der Ministerrat lehnte den Bonner Regierungsentwurf weiterhin auch deshalb ab, da der Bund für die Durchführung der Wahl ein absolutes Weisungsrecht beanspruchte. Die Durchführung der Wahl aber sei Ländersache, insbesondere war das vom Bund angestrebte Ziel, bei der Bestimmung der Landeswahlleiter mitzuwirken, vom bayerischen Standpunkt aus inakzeptabel. Das in der Folge erlassene Wahlgesetz vom 8. Juli, das in keinster Weise mehr dem ursprünglichen Regierungsentwurf entsprach, war wiederum nur ein Provisorium; ein endgültiges Bundeswahlgesetz sollte erst im Jahre 1956 erlassen werden.

Ebenfalls nicht konfliktfrei verlief die Behandlung des späteren Straffreiheitsgesetzes vom 17. Juli 1954, das zunächst fraktionsübergreifend aus der Mitte des Bundestages vorgelegt worden war.90 Mit diesem Gesetz sollte dem Personenkreis von Verlegern, Journalisten und Beamten, die bis zum 31. Dezember 1951 widerrechtlich Nachrichten oder Informationen erhalten und weitergegeben hatten, Straffreiheit gewährt werden. Unmittelbarer Anlaß des Entwurfs war ein seit 1945 von dem Wirtschaftsjournalisten Robert Platow91 herausgegebener Informationsbrief. Platow pflegte enge Kontakte zur Bonner Ministerialbürokratie wie auch zu Wirtschaftskreisen und hatte in seinem „Platow-Brief“ wiederholt Interna zunächst aus der Verwaltung des VWG, dann aus den Bonner Ministerien veröffentlicht. Seit 1949 bemühte sich die Bundesregierung um die Abstellung der Indiskretionen innerhalb der Bundsverwaltung, was schließlich 1951 zur vorübergehenden Verhaftung Platows und einer Reihe von Angestellten und Beamten in Bonn sowie zur Einrichtung zweier parlamentarischer Untersuchungsausschüsse führte. Der Ministerrat lehnte die Bundestagsinistiative zunächst aus grundsätzlichen verfassungsrechtlichen und rechtsstaatlichen Erwägungen heraus ab: bei der „lex Platow“ handle es sich um ein einzelfallbezogenes ad-hoc Gesetz. Die politische Notwendigkeit einer gesetzlichen Amnestieregelung für nach 1945 begangene Straftaten freilich wurde auch im bayerischen Kabinett im pragmatischen Sinne anerkannt, insbesondere mit Blick auf Wirtschaftsstrafsachen oder Delikte wie beispielsweise Bestechung. Wirtschaftsminister Seidel betonte im Ministerrat vom 28. Juli, daß „verschiedene Personen, die unter das Gesetz fielen, außerordentlich tüchtig seien und sich große Verdienste erworben hätten“; Staatssekretär Maag betonte in der gleichen Sitzung die „politische Notwendigkeit, einen Schlußstrich zu ziehen, zumal es ohne dieses Gesetz zu Verfahren von erheblichen Ausmaßen kommen werde, die denkbar schlechte Auswirkungen auf die öffentliche Meinung haben und der Demokratie erheblich schaden könnten.“ Ministerpräsident Ehard hielt lapidar dagegen, „die Wirkung sei auch nicht gut, wenn alles, was geschehen sei, zugedeckt werde.“ Der Initiativentwurf des Bundestages kam in der Folge nicht zur Verabschiedung, sondern die Bundesregierung legte ihrerseits ein umfassenderes Straffreiheitsgesetz vor, in das die Abwicklung der ‚Causa Platow‘ in einem eigenen Abschnitt eingearbeitet war.92 Ansonsten aber ging der neue Regierungsentwurf über den vorangegangen deutlich hinaus, indem auch Taten, die unter dem Eindruck der außergewöhnlichen Verhältnisse unmittelbar nach dem militärischen Zusammenbruch 1945 begangen worden waren, unter die Amnestie fallen sollten. Konkret gemeint waren hier beispielsweise auch Tötungsdelikte mit Ausnahme des vorsätzlichen Mordes. Während der Ministerrat beschloß, dem Entwurf trotz starker Vorbehalte zuzustimmen, lehnte der Bundesrat das Gesetz in der Folge allerdings mehrheitlich ab. Das Amnestiegesetz sollte erst 1954 in Kraft treten.

Eine ganze Reihe wichtiger bundespolitischer Themen waren im Jahre 1953 nicht genuin legislativer Natur – wie beispielsweise die Frage der Aufnahme und Verteilung der stark anwachsenden Zahl der DDR-Flüchtlinge. Nach der Abriegelung der Grenze zwischen der Bundesrepublik und der DDR im Mai 1952 war es zu einem sprunghaften Anstieg an Auswanderungen aus der DDR gekommen, über 300 000 Personen wanderten 1952/53 von Ost nach West. Hauptsächlich betroffen war West-Berlin, da die Flucht vom Osten in den Westen der geteilten Stadt der einzig verbliebene Weg war. Die Entlastung Berlins war zu Beginn des Jahrs 1953 ein drängendes innenpolitisches Thema;93 die Verbringung der dort in Lagern untergebrachten DDR-Flüchtlinge in die Länder der Bundesrepublik mußte per Flugzeug erfolgen. Um eine Vorstellung von der Größenordnung des Flüchtlingsstroms zu bekommen: Man ging Anfang 1953 davon aus, daß monatlich 25 000 bis 30 000 Personen aus West-Berlin ausgeflogen werden müßten.94 Diese Fluchtbewegung stellte die Bundesregierung wie die Regierungen der Länder vor große organisatorische Herausforderungen und hatte einen ganzen Katalog von Maßnahmen, aber auch von handfesten Problemen zur Folge. Die Länder mußten zusätzliche Kontingente an Flüchtlingen aufnehmen, und der Bundesrat reichte Vorschläge zur Beschleunigung der Errichtung von Notunterkünften sowie zur vereinfachten und zügigeren Durchführung des sogenannten Notaufnahmeverfahrens ein. Das Anerkennungsverfahren für DDR-Flüchtlinge sollte nicht mehr am Ankunftsort Berlin, sondern erst nach Verlegung in die Sammellager Gießen und Uelzen durchgeführt werden.95 Mit dem Gesetz über die Förderung des Wohnungsbaus für Umsiedler in den Aufnahmeländern und des Wohnungsbaus für Sowjetzonenflüchtlinge in Berlin vom 30.7.1953 sollten die Aufnahmeländer für die Förderung des Flüchtlingswohnungsbaues insgesamt 200 Millionen DM erhalten.96 Das Gesetz wurde gegen den Widerspruch von Bayern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein verabschiedet. Diese drei Länder lehnten den Entwurf mit dem Argument der Ungleichbehandlung ab – denn sie hatten nach 1945 für die Aufnahme und Unterbringung der Vertriebenen keine vergleichbaren Leistungen erhalten. Nicht weiter verfolgt wurde von der Bundesregierung das Gesetz zur Deckung der Aufwendungen für die Sowjetzonenflüchtlinge , mit dem der Bundesanteil für die Unterbringung und Versorgung der DDR-Füchtlinge von 85% auf 50% gesenkt und somit die Kosten zwischen Bund und Ländern paritätisch aufgeteilt werden sollten. Begründet wurde dieser Schritt mit dem Argument, die gegenwärtige, so nicht vorauszusehende Flüchtlingsbewegung aus der DDR sei nicht mehr als unmittelbare Kriegsfolgelast im Sinne des Art. 120 des Grundgesetzes, der die Aufwendungen für Besatzungskosten und Kriegsfolgelasten dem Bund übertrug, anzusehen. Der Bundesrat widersprach dieser Ansicht vehement und lehnte das Gesetz ab. Auch auf Landesebene wurden Schritte zur Integration der DDR-Flüchtlinge eingeleitet, in Bayern beispielsweise mit der Verordnung über die Eingliederung der Vertriebenen und Sowjetzonenflüchtlinge in die Landwirtschaft vom 15. Juli 1953.97 Vorherrschend waren in den Diskussionen im Ministerrat allerdings die praktischen Schwierigkeiten und die Integrationspobleme, die mit der Fluchtbewegung aus der DDR aufkamen. Brennpunktartig sichtbar wird hier das neue soziale Konkurrenzverhältnis zwischen den Vertriebenen und den Neuankömmlingen aus der DDR; letztere würden, wie Staatssekretär Oberländer im Ministerrat vom 24. März ausführte, im Vergleich mit den Vertriebenen bevorzugt behandelt und rascher Leistungen erhalten.98 Innenminister Hoegner trug in der Kabinettssitzung vom 14. April dann Beschwerden über das Verhalten von DDR-Flüchtlingen vor; diese träten – so Hoegner – mit aggressiven Forderungen auf, seien zum Teil arbeitsunwillig, ihr Benehmen sowohl in- wie außerhalb der Lager lasse zu wünschen übrig.99 Insbesondere wurde den DDR-Flüchtlingen auch wiederholt die ‚echte‘ Flüchtlingseigenschaft abgesprochen und diesen damit indirekt gleichermaßen ein Schicksalsstatus unterhalb der Vertriebenen zugeschrieben. Ein großer Teil sei nicht wegen Gefahr von Leib und Leben oder politischer Verfolgung geflohen, sondern habe sich nur aufgrund übertriebener oder unrealistischer materieller Versprechungen in den Westen aufgemacht. Symptomatisch für den Umgang mit den DDR-Flüchtlingen erscheint etwa das Verhalten der Gemeinde Bad Reichenhall: Diese versuchte sich – allerdings erfolglos – gegen die vorübergehende Belegung einer Kaserne mit DDR-Flüchtlingen zu wehren mit dem Hinweis, daß dies irreparable Schäden für den Kurort Reichenhall bedeuten würde, da „der Kurgast und Urlaubsreisende während seiner Ferien mit Bildern menschlichen Elends nichts zu tun haben will.“100

Auch ein Vorfall um den Chefredakteur und Chefkommentator im Bayerischen Rundfunk, Walter von Cube,101 illustriert die sozialen und politischen Verwerfungen, die im Umgang mit der Fluchtbewegung aus der DDR entstanden.102 Walter von Cube hatte sich in einem Rundfunkbeitrag mit der Ostpolitik der Bundesregierung auseinandergesetzt und dabei die Aufnahme der DDR-Flüchtlinge angesichts der angespannten Arbeitsmarkt- und Wohnungslage in der Bundesrepublik als „selbstmörderische Humanität“ bezeichnet. Die Äußerungen des bayerischen Rundfunkjournalisten v. Cube und seine Angriffe auf den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen, Jakob Kaiser,103 wurden zweimal Gegenstand der Erörterung im Bundeskabinett. Bundesinnenminister Robert Lehr104 richtete einen geharnischten Brief an Ministerpräsident Ehard, in dem der Bundesminister von „beispiellosem Zynismus und […] kaum zu überbietender Verantwortungslosigkeit“ sprach: Die Äußerung v. Cubes „entbehrt jedes sittlichen Fundaments und verletzt alle Begriffe einer auf Anerkennung der Menschenwürde beruhenden Einstellung in einem Ausmaß, die ernste Besorgnisse über die vom Chefredakteur des Bayerischen Rundfunks verfolgte Linie aufkommen läßt.“105

