1. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung eines Bundeskriminalpolizeiamtes (Bundeskriminalamt)1
U1Vgl. Nr. 108 TOP II.
1Regierungsrat Bußlerberichtet, das Gesetz sei am 26. Oktober 1950 im Bundestag2 verabschiedet worden, wobei die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen nicht berücksichtigt worden seien.3 Der Ausschuß für Innere Angelegenheiten des Bundesrates hat daher am 4. November empfohlen, den Vermittlungsausschuß anzurufen, der Koordinierungsausschuß schließe sich dieser Empfehlung an.4
2Hier im Registraturexemplar wie in der Vorlage ursprünglich irrtümlich: „Bundesrat“. Der Bundestag hatte den Gesetzentwurf in der Fassung der BT-Drs. Nr. 1273 u. 1459 in seiner 95. Sitzung vom 26. 10. 1950 angenommen.3Zu den Änderungsvorschlägen des Bundesrates vgl. das Kurzprotokoll über die Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten vom 15. Juni 1950 in Bonn, Bundeshaus (StK-GuV 14890) sowie die BR-Drs. Nr. 444/50 .4Vgl. das Kurzprotokoll über die 26. Sitzung des Ausschusses für Innere Angelegenheiten am 4. November 1950 um 9.30 Uhr in Bonn, Bundeshaus (StK-GuV 14890); Kurzprotokoll über die 45. Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei vom 6. November 1950 (Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1).
2Staatsminister Dr. Ankermüller fügt hinzu, der Beschluß des Ausschusses sei mit Mehrheit erfolgt, auch Bayern stehe auf dem Standpunkt, daß der Vermittlungsausschuß angerufen werden müsse. Die erhobenen Bedenken seien zum Teil recht schwerwiegend, z.B. dagegen, daß der Gesetzentwurf die Möglichkeit der Übertragung von Exekutivbefugnissen an Bundesbehörden, das Weisungsrecht einer Bundesbehörde und ähnliche Bestimmungen vorsehe. Er halte es für notwendig, daß im Bundesrat eine Erklärung abgegeben werde, warum Bayern dem Entwurf nicht zustimmen könne und sich zur Anrufung des Vermittlungsausschusses entschlossen habe.5
5Die Länder Bayern und Nordrhein-Westfalen stellten für die zwei Tage nach der vorliegenden Ministerratssitzung, für den 10. 11. 1950, anberaumte 39. Sitzung des Bundesrates einen Antrag, der die Begründung für die Anrufung des Vermittlungsausschusses betraf. Die Formulierung des Antrags, die dann Eingang in die offizielle Stellungnahme des Bundesrates (s.u. Anm. 6) fand, besagte im Wortlaut: „1. Der Bundesrat hält eine Neufassung des § 4 des Gesetzesentwurfs für erforderlich, da die jetzige Formulierung hinsichtlich der Übertragung der Exekutivgewalt und des Weisungsrechts an das Bundeskriminalamt nicht tragbar erscheint. 2. Der Bundesrat hält es für erforderlich, daß der insbesondere aus § 3 des Gesetzes zu folgernde Charakter des Gesetzes als Zustimmungsgesetz in der Verkündungsformel klargestellt wird. 3. Der Bundesrat hält es für erforderlich, das Gesetz durch eine Bestimmung zu ergänzen, welche die Bundesregierung ermächtigt, im Interesse wirksamer Verbrechensbekämpfung durch Vereinbarung mit dem Land Berlin den Geltungsbereich des Gesetzes auf das Land Berlin zu erweitern.“ (StK-GuV 14890).
3Staatsminister Dr. Pfeiffer macht darauf aufmerksam, daß schon verschiedentlich von den einzelnen Ländern die Möglichkeit, den Vermittlungsausschuß anzurufen, verschiedenartig begründet worden sei, wodurch sich in einzelnen Fällen Schwierigkeiten ergeben hätten.
4Der Ministerrat beschließt, sich für die Anrufung des Vermittlungsausschusses auszusprechen.6
6Als Präsident des Deutschen Bundesrates rief MPr. Ehard den Vermittlungsausschuß offiziell mit Schreiben vom 10. 11. 1950 an (Abdruck als BR-Drs. Nr. 925/50 u. BT-Drs. Nr. 1598 ). Zum Fortgang s. Nr. 133 TOP I/7, Nr. 137 TOP I/30 u. 1/31.
2. Entwurf eines Gesetzes über den Verkehr mit Zucker (Zuckergesetz)7
U7Vgl. Nr. 107 TOP I/21.
1Regierungsrat Bußler führt aus, auch hier handle es sich um einen Rückläufer, der Bundestag habe zwar einige Abänderungsvorschläge des Bundesrates berücksichtigt, trotzdem bestünden aber noch eine Reihe von grundsätzlichen Bedenken. Unter anderem könne nach § 5 Abs. 4 des Gesetzes der Bundesernährungsminister den Zuckerfabriken und den Handelsgeschäften unmittelbar Lieferungsauflagen erteilen.8 Der Agrarausschuß habe sich mit dieser Frage bereits befaßt und trotz gewisser Bedenken empfohlen, dem Gesetz zuzustimmen. Andererseits halte aber das B. Landwirtschaftsministerium nach wie vor gegen § 5 Abs. 4 grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken aufrecht. Der Koordinierungsausschuß habe sich deshalb auch dafür ausgesprochen, auch bei diesem Gesetzentwurf den Vermittlungsausschuß anzurufen.9
8Der Bundestag hatte das Zuckergesetz in seiner Sitzung vom 27. 10. 1950 in der Fassung der BT-Drs. Nr. 1495 gebilligt. Der bayerischerseits beanstandete § 5 Abs. 4 dieser Gesetzesfassung lautete: „Der Bundesminister kann zur Sicherstellung der Versorgung den Zuckerfabriken und dem Zuckerhandel bestimmte Lieferauflagen erteilen.“9Vgl. zur Haltung des Koordinierungsausschusses im Detail: Kurzprotokoll über die 45. Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei vom 6. November 1950 (Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1).
2Staatssekretär Sühler betont, daß das Landwirtschaftsministerium auch mit der in § 810 vorgesehenen Mitarbeit des Marktverbandes nicht einverstanden sein könne.11
10Hier in der Vorlage irrtümlich: „§ 7“.11Der beanstandete § 8 der BT-Drs. Nr. 1495 lautete: „(1) Der Bundesminister kann sich zur Vorbereitung und technischen Durchführung der im Gesetz vorgesehenen Aufgaben eines Marktverbandes bedienen. (2) Dem Marktverband dürfen hoheitliche Aufgaben nicht übertragen werden.“
3Es wird vereinbart, bis zur nächsten Bundesratssitzung die erforderlichen Gegenvorschläge zu formulieren und den Vermittlungsausschuß anzurufen.
4Staatsminister Dr. Pfeiffer schlägt noch vor, bei dieser Gelegenheit überhaupt grundsätzlich darauf hinzuweisen, daß die Bayerische Regierung die Ernährungsgesetze des Bundes für bedenklich halte.12
12Zu den im Jahre 1950 initiierten Ernährungsgesetzen, die die Bewirtschaftung von Milch und Milcherzeugnissen, Getreide, Brot, Zucker und Fleisch betrafen, vgl. Nr. 105 TOP II/2, Nr. 107 TOP I/20, Nr. 107 TOP I/21, Nr. 111 TOP I u. II.
5Staatssekretär Sühler fügt hinzu, es sei unverständlich, daß man vom Bund aus die Marktordnung in eine Reihe von Gesetzen aufsplittere; er halte es für zweckmäßiger, ein einheitliches Gesetz zu machen, in dem die gesamte Marktordnung einheitlich geregelt werde.13
13Gesetz über den Verkehr mit Zucker (Zuckergesetz) vom 5. Januar 1951 (BGBl. I S. 47 ).
