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EinleitungD

I. Quellenlage

1. Die Ministerratsprotokolle des Kabinetts Hoegner

Für das Kabinett Hoegner I (28. September 1945 bis 21. Dezember 1946) liegen insgesamt 59 Ministerratsprotokolle vor.1 In der ersten Ministerratssitzung vom 8. Oktober 1945 (Nr. 1) sprach Hoegner die Abänderung der Regierungserklärung an. Die Form, in der er dies machte, läßt erkennen, daß den Mitgliedern des Kabinetts die Thematik vertraut war. In der Tat waren die designierten Kabinettsmitglieder bereits am frühen Abend des 5. Oktober, nach Abschluß der Gespräche zur Kabinettsbildung, unter Hoegners Leitung zur Beratung der Regierungserklärung zum ersten Mal zusammengekommen.2 Ob diese Zusammenkunft den formalen Charakter einer Ministerratssitzung hatte, war nicht zu klären. Ein Protokoll über diese Beratung ist nicht bekannt.

Es kann als sicher angenommen werden, daß ab dem 8. Oktober 1945 Protokolle über sämtliche Sitzungen des Kabinetts vorliegen. Mit einem Rundschreiben lud Kultusminister Fendt die Teilnehmer an den Ministerratssitzungen im Dezember 1945 dazu ein, im Anschluß an jede zweite Ministerratssitzung beim Tee auch informell zusammenzukommen.3 Wie lange diese Praxis beibehalten wurde, ist unbekannt.

Als Geschäftsordnung galt auch für die Regierung Hoegner diejenige des Kabinetts Schäffer von Ende Juli 1945.4 Danach galt auch für sie, daß der Ministerpräsident den Vorsitz im Ministerrat führte, seine Stimme in Zweifelsfällen und bei Meinungsverschiedenheiten entschied und über die Verhandlungen des Ministerrats ein Protokoll geführt wurde. Hoegner übte im übrigen keineswegs nur formal den Vorsitz im Ministerrat aus. Die Sitzungen zeichnen sich durch eine souveräne Verhandlungsführung des juristisch vorgebildeten Ministerpräsidenten aus, der stringent in die Thematik der einzelnen Tagesordnungspunkte einführte, Argumente zusammenfaßte, die Diskussion zu einer Beschlußfassung hinführte, Lob und Tadel verteilte,5 eben in ausgesprochenem Maße die Ministerratssitzungen strukturierte.6

Der Ministerpräsident berief die Ministerratssitzungen ein. Die Einladungen wurden von den Leitern der Bayerischen Staatskanzlei Anton Pfeiffer und Hans Kraus sowie i. A. vom Sekretär des Ministerrats, Claus Leusser, gezeichnet.7 Sie enthielten vorläufige Tagesordnungen, die in den Sitzungen ergänzt wurden. Ort aller Ministerratssitzungen war die Bayerische Staatskanzlei in der Prinzregentenstraße 7, dem Gebäude der ehemaligen preußischen Gesandtschaft. Bis zur Sitzung vom 20. März 1946 (Nr. 21) kam man im Arbeitszimmer des Ministerpräsidenten zusammen,8 anschließend in dem angrenzenden Sitzungssaal.9 Die Sitzungen fanden in der Amtszeit Hoegners meist im Abstand von sieben bis zehn Tagen statt, meist an einem Mittwochnachmittag.10

Alle Ministerratsprotokolle sind in indirekter Rede gehalten. Es handelt sich dem Charakter nach um ausführliche Verlaufsprotokolle. Dabei variiert die an den Parametern Dauer der Sitzung und Länge des Protokolls abzulesende Ausführlichkeit.

Die Protokolle vom 8. und 22. Oktober 1945 enthalten keine Hinweise auf den Verfasser. Da das dazwischenliegende Protokoll der Sitzung vom 20. Oktober und die folgenden vom Sekretär des Ministerrats Oberregierungsrat bzw. Ministerialrat Claus Leusser gezeichnet sind, ist er auch für diese ersteren als Verfasser zu vermuten. Leusser,11 seit Hoegners Regierungsantritt als Sekretär bzw. Generalsekretär des Ministerrats für die Vorbereitung, Durchführung und das Protokoll der Sitzungen verantwortlich,12 können als Verfasser 43 Ministerratsprotokolle des Kabinetts Hoegner eindeutig zugeordnet werden. Sie fußten auf von ihm selbst während der Sitzungen verfaßten stenographischen Aufzeichnungen.13 In zwölf Sitzungen14 vertrat ihn der in der Staatskanzlei als persönlicher Referent des Ministerpräsidenten tätige Regierungsrat, später Oberregierungsrat Levin von Gumppenberg15 als Protokollant. Für das Protokoll vom 11. Dezember 1946 (Nr. 56) zeichneten beide verantwortlich. Die Ministerratssitzung vom 13. September 1946 (Nr. 44) protokollierte der Regierungsrat Johannes von Elmenau.16 Leusser, der bis 1951 sechs Jahre lang in der Staatskanzlei tätig und bis 1948 für das Protokoll der Ministerratssitzungen zuständig war, prägte Stil und Niveau der Niederschriften. Ihm sind Präzision und Ausführlichkeit der Protokolle zu verdanken. In den Fällen, in denen er vertreten wurde, fallen die Protokolle merklich knapper aus.

Die Protokollentwürfe in dem jetzt im Bayerischen Hauptstaatsarchiv liegenden Registraturexemplar17 tragen handschriftliche Vermerke, denen zu entnehmen ist, wann den Teilnehmern am Ministerrat das Protokoll jeweils zugesandt wurde. Der zeitliche Abstand zum Sitzungstermin betrug im Durchschnitt ein bis drei Wochen. In den ersten Monaten lagen die Protokolle nicht immer schon zur nächsten Sitzung vor. In zwei Fällen ging das Protokoll einer Sitzung auch an den nicht zum Kabinett gehörenden Staatsrat im Landwirtschaftsministerium Wilhelm Niklas.18

Die Korrekturen in den Protokollentwürfen im Registraturexemplar stammen nahezu ausschließlich von der Hand Leussers. Eine Durchsicht ergab, daß es sich in der Regel um die Berichtigung von Schreibfehlern handelt, die bei der Herstellung der Reinschrift entstanden waren. In einigen wenigen Fällen liegen Korrekturen von der Hand Hoegners vor. Da diese Entwürfe nur von Ministerpräsident Hoegner und dem Sekretär des Ministerrats Leusser unterschrieben sind, ist davon auszugehen, daß Leusser dem Ministerpräsidenten als Vorsitzenden des Ministerrats die Protokolle zur Genehmigung vorlegte. Aus handschriftlichen Vermerken ergibt sich: Nachdem der Ministerpräsident das Protokoll durchgesehen und freigegeben hatte, konnte es vervielfältigt und verteilt werden.

Es ist davon auszugehen, daß den übrigen Teilnehmern an den Ministerratssitzungen kein Entwurf des Protokolls vorgelegt und in dieser Phase auch kein Einspruchsrecht19 eingeräumt wurde.20 Jedoch existieren für das Kabinett Hoegner schriftliche Einwendungen gegen den Protokolltext, die nach Zusendung der hektographierten Exemplare erhoben wurden. Zwei davon bezogen sich auf das Protokoll vom 21. Dezember 1945 (TOP VI). Auf Antrag des Arbeitsministers wurde eine Berichtigung vorgenommen, die die Staatskanzlei den Teilnehmern an der Sitzung schriftlich mitteilte. Der Wunsch des Finanzministeriums, ebenfalls zu diesem TOP das Protokoll an einer Stelle zu ändern, wurde jedoch von der Staatskanzlei zurückgewiesen.21 Terhalles Antrag, das Protokoll der Sitzung vom 27. März 1946 (TOP VIII) zu berichtigen, wurde entsprochen, die Änderung den Kabinettsmitgliedem angezeigt.22 Die für das Kabinett Hoegner weiter gültige Geschäftsordnung der Regierung Schäffer sah keine Regelung für die Behandlung von Einwendungen gegen den Text der Ministerratsprotokolle vor. Dies wurde erst in der Geschäftsordnung von 1952 festgelegt.23 Auch darin hieß es, daß der Ministerpräsident über die Einwendungen entscheide. Diese Praxis – die Staatskanzlei handelte im Auftrage Hoegners – galt auch für das Kabinett Hoegner. Dem Ministerpräsidenten kam damit die letzte Entscheidung über den Protokolltext zu.

In einigen wenigen Fällen sind den hektographierten Ministerratsprotokollen Anlagen beigeheftet.24

Über die Beratungen und Beschlüsse des Ministerrats wurde vom Presseamt der Bayerischen Staatskanzlei ein Communiqué verfaßt,25 in dem für die Öffentlichkeit bestimmte Informationen aus den Sitzungen publiziert wurden. Diese Communiqués wurden regelmäßig in dem seit Juni 1946 erscheinenden Bayerischen Staatsanzeiger veröffentlicht. Bis dahin berichtete die Süddeutsche Zeitung über einzelne Punkte aus den Ministerratssitzungen.

Nur für die Sitzung vom 30. Januar 1946 (Nr. 16) – das Protokoll dieser Sitzung wurde am 19. Februar an die Kabinettsmitglieder versandt – ist die Praxis bekannt, daß den Teilnehmern an der Ministerratssitzung bereits am nächsten Tag in fünfseitiger hektographierter Form die „Beschlüsse des Ministerrats vom 30. Januar 1946“ zugeschickt wurden.26 Ansonsten wurden die in den Sitzungen gefaßten Beschlüsse wohl nicht separat zusammengestellt.

Es lag in der Kompetenz der Minister und Staatssekretäre, die Beschlüsse auf der Basis der Ministerratsprotokolle an die ihnen nachgeordneten Behörden und Referenten weiterzuleiten. In diesen Fällen wurden häufig maschinenschriftliche Auszüge angefertigt, die dem Referenten den zur Erledigung eines Beschlusses nötigen Abschnitt des Protokolls zur Kenntnis brachten. Diese Praxis scheint nicht immer reibungslos funktioniert zu haben.27 Der Vertreter des Wirtschaftsministeriums regte jedenfalls in einer Referentenbesprechung im Juli 1946 an, die Ministerratsbeschlüsse, soweit sie sich auf die einzelnen Staatsministerien bezögen, von der Staatskanzlei direkt dem jeweiligen Ressort zur Bearbeitung zuzuleiten. Die Staatskanzlei lehnte eine solche Praxis jedoch mit Hinweis auf die bürotechnische Undurchführbarkeit und die Kompetenz der Mitglieder des Ministerrats ab. Es falle in deren Zuständigkeit, die Beschlüsse innerhalb ihres Ministeriums bekanntzugeben und zu vollziehen.28

2. Aufzeichnungen über eine Konferenz zwischen der Bayerischen Staatsregierung und den Abteilungsleitern der Militärregierung für Bayern

Die Bedeutung des Verhältnisses zur amerikanischen Militärregierung für Bayern, dem Office of Military Government for Bavaria (OMGB), war für Ministerpräsident Hoegner und seine Regierung von gleicher herausragender Bedeutung wie für seinen Vorgänger. Der Kontakt zwischen Hoegner und dem Direktor des OMGB, Brigadegeneral Walter J. Muller, war intensiv. Er fand überwiegend in brieflicher, aber auch in fernmündlicher und mündlicher Form statt.29

Nachweislich bestellte Muller in gewissen Abständen Hoegner alleine oder gemeinsam mit Mitgliedern seiner Regierung zu Besprechungen,30 an denen dann teilweise auch die Abteilungsleiter des OMGB teilnahmen.31 Diese Konferenzen fanden in der Bibliothek des Hauptquartiers von OMGB, der Reichszeugmeisterei in der Tegemseer Landstraße 210 in München statt. Muller hatte seine Absicht bekundet, zur Erörterung wichtiger Fragen in gewissen Zeitabständen mit dem Kabinett zusammenzukommen. Ob diese Treffen jedoch regelmäßig stattfanden, war nicht festzustellen. Zu einer Sitzung in dieser personellen Zusammensetzung, die am 21. März 1946 in der Tegernseer Landstraße stattfand, liegt ein ausführliches Protokoll vor. Es wird in diesem Band im Anhang abgedruckt. Das Protokoll vermittelt einen Eindruck von dem kollegialen Klima, das in der Regierungszeit Hoegners zwischen der amerikanischen Militärregierung und der Bayerischen Staatsregierung herrschte.32