DDR-Flüchtlinge

Es erscheint als ein bemerkenswertes Detail am Rande, daß im Zusammenhang mit der Fluchtbewegung aus der DDR der Volksaufstand vom 17. Juni in den Ministerratsprotokollen zu keinem Zeitpunkt thematisiert wird. Nur ein einziges Mal wird bei der Behandlung von Demonstrationen in München gegen die Ladenschlußzeiten im Juni 1953 auf die „Vorfälle in Berlin“ verwiesen.106

Eine Fortsetzung erfuhr im Jahre 1953 der Streit zwischen Bund und Ländern um die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer.107 Nach wie vor war die Vorgabe des Art. 107 des Grundgesetzes, ein Gesetz zur Regelung der Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern zu erlassen, noch nicht umgesetzt worden; d.h. in jedem Haushaltsjahr mußte die Verteilungsquote neu verhandelt und gesetzlich fixiert werden. Bundesfinanzminister Fritz Schäffer,108 der im Rechnungsjahr 1953 von einem Haushaltsfehlbetrag in Höhe von rund 5 Mrd. DM ausging und seine Einnahmen darüber hinaus noch durch die sogenannte „kleine Steuerreform“ gemindert sah,109 schraubte seine Forderungen – wie in den Rechnungsjahren davor – sukzessive nach oben. Nach einer Erhöhung der Länderabgaben auf 37% im Jahre 1952 forderte der Bund 1953 zunächst 44% und reduzierte seinen Anspruch dann auf 40%, was auch vom Bundestag gebilligt,110 von den Ländern aber weiterhin kategorisch abgelehnt wurde. Für diese blieb der Länderanteil von 37% nicht verhandelbar. Geeinigt hat man sich schließlich auf einen Kompromiß von 38%; die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer für das Rechnungsjahr 1953 wurde dann nicht in einem eigenen Gesetz geregelt, sondern sie wurde aufgenommen in das Gesetz zur Änderung steuerlicher Vorschriften und zur Sicherung der Haushaltsführung vom 24.6.1953.111 Diese Auseinandersetzungen sollten sich in einer fast schon rituellen Weise weiter fortsetzen: Für das Rechnungsjahr 1954 verlangte Bundesfinanzminister Fritz Schäffer einen Länderanteil von 42%.112

Einkommen- und Körperschaftsteuer

Die Finanzlage des Bundes sorgte gegen Ende der Regierungsjahres 1953 dann noch für einen Verfassungsstreit in Karlsruhe: Es ging um die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen für die Arbeiter, Angestellten und Beamten des bayerischen Staates.113 Das Bundeskabinett hatte am 3.11.1953 mit Blick auf die angespannte Haushaltslage des Bundes den Verzicht auf die Auszahlung von Weihnachtszuwendungen beschlossen, und Bundesfinanzminister Schäffer hatte die Länderregierungen – in einem taktisch ungeschickt, ja drohend formulierten – Schreiben dazu aufgefordert, dem Schritt der Bundesregierung zu folgen.114 Nachdem der Ministerrat zunächst am 10.11.1953 beschlossen hatte, den Vorgaben der Bundesregierung zu folgen,115 stellte ein gegenteiliger Landtagsbeschluß vom 27.11. jedoch eine völlig neue Lage her: Die Staatsregierung wurde durch den Landtagsbeschluß gezwungen, wie im Vorjahr auch an die Beschäftigten des Freistaates Weihnachtszuwendungen auszuzahlen,116 was Bundesfinanzminister Schäffer zur Intervention beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe veranlaßte. Der Bund versuchte über das Bundesverfassungsgericht, per einstweiliger Anordnung den Antragsgegnern Bayern und Hessen – dort hatte man sich zwischenzeitlich der Linie des Bayerischen Landtags angeschlossen – die Auszahlung der Weihnachtszuwendungen zu untersagen.117 Schäffer erlitt in Karlsruhe allerdings eine Niederlage; der Antrag wurde als zwar zulässig, aber nicht begründet abgewiesen. Insbesondere verwahrte das Bundesverfassungsgericht – anders übrigens als in der oben behandelten Frage der Westverträge – sich nun im Grundsatz dagegen, politisch instrumentalisiert zu werden und Verantwortung für politische Entscheidungen im Bund-Länder-Verhältnis zu übernehmen.

Weihnachtszulagen

Ein Novum im Verhältnis zwischen Bund und Ländern war im Jahre 1953 eine neue Zusammenarbeit auf kulturpolitischem Gebiet – bzw. konkreter auf dem Feld des Kunstmarktes. Die Bundesregierung war in Sorge über den Verkauf deutscher Kunstwerke und Kulturgüter ins Ausland; dieser Kunsthandel hatte in der Nachkriegszeit in den Augen der deutschen Politik einen höchst bedenklichen Aufschwung genommen. Die Bundesregierung hatte hier Anfang 1953 auch bereits den Entwurf eines Gesetzes zum Schutz deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingebracht,118 das aber erst 1955 in Kraft treten sollte. Der Ministerrat diskutierte 1953 das Anliegen des Bundes, gemeinsam mit den Ländern das Botticelli-Gemälde „Madonna mit singenden Engeln und Lilien“ aufzukaufen.119 Das Kunstwerk, das seit den 1840er Jahren als Leihgabe in Berliner Museen öffentlich zugänglich gewesen war, wurde 1945 von der US-Besatzungsmacht beschlagnahmt und 1948 – ausgehend von der irrigen Annahme, es handle sich hierbei um preußischen Kulturbesitz – in die treuhänderische Verwahrung des Landes Hessen übertragen. Tatsächlich aber war das Bildnis Privateigentum einer Adelsfamilie, die als Ostvertriebene im Jahre 1950 völlig mittellos nach Chile ausgewandert war und deren Rechtsansprüche durch ein BGH-Urteil vom März 1953 bestätigt wurden. Wegen der großen Befürchtung, das Bild könne von finanzkräftigen Investoren in die USA verbracht werden, drängte der Bund unter der Federführung des Bundesinnenministeriums zur Eile und schlug einen gemeinsamen, je zur Hälfte finanzierten Ankauf durch Bund und Länder vor. Die Beteiligung des Freistaates an diesem Kunstankauf wurde im Ministerrat im Grundsatz nicht in Frage gestellt, trotz der angespannten Haushaltslage gab auch Finanzminister Zietsch umgehend sein Einverständnis. Der Ankauf des Bildes schien dann allerdings kurzfristig wieder in Frage gestellt, da der Bund den Ländern zunächst kein Eigentumsrecht an dem Kunstwerk einräumen wollte, sich hier letztendlich aber nicht durchsetzen konnte.120 Auch erörterte der Ministerrat in diesem Zusammenhang kritisch die Frage, wie man künftig in vergleichbaren Fällen vorgehen solle – auch das Evangeliar von Echternach etwa drohte ins Ausland verkauft zu werden. Staatsminister Schwalber verwies auf die Gefahr, „daß man auf diese Art und Weise in ein völlig neues Stadium der Kulturpolitik komme und eine Art Kaufgemeinschaft zwischen Bund und Ländern entstehe“, die sich möglicherweise zu Ungunsten der beteiligten Länder auswirken würde. Der Ministerrat beschloß, bei ähnlich gelagerten Fällen künftig Zurückhaltung zu üben.

Ankauf durch Bund und Länder

2. Landespolitik

Die Landespolitik im Freistaat stand im Regierungsjahr 1953 zunächst unter dem Vorzeichen einer äußerst angespannten Haushaltslage. Die Behandlung des Staatshaushalts nimmt in den Ministerratsprotokollen 1953 einen signifkant größeren Raum als in den Vorjahren ein, auch werden die Konflikte zwischen den Ressorts über die Finanzmittelverteilung spürbar offener und auch härter ausgetragen.

Auf expliziten Wunsch des Landtags hatte das Finanzministerium bereits sehr früh mit der Vorbereitung des Staatshaushaltsplans begonnen,121 und wie bereits erwähnt, trat das Kabinett zwischen dem 19. Januar und dem 27. Januar zu drei außerordentlichen Minsterratssitzungen zusammen, um den Staatshaushalt und die Differenzen insbesondere zwischen den beiden SPD-geführten Staatsministerien der Finanzen und des Innern zu erörtern.122 Finanzminister Zietsch hatte seinen Kabinettskollegen ein schmerzhaftes Sparprogramm auferlegt, da sein Ministerium für das Rechnungsjahr 1953 von einem Haushaltsfehlbetrag in Höhe von insgesamt bis zu 200 Mio DM ausging. Ursächlich hierfür waren vor allem erhebliche Einbußen des Staates auf der Einnahmenseite, wie Finanzminister Zietsch am 19. Januar ausführte: So werde von Seiten der Bezirksverbände kein voller Ausgleich für die gestiegenen Personalkosten der Volksschulen zu erwarten sein, und insbesondere rechnete der bayerische Finanzminister durch die kleine Steuerreform des Bundes123 für sein Haus mit einem Ausfall allein bei der Einkommensteuer in Höhe von 160 Mio DM, dieser Betrag würde möglicherweise sogar durch die noch ungelösten Verhandlungen über die Verteilung der Einkommen- und Körperschaftsteuer zwischen Bund und Ländern später noch weiter steigen. Generell beurteilte Zietsch die Höhe der Steuereinnahmen für die nahe Zukunft eher skeptisch und betonte die Notwendigeit, in einer Zeit einer aktuell noch anhaltenden guten Konjunktur Rückstellungen zu bilden. Der Weg der Kreditaufnahme war ebenfalls keine Option, da der Freistaat seine Kreditmöglichkeiten bei der Landeszentralbank und der Bayerischen Staatsbank sowie durch eine im Vorjahr aufgelegte Staatsanleihe124 annähernd ausgeschöpft hatte. Ministerpräsident Ehard äußerte zwar seine Anerkennung für das Bemühen des Finanzministeriums um einen ausgeglichenen Haushalt, stellte aber im Ministerrat vom 13. Januar die grundsätzliche Frage in den Raum, „ob ein ausgeglichener Haushalt oder auch ein Defizit von nur geringer Höhe“ überhaupt „politisch wünschenswert sei“. Auf der einen Seite müsse man den Ausgabewünschen des Landtags entgegenkommen, zum anderen sei ein – vertretbares – Staatsdefizit von durchaus großem Vorteil für die Finanzverhandlungen mit dem Bund.