3. Entwurf eines Zweiten Gesetzes über Rheinschifferpatente14
U14Vgl. Nr. 118 TOP III/6.
4. Entwurf einer Verordnung betr. Außerkraftsetzung von Güterfernverkehrsgenehmigungen15
U15Vgl. Kabinettsprotokolle
1950 S. 750 u. 825
. Abdruck von Entwurf und Begründung als BR-Drs. Nr. 874/50 . – Verordnung betreffend Außerkraftsetzung von Güterfernverkehrsgenehmigungen vom 18. November 1950 (BAnz. Nr. 230,29. 11. 1950).
1Der Ministerrat erklärt sich mit diesen beiden Entwürfen einverstanden.
5. Entwurf einer Gebührenordnung für die Benutzung der Bundesautobahnen16
U16S. im Detail StK-GuV 10744. Vgl. Kabinettsprotokolle
1950 S. 756
ff., 823 f. u. 831. Abdruck von Entwurf und Begründung als BR-Drs. Nr. 872/50 .
6. Entwurf eines Treibstoffsteuergesetzes17
U17S. im Detail StK-GuV 16318, Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 644. Zur Frage der Bewirtschaftung von Treibstoffen s. allgemein StK 14289. Vgl. Kabinettsprotokolle
1950 S. 756 ff., 823 f., 831 , 875
. Abdruck von Entwurf und Begründung als BR-Drs. Nr. 871/50 . Die beiden Gesetzentwürfe betreffend die Erhebung von Autobahngebühren und die Einführung einer Treibstoffsteuer waren in Verbindung mit der Ergänzungsvorlage zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 1950 vom BMF vorgelegt worden in der Absicht, durch die Erhebung dieser Abgaben die Deckung von einer Mehrbelastung von ca. 132 Millionen DM zu erreichen, die dem Bundeshaushalt für das Rechnungsjahr 1950 durch die Finanzaufwendungen für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (s. Nr. 117 TOP III/17, Nr. 118 TOP III/13, Nr. 130 TOP I/1) entstand.
7. Ergänzungsvorlage zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Rechnungsjahr 195018
U18Vgl. Kabinettsprotokolle
1950 S. 903
. Abdruck von Entwurf und Begründung als BR-Drs. Nr. 879/50 . Zum Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans 1950 vgl. Nr. 126 TOP IV/11, Nr. 129 TOP I/Al.
1Ministerialrat Wagenhöfer stellt zunächst fest, daß die drei Entwürfe inhaltlich zusammenhingen und auch gemeinsam in der nächsten Sitzung des Finanzausschusses am 9. November beraten werden sollen. Der Koordinierungsausschuß habe sich eingehend damit beschäftigt und empfehle, sowohl im Finanzausschuß wie im Bundesrat darauf hinzuwirken, daß die drei Vorlagen der Bundesregierung zurückgezogen würden, bis mit Rücksicht auf die noch zu erwartenden aber noch nicht genau zu übersehenden Mehrbelastungen des Haushalts von der Bundesregierung ein Gesamtforderungsprogramm ausgearbeitet werden könne.19 Wenn eine Zurückziehung nicht erreicht werden könne, so empfehle der Koordinierungsausschuß mit Mehrheit die Ablehnung der drei Vorlagen. Allerdings habe das Finanzministerium Bedenken, das Treibstoffsteuergesetz abzulehnen, da es die Notwendigkeit anerkenne, für den Bundeshaushalt neue Einnahmen zu erschließen. An sich sei es nicht gerade vorteilhaft, zwei kleine Steuergesetze allein vorzulegen, die einen bestimmten Personenkreis belasten, zumal ja doch früher oder später ein Gesamtfinanzierungsprogramm ausgearbeitet werden müsse. Er selbst halte es für ausreichend, wenn der Bundesrat die Zurückziehung der drei Entwürfe empfehle. Übrigens sei die Begründung zu dem Treibstoffsteuergesetz denkbar unglücklich, weil sie in keiner Weise auf den gesamten Zusammenhang hinweise.20
19Vgl. das Kurzprotokoll über die 45. Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei vom 6. November 1950 (Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1).20Die allgemeine Begründung zum Treibstoffsteuergesetz (wie Anm. 17) führte aus: „Unter zwei Gesichtspunkten ist eine ‚Benzinsteuer‘ wiederholt propagiert worden: unter dem der Drosselung des Kraftfahrverkehrs und dem, Mittel für die Straßenunterhaltung und verwandte Aufgaben zu schaffen. Derartige Ziele liegen dem vorliegenden Treibstoffsteuergesetz fern. Es ist restlos aus der Notwendigkeit geboren, der Bundesrepublik Haushaltsmittel zuzuführen, damit sie ihre Aufgaben erfüllen kann. Wenn hierzu der Treibstoff als Steuergegenstand gewählt wurde, so deshalb, weil es im Augenblick noch nicht möglich ist, die Neuregelung des Mineralöl-Preis- und Abgabensystems durchzuführen und so aus dieser Steuerquelle die erforderlichen und aus ihr zu erwartenden Haushaltsmittel zu erhalten. Als im Herbst 1949 die Frage auftrat, ob eine Treibstoffsteuer oder eine Preiserhöhung vorzuziehen sei, wurde als Sofortmaßnahme die Preiserhöhung gewählt (Preisanordnung PR Nr. 90/49 v. 21. Dezember 1949). Mit dem Gesetz vom 19. Juni 1950 – Neuordnung der Treibstoffpreise – wurden dann die beim ZB aus der Mineralölverteilung nach der genannten Preisanordnung und dem Gesetz vom 19. 6. 1950 angefallenen und anfallenden Überschüsse zu Gunsten des Bundes abgeschöpft, weil sie der Mineralölwirtschaft nicht zustanden. Dabei wurde mit einer baldigen Aufhebung der Bewirtschaftung und einer Freigabe der Preise gerechnet, womit es voraussichtlich auch zu einer Erhebung der Eingangsabgaben auf Rohöl in voller tarifmäßiger Höhe gekommen wäre. Die Bewirtschaftung und Preisbindung konnte nicht aufgegeben werden. Die Eingangsabgaben kommen daher immer noch nur für die Fertigwaren voll zur Erhebung. Für die Zeit, bis die Abgaben aus dem Mineralöl neu geregelt sind, muß im Hinblick auf die allgemeine Finanzlage eine Zwischenlösung gefunden werden.“ Vgl. zu den hier angesprochenen Maßnahmen zur Bewirtschaftung und Preisbindung von Treibstoffen auch Nr. 95 TOP I/13, 102 TOP I/3, Nr. 106 TOP I/1.
2Ministerpräsident Dr. Ehard wendet sich gleichfalls gegen die Entwürfe, besonders, nachdem schon bisher eine Reihe von Belastungen für den Fährverkehr bestünden.
