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EinleitungD

I.Quellencharakteristik

Für das Kabinett Ehard III, das als große Koalition vom 18. Dezember 1950 bis zum 14. Dezember 1954 amtierte, sind insgesamt 241 Ministerratsprotokolle überliefert. Aus dem letzten Regierungsjahr der Koalition kommen in vorliegendem Editionsband 51 Protokolle aus dem Zeitraum vom 5. Januar bis 7. Dezember 1954 zum Abdruck.1

Nach der relativ hohen Zahl von sechs außerordentlichen Ministerratssitzungen im Jahre 1953 gab es in 1954 nur einen einzigen außerordentlichen Ministerrat: Am 4. August am Spätnachmittag traf sich das Kabinett zu einer halbstündigen Krisensitzung, nachdem Finanzminister Zietsch am Vormittag gegenüber dem Landtagsplenum im Rahmen der Haushaltsberatungen 1954 eine pessimistische Stellungnahme über die Schätzung der Steueraufkommens abgegeben hatte. Die Regierung stand vor der Frage, ob unter diesen Umständen gegenüber dem Landtag nicht eine neue Regierungsvorlage des Haushaltsgesetzes eingebracht werden müsse.2

Der außerordentliche Ministerrat vom 4. August 1954 war auch der einzige, der nicht – wie üblich – im Sitzungssaal der Staatskanzlei in der Münchener Prinzregentenstraße 7, dem früheren preußischen Gesandtschaftsgebäude, stattfand. Tagungsort war in diesem Falle der Bayerische Landtag.

Nach wie vor fanden die Ministerratssitzungen im wöchentlichen Turnus zumeist am Dienstagvormittag statt, nach den montäglichen Koordinierungssitzungen für Bundesangelegenheiten in der Staatskanzlei3 und vor den in der Regel zur Wochenmitte beginnenden Bundesratsberatungen in Bonn. Nur einmal fand am 25. Januar eine Kabinettssitzung an einem Montag statt, die trotz einer weiteren Minsterratssitzung am darauffolgenden 26. Januar aber kein außerordentlicher Ministerrat gewesen zu sein scheint bzw. nicht als solcher ausgewiesen wurde. Einmal, am 22. April, wurde ein Ministerrat wegen der vorangegangenen Osterfeiertage an einem Donnerstag abgehalten, und dreimal – am 17. Februar, 16. Juni und 3. November – an einem Mittwoch; auch der einzige außerordentliche Ministerrat am 4. August fand an einem Mittwoch statt. Zwischen dem 10. und 24. August gab es – bedingt durch die Sommerferienzeit – eine 14tägige Unterbrechung der Ministerratssitzungen. Es war angedacht, den Ministerrat vom 24. August in Brannenburg, dem Urlaubsort des Stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner, abzuhalten; der Tagungsort war dann aber auch am 24. August wie gewohnt die Münchner Staatskanzlei.

Die Einberufung zum Ministerrat erfolgte durch den Ministerpräsidenten oder den Stellvertretenden Ministerpräsidenten, die Ausfertigung und Unterzeichnung der Einladungen durch den Generalsekretär des Ministerrates oder einen seiner Stellvertreter.4 Wie bereits in den Jahren zuvor zeichnete Regierungsdirektor Levin Freiherr von Gumppenberg5 die überwiegende Mehrzahl der Einladungen, nur drei Einladungsschreiben tragen die Unterschrift von Oberregierungsrat – bzw. ab Mitte 1954: Regierungsdirektor – Hans Kellner6 von der Staatskanzlei. Die Einladungen zu den Kabinettssitzungen gingen den Regierungsmitgliedern in der Regel vier bis fünf Tage vor dem angesetzten Termin zu. Nur zu einem Ministerrat, der Sitzung vom Mittwoch, den 17. Februar, existiert keine Einladung. In einem Fall fand die Kabinettssitzung nicht zum angesetzten Termin statt: Mit Schreiben vom 20. November hatte Regierungsdirektor Kellner zum Ministerrat am Dienstag, den 23. November eingeladen, die Ministerratssitzung wurde dann jedoch erst am darauffolgenden Tag abgehalten. Den Einladungen waren stets vorläufige Tagesordnungen beigefügt, die sich zumeist aber nur partiell mit der tatsächlich im Kabinett verhandelten Agenda deckten. Den Kabinettsmitgliedern wurden auch im Regierungsjahr 1954 weiterhin keine Vorlagen zur Sitzungsvorbereitung übersandt, obwohl der Ministerpräsident dies in der konstituierenden Sitzung des Kabinetts Ehard III vom 20. Dezember 1950 angekündigt hatte.7

Die Anwesenheitsdisziplin der Kabinettsmitglieder im Ministerrat nahm 1954 gegenüber dem Vorjahr zwar nicht markant, aber doch spürbar ab. Im Schnitt waren pro Kabinettssitzung ungefähr vier Regierungsmitglieder entschuldigt. Nur in einer einzigen Sitzung, am 12. Oktober, war das Kabinett vollständig versammelt. Einzig in jeder der 51 Sitzungen des Jahres 1954 anwesend war der stellvertretende Ministerpräsident und Innenminister Wilhelm Hoegner, der in den beiden Ministerratssitzungen vom 19. Januar und vom 23. März, in denen Ministerpräsident Ehard fehlte, den Vorsitz führte. Im Ministerrat vom 18. Mai stieß Ministerpräsident Ehard erst mit Verspätung hinzu. Am häufigsten abwesend waren Wirtschaftsminister Hanns Seidel und Kulturstaatssekretär Eduard Brenner, die beide jeweils 26 Male entschuldigt waren und längerfristig nicht an den Kabinettssitzungen teilnehmen konnten. Seidel fehlte vom 25. Januar bis zum 30. März an zwölf aufeinanderfolgenden Ministerratssitzungen, Brenner vom 9. März bis zum 31. August durchgehend in 22 Sitzungen. Ursache waren schwere Erkrankungen beider Regierungsmitglieder. Auch Arbeitsminister Richard Oechsle war mit 21 verhinderten Sitzungsteilnahmen überdurchschnittlich oft entschuldigt, gefolgt von Landwirtschaftsminister Alois Schlögl mit 16, von Justizstaatssekretär Fritz Koch mit 14 und von Finanzminister Friedrich Zietsch mit 12 Absenzen. Kultusminister Josef Schwalber, Justizminister Otto Weinkamm, Wirtschaftsstaatssekretär Walter Stain, Innenstaatssekretär Paul Nerreter, Landwirtschaftsstaatssekretär Johann Maag sowie Finanzstaatssekretär Richard Ringelmann fehlten jeweils elfmal. Auffällig ist, daß Arbeitsminister Oechsle in der Zeit vom 18. Mai bis 22. Juni an sechs, zwischen dem 16. November bis zum 7. Dezember an vier aufeinanderfolgenden Ministerratssitzungen fehlte; auch Justizminister Weinkamm versäumte in der Zeit zwischen dem 13. April und dem 18. Mai sechs Kabinettssitzungen am Stück. Der in den vorangegangenen Regierungsjahren am konstantesten anwesende – aber in den Protokollen stets unauffällige – Staatssekretär im Arbeitsministerium, Heinrich Krehle, fehlte 1954 siebenmal; der regelmäßigste Teilnehmer neben Innenminister Hoegner war im Regierungsjahr 1954 Wirtschaftsstaatssekretär Willi Guthsmuths mit nur zwei Fehltagen.

Weitere regelmäßige Teilnehmer an den Ministerratssistzungen waren als Nicht-Regierungmitglieder der Leiter der Staatskanzlei, Ministerieldirektor Karl Schwend8 (45 Sitzungsteilnahmen), sowie der in der Staatskanzlei für Bundesangelegenheiten zuständige Ministerialrat Erich Gerner,9 (46 Sitzungsteilnahmen). Gerner, der im Ministerrat regelmäßig über die Bundesratsangelegenheiten Bericht erstattete, war im Oktober 1950 zum Bayerischen Bevollmächtigten beim Bund nach Bonn abgeordnet und zum 1. Oktober 1951 in Nachfolge für den nunmehrigen Beauftragen Bayerns beim Bund, Claus Leusser,10 in die Staatskanzlei versetzt worden. Regelmäßig wohnte ferner mit 43 Sitzungsteilnahmen der Chef des Presse- und Informationsamtes der Staatskanzlei, Franz Baumgärtner,11 den Ministerratssitzungen bei.12

In insgesamt neun Ministerratssitzungen waren zumindest zu einzelnen Tagesordnungspunkten Angehörige der Ministerialbürokratie als Berichterstatter oder auch externe Personen als Sachverständige anwesend. Ministerialdirigent Fritz Baer13 von der Staatskanzlei vertrat in den Sitzungen vom 20. und 27. Juli sowie dem 3. August den abwesenden Leiter der Staatskanzlei Karl Schwend, und im Ministerrat vom 4. Mai wohnte Baer als Referent der Besprechung der Geschäftsordnung des Bayerischen Landespersonalamtes bei.14 In der Kabinettssitzung vom 5. Januar nahm Ministerialdirektor Josef Mayer15 vom Kultusministerium an der Beratung des Stiftungsgesetzes teil.16 Im Ministerrat vom 17. Februar, in dem die finanzpolitisch bedeutsamen und auch regierungsintern höchst umstrittenen Themen des außerordentlichen Haushalts 1954 und der Neuregelung der Richter- und Lehrerbesoldung auf der Tagesordnung standen, wurden insgesamt fünf Gäste hinzugezogen: Regierungsdirektor Bergler von der Obersten Baubehörde – über den keine Informationen ermittelt werden konnten – und Ministerialdirigent Otto Barbarino17 zur Besprechung des außerordentlichen Haushalts,18 Barbarino und Oberregierungsrat Karl Groll19 vom Staatsministerium der Finanzen, Ministerialrat Johann Niedermeier20 vom Arbeitsministerium sowie Regierungsdirektor Hubert Beuschlein21 vom Kultusministerium dann zum Tagesordnungspunkt der Beamtenbesoldung. Regierungsdirektor Groll vom Finanzministerium, Regierungsdirektor Beuschlein vom Kultusministerium sowie der ebenfalls aus dem Kultusministerium stammende Regierungsdirektor Alois Braun22 nahmen am 2. März erneut an der Beratung des Lehrerbesoldungsgesetzes im Ministerrat teil.23 Am 23. März wurde der Referent für Besatzungsangelegenheiten in der Staatskanzlei, Helmuth Penzel,24 zur Besprechung der von der US-Besatzungsmacht veranlaßten Entlassungen von Arbeitern des BMW-Werkes in München-Allach hinzugezogen.25 Weiterhin berichtete Penzel in der Kabinettssitzung vom 5. Oktober über die – erfolglosen – Verhandungen mit den amerikanischen Dienststellen über die Freigabe einer Kaserne in Zirndorf bei Nürnberg, die mit bayerischen Bereitschaftspolizeieinheiten belegt werden sollte.26 Am 16. Juni präsentierten der Münchner Stadtbaudirektor Hans Högg27 und der Münchner Stadtrat und Bau- und Wohnungsreferent Helmut Fischer28 den Regierungsmitgliedern die Pläne für eine Zusammenführung der drei auf die Landeshauptstadt zuführenden Autobahnen im Münchner Stadtzentrum, anwesend waren hier auch Ministerialdirektor Franz Fischer29 sowie Ministerialrat Ludwig Bruner30 von der Obersten Baubehörde.31 Als im Ministerrat vom 14. September die Zukunft des wirtschaftlich unrentablen Kohlebergwerks Marienstein im bayerischen Pechkohlegebiet diskutiert wurde, waren als Sachverständige der Präsident des Oberbergamtes Josef Nagelmann32 sowie Oberbergrat Barth33 geladen.34 Im Ministerrat vom 19. Oktober schließlich referierte Ministerialrat Franz Nibler35 vom Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr über die Auswirkungen eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts zur Erleichterung der Zulassung von gewerblichen Miet- und Ausflugsfahrten mit Omnibussen auf den Freistaat.36

Die Mitschrift und die endgültige Abfassung der Ministerratsprotokolle lag wie in den Vorjahren auch fast ausschließlich in der Verantwortung des Generalsekretärs des Ministerrates, Levin Freiherr von Gumppenberg. Fünf Protokolle wurden von Hans Kellner ausgefertigt. Bemerkenswerterweise lassen sich dabei hinsichtlich des Stils, des Umfanges und der Gestaltung der Niederschriften der zwei Protokollanten keine signifikanten Charakteristika oder Unterschiede festmachen.

Sowohl von den genannten Protokollführern wie von Ministerpräsident Ehard – in den Fällen, in denen der Stellvertretende Ministerpräsident den Vorsitz im Ministerrat führte, auch von Wilhelm Hoegner – wurden in den Protokollentwürfen des Registraturexemplars im Bayerischen Hauptstaatsarchiv, die die Vorlagen für die endgültigen, an die Teilnehmer des Ministerrates versandten Schlußfassungen bildeten, zum Teil handschriftliche Änderungen und Korrekturen vorgenommen. In aller Regel handelt es sich hierbei nur um die Berichtigung von Schreib- oder Übertragungsfehlern oder geringfügige sprachlich-stilistische Verbesserungen. Die handschriftlichen Bemerkungen Hans Ehards dienten fast ausschließlich der sachlichen Ergänzung oder der sprachlichen Präzisierung juristischer Sachverhalte. Glättende oder mäßigende sprachliche Eingriffe, die die Diktion der Protokolltexte entschärfen sollten – wie es insbesondere bei den Ministerratsprotokollen der Jahre 1947/48, in weniger ausgeprägter Form auch 1949 noch gängige Praxis gewesen ist – kamen nur mehr sehr vereinzelt vor.

Die im Registraturexemplar enthaltenen Protokolle sind immer von Ministerpräsident Ehard bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten Hoegner, dem jeweiligen Protokollführer und dem Leiter der Staatskanzlei Karl Schwend abgezeichnet. Drei Protokolle unterzeichnete Ministerialrat Baer in Vertretung für Karl Schwend; in nur zwei Fällen allerdings deckte sich dies mit denjenigen Ministerratssitzungen, in denen der Leiter der Staatskanzlei nicht anwesend war: Das Protokoll vom 6. Juli ist von Baer abgezeichnet, obwohl Schwend am Ministerrat teilgenommen hatte.

Ebenfalls mit handschriftlichem Vermerk ist in den Entwürfen des Registraturexemplars stets das Datum genannt, an dem die Protokolle in ihrer endgültigen Fassung den Teilnehmern des Ministerrats zugesandt wurden. Der durchschnittliche zeitliche Abstand zwischen dem protokollierten Sitzungstermin und dem Versand der Niederschriften betrug zwischen zwei und drei Wochen. Gängige Praxis war es auch, mehrere Protokolle gesammelt zu verschicken. Neben den Kabinettsmitgliedern erhielt auch Erich Gerner ein Exemplar des hektographierten Protokolls zur Leitung der Koordinierungsbesprechungen sowie zum Vortrag über Bundesangelegenheiten in den jeweils folgenden Kabinettssitzungen. Analog zum früheren Procedere, dem bayerischen Bevollmächtigten beim Stuttgarter Länderrat ein Protokoll zuzuleiten, darf angenommen werden, daß auch der Bevollmächtigte Bayerns in Bonn, Claus Leusser, ein Exemplar erhielt.

Es ist von der Praxis auszugehen, daß der Protokollführer die Reinschrift nach eigener Durchsicht dem Ministerpräsidenten bzw. dem Stellvertretenden Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats nochmals zur Genehmigung vorlegte. Nach Durchsicht, Korrektur und Freigabe konnte das Protokoll vervielfältigt und verteilt werden.

Es oblag ansonsten den Ministern und Staatssekretären, die Regierungsbeschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten zur Bekanntgabe und zum Vollzug weiterzuleiten. In vielen Fällen wurden zu diesem Zweck maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten nur den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten.

Bei den Protokollen des bayerischen Ministerrats handelt es sich auch 1954 weiterhin und zumeist um in indirekter Rede gehaltene ausführliche Verlaufsprotokolle. Im Gegensatz zu reinen Ergebnisprotokollen werden hier der Diskussionsverlauf, der Prozeß der Meinungsbildung oder auch sachliche wie persönliche Konfliktlinien im Ministerrat deutlich nachvollziehbar, wenn natürlich auch ein Verlaufsprotokoll nur eine geraffte Form der Wiedergabe darstellt und auch durch oft wiederkehrende Formulierungen wie „nach längerer Debatte“, „nach kurzer Aussprache“ u.ä. offensichtlich die schriftliche Dokumentation kontroverser Debatten im Ministerrat abgemildert oder vermieden werden sollte.

Auch im Jahre 1954 fand mit Blick auf den Protokollcharakter eine markante Veränderung ihre Fortsetzung, die sich ansatzweise bereits im Regierungsjahr 1950 abgezeichnet und in den Folgejahren deutlich verstärkt hatte – es handelt sich um die teilweise Abkehr vom Verlaufsprotokoll insbesondere mit Blick auf die Dokumentation der Diskussionen der Bundesangelegenheiten. Da sich unter dem im Ministerrat nun regelmäßig abgehandelten Tagesordnungspunkt „Bundesratsangelegenheiten“ eine stetig wachsende Vielzahl von Einzelthemen subsummiert fand, ähneln die betreffenden Protokollabschnitte – wohl aus nachvollziehbaren Gründen der Zeit- und Platzersparnis – jetzt streckenweise der Form eines reinen Ergebnisprotokolls. Vor allem zu offensichtlich wenig umstrittenen Sachfragen finden sich regelmäßig nur sehr kurze allgemein-zusammenfassende Formulierungen wie „Bedenken werden nicht erhoben“, „Der Ministerrat beschließt Zustimmung“, oder „Der Ministerrat beschließt, Stimmenthaltung zu üben“. Auch ist im Zusammenhang mit der Behandlung des Tagesordnungspunktes „Bundesangelegenheiten“ festzuhalten, daß die in den Ministerratsprotokollen dokumentierten Beiträge von Erich Gerner zur Bundesgesetzgebung und zur Tagesordnung des Bundesrates oft wörtlich mit dem in aller Regel sehr knapp formulierten Protokoll der vorangegangenen Koordinierungsbesprechung übereinstimmen.

Die politische Agenda in Bayern und die Regierungspolitik wurden während der Amtszeit der Regierung Ehard III nicht nur am Kabinettstisch behandelt, sondern auch, wie aus manchen Ministerratsprotokollen deutlich wird, in Koalitionsbesprechungen zwischen Vertretern der Regierungsparteien, die in unregelmäßigen Turnus am Montag vor der Kabinettssitzung stattfanden. Zu diesen Koalitionsbesprechungen allerdings wurden in den einschlägigen Archivbeständen keinerlei weiterführende Hinweise, Unterlagen oder Niederschriften ausfindig gemacht.

II.Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

1.Bundespolitik

Im Regierungsjahr 1954 stellte sich hinsichtlich der Behandlung der Bundespolitik und der Bundesratsangelegenheiten im Ministerrat ein gewisser sachthematischer Wandel und eine spürbare Schwerpunktverlagerung ein. Zwar blieb die Zahl der legislativen Projekte auf Bundesebene absolut betrachtet unverändert hoch – im Ministerrat vom 16. Februar etwa umfaßte die Tagesordnung der Bundesratsangelegenheiten 43 Unterpunkte, am 16. März waren es 45 –, auffällig allerdings ist hier die hohe Anzahl etwa an Verlängerungs-Verordnungen oder an Änderungs- und Ergänzungsgesetzen zu bereits bestehenden legislativen Regelungen. Die Behandlung großer, zentraler Gesetzesvorhaben auf Bundesebene tritt, von wenigen Ausnahmen abgesehen, dagegen merklich in den Hintergrund. Bemerkenswert ist, daß das große außenpolitische Ereignis des Jahres 1954, die Ablehnung der EVG-Verträge durch die französische Nationalversammlung am 30. August 1954, in den Protokollen keinerlei Erwähnung findet.