Die Hauptauseinandersetzungen bei den Haushaltsberatungen im Ministerrat drehten sich um zwei Punkte: den Etat des Staatsministeriums des Innern und die Aufstellung eines außerordentlichen Haushalts. Finanzminister Zietsch hatte von seinem Parteikollegen Hoegner ursprünglich Einsparungen in Höhe von 93 Mio DM eingefordert; dieser Betrag wurde im Ministerrat vom 13. Januar dann zwar auf rund 40 Mio DM reduziert, wenige Tage später aber sprach Finanzminister Zietsch in einem Schreiben an Ministerpräsident Ehard dann wieder von einer Minderung des Etats des Innenministeriums um 64 Mio DM.125 Diese Verwirrung war auch darin begründet, daß die Referenten des Innen- und Finanzministereriums in ihren Verhandlungen zu keinem Zeitpunkt einen gemeinsamen Nenner finden konnten – die diesbezüglichen Haushaltsentscheidungen blieben also dem Ministerrat vorbehalten. Der Finanzminister begründete seine Haltung gegenüber dem Innenministerium mit dem Hinweis, daß dieses sich als einziges Ressort nicht an seine Sparvorgaben gehalten, sondern im Gegenteil die Ansätze des Jahres 1952 noch „wesentlich übersteigert“ habe. Im Ministerrat vom 19. Januar einigte man sich dann im Grundsatz dahingehend, daß im Etat des Innenministeriums rund 50 Mio DM eingespart werden sollten, nachdem Staatsminister Hoegner vorausgehend am 13. Januar bereits Zugeständnisse angeboten hatte – und zwar bezeichnenderweise beim sozialen Wohnungsbau, beim Straßen- und Brückenbau sowie bei freiwilligen Ausgaben etwa für Wohlfahrtszwecke, keinesfalls aber bei der Polizei und beim Verfassungsschutz. Hierauf wird später zurückzukommen sein.

Rechnungsjahr 1953

Die zweite Kardinalfrage betraf die Aufstellung eines außerordentlichen Haushalts. Staatsminister Zietsch hatte, um das Ziel eines ausgeglichenen Haushalts zu erreichen, auf den Entwurf eines außerordentlichen Haushalts verzichtet: Es seien schlicht keine Deckungsmöglichkeiten vorhanden. Der Ministerrat wollte dem Finanzminister bei diesem eher unüblichen Schritt nicht folgen. Landwirtschaftsminister Schlögl verwies in der Kabinettssitzung vom 19. Januar auf die seiner Auffassung nach bestehende gesetzliche Verpflichtung zur Aufstellung eines außerordentlichen Haushalts; ferner gehörten die in dem vom Finanzministerium vorgelegten Haushaltsplan vorgesehenen Posten für Baumaßnahmen ohnehin in den außerordentlichen Haushalt. Nachdem Ministerpräsident Ehard auf den eher unverbindlichen Charakter des außerordentlichen Haushalts hingewiesen hatte – daß nämlich „auch für den Außenstehenden die Ansätze des außerordentlichen Haushalts von vornherein als fraglich erscheinen müßten“ –, beschloß das Kabinett entgegen der Bedenken des Finanzministers die Aufstellung eines außerordentlichen Haushalts. Im außerordentlichen Ministerrat vom 21. Januar wurde dann ein Paradebeispiel finanztechnischer Haushaltsarithmetik durchexerziert: da sich die Aufstellung eines außerordentlichen Haushalts mit einem nur geringen Volumen von vornherein nicht lohne – so Ministerpräsident Ehard –, wurde gleich die Marke von 100 Mio DM angepeilt, für die dann freilich eine zumindest teilweise Deckung vorhanden sein müßte. Schlußendlich legte das Kabinett sich darauf fest, den außerordentlichen Haushalt durch eine Erhöhung der Einnahmen der Staatsforsten um 20 Mio DM, eine Anleihe in Höhe von 50 Mio DM sowie durch „sonstige Möglichkeiten, die im Augenblick noch nicht realisierbar sind“, zu finanzieren – gedacht wurde beispielsweise an die Veräußerung von Anteilen des bayerischen Staates, etwa der Beteiligung an der zum Flick-Konzern gehörenden Maxhütte .126

außerordentlicher Haushalt

Die Berechnungen des Finanzministeriums und des Ministerrats allerdings erwiesen sich später zum Teil als Makulatur. Nach der Zuleitung des Haushaltsgesetzes 1953 an den Landtag127 hielten sich die Koalitionsparteien nicht an die getroffenen Vereinbarungen und beschlossen umfängliche Ausgabenmehrungen – allein im Falle des Kultusetats etwa um 20 Mio DM.128 Unter Einbeziehung einer vom Finanzministerium revidierten, deutlich optimistischeren Steuerschätzung wurde der ordentliche Haushalt letztendlich mit einem Fehlbetrag von rund 77 Mio DM verabschiedet.129

Rechnungsjahr 1953

Ein inhaltlich-thematisch auffälliges Charakteristikum der Ministerratsprotokolle 1953 ist die Dominanz der politischen Agenda des Staatsministeriums des Innern . Wie bereits im Vorjahr, vielleicht in noch ausgeprägterem Maße, nehmen innen- und sicherheitspolitische Fragen wiederholt einen sehr breiten Raum in den Protokollen ein130 – und dieser Umstand ist nicht ausschließlich als Reaktion auf äußere Ereignisse anzusehen, sondern treibende Kraft war hier auch der sozialdemokratische stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Wilhelm Hoegner, der sich im Jahre 1953 wiederholt als Mann von Law and Order profilierte.

Den Auftakt gab die erste Ministerratsitzung des Jahres 1953 in zweifacher Hinsicht: Am 8. Januar berichtete Staatssekretär Oberländer unter dem Tagesordnungspunkt „Flüchtlingsangelegenheiten“ von rund 200 illegalen Einwanderern, die sich im DP-Lager Föhrenwald bei Wolfratshausen und in der Stadt München aufhielten.131 Es handelte sich hierbei um jüdische Personen, die mehrheitlich ursprünglich aus Polen und Rumänien stammten und nach einem zwischenzeitlichen Aufenthalt in Israel versucht hatten, über Frankreich nach Kanada auszuwandern und dabei wahrscheinlich an den strengen kanadischen Einwanderungsbestimmungen gescheitert waren. Das deutsche Generalkonsulat in Paris hatte diesen Personen im Dezember 1952 Visa ausgestellt, obwohl deren israelische Pässe für eine Einreise in die Bundesrepublik keine Gültigkeit hatten. Der Ministerrat beschloß umgehend, die jüdischen Rückwanderer wieder abzuschieben, ferner den Bund für alle entstehenden Kosten regreßpflichtig zu machen und beim Auswärtigen Amt dahinwirkend zu intervenieren, daß die widerrechtlich erteilten Visa zurückgezogen werden. Die Frage der sogenannten „Illegalen“ im DP-Lager Föhrenwald beschäftigte den Ministerrat bis Anfang Dezember insgesamt elfmal. Trotz fieberhafter Verhandlungen von Staatssekretär Oberländer mit Bonner Stellen über den Umgang mit den Zuwanderern wurde vorerst keine Lösung gefunden; die Zahl der „Illegalen“ in Föhrenwald stieg sogar bis Mitte August langsam aber stetig auf knapp 800 Personen an. Der Ministerrat diskutierte die Verlegung der illegalen Zuwanderer in Münchener Kasernen,132 die landesweite Verteilung in kleineren Gruppen in verschiedene Lager,133 die Streichung von Fürsorgeleistungen oder die Chancen einer Rücknahme der Zuwanderer durch den israelischen Staat.134 Und immer wieder war es Innenminister Hoegner, der nachdrücklich für eine umgehende Ausweisung der jüdischen Rückwanderer aus Bayern, auch unter Anwendung staatlicher Zwangsmaßnahmen, plädierte.135 Im Ministerrat vom 12. Mai regte der Innenminister an, „die Kriminellen an die Grenze zu schicken und auszuweisen, dafür könnten ihnen dann Pässe nach Israel ausgestellt werden“, im Ministerrat vom 18. August unterstrich Hoegner „nochmals die Notwendigkeit, nicht registrierte Zuwanderer rücksichtslos abzuschieben.“ In dieser martialischen Rhetorik freilich offenbarte sich auch eine gewisse Rat- und Hilflosigkeit, war die Frage der illegalen Zuwanderer in Föhrenwald doch auch längst zu einer Angelegenheit geworden, die vorrangig zwischen den zuständigen Bonner Ministerien – allen voran dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium –, dem Zentralrat der Juden in Deutschland, dem Landesverband israelitischer Kultusgemeinden in Bayern sowie einer Reihe weiterer internationaler jüdischer Organisationen verhandelt wurde. Es wurde schließlich im September eine Vereinbarung getroffen, der zufolge sämtliche unerlaubt sich im Bundesgebiet aufhaltende israelische Staatsangehörige, die sich bis August 1953 hatten registrieren lassen, Fürsorge erhalten sollten und keine Sanktionen zu erwarten hatten. Die jüdischen Organisationen verpflichteten sich im Gegenzug, innerhalb einer Halbjahresfrist die Auswanderung in andere Drittländer oder die Rückführung nach Israel zu organisieren und auch zu finanzieren.136

