Ministerpräsident Dr. Ehard, Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirektor Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Regierungsdirektor Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei).
Justizminister Weinkamm, Kultusminister Dr. Schwalber, Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium).
I. Entwurf eines Gesetzes zum Vollzug des Lastenausgleichsgesetzes. II. Übergang von Zuständigkeiten für den bayerischen Kreis Lindau auf bayerische Behörden; hier: Vollzug des Gesetzes über den Lastenausgleich. III. Globalabfindung der Wiedergutmachungsansprüche der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). IV. Maßnahmen an der Sowjetzonengrenze; hier: Mitteilung der „Neuen Presse“ Coburg vom 11. September 1952. V. Sozialer Wohnungsbau. VI. Verbot rechtsradikaler Parteien und Verbände. VII. Straßenbau Deggendorf – Grafenau. VIII. [Bundesratsangelegenheiten; hier: Wahl des Senatspräsidenten Dr. Schunck zum Mitglied des Bundesverfassungsgerichts]. [IX. Fall Eduard Nüßlein]. [X. Kriegsgefangenen-Gedenkwoche]. [XI. Wiederaufbau der Universität München]. [XII. Verordnung zur Ausführung des Gewerbesteuergesetzes und des Gesetzes zur Änderung des Gewerbesteuerrechts]. [XIII. Obersalzberg].
Dr. Ehard faßt zunächst kurz die in den letzten Tagen stattgefundenen Besprechungen unter den Koalitionsparteien über diesen Gesetzentwurf zusammen und stellt dann die Frage, ob hier der Vollzug im Wege eines Gesetzes oder einer Rechtsverordnung geschehen könne. Die Meinungen darüber seien geteilt, er selbst sei der Auffassung, daß eine Rechtsverordnung genügen würde, wodurch langwierige Erörterungen im Landtag wegfielen. Auch die Koalitionsparteien hätten sich auf diesen Standpunkt gestellt.
MinisterpräsidentDie weitere Frage, die der Ministerrat zu entscheiden habe, sei die, ob das Landesausgleichsamt im Bayer. Staatsministerium des Innern errichtet werden solle; auch darüber bestehe unter den Koalitionsparteien Einverständnis.
2 zusammengelegt oder ob es als besonders herausgestellte und mit eigenen Zuständigkeiten ausgestattete Abt. VI errichtet werden solle.
Von besonderer Bedeutung sei schließlich die Frage, ob das Landesausgleichsamt mit der Abt. V des InnenministeriumsDer Ministerrat trifft zunächst über diese Punkte keine Entscheidung und kommt auf den § 2 zu sprechen.
Dr. Oberländer schlägt Staatsminister Dr. Hoegner vor, eine Anregung der Abt. III der Staatskanzlei aufgreifend, in § 2 die Landkreise und die kreisfreien Städte zu trennen und hinsichtlich der letzteren etwa wie folgt zu formulieren:
Mit Zustimmung des Herrn Staatssekretärs„In den kreisfreien Städten werden die Aufgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz von den bisherigen Soforthilfeämtern erfüllt“.
Dr. Ringelmann kommt in diesem Zusammenhang auf die Kostenfrage zu sprechen und verweist auf § 78 des Soforthilfegesetzes, demzufolge die Kosten die Länder und Gebietskörperschaften tragen. Wenn es sich um Aufgaben im übertragenen Wirkungskreis handle, greife die bayerische Gesetzgebung Platz, wonach den Gemeinden Ersatz für neu übertragene Aufgaben gewährt werden müsse. Es sei wohl notwendig zu prüfen, ob nicht in § 352 LAG ein Auftrag an die Gemeinden vorliege. In diesem Zusammenhang verweise er auch auf § 3 des vorliegenden Gesetzentwurfs.
StaatssekretärDr. Ehard macht nochmals auf den Vorschlag der Staatskanzlei über die Neuformulierung des § 2 aufmerksam; diese Bestimmung soll nachfolgenden Wortlaut tragen:
Ministerpräsident„(1) Bei jedem Landratsamt und bei jedem Stadtrat einer kreisfreien Stadt wird ein Ausgleichsamt errichtet (§ 308 LAG).
(2) Die Ausgleichsämter bei den Landratsämtern sind Bestandteile der staatlichen Verwaltung. Ihr Personal wird im Benehmen mit dem Landrat bestellt.