Eine Reihe von zentralen Gesetzesvorhaben auf Bundesebene waren im Jahre 1954 Rückläufer – also Gesetzesvorlagen der Bundesregierung, die z.T. bereits in den Vorjahren auf der Tagesordnung der Ministerrats gestanden hatten. Das Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiet des bürgerlichen Rechts beispielsweise,37 mit dem das Gleichheitspostulat des Art. 3 Absatz 2 des Grundgesetzes in die Rechtspraxis umgesetzt werden sollte, war bereits seit dem Jahre 1949 im Bundesjustizministerium vorbereitet worden und hatte im Ministerrat vom 23. September 1952 zum ersten Male auf der Tagesordnung gestanden. Das Gesetz, das in der Folge im Verlauf des Jahres 1954 in den Protokollen nicht mehr behandelt wurde, trat erst 1957 in Kraft. Auch die in der Kabinettssitzung vom 23. Februar 1954 erörterte Frage der Verteilung des Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommens zwischen Bund und Ländern für das Rechnungsjahr 195438 war bereits im Ministerrat vom 10. März 1953, dann zuletzt in der Kabinettssitzung vom 15. Dezember 1953 Diskussionsgegenstand gewesen. Nachdem ein laut Art. 107 des Grundgesetzes eigentlich bis spätestens zum 31. Dezember 1952 zu erlassendes Gesetz zur Steuerverteilung zwischen Bund und Ländern immer noch nicht zustande gekommen war, mußte die Zuteilung des Einkommen- und Körperschaftsteueraufkommens jedes Jahr aufs neue zwischen Bund und Ländern ausgehandelt und in Einzelgesetzen geregelt werden. Mit dem Gesetz über die Inanspruchnahme eines Teils der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer durch den Bund im Rechnungsjahr 1954 vom 25. April 195539 wurde das letzte dieser Einzelgesetze erlassen, bevor die Bestimmungen des Artikels 107 des Grundgesetzes im Zuge der Gesetzgebung zur Finanzreform Ende 1955 schließlich umgesetzt wurden.40

Ein weiteres legislatives Großprojekt der Bundesregierung, das den Ministerrat auch schon zwei Jahre vorher, in der Kabinettssitzung vom 21. Mai 1952, beschäftigt hatte, war der Entwurf eines Gesetzes über Wettbewerbsbeschränkungen.41 Dieses Kartellgesetz war im Bundeswirtschaftsministerium bereits seit dem Jahre 1949 in Vorbereitung gewesen und wurde als Gesetzesvorlage vom Bundeskabinett in der Sitzung vom 7.11.1951 verabschiedet.42 Das Gesetzesvorhaben war in der Bonner Regierungskoalition höchst umstritten, der Grundsatzkonflikt drehte sich um die Frage des Verbots- oder Mißbrauchsprinzips. Bundeswirtschaftsminister Ludwig Erhard43 trat für ein grundsätzliches Kartellverbot ein, Kräfte in der Bonner Ministerialbürokratie und in den Regierungsparteien dagegen für eine gesetzliche Regelung, die Kartelle nicht verbieten, sondern nur den Mißbrauch ihrer ökonomischen Macht verhindern sollte. Diese grundsätzliche Frage spaltete auch das bayerische Kabinett, als im Ministerrat vom 18. Mai 1954 das weitere strategische Vorgehen im Bundesrat diskutiert wurde – der Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde von den Regierungen aller Länder kritisch betrachtet, und es ging nunmehr um die Frage, ob der Bundesrat dem Vorschlag des BR-Wirtschaftsausschusses folgen und eine neue Gesetzesvorlage einfordern oder für eine Überarbeitung der Regierungsvorlage plädieren sollte. In seiner äußerst ausführlichen Stellungnahme im Ministerrat wandte sich Wirtschaftsminister Hanns Seidel gegen das in dem Kartellgesetzentwurf dominierende „grundsätzliche Verbotsprinzip“, das „in unlösbarem Widerspruch zu den Bedürfnissen der Wirtschaft stehe“, das außerdem – wie die Erfahrungen aus den USA gezeigt hätten – auch nicht immer wirksam sei und dessen Durchsetzung einen unverhältnismäßigen staatlichen Verwaltungsaufwand mit sich bringe. Gegen den Wirtschaftsminister und die Mehrheit des Kabinetts positionierten sich der CSU-Innenstaatssekretär Paul Nerreter und der Justizstaatssekretär Fritz Koch von der SPD; beide betonten die Notwendigkeit der Rechtsklarheit, die bei Anwendung des Verbotsprinzips im Gesetz eindeutiger gegeben sei. Wie auch im Falle des oben behandelten Gleichberechtigungsgesetzes sollten auch bei der weiteren Behandlung des neuen Kartellgesetzes noch drei Jahre vergehen, bis das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen schließlich im Juli 1957 veröffentlicht wurde.

Ebenfalls neu verhandelt wurde 1954 im Ministerrat der Entwurf eines Gesetzes über die Gewährung von Straffreiheit.44 Dieses Gesetz war ursprünglich aus der Mitte des Bundestages als interfraktioneller Entwurf eingebracht und vom Parlament im Juni 1953 angenommen, in der Folge aber vom Bundesrat abgelehnt worden. Dieser Bundestags-Entwurf war darauf ausgerichtet gewesen, dem Personenkreis von Verlegern und Journalisten in Fällen des widerrechtlichlichen Erhalts oder der Weitergabe von Informationen vor dem Stichtag 31. Dezember 1951 Straffreiheit zu gewähren. Die Notwendigkeit eines weitreichenden Amnestiegesetzes war politisch aber unumstritten: Der in der Folge von der Bundesregierung vorgelegte neue Entwurf eines Straffreiheitsgesetzes ging über den Bundestags-Entwurf weit hinaus und enthielt umfassende Bestimmungen zur Gewährung von Straffreiheit für nach dem Zusammenbruch von 1945 begangene Taten. Während die bayerische Staatsregierung im Jahre 1953 dem Bonner Regierungsentwurf zwar in Teilen kritisch gegenüberstand, ihm insgesamt aber zustimmte, lehnte der Bundesrat das Gesetz im Dezember 1953 ab. Trotzdem leitete die Bundesregierung den Entwurf an den Bundestag weiter, dessen Rechts- und Verfassungsausschuß den Entwurf überarbeitete – zur erneuten Unzufriedenheit der bayerischen Staatsregierung. Insbesondere wurden moniert: die Zurückverlegung auf den späten Stichtag 1. Januar 1954, die generelle Amnestie von Steuer- und Monopolvergehen sowie die Möglichkeit der Amnestie auch in Fällen von Mord und Totschlag. Trotz weitreichender Bedenken beschloß das Kabinett, von einer Ablehnung des Gesetzes abzusehen und sich im Bundesrat für die Anrufung des Vermittlungsausschusses einzusetzen.

Die wichtigsten Punkte der Bundesgesetzgebung im Regierungsjahr 1954 waren aus Sicht der Länder die geplanten Steuer- und Finanzreformen des Bundes,45 die stets als Gesetzespaket behandelt wurden: Zunächst ist zu nennen das Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Finanzverfassung (Finanzverfassungsgesetz), durch das die Verteilung der in Artikel 106 des Grundgesetzes aufgeführten Zölle und Steuern – hier insbesondere die bis dahin jährlich umstrittene und auszuhandelnden Anteile an der Einkommen- und Körperschaftsteuer – auf Grundlage und nach Vorgabe des Artikels 107 des Grundgesetzes endgültige Regelung erfahren sollte.46 Zweitens ist anzuführen das Gesetz zur Anpassung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern an die Finanzverfassung (Finanzanpassungsgesetz), das spätere Gesetz zur Regelung finanzieller Beziehungen zwischen dem Bund und den Ländern, mit dem die Kostenverteilung und die Kostenübernahme von Bund und Ländern für ihre jeweils genau umschriebene Aufgaben etwa auf dem Gebiet der Finanzverwaltung, des Lastenausgleichs oder der Kriegsfolgelasten geregelt werden sollten.47 Drittens schließlich ist zu nennen das Gesetz über den Finanzausgleich unter den Ländern (Länderfinanzausgleichsgesetz), durch das der bis dahin ebenfalls jährlich neu ausgehandelte Finanzausgleich zwischen leistungsfähigen Geber- und leistungsschwachen Nehmerländern dauerhafte bundesgesetzliche Regelung erfahren sollte.48 Alle drei Gesetzesvorhaben aus dem Bundesfinanzministerium führten zu ausführlichen und ins Detail gehenden Diskussionen im Ministerrat, nicht zuletzt da der Freistaat als Nehmerland im Finanzausgleich wie auch in Anbetracht seiner äußerst angespannten Haushaltslage49 von den Reformplänen besonders betroffen war. Hinzu kam, daß mit dem gleichzeitig in Bonn verhandelten Bundesgesetz zur Neuordnung von Steuern50 für den Freistaat nicht unerhebliche Steuerausfälle drohten. Mit der sogenannten großen Steuerreform sollten eine Vereinfachung des Steuerrechts sowie gleichzeitig umfassende, breit angelegte Steuerentlastungen insbesondere für Arbeitnehmer und Verbraucher erreicht werden. Trotz der durch die Tarifsenkungen drohenden steuerlichen Einnahmeeinbußen für den Landeshaushalt und einer Reihe von grundsätzlichen Einwänden des Finanzausschusses des Bunderates gegen den Gesetzentwurf nahm der Ministerrat jedoch den Standpunkt ein, wie Staatsminister Seidel es formulierte, „die Steuerreforn nun laufen zu lassen.“ Ausschlaggebend war nicht zuletzt die Befürchtung, der Widerstand der Länder gegen die Steuerreform könne in der Öffentlichkeit als unsozial aufgefaßt werden – Ministerpräsident Hans Ehard hielt es im Ministerrat vom 30. November 1954 „für unmöglich, daß die Länder von sich aus Bestimmungen, die aus sozialen Gründen eingeführt worden seien, angriffen“, und „der Bundesrat könne auch nicht das Odium auf sich nehmen, daß er die Steuerreform verzögere.“

In seiner Sitzung vom 3. Dezember 1954 lehnte der Bundesrat das Finanzverfassungsgesetz ab und beschloß mit Blick auf das Finanzanpassungs- und das Länderfinanzausgleichsgesetz die Anrufung des Vermittlungsausschusses. In der gleichen Sitzung stimmte der Bundesrat dem Gesetz zur Neuordnung von Steuern zu, so daß die große Steuerreform noch 1954 in Kraft treten konnte. Die drei anderen Finanzreformgesetze wurden erst im Verlaufe des Jahres 1955 veröffentlicht, das umstrittene Finanzverfassungsgesetz erst kurz vor dem Jahreswechsel 1955/56.

Außenpolitisch war das Jahr 1954 für die Bundesrepublik ein einschneidendes – anzuführen sind die Schlagworte Wiedererlangung der Souveränität, Wehrbeitrag, Deutschland- und EVG-Vertrag. Am 16. März behandelte der Ministerrat den Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Grundgesetzes, das ein zügiges Inkrafttreten des Deutschland- und EVG-Vertrages ermöglichen und durch eine Änderung des Art. 73 Abs. 1 des Grundgesetzes dem Bund die ausschließliche Gesetzgebung über die auswärtigen Angelegenheiten, die Verteidigung, die Wehrpflicht sowie den Zivilschutz übertragen sollte.51 Wie eingangs bereits erwähnt, fand das aus – bundesrepublikanischer Perspektive betrachtet – außenpolitische Groß- und gleichzeitige Negativereignis des Jahres 1954, das Scheitern der EVG in der französischen Nationalversammlung am 30. August, an keiner Stelle Eingang in die Ministerratsprotokolle. Auch die in der Folge dieser Entwicklung auf britische Initiative hin einberufene Londoner Neun-Mächte-Konferenz vom 28. September bis 3. Oktober, auf der im Grundsatz die Beendigung des Besatzungsstatuts, der Beitritt der Bundesrepublik zum Brüsseler Vertrag sowie zur NATO beschlossen wurden, kam nur einmal zur Sprache: Und zwar im Ministerrat vom 5. Oktober im Zusammenhang mit dem bayerischen Gesetz über versorgungsrechtliche Maßnahmen, ein im November 1950 vom Bayerischen Landtag verabschiedetes Gesetz zur Änderung des bayerischen Beamtengesetzes, das wegen des Einspruchs der Alliierten Hohen Kommission seinerzeit allerdings nicht verkündet werden konnte.52 Nach den Londoner Beschlüssen vom 3. Oktober sah Innenminister Hoegner die Souveränität der Bundesrepublik bereits so weit wiederhergestellt, daß dieses Jahre zuvor von den Alliierten abgelehnte Gesetz nunmehr unverzüglich veröffentlicht werden könne – eine Auffassung, der Ministerpräsident Ehard skeptisch gegenüberstand, gleichwohl aber eine rechtliche Prüfung zusagte. Die Beschlüsse der Londoner Konferenz mündeten in weitere Beratungen auf der Pariser Konferenz vom 19. bis 23. Oktober 1954, in deren Ergebnis mit der Unterzeichnung der Pariser Verträge die künftige Teilsouveränität der Bundesrepublik, ihr Beitritt zur NATO und zur WEU sowie mit dem Saar-Statut die Teilautonomie des Saargebietes geregelt wurden. Die vier Ratifizierungsgesetze betreffend das Protokoll vom 23. Oktober 1954 über die Beendigung des Besatzungsregimes in der Bundesrepublik Deutschland, den Vertrag vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, den Beitritt der Bundesrepublik Deutschland zum Brüsseler Vertrag und zum Nordatlantikvertrag sowie betreffend das am 23. Oktober 1954 in Paris unterzeichnete Abkommen über das Statut der Saar standen am 7. Dezember 1954 in der letzten Ministerratssitzung des Kabinetts Ehard III – nach der Landtagswahl vom 28. November, aber noch vor dem offiziellen Regierungswechsel und dem Amtsantritt der Viererkoalition in Bayern – auf der Tagesordnung. Gegen die Stimmen aller anwesenden SPD-Regierungsmitglieder beschloß der Ministerrat, gegen die drei erstgenannten Ratifizierungsgesetze keine Einwendungen zu erheben, zum Saar-Abkommen wurde einstimmig festgestellt, keine Stellungnahme abzugeben. Wenn Hans Ehard sich in Anbetracht der politischen Tragweite der Pariser Verträge auch eine stärkere Beteiligung des Bundesrates wie der großen Bundestagsfraktionen gewünscht haben mochte,53 so erwies sich der bayerische Ministerpräsident weiterhin und bis zum Schluß als loyaler Unterstützer der Außenpolitik von Bundeskanzler Konrad Adenauer.54

Ansonsten wurden nur auffällig wenige legislative Vorhaben der Bundesregierung im Ministerrat ausgiebig diskutiert. Hierzu gehören etwa der Entwurf eines Bundesmietengesetzes,55 mit dem gleichzeitig durch vermieterfreundliche Regelungen die private Wohnungswirtschaft gestärkt und dem Verfall von Altbauwohnungsbestand entgegengewirkt, gleichzeitig aber eine Mehrbelasung sozialschwacher Bevölkerungsteile vermieden werden sollte. Das Kabinett behandelte am 12. Oktober 1954 den Entwurf dieses Bundesgesetzes, das bemerkenswerterweise bereits vor seiner Behandlung im Bundesrat Gegenstand einer Interpellation der BHE-Fraktion im Bayerischen Landtag war,56 vor allem hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die finanzielle Belastung der Länder durch notwendige Mietbeihilfen. In der gleichen Sitzung stand auch das richtungsweisende Bundesgesetz über den Ladenschluß auf der Tagesordnung,57 ein für die Staatsregierung zentrales Thema insofern, als in Bayern noch die Erinnerungen an die gewaltsamen Ausschreitungen vom Juni 1953 in der Münchner Innenstadt präsent waren.58 Diese tumultartigen Protestaktionen von bis zu 20 000 Teilnehmern waren ausgelöst worden durch die eigenmächtigen Ladenöffnungszeit-Regelungen eines großen Münchner Warenhauses. Der Ministerrat plädierte bei der Beratung des Gesetzes für die Übernahme des Vorschlags des Bundesrats-Wirtschaftsausschusses, den ersten Samstag im Monat verkaufsoffen zu halten und hierfür an einem Montagvormittag Ausgleich zu schaffen. Der im Gesetzentwurf enthaltene Passus, am Mittwochnachmittag die Geschäfte geschlossen zu halten wurde vom Kabinett auf den Hinweis von Staatsminister Hoegner auf den Artikel 174 der Bayerischen Verfassung, der ein freies Wochenende garantiere, verworfen.

Ähnlich wie bei der Steuerreform nahm die Staatsregierung bei dem aus der Mitte des Bundestages eingebrachten Kindergeldgesetz eine zustimmende Haltung ein, obwohl der Entwurf – in den Worten Hans Ehards – als „unglücklich“ angesehen wurde.59 Die „politische Tragweite“ einer Ablehnung und der Anrufung des Vermittlungsausschusses erschien der Staatsregierung in sozialpolitischer Hinsicht jedoch zu heikel.

Deutlich wird aus dem bisherigen kursorischen Überblick: Grundsatzkonflikte föderaler Art oder politische Auseinandersetzungen zwischen dem Bund und den Ländern wurden im Jahre 1954 weniger in Fragen der legislativen Materie ausgetragen, sondern verlagerten sich im Vergleich zu den Vorjahren auf andere Felder. In gleich drei Fällen etwa befand sich der Freistaat in juristischer Auseinandersetzung mit dem Bund. Zum ersten war vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe noch anhängig die Klage Bayerns gegen das Gesetz über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken vom 1.1.1953, das in Bayern vorläufig keine Anwendung gefunden hatte, da hier ein eigenes Apothekengesetz auf Landesebene existierte und gesetzliche Regelungen zum Apothekenwesen nach bayerischer Auffassung nicht unter die konkurrierende Gestzgebung fielen. Unter diesen gegebenen Umständen beschloß der Ministerrat am 30. März 1954, in den anlaufenden Beratungen über ein Bundesapothekengesetz dahingehend einzuwirken, die bayerische Regelung möglichst umfassend auch auf die Bundesebene übertragen.60 Die Rechtsmaterie bezüglich des Apothekenwesens sollte erst im Jahre 1960 endgültige bundesgesetzliche Regelung erfahren, bis dahin wurden zum Gesetz über die vorläufige Regelung der Errichtung neuer Apotheken Verlängerungsgesetze erlassen.61

Vor dem Landgericht München I sollte der Freistaat im Jahre 1955 ein Verfahren gegen die Bundesrepublik führen, das finanzielle Ansprüche Bayerns gegenüber dem Bund aus dem Kauf des Schlosses „Waldbichl“ im Jahre 1944 betraf.62 Es handelte sich hier um das Schloß Hirschberg am Haarsee südlich von Weilheim, das zunächst 1943 beschlagnahmt und als Gästehaus der Reichsregierung genutzt wurde. Nach dem offiziellen Erwerb des Anwesens durch das Reich sollte laut Vertrag vom Januar 1945 ein Teil der vereinbarten Kaufsumme durch Übertragung von bayerischen Forstflächen an die Verkäufer beglichen werden, hierzu kam es in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges allerdings nicht mehr. Statt des geplanten Flächentausches zahlte der Freistaat 1953 schließlich die Summe von 1,6 Millionen DM aus dem Grundstockvermögen der Landesforstverwaltung als Kaufpreis an die früheren Eigentümer; Rückerstattungansprüche gegenüber dem Bund lehnte das Bundesfinanzministerium in der Folge dann unter Hinweis auf eine noch vor Kriegsende im Zusammenhang mit dem Erwerb des Schlosses vom Reich an Bayern getätigte Zahlung in Höhe von 1,3 Millionen Reichsmark ab. Die von Staatssekretär Ringelmann im Ministerrat vom 24. August 1954 geäußerte Hoffnung, daß allein die „Androhung der Klage“ genügen würde, „um das Bundesfinanzministerium nachgiebiger zu machen“, sollte sich nicht erfüllen – nach der Klageeinreichung im März 1955 wies das Landgericht München I die Klage der Staatsregierung im Juli 1955 in vollem Umfange ab.