3Ministerialrat Wagenhöfer fährt fort, gegen die Gebührenordnung für die Benutzung der Bundesautobahnen würden sehr gewichtige Gründe geltend gemacht, die zum Teil auch verfassungsrechtlicher Art seien. Die Gebühr werde ja nicht nur zur Unterhaltung der Autobahnen verwendet, sondern für allgemeine Haushaltsaufgaben.21
21Die Begründung zur Gesetzesvorlage (wie Anm. 16) war im Hinblick auf die Zweckgebundenheit einer möglichen Autobahnbenutzungsgebühr tatsächlich nicht ganz eindeutig: „Die gesteigerten Ausgaben, die dem Bundeshaushalt durch das Bundesversorgungsgesetz erwachsen, machen es unmöglich, ohne besondere Vorkehrungen in dem bisherigen Umfang Haushaltsmittel für die Unterhaltung und den Ausbau der Bundesautobahnen und sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs vorzusehen. Wenn deshalb die Instandsetzung und eine gewisse Verbesserung der Bundesautobahnen und Bundesfernverkehrsstraßen gesichert werden soll, ist es unumgänglich, alle vorhandenen rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, um dem Bundeshaushalt neue Dekkungsmittel zuzuführen. Nach §6 des Reichsautobahngesetzes vom 29. Mai 1941 (RGBl. I S. 313 ) haben die, Reichsautobahnen‘ das Recht, Benutzungsgebühren zu erheben. Von diesem Recht ist bisher kein Gebrauch gemacht worden, da die Reichsautobahnen in den Jahren nach 1934 durch Abzweigung von Teilen des Aufkommens der Beförderungssteuer, der Mineralöl-Ausgleichsteuer und der Mineralölzölle finanziert wurden. Nach dem 8. Mai 1945 haben die Länder die früheren Reichsautobahnen aus Haushaltsmitteln unterhalten und teilweise wiederhergestellt. Im Entwurf des Bundeshaushalts 1950 sind ebenfalls keine besonderen Deckungsmittel für die Aufwendungen der Bundesautobahnen enthalten. Die veränderte Finanzlage des Bundes zwingt dazu, nunmehr von der bereits bestehenden gesetzlichen Möglichkeit, eine Benutzungsgebühr zu erheben, Gebrauch zu machen. Dabei ist davon auszugehen, daß das Recht zur Erhebung einer Gebühr, das nach § 6 des Reichsautobahngesetzes dem Unternehmen ‚Reichsautobahnen‘ zustand, nach Artikel 90 des Grundgesetzes auf den Bund übergegangen ist.“
4Staatsminister Frommknechtteilt mit, der Verkehrsausschuß habe die Entwürfe abgelehnt, aber auch einen Ausschuß aufgestellt, der neue Vorschläge vorbereiten solle.22
22Auszug aus der Niederschrift der Sitzung des Bundesratsausschusses für Verkehr und Post vom2. 11. 1950 enthalten in StK-GuV 10744 u. Stk-GuV 16318.
5Der Ministerrat beschließt sodann, der Empfehlung des Koordinierungsausschusses folgend auf die Zurückziehung der Vorlagen hinzuwirken23
23Zum Fortgang s. Nr. 133 TOP I/1 (Treibstoffsteuergesetz) und TOP I/2 (Autobahnabgabe). Die Frage der Erhebung einer Autobahngebühr stand noch im Jahr 1951 wiederholt auf der Agenda von Bundeskabinett und Bundesrat. Der Bundesrat lehnte die Autobahnabgabe endgültig in seiner 72. Sitzung am 9. 11. 1951 ab. Vgl. Kabinettsprotokolle
1951 S. 63
f., 643 f., 664 f., 781; BR-Drs. Nr. 714/51 .
8. Entwurf einer Ersten Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung24
U24Vgl. Nr. 97 TOP I/9, Nr. 98 TOP I/7, Nr. 104 TOP I/10, Nr. 106 TOP I/9, Nr. 107 TOP I/7, Nr. 114 TOP II/5; Kabinettsprotokolle
1950 S. 749
.Abdruck des Entwurfs als BR-Drs. Nr. 878/50 .
1Ministerialrat Wagenhöferstellt fest, daß das Finanzministerium Bedenken nicht erhebe und die Zustimmung vorschlage.
2Der Ministerrat erklärt sich einverstanden.25
25Erste Verwaltungsanordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Finanzverwaltung vom 23. November 1950 (BAnz. Nr. 232, 1. 12. 1950).
9. Berufung von Mitgliedern des vorläufigen Bewertungsbeirates gemäß § 2 Abs. 2 des Gesetzes über die Bildung eines vorläufigen Bewertungsbeirates26
U26Vgl. Nr. 106 TOP I/14, Nr. 117 TOP III/2. Der § 2 Abs. 2 des Gesetzes (BGBl. 1950 S. 682 ) lautete: „Die Mitglieder werden auf Vorschlag des Bundesrates durch den Bundesminister der Finanzen im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten berufen; dieser hat die Berufsorganisationen der Land- und Forstwirtschaft zu hören. Die Berufung kann nur aus einem wichtigen Grund mit Zustimmung des Bundesrates zurückgenommen werden. An Stelle eines ausscheidenden Mitglieds ist ein neues Mitglied zu berufen. Die Mitglieder müssen über ausreichende Sachkenntnis verfügen. Die Berufung gilt bis zum 31. Dezember 1952; sie kann von dem Bundesminister der Finanzen verlängert werden.“
1Ministerialrat Wagenhöferfährt fort, auch hier empfehle der Koordinierungsausschuß der Vorschlagsliste des Agrarausschusses,27 auf der sich auch Herr Oberregierungsrat Dr. Lauerbach28 vom Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten befinde, zuzustimmen.27Abdruck dieser Vorschlagsliste des Agrarausschusses des Bundesrates als BR-Drs. Nr. 886/50 . Vgl. das Kurzprotokoll über die 45. Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei vom 6. November 1950 (Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1).28
2Die Zustimmung wird erteilt.
10. Benennung der in den Parlamentarischen Beirat für handelspolitische Vereinbarungen zu entsendenden Beauftragten des Bundesrates U
1Ministerpräsident Dr. Ehardführt aus, es handle sich hier bekanntlich um einen gemeinsamen Beirat aus Mitgliedern des Bundestages und Bundesrates. Diesen sollten unter anderem Senator Harmssen29 (Bremen), Minister Stü- binger30 (Rheinland-Pfalz), Staatsrat Rattenhuber, Minister Spiecker31 (Nordrhein-Westfalen), Ministerialdirektor Magnus32 (Hessen) usw. angehören.29In der Vorlage irrtümlich: Harmsen. – Gustav Wilhelm Harmssen (1890–1970), 1945–1953 Senator für Wirtschaft und Außenhandel der Freien Hansestadt Bremen (Bremer Demokratische Volkspartei – BDV).30Dipl.-Ing. agr. Oskar Stübinger (1910–1988), Gutsbesitzer, Minister, 1931/32 Studium der Landwirtschaft Universität Bonn, 1934 Übernahme des väterlichen Weinguts, 1939 Übernahme des Musterguts Dreihof bei Landau, 1940/41 u. 1944/45 Weltkriegsteilnahme, nach Kriegsende Gründungsmitglied der CDU in der Pfalz, 1946–1968 Minister für Landwirtschaft, Weinbau und Forsten in Rheinland-Pfalz, Juni/Juli 1947 zugleich rheinland-pfälzischer Minister für Wirtschaft und Finanzen, Mitglied des Verwaltungsausschusses der Landwirtschaftskammer Hessen-Pfalz, Präsident der Raiffeisenverbände Rheinpfalz e.V. und Rhein-Main e.V.31Dr. phil. Carl Spiecker (1888–1953), 1922/23 Verlagsdirektor des Zentrumsorgans „Germania", 1923–1925 MD und Leiter der Presseabt. der Reichsregierung, 1925–1930 AA, 1933–1945 Emigration, 1. 9. 1947 Bevollmächtigter des Landes Nordrhein-Westfalen im Länderrat des VWG, seit 5. 4. 1948 im Range eines Ministers, 7. 9. 1949 Bevollmächtigter Nordrhein-Westfalens beim Bund, 20. 5. 1953 Minister für Angelegenheiten des Bundesrates, 1946 Mitbegründer der Zentrumspartei, März 1949 CDU; vgl. Lexikon der Christlichen Demokratie S. 371 f.32Dr. jur. Kurt Magnus (1887–1962), Rechtsanwalt, Rundfunkexperte, 1919–1922 Assessor bei der Brandenburgischen Provinzialverwaltung Berlin, 1923 Aufsichtsrats-, dann Vorstandsmitglied des VOX-Schallplattenkonzerns Berlin, Mitbegründer des Radiosenders Funkstunde AG Berlin, Mitbegründer und 1925–1933 Direktor der Reichs-Rundfunkgesellschaft GmbH Berlin, 1933–1935 Inhaftierung durch das NS-Regime, 1945–1951 MD im Hessischen Wirtschafts- und Verkehrsministerium, Vorsitzender des Rundfunkrates, später des Verwaltungsrates des Hessischen Rundfunks, 1951–1962 Präsident des Goethe-Instituts zur Pflege der deutschen Sprache im Ausland, München, Namenspatron der im Jahre 1962 von der ARD gegründeten Kurt-Magnus-Stiftung und des von dieser jährlich vergebenen Kurt-Magnus-Preises für Nachwuchstalente im Hörfunk.