(3) Die kreisfreien Städte erfüllen die Aufgaben nach dem Lastenausgleichsgesetz als Angelegenheit des übertragenen Wirkungskreises.
(4) Die Soforthilfeämter werden in die Ausgleichsämter übergeführt.“
Der Ministerrat erklärt sich mit dieser Empfehlung grundsätzlich einverstanden, beschließt aber, die endgültige Formulierung des Gesetzentwurfs erst dann vorzunehmen, wenn über alle wesentlichen Punkte eine endgültige Einigung unter den Koalitionsparteien herbeigeführt sei.
Der Ministerrat faßt dann folgenden Beschluß:
Der Vollzug des Lastenausgleichsgesetzes soll durch eine Rechtsverordnung vorgenommen werden, wobei der vorliegende Gesetzentwurf als Grundlage zu dienen habe.
Dr. Hoegner erklärt, die SPD-Fraktion habe noch keine Entscheidung getroffen, ein Teil der Abgeordneten neige nach wie vor dazu, das Landesausgleichsamt im Staatsministerium der Finanzen zu errichten.
Stv. MinisterpräsidentDr. Ehard warnt davor, diese Lösung zu ergreifen, unterstützt von Staatssekretär Dr. Ringelmann, der auf § 308 LAG verweist.
MinisterpräsidentDer Ministerrat beschließt sodann, das Landesausgleichsamt im Bayer. Staatsministerium des Innern zu errichten.
Dr. Ehard stellt dann die Frage zur Debatte, ob das Landesausgleichsamt mit Abt. V des Innenministeriums zusammengelegt oder als eigene Abt. VI errichtet werden solle.
MinisterpräsidentDr. Hoegner spricht sich für die letztere Lösung aus mit dem Hinweis auf das Lastenausgleichsgesetz, wonach das Landesausgleichsamt ganz bestimmte Aufgaben zugewiesen erhalten solle. Im übrigen sei es auf die Dauer nicht zweckmäßig, wenn im Staatsministerium des Innern verschiedene Personalabteilungen bestünden, wie dies z. B. in der Obersten Baubehörde, in der Gesundheitsabteilung und in der Abt. V der Fall sei. In der letzteren habe es zweifellos eine gewisse Berechtigung gehabt, beim Landesausgleichsamt aber sei er der Meinung, daß keinesfalls eine neue Personalabteilung gebildet werden solle.
Stv. MinisterpräsidentZietsch wirft das Problem auf, ob das Personal der Flüchtlingsämter übernommen werden könne.
StaatsministerEin Beschluß darüber wird noch nicht gefasst.
Dr. Nerreter empfiehlt nachdrücklich, eine eigene Abt. VI zu bilden, vor allem auch mit Rücksicht auf die Wirkung, die dies auf die Lastenausgleichsberechtigten haben werde.
StaatssekretärDr. Oberländer bemerkt, daß sich die Personalabteilung in der Abt. V schon aus dem Flüchtlingsgesetz3 ergebe. Im übrigen werde es mit erheblicher Arbeit verbunden sein, die Ausweise für die Lastenausgleichsberechtigten auszustellen, da es sich ja hier nicht nur um einfache Ausweise handle, sondern darum, eingehende und sehr schwierige Vorprüfungen für die Berechtigung durchzuführen.
StaatssekretärZietsch schlägt gleichfalls vor, eine eigene Abt. VI zu bilden, deren Leiter dem Herrn Stäatsminister des Innern bzw. dessen Vertreter, Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer, unterstehen solle.
StaatsministerDr. Ehard stellt fest, daß dies auch der in verschiedenen Besprechungen zustande gekommenen Auffassung der Koalitionsparteien entspreche.
MinisterpräsidentDr. Oberländer erklärt, er könne noch nicht zustimmen, weil sich auch die Fraktion der SPD noch nicht endgültig schlüssig geworden sei.
StaatssekretärDr. Nerreter ersucht, auch sein Mitzeichnungsrecht in allen Fragen des Lastenausgleichs festzulegen, da er der Fraktion der CSU gegenüber verantwortlich sei.
StaatssekretärDr. Hoegner und Staatssekretär Dr. Oberländer erklären sich damit einverstanden.