Ein weiteres Verfahren des Freistaates Bayern gegen die Bundesrepublik Deutschland war eine Feststellungsklage vor dem Bundesverwaltungsgericht, das die Verteilung von Bundeshaushaltsmitteln für die Umsiedlung von Flüchtlingen und Vertriebenen sowie die Unterbringung von DDR-Flüchtlingen betraf:63 Den Ländern standen nach dem Ersten Wohnungsbaugesetzes i.d.F. vom 25. August 1953 jährlich 500 Millionen DM an Bundesmitteln für den sozialen Wohnungsbau zu. Die Länder kämpften dagegen an, daß Mittel des Bundes für die Flüchtlingsumsiedlung und -unterbringung auf diesen gesetzlich festgesetzten Betrag angerechnet würden. Da sämtliche Länder diese Streitfrage als dringlich einstuften, reichte der Freistaat die Klage beim Bundesverwaltungsgericht aus zeitlichen Gründen alleine – stellvertretend für alle Länder – ein.

Alleine stand die Staatsregierung im Bundesrat dagegen mit ihrer kritischen Haltung gegenüber anderen Bestrebungen des Bundes – etwa wenn dieser auf dem Feld der Außenbeziehungen Kompetenzen an sich zog: Im Falle der beiden Abkommen über den kleinen Grenzverkehr mit Österreich64 sowie den Niederlanden65 konnten zwar keine grundsätzlichen sachlichen oder praktischen Einwände vorgebracht werden, aus bayerischer Sicht erschien es aber problematisch, daß die im Paßgesetz vom 4. März 1952 den Ländern zugestandene Möglichkeit, den kleinen Grenzverkehr per eigener Rechtsverordnung zu regeln, nun durch eine Verwaltungsvorschrift des Bundes ausgehebelt werden sollte. Ganz ähnlich gelagert war der Fall eines Abkommens zwischen der Bunderepublik Deutschland und Italien über die Regelung der Berufsausübung von Ärzten auf dem Gebiet des jeweiligen anderen Landes.66 Hier beschloß der Ministerrat, sich der Stimme im Bundesrat zu enthalten und eine Erklärung dahingehend abzugeben, „daß Bayern zwar bereit sei, nach Maßgabe des Abkommens zu verfahren“, daß aber eine bundesgestzliche Grundlage nicht bestehe, da in Bayern das Ärzterecht landesrechtlich geregelt sei.

Die Errichtung des Technischen Hilfswerks durch den Bund war eine weitere Angelegenheit, die in Bayern erhebliche Befürchtungen bezüglich einer Zuständigkeits-Usurpation durch den Bund befeuerte.67 Das THW war durch einen Erlaß des Bundesinnenministeriums vom 25. August 1953 als nicht rechtsfähige Bundesanstalt errichtet worden, nachdem sein Aufbau vom Bund bereits vorher, allerdings noch als Organisation ohne öffentlich-rechtliche Rechtsform, forciert worden war – und zwar gegen den anfänglichen Widerstand der Länder, des Deutschen Städtetages und auch der Gewerkschaften, die sämtlich befürchteten, das THW als Organisation des Bundes könnte fallweise auch Sicherungsaufgaben allgemeinerer Art übernehmen, die über den Katastrophenschutz im engeren Sinne hinausgehen, etwa Einsätze zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Ministerpräsident Ehard wie Innenminister Hoegner äußerten im Ministerrat vom 2. Februar 1954 verfassungsrechtliche Bedenken dahingehend, ob die Errichtung einer nicht rechtsfähigen Bundesanstalt per Erlaß überhaupt möglich und nicht ein Bundesgesetz erforderlich sei; Staatsminister Hoegner führte weiter die Befürchtung ins Feld, daß – ausgehend vom Präzedenzfall THW – der Bund künftig durch Errichtung ähnlicher Organisationen immer mehr Zuständigkeiten an sich ziehen könnte. Ein gewisses Dilemma für die Staatsregierung stellte der Umstand dar, daß der Ausbau des Technischen Hilfswerks, so Hoegner, in der Praxis kaum mehr aufgehalten werden könne, und ferner keine durchschlagenden Sachargumente gegen das THW angeführt werden konnten: „an sich“, so Ministerpräsident Ehard, „sei der Gedanke, für besondere Fälle ein Technisches Hilfswerk zu errichten, gut.“ Das Kabinett beschloß daher, bezüglich des THW mit dem Bundesinnenministerium wie mit dem Innenausschuß des Bundesrates in weiterem Kontakt zu bleiben und durch die Ernennung eines bayerischen Landesbeauftragten für das Technische Hilfswerk zumindest ein Minimum an föderaler Kompetenzenhoheit zu sichern.

Die Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bayern und dem Bund waren auch auf vermeintlichen Nebenschauplätzen anzutreffen. Im Ministerrat vom 13. April behandelte das Kabinett die Frage der Auszahlung des Ehrensolds für Inhaber der Bayerischen Tapferkeitsmedaille.68 Nach dem Ersten Weltkrieg vom Reich ausbezahlt, sah die Staatsregierung nunmehr den Bund in der Pflicht, diese Ehrensoldzahlung fortzuführen, was von Bonn aber abgelehnt wurde. In ein erhebliches Dilemma geriet die Staatsregierung dann, als vom Bundesinnenministerium der Entwurf eines Gesetzes über Orden und Ehrenzeichen vorgelegt wurde:69 Man könne dem Bund, so Ministerialrat Gerner im Ministerrat vom 26. Oktober 1954, die Regelung der Verleihung von Bundesauszeichnungen zwar überlassen – wenn diese Gesetzgebungskompetenz auch nicht explizit im Grundgesetz enthalten sei. Der Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium enthielt jedoch auch Bestimmungen über Auszeichnungen und Ehrungen der Länder, und hier sei eine Gesetzgebungbefugnis des Bundes „nicht gegeben“ und könne „auch nicht zugestanden werden“. Ein Festhalten an diesem Standpunkt mache es aber gleichzeitig unmöglich, vom Bund weiterhin die Zahlung der bayerischen Ehrensoldverpflichtungen einzufordern, da dann die Zuständigkeit des Bundes für Länderauszeichnungen anerkannt würde. Der Ministerrat beschloß daher, die Ehrensoldzahlungen für die Träger der Bayerischen Tapferkeitsmedaille und des bayerischen Max-Joseph-Ordens künftig aus Mitteln des Freistaates zu bestreiten. Das Bundesgesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen kam erst im Jahre 1957 zustande, im gleichen Jahre sollte auch das Landesgesetz über den Bayerischen Verdienstorden veröffentlicht werden.

Sachverständigenausschuß für die Neugliederung des Bundesgebiets Eine im Verlauf des Jahres 1954 im Ministerrat wiederholt intensiv diskutierte Angelegenheit des Föderalismus war die Tätigkeit des Sachverständigenausschusses für die Neugliederung des Bundesgebietes gemäß Artikel 29 des Grundgesetzes.70 Dieser Ausschuß unter dem Vorsitz des ehemaligen Reichskanzlers und Reichsbankpräsidenten Hans Luther71 war im Jahre 1952 gebildet worden, um eine mögliche territoriale Neugliederung des Bundesgebietes – anhand der durch Artikel 29 GG vorgegebenen Aspekte der „landsmannschaftlichen Verbundenheit, der geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, der wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit und des sozialen Gefüges“ – vorzubereiten. Dieser Luther-Ausschuß besuchte zwischen dem 11. und dem 22. Februar 1954 den Freistaat. Die Rundreise der Sachverständigenkommission wurde von der Staatskanzlei generalstabsmäßig vorbereitet, die Kommissionsmitglieder erwartete ein straffes Besuchs- und Informationsprogramm und die persönliche Begleitung und Betreuung durch bayerische Regierungsmitglieder. Die Bayerische Staatskanzlei warf hier ihr ganzes propagandistisches Repertoire in die Waagschale – die Mitglieder der Sachverständigenausschusses wurden umfassend informiert über die lange Geschichte, die staatliche Tradition und die reichhaltige Kultur Bayerns, es gab Grundsatzreferate zur Frage des Föderalismus und über die wirtschaftlichen Leistungen und Erfolge des Freistaates seit Kriegsende. Dies alles geschah insbesondere mit dem Blick auf die linksrheinische Pfalz – die einzige territoriale Einbuße, die das Land Bayern nach 1945 an seinem Staatsgebiet hinzunehmen hatte. Die Staatsregierung kämpfte weiterhin für die Rückgliederung der linksrheinischen Pfalz an Bayern – bis zu dem erfolglosen Volksbegehren vom April 1956, das diesen Betrebungen ein Ende setzte. Mit der weiteren Fortführung der Tätigkeit des Luther-Ausschusses im Verlauf des Jahres 1954 verschoben sich für die Staatsregierung jedoch die Prioritäten ebenso plötzlich wie deutlich: Denn statt aktiv die Rückgliederung der Pfalz und damit eine Wiederherstellung des früheren bayerischen Staatsgebietes betreiben zu können, sah sich Bayern durch aufkeimende Ansprüche benachbarter Länder und eigenmächtige Aktionen des Neugliederungsausschusses unversehens in die Defesive gedrängt: „Im großen und ganzen“, so Staatsminister Seidel im Ministerrat vom 19. Oktober, „werde der Ausschuß für Bayern zweifellos eine Gefahr sein.“ So meldete etwa Hessen Ansprüche auf Aschaffenburg an,72 und einzelne Mitglieder des Neugliederungsausschusses forderten von bayerischen Regierungspräsidenten Material über die Organisation der Regierungbezirke an – was als unbotmäßige Einmischung in innerbayerische Angelegenheiten aufgefaßt wurde –, und anläßlich der Besichtigungsreise des Luther-Ausschusses durch Baden-Württemberg wurde die bereits als erledigt betrachtete Frage der Zugehörigkeit der Stadt Neu-Ulm zu Bayern erneut akut, da politische Kräfte in Baden-Württemberg weiterhin darauf drängten, Neu-Ulm ihrem Bundesland zuzuschlagen.73 Im bereits erwähnten Ministerrat vom 19. Oktober erstattete Wirtschaftsminister Seidel seinen Bericht über die vierte Vollversammlung des Sachverständigen-Ausschusses für die Neugliederung des Bundesgebietes am 14. und 15. Oktober in Schlangenbad, in der sich die für Bayern kritischen Tendenzen überdeutlich herauskristallisiert hätten. Hessen habe für sich den Kreis Montabaur, Worms und das Aschaffenburger Gebiet gefordert, zwei Mitglieder des Luther-Ausschusses darüber hinaus auch eine Lösung des „Problems“ der unterfränkischen Kreise Miltenberg und Amorbach verlangt. Nordrhein-Westfalen habe Ansprüche auf Koblenz und Trier – als der ehemaligen Rheinprovinz zugehörig – formuliert, und bezüglich des Gebietes Mannheim-Ludwigshafen seien Überlegungen im Schwange, diese Industrieregion zur Gänze an Baden-Württemberg anzugliedern. All diese Aspirationen und Begehrlichkeiten der Nachbarländer von Rheinland-Pfalz im Rahmen der Neugliederungsdiskussion führten die Staatsregierung in ein Dilemma. Bayern mußte mit eigenen Ansprüchen sehr vorsichtig auftreten, zum einen, um nicht eigene Gebietsabtretungen in fränkischen oder schwäbischen Grenzregionen zu riskieren, zum anderen auch, um mit den bayerischen Ansprüchen auf die linksrheinische Pfalz nicht eine Zerschlagung des neuen Bundeslandes Rheinland-Pfalz zu provozieren. Es sei dann, so Staatsminister Seidel, unter Umständen „kaum mehr Raum für ein selbständiges Land Rheinland-Pfalz.“ Wirtschaftsminister Seidel forderte zur Untermauerung der bayerischen Interessen die baldige Abfassung einer bayerischen Denkschrift zur Neugliederungsfrage, die anderen Länder seien hier im Vorsprung. Auch warnte er zum erstenmal explizit vor der Möglichkeit, „daß die Wiedervereinigung der Pfalz mit Bayern nicht gelingen werde“, und „daraus ergebe sich die schwerwiegende Frage, ob uns ein Land Rheinland-Pfalz nicht lieber sei als eine weitere Verstärkung von Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Hessen.“

Die jahrelange Arbeit des Luther-Ausschusses kam im Jahre 1955 mit der Vorlage eines Abschluß-Gutachtens zu ihrem Ende, die hierin enthaltenen Vorschläge und Empfehlungen entfalteten jedoch keine Wirksamkeit und kamen nicht zur Umsetzung. Auch die von der Bayerischen Staatsregierung seit der unmittelbaren Nachkriegszeit verfolgte Ziel einer Wiederangliederung der linksrheinischen Pfalz an Bayern scheiterte – wie oben erwähnt – schließlich an dem erfolglosen Volksbegehren im Jahre 1956.

2.Landespolitik

Ähnlich der oben beschriebenen Entwicklungen der Bundesratsangelegenheiten läßt sich auf der Ebene der Landespolitik mit Blick auf die legislative Tätigkeit der Staatsregierung im letzten Regierungsjahr der großen Koalition konstatieren: Die Anzahl der auf der Tagesordnung stehenden Gesetzesvorlagen nahm 1954 quantitativ spürbar ab, gleichzeitig fanden sich unter den im Kabinett behandelten legislativen Vorhaben bemerkenswert zahlreiche Rückläufer – also Entwürfe von Landesgesetzen, die zum Teil bereits sehr lange in Vorbereitung gewesen waren und in Einzelfällen auch erst Jahre später in Kraft treten sollten. Es handelte sich hier in der Regel um Gesetzesvorhaben, die zwischen den Einzelressorts hinsichtlich der Zuständigkeiten und Kompetenzen der einzelnen Ministerien umstritten waren.

Stiftungsgesetz vom 26. November 1954 Als erstes anzuführen ist hier der Entwurf eines neuen Stiftungsgesetzes,74 der bereits seit dem Jahre 1948 in Bearbeitung und der im Ministerrat vom 16. September 1953 erstmalig behandelt worden war.75 Mit diesem Gesetz sollten das in Bayern seit dem 19. Jahrhundert in zahlreichen landesrechtlichen Einzelregelungen zersplitterte Stifungsrecht vereinheitlicht sowie insbesondere die Rechte der kirchlichen Stiftungen neu formuliert werden. Die Auseinandersetzung im Ministerrat zwischen den Staatsministern Hoegner und Schwalber drehte sich vor allem um die Frage des Aufsichtsrechts. Das federführende Kultusministerium hatte hier in seinem Gesetzentwurf nach dem Empfinden von Staatsminister Hoegner weit in die Zuständigkeit des Staatsministeriums des Innern eingegriffen, indem es auch das Aufsichts- und Genehmigungsrecht über örtliche und kommunale Stiftungen für sich reklamierte. Das Innenministerium sah hier eine rechtliche Unvereinbarkeit mit den in der geltenden Kommunalgesetzgebung festgeschriebenen Regelungen. Innenminister Hoegner mußte im Ministerrat jedoch eine Teilniederlage hinnehmen, da seine Kabinettskollegen im Grundsatz der Auffassung der Kultusministeriums folgten und hinsichtlich der kommunalen Stiftungen den Gesetzentwurf nur dahingehend änderten, daß Entscheidungen über örtliche Stiftungen, auch wenn sie vom Stiftungszwecke her in die Zuständigkeit des Kultusministeriums fielen, im Einvernehmen zwischen Innen- und Kultusministerium zu erfolgen hatten.

Auch der Entwurf eines neuen Kirchensteuergesetzes76 war vom Kultusministerium bereits im Jahre 1952 vorgelegt und Anfang August 1952 erstmalig im Kabinett behandelt worden.77 Mit dem Gesetz sollte das während der NS-Zeit stark geänderte und vereinfachte, nach 1945 dann nur provisorisch geregelte Kirchensteuerrecht wieder bereinigt und im Grundsatz der Rechtszustand von vor 1935 wiederhergestellt werden. Auch hier hatte es Meinungsverschiedenheiten zwischen den Ressorts gegeben: Strittig war die vom federführenden Staatsministerium für Unterricht und Kultus eingeführte Kirchengrundsteuer, gegen die sich vor allem das Landwirtschaftsministerium gewandt hatte. Dieses sah die Heranziehung von land- und forstwirtschaftlichem Vermögen zur Kirchsteuer als unzulässige Sonderbesteuerung der Landwirtschaft an. Nachdem die Kirchengrundsteuer daher zunächst aus dem ursprünglichen Gesetzentwurf herausgestrichen worden war, wurde sie aufgrund des Gutachtens des Bayerischen Senats in modifizierter Form und als Kann-Bestimung wieder in den Gesetzestext aufgenommen. Im Rahmen von Steuerordnungen, die die Kirchen weitgehend selbst bestimmen konnten, sollte auch die Erhebung einer Kirchengrundsteuer ermöglicht werden.

Ebenfalls aus dem Bereich des Staatsministeriums für Unterricht und Kultus – und hier ebenfalls seit Jahren, seit 1950 in Vorbereitung – kam der im Regierungsjahr 1954 nur einmalig im Ministerrat behandelte Entwurf eines neuen Lehrerbildungsgesetzes.78 Die Frage der Reform der Volksschullehrerausbildung, deren Akademisierung und Verlagerung weg von Lehrerbildungsseminaren hin an die Universitäten war seit 1947 in der Diskussion und unter Politikern und Bildungsexperten höchst umstritten, auch Fragen der praktischen Umsetzung und der Finanzierung erwiesen sich als schwerwiegend, so daß das Lehrerbildungsgesetz erst im Jahre 1958 in Kraft treten sollte.

Auch das Gesetz über die Forstrechte aus dem Ressort von Landwirtschaftsminister Schlögl sollte erst 1958 veröffentlicht werden.79 Hier handelte es sich um eine bereits seit 1947 in Bearbeitung befindliche, höchst umstrittene und gleichzeitig – auch historisch bedingt – sehr komplexe Materie. Bei den Forstrechten ging es um Nutzungs- und Entnahmerechte etwa für Holz, Einstreu oder Tierfutter durch Personen oder Parteien, die nicht gleichzeitig Waldeigentümer waren. Die Reform des Forstrechts war nicht zuletzt deshalb kompliziert, da seit über 100 Jahren – seit dem Erlaß des nach wie vor gültigen Forstgesetzes von 1852 – bestehende und gültige Regelungen reformiert und die Forstrechte – als Eigentumsrechte – weitestgehend durch Ablösung abgeschafft werden sollten. Nicht zuletzt besaßen die Forstrechte im überwiegend ländlich geprägten Freistaat eine erhebliche wirtschaftliche und somit auch politische Relevanz, was zahlreiche weitere politische Akteure im Gesetzgebungsprozeß auf den Plan rief. Neben dem Bayerischen Senat etwa, der eine umfassende gutachtliche Stellungnahme abgegeben hatte, legte auch die CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag einen eigenen Gesetzentwurf über die Forstrechte vor. Die Landtags-CSU wandte sich darin insbesondere gegen die ihrer Auffassung nach im Regierungsentwurf enthaltenen „Enteignungstendenzen“ bei der Ablösung der Forstrechte.

Weitere Rückläufer aus dem Jahre 1953 waren das Staatsschuldbuchgesetz, das nach der Äußerung und den Änderungsvorschlägen des Bayerischen Senats verhältnismäßig zügig – im November 1954 – in Kraft trat,80 sowie der Entwurf des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Gesetzes über die Erstattung der Kosten des Schwerbeschädigtenurlaubs,81 das jedoch nur formell-rechtliche Relevanz besaß, keine weitere Behandlung im Ministerrat erfuhr und das ebenfalls im November 1954 veröffentlicht wurde.