2Der Ministerrat erteilt der Vorschlagsliste seine Zustimmung.
11. Entwurf einer Entschließung des Bundesrates zur Herbeiführung einer Verbesserung der finanziellen Lage der Sozialversicherungsrentner U
1Ministerialrat Wagenhöfer vertritt die Auffassung, daß es sich hier um einen zum Teil aus politischen Motiven gestellten Antrag von Niedersachsen handle.33 Es sei wohl notwendig, noch das Ergebnis der Beratungen des Sozial- und des Finanzausschusses des Bundesrates abzuwarten, weshalb auch der Koordinierungsausschuß die Überweisung an diese Ausschüsse empfohlen habe.34
33S. StK 14808. Die niedersächsische Regierung hatte am 26. 10. 1950 im Bundesrat den Entwurf einer Entschließung zur Herbeiführung einer Verbesserung der finanziellen Lage der Sozialversicherungsrentner eingebracht. Abdruck als BR-Drs. Nr. 882/50 . Wegen der gestiegenen Lebenshaltungskosten sollte die Bundesregierung, so der Entschließungsentwurf, zur Entlastung der Empfänger von Renten und Invalidenversicherungen gebeten werden, „durch geeignete Maßnahmen noch in diesem Jahre dem Elend unter den Sozialversicherungsrentnern durch Verbilligung der Lebenshaltung oder durch Zulagen zu den Renten zu steuern [sic!].“34Vgl. Kurzprotokoll über die 45. Koordinierungsbesprechung für Bundesangelegenheiten in der Bayerischen Staatskanzlei vom 6. November 1950 (Bevollmächtigter Bayerns beim Bund 9/1).
2Staatsminister Krehle stellt fest, daß tatsächlich eine Erhöhung der Sozialrenten um 14 bis 16% unbedingt notwendig sei und sich nicht mehr länger hinausschieben lassen könne.
3Ministerpräsident Dr. Ehard erkundigt sich, ob der Bundesrat nicht gleich diese Entschließung fassen könne, nachdem mit der Verweisung an die Ausschüsse wohl nicht sehr viel gedient sei.
4Staatsminister Dr. Seidel vertritt dagegen die Auffassung, daß man die Überweisung doch wohl vornehmen müsse, da ja die Erhöhung der Sozialrenten mehr oder weniger auf dem Rücken der Länder ausgetragen werde und man deshalb doch wohl vorsichtig sein müsse.
5Der Ministerrat beschließt sodann, für die Überweisung an den Sozial- und Finanzausschuß einzutreten.35
35Der Sozialpolitische Ausschuß des Bundesrates beschloß in seiner Sitzung vom 24. 11. 1950 mit Zustimmung des Vertreters Niedersachsens, den Entschließungsantrag bis Mitte 1951 zurückzustellen, um die Vorlage konkreten Zahlenmaterials durch das BMA und das BMI abzuwarten. Vgl. den Auszug aus dem Kurzprotokoll der Sitzung des Sozialpolitischen Ausschusses des Bundesrates vom 24. 11. 1950 (StK 14808).
12. Entwurf einer Entschließung des Bundesrates wegen Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde36
U36Es handelte sich bei dem Entwurf einer Entschließung des Bundesrates wegen Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde um einen Initiativantrag des Landes Niedersachsen. Vgl. den Sitzungsbericht über die 39. Sitzung des Deutschen Bundesrates in Bonn am 10. November 1950 S. 748. Abdruck des Entschließungsentwurfs als BR-Drs. Nr. 881/50 . Für die Auszahlung von Blindengeld an Friedensblinde bestanden nur in Bayern und Hessen Sonderregelungen, mit seinem Antrag zielte Niedersachsen auf eine bundeseinheitliche Regelung. Vgl. auch Nr. 74 TOP III, Nr. 114 TOP I, Nr. 115 TOP I, Nr. 117 TOP II.
1Ministerpräsident Dr. Ehard erklärt, hier sei dieselbe Situation wie bei Punkt 11. Es müßte also auch das Ergebnis der Ausschußberatungen abgewartet werden. Im übrigen stehe in der Begründung des niedersächsischen Antrags ausdrücklich, daß in der Gewährung von Blindengeld an Friedensblinde steuerschwache Länder wie Bayern vorangegangen seien37
37Vgl. BR-Drs. Nr. 881/50 : „Durch die wirtschaftliche Notlage wurde in den Friedensblinden der Wunsch nach Gleichstellung mit den Kriegsblinden, d. h. nach Gewährung eines Blindengeldes, erneut wachgerufen. Entsprechende Anträge aus den Kreisen der Blindenverbände haben in den Ländern des Bundesgebietes zu unterschiedlichen Hilfsmaßnahmen geführt. Dabei ist festzustellen, daß die Länder, deren Steueraufkommen gering und deren soziale Belastung groß ist, den Friedensblinden nur eine geringe Fürsorge zuteil werden lassen können, obwohl die Lage in diesen Ländern durch die allgemein angespannte Wirtschaftslage besonders schlecht ist. Bisher haben nur die Bemühungen in Bayern und Hessen Erfolg gehabt.“ Zum Fortgang s. Nr. 134 TOP I/17.
13. Verordnung über die Heraufsetzung des Mindestmaßes fangfähiger Schollen38
U38S. im Detail StK-GuV 16632. Abdruck von Entwurf und Begründung als BR-Drs. Nr. 904/50 . – Verordnung über die Heraufsetzung des Mindestmaßes fangfähiger Schollen vom 20. November 1950 (BAnz. Nr. 239, 12. 12. 1950).
1Bedenken werden nicht erhoben.
1Staatsminister Dr. Seidel führt aus, es liege ein Initiativantrag des Herrn Landtagsabgeordneten Schefbeck39 über die Freimachung von Beherbergungsraum vor, mit dem sich das Kabinett noch nicht beschäftigt habe.40 Wahrscheinlich werde dieser Antrag in der morgigen Landtagssitzung behandelt werden, wobei – soviel ihm bekannt sei – das Finanzministerium dagegen Stellung nehmen wolle.41
39Zur Person s. Nr. 109 TOP XI.40Der CSU-Landtagsabgeordnete Otto Schefbeck und andere Mitglieder der CSU-Fraktion hatten am 24. 4. 1950 den Entwurf eines Gesetzes zur Wiederherstellung des Fremdenverkehrs- und Hotelgewerbes eingebracht. Ziel des Gesetzentwurfs war es, die zur Unterbringung von Flüchtlingen vorgenommene Beschlagnahme von sogenanntem Beherbergungsraum, d.h. Wohnräumen in Hotels, Gaststätten, Pensionen und Privathäusern, die ursprünglich der gewerbsmäßigen Beherbergung von Gästen gedient hatten, wieder aufzuheben und den Beherbergungsraum seinem ursprünglichen Verwendungszweck zurückzuführen. S. BBd.
IV Nr. 3717 .41Der Landtag behandelte in seiner Sitzung vom 9. 11. 1950 einen vom Ausschuß für Rechts- und Verfassungsfragen überarbeiteten Gesetzentwurf des Abg. Schefbeck. Der § 1 des nunmehr auch im Titel geänderten Entwurfs eines Gesetzes zur Freimachung und Vergütung zweckentfremdeten Beherbergungsraumes lautete: „Räume in Hotels, Gaststätten, Fremdenheimen und Privathäusern, die der gewerbsmäßigen Beherbergung von Gästen dienen, unterliegen nicht der Erfassung und Zuteilung zur Unterbringung von Dauermietern.“ Vgl. BBd.
