Zu Beginn der Sitzung gibt Ministerpräsident Dr. Ehard einen Überblick über die Koalitionsverhandlungen vom Montag, den 12. Mai und das aus ihnen hervorgegangene Ergebnis.
1Vgl. Nr. 96 TOP I u. TOP VII, Nr. 97 TOP I.
1Staatsminister Zietsch teilt mit, daß das vorläufige Ergebnis der Anleihe sich auf rund 160 Millionen DM belaufe, wovon 20% auf Bayern entfielen; möglicherweise werde sich der Betrag noch etwas erhöhen, zumal auch noch Zeichnungen aus dem Ausland erwartet würden. Die Emissionsbank lege Wert darauf, daß die Anleihe für ausländische Zeichner noch weiter offen bleibe. Die Frage sei nun, ob der Ministerrat damit einverstanden sei, daß die Anleihe das ursprünglich gesetzte Limit von 150 Millionen DM um 10 Millionen DM übersteige.
2Der Ministerrat erklärt sich mit dieser Überschreitung einverstanden.
3Ministerpräsident Dr. Ehard kommt dann auf die Kontroverse im Senat zwischen Herrn Stadtkämmerer Hielscher2 und Ministerialrat Barbarino3 zu sprechen, die seiner Meinung nach keinen günstigen Eindruck gemacht habe.4
2Erwin Hielscher (1898–1971), Bankkaufmann, 1916–1945 Tätigkeit im Bankgewerbe, seit 1922 in München, 1945 Gründungsmitglied der SPD in München, Schriftführer des wirtschaftspolitischen Ausschusses der SPD sowie Mitverfasser des Plan „G“ des Ausschusses für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Münchner Gewerkschaften (gedruckt München 1946), 1945/46 MinRat im StMF, 1946 u.a. Bankkommissar der Bayerischen Staatsbank, 2.3. bis 21.5.1948 Vorsitzender der Sonderstelle Geld und Kredit des Wirtschaftsrates (Vorbereitung der Währungsreform), 1.8.1946 bis 31.7.1964 Stadtkämmerer Münchens, 1947–1971 Mitglied des Bayerischen Senats, 1953–1969 Vorsitzender von dessen Finanz- und Haushaltsausschuß.3Zur Person s. Nr. 97 TOP I Anm. 25.4Bezug genommen wird auf die 15. Sitzung des Finanz- und Haushaltsausschusses des Bayer. Senats vom 8.5.1952, auf deren Tagesordnung der Haushalt 1952 des StMJU, des StMWi und die Schatzanweisungen des Freistaates Bayern standen. Hielscher hatte in der Ausschußsitzung scharfe Kritik sowohl an dem Schatzanweisungsverkauf im Allgemeinen als auch am Finanzministerium im Besonderen geübt. Neben den bereits von anderer Seite in der Öffentlichkeit vorgebrachten Kritikpunkten (s. hierzu Nr. 96 TOP I Anm. 3 u. Nr. 97 TOP I Anm. 24) monierte der Münchner Stadtkämmerer insbesondere, daß mit der Schatzanweisungs-Emission der Bayerischen Hypotheken- und Wechselbank die 5%igen Kommunalobligationen und Pfandbriefe an Attraktivität verlieren würden und er betonte nochmals den Prestigeverlust, den der Freistaat erlitten habe: „Von Fachleuten sei Bayern als verrückt oder pleite bezeichnet worden. Von einer Pleite könne keine Rede sein, da jederzeit eine kurzfristige Finanzierung möglich sei, auch nicht von Verrücktheit, sondern man habe bloß dem Egoismus die Zügel schießen lassen. Auch unter einem Föderalismus sei eine Art nationaler Disziplin unter den Ländern notwendig.“ Es hätte in der Verantwortung der Beamten des StMF liegen müssen, einen Schaden der finanzpolitischen Reputation des Freistaates zu verhindern: „Wenn die Minister nicht selbst über das nötige Wissen verfügen, was bei vielen Finanzministern der Fall sei, bedürften sie eben der Berater.“ MinRat Barbarino verwies in seiner Antwort nochmals ausführlich auf die angespannte Haushaltssituation des Freistaates, die die 8%ige Schatzanweisung alternativlos habe erscheinen lassen und griff explizit den Bankensektor – insbesondere die Landeszentralbank und die Staatsbank – an, der in der Frage der Haushaltskonsolidierung die Kooperation verweigert habe: „Angesichts der von Jahr zu Jahr wachsenden Fehlbeträge und des Zwangs, außerordentliche Ausgaben leisten zu müssen, kam der bayerische Staat seit Jahren in permanente Kassenschwierigkeiten. [...] Wir mußten uns hauptsächlich stützen auf Kassenkredite der Landeszentralbank und zum Teil auch der Staatsbank. Wir können bei der Landeszentralbank Kassenkredite bis zu 20 Prozent der Einlagen in Anspruch nehmen. Die Landeszentralbank hat aber immer zu schreien angefangen, ehe wir überhaupt gekommen sind, weil ja niemals von vornherein klar war, wo die Grenze liegt. Der Einlagenstand der Landeszentralbank wechselt von Tag zu Tag, und sie hat daher das größte Interesse, daß nicht etwa am Status-Stichtag der Prozentsatz um 1 oder 2 Prozent übertroffen wird. Infolgedessen hatten wir immer die größte Mühe, diese Kassenkredite abzudecken. Auch Kassenkredite der Staatsbank konnten wir nicht in erheblichem Umfang in Anspruch nehmen. Die Staatsbank hat mehrmals gedroht, sie werde die Kredite an die bayerische Wirtschaft kündigen, wen der Finanzminister bis zum 31. Dezember nicht den letzten Pfennig abgedeckt hat.“ S. das Protokoll der 15. Sitzung des Finanz- und Haushaltsausschusses des Bayer. Senats vom 8.5.1952, Zitate ebd. (Bayer. Senat 394).
4Staatsminister Zietsch antwortet, er selbst habe an der Sitzung des Senatsausschusses nicht teilgenommen und Ministerialrat Barbarino dahin unterrichten lassen, daß er lediglich den Beschluß des Ministerrats und die Gründe, die zu der Anleihe geführt hätten, mitteilen solle. Leider habe er sich aber nicht genau an diese Weisung gehalten, weshalb er sich auch gestern mit ihm auseinandergesetzt habe.
5Diese Debatte im Senat sei natürlich den Präsidenten der Landeszentralbank und Staatsbank gegenüber sehr peinlich, in der Sache selbst müsse er aber mit diesen beiden Herren noch sprechen, da sie in einer seiner Auffassung nach nicht tragbaren5 Weise gegen die Aktion des Finanzministeriums aufgetreten seien.5Hier hs. Änderung v. Gumppenbergs im Registraturexemplar; die ursprüngliche Formulierung hatte gelautet: „ermächtigten“ (StK-MinRatProt 18).
6Staatsminister Dr. Oechsle fügt hinzu, Herr Hielscher sei mit äußerster Schärfe vorgegangen, so daß man Herrn Barbarino doch in gewisser Weise entschuldigen müsse.6
6Nachdem der Verkauf der Schatzanweisungen am 12.5.1952 geschlossen worden war (s. Nr. 97 TOP I Anm. 29), wurde die Schatzanweisungsanleihe mit ihrem vorläufigen Zeichnungsergebnis in Höhe von rund 160 Mio DM von Regierungsseite als großer Erfolg gewertet, durch den die Kritiker widerlegt worden seien. S. hierzu exemplarisch den Wortbeitrag von StM Zietsch in der Sitzung des Bayer. Landtags vom 16.5.1952, in der die Aussprache über die Haushaltsrede des Finanzministers (s. hierzu Nr. 97 TOP I Anm. 3) stattfand (StB.
III S.2142 –2152, hier insbes. die S. 2146–2151) sowie den Artikel „Ein bayerischer Erfolg“ in der Bayer. Staatszeitung Nr. 20,17.5.1952.
7Vgl. Nr. 96 TOP IX.
1Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner macht darauf aufmerksam, daß in den Erläuterungen zum Entschließungsentwurf des Staatsministeriums für Wirtschaft die Rede davon sei, daß bei früheren Verhandlungen einem Vorschlag des Landeslastverteilers durch das Staatsministerium für Wirtschaft am 4. Januar 1951 unter Vorherzeichnung der Staatskanzlei zugestimmt worden sei.8
Er halte es deshalb für notwendig, auch die früheren Vorgänge der Staatskanzlei beizuziehen.8Bezug genommen wird auf die gesonderten Erläuterungen zum Entschließungsentwurf des StMWi vom 5.5.1952 (wie Nr. 96 TOP IX Anm. 89), speziell auf die hierin enthaltenen Ausführungen zur Vorgeschichte der Bekanntmachung des StMWi – Lastverteilerorganisation – Grenzen der Gebietslastverteiler-Bezirke vom 19. Mai 1951 (s. Nr. 96 TOP IX Anm. 89): „Da das Gebiet Lindau seine Stromversorgung, abgesehen von einer Zulieferung der Vorarlberger Kraftwerke, aus dem Energiebezirk VII (Energieversorgung Schwaben, Württemberg), der mit den Vorarlberger Kraftwerken in einem Lieferverhältnis steht, bezieht, schlug die VfW [Verwaltung für Wirtschaft] vor, den Kreis Lindau diesem Energiebezirk zuzuteilen und nicht dem Energiebezirk VIII (Bayern), aus dem Lindau keinen Strom erhält. Der Landeslastverteiler für Bayernlehnte dies mit Fernschreiben vom 30.12.1949 an die VfW ab und forderte die Unterstellung Lindaus unter seinen Energiebezirk. Die VfW blieb jedoch aus energiewirtschaftlichen Gründen (Note vom 1.2.1950) auf ihrem Standpunkt der Zuteilung an den württembergischen Hauptlastverteiler VII. Auf Grund einer Besprechung zwischen Staatskanzlei, Staatsministerium für Wirtschaft und Landeslastverteiler am 4.12.1950 wurde dem Vorschlag des Landeslastverteilers durch Entschließung des Staatsministeriums für Wirtschaft vom 4.1.1951 unter Vorzeichnung der Staatskanzlei zugestimmt. Daraufhin teilte der Landeslastverteiler mit Bekanntmachung vom 19.5.1951 (StAnz. Nr. 21) Lindau seinem Energiebezirk VIII zu.“ (MWi 14203).
2Staatsminister Dr. Seidel entgegnet, die Staatskanzlei sei nur gehört worden, weil es sich um Besprechungen mit anderen Ländern gehandelt habe, er habe aber nichts dagegen, diesen Punkt nochmals zurückzustellen.
3Der Ministerrat beschließt Zurückstellung bis zum nächsten Ministerrat.9
9Zum Fortgang s. Nr. 99 TOP IV, Nr. 100 TOP III.
10S. StK 14710, weitere Materialien zur Regulierung und Preisgestaltung des Marktes für Milch und Molkereiprodukte enthalten in StK 14711 u. 14712; weitere umfassende Materialien zur Milchpreisregelung ferner enthalten in MWi 20128–20133 sowie in MWi 20140. Vgl. auch Protokolle Ehard III Bd. 1/2 Nr. 37 TOP VII
.
1Ministerpräsident Dr. Ehard gibt einen eingehenden Überblick über die bisherigen Verhandlungen in dieser Sache und betont, daß die Bayer. Staatskanzlei bereits im Juni des vergangenen Jahres ein Schreiben des Bundesvorstands des Deutschen Gewerkschaftsbundes wegen dieses Saisonabschlags dem Wirtschafts- und dem Landwirtschaftsministerium zugeleitet habe.11 Während das Landwirtschaftsministerium den Vorschlag des DGB abgelehnt habe,12 sei von Seiten des Wirtschaftsministeriums noch keine endgültige Stellungnahme erfolgt. Inzwischen habe sich nun der Landesbezirksvorstand des DGB erneut der Sache angenommen und sich darüber beschwert, daß noch keine Entscheidung gefallen sei.13
11Schreiben des Bundesvorstands des DGB an MPr. Ehard, 5.6.1951. Darin hatte der DGB die Erhöhung der Verbraucherpreise für Milch und Butter kritisiert und im „Interesse eines sozialen Friedens“ die Erwartung ausgesprochen, daß Bundesregierung und Länderregierungen „sich dafür einsetzen, dass die in den einzelnen Ländern bestehenden Produktions- und Marktverhältnisse bei der Festlegung der Verbraucherpreise für Milch und Butter massgebend sind und der erhöhten Milcherzeugung in der Zeit der Milchschwemme baldigst wie im Vorjahre durch Saisonabschläge Rechnung getragen wird.“ (StK 14710).12Schreiben des StMELF an die StK, 4.7.1951(StK 14710).13Schreiben von Lorenz Hagen und Max Wönner an MPr. Ehard, 2.5.1952. Darin führten die beiden bayerischen DGB-Landesbezirksvorstände u.a. aus: „Ausser einem schriftlichen Zwischenbescheid des Herrn Staatssekretärs Dr. Guthsmuths vom 28.8.51 und einer Mitteilung des Herrn Regierungsdirektors Dr. Nibler vom 2.4.1952, wonach das Staatsministerium für Wirtschaft nunmehr gegenüber der Bayerischen Staatskanzlei zu dem Problem Stellung genommen habe, wurde unser Antrag bis heute trotz wiederholter persönlicher, telefonischer und schriftlicher Reklamationen nicht verabschiedet. Wir haben also 10 Monate auf eine Entscheidung gewartet und können damit in Anspruch nehmen, dass wir uns grösster Geduld befleissigt haben. Wenn aber die Einführung eines Saisonabschlags nicht innerhalb der nächsten 2 – 3 Wochen erfolgt, dann dürfte sie aus jahreszeitlichen Gründen wohl auch für das Jahr 1952 nicht mehr zur Anwendung kommen, wie dies leider auch 1951 geschah. [...] Wir sind nach wie vor der Auffassung, dass eine Steigerung des Trinkmilchverbrauchs in erster Linie durch Qualitätsverbesserung und einen Preisnachlass bewirkt werden kann. Erfolgt diese notwendige Preisregulierung nicht durch die Regierung oder durch Vereinbarungen der beteiligten Wirtschaftskreise und der Verbraucher, dann dürfte u. Ea. als Folge der Marktsituation der Trinkmilchpreis ebenso zurückfallen wie der Butterpreis, vielleicht sogar ganz zusammenbrechen. Der Schaden für die Erzeuger wird dadurch bestimmt grösser als er durch einen vernünftigen Saisonabschlag werden könnte. [...] Wir möchten Sie, Herr Ministerpräsident, darüber nicht im Unklaren lassen, dass wir in wenigen Tagen vermutlich gezwungen sein werden, zu Selbsthilfemassnahmen zu greifen, wenn von Seiten der Regierung nichts im Sinne unseres Antrags geschieht.“ (StK 14711).
2Staatsminister Dr. Seidel betont zunächst, daß das Wirtschaftsministerium in dieser Angelegenheit eigentlich nur eine technische Stelle sei, die sich an die sachverständige Äußerung des Landwirtschaftsministeriums halten müsse. Staatsminister Dr. Schlögl führt aus, am 9. Mai 1952 habe das Bundeskabinett eine Verordnung verabschiedet, in der die Preise für Butter und Trinkmilch geregelt würden.14 Vorgesehen sei unter anderem, daß der Preis für Trinkmilch über 3% Fettgehalt freigegeben werde, so daß es in Bayern, wo der Mindestfettgehalt 3,4% betrage, überhaupt keine preisgebundene Trinkmilch mehr geben werde. Er halte es unter diesen Umständen nicht für möglich, daß ein einzelnes Land noch Maßnahmen auf dem Preisgebiet treffe.15 Wie sich der Preis für die Trinkmilch nach der Freigabe entwickle, könne noch nicht mit Sicherheit gesagt werden.14S. Kabinettsprotokolle 1952 S.269f. Vgl. hierzu im vorliegenden Bd. Nr. 102 TOP II/12.15Durch die Verordnung M Nr. 1/51 über Preise von Milch und Butter vom 8. Juni 1951. (BAnz. Nr. 109, 9.6.1951; s. hierzu Protokolle Ehard III Bd. 1/1 Nr. 28 TOP I
/; im vorliegenden Bd. vgl. Nr. 96 TOP II/25) waren die Butterpreise als Höchstpreise bundeseinheitlich festgesetzt worden, die Festsetzung der Trinkmilchpreise verblieb gemäß §18 Abs. 1 des Gesetzes über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (Milch- und Fettgesetz) vom 28. Februar 1951 (BGBl. I S. 135 ; s. hierzu Protokolle Ehard III Bd. 1/1 Nr. 3 TOP II
/11) in Verbindung mit den §§ 1 u. 2 der Verordnung M Nr. 1/51 allerdings bei den obersten Landesbehörden. In Bayern erfolgte dies durch die Anordnung des StMWi vom 13.6.1951 Nr. By. 5/51 über Preise für Trinkmilch (Bayer. Staatsanzeiger Nr.24, 16.6.1951).
3Staatsminister Dr. Seidel fügt hinzu, hier sei in der Tat eine neue Situation entstanden.