Zweites Gesetz zum Abschluß der politischen Befreiung vom 11. August 1954 Anders gelagert dagegen waren die Verhältnisse bei der Beratung des sogenannten Entnazifizierungs-Schlußgesetzes, des Zweiten Gesetzes zum Abschluß der politischen Befreiung.82 Auch dieses Gesetz hatte bereits im Vorjahr wiederholt den Ministerrat durchlaufen83 und war von Ministerpräsident Ehard am 27. März 1953 an den Landtagspräsidenten übermittelt,84 vom Landtag in der Folge dann aber nicht behandelt worden. Nachdem Justizminister Weinkamm – der in Personalunion auch die Rolle des Ministers für die politische Befreiung innehatte – im November 1953 einen neuen, revidierten Gesetzentwurf vorlegt hatte,85 mußten die Beratungen im Ministerrat im Regierungsjahr 1954 wieder aufgenommen werden. Mit dem Entnazifizierungsschlußgesetz sollten u.a. die Frage des passiven Wahlrechts oder die Rückgabe beschlagnahmten Wohnraumes belasteter Personen, die Streichung von Sühnegeldern oder die Aufhebung von Vermögenssperren geklärt, das System der Spruch- und Berufungskammern aufgelöst und Entnazifizierungsverfahren stattdessen nur noch auf Antrag durch eine neu zu errichtende Verwaltungsstelle durchgeführt werden. Damit würde die Zuständigkeit für die letzten Entnazifizierungsverfahren – im Auge hatte man insbesondere noch die in der Haftanstalt Landsberg am Lech verbliebenen NS-Häftlinge – allerdings auf das Staatsministerium des Innern übergehen, und insbesondere würden Anfechtungsklagen und Berufungsverfahren zu einer Angelegenheit der Verwaltungsgerichtsbarkeit werden. Staatsminister Hoegner lehnte diese Pläne aus Zuständigkeitsgründen wie praktischen Erwägungen heraus ab, hier unterstützt von Ministerpräsident Ehard, der bei Umsetzung eines solchen Vorhabens ein baldiges Ende der Entnazifizierung in weite Ferne rücken sah. Denn es herrsche doch Einigkeit darüber, wie der Ministerpräsident im Ministerrat vom 9. März 1954 ausführte, „daß nun wirklich einmal Schluß gemacht und die Entnazifizierung auf die wirklich größten Fälle beschränkt werden müsse.“86 Nach Vorlage eines weiteren überarbeiteten Entwurfs durch Staatsminister Weinkamm am 15. März 1954 leitete Ministerpräsident Ehard den Regierungsentwurf unter gleichzeitiger Zurückziehung des Erstentwurfs vom März 1953 am 27. März 1954 an den Landtagspräsidenten. Die im Ministerrat ausgehandelten Kompromisse bezüglich des Entnazifizierungs-Schlußgesetzes wurden dann im Landtag durch die Beschlüsse des Rechts- und Verfassungsausschusses jedoch teilweise wieder aufgehoben. Der Landtagsausschuß nahm einen ursprünglichen Gedanken des Gesetzentwurfs wieder auf, indem die Auflösung der Institutionen der Entnazifizierung – Sonderminister für politische Befreiung, Kammern, öffentliche Kläger – gefordert und die Fortführung der verbleibenden Entnazifizierungverfahren einer durch eine von der Staatsregierung zu bestimmende Stelle übertragen werden sollte. Dieses Ansinnen lehnte der Ministerrat aus verfassungsrechtlichen Bedenken unter Verweis auf die Artikel 49 und 53 der Bayerischen Verfassung, die die Aufteilung der Geschäftsbereiche der Staatsregierung und die Zuweisung der Geschäfte regelte, ab.87 Der Bayerische Landtag verabschiedete das Entnazifizierungs-Schlußgesetz in seiner Sitzung vom 3. August 1954 auf Grundlage des überarbeiteten Berichts des Rechts- und Verfassungausschusses. Hiermit kam die Entnazifizierung de facto zu ihrem endgültigen Abschluß, da Verfahren ausschließlich, wie der Artikel 1 des Gesetzes postulierte, „künftig nur noch auf Antrag und nur gegen Personen eingeleitet [werden], die vor dem 6. März 1928 geboren sind.“

Ein weiterer Rückläufer war der Entwurf eines neuen Landeswahlgesetzes, eines weiteren Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid,88 der erstmalig bereits im Ministerrat vom 20. März 1951 behandelt worden war.89 Hauptpunkt dieses Änderungsgesetzes war ursprünglich die Verringerung der Abgeordnetenzahl im Bayerischen Landtag auf 150 Mandatsträger gewesen, ein Vorhaben, daß jedoch nicht zur Umsetzung kam. Das im Jahre 1954 behandelte Zweite Gesetz zur Änderung des Gesetzes über Landtagswahl, Volksbegehren und Volksentscheid vom 11. August 1954 regelte nunmehr u.a. die Behandlung der Kriegsheimkehrer bei Wahlen, das Wahlrecht politisch belasteter oder inhaftierter Personen, auch die Durchführung von Wahlen etwa in Krankenhäusern oder in Klöstern. Neben der Änderung des Landeswahlgesetzes standen 1954 noch zwei weitere Änderungsgesetze zum Wahlrecht auf der Tagesordnung des Ministerrats: Zunächst das Bezirkswahlgesetz – ebenfalls vom 11. August 1954 –, das die Modalitäten der Wahl zu den Bezirkstagen regelte und gleichzeitig festlegte, daß die Bezirkswahlen zeitgleich mir den Landtagswahlen stattzufinden haben.90 Das Gesetz zur Änderung von Vorschriften auf dem Gebiete des kommunalen Wahlrechts91 schließlich ging auf einen Beschluß des Bayerischen Landtags vom Mai 1953 zurück, der zunächst nur eine Änderung des Landkreiswahlgesetzes dahingehend gefordert hatte, daß die Voraussetzungen der Wählbarkeit zum Landrat – genauer: die Frage der Verneinung der „Bewährung in der öffentlichen Verwaltung“, also die Aberkennung des passiven Wahlrechts – gesetzlich geklärt werden müßten. Das Änderungsgesetz vom 28. Oktober 1954 enthielt letztendlich dann umfassende Änderungsbestimmungen u.a. zum aktiven wie passiven Wahlrecht, zur Aufstellung der Wahlvorschläge und zur Wahl von Bürgermeistern und Landräten.

Im Regierungsjahr 1954 standen ebenfalls eine Reihe von Änderungen des bayerischen Beamtenrechts an. Aus dem Justizministerium kam der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes,92 durch das die Möglichkeit zur zwangsweisen Ruhestandsversetzung von richterlichen Beamten im Falle der Dienstunfähigkeit geschaffen werden sollte, eine dienstrechtliche Vorgehensweise, die auf Grundlage des gültigen Beamtengesetzes nicht durchgeführt werden konnte. Dieser Entwurf des Staatsministeriums der Justiz wurde allerdings in der Folge nicht weiter behandelt, sondern seine Bestimmungen gingen ein in das spätere Gesetz zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes und über versorgungsrechtliche Maßnahmen vom 17. Dezember 1954,93 das zahlreiche Detailänderungen des Beamtengesetzes etwa hinsichtlich der Altersregelung bei Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit, zur Zusammensetzung des Landespersonalamtes, dann – wie bereits erwähnt – zur zwangsweisen Ruhestandsversetzung von Richtern, die Versorgung von Polizeibeamten nach Dienstunfällen oder auch die Versorgung früherer Minister und Staatssekretäre enthielt. In sachlichem Zusammenhang mit der Beamtengesetzgebung steht ferner das vom Staatsministerium der Finanzen vorgelegte Gesetz zur Änderung und Ergänzung der Dienststrafordnung, mit dem unter anderem die landesgesetzlichen Regelungen an die Dienststrafordnung des Bundes angepaßt werden sollten.94 Kontrovers diskutiert wurden hier im Kabinett die Fragen der geplanten Verjährung von Dienstvergehen, die Einbeziehung der Ruhestandsbeamten und die Disziplinarmaßnahme der Strafversetzung. Insbesondere Staatsminister Seidel meldete verfassungrechtliche Bedenken hinsichtlich der weitgehenden Beseitigung der Verjährungsregeln an, hier unterstützt von Ministerpräsident Ehard, der die vorgesehene Regelung mit Blick auf diejenigen Beamten, die somit auch lange nach Eintritt in den Ruhestand dienststrafrechtlich belangt werden könnten, als „fragwürdig“ bezeichnete. Kultusminister Schwalber berichtete aus seinem Geschäftsbereich über die Schwierigkeiten, die bei Strafversetzungen entstünden, da sich viele Stellen weigerten, dienststrafrechtlich belangte Beamte zu übernehmen. Das Gesetz zur Änderung der Dienststrafordnung wurde in der laufenden Legislaturperiode nicht mehr behandelt sondern wurde erst vom nächsten Landtag verbschiedet.

Ein weiteres beamtenrechtliches Vorhaben des Finanzministeriums war die Reform der Urlaubsregelungen für Beamte. Mit dem Entwurf von neuen Urlaubsrichtlinien95 wurde unter anderem die Neuerung eingeführt, daß Urlaubstage nicht mehr nach Kalender- sondern nach Arbeitstagen berechnet und daß gesetzliche Feiertage, die in einen Urlaub fallen, nicht mehr als Urlaubstage angerechnet werden. Der Ministerrat diskutierte in diesem Zusammenhang auch die Frage der Dienstbefreiungen von Beamten, Angestellten und Arbeitern des bayerischen Staates für Fortbildungszwecke – die Gewerkschaften hatten hier einen Anspruch auf zwölf freie Tage pro Jahr gefordert – sowie diejenigen Fälle, in denen Beamte sich politisch betätigen und zu Mitgliedern des Parlaments gewählt werden. Ministerpräsident Ehard sah es als „verfassungerechtlich kaum möglich“ an, „daß ein Beamter gleichzeitig Mitglied des Landtags und Referent in einem Staatsministerium sei.“ Später faßte die Staatsregierung auf Vorschlag des Finanzministeriums hin nachträglich den Beschluß, Angehörigen des öffentlichen Dienstes in Bayern im Falle ihrer Bewerbung um ein Landtagsmandat zur Vorbereitung ihrer Wahl einen zweimonatigen bezahlten Sonderurlaub zu gewähren soweit „der Antragsteller seine Aufnahme in den Wahlvorschlag einer Partei oder Wählergruppe glaubhaft macht.“96

Das größte und umstrittendste Gesetzesvorhaben beamtenrechtlicher Natur war jedoch die Reform der Richter- und Lehrerbesoldung, die 1954 in insgesamt elf Ministerratssitzungen auf der Tagesordnung stand.97 Diese Reform war sowohl zwischen Finanz- und Justizministerium, insbesondere aber zwischen dem Finanzministerium und dem für die Lehrerschaft zuständigen Kultusministerium hart umkämpft. Bei der Lehrerbesoldung ging es zunächst und primär um die Lage der Volksschullehrer. Die Grundlage der Debatte um die Besoldungsreform war ebenfalls bereits im Jahre 1953 gelegt worden: Nachdem zunächst über den Bundesrat durch eine Initiative Nordrhein-Westfalens Forderungen nach einer generellen Verbesserung der Richterbesoldung erhoben worden waren,98 folgten dann in der Frage der Lehrerbesoldung – nach einem Vorstoß der Freien und Hansestadt Hamburg, die Ende 1952 eine deutliche Erhöhung der Lehrergehälter eingeführt hatte – Empfehlungen u.a. der Ständigen Konferenz der Kultusminister und der Besoldungsreferenten der Länder zur Verbesserung der Lehrergehälter, und bald schon wurden auch von den Fraktionen im Bayerischen Landtag Anträge mit entsprechenen Forderungen gestellt.99 Die Verhandlungen zwischen den zuständigen Ressorts waren schon Ende 1953 nicht substantiell weitergerkommen,100 unter Verweis auf die angespannte Haushaltslage und begrenzte Finanzmittel hatte das Staatsministerium der Finanzen die Vorstellungen und Ansprüche des Justiz- und Kultusministeriums bezüglich der Beoldungsanhebungen stets zurückgewiesen. Grundsätzlich warnte das Finanzministerium vor in der Breite angewandten, schematischen Besoldungserhöhungen, da „mit überhöhten Wünschen das gesamte Besoldungsgefüge ins Wanken gerate“. Auch fürchtete man die Ansprüche weiterer Beamtengruppen, die eine auf die Gruppe der Richter und Volksschullehrer beschränkte Besoldungsreform nicht ohne weiteres hinnehmen würden. Zu nennen sind hier die Richter der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit, deren Ausbildungs- und Qualifikationsweg oftmals eine anderer – niedrigerer – als der der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit war, oder die die Lehrkräfte der höheren Schulen.

Während bei der Richterbesoldung aber auf Referentenebene schließlich Fortschritte und Kompromisse erzielt werden konnten, kamen die Gespräche zwischen Finanz- und Kultusministerium nicht voran – sehr zum Unmut von Ministerpräsident Ehard, der im Ministerrat vom 9. Februar erklärte, daß auf seine Nachfragen, „ob hinsichtlich der Lehrer keine Schwierigkeiten mehr auftreten könnten […] stets ausdrücklich erklärt worden [sei], hier sei alles zufriedenstellend geregelt; heute habe es nun den Anschein, als ob wieder von vorne angefangen werden müsse.“ Der Grunddissens bestand – neben einer breiten und allgemeinen finanziellen Besserstellung der Lehrer durch Stellenhebungen – in der Forderung des Kultusministeriums nach einer erheblichen Vermehrung von Beförderungsstellen. Konsens bestand nur dahingehend, daß das System der Durchstufung, also der Besoldungsanhebung in Abhängigkeit vom Dienstalter, nicht eingeführt werden sollte.

Der Konflikt zwischen Finanz- und Kultusministerium um die Lehrerbesoldung geriet an den Punkt, an dem Finanzminister Zietsch seinen Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Besoldungsrechts, in dem die Besoldungsreform für Richter, Staatsanwälte und Lehrer noch in einer Vorlage gemeinsam behandelt worden war, am 11. Februar 1954 „in vollem Umfang“ zurückzog und einen neuen, gesonderten Gesetzentwurf ankündigte, in dem vorerst und zur Vermeidung weiterer Verzögerungen nur die Richterbesoldung geregelt werden sollte.101 Die Verantwortung für die weitere Behandlung der Lehrerbesoldungsreform schob Staatsminister Zietsch dem Kultusministerium zu: Weitere Verhandlungen über diese Frage wurden seitens des Finanzministeriums kategorisch abgelehnt, bevor nicht das Staatsministerium für Unterricht und Kultus durch Ministerratsbeschluß dazu aufgefordert werde, einen eigenen Vorentwurf eines Gesetzes vorzulegen oder zumindest dazu verpflichtet werde, „seine Wünsche mit Berechnung der Mehrkosten schriftlich festzulegen“ und dem Ministerrat zur erneuten Beschlußfassung zu unterbreiten – eine Aufforderung, der das Kultusministerium zwar durch Vorlage einer umfassenden Vorschlagsliste, aber nicht mit einem eigenen substantiellen Gesetzentwurf begegnete.102 Im Ministerrat vom 2. März schließlich konnte eine Einigung über den zwischenzeitlich vom Finanzministerium vorgelegten Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzug des Besoldungsrechts, der ausschließlich die Lehrerbesoldung betraf, erzielt werden.103 Der im Ministerrat hart ausgehandelte Kompromiß jedoch wurde in den Ausschußberatungen des Bayerischen Landtags wieder zur Makulatur, da hier umfassende, mit erheblichen Ausgabenmehrungen verbundene Änderungen beschlossen wurden. Hatten die Zusatzkosten für die Besoldungsrefom nach den Regierungsvorlagen der beiden Gesetze zur Richter- und Lehrerbesoldung ursprünglich 15 Millionen DM betragen, so waren nach den Änderungen durch den Landtag nun Mehrkosten in Höhe von 20 Millionen DM zu erwarten.104 Der Bayerische Landtag verabschiedete die beiden Gesetze nach weiteren Beratungen im Besoldungs-, Staatshaushalts- und Rechtsausschuß in seiner Sitzung vom 3. August 1954 – zeitgleich mit der Debatte über das Haushaltsgesetz – nachdem Finanzminister Zietsch nochmals klargemacht hatte, daß die entstehenden Mehrausgaben keinesfalls die Summe von 17 Millionen DM überschreiten dürften und die Staatsregierung die Anwendung des Artikels 78 Abs. 5 der Bayerischen Verfassung ins Spiel gebracht hatte.105 Wie vom Finanzministerium von Anbeginn an befürchtet, gingen die Bestimmungen insbesondere des Vierten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Besodungsrechts erheblich über den ursprünglich anvisierten Beamtenkreis der Lehrerschaft hinaus: Einbezogen in die Besoldungsreform waren nun auch Beamte des Archiv- und Bibliothekswesens, der Staatlichen Wissenschaftlichen Sammlungen und der Staatlichen Höheren Technischen Lehranstalten.

Anhand der hier geschilderten Debatte um die Besoldungsreform wird beispielhaft deutlich: Auffällig bei der Behandlung von Gesetzesvorlagen sind in den Ministerratsprotokollen des Regierungjahre 1954 die spürbar zunehmenden Konflikte zwischen den Ressorts über Zuständigkeitsfragen. Erhebliche Spannungen zwischen dem Staatsministerium des Innern und der Finanzen traten etwa zutage bei der Beratung des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Finanzausgleich zwischen Staat, Gemeinden und Gemeindeverbänden.106 Dieser Gesetzentwurf ging zurück auf einen Beschluß des Bayerischen Senats vom 22. Juli 1953, nach dem „im Sinne der erwünschten Vereinfachung, Verbilligung und Beschleunigung der Staatsverwaltung […] auf dem Gebiet des kommunalen Finanzausgleichs und der Bewirtschaftung der Finanzausgleichsmittel die alleinige Zuständigkeit des Staatsministeriums des Innern klar ausgesprochen wird.“107 Es ging im wesentlichen um die Verteilung von Mitteln insbesondere für Polizeikosten sowie die Bedarfszuweisungen an die Gemeinden, also um Beihilfen in Fällen einer finanziellen Überbelastung der Kommunen. Strittig waren die Entscheidungsbefugnis und die Aufsicht über die Bedarfszuweisungen. Innenminister Hoegner monierte im Ministerrat vom 2. März, daß das Finanzministerium unter der Führung seines SPD-Parteikollegen Friedrich Zietsch „mehr und mehr versuche, auf die Geschäftsbereiche der übrigen Ministerien Einfluß zu nehmen“, ein Vorwurf, den Finanzminister Zietsch umgehend zurückwies: das Finanzministerium habe nicht die Absicht, „zu einem sogen. Überministerium zu werden“. Während der Finanzminister in der Frage der Polizeikostenzuschüsse die Zuständigkeit des Innenministeriums anerkannte, zeigte Zietsch sich bei weiteren Fragen des Finanzausgleichs wenig kompromißbereit und bestand auf der Federführung seines Ressorts, nicht zuletzt in Anbetracht der finanzpolitischen Komplexität der Materie – was wiederum Staatsminister Hoegner zu der Stellungnahme veranlaßte, „daß das Staatsministerium des Innern durchaus in der Lage sei, auch hier die staatlichen Interessen zu berücksichtigen.“ Ein Vergleich wurde schließlich dahigehend getroffen, daß bei den Bedarfszuweisungen eine Höchstgrenze eingeführt wurde, deren Überschreiten nur mit Zustimmung des Finanzministeriums zulässig war.