IV Nr. 4525 ; StB.
VI S. 1286 f.
2Ministerpräsident Dr. Ehard fügt hinzu, der Antrag sei gestern nach einem Vortrag des Herrn Abg. Schefbeck in der Fraktion besprochen worden42 Es handle sich im wesentlichen darum, sowohl Räume, die für die Fremdbeherbergung bestimmt seien, freizumachen, als auch den Inhabern die Differenz zwischen den Dauermieten und denjenigen Mieten zu bezahlen, die bei vorübergehender Vermietung an Fremde erzielt werden können.42Vgl. ACSP LTF-Protokolle 1950, Protokoll vom 7. 11. 1950. Die Mehrheit der Fraktion stimmte dem Gesetzentwurf in einer Abstimmung zu.
3Staatsminister Dr. Seidel fährt fort, eine vorläufige Berechnung habe ergeben, daß wahrscheinlich ein Betrag von 1,9 Millionen DM im Jahr erforderlich sein werde, um diesen Antrag durchzuführen. Es sei notwendig, im Kabinett zu einer einheitlichen Auffassung zu kommen, da die Regierung nicht gut im Landtag verschiedene Meinungen vertreten könne. Er als Wirtschaftsminister müsse auf den Fremdenverkehr Rücksicht nehmen und sich für den Antrag einsetzen, allerdings habe wegen der finanziellen Folgen das Finanzministerium eine andere Auffassung. Das zweckmäßigste wäre es wohl, wenn sich das Finanzministerium Rückendeckung beim Haushaltsausschuß suche.
4Ministerpräsident Dr. Ehard stellt fest, daß mit gleichem Recht auch Besatzungsgeschädigte und sonstige Kriegsgeschädigte Forderungen stellen könnten. Das beste wäre wohl, wenn das Finanzministerium im Landtag die. Zurückstellung dieses Antrags und die Verweisung an den Haushaltsausschuß beantragen würde.
5Der Ministerrat beschließt, gegen den Antrag des Abg. Schefbeck Bedenken geltend zu machen, für die Zurückweisung an den Haushaltsausschuß einzutreten und die Notwendigkeit zu betonen, den Nachtragshaushalt abzuwarten.
6Der Beschluß wird gegen die Stimme des Herrn Staatsministers Dr. Seidel angenommen.43
43In der Landtagssitzung vom 9. 11. 1950 stellte Staatssekretär Müller fest, daß auch das StMF im Grundsatz die Förderung des bayer. Fremdenverkehrgewerbes wünsche, meldete allerdings gegenüber dem Gesetzentwurf erhebliche finanzielle Bedenken an und bat um eine Zurückstellung des Gesetzentwurfs bis in das folgende Haushaltsjahr. Nachdem der Abg. Schefbeck vor dem Landtagsplenum einen Änderungsvorschlag zur Gesetzesvorlage vorgebracht hatte, dem zufolge eine vom Staat an die Beherbergungsrauminhaber zu leistende Ausgleichszahlung der Differenzbeträge zwischen den tatsächlich gezahlten (niedrigen) Dauermieten und den Mietsätzen bei Vermietung als Gästezimmer erst ab dem 1. 4. 1951 zu erfolgen habe, verabschiedete der Landtag das Gesetz im Einvernehmen mit den anwesenden Vertretern des StMF. Vgl. StB.
VI S. 1287 f. – Gesetz zur Freimachung und Vergütung zweckentfremdeten Beherbergungsraumes vom 22. November 1950 (GVBl. 1951 S. 1
).
1Staatssekretär Jaenicke betont einleitend, daß es für Bayern vollkommen ausgeschlossen sei, Flüchtlinge aus der Ostzone, die sich zurzeit in Berlin aufhielten, aufzunehmen, zumal ja Bayern zu den drei Ländern gehöre, denen zurzeit Heimatvertriebene abgenommen würden. Jeden Tag kämen noch 20 bis 30 Flüchtlinge aus der Tschechoslowakei und zwar Nationaltschechen. Bei aller Anerkennung der Notwendigkeit, Berlin zu entlasten, könnte sich Bayern nicht beteiligen. Er bitte um einen Beschluß, den Bayerischen Bevollmächtigten in Bonn anzuweisen, bei der Durchführung des sogenannten Bundesnotaufnahmegesetzes in Bonn den bayerischen Standpunkt dahin zu vertreten, daß Bayern sich an der Durchführung des Notaufnahmegesetzes nicht beteiligen könne.44
44Gemeint ist das Gesetz über die Notaufnahme von Deutschen in das Bundesgebiet vom 22. August 1950, das Bayern während der Gesetzgebungsverhandlungen im Bundesrat unterstützt hatte. Vgl. Nr. 95 TOP I/11, Nr. 103 TOP X/1.
2Der Ministerrat beschließt, so zu verfahren.
3Was die Freimachung der Kasernen betreffe, so sei es tatsächlich gelungen, bis 31. Oktober 1950, innerhalb von 17 Tagen, drei Kasernen mit insgesamt 2000 Personen zu räumen und diese Leute in neue Wohnungen unterzubringen.45 Dank der guten Zusammenarbeit mit der Obersten Baubehörde sei diese fast unmöglich Aufgabe erfüllt worden. Bei einer Besprechung am heutigen Vormittag hätten auch die Vertreter der IRO mit Worten höchster Anerkennung diese Leistung gewürdigt.46
45Vgl. Nr. 127 TOP I, Nr. 130 TOP XII. S. die Vormerkung für Staatssekretär Jaenicke für die Ministerratssitzung betr. Freimachung von Kasernen, 8. 11. 1950 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1207); Schreiben von Staatssekretär Jaenicke an MPr. Ehard, 31. 10. 1950 nebst Abdruck eines Berichts an das Amt des Landeskommissars für Bayern betr. Freimachung der Luitpold-Kaserne, München, Möhlkaserne, Amberg, Nordkaserne, Würzburg, 31. 10. 1950 (StK 15026).46Ein Hinweis auf eine solche Besprechung vom 8. 11. 1950 nicht ermittelt. Vgl. auch die Übersetzung eines Schreibens von John P. Bradford, Amt des Landeskommissars für Bayern, Political Aff airs Division, an Staatssekretär Jaenicke, 19. 10. 1950: „Sehr geehrter Herr Jaenicke! [...] Sie dürfen versichert sein, daß Ihre während der letzten Tage gemachten Anstrengungen von allen Angehörigen unseres Hauptquartiers anerkannt werden. Die Dringlichkeit der augenblicklichen Lage erinnert an die wirren Zeiten, in denen die Volksdeutschen Flüchtlinge aus dem Osten hereinströmten. Ich weiß, daß Sie über das Wochenende schwer gearbeitet haben. Die von Herrn [Abteilungsleiter] Wilhelm erhaltene Beschreibung der vorgeschlagenen Baracken gibt uns das Gefühl, daß Sie und Ihr Amt das gegenwärtige Problem mit großer Voraussicht behandeln.“ (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1207).