4Auf Frage erklärt Staatsminister Dr. Schlögl, an sich sei ein Mindestpreis von 38 DPfg. pro Liter garantiert, bei einem Fettgehalt von 3,4% wie in Bayern koste aber der Liter 42 DPfg. Es könne also bei einer Freigabe der Preis sinken, aber nicht unter 38 DPfg. Irgendein Raum für einen Saisonabschlag bleibe aber nicht.
5Staatssekretär Maag gibt zu bedenken, daß der Bauer ja tatsächlich nur einen Milchpreis von 25 – 26 DPfg. pro Liter erhalte.
6Staatsminister Dr. Seidel stellt fest, daß in dem Augenblick, in dem die erwähnte Verordnung ergangen sei, die Festsetzung der Preise Bundessache16 sei. Theoretisch sei also wohl zu erklären, daß im Laufe des Sommers oder zwischen einer Zeit von ... bis ... pro Liter ein Preis von 40 DPfg. festgesetzt werde. Wenn allerdings die Verordnung erscheine, sei das nicht mehr möglich und es frage sich, ob man für eine kurze Zwischenzeit eine derartige Regelung treffen solle.16In der Vorlage hier irrtümlich: „Ländersache“.
7Staatsminister Dr. Schlögl. wirft ein, die Verordnung komme bereits in der nächsten Woche an den Agrarausschuß, aus diesem Grund halte er es für unmöglich, wegen 14 Tagen oder drei Wochen eine Übergangsregelung zu finden.
8Staatsminister Dr. Seidel macht folgenden Vorschlag:
9Er werde in der nächsten Ministerratssitzung den Entwurf einer Verordnung vorlegen, die sich mit dem Saisonabschlag beschäftige. In der Zwischenzeit werde er in Bonn zu klären versuchen, wie es mit der Verordnung der Bundesregierung sein werde.
10Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.17
17Zum Fortgang s. Nr. 99 TOP III, Nr. 101 TOP III.
18Vgl. Nr. 79 TOP III.
1Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner gibt einen Brief bekannt, wonach das Bundeswirtschaftsministerium annehme, daß Bayern mit der Freigabe des Bierpreises einverstanden sei, wenn nicht bis zum 15. Mai eine gegenteilige Erklärung abgegeben werde.
2Staatsminister Dr. Seidel erwidert, am 15. Februar 1952 habe das Bundeswirtschaftsministerium ein längeres Schreiben an das Bayer. Wirtschaftsministerium gerichtet und darin seine Absicht mitgeteilt, den Ländern die Entscheidung darüber zu überlassen, ob die Bierpreisbindung aufrecht erhalten oder freigegeben werden solle. Der Ministerrat habe damals beschlossen, in Bayern an der Bindung festzuhalten. Das Fernschreiben des Bundeswirtschaftsministeriums habe er mit dem Ersuchen um Stellungnahme dem Bayer. Brauerbund zugeleitet, der sich, im Gegensatz zum Hotel- und Gaststättengewerbe, gegen die Absicht des Bundeswirtschaftsministeriums ausgesprochen habe. Es sei richtig, daß dieses ihm mitgeteilt habe, es werde seine Absicht verwirklichen und die Länder zur Freigabe ermächtigen, wenn nicht bis 15. Mai eine gegenteilige Auffassung bekannt werde; damit wolle es offensichtlich die Verantwortung abschieben. Wahrscheinlich werde die Mehrzahl der Länder, unter anderem auch der Südweststaat, dem Bonner Vorschlag folgen, Bayern allerdings müsse vor allem im Hinblick auf die Stellungnahme des Bayer. Brauerbundes daran festhalten, daß es entsprechend dem früheren Kabinettsbeschluß gegen die Freigabe sei. Er bitte deshalb, ihn zu ermächtigen, an das Bundeswirtschaftsministerium ein Fernschreiben zu richten, daß Bayern sich gegen die Ermächtigung der Länder ausspreche.
3Der Ministerrat beschließt, seine Zustimmung zu erteilen.
4Staatsminister Dr. Seidel fährt fort, allerdings sei es dann noch notwendig, über den vorliegenden Antrag auf Bierpreiserhöhung zu entscheiden; dies könne aber heute noch nicht geschehen. Er werde, wenn eine Erklärung vom Bundeswirtschaftsministerium eingelaufen sei, dem Kabinett eine entsprechende Vorlage machen.19
19Zum Fortgang s. Nr. 104 TOP VII, Nr. 105 TOP I.
20Gemeint ist die Dr. Alexander Wacker GmbH für elektrochemische Industrie in Burghausen. S. hierzu MWi 11840 u. 25026; StK 14550. Vgl. Grypa, Wacker-Chemie; Ders., Studien S. 81 ff., 88f. u. 93–96. S. auch Kabinettsprotokolle 1952 S.409ff. Vgl. thematisch auch Nr. 79 TOP II (Lech-Chemie), Nr. 81 TOP VIII, Nr. 84 TOP IV (Kunstseidefabrik Bobingen u. Lech-Chemie) u. Nr. 91 TOP VIII (Anorgana Gendorf) sowie unten TOP VI (Agfa-Werke).
1Staatsminister Dr. Seidel führt aus, bekanntlich seien 50% der Anteile an den Wackerwerken im Besitz der Familie Wacker, 50% im Besitz der IG. Diese Anteile seien verkäuflich.21 Zuerst habe ein Konsortium, an dem die Berliner Handelsgesellschaft beteiligt sei, ein Angebot gemacht, das aber die Alliierten auf Grund des Gesetzes Nr. 35 abgelehnt haben.22 Ein weiteres Angebot sei von einem Konsortium unter der Führung der Bayer. Staatsbank eingereicht worden. Von Herrn Präsidenten von Hellingrath23 habe er die Zusicherung, daß in diesem Konsortium nur solche Persönlichkeiten vereinigt seien, die tatsächlich im Interesse der bayerischen Wirtschaft arbeiten würden. Die Situation werde nun dadurch schwierig, daß die IG-Gruppe Hoechst an den Wackerwerken interessiert sei und andererseits der Bundeswirtschaftsminister sich noch nicht zu Gunsten von Wacker habe entscheiden können. Jetzt liege ein weiteres Angebot der Rhein-Stahl AG vor, also eines eisenschaffenden Unternehmens, das interessanterweise mit Hoechst zusammenarbeite. Er müsse nun vom Bundeswirtschaftsminister verlangen, daß endlich eine Entscheidung getroffen werde, die auch im Interesse der Wackerwerke dringend erforderlich sei. In diesem Sinne habe er schon an den Herrn Bundesminister Erhard geschrieben,24 er brauche aber auch die Gewißheit, daß der Ministerrat ihn bei seinen Bestrebungen unterstütze.21S. hierzu detailliert Kabinettsprotokolle 1952 S.409 Anm. 9. Der 50%ige Anteil der IG Farben an den Wackerwerken war ursprünglich im Jahre 1921 von den Farbwerken Hoechst gekauft worden und wurde 1925 beim Zusammenschluß von Hoechst und der IG Farbenindustrie in die IG eingebracht. Die Erbengemeinschaft der Familie Wacker strebte hier unterstützt von der Staatsregierung und der Bayer. Staatsbank – im Zuge der IG-Entflechtung den Rückkauf der IG-Beteiligungen an, die Farbwerke Hoechst aber wollten – hierin ihrerseits bestärkt von der Hessischen Landesregierung – nur die Hälfte ihrer Anteile abtreten.22Bezug genommen wird auf das Gesetz Nr. 35 der Alliierten Hohen Kommission – Aufspaltung der Vermögens der I.G.-Farben-Industrie A.G. vom 26. August 1950 (Amtsblatt der AHK S.534).23Zur Person s. Nr. 96 TOP I Anm. 6.24Fernschreiben von StM Seidel an Bundeswirtschaftsminister Erhard, 29.4.1952. Darin hatte StM Seidel u.a. ausgeführt: „Die Familie Wacker ist, wie ich Ihnen bereits in meinem früheren Schreiben [vom 12.4.1952, s. MWi 25026] mitgeteilt habe, nicht bereit, Höchst [sic!] in irgendeiner Weise zu beteiligen. Die Gründe, die vorgebracht wurden, sind einleuchtend. Ich bin der Meinung, daß auf die Familie Wacker kein Zwang ausgeübt werden darf. Nachdem ein allgemeines volkswirtschaftliches Interesse für eine Beteiligung von Höchst mit guten Gründen nicht geltend gemacht werden kann, muß, nach meiner Ansicht, die Sache nunmehr entschieden werden. Die Sache muß vom Tisch. Herr Dr. Wacker hat mir klar gemacht, daß schwerwiegende Folgen eintreten können, wenn nicht eine rasche Entscheidung erfolgt. Ich wäre dankbar, wenn Sie nunmehr der alliierten Seite mitteilen würden, daß das Bundeswirtschaftsministerium gegen die Veräußerung der I.G.-Anteile an Wacker keine Einwendungen erhebt.“ (MWi 25026).