Ähnlich gelagert war die Debatte im Falle des Entwurfs eines Gesetzes zur Ausführung des Kriegsgefangenenentschädigungsgesetzes aus dem Staatsministerium für Arbeit und soziale Fürsorge, hier bestanden die Differenzen zwischen dem Arbeitsministerium und dem Finanzministerium.108 Ersteres vertrat die Auffassung, daß die Gewährung der Entschädigung für Kriegsheimkehrer aus praktischen Gründen die Dienststellen der Landratsämter oder der kreisfreien Gemeinden sein sollten, während das Staatsministerium der Finanzen diese Aufgaben den Versorgungsämtern übertragen wollte. Staatsminister Zietsch äußerte im Ministerrat vom 30. März die Befürchtung, daß kommunale Behörden in ihrem Entscheidungsprozeß „im Interesse einer möglichst schnellen Abwicklung in großzügiger Weise verfahren“ und unkontrolliert über Finanzaufwendungen entscheiden, die letztendlich und ausschließlich das Land und der Bund zu tragen hätten. Die Auffassung von Finanzminister Zietsch – im Ministerrat unterstützt von Innenminister Hoegner und Innenstaatssekretär Nerreter – setzte sich im Kabinett durch. Der sozialpolitische Ausschuß des Bayerischen Landtags allerdings sollte die Regierungsvorlage verwerfen, so daß letztendlich in der veröffentlichen Gesetzesfassung die Zuständigkeit der kommunalen Fürsorgestellen für die Heimkehrerentschädigung festgesetzt wurde.

Thematisch verwandt hierzu und auch zwischen Justiz- und Finanzministerium abstimmungsbedürftig war der Entwurf eines Gesetzes über die Regelung der Dienst- und Versorgungsbezüge der aus Kriegsgefangenschaft heimgekehrten oder noch in Kriegsgefangenschaft befindlichen Beamten, Angestellten und Arbeiter und der Hinterbliebenen von kriegsgefangenen Beamten aus dem Staatsministerium der Finanzen, der nur einmalig, am 10. August 1954, im Ministerrat behandelt wurde.109 Justizstaatssekretär Koch mahnte im Kabinett eine genauere Begriffsbestimmung der Kriegsgefangenschaft an, da der Gesetzentwurf die Behandlung der durch die US-amerikanische Besatzungsmacht verurteilten und in Landsberg internierten Häftlinge nicht hinreichend regle – es bestehe die Gefahr, daß auch verurteilte Kriegsverbrecher unmittelbar in den Genuß von Kriegsgefangenenbezügen kommen könnten.

Aber auch abseits der Gesetzgebungstätigkeit mehrten sich im Regierungsjahr 1954 die Zuständigkeits- und Kompetenzstreitigkeiten zwischen den Ressorts. Umstritten war zwischen dem Kultus- und dem Wirtschaftsministerium etwa die Federführung auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung.110 Dieser Konflikt hatte seinen Ursprung in der Besatzungspolitik der Amerikaner: Diese hatten die früher beim Kultusministerium angesiedelte ausschließliche Zuständigkeit auf dem Gebiet der wissenschaftlichen Forschung dem Wirtschaftsministerium übertragen. Das Kultusministerium unter Staatsminister Schwalber hatte unter Verweis auf den Zusammenhang von Forschung und Lehre an den Universitäten seit 1951 die Rückkehr zum früheren Zustand eingefordert, ohne daß an der Zuständigkeitsfrage jedoch etwas geändert wurde. Nur auf dem Gebiet der Luftfahrtforschung war die Federführung dem Kultusministerium eher zufällig zugefallen. Wirtschaftsminister Seidel forderte hier eine Änderung und reklamierte die Zuständigkeit seines Hauses zumindest für die angewandte Forschung; die Grundlagenforschung könne beim Kultusministerium angesiedelt bleiben.

Energieaufsicht Ähnlich gelagert war der seit langem – seit dem Jahre 1946 – schwelende Streit zwischen dem Innen- und dem Wirtschaftsministerium über die Frage der Energieaufsicht.111 Auch hier lag der Ursprung in der Besatzungsherrschaft: Die US-Militärregierung hatte im Jahre 1945 die oberste Energieaufsicht dem Staatsministerium des Innern übertragen, ein Zustand, den seither jeder bayerische Wirtschaftsminister vergeblich zu ändern versucht hatte. Fragen der Energieversorgung gehörten nach Auffassung des Wirtschaftsministeriums grundsätzlich nicht in das Innenressort, insbesondere wurde die Rolle der Obersten Baubehörde im Innenministerium kritisiert. Ausgehend von ihrer Verantwortung und ihrer Planungskompetenz für Energiebaumaßnahmen und den Kraftwerksbau beanspruche die Baubehörde die gesamte Zuständigkeit in der Energieversorgung und versuche ihre Kompetenzen systematisch auszuweiten. Im Ministerrat vom 3. Nobember 1954 mußte Innenminister Hoegner in dieser Angelegenheit aber schließlich eine empfindliche Niederlage hinnehmen. Ministerpräsident Ehard wie Hoegners Kabinettskollegen schlossen sich dem Standpunkt des Wirtschaftsministeriums an, nach dem die bisherige Tätigkeit der Obersten Baubehörde auf dem Energiesektor keine gesetzliche Grundlage besitze und die Oberste Baubehörde ihre Aufgaben in der Energieaufsicht zu Unrecht ausgeübt habe. Der warnende Hinweis des Innenministers, die Absichten des Wirtschaftsministeriums bedeuteten den Anfang der Zerschlagung der Obersten Baubehörde, wurden ebenso übergangen wie der Versuch Wilhelm Hoegners, die Entscheidung über diese Streitfrage zu vertagen und sie der nächsten Regierung zu überlassen. Der Ministerrat beschloß, das Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr als Energieaufsichtsbehörde für den Vollzug der Energiewirtschaftsgesetzgebung zu bestimmen, dem Staatsministerium des Innern verblieben die Planung des Ausbaus der Wasserkraft in Bayern und die Aufsicht über die damit verbundenen Energie-Infrastrukturmaßnahmen.

Energieaufsicht

War die Agenda des Ministerrats in den Vorjahren sehr stark von Gesetzesvorlagen des Innenministeriums und von sicherheitspolitischen Themen geprägt – etwa von der intensiven Diskussion über das neue bayerische Polizeiorganisationsgesetz von 1952 –, so traten genuin innenpolitische Themen oder auch Polizeifragen demgegenüber im Jahre 1954 deutlich in den Hintergrund. Anzuführen ist in diesem Zusammenhang nur der Entwurf eines Gesetzes über das Landesstrafrecht und das Verordnungsrecht auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung;112 mit diesem Gesetz sollte das Polizeistrafgesetzbuch für Bayern aus dem Jahre 1871 abgelöst und auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Neuordnung des allgemeinen Sicherheitsrechts in Bayern hergestellt werden. Ein weiteres Thema betreffend die Polizei in Bayern war ein Landtagsbeschluß vom Oktober 1953, nach dem die Beamten der Bayerischen Bereitschaftspolizei bezüglich der Besoldung und Versorgung mit den Bundesgrenzschutzbeamten gleichgestellt sein sollten.113 Grundsätzlich erörtert wurde ferner im Ministerrat vom 11. Mai die Frage der Zukunft der Bayerischen Grenzpolizei.114 Bayern hatte als einziges Land eine eigene Grenzpolizei, der gemäß einer Vereinbarung mit dem Bund an den bayerischen Grenzen zum Ausland die Grenzkontrolle und die Paßnachschau oblagen. Der Oberste Rechnungshof hatte Ende 1953 aus Kosten- und Organisationsgründen die Zusammenlegung der Grenzpolizei mit der Landpolizei empfohlen, ein Vorschlag, den die Leitung der Landpolizei unterstützte. Wenn auch Kabinettsmitglieder wie Wirtschaftsminister Seidel, Kultusminister Schwalber und Finanzminister Zietsch ebenso wie Ministerpräsident Ehard übereinstimmend auf die durch das Nebeneinander von Grenz- und Landpolizei bedingte personelle Überbesetzung der Polizei verwiesen und grundsätzich für eine strukturelle Vereinfachung des Polizeiwesens plädierten, so blieb die Bayerische Grenzpolizei letztendlich doch bestehen: Innenminister Hoegner setzte sich mit seinen Argumenten durch, daß die Grenzpolizei unentbehrlich und – „gerade was das Hereinkommen von Agenten betreffe“ – sehr erfolgreich sei, ferner seien die Einsparungen bei einer Auflösung der Grenzpolizei sehr überschaubar, und schließlich habe auch das Bundesinnenministerium vor einer Auflösung der Bayerischen Grenzpolizei gewarnt.

Nur mittelbar, aber trotzdem sachlich eng verbunden mit der Polizeifrage war ferner das Thema des Valka-Lagers in Langwasser bei Nürnberg.115 Nach dem Krieg als DP-Lager errichtet, diente Valka ab 1949 nach Übergabe in deutsche Verwaltung als Regierungslager vornehmlich für Flüchtlinge aus osteuropäischen Staaten, bis es zwischen Ende 1953 und Frühjahr 1954 aufgelöst und in ein Bundesauffanglager für Flüchtlinge umgewandelt wurde. Die Staatsregierung stand nach der Auflösung des Regierungslagers zunächst vor dem Problem, rund 60 vorbestrafte Lagerbewohner anderweitig unterzubringen, ein Vorhaben, das auf starken Widerstand der betroffenen Kommunen stieß. Weiterhin hatte das Innenministerium eigenmächtig den Abriß von Wohnbaracken in Valka angeordnet, deren Errichtung jedoch mit amerikanischen Geldern finanziert worden war. Nach Intervention u.a. des Auswärtigen Amtes und der US-Regierung wurde das Bundesauffanglager auf Weisung der amerikanischen Militärverwaltung gegen den Willen der Staatsregierung von Langwasser nach Zirndorf in die dortige frühere Gendarmerie-Kaserne verlegt. Das Innenministerium hatte die Kaserne ursprünglich als unverzichtbaren Standort für Bereitschaftspolizeieinheiten vorgesehen, mußte von diesen Plänen allerdings Abstand nehmen.

Eine weitere Angelegenheit des Innenministeriums, die sowohl bundespolitische wie internationale diplomatische Schritte erforderlich machte, war im Jahre 1954 die geplante Niederlassung Otto von Habsburgs116 in Bayern.117 Der letzte Thronfolger der k.u.k.-Monarchie hatte seit dem Jahre 1919 im Exil gelebt, da Otto von Habsburg keine Verzichtserklärung auf seinen Herrschaftsanspruch im Sinne des österreichischen Gesetzes über die Landesverweisung vom 3. April 1919 abgegeben hatte und vom österreichischen Staat mit einem Einreiseverbot belegt war. Aufgrund der Prominenz Otto von Habsburgs und dem großen, auch internationalen Interesse an seiner Person bat Ministerpräsident Ehard bei Bundeskanzler Adenauer um Mitteilung, ob seitens der Bundesregierung politische Bedenken gegen eine dauerhafte Niederlassung Otto von Habsburgs im bayerischen Pöcking bestünden. Dieser Schritt sollte sich als durchaus voraussichtig erweisen, denn nachdem von Seiten des Bundes keine Einwendungen erhoben wurden, kam es nach dem Zuzug Otto von Habsburgs – nach wie vor eine konservativ-monarchistische Identifikationsfigur in Europa – in Pöcking tatsächlich zu Kundgebungen und Demonstrationen angereister österreichischer Monarchisten.118 Dies führte unvermeidlicherweise zu Reaktionen der österreichischen Politik, die die Angelegenheit allerdings bewußt nicht eskalieren lassen wollte; der Umstand, daß sowohl das österreichische wie das bayerische Innenministerium unter sozialdemokratischer Führung standen, mag hier eine entscheidende Rolle gespielt haben. Diese Vorkommnisse jedenfalls wurden auch Gegenstand einer Anfrage im Bayerischen Landtag.119

Das zuletzt anzuführende große Thema aus dem Bereich des Innenministeriums betrifft nicht die Gesetzgebung, den Bereich der inneren Verwaltung oder die Sicherheitspolitik, sondern die Verteidigung eines bayerischen Kulturgutes – des bayerischen Bieres und des bayerischen Reinheitsgebotes.120 Im Freistaat war es zu einem stetig wachsenden Angebot und Vertrieb von sogenanntem Süßbier, das vornehmlich von hessischen und Berliner Brauereien unter Verwendung von Zuckerzusatz gebraut wurde, gekommen. Angeblich, so ein zeitgenössischer Erklärungsansatz, sei dies auf das Konsumverhalten der zahlreichen Vertriebenen in Bayern zurückzuführen. Das Staatsministerium des Innern hatte die Produktion und den Verkauf von Süßbier im Juli 1954 als nicht mit dem bayerischen Reinheitsgebot in Einklag stehend per Bekanntmachung untersagt, was umgehende Klagen von in Bayern ansässigen Großhändlern und Vertiebsfirmen nach sich zog. Aufgrund einer uneinheitlichen Rechtsprechung durch die Landgerichte und zur eigenen juristischen Absicherung beschloß der Ministerrat, in dieser Angelegenheit die Einholung eines Rechtsgutachtens durch das Bayerische Oberste Landesgericht zu beantragen.121 Das Oberste Landesgericht stand diesem Ansinnen jedoch reserviert gegenüber und äußerte Bedenken dagegen, in solchen Fällen vorab Gutachten zu erstellen, die dem Gericht absehbarerweise zur Entscheidung vorgelegt würden. Die Rechtsstreitigkeiten um das Süß- oder Nährbier zogen sich noch bis zum Jahre 1956 hin, als das Oberste Landesgericht sich nach einer Reihe von Einzelurteilen dem Standpunkt des Innenministeriums anschloß und die Herstellung und den Vertrieb gezuckerter Biere als Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz einordnete.122

Rechnungsjahr 1954 Das dominierende Thema in den Ministerratssitzungen 1954 war, und zwar weit über seine ohnehin stets große Bedeutung und Tragweite hinaus, die Finanzpolitik, hier insbesondere die äußerst prekäre Lage der bayerischen Staatsfinanzen. Diese hing, wie bereits angedeutet wurde und wie noch weiter ausgeführt werden wird, wie ein Damoklesschwert über sämtlichen Gesetzesberatungen, politischen, wirtschaftlichen wie kulturellen Vorhaben der Staatsregierung. Bereits zu Beginn des Jahres, im Ministerrat vom 25. Januar 1954, machte Finanzminister Zietsch seine Kabinettskollegen eindringlich auf die bevorstehenden Schwierigkeiten bei der Haushaltsaufstellung aufmerksam.123 Man müsse beim Haushalt 1954 auch bei einer optimistischen Steuerschätzung von einem „echten“ Fehlbetrag von rund 100 Millionen DM ausgehen. Zwar stimmte der Ministerrat nach Aussprache einer globalen Kürzung für alle Einzelpläne um 5% zu, da sich aber die Ressortchefs gegen empfindliche Rückschnitte bei Einzelpositionen sperrten – insbesondere Innenminister Hoegner erklärte für sein Haus Einsparungen bei den Personalkosten für undurchführbar –, erhöhte sich der Fehlbetrag wieder auf 140 Millionen DM. Darüber hinaus hatten die Ressorts beim Finanzministerium Beträge in Höhe von insgesamt rund 475 Millionen DM für außerordentliche Haushaltsposten (Bau- und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen) angemeldet, die aber nur zu rund einem viertel durch Fördermittel gedeckt seien, so daß ein Anleihebdarf von annähernd 360 Millionen DM entstehe. Da der Freistaat, so Finanzminister Zietsch, seit der Währungsreform im Jahre 1948 eine Neuverschuldung in Höhe von 1,3 Milliarden DM aufgenommen habe, sei als zusätzliche Haushaltsbelastung ab dem Jahre 1955 noch mit Ausgaben für die Gesamtverzinsung und Tilgung von Krediten in Höhe von rund 260 Millionen DM zu rechnen. Unter diesen Umständen erklärte das Staatsministerium der Finanzen es für unmöglich, für die Ausgaben des außerordentlichen Haushalts eine über die Summe von 200 Millionen DM hinausgehende Staatsanleihe auszugeben.124 Mit dem Gesetz über die vorläufige Ermächtigung des Staatsministeriums der Finanzen zur Aufnahme von Krediten vom 2. März 1954 wurde das Finanzministerium dann aber ermächtigt, zur Finanzierung des außerordentlichen Haushalts Kreditmittel bis zu einem Höchstbetrag von 325 Millionen DM zu beschaffen, davon sollte ein Betrag von 200 Millionen DM durch Anleihen aufgebracht werden.125

Nach den langwierigen Diskussionen und teilweise harten Auseinandersetzungen um die Aufstellung des außerordentlichen Haushalts zwischen den Ressorts verlief die Behandlung des Haushaltsgesetzes 1954, des Gesetzes über die Feststellung des Haushaltsplans des Bayerischen Staates für das Rechnungsjahr 1954126 im Ministerrat sehr zügig, wenn auch die Minister Hoegner und Weinkamm im Ministerrat vom 13. Juli noch Einwendungen erhoben, die sich insbesondere auf Ausnahmeregelungen von der zwingenden Einhaltung der vom Kabinett beschlossenen 5%igen Globalkürzungen der Einzelhaushaltspläne bezogen.127 Größere Probleme bereitete der Staatsregierung aber der Landtag: In den Ausschußberatungen des Landtags über den Entwurf des Haushaltsgesetzes 1954 waren die Ausgabeposten insbesondere für die Reform der Lehrer- und Richterbesoldung signifikant erhöht worden, so daß der Haushaltsfehlbetrag auf mindestens 220 Millionen DM anwachsen würde.128 Im Ministerrat wurde mit Empörung registriert, daß in der Öffentlichkeit von politischen Gegnern bereits von einem „Staatsbankrott“ gesprochen werde und Ministerpräsident Ehard brachte die Notwendigkeit der Anwendung des Artikel 78 Abs. 5 der Bayerischen Verfassung ins Spiel, nach dem Landtagsbeschlüsse, die die Ausgaben des Haushaltsentwurfs erhöhen, auf Verlangen der Staatsregierung eine nochmalige Beratung zu durchlaufen haben. Der Bayerische Landtag beriet den außerordentlichen Haushalt, den Haushalt der allgemeinen Finanzverwaltung sowie das Haushaltsgesetz 1954 in seinen Sitzungen vom 3. bis 5. August 1954. Mitten in diesen Beratungen kam es am Spätnachmittag des 4. August zur einzigen außerordentlichen Ministerratssitzung des Jahres 1954 im Landtag, da Finanzminister Zietsch vor dem Landtagsplenum eine pessimistische Erklärung über die Schätzung des Steueraufkommens abgegeben hatte.129 Die Regierung stand also, so Ministerpräsident Ehard, vor der Grundsatzfrage, ob der eingebrachte Entwurf des Haushaltsgesetzes nun als Makulatur zu betrachten sei und eine neue Regierungsvorlage eingebracht werden müsse. Das Kabinett entschied sich dann dafür, unter Berufung auf die erfahrungsgemäß zuverlässigen Steuerschätzungen und seriösen Prognosen des Bundes an dem Regierungsentwurf festzuhalten, nichtsdestotrotz aber in einer Erklärung auf die Verpflichtung des Staatsministers der Finanzen hinzuweisen, „eine Warnung bezüglich der künftigen Entwicklung des Gesamtaufkommens an Steuern und Abgaben auszusprechen.“

Rechnungsjahr 1955 Nach den Schwierigkeiten mit und den langwierigen Auseinandersetzungen um die Haushaltsaufstellung 1954 und mit der anstehenden Landtagswahl Ende November in Sichtweite, war die erstmalige Besprechung des Staathaushalts für das Jahr 1955 im Ministerrat vom 19. Oktober dann von wenig Elan geprägt.130 Dem Staatsministerium der Finanzen ging es vor allem darum, bereits im Vorfeld der nächsten Haushaltsplanung verbindliche Richtlinien festzulegen, insbesondere sollten die Ansätze im ordentlichen Haushalt 1955 die Ausgabesummen der Einzelpläne der Ressorts von 1954 keinesfalls überschreiten. Ministerpräsident Ehard wie auch die übrigen Regierungsmitglieder empfanden diesen Vorschlag jedoch übereinstimmend als zu schematisch und nicht praxisgerecht; am Ende der Aussprache stand nur eine sehr allgemein gehaltene Absichtserklärung, nach der die Ministerien „sich bemühen“ sollen, „über die Ausgabesätze des Haushalts 1954 nicht hinauszugehen“, trotzdem eintretende Mehrausgaben „eingehend“ zu begründen und gleichzeitig solle „sorgfältig geprüft werden, ob Einsparungen vorgenommen werden können.“

Nicht zuletzt die schwierige Haushaltslage des Freitstaates im Jahre 1954 führte dazu, daß sich die Regierung von einer Reihe von Staatsbetrieben und staatlichen Beteiligungen trennte – wenn auch nicht in jedem Falle die Monetarisierung von Staatsbeteiligungen im Vordergrund stand. Im Falle des Verkaufs der Bavaria-Filmkunst folgte man den Vorgaben des Bundesgesetzes zur Abwicklung und Entflechtung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens vom 5. Juni 1953, nach denen die Reprivatisierung des ehemaligen reichseigenen Filmvermögens binnen Zwei-Jahres-Frist zu erfolgen hatte.131 Der Ministerrat diskutierte am 5. Oktober die Optionen einer Umwandlung der Bavaria-Filmkunst in eine GmbH oder in eine Aktiengesellschaft. Wirtschaftsminister Seidel plädierte für die letztgenannte Lösung, ihm lag vor allem daran, daß die Bavaria-Filmstudios in Geiselgasteig nicht stillgelegt würden. Nach der Gründung einer Bavaria Filmkunst AG wurde die Gesellschaft im Februar 1956 für die Summe von 6,8 Millionen DM an ein Konsortium aus Bankhäusern und Filmproduktionsfirmen veräußert.