Stv. MinisterpräsidentDr. Ehard faßt die bisherige Aussprache dahin zusammen, daß sich der Ministerrat, ohne heute noch einen Beschluß zu fassen, darüber einig sei, im Staatsministerium des Innern eine eigne Abt. VI zu errichten, deren Leitung dem Herrn Staatsminister des Innern und Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer als dessen Vertreter unterstehen solle. Er könne erklären, daß seine Fraktion den gestrigen Vorschlägen zugestimmt habe.4
MinisterpräsidentDr. Ehard teilt dann mit, der Kreispräsident von Lindau6 habe mit Schreiben vom 17. Juli und 25. August 1952 vorgeschlagen, daß der Vollzug des Lastenausgleichsgesetzes im bayerischen Kreis Lindau von den entsprechenden bayerischen Behörden wahrgenommen werde und der Kreis insoweit als zum Regierungsbezirk Schwaben gehörig behandelt werde. Das Hauptamt für Soforthilfe7 habe diesen Vorschlag gebilligt, auch das Landesamt für Soforthilfe habe mit Schreiben vom 5. September 1952 der empfohlenen Regelung zugestimmt.
MinisterpräsidentEr halte es für notwendig, diesen Übergang in die Verordnung über den Vollzug des Lastenausgleichs noch hineinzuarbeiten und werde deshalb veranlassen, daß ein Abdruck an den Herrn Staatsminister des Innern übersandt werde, vorausgesetzt, daß der Ministerrat mit der vom Kreispräsidenten vorgeschlagenen Regelung einverstanden sei.
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Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.Dr. Ehard gibt den Inhalt der Note des Staatsministeriums der Finanzen vom 17. Juli 1952 bekannt und erklärt, er könne natürlich nicht beurteilen, in welcher Lage sich die einzelnen Verlage und Druckereien der SPD, die enteignet worden seien, gefunden hätten.
MinisterpräsidentZietsch führt aus, alle Ansprüche der SPD seien im einzelnen erörtert worden, das Staatsministerium der Finanzen habe auch die Rechtsfragen geprüft. Die Verhandlungen, die seit ungefähr 1½ Jahren geführt worden seien, hätten dann den vorliegenden Vergleichsvorschlag ergeben. Das Ministerium habe sich in jeder Richtung bemüht, die Vertreter der SPD zu einem Vergleich zu bringen, der dann auch zustande gekommen sei. Jetzt allerdings werde darauf gedrängt, zu einem endgültigen Abschluß zu gelangen.
StaatsministerDr. Ehard gibt zu bedenken, daß in der Schadensberechnung hinsichtlich der vor der Währungsreform entgangenen Nutzungen von einem Umstellungsverhältnis von 10:5 statt von 10:1 ausgegangen werde, während bisher das Staatsministerium der Finanzen in keinem Vergleich ein besseres Umstellungsverhältnis als 10:1 anerkannt habe. Man dürfe nicht übersehen, daß hier unter Umständen ein Präzedenzfall geschaffen werde, der eine Reihe von anderen Verfahren nach sich ziehen könne. Selbstverständlich sei er durchaus dagegen, diesen Wiedergutmachungsanspruch der SPD vor den CORA10 kommen zu lassen, er gebe aber zu erwägen, ob es nicht doch richtiger sei, zunächst in dem einen oder dem anderen Fall eine Entscheidung der Wiedergutmachungskammer herbeizuführen.
MinisterpräsidentDr. Oechsle macht darauf aufmerksam, daß doch jedenfalls das Staatsministerium der Finanzen als zuständiges Ressortministerium alle Ansprüche eingehend geprüft und daraufhin zu dem Vergleichsvorschlag gekommen sei.
StaatsministerZietsch fügt hinzu, auch das Umstellungsverhältnis von 10:5 könne nur von dem Vergleich aus beurteilt werden.
StaatsministerDr. Ringelmann schildert dann eingehend die Rechtslage und weist unter anderem darauf hin, daß die SPD von den Nationalsozialisten in das Gesetz über die Entziehung staatsfeindlichen Vermögens einbezogen worden sei. Was die enteigneten Verlage betreffe, so seien schon eine Reihe von Fällen, die allerdings nicht den gleichen Umfang gehabt hätten, erledigt worden, unter anderem der Verlag Held in Regensburg, das Rosenheimer Tagblatt, das Cassianeum in Donauwörth usw.