Im Rahmen der ab Oktober 1945 turnusmäßig in Stuttgart stattfindenden Länderratssitzungen kam Hoegner auch auf der Ebene der US-Zone regelmäßig mit den politisch einflußreichen Leitern des Regional Government Coordinating Office (RGCO) James K. Pollock und Colonel Dawson33 sowie – soweit er an den Länderratssitzungen teilnahm – General Clay zusammen. Dies geschah nicht nur auf offizieller Ebene. Im Anschluß an die Länderratssitzungen besprachen sich Clay, Pollock etc. auch in informellem Rahmen mit den drei Ministerpräsidenten ihrer Zone.34 Hoegner berichtete teilweise von diesen Gesprächen im Kabinett. Diese exklusiven Begegnungen, bei denen die drei Ministerpräsidenten zuvorkommend behandelt wurden,35 verschafften dem bayerischen Ministerpräsidenten einen wichtigen Informationsvorsprung, der Teil seiner dominierenden Stellung im Kabinett war. Mit den Begegnungen auf dieser Ebene ging auch eine Aufwertung der Repräsentanten der Länder in ihrem Status einher.36

Kontakte mit Vertretern des Kontrollrates in Deutschland beschränkten sich auf Besuche von Delegationen in München.37 Anträge an den Kontrollrat konnte der Ministerpräsident nur über die Militärregierung richten.38

II. Die Bayerische Staatsregierung

1. Die Berufung Wilhelm Hoegners zum Ministerpräsidenten

Ende September 1945 hielt sich der Political Adviser General Clays, Robert Murphy, in München auf und führte Gespräche mit dem Ziel, das Kabinett Schäffer abzulösen und eine Regierung auf breiterer politischer Basis zu bilden.1

Murphy schlug die Erhöhung der Zahl der Ministerien und die Berufung Albert Roßhaupters (SPD) – zu dieser Zeit Arbeitsminister im Kabinett Schäffer – zum Ministerpräsidenten vor, der ihm gegenüber seine Bereitschaft dazu erklärt hatte. Roßhaupter hatte den Vorzug vor dem gleichfalls in Erwägung gezogenen Hoegner erhalten, weil er, so Murphy an Außenminister Byrnes, geeigneter sei, Kommunisten in die Regierung einzubeziehen.2

Noch während das Kabinett Schäffer amtierte, hatten seit Juni in München zwischen SPD und KPD Gespräche begonnen, die am 8. August – vor der Parteienlizenzierung – zu einer Vereinbarung3 über den Abschluß einer Aktionsgemeinschaft geführt hatten.4 Im Rahmen dieser Kontakte, die regelmäßig in den Räumen des Arbeitsministeriums stattfanden, hatte Roßhaupter auf seiten der SPD eine führende Rolle gespielt. Die Existenz dieser Aktionsgemeinschaft ist von der DDR-Geschichtsschreibung in den sechziger Jahren durch Quellenpublikationen und in einem Aufsatz5 dargestellt worden. Dahinter stand das tagespolitische Motiv, die Haltung der SPD unter Kurt Schumacher, die auf einer Funktionärskonferenz am 6. Januar 1946 die Zusammenarbeit von KPD und SPD strikt abgelehnt hatte, zu diskreditieren und die Zwangsvereinigung von KPD und SPD durch den Hinweis auf bei Kriegsende praktizierte Aktionsgemeinschaften auch im Westen als organisch erscheinen zu lassen. Infolge dieser politischen Instrumentalisierung hat die SPD die Existenz der Aktionsgemeinschaft später abgestritten bzw. nicht erwähnt. Neue Quellenpublikationen6 bestätigen jedoch die DDR-Forschungsergebnisse, insbesondere die wichtige Scharnierfunktion Roßhaupters7 für die Aktionsgemeinschaft und erklären damit auch, daß die Wahl Murphys auf ihn fiel. Im Rahmen der Regierungsbildung war die Aktionsgemeinschaft ein einflußreicher Faktor.

Gleichzeitig mit den Gesprächen Murphys in München fanden auch politische Gespräche zwischen Vertretern von SPD und KPD mit Repräsentanten der im Entstehen begriffenen CSU, angeführt von Josef Müller, statt. Die Initiative dazu war von den Vertretern der Aktionsgemeinschaft ausgegangen. Am 7. September hatte Müller dann bei einer Besprechung im Justizpalast den Entwurf eines gemeinsamen Regierungsprogramms eines antifaschistischen Blocks vorgelegt, das von ihm erarbeitet worden war.8 Im weiteren Verlauf des September ergriff Müller die Initiative und rief die Parteienvertreter zu weiteren Sitzungen zusammen.9 Am 28. September lud Müller für 18 Uhr ins Münchner Rathaus zu einer abschließenden Besprechung personeller und inhaltlicher Fragen einer künftigen Regierung ein.10 Roßhaupter und Goldhammer11 berichteten über ihre Unterredungen mit Murphy, bei denen Roßhaupter Müller und Goldhammer für die Übernahme von Regierungsämtern vorgeschlagen hatte. Müller trug ein provisorisches Regierungsprogramm vor.12 Der Münchner Oberbürgermeister Karl Scharnagl sprach sich gegen eine voreilige Festlegung aus: „Ich wußte nicht, zu was die Besprechung sein sollte. Die Überraschung war auf allen Seiten sehr groß“. Auch die Teilnehmer Wimmer und Pitzer, der die Besprechung als einen Überfall bezeichnete, wandten sich dagegen, bindende Beschlüsse zu fassen. Dies begründeten sie mit der Abwesenheit Hoegners.13 Das Protokoll läßt den Schluß zu, daß Müller im Zusammenspiel mit Goldhammer und Roßhaupter die in Murphys Anwesenheit liegende Chance zu einer raschen Regierungsbildung unter ihrer maßgeblichen Beteiligung nutzen wollte und versuchte, die anderen Gruppen zu überspielen.14

Schon einige Tage zuvor hatten auch Gespräche in München stattgefunden, an denen Adam Stegerwald, Spitzenfunktionär der christlichen Gewerkschaften und Reichsarbeitsminister (1930–1932) in der Weimarer Republik und jetzt Regierungspräsident von Unterfranken, beteiligt gewesen war. Stegerwald hatte Kardinal Faulhaber darüber berichtet, er mache sich Hoffnungen, mit der Regierungsbildung beauftragt zu werden.15 Parallel dazu befand sich Ministerpräsident Schäffer auf der Suche nach Kandidaten zur Umbildung bzw. Auffüllung der vakanten Posten seines Kabinetts.16

Während im Münchner Rathaus noch über die Bildung einer neuen Regierung gesprochen wurde, fiel die Entscheidung über den neuen Bayerischen Ministerpräsidenten ohne Berücksichtigung der Vorschläge Murphys in Frankfurt und durchkreuzte die Erwartungen der Akteure in München. An diesem 28. September bestellte General Eisenhower General Patton, der seit 10. Juni 1945 als Kommandeur der 3. Armee Befehlshaber des östlichen Militärbezirks der US-Zone und Militärgouverneur Bayerns war, nach Frankfurt und teilte ihm seine Versetzung mit. Der Grund waren in der amerikanischen Öffentlichkeit kritisierte Äußerungen Pattons über die Entnazifizierung.17

Im Verlauf der Unterredung, die in Anwesenheit von General Adcock, dem Chef der G-5-Abteilung von USFET und seines politischen Beraters, des Geschichtsprofessors Walter L. Dorn stattfand, wurde ein Untersuchungsbericht Dorns vorgetragen, der parallel zu Murphy im Aufträge Adcocks die Verhältnisse innerhalb der bayerischen Regierung untersucht hatte. Im Mittelpunkt stand die Kritik an der Ausführung der amerikanischen Entnazifizierungsanweisungen durch die Regierung Schäffer.18

Auf die anschließende Frage, durch wen er Schäffer ersetzen solle, wurde Patton von Eisenhower an Dorn verwiesen, der daraufhin Wilhelm Hoegner empfahl.19

Hoegner war bisher im Auftrag Schäffers, ohne offiziell bestallt zu sein20 und noch vor der Gründung eines bayerischen Justizministeriums mit dem Wiederaufbau der bayerischen Justiz betraut. Daß Dorns Wahl auf Hoegner fiel, mag mit seiner grundsätzlichen Sympathie für Sozialdemokraten des rechten Flügels Zusammenhängen,21 ist andererseits wohl auf Kontakte Hoegners zum US-Geheimdienst OSS im Schweizer Exil (er war am 6. Juni mit Hilfe des Büros Dulles aus der Schweiz nach München zurückgekehrt)22 zurückzuführen. Dorn, der Hoegner vor diesem Zeitpunkt nicht persönlich kannte, war als ehemaligem OSS-Spezialisten dessen Verläßlichkeit und Regimegegnerschaft bekannt. Ferner mögen auch weitere Kontakte und Empfehlungen mit ins Gewicht gefallen sein, da Hoegner seit seiner Rückkehr nach München täglich23 im Rahmen des Wiederaufbaus der Justiz mit führenden amerikanischen Vertretern zusammengekommen war,24 darunter mit dem emigrierten Juristen Karl Loewenstein, den Hoegner aus der Zeit der gemeinsam in München durchlaufenen juristischen Ausbildung kannte.

Patton ordnete von Frankfurt aus telefonisch die sofortige Entlassung Schäffers, Langes und Rattenhubers an.25

Hoegner war in dieser Woche dienstlich in Franken unterwegs gewesen26 und traf erst am Spätnachmittag des 28. September wieder in München ein. Seine Abwesenheit vom Entscheidungszentrum München deutet darauf hin, daß er zu diesem Zeitpunkt nicht mit seiner Berufung zum Ministerpräsidenten gerechnet hat. Er erwartete vielmehr, in naher Zukunft Justizminister in Schäffers Kabinett zu werden.27

Am Abend des 28. September28 wurden Schäffer, Lange und Rattenhuber im Hauptquartier des Regional Military Government in der Holbeinstraße 11 in Bogenhausen von Oberst Dalferes mit Entlassungsschreiben abgesetzt und Hoegner zum Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt.29 In englischer Sprache lautete seine Amtsbezeichnung „Minister President of the State of Bavaria“,30 das einschränkende Attribut „temporary“, das bei seinem Vorgänger Schäffer verwandt worden war, entfiel.31 Arbeitsminister Roßhaupter blieb als einziger Ressortchef des Kabinetts Schäffer im Amt.32

Am 29. September 1945 wurde Hoegner nach Frankfurt bestellt und beauftragt, eine Regierung zu bilden, was er, ohne sich um die Haltung der seit einiger Zeit eine Koalition formenden Kräfte zu kümmern, mit geringen bzw. ohne Vorbehalte akzeptierte.33 Seine Ernennung wurde am 30. September 1945 durch den Rundfunk bekanntgegeben.

Die Militärregierung registrierte die Reaktion der bayerischen Bevölkerung auf Hoegners Berufung genau, darunter die feindliche Reaktion in ländlichen Bereichen, in denen die BVP traditionell stark gewesen war.34 Political Intelligence Reports äußerten sich auch skeptisch zur Stärke der SPD und der Kommunisten in Bayern.35 Den amerikanischen Berichten ist allgemein eine gewisse Besorgnis darüber zu entnehmen, ob die Berufung Hoegners in der Bevölkerung eine genügende Basis besaß bzw. ob er ohne diese Basis das Land regieren konnte.