2Der Ministerrat beschließt, den von Herrn Staatsminister Dr. Seidel bisher eingenommenen Standpunkt zu billigen.
3Staatsminister Dr. Seidel fügt noch hinzu, über den der Friedrich Flick KG bezahlten Kaufpreis von 20 Millionen DM sei mit Ausnahme von drei Millionen DM, die der Landesanstalt für Aufbaufinanzierung zur Verfügung gestellt worden seien, noch nicht verfügt worden.25 Der Rest liege vorläufig noch auf der Staatsbank. Er halte es für richtig, mit einem Teil dieser 20 Millionen DM Anteile der Familie Wacker zu erwerben, er habe nichts dagegen, wenn sich an diesem Unternehmen Herr Flick beteilige.25Gemeint sind die 20 Mio DM, die der Freistaat für die 26%ige Beteiligung an der Maximilianshütte an die Friedrich Flick KG gezahlt hatte mit der Auflage, daß dieser Kaufpreis wieder in Bayern reinvestiert werden müsse. S. hierzu Nr. 80 TOP VII.
4Der Ministerrat erklärt sich auch damit einverstanden.26
26Zum Fortgang s. Nr. 106 TOP VIII, Nr. 107 TOP III, in thematischem Fortgang auch der folgende TOP VI.
27S. im Detail StK 14557; MWi 14136, 25023 u. 25700; MF 85600. Vgl. auch Kabinettsprotokolle/Kabinettsausschuß für Wirtschaft S.211 u. 221 (Sitzungen vom 8.12.1952 u. 14.1.1953); CSU-Landesgruppe CD-ROM-Supplement Dok. Nr. 26 S. 59. Das Agfa Camerawerk München war hervorgegangen aus der 1896 gegründeten und im Jahre 1900 in eine GmbH umgewandelten optischen Werkstatt und Kameraproduktion des Einzelunternehmers Heinrich Rietzschel. Nach der Stillegung des Betriebs mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurden sämtliche Anteile der GmbH im Jahre 1921 von der Farbenfabrik vorm. Friedrich Bayer & Co. Leverkusen übernommen, um schließlich durch die Fusion und Gründung der IG Farbenindustrie AG am 2.12.1925 als „Camerawerk München“ Teil der IG Farben zu werden. Alle durch die Fusion in die IG Farben eingebrachten Betriebe der Photobranche wurden innerhalb der IG in einer Gruppe mit Verwaltungssitz in Berlin vereinigt; zu dieser Gruppe gehörten neben dem Camerawerk München die Photopapierfabrik in Leverkusen und die Agfa-Filmfabrikation in Wolfen bei Bitterfeld, die der Agfa-Gruppe auch den Namen (Aktien-Gesellschaft für Aninlinfabrikation) gab. Auf Grundlage des Kontrollratsgesetzes Nr. 9 Beschlagnahme und Kontrolle des Vermögens der I.G. Farbenindustrie vom 20. September 1945 (Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland S.34) stand das Agfa Camerawerk München als selbständiges Unternehmen unter der Verwaltung eines von der I. G. Farben Control Group bestellten Treuhänders. Zur Geschichte des Agfa-Konzerns – mit Schwerpunkt auf der Agfa AG Leverkusen und des VEB Filmfabrik Wolfen – nach 1945 s. Fengler, Unternehmens- und Technikgeschichte, zum Agfa-Camerawerk München hier die S. 9 u. 87–97 sowie Dies., Agfa; ferner Koepke, Geschichte; Kreikamp, Entflechtung S. 236 ff.
1Staatsminister Dr. Seidel führt aus, bei dem Agfa-Camerawerk sei sich alles darüber einig gewesen, daß dieses Unternehmen aus dem IG-Konzern ausgegliedert und selbständig gemacht werde, bis sich am 31. März der Betriebsrat für den Anschluß an Leverkusen, wo die Agfafilme hergestellt würden, ausgesprochen habe.28 Der Betriebsrat sei dabei der Auffassung gewesen, daß bei einem Zusammenschluß mit Leverkusen auch die sozialen Vorrechte besser gewährleistet bleiben könnten.28Dieser Beschluß des Betriebsrates in den einschlägigen Akten nicht ermittelt. S. aber die auf der Betriebsversammlung der Belegschaft des Agfa-Camerawerkes München am 24.4.1952 gefaßte Resolution, in der gefordert wurde: „1. Betriebsrat und die Gewerkschaft werden aufgefordert, beschleunigt und nachdrücklichst bei den zuständigen Stellen sich dafür einzusetzen, dass das Agfa Camera Werk bei der zu erwartenden Entflechtung mit der Film- und Photofabrik Leverkusen verbunden wird. Die Belegschaft sieht in dieser wirtschaftlichen Verbindung die einzige Gewähr für einen sicheren Bestand des Camera Werkes für die Zukunft. 2. Die Lösung der aus der Entflechtung sich ergebenden Probleme hat sich bis heute bedauerlicherweise immer noch die Besatzungsmacht alleine Vorbehalten. Die Belegschaft erwartet aber, dass die Besatzungsmacht den Forderungen der Arbeiter und Angestellten volles Verständnis entgegen bringt, damit nicht durch die Auswirkung der Entflechtung Arbeitsplätze gefährdet werden und dadurch die soziale Not noch weiter gesteigert wird.“ (MWi 14136).
2Er habe dann versucht, eine Vorsprache des Betriebsrats bei Bundesminister Dr. Erhard zu ermöglichen, allerdings dann erfahren, daß keinerlei Aussicht bestehe, den Wunsch der Belegschaft zu verwirklichen.29 Trotzdem habe er nochmals versucht, eine Besprechung im Bundeswirtschaftsministerium mit Mr. Newman30 von der IG-Control-Group zu ermöglichen. Der Ministerrat müsse sich über seine endgültige Stellungnahme klar werden, bei der zu überlegen sei, daß das Agfa-Camerawerk in den letzten Jahren einen erstaunlichen Aufschwung genommen habe, im Gegensatz zu der Zeit seiner Verbindung mit der IG.31 Was nun das Argument der Verbindung des hiesigen Werkes mit dem Leverkusener Werk, das die Agfafilme herstelle, betreffe, so seien hier sehr günstige gemeinsame Kaufverträge usw. abgeschlossen worden, so daß die Verbindung keineswegs unbedingt notwendig sei. Wegen der sozialen Fragen habe er mit Mr. Newman gesprochen und von diesem die verbindliche Erklärung bekommen, daß nach den bestehenden Abmachungen die bisherigen IG-Sozialfonds bei der Ausgliederung aufgeteilt und garantiert würden, die wohlerworbenen Rechte der Belegschaftsmitglieder also nicht geschmälert werden könnten. Man könne feststellen, daß sich die sozialen Verhältnisse bei dem Agfa-Camerawerk keineswegs verschlechtert, sondern eher verbessert hätten.29S. das Schreiben von StM Seidel an den Betriebsrat der Agfa Camerawerke München, 29.4.1952, das u.a. ausführte: „Der Inhalt der Resolution [vom 24.4.1952] entspricht dem, was Sie mir bei der vor einiger Zeit stattgefundenen Besprechung bereits mitgeteilt haben. Ich hatte Ihnen damals versprochen, die Angelegenheit mit dem Bundeswirtschaftsminister erneut zu verhandeln und Ihnen, wenn möglich, die Gelegenheit zu verschaffen, dem Bundeswirtschaftsminister selbst Ihre Ansichten vorzutragen. Leider ist es mir nicht möglich gewesen, Herrn Professor Erhard in den letzten Wochen für eine längere Aussprache zu erreichen. Meine Informationen aus dem Bundeswirtschaftsministerium gingen jedoch dahin, dass ein Anschluss des Agfa Camerawerkes an Leverkusen nicht realisierbar sei.“ (MWi 14136).30Randolph H. Newman, US Control Officer HICOG I.G Farben Control Group.31Vgl. hierzu das Schreiben des seit Februar 1952 amtierenden Agfa-Treuhänders Leonhard Kemmler an StM Seidel, 13.5.1952 mit anliegender Darstellung der historischen und finanziellen Entwicklung der Agfa Camerawerke in den Jahren 1948 bis 1951. Die hierin enthaltenen Informationen hatte Kemmler, wie aus dem Schreiben hervorgeht, bereits in einem persönlichen Gespräch am 12.5.1952 – also einen Tag vor vorliegendem Ministerrat – mündlich an StM Seidel weitergegeben (MWi 14136).