Displaced Persons

Ebenfalls auf der Tagesordnung stand am 8. Januar mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern ein weiteres sicherheitspolitisches Projekt des sozialdemokratischen Innenministers.137 Das Gesetz, das ursprünglich auf ein Verlangen des Bayerischen Landtags zurückging, enthielt Bestimmungen zum Verbot verfassungsfeindlicher Vereinigungen und verfassungsfeindlicher Handlungen, auch zur Einschränkung der Versammlungsfreiheit oder zur Beschlagnahme von Propagandamaterial und sollte Reaktion sein auf die gewachsene Bedrohung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung durch rechts- und linksextremistische Kreise.138 Nachdem der Entwurf des Innenministeriums bereits 1952 im Ministerrat aus inhaltlichen Gründen ebenso wie wegen Unschärfen in der juristischen Ausformulierung deutlich kritisiert worden war, sorgte die Vorlage des überarbeiteten Entwurfs Anfang 1953 erneut für Konflikte. Diesmal war es der Wortlaut des neu einfügten Artikel 2, der auf starken Widerstand der Kabinettsmitglieder stieß, insbesondere der CSU-Justizminister Weinkamm kritisierte seinen Kabinettskollegen Hoegner in bemerkenswerter Schärfe. Der neue Artikel 2 des Gesetzentwurfs enthielt einen ganzen Katalog von verfassungsfeindlichen Handlungen, deren Unterbindung laut Entwurf in den Aufgabenbereich der Polizeikräfte fallen sollte. Dieses Konstrukt war nach Auffassung des Justizministeriums ebenso ungewöhnlich wie unzulässig. Der Entwurf schaffe, so Justizminister Weinkamm in seiner Fundamentalkritik, „die Institution verbotenen, aber nicht strafbaren Verhaltens, schaltet die Strafgerichte von der Beurteilung dieses verbotenen Verhaltens aus und überträgt die Durchführung des Gesetzes und vor allem die Unterbindung verbotenen Verhaltens allein der Polizei […] Damit wird der bisherige Bereich der polizeilichen Aufgaben in einer Weise erweitert, die von rechtsstaatlichen Grundsätzen aus als besorgniserregend bezeichnet werden muss. Die Polizei erhält damit Machtbefugnisse, die sie weder in der konstitutionellen Monarchie noch in der Weimarer Republik besass.“139 Trotz der geäußerten Bedenken stimmte der Ministerrat dem Gesetzentwurf am 13. Januar zu, nach der Zuleitung an den Landtag wurde die Materie im Verlauf des Jahres 1953 allerdings – und zwar im Benehmen mit dem Innenministerium – nicht weiter behandelt: Zum einen waren Teile des Gesetzentwurfs durch das zwischenzeitlich erlassene Bundesgesetz über Versammlungen und Aufzüge vom 24.7.1953140 überflüssig geworden. Zum anderen aber fanden gerade die umstrittensten Passagen des Gesetzes zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern Eingang in einen weiteren Gesetzentwurf des Staatsministeriums des Innern. Bei der Behandlung des Polizeiaufgabengesetzes fanden die harten sachlichen Auseinandersetzungen zwischen Innen- und Justizministerium im Herbst 1953 daher ihre ungebrochene Fortsetzung.141

Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern

Nach dem Inkrafttreten des Polizeiorganisationsgesetzes im Oktober 1952 , mit dem der organisatorische Aufbau und die Zuständigkeiten der insgesamt vier bayerischen Polizeien – der Gemeinde- und Landpolizei, der Grenzpolizei sowie der Bereitschaftspolizei – geregelt wurden,142 sollte mit dem Polizeiaufgabengesetz die Polizeigesetzgebung in Bayern nun zu einem Abschluß gebracht werden. Hauptstreitpunkt bei der Behandlung des Entwurfs war – ganz ähnlich wie beim Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern – eine im Gesetzentwurf enthaltene „Generalklausel“. In die Rechte natürlicher und juristischer Personen sollte vorbeugend eingegriffen werden dürfen, um Handlungen, die aufgrund Verfassungsrechts verboten sind, zu unterbinden oder zu verhüten – also nicht nur im konkreten Anwendungsfall des Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes (Verbot verfassungsfeindlicher Vereinigungen), sondern ganz generell bei jeglichen Umständen oder Handlungen, die die Verfassung verletzen oder bedrohen. Dies, und hierauf zielte die Grundsatzkritik des Justizministeriums ab, war gleichbedeutend mit umfassenden Präventivbefugnissen für die Polizei. Erneut, wie beim Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern, monierte Justizminister Weinkamm die Konstruktion eines verfassungswidrigen, verbotenen, aber nicht strafbaren Verhaltens, ferner wurde darauf verwiesen, daß der Schutz der Verfassung bereits ausreichend durch die Strafrechtsgesetzgebung gewährleistet sei. Die vom Innenministerium geforderten präventiven Kompetenzen für die Polizei dagegen seien höchst problematisch, denn es sei die „Natur des präventivpolizeilichen Einschreitens, daß die Handlungen, gegen die es sich richtet, niemals so genau bestimmbar sind, wie bereits strafrechtlich zu wertende Handlungen“. Staatsminister Weinkamm sah insbesondere auch eine bedrohliche Aufweichung der Gewaltenteilung und damit eine explizite Gefährdung des Rechtsstaates. Der Gesetzentwurf des Innenministeriums schlage der Polizei Befugnisse der Judikative zu – „Die Beurteilung dessen, was ‚auf Grund Verfassungsrechts' verboten ist“, dürfe allerdings „auf keinen Fall der Polizei überlassen bleiben.“143 Auch der SPD-Justizstaatssekretär Koch teilte die „lebhaftesten Bedenken“ seines CSU-Vorgesetzten: „Mit Vorschriften dieser Art wird das Wissen und die Einsicht der einzelnen Polizeibeamten durchaus überfordert. Eine solche Generalklausel kann die Gefahr herbeiführen, daß sich die Polizei nicht mehr der Mühe der Nachprüfung spezieller strafrechtlicher Tatbestände unterzieht, sondern den bequemeren Weg der Generalklausel für ihr Eingreifen wählt.“144

Trotz der schweren Bedenken des Justizministeriums ging der Gesetzentwurf in der vom Innenministerium favorisierten Fassung an den Bayerischen Landtag. Hier allerdings erfolgte eine gründliche Auseinandersetzung: Erst nachdem der Rechts- und Verfassungsauschuß des Landtags den Gesetzentwurf zwischen Oktober 1953 und Juni 1954 insgesamt 19mal beraten hatte, verabschiedete das Landtagsplenum das Gesetz in einer ebenso intensiv wie sachlich geführten 7½-stündigen Marathonsitzung vom 6. Oktober 1954. Und zwar in einer Fassung, in der die ursprüngliche „Generalklausel“ nur noch in abgeschwächter Form enthalten war – nun mit unmittelbarem Kausalbezug zu Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes und zum Postulat der freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Polizei in Bayern (Polizeiaufgabengesetz – PAG –) vom 16. Oktober 1954

Auch bei einem anderen ordnungspolitischen Projekt mußte Staatsminister Hoegner zurückstecken: Sein im Vorjahr eingebrachter Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung des Landfahrer- und Arbeitsscheuenunwesens 145 war vom Landtag abgelehnt worden, stattdessen wurde am 22. Dezember 1953 eine erheblich modifizierte und vor allem in ihren Rechts- und Sanktionsvorschriften deutlich abgemilderte Landfahrerordnung erlassen.146

Die Hartnäckigkeit, mit der das Staatsministerium des Innern das Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern und das Polizeiaufgabengesetz verfolgte, auch die zum Teil unnachgiebige persönliche Haltung von Innenminister Hoegner waren sicherlich auch begründet in der tagespolitischen Auseinandersetzung mit dem politischen Extremismus. Anzuführen sind in diesem Kontext eine Reihe von Ereignissen: Gleich zu Beginn des Jahres wurden vom Innenministerium mit dem Deutschen Heimatschutz , dem Technischen Dienst des Bundes deutscher Jugend , dem Diskussionskreis der ehemaligen SS , der sich in München gebildet hatte, ferner dem Demokratischen Kulturbund Deutschlands , der Gesellschaft für deutsch-sowjetische Freundschaft sowie dem Gesamtdeutschen Arbeitskreis für Landwirtschaft jeweils drei rechts- und drei linksgerichtete Organisationen verboten.147 Naumann-Affäre Ebenso beschloß der Ministerrat am 18. August ein Auftritts- und Redeverbot gegen den ehemaligen Büroleiter von Joseph Goebbels148 und Staatssekretär im Reichspropagandaministerium, Werner Naumann,149 der im Januar 1953 von der britischen Besatzungsmacht wegen des Vorwurfs der rechtsradikalen Unterwanderung der nordrhein-westfälischen FDP verhaftet worden war. „Bis fünf nach zwölf“ Erfolglos war dagegen der Versuch der Staatsregierung, die Aufführung des Films „Bis fünf nach zwölf“ zu verhindern. Dieser Film, ein aus Wochenschau-Ausschnitten und bis dahin unveröffentlichten Privataufnahmen zusammengestellter Dokumentarfilm über das Leben Adolf Hitlers zwischen 1939 und 1945, war zwar kein Werk rechter Provenienz, von den Innenministern der Länder wie von der Bundesregierung wurde er aber als versteckte Propaganda für den Nationalsozialismus und insbesondere als schädlich für das internationale Ansehen der Bundesrepublik angesehen.150 Nachdem ein zunächst auf Betreiben der Innenminister der Länder erlassenes bundesweites Aufführungsverbot vom Landesverwaltungsgericht Düsseldorf für Nordrhein-Westfalen aufgehoben worden war, folgten die anderen Länder dieser Entscheidung, wenn Innenminister Hoegner im Ministerrat vom 7. Dezember auch noch verkündet hatte, „er denke nicht daran, Verpflichtungen, die er eingegangen habe, wieder zu lösen und werde auf dem Verbot bestehen bleiben.“151

„Bis fünf nach zwölf“

Das Kabinett beschäftigte sich zu einer Gelegenheit mit der Aufhebung des Spruchkammerurteils gegen Alfred Jodl vom Februar 1953,152 das sowohl zu erheblichen Irritationen auf Seiten der US-Besatzungsmacht wie auch zu unangenehmen Nachfragen der rechtsgerichteten Deutschen Gemeinschaft im Bayerischen Landtag führte.153 Weiterhin wurde einmal der sogenannte Penzberger Prozeß, in dem die Ermordung von 15 Mitgliedern der Freiheitsaktion Bayern durch eine Volkssturmeinheit kurz vor Ende der Kriegshandlungen im April 1945 verhandelt wurde, thematisiert. Staatsminister Hoegner empörte sich über die Vorladung des ehemaligen Generalfeldmarschalls Albert Kesselring154 als militärischem Prozeßsachverständigen.155

Auch gegen die KPD , die ihre politischen Aktivitäten im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die Westverträge wieder verstärkt hatte, ging das Innenministerium vor. Im oberbayerischen Penzberg kam es im Februar zur Verhaftung von 17 Mitgliedern der Kommunistschen Partei , denen Bestrebungen zur revolutionären Beseitigung der Adenauer-Regierung vorgeworfen wurden; weiterhin wurde eine KPD-Versammlung im Münchener Zirkus Krone-Bau untersagt, da das Innenministerium hier allgemein eine Störung der öffentlichen Ordnung und im besonderen politische Angriffe auf die Bundesregierung und die Bayerische Staatsregierung erwartete.156 Die Rechtmäßigkeit dieses Versammlungsverbots, das die Stadt München auf Drängen des Innenministeriums ausgesprochen hatte, beschäftigte die bayerische Justiz noch auf Jahre. Nicht verhindert werden konnte dagegen eine von der KPD am 12. März veranstaltete Trauerfeier für den am 5. März verstorbenen Josef Stalin; im Ministerrat wurde hier vor allem moniert, daß diese Veranstaltung ausgerechnet an einem repräsentativen Münchener Ort, nämlich im Kongreßsaal des Deutschen Museums hatte stattfinden können.157