Am 23. September 1887 in München geboren (bis 1918 kath.) war Hoegner, 1911 zum Dr. jur. promoviert, nach Ablegung der beiden juristischen Staatsexamina 1914 und 1917 zunächst kurzzeitig Rechtsanwalt und trat zum 1. Mai 1920 als III. Staatsanwalt in die bayerische Justizverwaltung ein.36 Am Ersten Weltkrieg hatte er wegen einer Herzstörung nicht teilgenommen. 1925 wurde er Amtsrichter, 1929 II. Staatsanwalt und am 1. Januar 1933 Landgerichtsrat in München. Seit 1919 Mitglied der SPD, war der von Erhard Auer geförderte Hoegner gleichzeitig von 1924–1933 Abgeordneter des Bayerischen Landtags. 1930–1933 war er zugleich Mitglied des Reichstags. Im Landtag profilierte er sich unter anderem in dem auf seinen Antrag hin im Sommer 1924 eingesetzten Untersuchungsausschuß über den Hitler-Putsch 1923 und die Behandlung Adolf Hitlers durch die bayerische Justiz. Hoegner zog aus den Ereignissen die angesichts seiner späteren Einstellung bemerkenswerte Schlußfolgerung, die Justiz zu verreichlichen.37 Am 18. Oktober 1930 hielt er im Reichstag eine Rede gegen die Nationalsozialisten, die zu erheblichen Tumulten führte und unter anderem den Anlaß für seine Verfolgung seit 1933 bildete. Am 23. März 1933 stimmte Hoegner im Reichstag mit der SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz.38 Am 1. Mai 1933 wurde er mit gekürztem Ruhegehalt aus dem bayerischen Justizdienst entlassen. Anschließend verwehrte man ihm die Zulassung als Anwalt. Am 11. Juli 1933 floh er zusammen mit Erhard Auer nach Österreich, wo er weiterhin politisch tätig war. Am 27. Februar 1934 emigrierte Hoegner von Österreich aus in die Schweiz, die ihn im April als politischen Flüchtling anerkannte. In seinen in der Schweizer Emigration im Frühjahr 1937 niedergeschriebenen Erinnerungen „Flucht vor Hitler“ brachte er die Enttäuschung über die kampflose Kapitulation der SPD vor den Nationalsozialisten zum Ausdruck. In der Emigration hatte er Kontakte zu Otto Braun, Josef Wirth, Hans Nawiasky und Allen Welsh Dulles. Im Mai 1934 verfügte die Gestapo den Verlust der Ruhestandsbezüge für Hoegner, im Oktober 1938 erfolgte seine Ausbürgerung. In der Schweiz publizierte er unter Pseudonym gegen den Nationalsozialismus und vollzog den für seine politischen Überzeugungen in der Nachkriegszeit bestimmenden Wandel zu einem überzeugten Föderalisten.

Es war jedoch nicht allein das Beispiel der föderalistischen Demokratie in der Schweiz, das Hoegner zu einem vehementen Verfechter des Föderalismus werden ließ. Vielmehr gelangte er im Exil zu der Überzeugung, daß der schnelle Zusammenbruch der Weimarer Demokratie zu einem guten Teil auf ihrer zentralistischen Struktur beruhte. Eine föderalistische Verfassung hingegen biete einer zukünftigen Demokratie wirksamen Schutz vor den Gefahren der Diktatur.39

In Denkschriften für die Amerikaner Allen W. Dulles und Gero von Schultze-Gävemitz, die in der Schweiz eine Filiale des OSS aufbauten, entwickelte er seine Gedanken über die Neugliederung Deutschlands sowie die künftige Stellung des Landes Bayern.40 Kurz vor Kriegsende Unterzeichneten am 26. April 1945 fünf bayerische Emigranten in der Schweiz eine von Hoegner entworfene und stark föderalistisch akzentuierte „Vereinbarung über die künftige staatsrechtliche Stellung des Landes Bayern“.41 In der Emigration hatte Hoegner auch über zwanzig Gesetzentwürfe für die Zeit nach dem Sturz des Nationalsozialismus konzipiert, von denen er als Ministerpräsident einige seinem Kabinett vorlegte.42

Am 6. Juni 1945 kehrte Hoegner nach München zurück und war seitdem von Ministerpräsident Schäffer ohne Gehalt mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betraut worden. Um seine finanzielle Versorgung sicherzustellen, wurde er am 20. September 1945 mit Wirkung vom 15. Juni 1945 zum Senatspräsidenten am OLG München ernannt. Am 28. September 1945 wurde er zum Bayerischen Ministerpräsidenten ernannt, seit 9. Oktober 1945 war er gleichzeitig Justizminister.43 Nach der ersten Wahl zum Bayerischen Landtag und der Bildung der Regierung Ehard schied er am 21. Dezember 1946 aus dem Amt. Im Kabinett Ehard I war Hoegner vom 21. Dezember 1946 bis zum Austritt der SPD aus der Koalitionsregierung am 20. September 1947 Justizminister und stellvertretender Ministerpräsident. Gegen die Mehrheit der Landes-SPD hatte er sich für den Verbleib in der Regierung ausgesprochen, weshalb er im Mai 1947 nicht mehr in den Landesparteivorstand gewählt wurde. Am 21. September 1947 wurde er wieder zum Senatspräsidenten am Oberlandesgericht München und am 1. Juli 1948 zum Staatsrat und Generalstaatsanwalt beim Bayerischen Obersten Landesgericht ernannt. Im Kabinett Ehard III leitete Hoegner von 1950 bis 1954 das Innenministerium und war wiederum stellvertretender Ministerpräsident. Als nach den Wahlen des Jahres 1954 die Viererkoalition aus SPD, BP, FDP und GB/BHE zustande kam, wurde Hoegner vom 14. Dezember 1954 bis zum 16. Oktober 1957 zum zweiten Male Bayerischer Ministerpräsident.

1946 war Hoegner Vorsitzender des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung und von deren Verfassungsausschuß. Er hatte in wenigen Wochen einen Vorentwurf zur Bayerischen Verfassung vorgelegt, der auch sozialistisch geprägte Wirtschaftsvorstellungen unter der Kapitelüberschrift „Die Planwirtschaft“ enthalten hatte. In der Verfassunggebenden Landesversammlung gehörte er zu den Befürwortern eines Bayerischen Staatspräsidenten. Hoegner war von 1946 bis 1970 Mitglied der SPD-Fraktion des Bayerischen Landtages (Wahlkreis Burghausen-Altötting), unter anderem der erste Vorsitzende des Pfalz-Ausschusses und 1961/62 auch kurzzeitig Mitglied des Deutschen Bundestages. Die Nominierung durch die SPD-Landtagsfraktion zum Mitglied des Parlamentarischen Rates in Bonn im August 1948 hatte er abgelehnt.44 Nach der landesweiten Lizenzierung der SPD am 8. Januar 1946 übte Hoegner das Amt des Landesvorsitzenden aus, auch das erste Aktionsprogramm und ein Organisationsstatut, das der bayerischen Sozialdemokratie weitgehende Unabhängigkeit von der Parteizentrale sicherte, stammten von ihm.45 Am 2./3. Februar 1946 wählte ihn der Landesausschuß bis 1947 zum bayerischen SPD-Vorsitzenden. 1958 bis 1967 war er einer der beiden stellvertretenden Vorsitzenden. Zum SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher, der in den traditionellen unitaristischen Denkmustern der Weimarer SPD verhaftet blieb, stand er in der Nachkriegszeit in diametralem Gegensatz.46 In den Jahren 1958–1962 war er Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion im Bayerischen Landtag, von 1958 bis 1970 stellvertretender Landtagspräsident. Seit August 1946 Honorarprofessor für Bayerisches Verfassungsrecht an der Universität München, hielt er Vorlesungen zum Bayerischen Verfassungsrecht und publizierte auch zu diesem Thema. Hoegner ist am 5. März 1980 in München gestorben.

2. Die Bildung des Kabinetts

Zwischen dem 28. September und dem 22. Oktober 1945 bestand die Bayerische Staatsregierung nur aus Hoegner als Ministerpräsident und Justizminister und Roßhaupter als Arbeitsminister. Die übrigen Ministerien wurden in diesen Wochen zumeist kommissarisch geleitet, das Justizministerium von Hans Ehard, das Finanzministerium von Staatsrat Hans Müller,47 das Kultusministerium von Staatsrat Hans Meinzolt, das Landwirtschaftsministerium von Staatsrat Wilhelm Niklas und die Staatskanzlei vermutlich von Anton Pfeiffer. Eine Zwischenstufe im Zuge der Regierungsbildung stellte die Berufung Ehards im Justizministerium, Pfeiffers in der Staatskanzlei und Niklas' im Landwirtschaftsministerium durch Hoegner zu Staatsräten dar, ehe er sie in die Regierung berief.48

Die Bamberger Verfassung von 1919 hatte die Vertretung der Minister durch Staatssekretäre als politische und durch Staatsräte als beamtete Vertreter vorgesehen.49 Entsprechend hatte Hoegner am 5. Oktober zunächst die Berufung von Staatsräten und Staatssekretären vorgeschlagen,50 ernannte jedoch dann am 22. Oktober im Vorgriff auf Art. 50 der Bayerischen Verfassung51 von 1946 als Vertreter der Minister nur Staatssekretäre.52 Diese Staatssekretärsstellen waren nicht während der gesamten Amtszeit des Kabinetts Hoegner besetzt. Daneben wurden bis in die fünfziger Jahre weiterhin teilweise auch Staatsräte als ranghöchste Beamte der Ressorts, jedoch ohne Sitz und Stimme im Ministerrat, berufen.53 Im Kabinett Hoegner waren dies Wilhelm Emnet im Kultus- und Wilhelm Niklas im Landwirtschaftsministerium.54

Bereits vor der Billigung der Minister und Staatssekretäre durch die Militärregierung und ihrer Vereidigung in der Ministerratssitzung am 22. Oktober 194555 hatten am 8. und 20. Oktober zwei Ministerratssitzungen stattgefunden. An der konstituierenden Tagung des Länderrats der US-Zone in Stuttgart am 17. Oktober hatte Hoegner zusammen mit Ludwig Erhard teilgenommen.56

Als Prämisse ist festzuhalten, daß die amerikanische Militärregierung der wichtigste Faktor bei der Regierungsbildung war, da sie die Kandidaten bestätigte oder ablehnte. Die Entlassenen Schäffer und Rattenhuber – Schäffer war von Roßhaupter noch als potentieller Finanzminister genannt worden – kamen, was Hoegner Ehard gegenüber am 1. Oktober feststellte, nicht mehr in Frage.57 Die Kandidaten mußten den amerikanischen Entnazifizierungsrichtlinien genügen. Ferner hatte die Militärregierung Hoegner die Aufnahme von Kommunisten in die Regierung zur Auflage gemacht.58

Das Recht, Minister und Staatssekretäre zu berufen, lag bei Hoegner, der einzig der Militärregierung gegenüber verantwortlich war. Die Parteien waren noch nicht lizenziert. CSU, SPD und KPD spielten zwar eine wichtige Rolle bei der Berufung, täuschten sich jedoch in der Annahme, daß sich die Regierungsbildung in „traditional party-political terms“ vollziehe.59 Auch der Bayerische Bauernverband und die Volkswirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Bayern (VAfB.) spielten eine Rolle.60 Die Militärregierung griff aktiv nur mit ihrer Forderung nach Beteiligung der Kommunisten und bei der Besetzung des Wirtschaftsministeriums ein. Eine Einbeziehung der Kirchen wie bei der Bildung des Kabinetts Schäffer61 ist nicht bekannt.

Erste Vorstellungen über die personelle Zusammensetzung des Kabinetts enthielt Hoegners Rundfunkinterview62 vom 1. Oktober 1945, das er „without consultation with the potential coalition groups, not even with his own party's steering committee“ gab63 Roßhaupter sollte Arbeitsminister bleiben, Horlacher war sein Kandidat für das Landwirtschaftsressort. Das Justizministerium wollte Hoegner selbst übernehmen.