4Die Kosten für diese Aktion beliefen sich auf ungefähr 2 Millionen DM, wovon Bayern aber nur 10% zu tragen habe, während den Rest der Bund übernehme. Besonders schwerwiegend sei nun der zweite Abschnitt der Räumungsaktion, der bis 1. Dezember durchgeführt werden müsse, einmal nämlich die Räumung des Flugplatzes Leipheim47 mit 1250 Personen, die wohl gelingen werde48 Der Landeskommissar habe verantwortliche Beamte seines Amtes bestellt, die mit den deutschen Behörden zusammenzuarbeiten hätten. Wahrscheinlich bestehe nur die eine Möglichkeit, diese 1250 Leute im Lager Valka bei Nürnberg unterzubringen;49 dabei meine die Oberste Baubehörde, es sei immer noch zweckmäßiger, die mangelhaften Baracken in Valka auszubauen, als neue Baracken zu errichten. Ein ganz besonderes schwieriges Problem sei schließlich noch Mittenwald, nachdem in der dortigen Kaserne 1625 Menschen untergebracht seien. Er sei nicht in der Lage, hiefür allein die Verantwortung zu tragen und müsse darauf hinweisen, daß durch den Bau von Baracken in Mittenwald der Fremdenverkehrscharakter dieser Gegend für immer zerstört werde. Deshalb beabsichtige er, 1000 dieser Mittenwalder Ausländer auch in das Lager Valka zu schaffen, es blieben aber dann noch immer 625 übrig, mit denen er zunächst einfach nicht wisse wohin.50 Vielleicht sei es doch am besten, auch für diese Personen neue Baracken im Valkalager zu bauen, bis diese aber fertiggestellt seien, bleibe kein anderer Weg, als die 625 in dem Lager Fischbach bei Nürnberg unterzubringen,51 das aber bereits der Stadt Nürnberg für ihre Evakuierten überlassen worden sei.52 Man müsse nun versuchen, der Stadtverwaltung Nürnberg beizubringen, daß die Stadt wenigstens auf die Dauer von 5 bis 6 Wochen, bis zur Errichtung der neuen Gebäude, auf Fischbach verzichte.47Vgl. Nr. 130 TOP XII Anm. 73.48S. hierzu und zum folgenden: Vormerkung für die Besprechung des Interministeriellen Ausschusses (Kasernen-Ausschuß) am Dienstag, den 31. 10. 1950; Entwurf eines Schreibens von Staatssekretär Jaenicke an das StMF, 20. 11. 1950 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1207).49Gemeint ist das Regierungslager A Valka in Langwasser bei Nürnberg. Das 1936 vom Zweckverband Reichsparteitag errichtete Barackenlager diente nach dem Krieg als DP-Lager der IRO. Die im Oktober 1949 erfolgte Räumung durch die IRO und die Übergabe des Lagers an die deutschen Behörden war mit der Auflage der Militärregierung verbunden, daß das Gelände zukünftig für die Unterbringung aller nach dem 15. 10. 1949 eintreffenden illegalen Flüchtlinge aus der CSR, den sogenannten Nationaltschechen, genutzt werden müsse. S. hierzu die Materialien in MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 953, 982, 983 u. 984.50Die Mittenwalder Jägerkaserne wurde im Dezember 1950 und Januar 1951 in zwei Schritten geräumt, über den Jahreswechsel 1950/51 verblieben noch rund 370 Personen im Regierungslager in Mittenwald. Vgl. den Aktenvermerk betr. Freimachung der Jägerkaserne in Mittenwald,2. 12. 1950; Niederschrift über die erfolgte Übergabe des rechts der Isar gelegenen Teiles des Regierungslagers für heimatlose Ausländer, Mittenwald am 6. Dezember 1950; Niederschrift über die erfolgte Übergabe des links der Isar gelegenen Teiles des Regierungslagers für heimatlose Ausländer Mittenwald am 24. 1. 1951 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 953).51Gemeint ist das Flüchtlingslager Fischbach bei Nürnberg, das – ebenso wie das Lager Valka – größtenteils als Barackenanlage vom Zweckverband Reichsparteitag auf ehemaligem Reichsparteitagsgelände errichtet worden war. Nach dem Krieg waren im IRO-Lager Fischbach hauptsächlich lettische Flüchtlinge untergebracht worden (sog. „Lettenlager"). S. hierzu MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 982.52Für die Zeit nach der Übergabe des Lagers Fischbach von der IRO an die deutsche Verwaltung ab Oktober 1949 hatte die Stadt Nürnberg die geräumten Lagerkapazitäten für die Unterbringung der eigenen Nürnberger evakuierten Bürger beansprucht. S. das Schreiben des Stadtrates von Nürnberg an das StMI, 15. 9. 1950; Entwurf eines Schreibens StMI an StK, 21. 10. 1950 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 982).
5Aller Voraussicht nach müßten sämtliche Kasernen in Bayern geräumt und darüber hinaus auch noch neue Kasernen errichtet werden. Die Gesamtzahl der Ausländer in Bayern betrage ca. 120000, von denen allerdings nur 18000 der Flüchtlingsverwaltung unterständen.
6Er stehe nun vor der Frage, ob es verantwortet werden könne, das Ausländerlager Valka auf 5–6000 Personen zu erhöhen. Natürlich habe es etwas für sich, alle Ausländer dort zusammenzuziehen, auch auf die Gefahr hin, daß dort Schwierigkeiten und Streitereien aller Art auftreten könnten.53 Er glaube aber doch, dies sei die einzige Möglichkeit, die man überhaupt finden könne, da eine Verteilung auf die einzelnen Landkreise von vornherein ausscheide. Valka habe dazu noch den Vorteil, daß es als einziges Lager unter einem amerikanischen Oberkommissar stehe, der auch Militärpolizei zur Verfügung habe. Er bitte, ihn bei den Verhandlungen mit der Stadt Nürnberg zu unterstützen, die sicher dagegen Einspruch erheben werde, noch auf ca. 2 Monate auf das Lager Fischbach zu verzichten. Was Valka betreffe, so müsse er allerdings noch darauf hinweisen, daß die jetzigen Tschechenbarakken sehr schlecht seien, während die neuerstellten Gebäude natürlich eher den Anforderungen entsprechen würden. Es sei aber unmöglich, darauf Rücksicht zu nehmen, noch dazu, wo wirklich überall anerkannt werde, daß in Bayern die Ausländer vorzüglich behandelt würden. Auch den Vertretern der IRO gegenüber habe er keinen Hehl daraus gemacht, daß es eigentlich eine Zumutung sei, bei der großen Zahl von Sudetendeutschen in Bayern ausgerechnet alle Tschechen aufnehmen zu müssen. Unverständlicherweise stünden dazu noch die amerikanischen Dienststellen in Frankfurt auf dem Standpunkt, daß sie die Tschechen nicht zwingen könnten, von Bayern nach Hessen umzusiedeln.53Der Plan der Landesflüchtlingsverwaltung zur Erweiterung des Regierungslagers Valka barg mit Blick auf die Sicherheitslage eine erhebliche Brisanz, derer sich Staatssekretär Jaenicke bewußt war: Notorisch überbelegt und in der Qualität und Art der Unterbringung der Lagerbewohner noch deutlich unterhalb der ohnehin geringen gängigen Standards, war das Lager Valka bekannt für die schweren sozialen Spannungen zwischen den Flüchtlingsgruppen überwiegend osteuropäischer Provenienz und für die Konflikte zwischen tschechischen und slowakischen Bewohnern, für Gewaltausbrüche und eine hohe Kriminalitätsrate. Im Zeitraum zwischen Anfang November 1949 bis Ende November 1950 wurden im Lager Valka u.a. zwei Fälle von Mord- und Mordversuch, 22 Fälle von Körperverletzung, 4 Fälle von Waffenbesitz sowie insgesamt 63 Fälle von einfachem, 92 Fälle von schwerem Diebstahl erfaßt. Allein über die Weihnachtsfeiertage 1950 starben in Valka drei Personen an Methylalkoholvergiftung, vier weitere Personen erlitten lebensgefährliche Vergiftungen, bei einer Massenschlägerei mit 250 Beteiligten wurden sechs Personen schwer verletzt, ferner erlitt ein Lagerinsasse bei einem Überfall einen Schädelbruch und auf einen weiteren wurde von einem Unbekannten geschossen. Vgl. hierzu die Materialien in MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 983, hier insbes. eine Aufstellung dervon Valka-Lager-Insassen in der Zeit vom 1. 11. 1949 bis 30. 11. 1950 verübten Straftaten; Nordbayerische Zeitung Nr. 201,27. 12. 1950, „Furchtbares ‚Weihnachten‘ im Valkalager“.