Weitere wichtige Sachfragen aus dem Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums betrafen die Flüchtlingsabteilung des Staatsministeriums des Innern. Für nachhaltige Konflikte zwischen der Staatsregierung und der Stadt Nürnberg sorgte das Auffanglager Valka in Langwasser bei Nürnberg .158 Dieses Lager, ursprünglich ein DP-Lager der IRO, dann ab 1949 ein Regierungslager vornehmlich für osteuropäische Flüchtlinge, wurde 1953/54 in ein Bundessammellager für ausländische Personen umgewandelt. Der Nürnberger Stadtrat, der in dem Lager vor den Stadttoren ein Sicherheitsrisiko wie auch einen rufschädigenden negativen Standortfaktor sah, wehrte sich vehement gegen die Einrichtung eines Ausländerlagers in Bundesverwaltung und intervenierte auch direkt bei der Bundesregierung.159 Der Konflikt eskalierte – auch auf einer persönlichen Ebene – in einem solchen Maße, daß Staatssekretär Oberländer sich aus den Verhandlungen zurückzog.160 Eine Einigung wurde schließlich dahingehend erzielt, daß das unter bayerischer Regie stehende Regierungslager bis zum Januar 1954 aufgelöst, die Pläne zur Einrichtung des Bundesauffanglagers aber weiter verfolgt wurden. Die Flüchtlingsabteilung des Innenministeriums mußte sich in der Folge dann freilich mit anderen bayerischen Kommunen auseinandersetzen, die einer Aufnahme von Personen aus dem Regierungslager Valka ebenfalls höchst reserviert gegenüberstanden.161

Zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Flüchtlingsabteilung im Innenministerium und dem Landwirtschaftsministerium kam es in der Frage der Interessenvertretung der heimatvertriebenen Landwirte. 1953 konnte sich der Bauernverband der Vertriebenen e.V. auf Bundesebene wie in den Ländern als berufsständische Organisation der vertriebenen Landwirte neben dem Deutschen Bauernverband positionieren und offizielle Anerkennung erlangen.162 In Bayern jedoch waren die Verhältnisse anders gelagert, da die vertriebenen Bauern hier in einer eigenen Abteilung innerhalb des Bayerischen Bauernverbandes organisiert waren. Dem Antrag des neuen Bauernverbandes der Vertriebenen e.V. auf Anerkennung seines bayerischen Landesverbandes als offizielle Vertretung der heimatvertriebenen Landwirtschaft im Freistaat standen das Landwirtschaftsministerium wie auch die heimatvertriebenen Landwirte im BBV sehr reserviert gegenüber. Sowohl Landwirtschaftsminister Schlögl wie der BBV verwiesen auf die bewährte Regelung in Bayern, die gleichermaßen den Interessen wie der Integration der vertriebenen Bauern sehr erfolgreich gedient habe, und negierten im Grundsatz die Notwendigkeit einer neuen Interessensvertretung. Zwar kam es auf Betreiben von Staatssekretär Oberländer zu einem formalen Beschluß, die beiden Organisationen zu vereinigen, dieser Schritt wurde in der Folge allerdings nicht vollzogen, es ergab sich weder ein Zusammenschluß noch eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen dem Dachverband des Bauernverbandes der Vertriebenen und der Heimatvertriebenen-Abteilung im BBV.163

Auffallend umfangreich war im Regierungsjahr 1953 in den Ministerratsprotokollen die Agenda des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus . Leihgabe ins Ausland Gleich zu Beginn des Jahres 1953 hatte sich das Kabinett erneut mit einer Anfrage aus den USA aus dem Vorjahr bezüglich einer Leihgabe von Gemälden aus der Alten Pinakothek in die Vereinigten Staaten zu befassen.164 Amerikanische Museen hatten geplant, eine Wanderausstellung mit Exponaten der Alten Pinakothek durchzuführen. Dieses Ansinnen wurde im Ministerrat tendenziell eher skeptisch beurteilt, die strikteste Ablehnung kam vom Kultusministerium, hier insbesondere von Staatssekretär Brenner. Als Gegenargument angeführt wurde neben konservatorischen Bedenken und schwierigen versicherungstechnischen Fragen insbesondere die Gefahr, daß Kunstwerke in den USA wegen Wiedergutmachungsansprüchen von privater Seite beschlagnahmt werden könnten. Mit Blick auf die Beziehungen des Freistaates zur amerikanischen Besatzungsmacht stimmte der Ministerrat dem Vorhaben jedoch schließlich – wenn auch zögerlich – zu;165 der Bayerische Landtag allerdings sprach sich anschließend in einem fast einstimmigen Beschluß gegen den Gemäldeverleih aus und sorgte damit für enttäuschte Reaktionen auf amerikanischer Seite wie auch für bayerisch-amerikanische diplomatische Dissonanzen.166 Fast zeitgleich zum Entscheidungsprozeß über die Gemäldeleihgaben hatte der Ministerrat über die Neubesetzung des Postens des Generaldirektors der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen zu entscheiden.167 Für den in den Ruhestand tretenden Eberhard Hanfstaengl168 berief Staatsminister Schwalber als neuen Generaldirektor den Kunsthistoriker Ernst Buchner,169 der diesen Posten bereits von 1933 bis 1945 innegehabt hatte und nach dem Krieg von der US-Militärregierung seines Amtes enthoben worden war. Die Wiederberufung Buchners, 1946 im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft, war in der Öffentlichkeit zwar nicht unumstritten, lief letztendlich aber reibungslos: Die Kritik an Buchner war weniger von grundsätzlich politischer Natur, sondern richtete sich vor allem gegen seine Erwerbspolitik nach 1933. Das Kultusministerium erklärte, in den An- und Verkäufen der Staatsgemäldesammlungen unter Buchners Ägide seien keine Dienstpflichtverletzungen zu erkennen, auch sei es Buchners Verdienst, daß die Bestände der Alten Pinakothek die Kriegsereignisse weitgehend unbeschadet überstanden hätten.

Sachthematisch verwandt hierzu ist im Jahre 1953 das Vorhaben des Wittelsbacher Ausgleichsfonds, Kunstgegenstände im Wert von einer Million DM auf dem Kunstmarkt zu veräußern und weitere Kunstwerke im Wert von 500 000 DM an den Freistaat zu verkaufen oder gegen staatlichen Immobilienbesitz einzutauschen.170 Der Wittelsbacher Ausgleichsfonds, eine 1923 gegründete Stiftung des öffentlichen Rechts, deren Erlöse dem Unterhalt der Angehörigen des Hauses Wittelsbach dienen, befand sich in großen Liquiditätsschwierigkeiten; ursprünglich hatte der Fonds sogar Kunstgüter im Wert von 5 Millionen DM verkaufen wollen. Die Staatsregierung wollte einen Abverkauf von Kunstwerken ins Ausland unter allen Umständen vermeiden – aus kulturpolitischen Grundsatzerwägungen heraus, aber auch aus Prestigegründen und aus der Befürchtung, der Bund könne sich in die Angelegenheit einmischen. Eine Einigung zwischen dem Ausgleichsfonds und dem Kultus- sowie dem Finanzministerium wurde dann dahingehend getroffen, daß der Freistaat zunächst Exponate der Alten Pinakothek, die sich im Besitz des Wittelsbacher Ausgleichsfonds befanden, für 500 000 DM ankaufte und für einen späteren Zeitpunkt die Zusage abgab, weitere Kunstgegenstände im Wert von einer Million DM in das Grundstockvermögen zu übernehmen.171

Wittelsbacher Ausgleichsfonds

Ein umstrittenes Thema des Schulsektors war 1953 die Frage der Besoldung der Volksschullehrer.172 Nachdem zunächst die Hansestadt Hamburg zur Bekämpfung des Lehrermangels Ende 1952 eine deutliche Erhöhung der Bezüge der Lehrer angekündigt hatte und dann mit dem Bundesgesetz zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts vom 27.3.1953173 die Besoldung von Lehrkräften in die Regelungskompetenz der Länder gelegt wurde, sahen sich das Kultuministerium und die Staatsregierung aus den Reihen der Landtagsopposition wie auch durch die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder, die sich ebenfalls für eine Verbesserung der Lehrerbesoldung einsetzte, unter Handlungszwang gesetzt. Das Staatsministerium der Finanzen warnte vor zusätzlichen Personalkosten in Höhe von jährlich 20 Mio DM und kritisierte insbesondere, daß die Diskussion um die Lehrerbesoldung sich nicht mehr wie in ihren Anfängen um die Besserstellung der Volksschullehrer und insbesondere der Junglehrer drehe, sondern nun gehe es um die besoldungsrechtliche Gleichstellung des Lehrpersonals verschiedener Schultypen und die Einkommensituation der Lehrerschaft insgesamt. Für das Finanzministerium liefen die Forderungen in die Richtung einer nicht akzeptablen Bevorzugung der Lehrer gegenüber anderen Beamtengruppen.174 Es sollte bis zum Sommer 1954 dauern, bis nach langwierigen Auseinandersetzungen zwischen dem Finanz- und dem Kultusministerium durch das vierte Landesgesetz zur Änderung und Ergänzung des Besoldungsrechts die Vergütung der Lehrer im Freistaat reformiert wurde.

Besoldung

Weiteres schulpolitisches Thema im Regierungsjahr 1953 war der Beschluß des Bayerischen Landtags, den 1946 gegründeten Bayerischen Schulbuch-Verlag aufzulösen bzw. die staatliche Beteiligung an dem Verlag aufzugeben.175 Der Landtag folgte hier der Empfehlung des Haushaltsausschusses, die wiederum auf zwei bereits 1951 gestellten Anträgen der DG und der BP beruhte. Innenminister Hoegner bezeichnete diesen Vorgang als skandalös, es handle sich nicht nur um einen noch nie dagewesenen Eingriff in die Exekutive, sondern auch um ein verfassungsrechtlich zweifelhaftes Verlangen, da der Landagsbeschluß eine Minderung des Grundstockvermögens des Freistaates bedeute. Hierzu reiche aber ein Landtagsbeschluß nicht aus, sondern es bedürfe eines Gesetzes. Die Abwicklung des Schulbuch-Verlages als staatlicher Regiebetrieb wurde in der Folge dann allerdings doch nicht durchgeführt – erst im Jahre 1998 kam es zur Privatisierung des Verlagshauses.