Am 1. Oktober ersuchte Hoegner Ehard, Staatsrat in dem von ihm selbst geleiteten Justizministerium zu werden. Die weiteren Überlegungen seien noch nicht ausgereift, vielleicht werde Roßhaupter Innenminister, „Kultus soll B.V.P. bekommen“. Hoegner nannte dafür den Leiter des Schul- und Kultusreferats der Stadt München Anton Fingerle. Ehard riet entschieden ab und schlug Pfeiffer als Kultusminister bzw. als Staatssekretär des Ministerpräsidenten und als Verbindungsmann zu den Amerikanern vor. Ernährungsdirektor, so Hoegner, solle ein Mann der ehemaligen Christlichen Bauernvereine werden, vielleicht Hundhammer,64 Arbeitsminister wahrscheinlich ein Kommunist. Diese Frage sei noch offen, ebenso die des Finanzministeriums, Wirtschaftsminister solle ein Mann aus der Wirtschaft werden. Rattenhuber und Schäffer kämen für das Kabinett nicht mehr in Frage.65

Am 2. Oktober hatte Hoegner eine weitere Aussprache mit Ehard und Pfeiffer über die Zusammensetzung des Kabinetts. Hoegner legte großen Wert auf Beiziehung von Angehörigen der entstehenden CSU, die das Kultus- und das Ernährungsministerium besetzen sollten. Er nannte Pfeiffer als Staatssekretär der Staatskanzlei und erneut Ehard als Staatssekretär im Justizministerium.66 Die Kommunisten, so Hoegner, kämpften um das Innenministerium, das er ihnen jedoch in keinem Falle preisgeben wolle, es solle mit Roßhaupter besetzt werden. Den Kommunisten wolle er das Arbeitsministerium überlassen oder besser noch lediglich zwei Staatsräte im Arbeits- und Wirtschaftsministerium anbieten. Wirtschaftsminister solle ein Mann aus der Wirtschaft, Finanzminister ebenfalls ein Fachmann werden.67

Damit waren Hoegners Vorstellungen klar umrissen. Erkennbar wird sein Konsensbemühen gegenüber den christlich-konservativen Kräften in Bayern mit der Überlassung des Kultus- bzw. des Landwirtschaftsressorts. Deutlich wird auch seine Frontstellung gegenüber den kommunistischen Forderungen sowie seine Prärogative hinsichtlich des Justizministeriums. Die Berufung Pfeiffers sowie die Bestätigung Ehards – mit denen er sich auch beriet – drückt ein Vertrauensverhältnis aus, das eher von der Anerkennung ihrer Fachkompetenz als ihrer Zuordnung zu politischen Gruppierungen herrührt. Hoegner nutzte die beiden jedoch auch als Mittelsmänner zu den Exponenten der CSU. Es überrascht, daß in diesen Überlegungen des Ministerpräsidenten die Forderungen der eigenen Partei, der SPD, ausgespart waren.

Manche Mitglieder der Aktionsgemeinschaft von SPD und KPD wurden von der Entscheidung der Militärregierung für Hoegner hart getroffen, insbesondere die Kommunisten. Hoegner war zwar an der Aktionsgemeinschaft beteiligt gewesen, als Ministerpräsident machte er jedoch keinen Hehl aus seinen Vorbehalten gegenüber den Kommunisten und distanzierte sich später immer von seiner Beteiligung an der Aktionsgemeinschaft,68 die er auch in seinen Erinnerungen mit keinem Wort erwähnt. Die von ihm den Kommunisten gegenüber gemachten Konzessionen bei der Regierungsbildung waren nur ein Tribut an die Forderungen der Militärregierung. Die KPD hatte als Voraussetzung einer Regierungsbildung die Lizenzierung der Parteien gefordert, da sich nur so die Regierungsmitglieder als „Repräsentanten der politischen Parteien“ betrachten könnten. Durch die Berufung Hoegners vor gänzlich andere Tatsachen gestellt, erklärte die KPD am 3. Oktober: „Eine Regierungsbildung durch Persönlichkeiten, die sich außer der Militärregierung niemandem anderen gegenüber verpflichtet fühlen, muß die Kommunistische Partei aus grundsätzlichen Erwägungen ablehnen“.69 Im Widerspruch zu dieser Erklärung strebte sie jedoch eine Beteiligung an Hoegners Kabinett an und stellte Forderungen, die sie auf einer gemeinsamen Besprechung der Parteivertreter unter Hoegners Vorsitz am Abend des 4. Oktober vertrat und am 5. Oktober in der „Erklärung der Kommunisten zu den Forderungen der angeblich ‚christlich-sozialen‘ Gruppe um Dr. Hundhammer“ zusammenfaßte: „Dagegen erheben die Kommunisten Anspruch auf Arbeitsgebiete, in denen sie sich durch ihre unbeugsame Haltung (Innenminister) und durch ihren entschiedenen Willen zum Wiederaufbau (Minister-Stellvertreter im Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium) eines Anrechts und der Zustimmung eines entschiedenen Teiles der bayerischen Bevölkerung aller Kreise sicher sind“.70

Hoegner führte während der Regierungsbildung auch ein Gespräch mit einem Angehörigen der amerikanischen Militärregierung, mit dem jüdischen Emigranten und früheren SPD-Mitglied aus Fürth Joseph Dunner,71 1945 Leiter der Press Control Section München und Oberbayern. Hans Menzel (SPD),72 bis 1932 Ministerialdirektor im Reichsinnenministerium, 1930/31 Reichskommissar in Thüringen und 1945 Präsident des Landesarbeitsamtes Südbayern, faßte ein gemeinsames Gespräch mit Dunner und Hoegner am 2. Oktober über die Regierungsbildung folgendermaßen zusammen: „Dunner und ich stimmten in der Auffassung überein, daß Ihr erster Gedanke, von dem Sie mir gestern Morgen im Auto sprachen, unserem linken Koalitionspartner das Wirtschaftsministerium zu geben, den Vorzug verdiene vor der Überlassung des Innenministeriums an diese Partei. Schon nach dem ersten Weltkriege bemühten sich die Kommunisten niemals um die wirtschaftlichen Ministerien, sondern immer um die politischen, insbesondere um das Innenministerium. Hierin sind ihnen die Nationalsozialisten gelehrige Schüler gewesen. In Braunschweig, in Thüringen und Preußen“.73

Hoegners Vorbehalte gegenüber den von der KPD erhobenen Forderungen insbesondere nach dem Innenministerium resultierten primär aus diesen Weimarer Erfahrungen. Am Ende bot er ihnen einen Minister ohne Portefeuille sowie je einen Staatssekretär im Innen-, Wirtschafts- und Landwirtschaftsministerium an, was sie murrend akzeptierten. Zuvor hatte er vorgeschlagen, ihnen statt des Innenministeriums das Arbeitsministerium anzubieten. Das Arbeitsressort sei das einzige, das man den Kommunisten übertragen könne, ohne tiefe Empörung bei Bauern und Geschäftsleuten hervorzurufen. Hinter dieser Begründung sah eine Studie des amerikanischen Geheimdienstes Hoegners taktische Überlegung, das Wählerpotential der SPD im bürgerlichen Spektrum zu erweitern.

Im Unterschied dazu sahen Gewerkschaftsführer wie Roßhaupter und Schiefer den Schwerpunkt der Klientel der SPD traditionell in der Arbeiterschaft, deren Interessen eben vor allem im Arbeitsministerium vertreten werden konnten, das deshalb keinesfalls an die Rivalen im Kampf um die Arbeiter abgetreten werden durfte.74 Sie lehnten daher seinen Vorschlag ab. Hoegner konnte sich gegen Roßhaupter und Schiefer nicht durchsetzen.75 Die SPD stellte mit Roßhaupter wieder den Arbeitsminister. Dieser Konflikt war auch Ausdruck von generellen Spannungen zwischen dem bürgerlichen Emigranten Hoegner und den gewerkschaftlichen Führungsgruppen der Partei, für die vor allem Roßhaupter stand.76 Bei Roßhaupter mögen auch noch persönliche Enttäuschungen hinzugekommen sein.

Die Tatsache, daß in Hoegners Überlegungen für das Innenministerium nur Roßhaupter genannt wird, deutet darauf hin, daß das Reservoir ministrabler Personen bei der bayerischen SPD bei Kriegsende begrenzt war.77 Von der SPD, deren Basis euphorische Erwartungen in die sozialdemokratisch geführte Regierung setzte,78 ist über den innerparteilichen Meinungsbildungsprozeß hinsichtlich der Ressorts und des vorzuschlagenden Personals nur wenig bekannt. Es gibt lediglich Hinweise, daß die Diskussion zwischen Hoegner und prominenten SPD-Vertretern auf München beschränkt war und z. B. fränkische Vertreter keinen nennenswerten Einfluß geltend machen konnten.79 Am Ende präsentierte die SPD neben Roßhaupter Josef Seifried, den Leiter der freigewerkschaftlichen Angestelltenbewegung in München und Südbayern und früheren bayerischen Landtagsabgeordneten als Kandidaten für das Innenministerium sowie den Regierungsdirektor und kommissarischen Leiter der Schulabteilung der Regierung von Oberbayern Franz Fendt für das Kultusministerium am Salvatorplatz. Seifried war zum Zeitpunkt seiner Berufung Stadtrat in München.80

Die Gespräche Hoegners über die formelle Bildung einer Koalitionsregierung mit den Vertretern der CSU scheiterten. Sachlich begründete Karl Scharnagl diese Entscheidung so: „Ich bin der Meinung, da wir dem demokratischen Prinzip des Zweiparteienstaates folgen sollten, nachdem die Militärregierung dem Vertreter des rechten Kreises das Vertrauen entzogen hat und einem Vertreter der Linken das Ministerpräsidium übertragen hat, soll die Linke auch die Regierung bilden und die Geschäfte führen“.81 Beeinflußt haben diese Entscheidung auch Müllers Verbitterung, nicht Ministerpräsident geworden zu sein, sowie die bereits bei der Gründung der CSU entstehende Flügelbildung und persönliche Differenzen, Faktoren die es unmöglich machten, eine einheitliche Position zu vertreten.82 Kleinster gemeinsamer Nenner auf Seiten der CSU war der Hoegner am 5. Oktober übermittelte Beschluß, daß den von Hoegner zum Eintritt in die Landesregierung aufgeforderten Personen, die der CSU angehören, die Frage ihres Eintritts zur persönlichen Entscheidung überlassen wurde.83

Über die innerparteiliche Meinungsbildung liegen nur wenige Quellen vor. Ehard vertrat die Auffassung, daß den Amerikanern die Bereitschaft der Deutschen demonstriert werden müsse, Verantwortung zu übernehmen.84 Aus verschiedenen Quellen wird erkennbar, daß die Verhandlungen Hoegners mit Vertretern der CSU dadurch erschwert wurden, daß ihm verschiedene voneinander abweichende Verhandlungspositionen unterbreitet wurden. So legten Schäffer und Semler Hoegner am 4. Oktober um 14 Uhr eine Stellungnahme ihrer „politischen Freunde“ vor.85 Sie sprachen nicht für Müller und seine Anhänger sowie für Scharnagl.86 Angehörige der CSU, so ihre Kernaussagen, könnten sich unter zwei Bedingungen an der Regierung Hoegner beteiligen:87 „1.) Kultusministerium und Innenministerium dürfen nicht in Hände kommen, die einen Bruch mit der bisherigen Tradition und Politik in Bayern bedeuten und die eine Politik entgegen dem Mehrheitswillen des bayerischen Volkes betreiben können. 2.) Auch im Landwirtschaftsministerium darf an leitender oder 2. Stelle kein Name stehen, der mit der bayerischen landwirtschaftlichen Bevölkerung politisch in Widerspruch geraten müßte“. Als Kultusminister wurden vorgeschlagen Georg Lill,88 der Direktor des Landesamtes für Denkmalpflege, und Reinhard Demoll,89 Professor für Biologie an der Universität München. Beide waren, als Otto Hipp bei der Militärregierung nicht mehr zu halten gewesen war, bereits von Ministerpräsident Schäffer kurz vor seiner Absetzung gefragt worden, ob sie das Ressort übernehmen würden.90 Lills Zusage war nur für den Eintritt in eine von Schäffer geführte Regierung eingeholt worden. Für Landwirtschaft wurden alternativ Baumgartner, Horlacher und Hundhammer genannt, in dieser Reihenfolge, sowie als Staatsräte für die Staatskanzlei Pfeiffer, für die Ressorts Justiz Ehard und für Arbeit der christliche Gewerkschafter Krehle. Für das Kultusministerium wurde ferner gefordert, ohne die Frage der Rechtsgültigkeit des Konkordats aufzuwerfen, stillschweigend von seiner Fortgeltung auszugehen.91

Am Abend des 4. Oktober tagte um 18 Uhr ein Kreis bei Schäffer, um weitere Varianten der personellen Beteiligung der CSU an der Regierung zu erörtern. Um die Übernahme des Innenministeriums durch die Kommunisten zu verhindern, wurde vorgeschlagen, Ehard als Innenminister mit einem sozialdemokratischen Staatssekretär vorzubringen.