StaatssekretärWas die Ansprüche der SPD im einzelnen betreffe, so sei das noch vorhanden gewesen bewegliche und unbewegliche Vermögen im wesentlichen bereits zurückerstattet worden. Die jetzt vorliegende Abmachung betreffe den Rest der Rückerstattungsfälle und die Ansprüche aus dem Entschädigungsgesetz. Ursprünglich habe die SPD noch ein Vielfaches der jetzigen Forderungen verlangt, sie habe aber dann selbst ihre Ansprüche auf etwa 9 Millionen DM ermäßigt, die dann in den Verhandlungen des letzten Jahres von Seiten des Finanzministeriums auf ca. 4 Millionen DM herabgedrückt worden seien.
Unabhängig von der Frage, ob dem Vergleich zugestimmt werde oder nicht, müsse das Staatsministerium der Finanzen auf alle Fälle vorschlagen, daß eine Abschlagszahlung geleistet und die noch bestehenden Konten freigegeben würden. Damit werde verhindert, daß der Staat mit Verzugszinsen belastet werde, falls eine gerichtliche Entscheidung erfolge. Der Herr Ministerpräsident habe vorgeschlagen, zunächst einmal eine gerichtliche Instanz sprechen zu lassen, damit man zu einer rechtlichen Grundlage komme. Das sei zweifellos berechtigt, soweit es sich um den strittigen Punkt der Umstellung von 10:5 handle. Diese Frage sei allerdings etwas gefährlich, sonst glaube er jedoch nicht, daß der bayerische Staat etwas riskiere. Im übrigen seien die Ansprüche der SPD in einer Reihe von anderen Ländern, z. B. in Bremen und Nordrhein-Westfalen bereits erledigt worden. Die Einzelheiten der Vergleiche kenne das Bayer. Staatsministerium der Finanzen jedoch nicht.
Dr. Seidel spricht sich für die Freigabe der Konten aus und erkundigt sich, wie hoch die Abschlagszahlung sein müsse.
StaatsministerDr. Hoegner stellt dazu fest, daß zweifellos der Fall einer schweren Entziehung vorliege.
Stv. MinisterpräsidentDr. Ringelmann meint, man könne vielleicht eine Abschlagszahlung von 1 Million DM zuerkennen.
StaatssekretärDr. Ehard ersucht, heute noch keine endgültige Entscheidung zu treffen, da er die Kabinettssitzung verlassen müsse und regt an, daß in einem kleinen Kreis nochmals eine Erörterung über den Vorschlag des Staatsministeriums der Finanzen stattfinde.
MinisterpräsidentDer Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.
Dr. Oechsle stellt daraufhin den formellen Antrag, die Konten freizugeben und eine Abschlagszahlung von 1 Million DM zu leisten.
StaatsministerDr. Ehard entgegnet, wenn diese Zahlung geleistet werde, müsse zunächst der Vorstand der SPD festgelegt und seine Aktiv-Legitimation festgestellt sein. Er habe Bedenken, global eine Abschlagszahlung zu leisten.
Ministerpräsidenta) Die Konten freizugeben,
b) auf die Sachschäden, die noch nicht rückerstattet seien, in jedem einzelnen Fall eine Abschlagszahlung zu leisten.
Zietsch hält demgegenüber den Antrag von Staatsminister Dr. Oechsle aufrecht.
StaatsministerDr. Seidel meint, es sei der beste Ausweg, zunächst die auf Seite 4 in der Note des Finanzministeriums festgelegten Schadensersatzansprüche in Höhe von 765 468 DM als Abschlagszahlung zu leisten; er habe den Eindruck, daß diese Posten unbestritten seien.
StaatsministerDer Ministerrat beschließt daraufhin:
1. Die Konten der SPD freizugeben,
2. einen Betrag von 765 468 DM als Abschlagszahlung an den Landesvorstand der SPP zu leisten, vorbehaltlich der späteren endgültigen Regelung.
Dr. Nerreter erhoben, der im gegenwärtigen Zeitpunkt einen Vergleich überhaupt für unzweckmäßig hält und eine gerichtliche Entscheidung fordert.