Auf dem Gebiet der Gesetzgebung gab es aus der Ressortzuständigkeit des Kultusministeriums neben der oben erwähnten Reform der Lehrerbesoldung nur den Entwurf eines neuen Stiftungsgesetzes , der bereits seit dem Jahre 1948 in Bearbeitung war.176 Das Stiftungsrecht in Bayern war durch eine Vielzahl landesgesetzlicher Regelungen, die vom 19. Jahrhundert bis zur NS-Zeit erlassen worden waren, höchst unübersichtlich und zersplittert, teilweise widersprachen sie auch den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches. Das neue Gesetz sollte hier zu einer Bereinigung führen und insbesondere die Rechte der kirchlichen Stiftungen neu festschreiben. Im Ministerrat kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kultus- und dem Innenministerium: Staatsminister Hoegner kritisierte die im Gesetzestext vorgsehene „Obhutspflicht“ und die Aufsicht des Staates gegenüber den Stiftungen. Diese waren vom Kultusministerium insbesondere mit Blick auf das Staat-Kirche-Verhältnis auf dem Gebiet des Stiftungswesens in den Entwurf aufgenommen worden, sollten aber auch für kommunale Stiftungen gelten. Diese aber gehörten nach Rechtsauffassung des Innenministeriums zum eigenen Wirkungskreis der Gemeinden und Landkreise, in den von außen nicht eingegriffen werden und der auch keiner Kontrolle unterliegen dürfe.

Von Seiten des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr ist für das Regierungsjahr 1953 kein landesgesetzliches Vorhaben initiiert worden. Dominant aus dem Zuständigkeitsbereich des Wirtschaftsministeriums hingegen waren 1953 – dem Jahr, in dem in München von Juni bis Oktober übrigens die prestigeträchtige Deutsche Verkehrsausstellung stattfand177verkehrspolitische Fragen. So genehmigte der Ministerrat am 31. März den Bau eines neuen Fahrgastschiffes für den Starnberger See mit einer Kapazität von 1 200 Personen und behandelte bei dieser Gelegenheit auch die Organisation der Schiffahrt auf den bayerischen Gewässern und die Frage, wie die Zuständigkeit für den Schiffahrtsbetrieb auf dem Starnberger See künftig wieder von der Bundesbahndirektion München auf den Freistaat übertragen werden könne.178 Die Entscheidung für den Bau eines neuen Schiffes wurde getroffen, obwohl das Kabinett bei anderer Gelegenheit die zumindest zeitweise mangelnde Auslastung der bayerischen Personenschiffahrt diskutierte: Das Wirtschaftsministerium hatte aus ökonomischen Erwägungen heraus die Einstellung der Personenschiffahrt auf dem Starnberger und dem Ammersee über die Wintermonate beschlossen, eine Entscheidung, die dann vom Wirtschafts- und Verkehrsausschuß des Bayerischen Landtags wieder rückgängig gemacht wurde – es handle „sich hier um einen nicht gerechtfertigten Eingriff in die Exekutive“, so Staatsminister Seidel im Ministerrat vom 27. Oktober.179 Das Wirtschaftsministerium setzte sich in dieser Auseinandersetzung letztlich durch, weil es Staatssekretär Guthsmuths gelang, den Haushaltsauschuß des Landtags auf seine Seite zu ziehen.180 Das verkehrspolitische Großprojekt auf der Tagesordnung des Ministerrats im Jahre 1953 war der Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals . Bereits seit dem Jahre 1950 kamen die Verhandlungen zwischen dem Bund und Bayern über die Weiterfinanzierung dieses Vorhabens, das zu ⅔ vom Bund und zu ⅓ vom Freistaat finanziert werden sollte, nicht vom Fleck.181 Ursächlich war hier zunächst das Geschäftsgebaren des Bayernwerkes , das bereits seit dem Jahre 1921 ein Vorzugsrecht für die Übernahme des Stroms aus den entlang der Schiffahrtstraße errichteten Wasserkraftwerken besaß. Entgegen einer ursprünglichen vertraglichen Vereinbarung, nach der das Bayernwerk aus dieser Stromübernahme keine wirtschaftlichen Vorteile ziehen sollte, erzielte das Energieunternehmen jedoch aufgrund massiver Veränderungen des Strommarktes seit Mitte der 1920er Jahre aus den Rhein-Main-Donau-Kraftwerken hohe Gewinne, die – ebenfalls entgegen älterer vertraglicher Bestimmungen – nicht zweckgebunden abgeführt und für den Ausbau der Wasserstraße verwendet wurden. Das Bundesverkehrsministerium hatte daher eine Revision des alten Konzessionsvertrages vorgeschlagen. Nachdem die Differenzen zwischen Bayernwerk und der Rhein-Main-Donau AG weitgehend ausgeräumt werden konnten, beschloß der Ministerrat am 3. August – mit einem von bayerischen Abgeordneten eingebrachten Bundestagsbeschluß im Rücken –, Finanzierungsvorschläge für den Ausbau des Rhein-Main-Donau-Kanals zwischen Würzburg und Bamberg bis zum Jahre 1959 zu entwickeln. Gerechnet wurde hier mit einer Haushaltsbelastung in Höhe von rund 7 Mio. DM jährlich ab 1954.182

Von nur untergeordneter Bedeutung waren in verkehrspolitischer Hinsicht die Straßenbaumaßnahmen. Lediglich einmal wurde im Ministerrat vom 21. Juli die Trassenführung der Autobahn Aschaffenburg-Nürnberg durch den Spessart thematisiert,183 und einmal die Renovierung von Gemeindestraßen am Urlaubsort von Bundespräsident Heuss im Allgäu.184

Fragen der Energieversorgung und der Energiewirtschaft nahmen in den Kabinettssitzungen generell und wie in den Vorjahren auch wieder breiteren Raum ein. Erneut und wiederholt stand die Krise des Kohlebergbaues im sogenannten oberbayerischen Pechkohlegebiet zwischen Marktoberdorf und Traunstein auf der Tagesordnung.185 Die defizitären und gegenüber der Saar- und Ruhrkohle nicht konkurrenzfähigen oberbayerischen Gruben produzierten auf Halde. Das Wirtschaftsministerium versuchte zunächst, über eine mit dem Bundeswirtschaftsministerium abgestimmte Preispolitik den Absatz zumindest vorübergehend anzukurbeln. Unter Zugzwang geriet man dann, als Vertreter der bayerischen KPD Anfang Juni offerierten, die zwischenzeitlich weiter angewachsenen Haldenbestände vollständig aufkaufen zu wollen. Der Ministerrat vermutete hinter dieser Aktion die Initiative der Kohlenbergbauleitung in der DDR und faßte umgehend den Beschluß, die Kohlenbestände selber zu übernehmen und ein gemeinsames interministerielles Strategiepapier der Staatsministerien für Finanzen, für Wirtschaft und für Arbeit und Soziale Fürsorge über die Fortführung des oberbayerischen Kohlebergbaus ausarbeiten zu lassen.186 Dieses Memorandum schlug dann ein umfassendes Maßnahmenpaket vor, das von Rabatten, der Gewinnung von Großkunden wie Flüchtlingslagern oder Krankenhäusern, der Verpflichtung staatlicher Stellen zum Kauf der Pechkohle bis hin zu einem Gutscheinsystem für den vergünstigten Bezug von Kohle für Fürsorgeberechtigte oder Beschäftigte in der Industrie reichte.187 Alle diese Maßnahmen freilich wurden von den Verantwortlichen bereits im Bewußtsein getroffen, daß der oberbayerische Bergbau mittel- und langfristig ohne Perspektive war: Zum Ende des Jahres 1962 wurde als erstes der Betrieb der Grube Marienstein eingestellt,188 als letztes erfolgte im Jahre 1971 die Stillegung des Bergwerks Peißenberg.

Pechkohlebergbau

Zu einem Konflikt zwischen dem Landeslastverteiler, dem Wirtschaftsministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium führte die Frage der Elektrizitätsversorgung in den bayerischen Grenzgebieten, insbesondere in Lindau und in der Gegend um Aschaffenburg.189 Die Grenzen der westdeutschen Elektrizitätsversorgungsbezirke deckten sich nicht genau mit den politischen Grenzen zwischen den Ländern, was bedeutete daß z.T. außerbayerische Lastverteiler für die Versorgung in Teilen Bayerns zuständig waren und umgekehrt. Lindau beispielsweise wurde vollständig von baden-württembergischer und auch von österreichischer Seite aus versorgt. Bereits 1951 waren die bayerischen Grenzgebiete durch eine Verordnung des Staatsministeriums für Wirtschaft wieder dem Gebietslastverteilerbezirk Bayern unterstellt worden, was dann zu Protesten des Bundeswirtschaftsministeriums und der Länder Württemberg-Baden und Württemberg-Hohenzollern führte. Das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr sah diese als begründet an und plädierte vor allem im Sinne der Versorgungssicherheit in den Grenzgebieten für eine pragmatische Lösung: Man sollte nicht, wie Staatsminister Seidel im Ministerrat vom 16. März ausführte, „mehr oder weniger aus Prestigegründen“ auf Zuständigkeiten pochen. Das Wirtschaftsministerium konnte sich allerdings nicht – wie bereits im Vorjahr auch190 – gegen den Standpunkt des Landeslastverteilers und des Innenministeriums durchsetzen.191 Die Angelegenheit sollte schließlich zunächst mit einem für Bayern vorteilhaften Kompromißvorschlag enden – nur das Gebiet um Lindau wurde vorläufig nicht dem bayerischen Energiebezirk zugeschlagen – und wurde ansonsten in der Folge von allen Beteiligten dilatorisch behandelt.192

Elektrizitätsversorgung

Eine einschneidende und weitreichende energiepolitische Entscheidung stand sodann im Ministerrat vom 13. Oktober auf der Tagesordnung: es handelte sich um nichts weniger als den Startschuß für Bayerns „Aufbruch ins Atomzeitalter“,193 um die Grundsatzentscheidung zur Errichtung eines Kernreaktors im Freistaat. Die Deutsche Atomkommission, so führte Wirtschaftsminister Seidel vor seinen Kabinettskollegen aus, plane die Errichtung einer Atomforschungsanlage bei München, deren Leitung der noch in Göttingen wirkende Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg194 übernehmen solle.195 Staatsminister Seidel legte sichtlich Wert auf die Betonung der hiermit verbundenen Chancen für den Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort Bayern, technische Sicherheitsfragen dagegen wurden nur kursorisch abgehandelt: „Wenn das Werk nicht im unmittelbaren Stadtbereich errichtet werde“, so Seidel, „so würde für die Bevölkerung der Stadt durch eine radioaktive Verseuchung der Luft keine Gefahr entstehen, da in angemessenem Umkreis der Anlage die Verseuchung der Luft laufend gemessen werde und die Anlage jederzeit abgestellt werden könne. Dieser letztere Umstand schließe auch jede Katastrophengefahr aus, da die Anlage im Falle eines Streiks oder dergleichen jederzeit mühelos abgeschaltet werden könne.“ Auf Antrag des Wirtschaftsministers faßte der Ministerrat umgehend den Beschluß, daß die Staatsregierung „die Errichtung einer Atomanlage in angemessener Entfernung von München begrüße.“ Das erste deutsche Kernforschungszentrum und das Max-Planck-Institut von Heisenberg kamen in der Folge zunächst zwar noch nicht nach München, allerdings legte die Viererkoalition unter Ministerpräsident Hoegner sich im Dezember 1954 auf die Errichtung eines Forschungsmeilers bei München fest, im November 1955 wurde die Bayerische staatliche Kommission zur friedlichen Nutzung der Atomkräfte ins Leben gerufen, die wiederum im Juni 1956 den Ankauf eines Forschungsreaktors für die TH München beschloß. Dieser konnte bereits Ende Oktober 1957 in Garching in Betrieb gehen.196

Atomenergie

Eine wiederholt in insgesamt acht Ministerratssitzungen behandelte wirtschaftspolitische Frage, in die allerdings weniger das Wirtschafts- als vielmehr das Finanz- wie das Arbeitsministerium involviert waren, war die staatliche Übernahme des Chemieunternehmens Anorgana in Gendorf.197 Dieses 1938 gegründete Chemiewerk im sogenannten oberbayerischen Chemiedreieck war ein 100%iges Tochterunternehmen der liquidierten I.G. Farben AG gewesen. Seit dem Jahre 1951 hatte die Staatsregierung das Ziel verfolgt, das völlig unrentable Unternehmen zu übernehmen – und zwar mit der einzigen Absicht, aus arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Grundsatzerwägungen heraus die Schließung des Werkes und die Entlassung von rund 2 500 Beschäftigten – darunter viele Vertriebene – zu verhindern. Der Freistaat kaufte das Unternehmen zunächst für 3 Mio DM und veräußerte seine Anteile im August 1954 wieder für 3,3 Mio DM an die Bayerische Vereinsbank.