7Staatssekretär Jaenicke kommt sodann auf das Lager Dachau zu sprechen und teilt mit, daß sich die Notwendigkeit ergeben habe, ein deutsches Auswandererlager in Dachau zu schaffen; zurzeit seien dort bereits 500 Ausländer und eine Menge von Deutschen.54 Beabsichtigt sei, in diesem Lager die Südostdeutschen unterzubringen, die auswandern wollen. Die 500 dort noch untergebrachten Ausländer müßten im Laufe der Zeit ebenfalls nach Valka gebracht werden.54Auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers Dachau war – nach entsprechendem Beschluß des Bayer. Landtages vom 29. 4. 1948 – ein Regierungsdurchgangslager für Flüchtlinge gegründet worden, die sogenannte Wohnsiedlung Dachau-Ost. Vgl. StB. II/2 S. 1346; Marcu.se,Legacies S. 160–166; Ders., Konzentrationslager S. 188 f. S. MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 832, 862 u. 876. Die hier von Staatssekretär Jaenicke angesprochene Notwendigkeit der zusätzlichen Gründung eines Auswanderungslagers in Dachau ging zurück auf das amerikanische DP-Einwanderungsgesetz in der Fassung vom 16. 6. 1950, das, befristet bis zum 16. 6. 1952, die Einwanderung von rund 54000 Volksdeutschen in die USA ermöglichen sollte. Zur Organisation dieser Auswanderung, zur Prüfung der Auswanderungswilligen und zur Bearbeitung der Auswanderungsanträge sollten nach amerikanischem Wunsch sogenannte Überprüfungslager mit einer Aufnahmekapazität von ca. 500 Personen in der Nähe der bereits bestehenden IRO-Centers errichtet werden. Aufgrund der Entfernung von 20km zum Münchener Stadtzentrum, der guten Verkehrsanbindung sowie der sofortigen Verfügbarkeit schlug das StMI das ehemalige Konzentrationslager Dachau als geeigneten Standort für ein Überprüfungslager vor. S. hierzu MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 940, hier insbes. das Schreiben des BMI an den Senat der Hansestadt Hamburg, den Hessischen Minister des Innern, das Innenministerium Württemberg-Baden und das Bayer. StMI, 21. 9. 1950; Fernschrift des StMI an das BMI, 29. 9. 1950; I. Niederschrift über die Besprechung vom 19. 10. 1950 beim Bundesminister des Innern in Bonn betr. Errichtung von Überprüfungslagern.
8Leider sei damit aber die Aufzählung noch nicht erschöpft. Besondere Schwierigkeiten und Sorgen bereite ihm die Räumung der Warnerkaserne in München, in der nicht weniger als 3800 Personen untergebracht seien, wobei die Räumung sofort durchgeführt werden müsse. Bisher sei es gelungen, für 1500 Menschen ein Durchgangslager auf dem Gelände der Funkkaserne zu errichten, wegen der übrigen habe er aber noch keine festen Pläne fassen können.55 Außerdem müßten 300 Büroräume für das IRO-Hauptquartier gefunden werden, das gleichfalls in der Warnerkaserne untergebracht gewesen sei. Für diese Aufgabe bestehe eine gemischte deutsch-amerikanische Kommission, und zwar würden die deutschen Vertreter von den Bundesbehörden, die für die Aktion verantwortlich seien, bestellt.55Zur Räumung der von der Militärregierung in Warner-Kaserne umbenannten ehemaligen Ernst-von-Bergmann-Kaserne in der Neuherbergstraße in München-Freimann, im Dritten Reich als SS-Kaserne genutzt, s. MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1204. Bei der hier erwähnten Funkkaserne handelte es sich um das ebenfalls in München-Freimann gelegene Gelände der ehemaligen Luftnachrichten-Kaserne in der Domagkstraße.
9Schließlich müßten auch noch 386 Deutsche aus einer weiteren Kaserne56 ausquartiert werden, sie würden zurzeit in ein leeres StEG-Lager57 verbracht und hätten so wenigstens ein Dach über dem Kopf.56Gemeint ist die von der US-Militärregierung in Will-Kaserne umbenannte Kaserne in der Münchener Ingolstädter Straße. S. die Vormerkung für Staatssekretär Jaenicke für die Ministerratssitzung betr. Freimachung von Kasernen, 8. 11. 1950 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1207).57Hier in der Vorlage irrtümlich „Steglager“. Gemeint ist ein Lager der Staatlichen Erfassungs-Gesellschaft für Öffentliches Gut m.b.H. (StEG) in München-Ludwigsfeld. Zur StEG s. Nr. 94 TOP II Anm. 8. S. zum Ausbau des Lagers München-Ludwigsfeld MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 938 sowie die Vormerkung für Staatssekretär Jaenicke für die Ministerratssitzung betr. Freimachung von Kasernen, 8. 11. 1950, ferner den Durchschlag eines Aktenvermerks „Beitrag zur Etatrede des Herrn Staatssekretärs“ betr. Freimachung von Kasernen für US-Truppen, 8. 11. 1950 (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1207).
10Der schwierigste Fall sei aber die Kaserne in Garmisch,58 in der nicht weniger als 2300 Personen untergebracht seien, außerdem 28 Industriebetriebe und ein Altersheim mit 325 Personen.59 Es sei ihm bisher gelungen, den Termin für die Räumung um 90 Tage zu verschieben,60 allerdings stehe von vornherein fest, daß es unmöglich sei, die Heimatvertriebenen und die Betriebe in dieser Zeit irgendwo anders unterzubringen. Unter Umständen könnte es vielleicht möglich sein, diese Betriebe in Landshut unterzubringen.58S. hierzu im Detail MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 890.59S.u. Anm. 62.60Vgl. dagegen in leicht abweichendem inhaltlichen Grundtenor ein Vermerk vom 11. 11. 1950: „Nach mündlicher Mitteilung des Amtes des Landeskommissars (Displaced Populations Brauch) ist die Artilleriekaserne in Garmisch zunächst von der Liste der zum 1.12. zu räumenden Kasernen abgesetzt worden. Es wurde gleichzeitig zugesagt, daß für den Fall einer doch noch notwendig werdenden Räumung die Flüchtlingsverwaltung mindestens 90 Tage vorher benachrichtigt werden würde. Die Angelegenheit dürfte sich damit vorläufig erledigt haben, so daß sich auch ein weiterer Bericht an den Landeskommissar für Bayern erübrigt.“ (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 890).
