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Nr. 60MinisterratssitzungDienstag, 2. Oktober 1951 Beginn: 8 Uhr 40 Ende: 10 Uhr 45
Anwesend:

Ministerpräsident Dr. Ehard, Justizminister Dr. Müller, Finanzminister Zietsch, Wirtschaftsminister Dr. Seidel, Landwirtschaftsminister Dr. Schlögl, Arbeitsminister Dr. Oechsle, Staatssekretär Dr. Nerreter (Innenministerium), Staatssekretär Dr. Koch (Justizministerium), Staatssekretär Dr. Brenner (Kultusministerium), Staatssekretär Dr. Ringelmann (Finanzministerium), Staatssekretär Dr. Guthsmuths (Wirtschaftsministerium), Staatssekretär Maag (Landwirtschaftsministerium), Staatssekretär Krehle (Arbeitsministerium), Ministerialdirigent Dr. Schwend (Bayer. Staatskanzlei), Oberlandesgerichtsrat Dr. Gerner (Bayer. Staatskanzlei).

Entschuldigt:

Stv. Ministerpräsident und Innenminister Dr. Hoegner, Kultusminister Dr. Schwalber, Staatssekretär Dr. Oberländer (Innenministerium).

Tagesordnung:

I. Bundesratsangelegenheiten. II. Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Bundesgesetzes über Personalausweise. III. [Kurze Anfrage Nr. 18 – Erhöhung des Grundkapitals der Bayernwerk AG]. [IV. Notbauprogramm zur Auflösung der Lagerunterkünfte]. [V. Paßkontrolle durch den Bundesgrenzschutz].

Vor Eintritt in die Tagesordnung teilt Ministerpräsident Dr. Ehard mit, er müsse um 11 Uhr fortfahren. Infolge des Umfangs der Tagesordnung der Bundesratssitzung vom 5. Oktober 1951 könnten daher heute voraussichtlich lediglich die Bundesratsangelegenheiten behandelt werden. Er schlage vor, die Punkte der Tagesordnung, die heute nicht behandelt werden können, in der Sitzung des Ministerrats am kommenden Dienstag, 8 Uhr 30, zu besprechen. Mit diesem Vorschlag ist der Ministerrat einverstanden.

Auf Vorschlag des Herrn Staatsministers der Finanzen wird ferner beschlossen, die Ministerratssitzungen zur Behandlung der Bundesangelegenheiten künftig am Mittwoch Vormittag abzuhalten, da der Zeitraum zwischen der am Montag Nachmittag stattfindenden Koordinierungssitzung und einer für Dienstag Vormittag anberaumten Ministerratssitzung für eine eingehende Vorbereitung nicht ausreicht.

I. Bundesratsangelegenheiten

a) Tagesordnung für die Bundesratssitzung am 5. Oktober 1951

1. Entwurf eines Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (Bundesvertriebenengesetz)1

Der Ministerrat ist sich darin einig, daß das Vertriebenengesetz in der Bundesratssitzung vom 5. Oktober nicht behandelt werden kann.

Der Ministerrat beschließt, Antrag auf Verlegung der Beratung dieses Entwurfs auf 12. Oktober zu stellen.2

2. Benennung von Mitgliedern für die Aufnahme- und Beschwerdeausschüsse der Notaufnahmelager3

und

3. Entwurf eines Gesetzes über das Handelsabkommen vom 20. Juli 1951 zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Republik Peru4

Der Ministerrat stimmt zu.

4. Entwurf von Verordnungen auf Grund des Wirtschafts-Sicherungsgesetzes5

a) Verordnung Eisen II/51,6 b) Verordnung Ausfuhr I/51,7 c) Verordnung Besatzungsbedarf II/518

Der Ministerrat stimmt den drei Verordnungsentwürfen nach Maßgabe der Empfehlungen des Wirtschaftsausschusses zu.

Der Ministerrat ist sich darin einig, daß die Länder bei der Durchführungsverordnung eingeschaltet werden sollen, doch soll diese Einschaltung nicht im Wege eines besonderen Antrags, sondern lediglich durch einen Hinweis in dem Referat bei der Bundesratssitzung erreicht werden.