3Nochmals mit der Belegschaft zu sprechen, halte er für zwecklos, zumal durch das Zerlegungsgesetz32 das Steueraufkommen des Werkes bei Bayern verbleibe. Allerdings habe er die Befürchtung, daß für die Muttergesellschaft durch Gewinn- und Verlustrechnungen viele Manipulationsmöglichkeiten sich ergeben könnten. Wenn das Zerlegungsgesetz es nicht erlaube, daß Bayern in den Genuß der Steuern gelange, sei er dafür, diese Frage sehr sorgfältig zu prüfen und zu erklären, Bayern wünsche die Selbständigkeit des Werkes.32S. hierzu Nr. 86 TOP I/3.
4Staatsminister Zietsch erklärt, das Zerlegungsgesetz habe durchaus die Möglichkeit, diese Steuern für Bayern in Anspruch zu nehmen.
5Staatssekretär Dr. Ringelmann fügt hinzu, wenn verschiedene Betriebe gemeinsam geführt würden, bestehe allerdings die Gefahr, daß Verluste, die entstehen, mit Gewinnen abgerechnet würden, eine Möglichkeit, die bei dem guten Stand dieser Industrie gegenwärtig keine Rolle spiele.
6Staatsminister Dr. Oechsle meint, es sei an sich deprimierend, wenn ein in Bayern gelegener Betrieb in die Abhängigkeit von einem Unternehmen in anderen Teilen der Bundesrepublik gelange. Andererseits habe das Argument, daß das Agfa-Camerawerk mit dem Werk, das die Filme herstelle, verbunden bleiben müsse, schon etwas für sich. Die Arbeiter und Angestellten hätten die Befürchtung, daß die Basis des Werkes zu schmal werden könne und ihre sozialen Errungenschaften verloren gehen würden.
7Ministerpräsident Dr. Ehard spricht sich dafür aus, für diese Selbständigkeit einzutreten, wenn tatsächlich die Verbindung der beiden Unternehmen durch Verträge gewährleistet sei.
8Staatsminister Dr. Oechsle fährt fort, die Belegschaft gehe davon aus, daß durch diese Verbindung die soziale Sicherheit besser gewährleistet sei, ein Argument, das nicht ganz durchschlage, wenn ein Rückschlag in der chemischen Industrie komme. Ein solcher Rückschlag könne das Agfa-Camerawerk ebenso treffen, wenn es allein sei oder in Verbindung mit Leverkusen stehe.
9Staatsminister Dr. Seidel weist noch darauf hin, daß ein Vergleich mit der Lech-Chemie33 nicht unbedingt schlüssig sei.33S. hierzu Nr. 79 TOP II.
10Staatsminister Dr. Oechsle erklärt sich dann ausdrücklich für eine bayerische Lösung.
11Auch Ministerpräsident Dr. Ehard spricht sich dafür aus, der noch empfiehlt, den Versuch zu machen, noch einmal mit der Belegschaft zu sprechen.
12Der Ministerrat faßt folgenden Beschluß:
13Der Bayerischen Staatsregierung scheint eine Ausgliederung und Selbständigmachung des Agfa-Camerawerks in München die zweckmäßigste Lösung zu sein.34
34Zum Fortgang s. Nr. 107 TOP XIV, Nr. 124 TOP VI.
35Vgl. Nr. 97 TOP II. Vgl. thematisch (Parlamentarischer Untersuchungsausschuß„ Vorgänge im Landesentschädigungsamt“) Nr. 83 TOP XII, Nr. 84 TOP VI, Nr. 85 TOP I.
1Staatssekretär Dr. Ringelmann berichtet über seine Vernehmung im Auerbach-Prozeß, insbesondere über seine Aussage hinsichtlich der von Auerbach unmittelbar nach der Währungsreform gegebenen Kredite.
2Außerdem bitte er den Ministerrat, über folgende Frage zu entscheiden:
3Der Bayerische Staat habe sich seinerzeit verpflichtet, für eine von Auerbach abgeschlossene Lebensversicherung zum Teil die Prämien zu bezahlen. Nachdem dessen Familie ohne jede Mittel sei, seien Rückstände von 1 600 DM auf diese Prämien entstanden, so daß die Versicherung erlösche, wenn nicht bis 1. Juli die Rückstände entrichtet würden. Da Auerbach noch seine Haftentschädigung zustehe, könne man unter Umständen beschließen, daß diese Prämie als Vorschuß auf die Haftentschädigung gezahlt werden könnte.
4Staatssekretär Dr. Koch empfiehlt, diese Verpflichtung zu übernehmen, sie aber damit zu begründen, daß der Bayerische Staat unter Umständen dann die Möglichkeit habe, die Lebensversicherung Auerbachs in Anspruch zu nehmen.
5Ministerpräsident Dr. Ehard stimmt zu, erkundigt sich aber, ob die rückständigen Prämien aus der Zeit nach der Verhaftung Auerbachs stammen.
6Staatssekretär Dr. Ringelmann bejaht diese Frage und betont, daß Auerbach an sich keinen Anspruch mehr habe, daß der Staat einen Teil der Prämien entrichte.
7Der Ministerrat faßt daraufhin folgenden Beschluß:
8Der Ministerrat erklärt sich mit Rücksicht auf die Erhaltung des Anspruchs auf die von Auerbach abgeschlossene Lebensversicherung bereit, seine Haftentschädigung mit einem Betrag zu bevorschussen, der den rückständigen Versicherungsprämien entspricht. Auerbach muss sich damit einverstanden erklären, daß diese Beträge unmittelbar an die Versicherungsgesellschaft bezahlt werden.36
36Zum Fortgang s. Nr. 99 TOP VI. In thematischem Fortgang s. Nr. 100 TOP I (Rücktritt von StM Müller), Nr. 122 TOP VIII (Parlamentarischer Untersuchungsausschuß „Vorgänge im Landesentschädigungsamt“), ferner Nr. 124 TOP IX.
37Vgl. Nr. 82 TOP VIII, Nr. 83 TOP XIV, Nr. 95 TOP IV.
1Ministerpräsident Dr. Ehard gibt ein Schreiben des Bayer. Staatsministeriums der Finanzen vom 9. Mai 1952 und einen Auszug aus den Bedingungen bekannt, die in den Pachtvertrag aufgenommen werden sollen, der zwischen dem Bayerischen Staat und dem Deutschen Alpenverein wegen des Kehlsteinhauses abgeschlossen wird.
2Staatssekretär Dr. Brenner erkundigt sich, warum dieses Haus nicht einfach als Unterkunftshütte des Alpenvereins gebraucht werden könne.
3Staatsminister Zietsch erwidert, ein Wirtschaftsbetrieb sei unumgänglich, da sonst das Objekt nicht wirtschaftlich sei.
4Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß keine Bestimmung darüber enthalten sei, was zu geschehen habe, wenn Streitigkeiten entstünden.
5Staatssekretär Dr. Koch erwidert, dies könne man ohne weiteres den ordentlichen Gerichten überlassen.
6Der Ministerrat beschließt, den vom Staatsministerium der Finanzen aufgestellten Bedingungen über den Pachtvertrag zuzustimmen mit der Maßgabe, daß Ziff. 9 der Bedingungen wie folgt ergänzt wird:
7„Der Unterpächter wird verpflichtet, sich den Bedingungen des mit dem Pächter abgeschlossenen Vertrags zu unterwerfen.“
8Staatsminister Zietsch fährt fort, die Entscheidung über den Antrag des Landkreises Berchtesgaden, eine Omnibuslinie auf den Kehlstein zu genehmigen, hänge seiner Meinung davon ab, daß der Vertrag mit dem Alpenverein abgeschlossen werde. Wenn dies geschehen sei, werde er das Verkehrsministerium, das über den Antrag zu entscheiden habe, entsprechend unterrichten.
9Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.
10Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner stellt abschließend noch fest, daß entgegen verschiedener in der Presse veröffentlichter Behauptungen kein Widerspruch zwischen dem Beschluß des Ministerrats und einem Schreiben des Hohen Kommissars, Mr. McCloy38 über das Kehlsteinhaus bestehe.39
38Zur Person s. Nr. 86 TOP V Anm. 70.39Zum Fortgang Nr. 101 TOP IV, Nr. 102 TOP III, Nr. 103 TOP I.
1. Europäische Verteidigungsgemeinschaft und nationale Polizei40
U40Vgl. Nr. 91 TOP II, Nr. 96 TOP XII.
1Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner erinnert an die Besprechung dieser Angelegenheit im letzten Ministerrat, in der er den Entwurf des erwähnten Briefes des Innenministeriums bekanntgegeben habe. Dieses Schreiben sei nun nicht abgegangen, weil ein neuer Schnellbrief des Bundesinnenministeriums eingetroffen sei, in dem es heiße, in den letzten Verhandlungen in Paris sei es gelungen, den Standpunkt des Bundesinnenministeriums in dieser Frage durchzusetzen.