Anorgana

Das Staatsministerium der Justiz spielte im Jahre 1953, wie oben geschildert, zwar in den Auseinandersetzungen um das Gesetz zur Sicherung des politischen Friedens in Bayern und um das Polizeiorganisationsgesetz eine wichtige Rolle, kaum aber auf legislativem Gebiet. Abschließend behandelt wurde das seit dem Jahre 1951 in Vorbereitung befindliche Zweite Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung in Bayern, durch das insbesondere der durch das Befreiungsgesetz vom 5. März 1946 verhängte Verlust des aktiven Wahlrechts und das Verbot der parteipolitischen Betätigung für Hauptschuldige und Belastete aufgehoben und ferner verhängte Sühnegelder für Minderbelastete, Mitläufer und unter die Weihnachtsamnestie fallende Personen erlassen wurden.198 In sachthematischem Zusammenhang ist hier auch anzuführen das aus der Mitte des Landtags initiierte Gesetz über die Entnazifizierung der Kriegsgefangenen und Zivilverschleppten vom 27. Oktober 1953 , durch das sämtliche nach dem 1. Januar 1953 heimgekehrten Kriegsgefangenen als vom Befreiungsgesetz nicht betroffen galten.199

Keinerlei zentrale Gesetzesvorhaben wurden im Regierungsjahr 1953 ferner vom Staatsministerium für Arbeit und Soziale Fürsorge und vom Staatsministerium für Ernährung und Landwirtschaft auf den Weg gebracht. Aus dem Hause von Arbeitsminister Oechsle kamen nur der Entwurf eines Ausführungsgesetzes zum Bundessozialgerichtsgesetz 200 sowie, damit im Zusammenhang stehend, der Entwurf eines Gesetzes über die Übertragung von Aufgaben und Befugnissen des bisherigen Bayer. Landesversicherungsamtes und der bisherigen Oberversicherungsämter ,201 ferner der Entwurf einer Verordnung, mit der die Abteilung „Arbeitmedizin“ im Arbeitsministerium aus diesem ausgegliedert und als diesem nachgeordnete Behörde nun als „Bayerisches Landesinstitut für Arbeitsmedizin“ weitergeführt wurde.202 Das Arbeitsministerium legte außerdem einen neuen Landesjugendplan vor, der in Anlehnung an den im Dezember 1950 verkündeten Bundesjugendplan mit einem umfassenden Maßnahmenkatalog die erzieherische und berufliche Fürsorge und Förderung der Jugend zum Ziel hatte.203

Auch aus dem Bereich des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gibt es, wie bereits angedeutet, für das Regierungsjahr 1953 mit Ausnahme des Entwurfes eines Ausführungsgesetzes zum Bundesgesetz über das landwirtschaftliche Pachtwesen .204kaum Nennenswertes anzuführen. Mit dem Konflikt mit dem Finanzministerium über die Finanzierung des Neubaues des Flurbereinigungsamtes in Bamberg,205 mit der durch eine Rekordernte ausgelösten akuten Krise auf dem Zwetschgenmarkt in Unterfranken, zu deren Lösung insbesondere eine gesteigerte Schnapsproduktion angeregt wurde,206 sowie mit den heftigen Streitigkeiten zwischen Landwirtschaftsministerium und dem Bayerischen Obersten Rechnungshof sind die wichtigsten Ereignisse bereits benannt: Im Zusammenhang mit einer Überprüfung der Kantine des Landwirtschaftsministeriums durch den Obersten Rechnungshof, in deren Verlauf finanzielle Unregelmäßigkeiten, fingierte Rechnungen, Unterschlagungen und Schwarzmarktaktivitäten der Betriebsleitung ans Tageslicht gekommen waren, hatte der Präsident des Rechnungshofes, Richard Kallenbach,207 in einer Sitzung des Finanzausschusses des Bayerischen Senats Korruptionsvorwürfe gegen höhere Beamte des Landwirtschaftsministeriums erhoben.208 Konkret ging es um eine Flasche Wein für einen Ministerialrat, Anlaß war dessen 40. Geburtstag gewesen. Staatsminister Schlögl beschwerte sich so vehement über Kallenbachs Verhalten, daß Finanzminister Zietsch um die persönliche Intervention von Ministerpräsident Ehard bat. Ein ähnliches Konfliktpotential tat sich auf, als Rechnungshofpräsident Kallenbach und Landwirtschaftsminister Schlögl im Haushaltsausschuß des Bayerischen Landtags in einen offenen Schlagabtausch über eine Haushaltsstudie des Obersten Rechnungshofes gerieten, der zufolge im Freistaat im Vergleich mit dem Land Niedersachsen das Dreifache für die Landwirtschaft ausgegeben werde.209 Der Rechnungshof, von Seiten des Landwirtschaftsministers als in agrarischen Angelegenheiten ahnungslos und inkompetent abqualifiziert, ruderte in der Folge zwar zurück und betonte, man habe keine Grundsatzkritik am Haushalt des Landwirtschaftsministeriums üben, sondern nur einzelne Haushaltsansätze für Bayern und Niedersachsen vergleichen wollen.210 Der Ministerrat hielt Kallenbachs Verhalten allerdings für insgesamt nicht glücklich – denn das Landwirtschaftsministerium war nicht alleine von der Kritik des Rechnungshofpräsidenten, der übrigens schon zu seiner Zeit als Ministerialdirigent im Finanzministerium für seine mit spitzem Stift berechnete Sparsamkeit berüchtigt und gefürchtet war,211 betroffen. Im Dezember 1952 etwa hatte Kallenbach im Bayerischen Senat bereits die Verwaltung der Dispositionsfonds der Einzelressorts kritisiert212 sowie die moralische Integrität der bayerischen Beamtenschaft in Frage gestellt: Nicht zuletzt aufgrund der „Verschlechterung der finanziellen Situation der Staatsbeamten“ bestünden hier „gewisse Krankheits- und Ansteckungsherde“, und es sei bedauerlicherweise „nicht überall in der Staatsverwaltung der absolute Wille vorhanden, gegen unerfreuliche Erscheinungen rücksichtslos vorzugehen.“213 Stellungnahmen dieser Art veranlaßten Ministerpräsident Ehard zu der Aussage, es „müsse nun wirklich ein Modus gefunden werden, daß sich Präsident Kallenbach nicht weiter in dieser Weise äußere.“214 Die Friktionen zwischen Staatsregierung und dem Rechnungshofpräsidenten sollten im Jahre 1954 dann noch zu einem Politikum werden. Auf Vorschlag des Staatsministeriums der Finanzen vom 22. Dezember 1953 beschloß der Ministerrat im Januar 1954 eine Dienstzeitverlängerung Kallenbachs,215 offiziell zunächst bis zum 31. März, inoffiziell war aber bereits eine Verlängerung bis Ende 1954 geplant. Nachdem Kallenbach allerdings dann unbefugt einen an das Innenministerium gerichteten Bericht über den umstrittenen Neubau des Dienstwohngebäudes für den Regierungspräsidenten in Augsburg 216 an den Landtags-Untersuchungsausschuß „Residenztheater“ 217 weitergeleitet hatte, war die Geduld der Staatsregierung mit dem Rechnungshofpräsidenten endgültig überstrapaziert. Kallenbach wurde zum 1.4.1954 in den Ruhestand versetzt, was in der Presse als Kaltstellung eines unbequemen Beamten, von Seiten der Staatsregierung aber als konsequente Ahndung illoyalen Verhaltens interpretiert wurde. Das Verhältnis zwischen Regierung und Rechnungshof muß in der Tat als unumkehrbar zerrüttet angesehen werden – nach einer Aussage des Ministerpräsidenten hätte man „bisweilen das Gefühl, der Oberste Rechnungshof fühle sich als Anklagebehörde und in der Staatsregierung sässen lauter Angeklagte – gewissermaßen ‚fiskalische Verbrecher‘. Dieser Zustand sei sehr ungut für alle Teile.“218

Ein wichtiges Projekt aus der Ressortzuständigkeit des Landwirtschaftsministeriums war dann allerdings die bereits im Vorjahr beschlossene Auflösung der Bayerischen Lagerversorgung .219 Diese war im Jahre 1945 als unter der Aufsicht des Landwirtschaftsministeriums stehende Dienststelle zur Versorgung der Flüchtlingslager mit Lebensmitteln gegründet und 1950 in einen staatlichen Regiebetrieb überführt worden. Nachdem sich der Aufgaben- und Zuständigkeitsbereich der Lagerversorgung immer mehr verringerte und die Lagerversorgung zu einem höchst defizitären Unternehmen geworden war,220 wurde sie 1954 an die Coloniale, die Einkaufsgenossenschaft des bayerischen Großhandels, veräußert.