5. Tariferhöhungen bei der Bundesbahn und für den Straßenverkehr9

Staatsminister Dr. Seidel vertritt die Auffassung, daß den Anordnungen von Bayern aus nicht allgemein zugestimmt werden könne. Er wisse, daß er insoweit im Gegensatz zur Auffassung des Verkehrsministeriums stehe. Er schlägt vor, daß er gemeinsam mit den Referenten des Verkehrsministeriums nochmals die bei der Bundesratssitzung von Bayern aus zu stellenden Anträge bespricht und daß der Ministerrat ihn bevollmächtige, auf Grund dieser Beratung die notwendigen Anträge zu stellen.

Der Ministerrat erteilt Wirtschaftsminister Dr. Seidel diese Vollmacht.

Der Ministerrat stellt fest, daß aus innerpolitischen Rücksichten die Abänderungsanträge auch dann gestellt werden sollen, wenn keine Aussicht auf deren Annahme besteht.10

6. Ersuchen auf Wiedereinführung des Ablösungsverfahrens für Postgebühren11

Keine Bedenken.

7. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung von Vorschriften über den Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen12

Der Ministerrat billigt den Gesetzentwurf nach Maßgabe der Empfehlungen des Rechtsausschusses und der Empfehlungen des Sozialpolitischen Ausschusses, bei letzterem lediglich hinsichtlich der Erschwernis- und Schmutzzulagen.13

8. Entwurf eines Verwaltungszustellungsgesetzes14

Der Ministerrat billigt den Gesetzentwurf nach Maßgabe der Empfehlungen des Innen- und Finanzausschusses.

9. Entwurf von Verwaltungsvorschriften zur Durchführung des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes15

Der Ministerrat billigt die Verwaltungsvorschriften mit Ausnahme der in der Empfehlung des Innenausschusses vorgesehenen Streichung des § 15 Abs. 2.16

10. Entwurf einer Verordnung zur Überführung des Kriminalpolizeiamtes für die britische Zone in Hamburg17

und

11. Entwurf einer Verordnung zur Änderung der Bestallungsordnung für Apotheker18

Zustimmung.

12. Entschließung des Bundesrates betr. Regelung des Apothekenwesens19

Der Ministerrat hält an seiner bereits am 24. Juli 1951 beschlossenen Ablehnung fest.

13. Entwurf von Verwaltungsvorschriften über die Änderung und Feststellung von Familiennamen sowie über die Änderung von Vornamen20

Der Ministerrat beschließt Ablehnung aus verfassungsrechtlichen Gründen, da eine Zuständigkeit des Bundes nicht gegeben ist.

14. Entwurf eines Gesetzes über eine Aufwandsteuer (Aufwandsteuergesetz)21

Staatsminister Dr. Seidel betont, er habe hierzu grundsätzliche Äußerungen zu machen. Bezüglich des Aufwandsteuergesetzes sei einmal die konjunkturpolitische Lage zu berücksichtigen, zum anderen müsse das Gesetz nach dem Gesichtspunkt geprüft werden, wie es sich für Bayern auswirke. Zum ersteren Punkt sei festzustellen, daß die Konjunktur auf dem Gebiet der Konsumgüterproduktion eine rückläufige Entwicklung aufweise. Das habe dazu geführt, daß die Konsumgüterindustrie ihre Vorratslager habe erheblich erhöhen müssen. Wenn auch die Absatzlage in den letzten zwei Wochen eine leichte Besserung aufweise, so sei doch insgesamt festzustellen, daß gegenwärtig die Kauflust eher angeregt als beschränkt22 werden müsse; deshalb sei gegenwärtig für das Inkrafttreten des Aufwandsteuergesetzes der ungünstigste Zeitpunkt.23 Was nun die besonderen Auswirkungen auf Bayern betreffe, so müsse er feststellen, daß der Gesetzentwurf in erster Linie jene Konsumgüter besteuere, für deren Herstellung der Schwerpunkt in Bayern liege. Staatsminister Dr. Seidel nennt anhand des Katalogs24 insbesondere Porzellan, fotografische Artikel, Motorräder oder Schmuckwaren. Er schlägt daher vor, daß der Ministerrat das Gesetz überhaupt ablehnt. Es sei dann Sache des Bundesfinanzministers, eine andere schöpferische Lösung zu finden. In erster Linie sei hier an eine echte Luxussteuer zu denken, dann aber halte er es auch für das Richtige, wenn für die vom Gesetzentwurf betroffenen Warengattungen die Einphasen-Umsatzsteuer eingeführt werde. Diese beiden Maßnahmen würden in der Endwirkung die gleichen Steuererträge abwerfen wie das vom Bundesfinanzministerium geplante Gesetz, würden sich aber nicht so nachteilig auf die Wirtschaft und hier insbesondere die bayerische Wirtschaft auswirken.