2Er werde also keinen Protest mehr absenden, in einem Schreiben nach Bonn aber um Auskunft wegen des Begriffs der Polizeistreitkräfte bitten, der immer wieder vorkomme und dem Bayer. Innenministerium unbekannt sei.
3Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.
2. Bundesanstalt Nürnberg41
U41Vgl. Nr. 93 TOP II/20.
1Stv. Ministerpräsident Dr. Hoegner verweist auf Pressemitteilungen über Äußerungen des Präsidenten der Anstalt, Dr. Scheuble, die von Bayern nicht unwidersprochen hingenommen werden könnten.
2Staatsminister Dr. Oechsle entgegnet, diese Pressemeldungen stimmen nicht in allen Punkten mit den Tatsachen überein, eine Befürchtung, daß über die Länder hinweggegangen werde, bestehe nicht. Jedenfalls habe nicht der Präsident der Anstalt, sondern der Verwaltungsrat die Grenzen der Landesarbeitsbezirke festzulegen; die Formulierung „im Benehmen mit den Ländern“, die schließlich zustande gekommen sei, bedeute praktisch ein Einvernehmen. Bayern werde von irgendwelchen Maßnahmen in dieser Richtung nicht berührt, die Frage könne allerdings akut werden, wenn das Pfalzproblem zu einer Lösung komme.42 Auch sei es nicht richtig, daß Herr Scheuble sonstige Vorwürfe gegen Bayern erhoben habe, er habe sogar besonders anerkannt, daß die bayerischen Landesarbeitsamtsbezirke mustergültig gearbeitet hätten. Scheuble habe nur erklärt, es sei dringend gewesen, die Anstalt zu schaffen, damit leistungsschwache Bezirke entlastet werden könnten, und jetzt sei man in der Lage, Schulden abzudecken. Auch mit Nürnberg habe er sich durchaus abgefunden und er sei überzeugt, daß gegen Nürnberg als Sitz der Anstalt nichts mehr unternommen werde.42S. hierzu Nr. 78 TOP VI insbes. Anm. 62.
3Der Ministerrat nimmt diese Mitteilung zur Kenntnis.43
43In thematischem Fortgang s. Nr. 107 TOP VII.
1Der Ministerrat beschließt, die Regierungsdirektoren im Staatsministerium für Unterricht und Kultus Dr. Georg Bögl,44 Josef Hummel45 und Dr. Emil Kessler46 zu Ministerialräten zu ernennen.44Dr. phil Georg Bögl (1892–1964), Lehrer, 1898–1905 Besuch der Seminarübungsschule (Volksschule) in Freising, 1905–1910 Besuch der Lehrerbildungsanstalt in Freising, 1.10.1910 bis 31.8.1911 Hilfslehrer in Garmisch-Partenkirchen, vom 1.9.1911 bis 31.8.1912 in Weilheim und München, 1914/15 Teilnahme am Ersten Weltkrieg (Verwundung), 1.7.1915 Schulverweser, dann Volksschullehrerin München, 2.7.1916 bis Kriegsende 1918 wieder Teilnahme am Weltkrieg, 1919 Prüfung für den Volksschuldienst, nach Privatstudien 1924 Gymnasialabitur, 1924 bis 1927 Studium der Pädagogik an der Ludwig Maximilians-Universität München, 20.7.1928 Promotion, 16.4.1925 Fortbildungsschullehrer im städtischen Berufsschuldienst der Stadt München, 1.8.1926 städtischer Studienlehrer, 1.2.1930 Stadtschulrat in München, 1.8.1932 Berufung in das StMUK, dort 1.12.1932 RR I. Klasse, 5.8.1938 ORR, 1939–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1.11.1945 Versetzung an die Lehrerbildungsanstalt München-Pasing, 17.11.1945 Dienstenthebung auf Weisung der US-Militärregierung, allerdings noch vor Durchführung des Spruchkammerverfahrens und mit Einverständnis der Militärregierung vom 13.6.1946 Rückkehr an die Dienststelle München-Pasing, ab 1.6.1946 auch Lehrbeauftragter für Pädagogik an der Lehrerbildungsanstalt Freising, NSDAP-Mitglied seit 1937, durch Spruch der Spruchkammer Freising-Stadt vom 17.10.1946 Einreihung in die Gruppe V der Entlasteten, Aufhebung des Spruchkammerurteils durch die Berufungskammer für OB am 16.5.1947 wegen unzulässiger Besetzung der Freisinger Spruchkammer, erneute Einstufung in die Gruppe V durch Spruch der Spruchkammer Freising-Stadt vom 1.7.1947, 19.4.1948 Berufung in das StMUK und Ernennung zum RegDir, 15.5.1952 MinRat, 25.2.1953 wieder Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, 9.5.1956 MinDirig, Ruhestandsversetzung zum 1.11.1957.45Josef Hummel (1899–1992), Jurist, 1923 Erste Juristische Staatsprüfung, 1926 Große Juristische Staatsprüfung, 1.5.1927 Regierungsassessor bei der Regierung von OB, 16.6.1928 im StMI, 16.1.1929 Titel und Rang eines RR, 1.8.1929 Bezirksamtmann in Altötting, 5.10.1938 Abordnung, 5.11.1941 Versetzung an die Regierung von Liegnitz/Schlesien, 1.4.1943 ORR, daneben 10.8.1939 bis 28.5.1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg und Kriegsgefangenschaft, 28.5.1948 Tätigkeit im Angestelltenverhältnis beim Landratsamt Landsberg am Lech, 1.1.1949 wieder RR, 26.8.1949 Berufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit, 15.9.1949 Abordnung an das Landratsamt Fürstenfeldbruck, 1.10.1949 ORR, 1.5.1950 Versetzung an die Regierung von OB und gleichzeitig Ernennung zum Staatsanwalt am Verwaltungsgericht München, 1.12.1950 RegDir beim StMUK, dort zunächst Zuständigkeit für das Referat Beamten-, Angestellten- und Arbeiterrecht, seit 1951 Leiter der Abteilung Gesetzgebung und Verwaltung, hier u.a. verantwortlich für den Wiederaufbau von Staatsbibliothek und Bayer. Hauptstaatsarchiv in der Münchner Ludwigstraße, seit 1951 ständiger Vertreter des StMUK für den Beirat des Staatsbeauftragten für das Flüchtlingswesen in Bayern, 1.5.1952 MinRat, 1.1.1958 MinDirig, Ruhestandsversetzung zum 1.3.1964.46Dr. Emil Kessler (geb. 1905), 1.11.1930 Regierungsassessor, 1.4.1933 RR im StMI, 25.4.1934 Dienstentlassung wegen „nichtarischer“ Herkunft der Ehefrau, 28.5.1946 bis 15.11.1950 Landrat des Kreises Garmisch-Partenkirchen, 17.10.1950 Ernennung zum RegDir im StMUK, 13.5.1952 MinRat. Weitere Angaben nicht ermittelt.
47Vgl. Nr. 85 TOP XIV, Nr. 88 TOP X, Nr. 92 TOP IX, Nr. 93 TOP VIII.
1Staatsminister Zietsch verliest ein Schreiben der Landesstelle Bayern der Olympischen Gesellschaft, in der der Bayerischen Staatsregierung für ihre Spende von 20000 DM der Dank ausgesprochen werde.48
48Schreiben der Deutschen Olympischen Gesellschaft, Landesgruppe Bayern, an StM Zietsch, 7.5.1952 (MF 71527).
49Vgl. Nr. 79 TOP XVI.
1Staatsminister Dr. Oechsle erinnert an frühere Besprechung im Ministerrat, in der grundsätzlich beschlossen worden sei, der sozialistischen Jugend „Die Falken“ für ein internationales Lager im Jahre 1952 einen Zuschuß zu geben.
2Staatsminister Dr. Schwalber stellt fest, daß das Kultusministerium aus seinen Mitteln bereits 5000 DM gegeben habe, zu weiteren Leistungen aber nicht in der Lage sei.
3Staatsminister Dr. Oechsle entgegnet, für die Durchführung des Lagers würden ca. 10000 DM gebraucht.
4Es wird vereinbart, daß die Herren Staatsminister der Finanzen, für Unterricht und Kultus und für Arbeit und soziale Fürsorge nochmals prüfen, ob und aus welchen Mitteln ein weiterer Zuschuß gewährt worden kann.50
50Weitere Zuschüsse für das internationale Jugendlager wurden von Seiten der Staatsregierung nicht gewährt; das StMUK verwies auf die Möglichkeit eines entsprechenden Antrags auf Fördermittel beim bayer. Jugendring. S. das Schreiben des StMUK an die Sozialistische Jugendbewegung „Die Falken“ – Landesverband Bayern, 29.5.1952 (MK 83274).