Um 20 Uhr fand dann eine Besprechung bei Hoegner über die Forderungen Schäffers sowie im Anschluß daran eine Konferenz auch unter Einschluß der Kommunisten im Kreis der in Aussicht genommenen Kabinettsmitglieder statt. Dabei forderten die Kommunisten – wie oben erwähnt – das Innenministerium und einen Staatssekretär im Ernährungsressort. Sie behielten sich ferner letzte Entschließungen für den Vormittag des nächsten Tages 9 Uhr vor. In diesem erweiterten Kreis vertrat Hundhammer – keineswegs sehr glücklich, wie Ehard vermerkt-, die Position der CSU-Gruppe.92 Nach einer anderen Aufzeichnung hatte Hoegner in dieser Sitzung Hundhammer das Landwirtschaftsressort angeboten. Dieser hatte für die Annahme zur Bedingung gemacht, daß das Innenministerium nicht von einem Kommunisten geleitet werde. Auch eine Zusammenarbeit mit einem kommunistischen Staatsrat im Landwirtschaftsressort lehnte er ab.93 Er erklärte weiter, die einzige Frage im nächsten halben Jahr sei die Ernährung, ein Kommunist würde auf die Bauern wie eine Katastrophe wirken.94 Heinrich Schmitt (KPD) hielt Hundhammer entgegen, die KPD sei nicht mehr als kleine Partei wie vor 1933 zu betrachten.

Bereits am Vormittag hatte Hoegner eine Unterredung mit den Vertretern des Bayerischen Bauernverbandes Michael Horlacher und Alois Schlögl gehabt, die ihm die Loyalität des Verbandes für seine Regierung zugesichert hatten. Dabei war auch über die Besetzung des Landwirtschaftsministeriums gesprochen worden. Darauf nahm Arbeitsminister Roßhaupter in der abendlichen Sitzung Bezug, der offensichtlich entweder bei der vormittäglichen Besprechung zugegen gewesen war oder eine separate Unterredung mit den Vertretern des Bauernverbandes gehabt hatte. Er erklärte, Horlacher und Schlögl hätten keine Bedingungen hinsichtlich der Besetzung des Landwirtschaftsministeriums gestellt. Er schlug daher vor, mit ihnen über einen Personalvorschlag zu verhandeln. Hundhammer, der sich als einzig legitimierten Verhandlungspartner der CSU in dieser Frage betrachtete, reagierte heftig und zog sich von den Verhandlungen zurück.95 Unter Bezug auf die Unterredung vom 4. schlugen Horlacher und Schlögl im Auftrag des Bauernverbandes am 5. Oktober 1946 Joseph Baumgartner als Kandidaten für das Amt vor.96 Er wurde von Hoegner der Militärregierung vorgeschlagen. Die schon fast vollzogene Ernennung Hundhammers war an seiner kompromißlosen Haltung und an der Uneinigkeit und Konkurrenz unter den der CSU zuzurechnenden Politikern gescheitert. Zudem machte bei dieser Berufung der an einer Zusammenarbeit mit den Kommunisten besonders interessierte Roßhaupter seinen Einfluß geltend. Mit der Berufung von Baumgartner konnte Hoegner sich der Rückenstärkung durch den Bauernverband versichern und gleichzeitig die Installierung eines Kommunisten als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium realisieren.97

Am Vormittag des 5. Oktober teilten die Kommunisten mit, daß sie auf ihren Forderungen bestünden; „Form d. Mitteilung sehr unfreundlich“, notierte Ehard.98 Um 10 Uhr fand bei Schäffer die Beratung des Sechserausschusses99 der CSU statt. Es wurde beschlossen, daß die CSU sich nicht in Form einer Koalition an der Regierung Hoegner beteiligte. Die Frage des Eintritts einzelner Angehöriger der CSU in das Kabinett bleibe deren persönlicher Entscheidung überlassen. Schäffer forderte sie im Anschluß auf, eine Berufung in das Kabinett unter allen Umständen anzunehmen. Lill lehnte es ab, Kultusminister zu werden.100

Anschließend fand eine neuerliche Besprechung bei Hoegner statt:101 Mit Rücksicht auf die Erklärungen der Kommunisten und der CSU erklärte Hoegner die Koalitionsverhandlungen für gescheitert und begann die Berufung der Kabinettsmitglieder selbst vorzunehmen.102

Hoegner führte nunmehr Einzelgespräche mit den potentiellen Kandidaten. Die Besetzung der Staatskanzlei, des Justiz- und des Arbeitsministeriums waren klar: Pfeiffer als Staatssekretär in der Staatskanzlei, das Gespann Hoegner/Ehard im Justizministerium und Roßhaupter als Arbeitsminister.

Nachdem SPD und CSU die Führung des Innenministeriums mit einem Kommunisten abgelehnt hatten und Hoegner am 4. Oktober erklärt hatte, daß die SPD nicht damit einverstanden sei, daß das Innenministerium in die Hände der CSU gelange,103 blieb nur die Besetzung mit einem SPD-Mann. Hoegner hatte in dieser Sitzung dessen Profil entworfen: Im Innenministerium müsse gründlich ausgeräumt werden, er habe sich vergewissert, daß dort ein Chaos herrsche. Als Beispiel nannte er das „Herzogtum Franken“.104 Eine eiserne Hand müsse rücksichtslos durchgreifen. Für diesen Posten gewann er Josef Seifried. Als Staatssekretär berief er Ludwig Ficker (KPD).105

In enger Verbindung mit dieser Besetzung des Innenministeriums stand, daß der von Hoegner der Militärregierung präsentierte Kabinettsvorschlag dann ein Ministerium ohne Portefeuille enthielt, das mit dem Kommunisten Heinrich Schmitt besetzt wurde. Schmitt war wohl der Kandidat der KPD für das Innenressort.106 Aus dem Ministerium ohne Portefeuille wurde im folgenden dann das Ministerium für Sonderaufgaben bzw. für politische Befreiung, dessen Aufgabe in der Durchführung der Entnazifizierung bestand. Tatsächlich hatte Heinrich Schmitt die Forderung der KPD nach dem Innenressort mit der Sicherstellung einer scharfen Entnazifizierung verknüpft. Unklar ist, wie und wann genau der Entschluß fiel, das Sonderministerium zu schaffen.107 Betrachtet man den Verlauf der Regierungsbildung, scheint es Ausdruck der Koalitionsarithmetik zu sein. Was ex post als bewußte Kreation einer Ministerialverwaltung zur Durchführung einer Aufgabe von höchster Priorität gedeutet wird, scheint eher eine Verlegenheitslösung bei der Regierungsbildung gewesen zu sein. Darauf deutet sowohl die anfängliche Namengebung des Ministeriums hin, als auch der im analogen Fall heftige Widerstand der Staatsregierung gegen die Schaffung einer Flüchtlingssonderverwaltung außerhalb der regulären Ressorts. Es spricht auch nicht viel für die Wahrscheinlichkeit, daß die Amerikaner zu diesem Zeitpunkt ein eigenes Ministerium für Entnazifizierung gefordert hätten. Dies wäre vermutlich in der gesamten US-Zone einheitlich angeordnet worden.

Zur Berufung Ludwig Erhards zum bayerischen Wirtschaftsminister berichtet Hoegner in seinen Erinnerungen, sie sei auf das Drängen von Lt. Col. Richard J. Jackson, den Leiter der Legal Division des OMGB, zurückgegangen.108 Zuvor hatte sich Hoegner vergeblich um einen Mann aus der Wirtschaft bemüht und sich an einen ihm bekannten Leiter eines Elektrizitätsunternehmens, an Professoren für Nationalökonomie sowie an bayerische Unternehmer gewandt.109 Hoegner hatte auch zu Vertretern der Demokratischen Partei in München Kontakt aufgenommen.110 Er sei dann heilfroh gewesen, „einen der Militärregierung genehmen Mann in die Regierung zu bekommen“.111 Später sah Hoegner das Motiv für den Einsatz der Militärregierung zugunsten Erhards darin, auf diese Weise mit einem Anhänger der Marktwirtschaft ein ausgleichendes Element zu dem Sozialdemokraten Hoegner in der Regierung zu haben, um planwirtschaftlichen und genossenschaftlichen Tendenzen – entsprechende Abschnitte in Hoegners Verfassungsentwurf wurden von der Militärregierung zurückgewiesen – keine Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten. Diese zu einem Topos geronnene Berufung auf amerikanische Intervention hin ist bislang in der Literatur übernommen worden. Dazu gesellte sich die von Erhard selbst stets wiederholte Sicht, die Amerikaner hätten ihn unterstützt, weil er 1944 eine liberale Wirtschaftsdenkschrift112 an Carl Goerdeler gerichtet hatte, die auch die Amerikaner kannten,113 also aufgrund seiner wirtschaftsliberalen Vorstellungen und einer Verbindung zum Widerstand.114

Es gibt jedoch Belege, daß dafür auch weitere Gründe bestimmend gewesen sind. Erhard hatte sich frühzeitig der Militärregierung für höhere Aufgaben angeboten.115 Als Chef des städtischen Wirtschaftsamtes Fürth116 und wirtschaftlicher Berater bei der Militärregierung Mittel- und Oberfrankens erwarb er sich das Vertrauen amerikanischer Militärregierungsoffiziere. Im August 1945 schlug Ministerpräsident Schäffer Erhard der Militärregierung als Vertreter der Reichsbankdirektion München in Frankfurt a.M. und damit als bayerischen Vertreter beim Aufbau eines neuen Zentralbanksystems vor.117 Erhards Berufung, neben Finanzminister Terhalle die einzige, die nicht von der Unterstützung einer Partei getragen war, geht aber auch entscheidend auf seine Mitgliedschaft in einem engagierten Kreis von Politikern, Wissenschaftlern und Praktikern zurück, der sich über wirtschafts- und währungspolitische Fragen um den Münchner Ordinarius Adolf Weber gebildet hatte: die Volkswirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft für Bayern (VAfB.).118 Der Ausschuß „Geld und Kredit“ der VAfB. erarbeitete zwei Gesetzentwürfe, die schon im Juli 1945 von Erhard der amerikanischen Militärregierung in Frankfurt übergeben worden waren.119 Erhard legte auch in den folgenden Monaten weitere Arbeitsergebnisse der VAfB. in Frankfurt vor120 und wurde so nicht nur für die bayerische Militärregierung eine feste Größe. Innerhalb des Kabinetts trug Erhard später am meisten zu einem guten Verhältnis mit der Militärregierung und ihren Offizieren bei.121 Mit der im Mai 1946 eröffneten Exportleistungsschau des bayerischen Kunstgewerbes und der im August im Haus der Kunst in München eröffneten Exportschau der Bayerischen Wirtschaft gelang es ihm, für den Außenhandel mit Produkten der bayerischen Wirtschaft zu werben. Gleichzeitig bot er der bayerischen Militärregierung, die in Konkurrenz zu den Einheiten in Hessen und Württemberg-Baden stand, ein Forum, sich gegenüber General Eisenhower, dem prominentesten Besucher dieser Schau, und gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit erfolgreich zu profilieren.122

Es gibt Hinweise, daß Weber beziehungweise die VAfB. nicht nur bei Erhards Berufung eine Rolle spielten. Auch der parteilose Experte und Finanzminister Fritz Terhalle gehörte der VAfB. an.123 Weber berichtet, daß ihn maßgebende Herren des amerikanischen Hauptquartiers in Frankfurt a.M. aufgesucht und ihn um Rat in wirtschaftspolitischen und in Personalfragen gebeten hätten.124 Weber spricht in seinen Erinnerungen auch die Ambitionen der Kommunisten auf das Innenministerium an: „Angesichts der damit verbundenen Gefahr blieb die von mir geführte Volkswirtschaftliche Arbeitsgemeinschaft, obwohl sie sich grundsätzlich um Fragen der Parteipolitik nicht kümmerte, nicht müßig. Drei führende Mitglieder unserer Vereinigung traten in das Kabinett ein, darunter zwei, Wirtschaftsminister Erhard und Finanzminister Terhalle, als Fachminister“.125

Für die Besetzung des Finanzministeriums mit dem von Hoegner mit dem Attribut „unpolitisch“ versehenen Fritz Terhalle war der Einfluß der VAfB. maßgebend.126 Terhalle äußerte im übrigen am 19. Oktober 1945 Ehard und Pfeiffer gegenüber, daß sein Entschluß zum Eintritt in das Kabinett wesentlich dadurch bestimmt worden sei, daß auch sie der Regierung angehörten.127 Mit Terhalle und Müller war das Finanzressort ganz in konservativen und verwaltungserfahrenen Händen.