Der Verkauf der Bayerischen Lagerversorgung war seit längerem geplant und bereits Thema in den Ministerratssitzungen der Jahre 1952 und 1953 gewesen.132 1945 als Diensstelle unter der Aufsicht des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zur Lebensmittelversorgung der Flüchtlingslager gegründet und 1950 in einen kaufmännischen Staatsbetrieb überführt, war der Lagerversorgung mit der sukzessiven Auflösung der Flüchtlingslager ihr ursprüngliches Aufgaben- und Tätigkeitsfeld abhanden gekommen. Nicht die Veräußerung der Lagerverorgung an die Coloniale, die Einkaufsgenossenschaft des bayerischen Großhandels, war im Ministerrat Gegenstand ausführlicher Diskussionen, sondern vielmehr die Frage der Weiterverwendung der leitenden Angestellten, deren Qualifikation und Verdienste um die Lagerversorgung unbestritten waren. Der Ministerrat beschloß in diesen Fällen, eine Garantie auf Übernahme und Weiterbeschäftigung auszusprechen.

Endgültig beschlossen wurde im Jahre 1954 auch der Verkauf der staatlichen Anteile an dem Chemiewerk Anorgana im oberbayerischen Chemiedreieck im Landkreis Altötting.133 Der Freistaat hatte die Anteile an der Anorgana im Vorjahr ausschließlich aus sozial- und arbeitsmarktpolitischen Gründen erworben, um eine Schließung des Werkes und die Entlassung der Belegschaft – darunter zahlreiche Vertriebene – zu verhindern; von Anfang an sollte die Staatsbeteiligung nur vorübergehend sein. 1954 wurde der Geschäftsanteil des bayerischen Staates an die Bayerische Vereinsbank verkauft, ein Jahr später ging das Werk vollständig an die Farbwerke Hoechst über.

Ähnlich gelagert war der Fall des Bergwerks Marienstein im oberbayerischen Pechkohlegebiet zwischen Marktoberdorf und Traunstein.134 Auch hier war der Freistaat im Jahre 1951 finanziell eingesprungen, hatte das Bergwerk übernommen und die Verwaltung der Bayerischen Berg-, Hütten und Salzwerke AG übertragen. Auch dieser Schritt war ausschließlich aus sozial- und arbeitsmarktpolitischen Erwägungen heraus erfolgt, um zumindest vorübergehend die dortigen Arbeitsplätze zu sichern. Mittel- und langfristig waren das defizitär arbeitende Bergbauunternehmen und der Untertagebau in Oberbayern allerdings nicht wirtschaftlich rentabel fortzuführen: Die bisher aufgeschlossenen Kohleflöze würden 1956/57 erschöpft sein, und selbst wenn kostspielige und aufwendige neue Erschließungsarbeiten zum Erfolg führen und neue Kohlevorkommen zutage bringen sollten, müßte der Kohleabbau in Marienstein spätestens Mitte der 1960er Jahre eingestellt werden.135 Die von der Staatsregierung daher anvisierte Stillegung des Bergwerks zum Jahre 1956 sollte sich allerdings erheblich verzögern – der Bayerische Landtag nämlich folgte in seiner Sitzung vom 28. Oktober einem Dringlichkeitsantrag der BHE-, SPD- und BP-Fraktionen und beschloß eine sofortige Mittelbereitstellung in Höhe von 300 000 DM zur weiteren Erkundung von Kohlevorkommen sowie für Bohr- und Aufschlußarbeiten in Marienstein.136 Bis zum Jahre 1962, bis zur endgültigen Stillegung des Bergbaubetriebes, sollte in Marienstein noch weiter gefördert werden.

Tatsächlich und unmittelbar der Auffrischung des Staatshaushalts dagegen sollten zwei Vorhaben dienen: Zunächst ist zu nennen die vom Finanzministerium geplante Veräußerung des Bayerischen Schulbuch-Verlages, von dessen Verkauf nach Umwandlung in eine GmbH man sich einen Erlös von sechs Millionen DM versprach.137

Dieser Plan ging zurück auf einen bereits im Ministerrat vom 3. März 1953 diskutierten früheren Landtagsbeschluß, mit dem die Staatsregierung zur Abwicklung des Schulbuch-Verlages aufgefordert worden war.138 Kultusminister Schwalber stand diesem Ansinnen naturgemäß skeptisch gegenüber und verwies im Ministerrat vom 27. Juli 1954 auf die Leistungen und das Renommee des Schulbuch-Verlages, dessen Lehrbücher nicht nur in Bayern, sondern auch weit über die Landesgrenzen hinaus bis ins Ausland Verwendung fänden. Das Kabinett zog sich schließlich auf den Standpunkt zurück, die Angelegenheit vorläufig auf sich beruhen zu lassen139 – eine letztendlich höchst erfolgreiche Strategie, denn der Schulbuch-Verlag sollte erst im Jahre 1998 privatisiert werden.

Ein haushaltspolitisch zentrales Thema und zum Zankapfel insbesondere zwischen dem Wirtschafts- und dem Finanzministerium wurde 1954 der Verkauf der 26%igen Anteile des Freistaates an der zum Flick-Konzern gehörenden Maximilianshütte im oberpfälzischen Sulzbach-Rosenberg.140 Im Jahre 1951 hatte die Staatsregierung die schon seit 1946 angestrebte Entscheidung getroffen, sich an der Maximilianshütte – als durch das Militärregierungsgesetz Nr. 52 – Sperre und Kontrolle von Vermögen vom 14. Juli 1945 beschlagnahmtes und unter treuhänderischer Verwaltung stehendes, aber einzig erhalten gebliebenes Unternehmen des zerschlagenen Flick-Konzerns – zu beteiligen, um dadurch die Eisenwerkgesellschaft als Wirtschaftsbetrieb zu erhalten und Einfluß auf die Geschäftsführung eines für den Wirtschaftsstandort Bayern als wichtig erachtetes Unternehmen zu gewinnen.141 Es war ausschließlich Wirtschaftsminister Seidel gewesen, der sich in den Beratungen des Jahres 1951 als einziges Kabinettsmitglied pointiert gegen das finanzielle Engagement des Freitstaates bei der Maxhütte gewandt hatte und sich damit in eine Reihe von Stimmen aus Wirtschaftskreisen einreihte, die die wachsende unternehmerische Tätigkeit des bayerischen Staates äußerst kritisch beurteilten. Nun, drei Jahre später, plädierte Hanns Seidel erneut für den Verkauf der Maxhütten-Anteile, nachdem es bereits im März 1954 auf Initiative des 1946 in den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen angeklagten und 1950 aus der Haft entlassenen Konzernlenkers Friedrich Flick142 zu einem Treffen mit Wirtschaftminister Seidel und Staatssekretär Guthsmuths gekommen war, in dessen Verlauf der Unternehmer den Rückkauf der staatlichen Maxhütten-Anteile anbot; Anfang Juli kam es auch zu einem persönlichen Zusammentreffen zwischen Ministerpräsident Ehard und Friedrich Flick. Entgegengesetzt positionierte sich Finanzminister Friedrich Zietsch, der den Anteilsverkauf kritisch sah – zum einen dürfe eine Prüfung der Veräußerungsoption nur unter dem Vorbehalt erfolgen, daß den Unternehmensinteressen und den Interessen der bayerischen Wirtschaft Priotität eingeräumt werde, zweitens dürfe keinesfalls der Gedanke aufkeimen, daß der Erlös zur Deckung von wünschenswerten Ausgaben des außerordentlichen Haushalts verwendet werde, und drittens – und zuletzt – warnte Staatsminister Zietsch mit Blick auf eine künftige nukleare Energiepolitik davor, vorschnell die Beteiligung an einem Bergbauunternehmen aufzugeben, das Zugriff sowohl auf Eisenerz- wie Uranvorkommen besitze. Vor allem der zweite von Finanzminister Zietsch angeführte Punkt aber sollte in der Folge für politische Konflikte sorgen: Denn aus dem Landtag wurden wiederholt Forderungen laut, den staatlichen Aktienbesitz an der Maxhütte mit dem Ziel der Sanierung des außerordentlichen Haushalts zu verkaufen: Fraktionsübergreifend – mit Ausnahme der SPD – waren verschiedene Anträge gestellt worden, den Erlös aus dem Anteilsverkauf in die Sanierung der Landstraßen I. Ordnung im Freistaat zu investieren. Nachdem der Bayerische Landtag im Rahmen der Beratung des Staatshaushalts am 2. August 1954 in einer sechsstündigen Plenarsitzung ausschießlich über die Frage der Veräußerung der staatlichen Maxhütten-Anteile debattiert und schließlich mit 84 gegen 47 Stimmen – mehrheitlich aus der SPD-Fraktion – bei sechs Enthaltungen dem Verkauf zugestimmt hatte, sah Ministerpräsident Ehard die Zeit gekommen, mit Flick in konkrete Verhandlungen einzutreten.

Diese wurden aber erst Ende Januar 1955 unter der neuen Regierung aufgenommen, mit Vertrag vom 4. April 1955 gingen die Anteile des Freistaates an der Maxhütte für eine Abtretungssumme in Höhe von 33 Millionen DM wieder an die Friedrich-Flick KG über. Daß dieser Schritt dann unter der Viererkoalition und unter Führung der SPD als stärkste Koalitionspartei erfolgte, entbehrte dabei nicht einer gewissen Ironie, hatte die Landtags-SPD doch noch im Herbst 1954 in der Angelegenheit Maxhütte erfolgreich Verfassungsklage vor dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof eingereicht:143 Wie erwähnt, hatte sich die Landtags-SPD am 2. August 1954 mehrheitlich gegen den Verkauf der Maxhütten-Anteile ausgesprochen. Bei der Verabschiedung des Gesetzes über die Feststellung des Staatshaushaltes am 5. August 1954 im Landtag jedoch stimmte die SPD mehrheitlich für das Haushaltsgesetz, obwohl der Gesetzestext in Artikel 2 die Bestimmung enthielt, daß die „veranschlagten Erlöse des Bayer. Staates aus der Veräußerung von Staatsbeteiligungen“ als „Deckungsmittel für außerordentliche Haushaltsausgaben zu verwenden“ seien. Und um diesen Passus war von Anbeginn der Diskussion um den Maxhütten-Verkauf ein regierungsinterner Grundsatzstreit zwischen der SPD und den übrigen Regierungsparteien bzw. auch zwischen dem Finanzministerium auf der einen, dem Wirtschafts- und Justizministerium auf der anderen Seite entbrannt, da er nach Auffassung der SPD einen verfassungsändernden Charakter habe. Es ging im Kern um die Frage der Minderung des Grundstockvermögens des Freistaates, das gemäß Artikel 81 der Bayerischen Verfassung nur auf Grund eines Gesetzes verringert werden dürfe, wobei Erlöse aus Veräußerungen dann umgehend und zwingend wieder für werterhaltende Neuerwebungen für das Grundstockvermögen zu verwenden seien. Investitionen in außerordentliche Haushaltsausgaben, insbesondere in Straßenbauten, wie es das Haushaltsgesetz 1954 zwar nicht expressis verbis, aber indirekt vorsah, kamen nach Auffassung der SPD eben nicht dem Grundstockvermögen zugute – Bauwerke seiene keine Neuerwerbungen im Sinne des Artikels 81 der Verfassung, und insbesondere Straßen seien als Wirtschaftsgut auch einer steten Abnutzung und Wertminderung unterworfen. Die Landtags-SPD konnte mit dem Urteil des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs zumindest einen Teilerfolg verbuchen, da das Gericht den Art. 2 des Haushaltsgesetzes in der Tat als verfassungsändernd einstufte;144 die Gerichtsentscheidung betraf allerdings nur die Frage, ob die Verwendung des Erlöses aus dem Verkauf der Maxhütte „mit der Verfassung vereinbar ist und deshalb durch ein einfaches Gesetz bestimmt werden konnte.“ Nicht beurteilt wurde der materielle Gehalt des Haushaltsgesetzes oder die Frage, ob die Regelungen des Haushaltsgesetzes „wenigstes unter Beachtung der für eine Verfassungsänderung vorgesehenen Form“ hätten getroffen werden können.

Mit Blick auf die bis hier skizzierten Finanz- und Haushaltsprobleme muß ergänzend angeführt werden: Ausgerechnet in Zeiten einer angespannten Haushaltslage und leerer Kassen, so schien es, wurde die Staatsregierung im Regierungsjahr 1954 auch noch mit finanziellen Sonderwünschen aus verschiedensten Richtungen bedrängt. So erwartete das seit dem Staatsvertrag von 1920 zu Bayern gehörende Coburg anläßlich des 900-jährigen Stadtjubiläums aus München die Ehrengabe eines wertvollen und in kostspieliger Handarbeit hergestellten Gobelins für das Coburger Rathaus, an dessen Herstellung sich die Staatsregierung mit 15 000 DM beteiligen sollte.145 Nachdem der Ministerrat zunächst ein Geschenk in einer solchen Höhe – auch wegen der damit verbundenen möglichen Vorwurfs einer Sonderbehandlung Coburgs – kategorisch abgelehnt hatte, wurde diese Entscheidung im Ministerrat vom 5. Oktober jedoch wieder revidiert: Aus Oberfranken waren Berichte über erhebliche politische Verstimmungen eingelaufen, die eine Verweigerung des Geschenkes im Landtagswahljahr 1954 hervorrufen würde. Außerdem würde, so ein weiteres durchschlagendes Argument von Wirtschaftsminister Seidel, durch eine Kostenbeteiligung der Staatsregierung eine dringend notwendige Förderung der Gobelin-Manufaktur Nürnberg erfolgen. Ebenfalls aus Franken, aus Würzburg, kam der Wunsch nach der Finanzierung eines städtischen Theaters.146 Die Würzburger Stadtverwaltung hatte seit 1952 Pläne entwickelt, im Zuge des Wiederaufbaus des im April 1945 durch Bombenangriffe zerstörten Südflügels der Residenz ein Theater einzubauen und war diesbezüglich bereits in Kontakt mit der Bayerischen Verwaltung der Staatlichen Schlösser, Gärten und Seen getreten. Ende April 1954 anberaumte Verhandlungen zwischen der Stadt Würzburg und dem Finanzministerium, das sich zu einer Kostenübernahme für den Theaterbau aber nicht imstande sah, verliefen offenbar so stürmisch, daß Finanzminister Zietsch weitere Kontakte zur Würzburger Stadtverwaltung kategorisch ablehnte. Schließlich meldete im Vorfeld eines Besuchs von Ministerpräsident Ehard am 14./15. Juni 1954 auch das unterfränkische Aschaffenburg den Wunsch nach zusätzlicher finanzieller Unterstützung für den Wiederaufbau des Aschaffenburger Schlosses an,147 was Staatsminister Zietsch mit Verweis auf eine bereits geleistete Fördersumme in Höhe von 300 000 DM umgehend ablehnte, nach Einspruch von Staatsminister Seidel – früherer Aschaffenburger Landrat – jedoch eine Zusage für 20 000 DM Zuschußmittel in 1955 abgab. Die insbesondere mit Blick auf die Wirtschaft und die Infrastruktur allgemein schwierige Lage Aschaffenburgs, so Seidel, „mache es notwendig, bei dem Besuch des Herrn Ministerpräsidenten, der nicht mit leeren Händen kommen könne, etwas besonderes zu tun.“

Mit einem kuriosen Detail versehen erscheint rückblickend die Behandlung der finanziellen Förderung des Sudetendeutschen Tages 1954.148 Der seit 1950 unter der Regie der Sudetendeutschen Landsmannschaft jährlich an Pfingsten organisierte Sudetendeutsche Tag fand vom 4. bis 7. Juni 1954 in München mit rund 500 000 Teilnehmern statt und stellte für die Vertriebenen eine wichtige politische wie psychologische Wegmarke dar, da Ministerpräsident Ehard – im Vorfeld der Landtagswahlen im Herbst – am 5. Juni in München die Schirmherrschaft der Staatsregierung über die Sudetendeutschen verkündete. Mit dieser erst im Jahre 1962 förmlich verbrieften Schirmherrschaft wurde die Sudetendeutsche Landsmannschaft als erster Ansprechpartner in Vertriebenenangelegenheiten anerkannt und die Sudetendeutschen neben den Altbayern, Schwaben und Franken zum „Vierten Stamm“ Bayerns erhoben. Im Ministerrat vom 18. Mai 1954 plädierte Staatssekretär Stain, im Anschluß an die bisherige gängige Übung anderer Länder, zur Durchführung des Sudetendeutschen Tages einen staatlichen Zuschuß in Höhe von 20 000 DM zu gewähren. Der Sudetendeutsche Tag werde im übrigen, so die bemerkenswerte Fehleinschätzung von Staatssekretär Stain, „heuer zum letztenmal stattfinden […] da seine Ziele im wesentlichen erreicht seien.“ Die Sudetendeutschen Tage finden jährlich an Pfingsten weiterhin bis in die Gegenwart statt. Möglicherweise im Zusammenhang mit dem Sudetendeutschen Tag 1954 in München stand auch die Aufstellung einer Büste Adalbert Stifters in der Walhalla bei Regensburg.149

Weitere Forderungen für Finanzspenden wurden auch von durchaus unerwarteter Seite an die Staatsregierung herangetragen: Nach einer erfolgreichen deutsch-österreichischen Himalaya-Expedition, in deren Verlauf Anfang Juli 1953 die Erstbesteigung des Nanga Parbat gelungen war,150 wurde 1954 erneut um staatliche Finanzierungshilfen für eine weitere Himalaya-Expedition in Höhe von 30 000 DM gebeten.151 Während das Staatministerium für Unterricht und Kultus der Anfrage wegen grundsätzlicher Zweifel an der wissenschaftlichen Ausrichtung der Expedition zunächst sehr skeptisch gegenüberstand, plädierte der Ministerrat mehrheitlich für die Gewährung der geforderten finanziellen Unterstützung. Diese sollte sich jedoch als nicht aureichend erweisen: Nach einem telegraphischen Hilferuf aus Südasien mußte das Finanzministerium kurzfristig einen überplanmäßigen Betrag von 15 000 DM nachschießen, da die Expeditionsteilnehmer auf der Rückreise mittellos in Pakistan gestrandet waren.