51S. im Detail StK-GuV 911 u. 912; MInn 80775 u. 87691. Bereits am 8.9.1950 war der Bayer. Landtag zwei früheren Anträgen des CSU-Abgeordneten Alfred Euerl (s. BBd.
IV Nr. 4147 u. 4148) in der Fassung der Empfehlungen des Rechts- und Verfassungsausschusses gefolgt und hatte die Staatsregierung beauftragt, „zu prüfen, welche gesetzgeberischen und sonstigen Maßnahmen erforderlich sind, um die Einweisung krimineller Elemente in Arbeitshäuser wieder zu ermöglichen“ (BBd.
IV Nr. 4254 ) und ferner „zu prüfen, welche Möglichkeiten bestehen, um die Freizügigkeit gemäß Art. 11 Abs. 2 des Grundgesetzes in geeigneten Fällen zu beschränken und dem Landtag hierüber zu berichten.“ (BBd.
IV Nr. 4256 ). S. StB.
VI S. 932 ff. Am 21.6.1951 dann beschloß der Bayer. Landtag, die Staatsregierung zu ersuchen, „beschleunigt einen Gesetzentwurf über das Zigeunerwesen und die Regelung der Rechtsverhältnisse des sogenannten fahrenden Volkes ohne festen Wohnsitz vorzulegen. Darin sind insbesondere die Fürsorgepflichten des Staates und der Gemeinden genau zu begrenzen.“ S. BBd.
I Nr. 986 ; StB.
I S.923 . Dieser Landtagsbeschluß zielte zum einen auf eine Neuauflage des früheren Gesetzes zur Bekämpfung von Zigeunern, Landfahrern und Arbeitsscheuen vom 16. Juli 1926 (GVBl. S.359), zum anderen und gleichzeitig auf die Wiedereinführung der früheren Arbeitshäuser – gesonderten Haftanstalten für sogenannte „Arbeitsscheue“ und Kleinkriminelle. Das Gesetz von 1926, das für straffällig gewordene Landfahrer die Möglichkeit der Einweisung in ein Arbeitshaus vorgesehen hatte, war auf Befehl der US-Militärregierung für Bayern vom 28. November 1947 durch Bekanntmachung des Bayer. Ministerpräsidenten vom 3. Dezember 1947 aufgehoben und außer Kraft gesetzt worden (GVBl. S.247); endgültig wurden dann die Arbeitshäuser durch das Gesetz Nr. 14 der Militärregierung – Deutschland Amerikanisches Kontrollgebiet. Aufhebung deutscher Gesetze über Unterbringung in einem Arbeitshaus vom 1. April 1949 (GVBl. S. 78
) abgeschafft: Durch das Militärregierungsgesetz Nr. 14 wurden sämtliche Bestimmungen betreffend die Arbeitshäuser in dem einschlägigen §42 StGB gestrichen. Die vorangegangene Aufhebung des Gesetzes von 1926 war unmittelbare Folge eines Besuchs der Prisons Branch der Legal Division von OMGB im Arbeitslager Rebdorf am 7.11.1947, bei dem festgestellt worden war, daß sich in Rebdorf acht Insassen befanden, die offensichtlich auf Grundlage des Gesetzes zur Bekämpfung von Zigeunern etc. ohne ordentliches Gerichtsverfahren, sondern durch individuelle Exekutivmaßnahmen, d.h. auf Anordnung von Bürgermeistern und Landräten, in Haft genommen worden sind. Ein solches Procedere entspräche nicht den Mindesterfordernissen ordnungsgemäßer Rechtswege und stehe im eklatanten Widerspruch zu den Grundsätzen und Richtlinien der Militärregierung. S. hierzu das Schreiben von Land DirectorMurray D. Van Wagoner an MPr. Ehard, 28.11.1947 (engl. Original u. dt. Übersetzung) (StK 14739). Mit Schreiben vom 30.4.1952 hatte StM Hoegner dann den vom Landtag geforderten Gesetzentwurf des StMI an MPr. Ehard gesandt. Der vom Gesetz betroffene Personenkreis sollte zum einen, so Art. 1 des Entwurfs, Landfahrer umfassen, die „aus eingewurzeltem Hang zum Umherziehen oder aus eingewurzelter Abneigung gegen eine Seßhaftmachung mit Fahrzeugen, insbesondere Wohnwagen oder Wohnkarren, oder sonst mit beweglicher Habe“ umherziehen, zum anderen – gemäß Art. 11 des Gesetzentwurfs – „Arbeitsscheue im Alter von mehr als 18 Jahren, die den Nachweis einer geregelten Arbeit oder ernstlicher Bemühung um Arbeit nicht zu erbringen vermögen“. Nötig sei das Gesetz, so die Begründung in unverblümter zeitgenössischer Terminologie, da das „sogenannte fahrende Volk, bestehend aus Zigeunern und anderen Landfahrern, [...] in Europa seit Jahrhunderten eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Gesundheit“ darstellten, „die besonders im Gefolge von Kriegen in Erscheinung tritt. [...] Im Zusammenhang mit den Nachkriegsverhältnissen hat das Landfahrerunwesen in Bayern wieder außerordentlich zugenommen,“ so die Begründung weiter, „sodaß es vielfach zu einer wahren Landplage geworden ist. Die Landfahrer ziehen in Horden im Lande umher und bestreiten ihren Lebensunterhalt in der Hauptsache mit den Erträgnissen von strafbaren Handlungen, wie Betrug, Diebstahl, Wahrsagen, Bettel usw.“ (StK-GuV 911). Zum Wortlaut dieser Begründung s. auch BBd.
III Nr. 2979 .
1Auf Vorschlag des Herrn Staatsministers Dr. Hoegner wird vereinbart, den Entwurf eines Landfahrergesetzes in der nächsten Kabinettssitzung zu behandeln.52
52Zum Fortgang s. Nr. 99 TOP II.
53Vgl. Nr. 92 TOP VI/1, Nr. 96 TOP XIII.
1Der Ministerrat beschließt, von seinem ursprünglichen Plan, am 19. Mai in Veitshöchheim eine Kabinettssitzung abzuhalten, abzusehen.
2Es wird vereinbart, daß an der Eröffnungsfeier in Würzburg am 20. Mai die Herren Staatsminister Dr. Hoegner und Dr. Schlögl, sowie die Herren Staatssekretäre Dr. Nerreter, Maag und Dr. Brenner teilnehmen.
1Staatssekretär Dr. Koch erklärt, er sei dazu bestimmt worden, die Geschäfte des Herrn Justizministers weiterzuführen, über die Geschäfte des Ministers für politische Befreiung sei aber nichts festgesetzt worden.54
54Zur Übertragung der verbleibenden Aufgaben des StMSo in den Zuständigkeitsbereich des StMJu durch Bekanntmachung des Bayerischen Ministerpräsidenten über die Wahrnehmung der Aufgaben des Ministers für politische Befreiung vom 28. November 1951 (Bayer. Staatsanzeiger Nr.49, 8.12.1951) s. Protokolle Ehard III Bd. 1/2 Nr.66 TOP VIII
.
2Mit Zustimmung des Ministerrats erklärt Ministerpräsident Dr. Ehard, es sei selbstverständlich, daß Herr Staatssekretär Dr. Koch auch das Sonderministerium übernehme.
55S. im Detail MF 87565. Zur Geschichte des zwischen 1825 und 1830 auf Veranlassung von König Ludwig I. geplanten und zwischen 1836 und 1846 erbauten Ludwig-Donau-Mainkanals s. Koblbauer, Ludwig-Donau-Main-Kanal; Liedel/Dollhopf, Der alte Kanal; Dies., 150 Jahre Alter Kanal. Die rund 170 km lange Wasserstraße zwischen der Donau bei Kelheim und dem Main bei Bamberg war im Jahre 1950 endgültig aufgelassen und zum Teil bereits trockengelegt worden.
1Ministerpräsident Dr. Ehard verweist auf ein Schreiben des Herrn Staatsministers des Innern vom 19. April 1952, das sich mit der Wiederinstandsetzung der Strecke Nürnberg-Erlangen des Ludwig-Donau-Mainkanals befaßt.56
56Schreiben von StM Hoegner an die StK, 19.4.1952 (MF 87565).