11Ministerpräsident Dr. Ehard teilt dazu mit, er habe in der Garmischer Angelegenheit ein Schreiben des Herrn Kardinal Faulhaber61 erhalten, der den Einspruch des Erzbistums darlege, nachdem das Altenheim vom Katholischen Caritasverband unterhalten werde.62
61Michael Kardinal von Faulhaber (1869–1952), 1917–1952 Erzbischof von München und Freising, 1921 Kardinal.62S. die Abschrift des Schreibens Kardinal von Faulhaber an MPr. Ehard, 23. 10. 1950: „Sehr geehrter Herr Ministerpräsident! Nach langwierigen Verhandlungen hat mein Caritasverband in Verbindung mit dem Staatssekretariat für das Flüchtlingswesen und der Obersten Baubehörde in der Artilleriekaserne in Garmisch ein Altersheim mit 262 Betten eingerichtet. [...] Ohne die Investierungen der Firmen hat der bayerische Staat und mein Caritasverband über 500000 DM in den Umbau und zur Einrichtung des Altersheims hineingesteckt. [...] Nun wurde am 20. Oktober vom Büro des Amerikanischen Hochkommissars angerufen, wie schnell das Altersheim geräumt werden könnte, welche Unterbringungsmöglichkeiten der Caritasverband für die alten Leute hätte und welche Kosten daraus entstünden. Ganz abgesehen davon, daß jeder Platz, den mein Caritasverband zu vergeben hat, belegt ist und daß uns vor dem Winter keine Unterbringungsmöglichkeit zur Verfügung steht, halte ich es für grausam, die alten Leute aus ihrer neuen Heimat, die ihnen in einer festlichen Feier übergeben wurde und in der sie sich nun wie zuhause fühlen, auszuquartieren. Wie weit die Bayerische Staatsregierung neue finanzielle Belastungen ertragen kann und meinem Caritasverband für einen Neubau unter die Arme greifen kann, entzieht sich meiner Kenntnis. Da aber mit einem Befehl der Amerikaner gerechnet werden muß, denkt der Caritasverband ev. an die Übernahme und den Ausbau zu einem Altersheim in der ehemaligen Nervenheilanstalt Neufriedenheim in München [s. hierzu Nr. 127 TOP I Anm. 5]. Die Maßnahme der Räumung des Altersheims würde sicher das Vertrauen zu den Amerikanern erschüttern. Die gegenwärtige Stimmung bei den Flüchtlingen, die mühselig sich eine neue Wohnung eingerichtet haben, und diese nun wieder verlassen müssen, zeigt an, daß sicher das Gegenteil dessen bewirkt wird, was die amerikanische Besatzung will. Ich darf Sie, sehr verehrter Herr Ministerpräsident bitten, bei Verhandlungen mit Amerikanischen Behörden den Einspruch gegen die Räumung des Altersheims Garmisch seitens der kirchlichen Oberbehörde zur Kenntnis zu bringen.“ Abdruck des Antwortschreibens MPr. Ehard an Kardinal von Faulhaber, 9. 11. 1950: „Euer Eminenz beehre ich mich mitzuteilen, daß Herr Staatssekretär Jaenicke schon seit Wochen bemüht ist, eine Räumung der ehemaligen Artilleriekaserne in Garmisch doch noch zu verhindern. Der Ministerrat hat sich gestern eingehend mit den außerordentlich schwierigen Problemen beschäftigt, die sich aus dem Befehl der Besatzungsmacht, eine Reihe von Gebäuden, insbesondere Kasernen, zu räumen, ergeben haben. Dabei hat Herr Staatssekretär Jaenicke insbesondere vorgetragen, daß aus einer Reihe von Gründen gerade die ehemalige Artilleriekaserne in Garmisch von größter Wichtigkeit sei und es ihm immerhin zunächst wenigstens gelungen sei, die angeordnete Räumung um 90 Tage zu verschieben. Die Bayerische Staatsregierung wird natürlich alles, was in ihren Kräften steht, versuchen, um die Bemühungen des Herrn Staatssekretärs zu unterstützen, wobei, wie ich hoffe, das Schreiben Euer Eminenz wertvolle Dienste leisten wird.“ (MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 890). Die Auseinandersetzungen um die Räumung der Artilleriekaserne in Garmisch zogen sich, auch unter starkem Protest der Gemeinde Garmisch-Partenkirchen, die als Erholungs- und Tourismusort eine Stationierung amerikanischer Truppen strikt ablehnte, noch weitere zwei Jahre hin, bis die Kasernenräumung im September 1952 endgültig aufgegeben wurde. Zum Fortgang s. Protokolle Ehard III Nr. 19 TOP V, Nr. 53 TOP VI
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12Staatsminister Dr. Seidel stellt mit Nachdruck fest, daß es sich hier nur um die aktuellen Probleme handle, dahinter stehe aber die beabsichtigte Räumung sämtlicher Kasernen in Bayern und die Errichtung von Neubauten.
13Staatssekretär Jaenicke stimmt zu und erwähnt noch, daß auch die Auto-Union in Ingolstadt gefährdet sei.63 Ebenso bestehe eine gewisse Gefahr für Hohenfels,64 wo zurzeit 800 Deutsche seien, weitere 2200 aber untergebracht werden könnten. Wenn eine bestimmte Kaserne in Landshut65 geräumt werde, könnte er alle dort befindlichen Ausländer nach Hohenfels verbringen und die dortigen 800 Deutschen nach Landshut überführen. Man müsse aber auch damit rechnen, daß die amerikanische Armee das gesamte Gelände in Hohenfels in Anspruch nehme.63Gemeint ist hier die Möglichkeit einer Anordnung der US-Militärregierung zur Räumung der Friedens-Kaserne in Ingolstadt, auf deren Gelände die Firma Auto-Union ihren Werksbetrieb eingerichtet hatte und für den bereits eine räumliche Ausweitung beantragt worden war. Die Auto-Union war ein 1932 aus den Firmen Audi, Horch, DKW und Wanderer gegründetes Unternehmen mit Sitz zunächst in Zschopau, dann ab 1936 in Chemnitz. Anfang 1949 wurde in Ingolstadt mit Förderung des bayer. Staates eine westliche Neugründung der Auto-Union vollzogen; im Jahre 1950 waren im Ingolstädter Werk bereits wieder 2 700 Personen in der KfZ- und Motorenproduktion beschäftigt. S. hierzu MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1744, hier insbes. den Durchschlag eines Schreibens von Staatssekretär Jaenicke an Land Commissioner Shuster, 4. 11. 1950, sowie MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1849. S. auch Schlemmer, Industriemoderne S. 32–52.64Gemeint ist der ehemalige Wehrmachtstruppenübungsplatz Hohenfels im oberpfälzischen Landkreis Parsberg, auf dem nicht nur ein Flüchtlingslager bestand, sondern u. a. auch zahlreiche deutsche Heimatvertriebene angesiedelt worden waren, die dort im Neben- oder Vollerwerbsbetrieb landwirtschaftliche Anwesen bewirtschafteten. Möglicherweise spielt Staatssekretär Jaenicke hier bereits an auf die militärischen Interessen der USA an Hohenfels: Im August 1951 fiel die endgültige Entscheidung der US-Armee, anstatt am ursprünglich favorisierten Standort im unterfränkischen Hammelburg einen großen Truppenübungsplatz in Hohenfels zu errichten, was eine völlige Räumung des Hohenfelser Areals und die Umsiedlung der dortigen Bevölkerung nach sich ziehen sollte. S. hierzu MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 1211, 1218 u. 1219. Zum Fortgang s. Protokolle Ehard III Nr. 50 TOP I
.65Gemeint ist das Regierungslager für heimatlose Ausländer in der Höhn-Kaserne in Landshut. Dieses Flüchtlingslager wurde erst Ende der 50er Jahre aufgelöst. S. hierzu MArb-Landesflüchtlingsverwaltung 970.
14Sehr hinderlich sei im übrigen, daß ihm nicht genug Personal zur Verfügung stehe und seine Mitarbeiter alle völlig überlastet seien. Neueinstellungen könne er nicht vornehmen, da er keine Planstellen habe, er brauche aber gar keine Beamten, sondern nur tüchtige Angestellte; freilich müßten diese geeignet und entschlußkräftig sein. Er bitte um die Genehmigung, wenigstens 5 Stellen nach Gruppe V oder VI zu besetzen. Vielleicht könnte man es so machen, daß man diese neuen Leute für die Bauaufgaben hereinnehme und damit die Kosten auf den Bund übertrage.
15Ministerpräsident Dr. Ehard stellt als Beschluß des Ministerrats fest, daß Staatssekretär Jaenicke die Genehmigung erhalte, die benötigten Mitarbeiter. einzustellen, und daß, falls Schwierigkeiten entstehen sollten, das Finanzministerium angegangen werden solle.