Die Berufung des sozialdemokratischen kommissarischen Leiters der Schulabteilung der Regierung von Oberbayern Franz Fendt zum Staatsminister für Unterricht und Kultus war eine Folge der Zerrissenheit der CSU. Es gelang ihr nicht, einen gemeinsamen Kandidaten für das Haus am Salvatorplatz zu präsentieren, das Hoegner von Anfang an für die BVP bzw. die von ihr kommenden und in einer neuen interkonfessionellen Partei aufgehenden Kräfte reserviert hatte. Von Hoegner war der Münchner Stadtschulrat Fingerle ins Gespräch gebracht worden. Der von Ehard vorgeschlagene Pfeiffer, der sich bereits bei der Bildung des Kabinetts Schäffer Hoffnungen auf die Übernahme dieses Ministeriums gemacht hatte,128 kam auch dieses Mal nicht zum Zuge. Josef Müller hatte im Rahmen seiner Gespräche mit der Aktionsgemeinschaft von SPD und KPD den Münchner Stadtpfarrer Emil Muhler als Kandidaten präsentiert, der jedoch als Vertrauter Müllers von Schäffer und Alois Hundhammer abgelehnt wurde.129 Der von Schäffer und seinen politischen Freunden präsentierte Leiter des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, Georg Lill, lehnte die Übernahme des Amtes unter Ministerpräsident Hoegner ab.

Für den am Konsens mit den gesellschaftlichen Kräften in Bayern – wozu die konservativ-katholische Bevölkerungsmehrheit und die katholische Kirche vorrangig zählten – interessierten Ministerpräsidenten war die Nominierung von Fendt eine Verlegenheitslösung, die er ursprünglich nicht beabsichtigt hatte. So rief das Gespann eines sozialdemokratischen Kultusministers130 zusammen mit einem evangelischen Staatssekretär in den konservativ-katholischen Kreisen auch entsprechend scharfe Reaktionen hervor.131 Hoegner bemühte sich umgehend um eine Korrektur, indem er bereits während der Regierungsbildung verlauten ließ, daß er die baldige Berufung eines Staatsrates im Kultusministerium zur Pflege der Beziehungen zur katholischen Kirche plane. Dieser sollte das Pendant zu Staatssekretär Meinzolt bilden, dem Verbindungsmann zur evangelischen Kirche.132 So wurde Ende Januar 1946 Ministerialrat Wilhelm Emnet, der das Vertrauen Kardinal Faulhabers genoß, zum Staatsrat im Kultusministerium ernannt.133

Nach Abschluß der Gespräche mit den einzelnen Kandidaten reichte Hoegner am 5. Oktober 1946 folgenden Personalvorschlag bei der Militärregierung für die Bildung der neuen Bayerischen Regierung ein:134

„Neubildung der Bayerischen Regierung.

Hiemit schlage ich der Militärregierung folgende Zusammensetzung der von mir zu bildenden neuen Bayerischen Regierung vor:

Ministerpräsident: Dr. Wilhelm Hoegner (Sozialdemokrat)

Staatsrat: Dr. Anton Pfeiffer (Mitglied der Bayer. Christi. Soz. Union)

Staatsminister der Justiz: Dr. Wilhelm Hoegner (Sozialdemokrat)

Staatsrat: Dr. Hans Ehard (Mitglied der Bayer. Christi. Soz. Union)

Staatsminister des Innern: Josef Seifried (Sozialdemokrat)

Staatssekretär: Ludwig Ficker (Kommunist)

Staatsminister für Unterricht und Kultus: Dr. Franz Fendt (Sozialdemokrat)

Staatsrat: Dr. Hans Meinzolt (unpolitisch)

Staatsminister der Finanzen: Dr. Fritz Terhalle (unpolitisch)

Staatsrat: Dr. Hans Müller (unpolitisch)

Staatsminister für Wirtschaft: Dr. Ludwig Erhard (Demokrat)

Staatssekretär: Dr. Alfred Kroth (Kommunist)

Staatsminister für Ernährung und Landwirtschaft: Dr. Joseph Baumgartner (Mitglied der Bayer. Christi. Soz. Union)

Staatssekretär: Richard Scheringer (Kommunist)135

Staatsminister für Arbeit und Fürsorge: Albert Roßhaupter (Soz.Dem.)

Staatssekretär: Heinrich Krehle (Mitglied d. Bayer. Christi. Soz. Union)

Staatsminister ohne Portefeuille: Heinrich Schmitt (Kommunist)“.136

Anschließend wurde am frühen Abend im Kreise der designierten Kabinettsmitglieder die Regierungserklärung erarbeitet.137

Am 9. Oktober 1945 erhielt Ministerpräsident Hoegner die Genehmigung, gleichzeitig das Amt des Justizministers auszuüben.138 Am 2. Oktober hatte er ein entsprechendes Gesuch an OMGB gerichtet.139

Die Bestätigung der Kabinettsliste durch die Militärregierung dauerte bis zum 22. Oktober 1945. Am 6. Oktober forderte OMGB den Ministerpräsidenten auf, Fragebögen der vorgeschlagenen Minister und Staatssekretäre vorzulegen,140 die dann von Special Branch bis zum 17. Oktober geprüft wurden. Am 18. Oktober teilte das Headquarter 3rd US-Army dem Direktor des Office of Military Government for Bavaria (OMGB) General Walter J. Muller das Überprüfungsergebnis mit. Staatssekretär Scheringer wurde als „not employable“ klassifiziert, ebenso lag der Fall von Staatssekretär Kroth. Staatssekretär Meinzolt war „still under consideration“.141

Am 22. Oktober bestätigte Lieutenant General Lucian K. Truscott jr., der Nachfolger Pattons als Commanding General des Eastern Military District, um 16 Uhr im Büro des Direktors des OMGB General Muller in München vor der Presse offiziell das Kabinett Hoegner I abzüglich der drei oben genannten Staatssekretäre.142 Deren Posten blieben zunächst unbesetzt.143

Um 17.30 Uhr verpflichtete Hoegner im Ministerrat (Nr. 3) sein Kabinett und händigte den Herren ihre Ernennungsurkunden aus.144 Dabei wurde Arbeitsminister Roßhaupter zum ständigen Stellvertreter des Ministerpräsidenten bestellt.

Nach der Vereidigung der Kabinettsmitglieder traf Hoegner am 25. Oktober 1945 in München offiziell bei der Militärregierung mit General Truscott zusammen. Truscott erklärte Hoegner, daß die von ihm unterbreitete Liste der Kabinettsmitglieder gebilligt sei145 und „that with the formation of this cabinet a forward step has been taken in turning over the administrative processes of government to the Germans in the Eastern Military District“, daß gleichzeitig jedoch auch der Kommandierende General und Military Government fortfahren würden, die Richtlinien der Politik zu bestimmen und die Tätigkeit der Regierung kontrollierend zu begleiten.146

Die KPD präsentierte dann anstelle von Scheringer und Kroth147 für die Staatssekretärsposten im Landwirtschafts- und Wirtschaftsministerium mit Ewald Thunig und Georg Fischer zwei neue Kandidaten. Deren Überprüfung durch CIC wurde erst im Laufe des Dezember 1945 abgeschlossen.148 Sie wurden von Hoegner im Ministerrat am 7. Januar 1946149 verpflichtet und erhielten ihre Ernennungsurkunden. Die Beschäftigung von Staatssekretär Meinzolt im Kultusministerium war bereits vorher genehmigt worden, so daß er in der Ministerratssitzung am 21. Dezember 1945 von Hoegner hatte verpflichtet werden können.150

Am 26. Januar 1946 wurde ein Bayerisches Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten errichtet.151 Michael Helmerich (CSU)152 und Josef Waldhäuser (SPD) wurden als Staatsminister für Verkehrsangelegenheiten und Staatssekretär für die Post im Staatsministerium für Verkehrsangelegenheiten am 14. Februar 1946153 von Ministerpräsident Hoegner im Ministerrat verpflichtet.

Die CSU hatte am 8. Januar 1946 auf der Sitzung ihres Erweiterten Vorläufigen Landesausschusses die Praxis des individuellen Eintritts von CSU-Angehörigen in die Regierung Hoegner auch auf die Nominierung eines Kandidaten für das Verkehrsministerium ausgedehnt.154 Die Berufung Waldhäusers wurde vom SPD-Bezirksvorstand Franken in Nürnberg einstimmig unterstützt155 und stellte eine Art Wiedergutmachung für die bei der Regierungsbildung im Oktober 1945 wenig berücksichtigten nordbayerischen Sozialdemokraten dar.

Damit verfügte das Kabinett Hoegner über vier Ressorts mehr als die Regierung seines Vorgängers Schäffer (Justiz, Landwirtschaft, ohne Portefeuille, Verkehr).156

Hingegen verzichtete Hoegner auf ein Wiederaufbauressort, das in den gemeinsamen Überlegungen Murphys und Roßhaupters eine Rolle gespielt hatte157 und immer wieder einmal ins Gespräch gebracht,158 jedoch erst im Kabinett Ehard I mit der Berufung von Lorenz Sedlmayr zum Staatssekretär für die besonderen Aufgaben der Planung und des Wiederaufbaus am 10. Januar 1947 im StMWi159 realisiert wurde.

In den 15 Monaten, die das Kabinett Hoegner amtierte, schieden einige Mitglieder vorzeitig oder zeitweilig aus der Regierung aus.