Einwendungen dagegen werden von Herrn StaatssekretärDr. Seidel wendet ein, durch ein Gerichtsurteil werde zweifellos festgestellt werden müssen, daß der SPD ein Unrecht geschehen sei, das wieder gut gemacht werden müsse. Er halte es für durchaus möglich, daß bei einer gerichtlichen Entscheidung höhere Beträge gezahlt werden müssten, als sie in dem vorliegenden Vergleich vorgesehen seien.
StaatsministerDr. Ringelmann empfiehlt, vielleicht zunächst ein oder zwei Fälle durchführen zu lassen.
StaatssekretärDr. Seidel stimmt diesem Vorschlag zu.
StaatsministerDr. Hoegner wird noch als Wunsch des Kabinetts an den Herrn Ministerpräsidenten festgestellt, daß dieser innerhalb der nächsten 14 Tage die von ihm selbst angeregte Besprechung im kleinen Kreis abhalten möge.
Auf Vorschlag des Herrn StaatsministersDr. Ehard teilt mit, einer Mitteilung der „Neuen Presse“ Coburg vom 11. September 1952 zufolge, habe bei einer von der Industrie- und Handelskammer in Coburg veranstalteten Grenzlandfahrt ein Dr. Achenbach12 vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen erklärt, er als einer der zuständigen Männer für diese Probleme habe amtlich bisher überhaupt noch nichts erfahren.13 Diese Äußerung habe einen Sturm der Entrüstung hervorgerufen, so daß schließlich, der Zeitung zufolge, der Landrat des Landkreises Kronach14 wörtlich erklärt habe: „Wenn wir nicht gehört werden, müssen wir eben den Dienstweg umgehen und uns über München hinweg direkt nach Bonn wenden.“ Dr. Achenbach habe daraufhin versprochen, sich für die Beseitigung der Schwierigkeiten im Tettauer Raum und für die Gewährung der dringend erforderlichen Hilfe persönlich einzusetzen.
MinisterpräsidentDieser Vorfall sei wirklich unerhört, wenn man bedenke, daß die bayerische Staatsregierung seit 28. Mai 1952 eine Reihe von Hilfsmaßnahmen selbst durchgeführt oder die notwendigen Schritte bei den zuständigen Bundesministerien, insbesondere dem Ministerium für Wirtschaft, der Finanzen und für Verkehr, unternommen habe. Bei seiner Anwesenheit in Bonn in der vergangenen Woche habe er sofort veranlaßt, daß in einer Besprechung beim Bundesfinanzministerium von den bayerischen Vertretern Protest wegen dieses Vorfalles erhoben werde.
Dr. Hoegner schließt sich diesen Ausführungen in vollem Umfang an und verliest einen eingehenden Bericht seines Ministeriums, in dem die getroffenen Maßnahmen im einzelnen aufgeführt sind.
StaatsministerDr. Seidel teilt in diesem Zusammenhang mit, wie sich die erwähnte Sitzung am 12. September in Bonn abgespielt habe. [Herr] von Zahn15 vom Bundesministerium für gesamtdeutsche Fragen habe bekanntgegeben, daß für die Unterbringung von Sowjetzonen-Flüchtlingen 30 Millionen DM bereitgestellt würden, wozu noch 6 Millionen DM für die Behebung besonderer Notstände kämen. Von diesem Betrag entfielen auf Bayern ungefähr 2,2 Millionen DM. Allerdings sei die genaue Aufstellung über die Vorlage des Bundeskabinetts noch nicht mitgeteilt worden. Anschließend habe Ministerialrat Dr. Fischer-Menshausen16 die Fragen zur Debatte gestellt:
Staatsminister1. was als Grenznotstand anzusehen sei,
2. wie die Verteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden vorgenommen werden könne.
120 GG nicht ausreiche; auch die Länder, die Kreise und Gemeinden müssten sich entsprechend beteiligen. Sämtliche Länder-Vertreter hätten sich entschieden gegen diese Auffassung ausgesprochen.
Er habe dabei erklärt, die Kosten könnten nicht ausschließlich vom Bund getragen werden, da hiefür Art.Was den Vorfall in Tettau betreffe, so scheine die Unterrichtung der bayerischen Vertreter nicht mehr rechtzeitig erfolgt zu sein, so daß der Protest in der Sitzung vom 12. September unterblieben sei.