2Staatsminister Zietsch führt aus, er sei der gleichen Auffassung wie das Staatsministerium des Innern, daß nämlich der Landtag seine bisherigen Beschlüsse in dieser Sache nochmals überprüfen solle.57
57Der Bayer. Landtag hatte in seiner Sitzung vom 17.5.1950 auf Empfehlung des Haushaltsausschusses einen Antrag der FDP-Fraktion angenommen, die Strecke Nürnberg-Erlangen des Ludwig-Donau-Main-Kanals wieder instand zu setzen und wieder mit Wasser zu fluten. S. BBd.
IV Nr. 3304 , Nr.3748 u. Nr.3814; StB.
VI S.447 . Nach Berechnungen der OBB würden sich die Kosten für eine solche Wiederinstandsetzung auf mindestens 560000 DM belaufen, eine Summe, die, wie StM Hoegner in seinem Schreiben (w.o. Anm. 56) ausführte, nach Ansicht sowohl des StMI wie des StMF in keinerlei vertretbarem Verhältnis zum wirtschaftlichen Nutzen der Wasserstraße stehen würde. Außerdem würde der Landtagsbeschluß die bereits bestehenden Pläne gefährden, das Areal des stillgelegten Kanals für den Bau einer Schnellverkehrsstraße durch das Stadtgebiet von Nürnberg-Fürth zu nutzen.
3Es wird beschlossen, daß das Staatsministerium des Innern in diesem Sinn an den Landtag herantreten solle.58
58Der Bayer. Landtag hob in seiner Sitzung vom 27.11.1952 den früheren Beschluß vom 17.5.1950 wieder auf. S. BBd.
IV Nr. 3487 u. Nr. 3609; StB.
IV S. 460 .
1Staatsminister Zietsch stellt fest, daß im Grundstock keine freien Mittel vorhanden seien, dieses Anwesen, das allerdings unter Denkmalschutz stehe und besonders wertvoll sei, nun anzukaufen und damit vor dem Abbruch zu retten. Dies sei vielmehr nach Art. 83 der Bayer. Verfassung59 Sache der Stadt München.59Zum Wortlaut des Art. 83 BV s. Nr. 77 TOP I Anm. 7.
2Staatsminister Dr. Schwalber gibt zu bedenken, daß es sich hier um eine besonders schöne Rokokofassade handle, deren Verlust sehr schmerzlich sei.
3Nachdem Staatsminister Zietsch nochmals darauf hinweist, über keine Mittel zu verfügen, wird die Angelegenheit als erledigt bezeichnet.
1Ministerpräsident Dr. Ehard gibt zwei Entschließungen des Bayer. Senats bekannt, in denen der Erlaß eines Baugesetzes für den zusammenhängenden Wiederaufbau zerstörter Stadtkerne gefordert und ferner zu der Frage des sozialen Wohnungsbaues Stellung genommen wird.60
60S. Verhandlungen des Bayer. Senats Bd. 5 Anlage Nr. 116.
2Staatsminister Zietsch entgegnet, daß diese beiden Entschließungen an sich keine besonderen neuen Gesichtspunkte brächten.
3Staatsminister Dr. Oechsle fügt hinzu, daß sich in der letzten Zeit der Baumarkt außerordentlich gut entwickelt habe.
61S. MK 51123/21. Die Wallfahrtskirche Neukirchen bei Hl. Blut im Lkr. Cham hätte bereits im Jahre 1950 ihr 500-jähriges Bestehen gefeiert; mit Rücksicht auf das Heilige Jahr 1950 und wegen noch dringend notwendiger Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten der Wallfahrtskirche war die Jubiläumsfeier auf das Jahr 1952 verschoben worden.
1Ministerpräsident Dr. Ehard verliest eine Einladung des Pfarramts Neukirchen bei Hl. Blut, in der unter anderem mitgeteilt werde, daß an dem Jubiläum auch der Päpstliche Nuntius für Deutschland, Exzellenz Erzbischof Muench,62 teilnehmen werde.62Dr. theol. Aloysius Muench (1889–1962), Sohn deutscher Einwanderer in die USA, 1913 Priesterweihe, bis 1919 Studium der Theologie an der University of Wisconsin, danach Promotionsstudium an verschiedenen europäischen Universitäten (u.a. Freiburg, Oxford, Cambridge, Paris), 1921 Promotion, 1922 Professor für Dogmatik am St. Francis Seminary in Milwaukee/WI, 1935 Bischof von Fargo/ND, 1946 Apostolischer Visitator und Leiter der Päpstlichen Mission für Flüchtlinge in Deutschland, ab 1949 Verweser der vakanten Apostolischen Nuntiatur, 1951–1959 Apostolischer Nuntius in der Bundesrepublik Deutschland, 1959 Aufnahme in das Kardinalskollegium als erster US-Amerikaner durch Papst Johannes XXIII. S. BBKL Bd. 21 Sp. 1044.
2Es wird vereinbart, die Einladung dem Herrn Staatsminister für Unterricht und Kultus zuzuleiten.63
63Die Feierlichkeiten in Hl. Blut unter Beteiligung von Erzbischof Muench fanden am 25.5.1952 statt. S. MZ Nr. 63, 26.5.1952, „Der Glaube ist das einigende Band. Empfang des erzbischöflichen Nuntius Erzbischof Muench beim Wallfahrtsjubiläum in Neukirchen“.
1Ministerpräsident Dr. Ehard berichtet kurz über diese Angelegenheit und weist darauf hin, daß jetzt Dr. Spanier64 einen Zahlungsbefehl wegen des ihm früher zugeteilten Kraftwagens erhalten habe.64Dr. med. Julius Spanier (1880–1959), Mediziner, 1939 Chefarzt des Israelitischen Krankenhauses München, 1942–1945 KZ Theresienstadt, 1946–1955 Chefarzt des Säuglingskrankenhauses München, 1945 Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde München, 1951 Präsident des Landesverbandes der Israelit. Kultusgemeinden in Bayern, 1947–1951 Mitglied des Bayer. Senats. Vgl. Der Bayerische Senat S.278f.; Damskis, Biografien S. 149–158.
2Staatssekretär Dr. Koch betont, daß die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichtshofes durch das Landeskommissariat etwa bestehende privatrechtliche Ansprüche nicht zerstört habe.
3Staatsminister Dr. Schwalber gibt zu bedenken, daß das Urteil aufgehoben worden sei, also der Rechtstitel entfallen.
4Ministerpräsident Dr. Ehard ersucht Herrn Staatssekretär Dr. Koch, sich beim Landgericht München I zu erkundigen, wie diese Sache eigentlich stehe und dann den Versuch zu machen, sie in Ordnung zu bringen.
65Vgl. Nr. 96 TOP VI.
1Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, daß Graf Soltikow jetzt eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Rechtsanwalt Senger66 und Oberstaatsanwalt Kurz67 eingereicht habe. Er werde dieses Schreiben Herrn Staatssekretär Dr. Koch zuleiten.68
66Nicht ermittelt.67Karl Kurz (1905–1964), Jurist, Studium der Rechtswissenschaften in München, Große Juristische Staatsprüfung 1933, aktiver SPD-Politiker in Haar b. München und SPD-Stimmkreisvorsitzender für den Bezirk Ebersberg, daher Juni bis Ende Juli 1933 Inhaftierung im KZ Dachau, 1933–1938 arbeitslos, 1938–1940 Angestellter bei der Bayer. Vereinsbank, 1940–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 15.8.1945 Genehmigung der Militärregierung für staatsanwaltschaftliche Tätigkeit, 1.12.1945 Staatsanwalt am Landgericht München II, 15.9.1947 Erster Staatsanwalt am Landgericht München II, 1.8.1948 Oberstaatsanwalt am Oberlandesgericht München, seit 24.1.1947 Abordnung als stellvertretender Generalankläger beim Kassationshof im StMSo, 23.7.1951 Abordnung an das Landesamt für Verfassungsschutz, 31.8.1951 Ausscheiden aus dem Bayer. Justizdienst, 1.9.1951 Eintritt in das StMI als RegDir und Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 16.10.1954 wieder Oberstaatsanwalt beim Oberlandesgericht München.68S. das Schreiben von MPr. Ehard an Staatssekretär Koch, 17.5.1952; Schreiben von Staatssekretär Koch an MPr. Ehard, 28.5.1952 (NL Ehard 1533). Die juristischen Auseinandersetzungen zwischen Soltikow und Josef Müller – Soltikow erstattete später u.a. Strafanzeige gegen Müller wegen dessen Rolle in der Abwehrabteilung des Oberkommandos der Wehrmacht – dauerten in der Folge bis in die frühen 1960er Jahre an. S. hierzu die Materialien in MJu 23937.
2Abschließend wird vereinbart, die nächste Ministerratssitzung am Mittwoch, den 21. Mai 1952, vormittags 9 Uhr, abzuhalten.
Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
gez.: Levin Frhr. von Gumppenberg
Ministerialrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Karl Schwend
Ministerialdirektor