Der Staatssekretär im Finanzministerium Hans Müller trat am 20. Dezember 1945 von seinem Amt zurück,160 nachdem von der Militärregierung Vorwürfe gegen seine Amtsführung erhoben worden waren. Nach massiven Bemühungen Hoegners161 wurde Müller rehabilitiert und im Juli 1946 wieder in sein Amt eingesetzt.162

Bereits zwei Monate nach seiner Berufung schied der Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Thunig (KPD) aus gesundheitlichen Gründen Anfang März 1946 aus dem Amt.163 Seine Stelle blieb künftig unbesetzt. Am 11. Juni teilte Ministerpräsident Hoegner im Ministerrat mit, daß Georg Fischer (KPD) am 8. Juni 1946 von der Militärregierung wegen illegalen Grenzübertritts in die russische Zone aus seinem Amt als Staatssekretär im Wirtschaftsministerium entlassen worden sei.164 Auch seine Position blieb künftig vakant. Hoegner bot allerdings der CSU im Rahmen seiner Bemühungen, sie nach den Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung stärker in das Kabinett einzubinden, Anfang Juli diesen freien Posten an, jedoch ohne Erfolg.165

Der Staatsminister für Sonderaufgaben Heinrich Schmitt (KPD) trat am 1. Juli 1946 von seinem Amt zurück.166 Unzutreffend ist die verschiedentlich in der Literatur zu findende Ansicht, mit Schmitts Rücktritt Anfang Juli 1946 sei die Regierungsbeteiligung der KPD am Kabinett Hoegner beendet gewesen.167 Mit dem Staatssekretär im Innenministerium Ludwig Ficker nahm ein Vertreter der KPD bis Mitte Dezember an den Sitzungen des Ministerrats teil.168 Dem straffen Führungsstil der KPD entsprechend hatte die Bezirksleitung der KPD169 zum Jahreswechsel 1945/46 festgelegt, „daß das Sekretariat [Landessekretariat der bayerischen KPD] jede Woche und vor jeder Kabinettssitzung mit unseren vier Vertretern in der Regierung eine politische Aussprache durchführt. Außerdem wurden die vier Genossen verpflichtet, in der Kabinettssitzung dann für Unterbrechung derselben einzutreten, wenn plötzlich grundsätzliche Fragen zur Entscheidung gestellt werden“.170

Nach dem Rücktritt Schmitts wurde Anton Pfeiffer am 4. Juli 1946 zum Staatsminister für Sonderaufgaben ernannt. Anstelle Pfeiffers übernahm Hans Kraus am 4. Juli als Staatssekretär die Leitung der Bayerischen Staatskanzlei.171

In seinen Erinnerungen berichtet Hoegner, daß er am 3. Oktober 1946 vom Amt der Militärregierung für Bayern die Weisung erhalten habe, Verkehrsminister Helmerich unverzüglich zu entlassen, weil dieser sich den Richtlinien der Militärregierung nicht gefügt habe. Weiter heißt es dort: „Die Beschuldigungen gegen Helmerich waren so unbestimmt, daß ich die Weisung der Militärregierung nicht ausführte, Helmerich blieb im Amt“.172 Diese Darstellung entspricht nicht den Tatsachen. Hoegner ging mit Datum vom 3. Oktober 1946 keineswegs die Aufforderung der bayerischen Militärregierung zu, Helmerich zu entlassen. Es handelte sich vielmehr um die Unterrichtung darüber, daß OMGB OMGUS-Berlin empfahl, Helmerich zu entlassen.173 Helmerichs Verbleiben im Amt geht wohl eher darauf zurück, daß OMGUS der Empfehlung des OMGB nicht folgte.174 Hoegner übertreibt in der Darstellung seiner Erinnerungen seinen realen Handlungsspielraum. Im Falle einer Anweisung General Mullers, Helmerich zu entlassen, hätte sich Hoegner fügen oder selbst zurücktreten müssen.

Einige Kabinettsmitglieder boten Ministerpräsident Hoegner ihren Rücktritt an bzw. trugen sich mit Rücktrittsgedanken, ohne daß sich daraus Konsequenzen ergaben. Im April brachte Verkehrsminister Helmerich seine Bedenken gegen das selbständige Staatssekretariat für die Post zum Ausdruck und verband damit die Bitte an Hoegner zu prüfen, ob er nach Darlegung dieser Bedenken an seiner weiteren Mitarbeit interessiert sei.175 In seiner Antwort betonte Hoegner, daß die Errichtung des Staatssekretariats einer Anregung der amerikanischen Militärregierung entspreche und dankte Helmerich für die Bereitschaft, trotz seiner Bedenken weiter im Kabinett mitzuarbeiten.176

Am 18. Oktober 1946 äußerte Kultusminister Fendt im Ministerrat,177 daß Kritik von seiten des Fraktionsvorsitzenden der CSU in der Verfassunggebenden Landesversammlung, Alois Hundhammer, an seiner Person und der von ihm vertretenen Volksschulpolitik ihm den Gedanken nahelegten, „sein Amt niederzulegen, da er nicht mehr das Vertrauen genieße“. Hoegner und Staatssekretär Kraus wiesen die Rücktrittsabsicht von Fendt mit Hinweis auf die alleinige Verantwortlichkeit des Kabinetts gegenüber der Militärregierung zurück.

Anton Pfeiffer reichte am 6. November 1946 seinen Rücktritt bei Ministerpräsident Hoegner ein.178 Er reagierte damit gemeinsam mit den Sonderministem Württemberg-Badens und Großhessens auf die Kritik General Clays an der Durchführung des Entnazifizierungsgesetzes. Am 7. November lehnte Hoegner das Rücktrittsangebot seines Ministers in einer Pressekonferenz öffentlich ab.179 Pfeiffer blieb im Amt.

Die Zusammensetzung des Kabinetts sicherte Ministerpräsident Hoegner mit der Berufung Baumgartners den Rückhalt des Bayerischen Bauernverbandes, über Roßhaupter, Krehle, Helmerich und Waldhäuser das Vertrauen der sozialistischen und christlichen Gewerkschaften180 und über die Wirtschafts- und Finanzexperten Erhard und Terhalle die Zustimmung bzw. Tolerierung bürgerlicher Wirtschaftskreise.181 Infolge der gescheiterten Koalitionsgespräche suchte Hoegner den Rückhalt bei den großen gesellschaftlichen Gruppen. Diese Konsenssuche setzte Hoegner auch gegenüber den Kirchen fort, unter anderem durch die baldige Ernennung von Staatsrat Emnet im Kultusministerium, aber auch durch gesetzliche Regelungen.182

3. Die Mitglieder des Kabinetts

Neben Hoegner als Ministerpräsident und Justizminister nahmen – in wechselnder Zusammensetzung – neun Minister, elf Staatssekretäre und bis zur Berufung eines Verkehrsministers und eines Staatssekretärs für die Post Mitte Februar 1946183 auch die Präsidenten der Reichsbahn- und Reichspostdirektion München Karl Rosenhaupt und Ludwig Geiger an den Sitzungen des Bayerischen Ministerrats teil.184

Staatsminister:

Staatsminister für Arbeit und stellv. MPr. Albert Roßhaupter (1878–1949), kath., Lackierer in den Eisenbahn-Zentralwerkstätten München, seit 1909 Sekretär des freigewerkschaftlich-sozialdemokratischen Verbandes des Süddeutschen Eisenbahn- und Postpersonals, seit 1912 Redakteur der Schwäbischen Volkszeitung, 8. 11. 1918–21. 2. 1919 Minister für militärische Angelegenheiten, leitete bis zur Ermordung Eisners am 21. 2. 1919 die Demobilmachung der bayer. Armee, 1907–1933 MdL (SPD), Mitglied des SPD-Landesausschusses, 1933/34, 1944 KZ Dachau, 1945 führendes Mitglied der Aktionsgemeinschaft SPD-KPD in München, 20. 6. 1945–28. 9. 1945 StMArb im Kabinett Schäffer, im Kabinett Hoegner I StMArb und stellv. MPr., im Kabinett Ehard I StMArb, formal bis 20. 9. 1947, tatsächlich nur bis April 1947, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses sowie der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses, 1948/49 MdPR.

Innenminister Josef Seifried (1892–1962), kath., Besuch der Mittelschule, bis 1919 Tätigkeit im Zeitungswesen in München und Berlin, 1919 Leiter des Allgemeinen Freien Angestelltenbundes in München und Südbayern, 1928–1933 MdL (SPD), schwere Verletzung bei Saalschlacht mit Nationalsozialisten in Ramersdorf, 1933 Schutzhaft, in den beiden letzten Kriegsjahren trotz körperlicher Behinderung Einsatz als Zwangsarbeiter in München, im Mai 1945 Mitarbeit beim Wiederaufbau der Gewerkschaften, Vors. des Ausschusses für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Münchener Gewerkschaften, der mit dem Plan „G“ eine Darstellung zu Währungs- und Finanzverhältnissen und sozialen Problemen bei Kriegsende vorlegte, Mitglied der VAfB., 1945 Stadtrat in München, 22. 10. 1945–21. 12. 1946 StMI im Kabinett Hoegner I, in gleicher Funktion im Kabinett Ehard I bis zum Austritt der SPD aus der Koalition am 20. 9. 1947, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses und der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie stellv. Vors. ihres Verfassungsausschusses, 1946–1950 MdL (SPD), 1948/49 MdPR.

Finanzminister Prof. Dr. rer. pol. Fritz Terhalle (1889–1962), kath., 1910–1912 Handelshochschule Köln, 1912 Dipl. Kaufmann, 1913/1914 Nationalökonomiestudium Bonn, 1915 Promotion und 1918 Habilitation bei Adolf Weber in Breslau, gleichzeitig zwei Jahre geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Preisprüfungsstelle für die Provinz Schlesien, Privatdozent Univ. Breslau, 1919 a.o. Prof. Jena, 1921/22 o. Prof. Münster, 1922 Hamburg, dort 1929–1933 gleichzeitig kommissarischer Leiter des Weltwirtschaftsarchivs, seit 1. 11. 1934 o. Prof, für Finanzwissenschaft, Volks- und Betriebswirtschaftslehre München, Mitglied der VAfB., 22. 10. 1945–21. 12. 1946 StMF, danach Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit an der Univ. München bis zur Emeritierung 1957, 1949 Vors. des Finanzpolitischen Beirats der Verwaltung für Finanzen des VWG, 1958 Mitglied der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 1950–1959 Vors. des Beirats beim BMF.

Kultusminister Dr. oec. publ. Franz Fendt (1892–1982), kath., seit 1914 Lehrer an Volks- und Berufsschulen in München, bes. Interesse an der beruflichen Jugendarbeiterbildung, 1916–1922 als Führer der Bayer. Junglehrerschaft u.a. Mitglied des Arbeitsausschusses für die Schaffung des Bayer. Lehrergesetzes, seit 1929 Studium der Volkswirtschaft, Finanzwirtschaft und Sozialpolitik bei Adolf Weber, Terhalle und Zwiedineck, 1936 Promotion bei Weber, 1933 zunächst Anordnung seiner Entlassung in Vollzug des § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, im November 1933 im Sinne des von Hitler eingeleiteten Versöhnungswerkes aufgehoben, 1929–1938 Fortbildungsschullehrer im Gemeindedienst, 1938–1945 Studienrat und Schuldirektor, 1927–1933 Mitglied von SPD und Reichsbanner, 1945 Wiedereintritt in die SPD, 8. 7. 1945 Regierungsdirektor und kommissarischer Leiter der Schulabteilung der Regierung von Oberbayern, Mitglied des Ausschusses für Wirtschafts- und Finanzpolitik der Münchener Gewerkschaften und der VAfB., 22. 10. 1945–21. 12. 1946 StMUK, 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, seit Frühjahr 1948 Lehrauftrag für Sozialpolitik und Genossenschaftswesen an der Univ. Erlangen und Treuhänder der Bank der Deutschen Arbeit in München, 1950–1954 Rektor der Hochschule für politische Wissenschaften in München, 1955–1959 1. Vors. des Bayer. Landesverbandes für freie Volksbildung (Vorläufer des Bayer. Volkshochschulverbandes).