Dr. Ehard erwidert, unter diesen Umständen müsse eine schriftliche Beschwerde an Herrn Bundesminister Kaiser17 gerichtet werden. Er bitte, ihm das erforderliche Material, insbesondere die von Herrn Staatsminister Dr. Hoegner verlesene Aufstellung, herüberzugeben. Es sei aber notwendig, daß auch von den anderen Ministerien entsprechendes Material zur Verfügung gestellt werde.
MinisterpräsidentDr. Seidel weist noch darauf hin, daß er einen Bericht des Herrn Senators Dr. Pöhner18 erhalten habe, der Gelegenheit genommen habe, schon am nächsten Tag die Dinge richtig zu stellen.
Staatsminister19
Der Ministerrat erklärt sich damit einverstanden, daß ein Schreiben an den Bundesminister für gesamtdeutsche Fragen gerichtet wird.Dr. Hoegner teilt mit, es liege ihm jetzt die Niederschrift der Bonner Sitzung vom 5. September 1952 vor, auf der der Vertreter des Bundesfinanzministeriums erklärt habe, es könnten nur mehr für überregionale Zwecke Wohnungsmittel zur Verfügung gestellt werden.
Stv. MinisterpräsidentDr. Ehard erwidert, er habe Herrn Bundesfinanzminister Schäffer auf diesen Vorfall angesprochen, dieser habe ausdrücklich festgestellt, daß im Gegenteil die Wohnungsbaumittel von 400 auf 500 Millionen DM erhöht wurden und in vollem Umfang verplant werden könnten.
MinisterpräsidentDr. Oechsle bestätigt, daß Herr Bundesminister Schäffer ihm gegenüber die gleiche Erklärung abgegeben habe.
StaatsministerDr. Ehard fährt fort, das Bundesfinanzministerium habe auch eine Berichtigung an die Süddeutsche Zeitung gegeben, die allerdings nicht erschienen sei. Wenn das Bundesministerium der Finanzen der erwähnten Niederschrift zufolge sich auf einen anderen Standpunkt stelle, so müsse dies unbedingt sobald als möglich geklärt werden. Er bitte deshalb Herrn Staatsminister Dr. Hoegner, ihm den Entwurf für ein Schreiben zur Verfügung zu stellen, die gleiche Bitte richte er an Herrn Staatssekretär Dr. Oberländer, der wahrscheinlich auch Material für diesen Entwurf beisteuern könne.21
MinisterpräsidentDr. Hoegner legt ein Exemplar einer Zeitung „Deutscher Beobachter“ vor, das von der sogenannten Deutschen Arbeiterpartei herausgegeben werde.22 Die Tendenz dieses Blattes sei völlig eindeutig, sie laufe auf eine Verherrlichung des Nationalsozialismus hinaus. Er beabsichtige, die Deutsche Arbeiterpartei als nationalsozialistische Organisation zu verbieten. Er benötige dazu aber eine Entscheidung des Ministerrats. Die Rechtsgrundlage sei im wesentlichen das Gesetz Nr. 16 der Alliierten Hohen Kommission.23 Gleichzeitig sei es notwendig, auch die „Unpolitische Interessengemeinschaft ehemaliger Internierter“ zu verbieten, bei der es sich um den Zusammenschluß ehemaliger Nationalsozialisten handle.24
Stv. MinisterpräsidentDr. Koch fügt hinzu, was die Deutsche Arbeiterpartei betreffe, so lägen schon Anträge der Staatsanwaltschaft vor, es sei auch schon eine einstweilige Verfügung, wonach das Blatt nicht mehr ausgegeben werden dürfe, ergangen.
StaatssekretärDr. Ehard und Staatssekretär Dr. Ringelmann empfehlen, für die Begründung des Verbotes in erster Linie den Art. 123 GG heranzuziehen.25
MinisterpräsidentDr. Koch erklärt, man könne auch das Strafrechtsänderungsgesetz anführen, mit dessen Bestimmungen jedenfalls auch ein Verbot begründet werden könne.
Staatssekretär26
Der Ministerrat beschließt daraufhin, die Deutsche Arbeiterpartei und die Unpolitische Interessengemeinschaft zu verbieten.Dr. Guthsmuths führt aus, der Bund sei nicht in der Lage, für den Bau dieser Straße zweckbestimmte Mittel zur Verfügung zu stellen. Heute fänden aber in Bonn Verhandlungen statt mit dem Ziele, daß Bayern ein anderes geeignetes Projekt in das Programm einsetze, wofür der Bund Mittel geben könne. Auf diese Weise könnten dann Landesmittel frei werden, die für den Ausbau der Straße verwendet werden könnten. Er bitte um Zustimmung des Kabinetts zu diesem beabsichtigten Austausch.