Ein Thema, das den Ministerrat im Jahre 1953 wiederholt beschäftigte und das im Schnittfeld der Ressortzuständigkeiten des Innen-, des Arbeits- und des Wirtschaftsministeriums lag, waren die Ladenschlußzeiten im bayerischen Einzelhandel. Diese Frage entwickelte eine nicht vorhergesehene politische Sprengkraft, zunächst in der Landeshauptstadt München. Die Düsseldorfer Firma C&A hatte entschieden, ihre Verkaufsfiliale in der Innenstadt beginnend mit der Eröffnung der Münchener Verkehrsausstellung an Samstagen bis 17 Uhr geöffnet zu halten.221 Dies war nach der Rechtslage zwar zulässig, widersprach aber dem in München zwischen der Stadtverwaltung und der Geschäftswelt geschlossenen Konsens, die Geschäfte am Samstag um 14 Uhr zu schließen. Am 13. Juni kam es in der Münchener Kaufingerstraße und den angrenzenden Straßenzügen zu einer Demonstration gegen C&A mit rund 10 000 Teilnehmern, am 20. Juni gar mit 20 000 Protestierenden. Bei letzterer kam es zu Ausschreitungen, dem Einsatz von 1 000 Polizisten, teilweise von der Bereitschaftspolizei, es gab zahlreiche Verletze und Verhaftungen. Zwar wurde im Ministerrat die Auffassung vertreten, daß es sich hier um eine Angelegenheit der Stadt München handle, der vermutete Einfluß der KPD und das Ausmaß der Demonstrationen ließ ein Eingreifen staatlicherseits allerdings doch als angebracht erscheinen. Der Konflikt wurde Anfang Juli zumindest vorübergehend durch die persönliche Vermittlung von Arbeitsminister Oechsle gelöst, der auf Bitten von C&A und der Gewerkschaften seinen Urlaub unterbrochen hatte – der vorübergehende Kompromiß lautete zunächst dahingehend, daß während der Dauer der Münchener Verkehrsausstellung die Ladengeschäfte Samstag geöffnet haben dürften. Für den Herbst und den Winter 1953/54 wurden in der Folge monatsweise verkaufsoffene Samstage festgelegt.222

Der zweite Konflikt um die Ladenschlußzeiten fand nicht mit Gewerkschaften oder dem Einzelhandel statt, sondern zwischen der Staatsregierung und einigen bayerischen Kommunen. Es ging um die Frage der verkaufsoffenen Sonntage vor Weihnachten.223 Der Ministerrat hatte beschlossen – entsprechend einer Vereinbarung der Arbeitsminister der Länder –, in der Zeit vor Weihnachten zwei verkaufsoffene Sonntage zu genehmigen. Einige Städte in Bayern – es handelte sich insbesondere um Würzburg, Bayreuth und Hof – hatten sich allerdings bereits lange im Vorfeld per Stadtratsbeschluß auf drei verkaufsoffene Sonntage in der Vorweihnachtszeit festgelegt und waren nicht bereit, ihre Entscheidung im Sinne der Münchener Vorgaben zu revidieren. Der Ministerrat befand sich in einem offensichtlichen Dilemma; polizeiliche Zwangsmaßnahmen gegen fränkische Kommunalpolitiker und Geschäftsleute erschienen als keine praktikable Option.224 Die Staatsregierung erließ über eine gemeinsame Entschließung des Arbeits- und Wirtschaftsministeriums über die Regierungen von Ober- und Unterfranken die Anweisung, einen dritten verkaufsoffenen Sonntag nicht zuzulassen. Als der Würzburger Stadtrat dieser Anweisung nicht Folge leistete und an seinem ursprünglichen eigenen Beschluß festhielt, hob die Regierung von Unterfranken zur Durchsetzung des Münchener Ministerratsbeschlusses die Entscheidung des Würzburger Kommunalparlaments formell auf. Hiergegen ging die Stadt vor dem Verwaltungsgericht Würzburg vor und fügte der Staatsregierung eine empfindliche juristische Niederlage zu. Das Gericht nämlich negierte in der Frage der Geschäftsöffnungszeiten die zwingende Regelungskompetenz der Aufsichtsbehörden und erklärte diese Frage zur Angelegenheit der Kreisverwaltungsbehörden, soweit die Vorgaben der Gewerbeordnung eingehalten würden. Das Urteil wurde im Ministerrat mit Befremden aufgenommen, insbesondere da, wie Innenminister Hoegner fetstellte, „in Zukunft jetzt in Zweifel gezogen werden könne, ob überhaupt eine untere Verwaltungsbehörde an die Weisung einer oberen gebunden sei.“225

Ladenschlußregelung

Wiederkehrendes Thema in den Ministerratssitzungen des Jahrs 1953 waren erneut die umfangreichen Wiederaufbaumaßnahmen im Nachkriegsbayern. Beispielhaft zu nennen sind der Wiederaufbau des Aschaffenburger Hauptbahnhofes,226 die Einweihung der Münchener Frauentürme ,227 die Grundsteinlegung der neuen Münchener Matthäuskirche ,228 die Renovierung des Regensburger Domes229 oder die Wiedererrichtung der Münchener Universitätsgebäude.230 Das größte und wohl auch prestigeträchtigste Projekt aber war der Beschluß zur Neubebauung des Münchener Maxburg-Geländes am Lenbachplatz.231 Auf dem staatseigenen Grund sollte, so die Anforderungen eines 1952 von der Obersten Baubehörde ausgeschriebenen Architektenwettbewerbs, ein modernes Behördengebäude errichtet werden. Über die Bebauungspläne kam es im Ministerrat zu harten Auseinandersetzungen zwischen dem Justiz- und dem Finanzministerium. Das Justizministerium nämlich hatte für sich seit längerem zentrale Büroräume im Münchener Innenstadtbereich an repräsentativem Ort gefordert, das Staatsministerium der Finanzen jedoch hatte für den Wiederaufbau des Maxburg-Geländes einen Erbpachtvertrag mit einer Münchener Baufirma konzipiert, der vorrangig eine künftige gewerbliche Nutzung des Gebäudekomplexes zum Vorteil des Bauträgers vorsah. Das Finanzministerium sah sich außerdem der harschen Kritik der Münchener Koordinierungskommission ausgesetzt, einem aus Vertretern des Finanz- und des Kultusministeriums, des Landesamtes für Denkmalpflege und der Stadt München zusammengesetzten Gremium, das den Wiederaufbau Münchens nach städtebaulichen und denkmalpflegerischen Aspekten beratend begleiten sollte – denn die Baupläne des Finanzministeriums und der privaten Baufirma hatten mit den im früheren Architekturwettbewerb favorisierten Entwürfen nur noch wenig gemein. „Wenn der Staat so weit kommt“, so eine Stellungnahme in der Koordinierungskommission, „dass er im Herzen seiner Hauptstadt Grundstücke durch irgend ein nur finanziell interessiertes Unternehmen ausschlachten lässt, weil die Firma den Vorzug eines finanziellen Ertrages des Grundstückes in Aussicht stellt, dann hört sich jede kulturelle Arbeit im öffentlichen Dienst auf.“232 Das Finanz- und Justizministerium einigten sich schließlich auf den Kompromiß, daß in dem neuen Gebäude für die Justizverwaltung eine Fläche von 6 000 Quadratmetern sofort zugeteilt würde, auf später freiwerdende Büroräume wurde dem Justizministerium der Anspruch zugesagt.

Ein weiteres städtebauliches Großprojekt der Staatsregierung nahm ebenfalls im Jahre 1953 seinen ersten Anfang. Ausgangspunkt war hier zunächst ein handfester Immobilien- und Finanzskandal, in den die „Vermögensverwaltung S.K.H. Prinz Ludwig Ferdinand von Bayern“ der Adalbertinischen Linie der Wittelsbacher verwickelt war: Beim Verkauf der Ruine des Leuchtenberg-Palais am Münchener Odeonsplatz im Jahre 1951 war der Freistaat mit seinem Gebot weit hinter dem der Adalbertinischen Vermögensverwaltung zurückgeblieben.233 Letztere geriet daraufhin in das Visier der Finanzbehörden, und die Ermittlungen deckten in der Folge ein ausgeklügeltes System an Devisen- und Steuervergehen auf. Gerichtliche Strafverfahren und juristische Auseinandersetzungen endeten schließlich Jahre später in Zwangsversteigerungen. Der Freistaat erwarb im Jahre 1957 das Gelände des Leuchtenberg-Palais, das nach dem Wiederaufbau zwischen 1963 und 1967 seitdem Sitz des Staatsministeriums der Finanzen ist.

Auffällig ist in den Ministerratsprotokollen 1953 eine merkliche Zunahme an interministeriellen Konflikten sowie an Auseinandersetzungen zwischen der Staatsregierung bzw. den Einzelressorts und anderen Staatsorganen. Auf die Differenzen zwischen Innen- und Justizministerium auf dem Gebiet der Polizeigesetzgebung, dem Streit zwischen Finanz- und Justizministerium um Büroflächen oder das Gebaren des Bayerischen Obersten Rechnungshofes wurde bereits ausführlich verwiesen. Erneut aneinander gerieten die beiden SPD-geführten Staatsministerien des Innern und der Finanzen in der Frage der künftigen Verteilung der Verwaltungszuständigkeiten.234 Stein das Anstoßes war die Kritik des Finanzministeriums an der kostspieligen Zweigleisigkeit vieler Verwaltungszweige, insbesondere der staatlichen Bauverwaltung. Staatsminister Hoegner führte Klage darüber, daß sein Ressort sich hier in der öffentlichen Kritik befinde, gleichzeitig vom Finanzministerium aber keine Kommunikations- oder Verhandlungsangebote kämen.

Der Bayerische Senat verlangte bei einer Gelegenheit mehr Mitwirkungsrechte bei der Gesetzgebung.235 Dieses Ansinnen freilich geriet nicht zu einem Konflikt, erkannte die Staatsregierung die Arbeit und die Kompetenz der Zweiten Kammer doch im Grundsatz an. Spannungsreicher gestaltete sich das Verhältnis zum Bayerischen Landtag . Die gegen den Willen der Staatsregierung vom Landtag beschlossenen Ausgabenmehrungen beispielsweise wurden oben im Zusammenhang mit der Haushaltsaufstellung 1953 bereits erwähnt. Spürbar und zunehmend irritiert war Ministerpräsident Ehard von der Tätigkeit des Auerbach-Untersuhungsusschusses im Landtag – dieser hatte einem Antrag auf Anzeige gegen Staatssekretär Ringelmann entsprochen. „Er sei der Meinung“, so der Ministerpräsident im Ministerrat vom 24. März, „daß es so wirklich nicht mehr weitergehe und es höchste Zeit sei, daß der Ausschuß seine Tätigkeit beende.“ In merklich ausgeprägterem Maße als in den Vorjahren setzte sich der Ministerrat ferner mit der inhaltlichen Vorbereitung von Landtagssitzungen, Interpellationen und kritischen Anfragen auseinander, betreffend etwa die unternehmerische Tätigkeit des Freistaates,236 der bereits erwähnten Ausstellung von Bildern der Alten Pinakothek in den USA ,237 zum Bericht des Obersten Rechnungshofes für das Rechnungsjahr 1950238 oder die Übernahme des Chemieuternehmens Anorgana durch den Freistaat.