Der Ministerrat pflichtet den Gedankengängen des Staatsministers für Wirtschaft bei und beschließt, den Gesetzentwurf überhaupt abzulehnen. Die Ablehnung soll mit den besonders nachteiligen Folgen für die bayerische Wirtschaft begründet werden. In der Begründung der Ablehnung sollen jedoch keine neuen Steuervorschläge gemacht werden, insbesondere soll von Bayern aus keine Erhöhung der Umsatzsteuer an Stelle des Aufwandsteuergesetzes vorgeschlagen werden. Sollte trotz der Ablehnung Bayerns der Gesetzentwurf im Bundesrat angenommen werden, so soll nach Auffassung des Ministerrats versucht werden, den Warenkatalog so zu ändern, daß sich das Gesetz nicht besonders nachteilig für die bayerische Wirtschaft auswirkt25

15. Entwurf einer Verordnung zu § 9a des Einkommensteuergesetzes26 und

16. Antrag auf Zustimmung des Bundesrates zur Bestellung eines Erbbaurechts an einem reichseigenen Grundstück in Wilhelmshaven an der Gökerstraße

Zustimmung.

17. Bestellung eines Nachfolgers für Herrn Minister a.D. Hilpert (Hessen)27 als Mitglied des Bundesrates im Ausschuß für Kapitalverkehr

Zu Punkt 17 wird ein Beschluß nicht gefaßt, da mit einer Absetzung von der Bundesratssitzung zu rechnen ist.

18. Entwurf eines Gesetzes zur Ausdehnung der Verbilligung von Dieselkraftstoff für die Fahrgastschiffe in der Binnenschiffahrt28

Der Ministerrat hält an seinem ablehnenden Beschluß vom 4. September 1951 fest.

19. Entwurf einer Wahlordnung für die Organe der Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung29

Es wird festgestellt, daß mit einer Absetzung des Punktes von der Tagesordnung zu rechnen ist, da die Wahlordnung erst nach Erlaß des Gesetzes zur Abänderung des Gesetzes über die Selbstverwaltung auf dem Gebiet der Sozialversicherung und über Änderungen von Vorschriften auf dem Gebiet der Sozialversicherung weiter beraten werden soll.30

Für den Fall, daß der Punkt nicht von der Tagesordnung abgesetzt wird, schließt sich der Ministerrat den Empfehlungen des Sozialpolitischen Ausschusses an.31

20. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung des Gesetzes betr. den Vertrag über die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl vom 18. April 195132

Auch zu Punkt 20 wird festgestellt, daß mit einer Absetzung von der Tagesordnung zu rechnen ist. Falls jedoch der Punkt nicht von der Tagesordnung abgesetzt wird, stimmt der Ministerrat grundsätzlich zu.33

21. Benennung eines in den Parlamentarischen Beirat für handelspolitische Vereinbarungen zu entsendenden Beauftragten des Bundesrates34

Zustimmung.

22. Entwurf eines Gesetzes zur Ergänzung und Änderung des Gesetzes über Hilfsmaßnahmen für Heimkehrer (Heimkehrergesetz) vom 19. Juni 1950 (BGBl. S. 221  )35

Der Ministerrat beschließt, keinen Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen.

23. Entwurf eines Gesetzes zur Förderung des Bergarbeiterwohnungsbaues im Kohlenbergbau36

Der Ministerrat beschließt, Antrag auf Anrufung des Vermittlungsausschusses zu stellen. Der Antrag soll vom Staatsministerium für Wirtschaft im Benehmen mit dem Innen- und Finanzministerium ausgearbeitet werden.37

24. Entwurf eines Gesetzes über die Errichtung von Bundesdienststrafgerichten38

Zustimmung.