StaatssekretärDer Ministerrat erklärt sich damit einverstanden.
Dr. Hoegner folgende grundsätzliche Frage auf. Von einem Abgeordneten des Landtags sei die Anregung gegeben worden, die Straßen I. Ordnung dem Bund zu übergeben, da dieser dann die Unterhaltungspflicht habe. Er sei der Meinung, daß dieser Vorschlag keineswegs aufgegriffen werden könne, ganz abgesehen davon, daß der Bund auf dieses Angebot keinesfalls eingehen werde. Der Ministerrat stimmt dieser Auffassung zu.
In diesem Zusammenhang wirft StaatsministerDr. Hoegner erinnert daran, daß der Ministerrat beschlossen habe, gegen die Wahl Dr. Schuncks zu stimmen; in der Bundesratssitzung sei nun bayerischerseits Stimmenthaltung geübt worden.29
Stv. MinisterpräsidentDr. Ehard erwidert, er sei im Bundesrat ausdrücklich gebeten worden, sich einer einstimmigen Beschlußfassung anzuschließen. Eine Ablehnung Dr. Schuncks wäre als Demonstration angesehen worden, zu der er sich nicht habe entschließen können, zumal Rheinland-Pfalz tatsächlich von einer Reihe von Ländern früher Versprechungen hinsichtlich eines Sitzes im Bundesverfassungsgericht gemacht worden seien. Er habe die ausdrückliche Zusicherung erhalten, daß Bayern bei der nächsten Vakanz berücksichtigt werde. Die Situation im Bundesrat sei so gewesen, daß tatsächlich nichts anderes wie eine Stimmenthaltung in Frage gekommen sei.
MinisterpräsidentDr. Ehard gibt bekannt, daß der Herr Landtagspräsident ihm den Abdruck eines Briefes des Herrn Eduard Nüßlein vom 10. Juni 1952 vor einigen Tagen übersandt habe.31
Ministerpräsident32 Wie er erfahren habe, sei die Angelegenheit schon im Ältestenrat besprochen worden, offenbar mit dem Ergebnis, die Akten anzufordern.
In diesem Schreiben, das er jetzt an Herrn Staatssekretär Dr. Koch geschickt habe, würden Vorwürfe aller Art gegen die Justizverwaltung und Polizeidienststellen erhoben.33 Auch dieses Schreiben habe er Herrn Staatssekretär Dr. Koch herübergegeben.34
Gestern habe ihm nun Herr Nüßlein, der sich bisher noch nie an ihn gewandt habe, einen weiteren Brief übersandt, dem umfangreiche Anlagen beigegeben seien. Der Inhalt berühre weniger die früheren Vorwürfe gegen die Justizverwaltung, sondern betreffe in erster Linie die Schadensersatzforderungen gegen den Staat mit der Bitte, er als Ministerpräsident möge beim Staatsministerium der Finanzen auf einen Vergleich einwirken.Zietsch kommt dann auf verschiedene Vorfälle, die sich in der letzten Zeit im Landtag ereignet hätten, zu sprechen, unter anderem auf die in der Presse veröffentlichte Erklärung des Leiters der Obersten Baubehörde, wonach 31,3 Millionen Straßenbaumittel eingespart werden müßten. Leider habe diese Erklärung der Obersten Baubehörde, die große Unruhe hervorgerufen habe, nicht den Tatsachen entsprochen. Er bitte dringend, daß von allen Ressorts aus darauf hingewirkt werde, unnötige oder unvollständige Erklärungen von Beamten zu vermeiden.
StaatsministerDr. Ringelmann fügt hinzu, die Oberste Baubehörde habe die Entschließung des Finanzministeriums vom 25. August nicht vollständig erfaßt. Natürlich müsse ein Defizit von 87 Millionen DM abgetragen werden, vorläufig habe das Finanzministerium aber nur auf rein technischer Grundlage einen Plan aufgestellt. In der Entschließung heiße es ferner, das Finanzministerium bitte, zu dieser Aufstellung Stellung zu nehmen und Vorschläge zu machen. Die Oberste Baubehörde hätte wissen müssen, daß noch durchaus Verhandlungen möglich seien und das letzte Wort keineswegs gesprochen sei.