Unwetterkatastrophen Ein unvorhergesehene Notlage mit finanziellen Auswirkungen traf den Freistaat schließlich Anfang Juli 1954. Nach Unwettern in Südbayern und in Teilen Österreichs am 8./9. Juli war es in den Gebieten Ober- und Niederbayerns zu verheerenden Überflutungen mit mehreren Todesopfern, hohen Sachschäden und vollständigen Ernteausfällen gekommen.152 Der Ministerrat beschloß am 13. Juli umgehende Sofortmaßnahmen – trotz der vorausgegangenen langen und streckenweise zähen Verhandlungen um den Staatshaushalt 1954 wurden in den noch schwebenden Haushaltsplan 10 Millionen DM als Ersthilfe für Zuschüsse und Beihilfen an Privatpersonen im ordentlichen Haushalt zusätzlich bereitgestellt, ferner ein Betrag in Höhe von 20 Millionen DM für zinsverbilligte und staatsverbürgte Hilfskredite im außerordentlichen Haushalt eingesetzt. Weiterhin sollten die auf ein bei der Staatsbank eingerichtetes Spendenkonto fließenden Hilfsgelder nicht über den Haushalt laufen, sondern in einem pragmatischen Lösungsansatz durch ein Kuratorium verwaltet und verteilt werden, dessen Vorsitz Ministerpräsident Ehard übernahm und dem weiterhin die Staatsminister Hoegner, Zietsch, Seidel und Schlögl, die Präsidenten des Landtags und des Senats, die Regierungspräsidenten von Ober- und Niederbayern, Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und der Staatsbank angehörten.

Wiedergutmachung Eine weitere in die Zuständigkeit des Finanzministeriums fallende Frage, die gleichzeitig aber aufgrund ihrer erheblichen Öffentlichkeitswirkung – auch auf internationaler Ebene – zur „Chefsache“ von Ministerpräsident Ehard wurde, war die Durchführung der Entschädigung für die Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung in Bayern.153 Wie Ministerpräsident Ehard im Ministerrat vom 5. Oktober 1954 ausführte, sei die unbefriedigende, weil sehr schleppend verlaufende Durchführung der Wiedergutmachung im Freistaat Gegenstand zahlreicher Beschwerden aus dem In- und Ausland gewesen und lasse Bayern in einem wenig vorteilhaften Licht erscheinen. Das Staatsministerium der Finanzen begründete die Lage in Bayern mit Verzögerungen in der Bundesgesetzgebung und mit Schwierigkeiten bei der Durchführung des Bundesergänzungsgesetzes zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (BEG), insbesondere mit der Weigerung des Bundesfinanzministeriums, den Ländern fallweise bei nachträglich als unbegründet festgestellten Entschädigungsleistungen die Vorschußzahlungen zurückzuerstatten. Staatsminister Zietsch ersuchte den Ministerrat zur Beschleunigung der Entschädigung um die Ermächtigung, „bei Vorliegen berücksichtigungswürdiger Gründe“ in einem vereinfachten Verfahren angemessene Vorschußzahlungen zu leisten.

Landtagswahl 1954 In 1954 fand im Freistaat die Wahl zum dritten Bayerischen Landtag seit 1946 statt. Der Ausgang der Landtagswahl vom 28. Novemer 1954 glich einem politischen Erdbeben: Trotz eines enormen Stimmenzuwachses von knapp über 10%, der die CSU in Bayern mit 38% Stimmenanteil zur stärksten Partei deutlich vor der SPD mit 28% der Wählerstimmen machte, wurde die CSU durch die völlig unerwartete Koalitionsbildung von SPD, BHE, Bayernpartei und FDP für drei Jahre, bis zum Auseinanderbrechen der Viererkoalition im Jahre 1957, auf die Oppositionsbänke verwiesen. Keine Anzeichen deuten in den Ministerratsprotokollen des Jahres 1954 auf eine solche Entwicklung hin, im Gegenteil spielt der Landtagwahlkampf generell kaum eine Rolle, nur rechtliche und organisatorische Fragen zur Durchführung der Wahl wurden zum Thema. Im Ministerrat vom 24. August wurde der per Bekanntmachung festzulegende Termin der Landtagswahl bestimmt;154 eine kurze Diskussion entspannte sich hierbei um die Auslegung des Artikels 16 Absatz 2 der Bayerischen Verfassung, dessen wortwörtliche Auslegung („Spätestens mit Ablauf der Wahldauer des Landtags muß die Neuwahl stattfinden“) eine Vorverlegung der Wahl um acht Tage nötig gemacht hätte – nachdem die Landtagswahl 1950 am 26. November stattgefunden hatte und die Wahlperiode streng genommen mit dem 26. November 1954 endete. Der Ministerrat sah in der Terminfestsetzung auf den 28. November 1954 keinen verfassungsrechtlichen Verstoß. Eine weitere wahlrechtliche Frage betraf die Platzierung des BHE auf der Landeswahlliste.155 Der BHE hatte aufgrund seines Wahlergebnisses in der Landtagswahl von 1950 den Platz 4 auf der Landeswahlliste beantragt, was Innenminister Hoegner aus rechtlichen Gründen aber für nicht durchführbar erklärte. Bei der Landtagswahl 1950 sei der BHE nicht als Partei, sondern als Wählerbündnis BHE-DG angetreten; da diese Wählergruppe nicht mehr existiere, könne der BHE auch keine Ansprüche auf eine bestimmte Listenplatzierung anmelden.

In der aus diesen Beispielen ersichtlichen betont sachlich-formalen Behandlung der Landtagswahlen in den Ministerratssitzungen setzt sich zum einen sicherlich die von Anbeginn an nachweisbare Grundtendenz der Ministerratsprotokolle fort, parteipolitische Fragen und Konflike weitestgehend auszublenden. Insbesondere Ministerpräsident Ehard und der stellvertretende Ministerpräsident Hoegner standen gemeinsam und übereinstimmend für eine Politikauffassung, die, vom Standpunkt der Juristen geprägt, in der Regierungsarbeit vor allem den Prinzipien von Sachlichkeit und rechtlicher Präzision verpflichtet war. In der Tat schienen die im Kabinett erörterten „Wahlkampfaktionen“ sämtlich darauf hinzudeuten, daß die Regierungsmitglieder im Grunde von einer Fortsetzung ihrer Arbeit in einer großen Koalition ausgingen. So entschied der Ministerrat, eine Sondernummer der Zeitschrift „Bayerland“ zu fördern, die sich der Entwicklung Bayerns und den Leistungen der Regierungen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges widmen sollte – in den Worten Hans Ehards sei es wichtig, daß eine „gewisse Propaganda für die großen Wiederaufbauleistungen Bayerns nach dem Krieg gemacht werde.“156 Ähnliche Ziele wurden auch verfolgt mit der Herausgabe einer Wahlnummer der Bayerischen Staatszeitung am 20. November kurz vor der Landtagswahl.157 Hier handelte es sich zwar nicht um eine explizit als solche gekennzeichnete Sonderausgabe der Staatszeitung, aber enthalten waren neben grundsätzlichen und ausführlichen staatsbürgerkundlichen Informationen über Ablauf und Bedeutung der Wahl auch ein Bericht über die Arbeit des Landtags in der abgelaufenen Legislaturperiode sowie Kurzinterviews mit dem Ministerpräsidenten und den Staatsministern über die Erfolge der Regierungsarbeit der letzten vier Jahre.

Die einzigen im Ministerrat behandelten partei- oder wahlpolitischen Fragen betrafen den Umgang mit der KPD im Wahlkampf. Hier sprach die Staatsregierung auf Anraten von Innenminister Hoegner ein Verbot der Auftritte von sogenannten „Kulturgruppen“ aus der DDR sowie von SED-Funktionären auf Wahlveranstaltungen der KPD aus, da es sich hierbei um Auftritte von Personen handle, die verfassungsfeindlichen und in der Bundesrepublik verbotenen Organisationen angehörten und deren „Tätigkeit die Vorbereitung des Hochverrats bezwecke.“158 Möglicherweise ebenfalls Ausdruck der Wahlkampfatmosphäre des Jahres 1954 war schließlich auch die vermehrt auftretende Behandlung von Verunglimpfungs- und Beleidigungsdelikten im Ministerrat.159

Parteipolitische oder wahltaktische Auseinandersetzungen lassen sich in den Ministerratsprotokollen 1954 in der Regierungsarbeit kaum nachweisen, unabhänging von den punktuell durchaus großen sachlichen Divergenzen, sogar starken Spannungen zwischen den Ressorts. Daß es sich 1954 um ein Wahljahr handelte, spiegelte sich eher – indirekt – im Verhältnis des Landtags zur Regierung wider. Die Staatsregierung sah sich, obwohl sie als große Koalition agierte, verstärkter Kritik und auch Angriffen der Fraktionen aus dem Landtag ausgesetzt. Die parteipolitische Profilierung im Wahlkampfjahr schien über den Landtag zu laufen. Ein Hinweis darauf mag die wachsende Zahl von Interpellationen – beispielsweise über den sozialen Wohnungsbau160 oder über das geplante Bundesmietengesetz161 – und Anfragen sein, oder auch die einstimmige Ablehnung des Regierungsentwurfs eines Heimkehrerentschädigungsgesetzes durch den Sozialpolitischen Ausschuß des Landtags, ferner Auseinandersetzungen mit dem Landtagsausschuß für Ernährung und Landwirtschaft über die Vorlage von Akten oder mit dem Besoldungsausschuß über die Besoldungsreform.162

In größte und wohl auch unerwartete politische Bedrängnis aber geriet die Staatsregierung im Jahre 1954 durch die Arbeit und die Abschlußberichte gleich mehrerer Landtags-Untersuchungsausschüsse. Als erstes ist zu nennen der Untersuchungsausschuß Residenztheater, dessen Arbeit auch unmittelbar verknüpft war mit einer wichtigen und in der Öffentlichkeit höchst umstrittenen Personalentscheidung der Staatsregierung – der Neubesetzung der Präsidentenstelle beim Bayerischen Obersten Rechnungshof, der sogenannten „Angelegenheit Kallenbach“.163 Der Bayerische Landtag hatte, nachdem es beim Wiederaufbau des Münchner Residenztheaters ab 1948 zu erheblichen Etatüberschreitungen gekommen war, einen Untersuchungsausschuß eingesetzt, der seine Arbeit dann aber rasch auch auf andere Fälle von Etatüberschreitungen bei öffentlichen Bauvorhaben ausdehnte,164 u.a. auch auf den Fall des Dienstwohngebäudes des Augsburger Regierungspräsidenten Martini.165 Martini hatte im Jahre 1949 eigenmächtig den Bau eines Dienstwohngebäudes in Auftrag gegeben, dessen Errichtung dann noch von wiederholten Etatüberschreitungen begleitet war. Der Rechnungshofpräsident Kallenbach hatte im Januar 1954 eine an das Innenministerium gerichtete interne Prüfungsmitteilung des Rechnungshofs über die Baukosten des Augsburger Dienstwohngebäudes ohne Rücksprache und ohne eine Stellungnahme des Innenministeriums abzuwarten, an den Untersuchungsausschuß Residenztheater weitergeleitet. Die Staatsregierung beurteilte dieses Vorgehen Kallenbachs, der ohnehin für seine ausgeprägte Sparsamkeit, eigenmächtige Amtsführung und dezidiert regierungskritsche Haltung berüchtigt war,166 als inkorrekt und illoyal und machte eine bereits beschlossene Dienstzeitverlängerung167 Kallenbachs wieder rückgängig.168 In der Folge sah sich die Staatsregierung mit dem öffentlichen Vorwurf konfrontiert, sich eines unbequemen, weil integren und pflichtbewußten Beamten entledigt zu haben. Als Konsequenz dieser Personalentscheidung kündigte die BHE-Landtagsfraktion einen Gesetzentwurf an, nach dem der Präsident des Obersten Rechnungshofs künftig nicht mehr durch die Staatsregierung ernannt, sondern durch den Landtag gewählt werden solle.169 Diesen Antrag, den der BHE dann aber wieder zurückzog, lehnte die Staatsregierung aus verfassungsrechtlichen Bedenken heraus ab, da die Unabhängigkeit des Rechnungshofpräsidenten nicht mehr gewahrt sei, dieser „werde zwangsläufig eine politische Figur“.

Die Auseinandersetzung zwischen dem Untersuchungsausschuß Residenztheater und der Staatsregierung drehte sich aber nicht ausschließlich und auch nicht in erster Linie um die Personalie Kallenbach. Vielmehr handelte es sich um politische Scharmützel zwischen dem Vorsitzenden des Residenztheater-Ausschusses, dem FDP-Landtagsabgeordneten Everhard Bungartz170 und der Staatsregierung. Bungartz hatte etwa über die Presse verlauten lassen, den Ministerpräsidenten zur eidlichen Aussage vor den Untersuchungsausschuß zu zitieren;171 dieser Fall, so Ministerpräsident Ehard, „nehme allmählich unerträgliche Formen an.“ Als Konsequenz der Arbeit des Untersuchungsausschusses Residenztheater schaffte die Staatsregierung das Dienstwohngebäude-Privileg für die Regierungspräsidenten ab und legte für den Augsburger Regierungspräsidenten Martini für die Nutzung des Wohngebäudes eine Mietzahlung fest172 – Martini allerdings zog es vor, die staatliche Wohnung zu verlassen.173 Später wurde gegen Martini auch noch ein Dienststrafverfahren eingeleitet, das nach dessen Ruhestandsversetzung 1955 allerdings eingestellt wurde; auch weitere Überlegungen, Martini und andere am Bau des Augsburger Dienstwohngebäudes beteiligte Personen gegenüber dem Freistaat schadensersatzpflichtig zu machen, wurden 1956 im Einvernehmen zwischen der Staatsregierung und dem Ältestenrat des Bayerischen Landtags nicht weiter verfolgt.174 Eine weitere Auseinandersetzung mit dem Residenztheater-Untersuchungsausschuß und dem Landtag bahnte sich ferner mit Blick auf die diensstrafrechtliche Behandlung eines in den Residenztheater-Wiederaufbau involvierten Beamten an: Die Dienststrafkammer hatte gegen einen Ministerialrat ein freisprechendes Urteil gefällt, was, so Ministerpräsident Ehard im Ministerrat vom 6. Juli 1954, „einige Aufregung im Landtag verursacht habe.“ Der Untersuchungsausschuß plante sodann, den Ministerpräsidenten und den Landtagspräsidenten als Zeugen vorzuladen, um eine Einschätzung des Urteils zu erhalten, ein nach parlamentarischen Gepflogenheiten ebenfalls eher ungewöhnliches Ansinnen, das Ministerpräsident Ehard aus rechtlichen Erwägungen heraus rundweg ablehnte.175

In Bedrängnis geriet die Staatsregierung 1954 auch wegen des Abschlußberichts eines zweiten Untersuchungsausschusses: Bereits im Jahre 1951 hatte die Deutsche Gemeinschaft den Antrag auf Einsetzung eines Ausschusses zur Untersuchung der Verluste des Freistaates durch Übernahme von Staatsbürgschaften für Filmkredite gestellt, der seinerzeit aber vom Landtag abgelehnt wurde.176 Im Jahre 1953 setzte dann der Landtag in einem zweiten Anlauf auf Antrag der BP diesen Filmkredit-Untersuchungsausschuß ein, dessen Bericht Anfang August 1954 vorgelegt wurde. Die hier formulierten Ergebnisse schienen für die Staatsregierung desaströs, insbesondere wegen der persönlichen Angriffe auf Staatssekretär Ringelmann und den für die Filmwirtschaft im Staatsministerium für Wirtschaft und Verkehr zuständigen Ministerialdirigenten Friedrich Zehler.177 Im Jahre 1950/51 seien dem Staat, so der Bericht, mit der Vergabe staatsverbürgter Kredite für die Filmförderung Verluste in Höhe von 17 Millionen DM entstanden, verantwortlich seien in zweiter Linie Ministerialdirgent Zehler, der als alleiniger Vertreter des Freistaates im Filmbeirat der Filmfinanzierungsgesellschaft seine Amtspflichten verletzt habe, in erster Linie aber Staatssekretär Ringelmann, dem – und das war der schwerwiegendere Vorwurf – eine Verletzung der Bayerischen Verfassung vorgeworfen wurde. Ringelmann habe ohne Einverständnis des Landtags Filmbürgschaften genehmigt oder verlängert und damit gegen Artikel 82 der Bayerischen Verfassung verstoßen, nach dem alle Kreditbeschaffungen, Kreditvergaben oder Sicherheitsleistungen zu Lasten des Staates mit einer über ein Jahr hinausgehenden Laufzeit nur aufgrund eines Gesetzes erfolgen dürfen. Ministerpräsident Ehard persönlich war sehr daran gelegen, diesen Vorwürfen, die zwischenzeitlich auch von der bayerischen Presse begierig aufgegriffen worden waren, duch eine umfassende Materialzusammenstellung und eine Gegendarstellung zu begegnen und vor allem alle nötigen Schritte zur Ehrenrettung des Finanzstaatssekretärs Ringelmann einzuleiten.178 Ministerialdirigent Zehler zog aus dem Bericht des Untersuchungsausschusses die persönliche Konsequenz, von seinen Aufgaben vorläufig entbunden zu werden und gegen sich selber ein Disziplinarverfahren zu beantragen, das im Jahre 1955 nach unergiebigen Vorermittlungen eingestellt wurde.

Mit Beschluß zur Einsetzung eines weiteren Untersuchungsausschusses des Bayerischen Landtags vom 8. Oktober 1954 dann geriet – kurz vor den anstehenden Landtagswahlen – die Regierungspartei CSU, aber auch die Person von Ministerpräsident Ehard erneut in den Blick der Öffentlichkeit. Wieder ging es um staatliche Kreditvergaben.179 Das von einem Vertriebenen-Unternehmer gegründete Memminger Textilwerk Metex hatte Anfang 1953 Konkurs angemeldet, im Juli 1954 waren gegen die Gesellschafter Anklagen wegen betrügerischen Konkurses und weiterer Wirtschaftsvergehen erhoben worden. In einem Artikel des Hamburger „Spiegel“ vom 22. September 1954 waren Verbindungslinien zwischen dem angeklagten Metex-Geschäftsführer und der CSU, aber auch zu Ministerpräsident Ehard gezogen worden, im Zentrum der Berichterstattung stand dabei eine Parteispende an die CSU im Zusammenhang mit einem schwebenden Steuerverfahren gegen Metex. Auch hier ging es der Staatsregierung umgehend um Schadensbegrenzung, nicht nur mit Blick auf die Person des Ministerpräsidenten, sondern es galt gleichzeitig auch, einem drohenden Ansehensverlust der Bayerischen Staatsbank entgegenzuwirken. Denn auch dieses Institut war im Zusammenhang mit dem Fall Metex ins Visier der Öffentlichkeit geraten; die Vorwürfe lauteten, die Staatsbank habe es bei der Kreditvergabe an ihrer Aufsichtspflicht mangeln lassen und sei ein unkalkulierbares Risiko eingegangen, das schließlich zu erheblichen Verlusten geführt habe. Auch wurde behauptet, die Staatsbank als größte Gläubigerin von Metex habe sich im Verlauf des Unternehmens-Konkurses zum Nachteil anderer Gläubiger abgesichert. Staatsregierung und Staatsbank reagierten schließlich mit einer Presseerklärung, in der jegliche negativen Auswirkungen des Metex-Konkurses auf die Staatsbank-Bilanz zurückgewiesen und ein Zusammenhang zwischen der öffentlichen Kritik an der Staatsbank und dem aktuell anlaufenden Landtagswahlkampf hergestellt wurden.180 Die Funktion des Untersuchungsausschusses nahm dann allerdings auf Antrag der Landtags-CSU der Ältestenrat des Bayerischen Landtags wahr – denn somit waren Verhandlungen unter Ausschluß der Öffentlichkeit möglich.181