25. Empfehlung betr. Bereitstellung der Mittel für die Gewährung von Beihilfen zur Winterbevorratung für Empfänger von Arbeitslosenunterstützung und Arbeitslosenfürsorgeunterstützung sowie für Notstandsarbeiter39

Zustimmung nach Maßgabe der Empfehlungen des Sozialpolitischen Ausschusses vom 28. September 1951.40

26. Entwurf einer Allgemeinen Verwaltungsvorschrift für die Zulassung von landwirtschaftlichem Saatgut und eingeführtem Gemüsesaatgut als Handelssaatgut41

Zustimmung nach Maßgabe der Vorschläge des Agrarausschusses.

Für den Fall, daß die 10. Verordnung zur Änderung der Durchführungsbestimmungen zum Biersteuergesetz,42 die Verordnung über Konsumbrot43 und die Abänderungsvorschläge zur Geschäftsordnung des Bundesrates44 noch auf die Tagesordnung der Bundesratssitzung gesetzt werden sollten, beschließt der Ministerrat, Absetzung von der Tagesordnung zu beantragen, da die Anträge noch überprüft werden müssen.

b) Verteilung der Niederschriften über die Ausschußsitzungen des Bundestages

Oberlandesgerichtsrat Dr. Gerner gibt bekannt, er sei über die Vertretung beim Bund davon in Kenntnis gesetzt worden, daß den Ländervertretungen die Niederschriften über die Ausschußsitzungen des Bundestages künftig nur mehr in fünf Abdrucken übermittelt werden würden. Er vermute, daß hier nicht so sehr Sparsamkeitserwägungen maßgebend seien als die Absicht, die Tätigkeit des Bundesrates zu erschweren.

Der Ministerrat stellt fest, daß eine Belieferung der Ländervertretungen mit lediglich fünf Abdrucken der Niederschriften über die Sitzungen des Bundestages nicht ausreichend erscheint. Ministerialdirigent Dr. Schwend wird versuchen, durch eine persönliche Besprechung mit dem Direktor des Bundestages45 eine Rückgängigmachung dieser Entscheidung zu erreichen.

II. Entwurf eines Gesetzes zur Ausführung des Bundesgesetzes über Personalausweise46

Der Ministerrat stimmt dem Gesetzentwurf zu.47

Die Punkte III bis VIII der Tagesordnung werden für die nächste Sitzung des Ministerrats zurückgestellt.48

III. Kurze Anfrage Nr. 18 – Erhöhung des Grundkapitals der Bayernwerk AG

Staatsminister Zietsch gibt bekannt, der Abg. Geiselhöringer habe ihm an einem der letzten Tage zugesichert, daß er auf einer Beantwortung der Kurzen Anfrage Nr. 18 durch die Bayer. Staatsregierung nicht mehr bestehe49 In der Angelegenheit brauche daher nichts zu geschehen.

[IV.] Nothauprogramm zur Auflösung der Lagerunterkünfte

Ministerpräsident Dr. Ehard gibt bekannt, daß Staatssekretär Dr. Oberländer für eine am 9. Oktober in Bonn einberufene Sitzung ein Notprogramm zur Auflösung der Lagerunterkünfte ausgearbeitet habe. Da es zweckmäßig sei, wenn Staatssekretär Dr. Oberländer zu der Sitzung mit einem konkreten Plan fahre, halte er es für nötig, daß dieses Programm noch von der Obersten Baubehörde überprüft werde, damit es bei der Sitzung als Grundlage dienen könne.

Staatssekretär Dr. Nerreter erklärt, er habe zur Besprechung dieses Programms bereits für Donnerstag eine Sitzung anberaumt, bei welcher dieses Programm von den beteiligten Ministerien besprochen werde.

Der Ministerrat beschließt, daß Staatssekretär Dr. Oberländer bei der Sitzung in Bonn am 9. Oktober das Notbauprogramm in der Fassung vertreten soll, welche es in der Besprechung am kommenden Donnerstag erhält.

[V.] Paßkontrolle durch den Bundesgrenzschutz50

Staatssekretär Dr. Nerreter teilt mit, er sei vom Bundesinnenministerium dahingehend unterrichtet worden, daß der Bundesgrenzschutz auf eine Ausübung der Paßkontrolle an den Grenzen nach der Tschechoslowakei, Österreich und der Schweiz verzichte.51

Der Bayerische Ministerpräsident
gez.: Dr. Hans Ehard
Der Generalsekretär des
Ministerrats
In Vertretung
gez.: Hans Kellner
Oberregierungsrat
Der Leiter der
Bayerischen Staatskanzlei
gez.: Dr. Karl Schwend
Ministerialdirigent