StaatssekretärDr. Hoegner stellt fest, daß ihm der Entwurf eines Briefes wegen der erwähnten 31,3 Millionen DM vorgelegt worden sei, er diesen aber nicht unterschrieben, sondern der Haushaltsabteilung gegeben habe, damit von dort aus mit der Obersten Baubehörde und mit dem Finanzministerium verhandelt werde. Der Leiter der Obersten Baubehörde sei deshalb nicht berechtigt gewesen, im Landtag Äußerungen abzugeben.
Stv. MinisterpräsidentDer Ministerrat nimmt die Feststellung zur Kenntnis.
Dr. Ehard gibt ein Rundschreiben des Bundesministeriums für Vertriebene bekannt, wonach zwischen dem 20. und 26. Oktober vom Verband der Heimkehrer eine Kriegsgefangenen-Gedenkwoche geplant sei.36Die Bundesregierung habe beschlossen, die Durchführung zu unterstützen und den Ländern empfohlen, in gleicher Weise verfahren. Bis jetzt sei allerdings der VdK noch nicht an die Staatsregierung herangetreten.
Ministerpräsident37
Der Ministerrat beschließt, zunächst weitere Schritte des Verbands der Heimkehrer abzuwarten.Dr. Ehard verliest dann ein Schreiben des Rektors der Universität München, in dem die Notwendigkeit dargelegt werde, wenigstens noch das Dach des Hauptgebäudes an der Ludwigstraße vor dem Winter fertigzustellen. Der Rektor schlage vor, falls Betriebsmittel nicht mehr vorhanden seien, Gelder aus der sogenannten „Aktion Fries“ dafür zu verwenden.
MinisterpräsidentZietsch antwortet, leider sei die sogenannte „Aktion Fries“ noch im Stadium der Erwägungen, wenn er auch glaube, daß man schließlich zum Ziel gelangen werde. Er bitte aber, die Angelegenheit heute zurückzustellen, da das Staatsministerium für Unterricht und Kultus nicht vertreten sei.
StaatsministerIm übrigen weise er darauf hin, daß wegen des Wiederaufbaues der Universität und ihrer Institute noch immer keine Gesamtplanung vorliege.
Dr. Ehard stellt fest, daß im Frühjahr wiederholt mitgeteilt worden sei, die Planung sei fertig, während er jetzt, auch von Seiten der Universität, erfahren habe, daß noch keineswegs eine fertige Planung festliege.
MinisterpräsidentDr. Ringelmann erklärt abschließend, um das Dach der Universität müsste sich das Staatsministerium für Unterricht und Kultus kümmern, er sei sicher, daß die Fertigstellung vor dem Winter erfolgen könne.
StaatssekretärDr. Ehard weist darauf hin, daß es sich als notwendig herausgestellt habe, § 1 dieser Verordnung nochmals neu zu formulieren. Vorgeschlagen werde folgende Fassung:
Ministerpräsident„Die nach § 6 Absatz 2 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes in der Fassung vom 30. April 1952 der Landesregierung zustehende Zustimmungsbefugnis zur Erhebung der Lohnsummensteuer wird auf das Bayerische Staatsministerium des Innern übertragen.“
Der Ministerrat erklärt sich mit dieser Änderung einverstanden.
Dr. Ehard fährt fort, außerdem sei bei der Erörterung im Ministerrat am 2. September noch kein Termin für das Inkrafttreten dieser Verordnung beschlossen worden; er schlage vor, den 15. September 1952 zu wählen.
Ministerpräsident40
Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.Zietsch teilt mit, er habe sofort nach dem letzten Ministerrat die Anweisung gegeben, der Ministerialforstabteilung Betriebsmittel in Höhe von 80 000 DM für die Anpflanzungen auf dem Obersalzberg zur Verfügung zu stellen.
StaatsministerDr. Schlögl fügt hinzu, sofort nach dem Eintreffen dieser Gelder seien die Pflanzungen begonnen worden.
Staatsminister42
Er mache aber darauf aufmerksam, daß zum Teil keine Bäume, sondern höchstens Sträucher angepflanzt werden konnten, besonders auf den ehemaligen Gebäuden, die auf Betonfundamenten geruht hätten.