Der Ministerrat hatte im Jahre 1954 – neben der eher außergewöhnlichen „Angelegenheit Kallenbach“ – eine Reihe von weiteren wichtigen Personalentscheidungen zu behandeln, von denen drei Bundesbehörden betrafen. Nicht konfliktfrei verlief hier die Neubesetzung der Präsidentenstelle des Landesarbeitsamtes Nordbayern in Nürnberg.182 Die Berufung des bisherigen Vizepräsidenten und komissarischen Leiters, die aus Sicht des bayerischen Arbeitsministeriums eigentlich nur eine Formalie hätte sein sollen, scheiterte am Widerstand des Bundesarbeitsministeriums, das politische Bedenken anmeldete – denn der Kandidat, dessen fachliche Qualifikation wohl unbestritten war, war SPD-Mitglied. Auch bei der Besetzung der Präsidentenstelle bei der Bundesbahndirektion Nürnberg kam es zu Unstimmigkeiten zwischen der Staatsregierung und dem Bundesverkehrsministerium, letzteres setzte sich hier gegen die bayerischen Personalvorschläge durch.183 Bei der Neubesetzung der Präsidentenstelle beim Bundesverfassungsgericht184 dagegen wurde im bayerischen Interesse verfahren: Im Januar 1954 war Verfassungsgerichtspräsident Hermann Höpker-Aschoff verstorben.185 Dessen Berufung war im Jahre 1951 gegen den Widerstand und gegen die Stimme Bayerns erfolgt, galt der FDP-Politiker Höpker-Aschoff hier doch als ausgewiesener Zentralist.186 Im März 1954 konnte mit dem Präsidenten des Oberlandesgerichts München und stellvertretenden Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, Josef Wintrich,187 ein bayerischer Vertreter als Bundesverfassungsgerichtspräsident installiert werden. Ebenfalls das Feld der Bundesjustizverwaltung betraf die Entscheidung über die Ernennung des Oberstaatsanwaltes Wilhelm Herlan zum Bundesanwalt; hier kam es wegen kritischer Nachfragen Bayerns und Nordrhein-Westfalens bezüglich der früheren staatsanwaltlichen Tätigkeiten Herlans in den besetzten Ostgebieten zu Verzögerungen.188

Die erste wichtige Personalentscheidung auf Landesebene betraf die Leitung der Obersten Baubehörde.189 Nachdem die Amtszeit des früheren Staatssekretärs für das Bauwesen und seit 1948 als Leiter der Obersten Baubehörde amtierenden Franz Fischer190 nicht bis Ende 1954, sondern nur bis Mitte des Jahres verlängert wurde, übernahm der bisherige Ministerialrat in der Baubehörde, der zwischenzeitlich zum Ministerialdirigenten beförderte Ludwig Wambsganz,191 zum 1. Juli 1954 die Leitung. Eine weitere Neubesetzung war im Präsidium der Bayerischen Staatsbank angezeigt;192 der Präsident der Staatsbank, Max Frhr. von Hellingrath,193 wechselte in die Privatwirtschaft und hatte um seine Entlassung gebeten. Der Ministerrat nahm diese Entscheidung mit sichtlichem Bedauern zur Kenntnis und berief den seit 1929 beim Direktorium der Staatsbank tätigen Alfred Jamin194 zum neuen Präsidenten. Ebenfalls neu zu besetzen war die Stellen der Präsidenten des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs195 und des Landesarbeitsgerichts.196 Auch die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz wurde im Jahre 1954 vakant, und zwar – ähnlich wie oben beschrieben im Falle des Staatsbank – durch einen Rücktritt.197 Der seit 1951 amtierende Leiter des Verfassungsschutzes im Range eines Regierungsdirektors, Karl Kurz,198 wünschte seine Rückkehr in den Bereich des Staatsministeriums der Justiz. Zum Nachfolger wurde auf Vorschlag von Innenminister Hoegner der frühere, dem bayerischen Polizeidienst entstammende Polizeibeamte Martin Riedmayr ernannt.199 Bemerkenswerterweise wurde bei der Behandlung dieser Personalie im Ministerrat weder die NSDAP-Mitgliedschaft Riedmayrs seit 1933 noch seine phasenweise erratische Berufsbiographie und sein Ruhestand zwischen 1949 und 1954 auch nur ansatzweise thematisiert. Es kann davon ausgegangen werden, daß Riedmayrs frühere Kontakte zum monarchistischen Widerstand in Bayern sowie insbesondere seine Verbindungen zur Organisation Gehlen, der Vorläuferin des Bundesnachrichtendienstes, ausschlaggebend für seine Berufung waren.

Ganz im Gegensatz hierzu verlief im Kabinett die Diskussion um die Neubesetzung der Leitung der Ministerialforstabteilung im Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten.200 Nach dem Ableben des bisherigen Abteilungsleiters präsentierte Landwirtschaftsminister Schlögl im Ministerrat vom 21. September zwei mögliche qualifizierte Nachfolgekandidaten, von denen ihm der eine allerdings aufgrund seiner politischen Belastung und der Einstufung als Mitläufer im Spruchkammerverfahren als inakzeptabel erschien. Nach längerer Debatte entschied der Ministerrat, die Ernennung von Abteilungsleitern grundsätzlich dem Ermessen des zuständigen Ressortministers zu überlassen. Eine weitere wichtige Personalentscheidung im Landwirtschaftsministerium war die Ernennung eines Ministerialdirektors, nachdem das Ressort haushaltstechnisch sechs Jahre lange keine Ministerialdirektorenstelle für den Behördenleiter zur Verfügung hatte.201

Mit Blick auf den Zuständigkeitsbereich des Staatsministeriums für Arbeit und Soziale Fürsorge war das Regierungsjahr 1954 – wie übrigens in anderen Ländern auch – durch heftige Tarifkonflikte und Arbeitskämpfe geprägt. Die schwierigen Tarifverhandlungen zwischen der Tarifgemeinschaft der deutschen Länder und der Gewerkschaft öffentliche Dienste und der Deutschen Angestelltengewerkschaft über markante Lohnerhöhungen fielen in das Ressort von Finanzminister Zietsch und seien hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt; ein politisches Großergeignis dagegen war der Metallarbeiterstreik in Bayern vom Sommer 1954. Bei diesem sogenannten „Bayernstreik“ handelte es sich um den härtesten Arbeitskampf der bayerischen Nachkriegsgeschichte.202

Streiks Im Jahre 1954 waren in einer Reihe von westdeutschen Tarifbezirken die Tarifverträge ausgelaufen, und in Anbetracht der positiven Konjunkturentwicklung seit Beginn der 1950er Jahre setzte die IG Metall nun markante Lohnerhöhungen auf ihre Agenda. Während andernorts – etwa im Tarifbezirk Stuttgart – durch Vermittlung der Politik Streiks abgewendet werden konnten, stimmten in Bayern die Arbeiter und Angestellten der Metallindustrie in einer Urabstimmung Ende Juli für einen Streik – nachdem Arbeitsminister Oechsle die Tarifparteien im Verlauf des Juli zu Verhandlungen in das Arbeitsministerium eingeladen hatte, die allerdings ohne Erfolg blieben. Bis zum 4. August strengte der bayerische Arbeitsminister noch dreimal und wiederum erfolglos Vermittlungsversuche an,203 bevor am 9. August der Streik begann. Der Arbeitskampf wurde von Anbeginn von beiden Seiten mit äußerster Härte geführt – auch innerhalb der Arbeiterschaft brachen schwere Konflikte zwischen Streikenden und Arbeitswilligen aus, es kam vor bayerischen Industriebetrieben – insbesondere in Amberg und Augsburg – zu zahlreichen Körperverletzungsdelikten und Straftaten. Das Innenministerium mußte den Einsatz von Land- und Bereitschaftspolizei anordnen, was im Nachgang noch für harte Kritik sorgte und eine Interpellation im Landtag zur Folge hatte: Die Polizeieinheiten seien überfordert, untätig und außerstande gewesen, den Gewaltaktionen der Streikenden entgegenzutreten.204 Mitte August 1954 nahm Arbeitsminister Oechsle seine Vermittlungsversuche wieder auf, diese mündeten schießlich in der Berufung eines Schiedgerichts, dessen Spruch am 31. August/1. September angenommen wurde. Aber auch nach Beendigung des langen und hart ausgefochtenen Streiks sollten die Konflikte noch weiter schwelen und in der bayerischen Industrie noch lange für ein schwer geschädigtes Klima zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sorgen: Unmittelbar nach Beendigung der Urabstimmung der IG Metall hatten die Arbeitgeber der bayerischen Metallindustrie auf Grundlage eines entscheidenden Passus des Schiedsspruchs205 in einer konzertierten Aktion begonnen, landesweit mit inhaltlich gleichlautenden Schreiben hunderten von IG-Metall-Mitgliedern, darunter zahlreiche Betriebräte und Vertrauensleute, fristlos zu kündigen.

Ebenfalls gefordert war das Arbeitsministerium bei Verhandlungen über das Personal des BMW-Werks in München-Allach.206 Hier wurden seit Kriegsende ausschließlich Reparaturarbeiten für den Fuhrpark der US-Besatzungsmacht ausgeführt. Im März kam es in dem Werk ohne Angabe von Gründen zur fristlosen Kündigung von 40 langjährig in Allach beschäftigten Arbeitern durch die Amerikaner. Hintergrund war der erstarkende Antikommunismus in der USA in der McCarthy-Ära, der nun auch Gewerkschaftsangehörige und SPD-Mitglieder in Bayern unmittelbar betraf. Der Ministerrat erörterte die Möglichkeit und die Erfolgsaussichten einer direkten Intervention beim amerikanischen Hohen Kommissar in dieser Angelegenheit, entschloß sich aber zunächst für Verhandlungen zwischen dem Arbeitsministerium und der Besatzugsmacht vor Ort – die jedoch erfolglos verliefen.207 Es kam schließlich in München zu einer Besprechung mit Vertretern des Heidelberger Hauptquartiers des US-Armee, als deren Ergebnis zwar die nochmalige Überprüfung der 40 Entlassungen vereinbart wurde, die Zukunft der Allacher BMW-Werkes aber negativ besiegelt wurde:208 Die Amerikaner wollten sich wegen mangelnder Auslastung und Rentabilität des Reparaturbetriebes endgültig aus Allach zurückziehen.

Aus dem Bereich des Staatsministeriums für Wirtschaft und Verkehr ist für das Regierungsjahr 1954 vor allem die Vorlage eines Landesentwicklungsplans für den Freistaat hervorzuheben.209 Dieser seit 1951 in Vorbereitung befindliche Plan, den Ministerpräsident Ehard in der Ministerratssitzung vom 29. Juni an die Kabinettsmitglieder überreichte, stand im Zusammenhang mit dem ebenfalls seit 1951 vorbereiteten Landesplanungsgesetz, das aber erst im Jahre 1957 zustande kommen sollte. Ein nur teilweise erfolgreiches Projekt des Wirtschaftsministeriums war die Errichtung eines Zentralstelle für Holzforschung in München.210 In enger Abstimmung zwischen dem Wirtschafts- und dem Kultusministerium war versucht worden, über den Weg der Abwerbung eines führenden Wissenschaftlers aus der Bundesanstalt für Forst- und Holzwirtschaft in Reinbek bei Hamburg, diese nach Bayern zu verlegen. Begründet wurde dies mit der großen Bedeutung der Forstwirtschaft für den Freistaat. Gegen die Verlegung der Bundesforschungsanstalt sprach sich letztendlich aber der Deutsche Bundestag aus, so daß es in München nur zur Gründung eines Universitätsinstituts für Holzforschung kam – was dann später wiederum zu nicht unerheblichen Konflikten zwischen den Münchner Staatsministerien führen sollte, da das Kultusministerium für das Holzforschungsinstitut Räumlichkeiten beanspruchte, die das Innenministerium jedoch für die Unterbringung des Landeskriminalamtes vorgesehen hatte.211

Verhältismäßig prominent vertreten waren auf den Tagesordnungen des Ministerrats im Jahre 1954 Angelegenheiten aus dem Bereich des Kultusministeriums. Neben den bereits beschriebenen großen Sachthemen Lehrerbildung und Reform der Lehrerbesoldung sind hier etwa die erneute Behandlung des bereits im Vorjahr beschlossenen gemeinsamen Ankaufs eines Botticelli-Gemäldes durch Bund und Länder zu nennen,212 ebenso der weitere, bereits 1953 beschlossene Ankauf von Kunstwerken aus dem Besitz der Wittelsbacher Landesstiftung im Wert von 1 Million DM; 1954 waren bisher nur Käufe für 500 000 DM getätigt worden.213 Endgültig ad acta gelegt wurde von der Staatsregierung Anfang 1954 die bereits 1952 von US-amerikanischen Museen initiierte Idee einer Wanderausstellung von Kunstwerken der Alten Pinakothek durch die USA.214 Neben den erheblichen konservatorischen Bedenken und problematischen Sicherheitsfragen, die einer Verschickung alter Kunstgüter grundsätzlich entgegenstanden, konnte und wollte die Staatsregierung auch nicht an einem früheren Landtagsbeschluß rühren, mit dem der Bayerische Landtag eine Leihgabe von Pinakotheksbeständen ins Ausland mit überwältigender Mehrheit abgelehnt hatte. Als großer Erfolg für die Außendarstellung des Freistaates im Ausland sollte sich dagegen die Ausstellung „Bayerisches Rokoko“ vom 19. November bis zum 5. Dezember 1954 in London erweisen.215 Im Ministerrat vom 24. August behandelte das Kabinett den Entwurf einer von den Finanz- und Kultusministern der Länder ausgehenden Verwaltungsvereinbarung über die vorläufige Regelung der Verwaltung des Kulturbesitzes des ehemaligen Landes Preußen.216 Diese kulturelle Gemeinschaftsaufgabe all jener Bundesländer, die sich aus territorialen Gründen als Nachfolgeländer des ehemaligen Landes Preußen sahen, sollte im Jahre 1957 von der per Bundesgesetz errichteten Stiftung „Preußischer Kulturbesitz“ übernommen werden. Die Verwaltungsvereinbarung von 1954 schien der Staatsregierung von nur untergeordneter Relevanz, da sich, wie Innenminister Hoegner betonte, „in Bayern kein Kulturbesitz des ehemaligen Landes Preußen befinde.“ Allerdings eröffnete Kultusstaatssekretär Brenner in diesem Zusammenhang seinen Kabinettskollegen die – laut übereinstimmender Meinung des Kabinetts unzutreffende – Behauptung einer Denkschrift aus Berlin, nach der die Münchner Schack-Galerie preußischer Kulturbesitz und ihre Übertragung auf das Reich im Jahre 1940 unwirksam gewesen sei.

Anders für den Freistaat entwickelte sich dagegen die Auseinandersetzung um die Eigentumsrechte an einem weiteren Kunstwerk, die in einen langwierigen juristischen Prozeß münden sollte: Es handelte sich um die Forderung der Stadt Köln auf Rückgabe eines Bildes von Cranach d. Ä. Das Bild „Madonna mit dem Kinde“ war im Jahre 1938 von der Stadt Köln an Hermann Göring217 anläßlich der Geburt von dessen Tochter Edda218 als Geschenk überreicht worden.219 Nach 1945 kam das Bild mit anderen Kunstgütern der Sammlung Görings in den Central Art Collecting Point am Münchner Königsplatz. Seit 1949 bemühte sich die Kölner Stadtverwaltung um die Rückführung des Kunstwerkes, da die Schenkung von 1938 nur unter Druck und widerrechtlichen Drohungen erfolgt sei. Die Bemühungen Kölns blieben jedoch vorerst ohne Erfolg, da das Staatsministerium der Finanzen konsequent an dem Rechtsstandpunkt festhielt, daß das Bild als Privateigentum Görings einzuordnen und somit auf Grundlage der Spruchkammerentscheidung rechtmäßig zugunsten des Freistaates Bayern eingezogen worden sei. Auch wenn man das Gemälde nicht als Privatbesitz, sondern als NSDAP-Parteivermögen klassifizieren würde, so sei der Übergang in den Besitz des Freistaates aufgrund gültiger Kontrollratsgesetzgebung erfolgt. Erst im Jahre 1968, nach einer über anderthalb Jahrzehnte dauernden rechtlichen Auseinandersetzung zwischen der Stadt Köln, dem Freistaat Bayern und Edda Göring, wurde das Cranach-Bild nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Köln Mitte 1968 wieder von Bayern in das Rheinland überführt.

Auch im Regierungsjahr 1954 waren Bauvorhaben und Wiederaufbaumaßnahmen weiterhin ein zentrales Thema der Kabinettsberatungen, nicht nur im Zusammenhang mit den oben bereits beschriebenen Verhandlungen über den außerordentlichen Haushalt. Für den Wiederaufbau der von den Nationalsozialisten zerstörten evangelischen Münchner Matthäuskirche wurden in 1954 vom Freistaat weitere 600 000 DM zur Verfügung gestellt, trotzdem kam es zu Spannungen mit der Evangelischen Landeskirche, die sich darüber verstimmt zeigte, daß staatlicherseits nicht die gesamten Baukosten übernommen wurden, sondern für das Folgejahr 1955 als Unterstützung nur ein „angemessener Betrag“ vorgesehen war.220 Erneut auf der Tagesordnung stand auch die im Vorjahr beschlossene Neubebauung des Maxburg-Geländes in der Münchner Innenstadt, für die nun die Finanzierungspläne und vertraglichen Grundlagen mit den Bauträgern endgültig abgeschlossen wurden.221 Ebenfalls wiederholt Thema im Ministerrat war der Wiederaufbau der Alten Akademie in der Münchner Neuhauserstraße. Neben der Unterbringung des Bayerischen Statististischen Landesamtes war in diesem repräsentativen Gebäude in Bestlage auch der Einbau einer Gastwirtschaft geplant. Insgesamt sieben mal hatte das Kabinett sich mit der Verpachtung dieser Räume zu beschäftigen – denn die Absicht der Staatlichen Brauerei Weihenstephan, mit der Anpacht der Räumlichkeiten wieder in der Münchner Innenstadt vertreten zu sein, stieß auf den erbitterten Widerstand der Münchner Großbrauereien. Diese waren nicht gewillt, in der „Münchner Bierstraße“ in einem staatlichen Gebäude die Konkurrenz einer staatlichen Brauerei zu dulden. Der Konflikt endete, indem schließlich die Firma Hettlage den Zuschlag für die Einrichtung eines Cafes in der Alten Akademie erhielt.

Straßenbau Zentrale Bauvorhaben waren der bereits im Zusammenhang mit der Haushaltsaufstellung 1954 behandelte Straßenbau bzw. der Ausbau der Landstraßen I. Ordnung,222 ferner der Bau der Bundesautobahn von Frankfurt über Würzburg nach Nürnberg.223 Nicht unmittelbar in der Verantwortung des Bundes oder des Freistaates fallend, aber für Bayern nichtsdestotrotz bedeutsam waren die österreichischen Pläne zum Ausbau der Autobahn von Salzburg nach Wien.224 Im Ministerrat vom 16. Juni schließlich präsentierten Vertreter der Stadt München den Kabinettsmitgliedern die Pläne zur Verbindung der drei aus den Richtungen Augsburg, Nürnberg und Salzburg auf die Landeshauptstadt zuführenden Autobahnen in einem Autobahnkreuz in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofes.225 In Abkehr von den seit den 1930er Jahren bestehenden Planungen eines Autobahnrings rund um München war nach dem Vorbild der Verkehrsplanung in US-amerikanischen Großstädten nun geplant, die drei Fernstraßen über jeweils rund 15 Kilometer Wegstrecke auf Spannbetontrassen in mehreren Metern Höhe quer durch den Münchner Innenstadtbereich zu leiten und in dem Areal zwischen Hacker- und Donnersbergerbrücke in einem Autobahndrehkreuz zusammenzuführen. Diese sogenannte Sternlösung blieb bis ins Jahr 1958 in der Diskussion, bevor der Münchner Stadtrat sich dann aus Kosten- und Zeitgründen für den Bau des Mittleren Rings entschied.

Eine weiteres Wiederaufbauprojekt in der Landeshauptstadt, das zwar nicht von Seiten des Freistaates betrieben, aber mit einer staatlichen Spendenbeteiligung durchgeführt wurde, war die Wiederrichtung des 1907 in der Münchner Prinzregentenstraße erbauten, im Jahre 1937 dann abgetragenen und eingelagerten Hubertusbrunnens.226 Der Wiederaufbau des Brunnens am östlichen Ende des Nymphenburger Kanals in München-Neuhausen stand dabei in engem Zusammenhang mit den Feierlichkeiten zum 85. Geburtstag des bayerischen Kronprinzen.