Landwirtschaftsminister Prof. Dr. rer. pol. Joseph Baumgartner (1904–1964), kath., Verbandsfunktionär und Politiker, 1925–1929 Studium der Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie in München, 1928 Diplom-Volkswirt, 1929 Promotion bei Adolf Weber, 1929–1933 2. stellv. Generalsekretär des Bayer. Christlichen Bauernvereins, BVP-Mitglied, Ende 1933 Angestellter der Allianz-Versicherung, 1938 Versetzung zur Wiener Allianz nach Graz, 1942 wegen Vergehens gegen das Heimtückegesetz verhaftet, 8 Wochen Landgerichtsgefängnis Graz, 1942–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Personalreferent beim Bayer. Landesamt für Ernährung und Landwirtschaft, 1945 Mitbegründer der CSU und des Bayer. Bauernverbandes (BBV), 1946–1948 Mitglied des Landesvorstands der CSU, seit 1949 Präsidiumsmitglied des BBV, 22. 10. 1945–21. 12. 1946 StMELF im Kabinett Hoegner I, StMELF auch im darauf folgenden Kabinett Ehard I und im Kabinett Ehard II bis zum Rücktritt am 15. 1. 1948, 26. 1. 1948 Übertritt zur BP, 19. 6. 1948–1952 und 1953–1959 Vors. der BP, im Kabinett Hoegner II 1954–1957 erneut StMELF und stellv. MPr., 1946 Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung (CSU), 1946–1962 MdL (1946–1948 CSU, anschließend fraktionslos bzw. Freie Parlamentarische Vereinigung und Freie Fraktionsgemeinschaft, seit 1950 BP), 1949–1950 MdB (BP), 1950–1959 Honorarprofessor für Agrarpolitik an der Landwirtschaftlichen Hochschule in Weihenstephan. Wirtschaftsminister Prof. Dr. rer. pol. Ludwig Erhard (1897–1977), ev., Nationalökonom und Politiker, 1913–1916 Lehre als Kaufmann in Nürnberg, 1916–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 Handelshochschule Nürnberg, 1922 Diplom-Kaufmann, anschließend Univ. Frankfurt, 1925 Promotion, 1928–1942 Mitarbeiter bzw. Stellv. Leiter des bis 1938 der Handelshochschule Nürnberg angeschlossenen Instituts für Wirtschaftsbeobachtung der deutschen Fertigware, 1943–1945 Gründung und Leitung des Instituts für Industrieforschung, 1945 Chef des städtischen Wirtschaftsamtes in Fürth und wirtschaftlicher Berater bei der Militärregierung Mittel- und Oberfrankens, führende Mitarbeit im Ausschuß Geld und Kredit der VAfB., 22. 10. 1945–21. 12. 1946 StMWi, 1947 Honorarprofessor Univ. München, 1948–1949 Direktor der Verwaltung für Wirtschaft des VWG, 1949–1963 Bundesminister für Wirtschaft, 1963–1966 Bundeskanzler, 1949–1977 MdB (CDU), 1966/1967 Bundesvorsitzender der CDU.

Verkehrsminister Michael Helmerich (1885–1974), kath., Buchdruckerlehre, 1911 Eintritt in den Dienst der Bayer. Staatseisenbahn, 1912 Mitglied des Bayer. Eisenbahnerverbandes (Christliche Gewerkschaften), 1919/1920 Verbandssekretär beim Eisenbahnerverband, ab 1920 bei der Reichsbahn, 1924–20. 10. 1930 Vors. des Hauptbeamtenrates bei der Deutschen Reichsbahn-Gesellschaft Gruppenverwaltung Bayern und Mitglied des Hauptbeamtenrates bei der Hauptverwaltung der Reichsbahn Berlin, 1924–1927 Besuch volkswirtschaftlicher Vorlesungen an der Univ. München (Arbeiterhochschule), seit 1930 erster Vors. des Bayer. Eisenbahnerverbandes, seit 1920 BVP-Mitglied, 1930–1933 MdR (BVP), ein 1933 nach § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums gegen ihn eingeleitetes Verfahren wurde von der Hauptverwaltung der Deutschen Reichsbahn abgelehnt, 26. 6.–5. 7. 1933 anläßlich der Aktion gegen die BVP Inhaftierung in Stadelheim, Strafversetzungen nach Ingolstadt, Pasing und 1937 Neuaubing, 26.8.-17. 9. 1944 KZ Dachau, 1945 erster Personalvertreter bei der Eisenbahndirektion München, 14.2.-21. 12. 1946 StMVerkehr, 1947–1950 MinRat im StMVerkehr, 1946 Mitglied des Landesvorstands der CSU sowie der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, 1950–1966 MdL (CSU).

Staatsminister für Sonderaufgaben Heinrich Schmitt (1895–1951), konfessionslos, Werkzeugdreher, zunächst SPD-Mitglied, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1916 nach Verwundung und Rückkehr aus dem Felde USPD-Mitglied, 1920 Übertritt zur KPD, 1928–1930 MdR (KPD), gleichzeitig Betriebsratsvorsitzender bei den Leuna-Werken (Halle), 1931–1933 Generalsekretär des Internationalen Komitees der Chemiearbeiter, 1933 Emigration in die UdSSR, in Moskau Studium der Staatswissenschaften, anschließend in der Reichsleitung der illegalen Gewerkschaftsbewegung (Sitz Saarbrücken) Organisation von Gewerkschafts- und Widerstandsgruppen im Ruhrgebiet bzw. Rheinland, 7. 5. 1935 in Köln verhaftet, am 7. 2. 1937 Verurteilung durch den Volksgerichtshof zu 15 Jahren Zuchthaus, 27.4. 1945 Befreiung durch die Amerikaner aus dem Zuchthaus in Landsberg am Lech, 1. 9. 1945 Inspektor der Ortskrankenkassen Würzburg, 22. 10. 1945 bis zu seinem Rücktritt am 1. 7. 1946 Staatsminister für Sonderaufgaben, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses sowie der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, 1947 Übertritt zur SPD, 4. 12. 1947–31. 12. 1949 Vertreter der Gewerkschaften im Bayer. Senat.

Staatssekretär in der StK bzw. Staatsminister für Sonderaufgaben Dr. phil. Anton Pfeiffer (1888–1957), kath., Anglistik- und Romanistikstudium in München und Erlangen, 1910/1911 Lehramtsprüfung in englischer und französischer Philologie, 1913 Promotion, Tätigkeit im höheren Schuldienst, zuletzt Oberstudienrat, 1918–1933 Generalsekretär der BVP, 1928–1933 MdL (BVP), 28.6–7. 7. 1933 verhaftet, 1934–1945 Schuldienst, 1945 Mitbegründer der CSU, seit 10. 7. 1945 leitende Tätigkeit in der StK unter MPr. Schäffer, 22. 10. 1945–3. 7. 1946 Leiter der StK, anschließend 4.7.-21. 12. 1946 StMSo im Kabinett Hoegner I, in den Kabinetten Ehard I und II erneut Leiter der StK, seit 10. 1. 1947 im Range eines Staatsministers, als Leiter der StK auch Sonderbeauftragter Bayerns im Länderratsdirektorium, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses und der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung, seit April 1947 Mitglied des Verwaltungsrats des Deutschen Büros für Friedensfragen, 10.-23. 8. 1948 Vors. des Verfassungskonvents auf Herrenchiemsee, 1948/49 MdPR und Vors. der CDU/CSU-Fraktion, 1946–1950 MdL (CSU) sowie Mitglied des Landesvorstands der CSU, 1949 erfolglose Bewerbung um ein Bundestagsmandat, 1950/1951 Generalkonsul in Brüssel, 1951–1954 Botschafter in Belgien.

Staatssekretäre:

Staatssekretär und Leiter der StK Dr. oec. publ. Hans Kraus (1879–1952), kath., Nationalökonom, 1903 Eintritt in die bayer. Finanzverwaltung, vor 1933 BVP-Mitglied, 1919–1932 StMF, 1924 Promotion, 1928 MinRat, 1932 Leiter der Bayer. Rechnungskammer, in den zwanziger Jahren Beteiligung an den Denkschriften des MPr. Held über die fortschreitende Aushöhlung der Eigenstaatlichkeit der Länder, 1934 u.a. mit der Erarbeitung eines Entwurfs für eine Staatshaushaltsordnung betraut, 1944 Ruhestandsversetzung, 1945 CSU-Mitglied, 16. 1. 1946 unter Wiederberufung in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit Ernennung zum MD in der StK, 4.7.-21. 12. 1946 Staatssekretär und Leiter der StK, Sonderbeauftragter Bayerns im Länderratsdirektorium, im Kabinett Ehard I 21. 12. 1946–8. 2. 1950 StMF, 1946–1950 Mitglied des Landesvorstands der CSU.

Staatssekretär im Innenministerium Ludwig Ficker (1904–1947), Drechsler, Volksschule München, 1919 Mitglied der Gewerkschaft, 1919–1928 ungelernter Arbeiter in Reichenhall, 1929 Mitglied der KPD, Mitarbeiter des Militärapparates, bis 1933 Arbeiter bei der Städtischen Straßenbahn der Stadt München, 1933 Entlassung sowie drei Monate Schutzhaft, anschließend illegal für die KPD in München aktiv, 1934 Emigration in die Schweiz, Ausweisung wegen illegaler politischer Tätigkeit nach Frankreich, Reise in die UdSSR zur Wiederherstellung seiner Gesundheit, 1935 über die Tschechoslowakei Rückkehr nach Deutschland zur Fortsetzung der illegalen Parteiarbeit in München, abwechselnde Aufenthalte in Prag, München und Zürich, häufige illegale Grenzübertritte, in der Schweiz Mitglied der KPD Emigrationsleitung, u.a. ab 1939 Abschnittsleitung Süd, Mitarbeiter der Organe „Süddeutsche Informationen“ und „Süddeutsche Volksstimme“, 1942 Verhaftung in Basel, Einweisung in ein Internierungslager, 22. 9. 1944 Flucht aus dem Lager Bassecourt, Rückkehr und illegaler Aufenthalt (seit 30. 9. 1944) in Bayern, Kontakte zu Mitgliedern der FAB, führende Stellung beim Wiederaufbau der bayer. KPD, 1945 Mitglied der Aktionsgemeinschaft SPD-KPD in München, 22. 10. 1945–21. 12. 1946 Staatssekretär im StMI, 1946 Mitglied der Verfassunggebenden Landesversammlung, Kandidatur bei der Wahl zum Bayerischen Landtag im Dezember 1946, 25.6.-10. 12. 1947 Mitglied des Wirtschaftsrates, Vertreter des Moskauer Kurses in der KPD, später jedoch Opfer der Parteisäuberung gegen angebliche amerikanische Agenten (Sperling, Goldhammer), 1947 vermutlich Selbstmord.

Staatssekretär im Finanzministerium Dr. jur. et rer. pol. Hans Müller (1884–1961), kath., seit 1927 Präsident bei der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, 1932 Oberfinanzpräsident, ab September 1933 Verwendung in niedrigerer Stellung als Richter am Reichsfinanzhof, da er der NSDAP nicht beitrat, ab Juni 1945 Staatsrat im StMF, November 1945 verhaftet, 22.10.-20. 12. 1945 und 24.7–21. 12. 1946 Staatssekretär im StMF im Kabinett Hoegner I, bis 1950 in gleicher Funktion in den Kabinetten Ehard I und II, 1951–1955 Präsident des Bundesfinanzhofs in München.

Staatssekretär im Justizministerium Dr. jur. Hans Ehard (1887–1980), kath., Jurist, 1912 Promotion, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919 große juristische Staatsprüfung und Eintritt in das bayer. Justizministerium, 1923/1924 als Staatsanwalt beim Landgericht München I Untersuchungsführer und Anklagevertreter im Hitler-Prozeß, 1926 Landgerichtsrat, 1928 ORR, 1931–1933 MinRat im StMJu, 1933–1945 Senatspräsident am OLG München, bis 1933 BVP-, ab 1945 CSU-Mitglied, seit Mai 1945 von Schäffer ohne Amt mit dem Wiederaufbau der Justizverwaltung betraut, Anfang Oktober 1945 von Hoegner zum Staatsrat im StMJu ernannt, 22. 10. 1945–21. 12. 1946 Staatssekretär im StMJu im Kabinett Hoegner I, 1946–1954 (Kabinette Ehard I-III) und 1960–1962 (Kabinett Ehard IV) Bayer. MPr., 1950 und 1961 Bundesratspräsident, 1954–1960 Landtagspräsident, 1962–1966 StMJu, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses, Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung und ihres Verfassungsausschusses, 1946–1966 MdL (CSU), 1949–1955 Landesvorsitzender der CSU, 1949–1965 Mitglied des geschäftsführenden Landesvorstands der CSU.

Staatssekretär im Kultusministerium Dr. jur. Hans Meinzolt (1887–1967), ev., Jurist, 1919 Eintritt in den bayer. Verwaltungsdienst, 1920–1930 RR, ORR im StMUK, 1930–1933 Bezirksamtmann Kirchheimbolanden, 1933–1939 Oberkirchenrat und Vizepräsident des Evang.-Luth. Landeskirchenrats in München, 1939 Teilnahme am Polenfeldzug, 1939–1941 als Vizepräsident des Landeskirchenrats u.k. gestellt, 1941–1943 Frankreich, Rußland, 1944 Oberstleutnant d. Reserve, dann Referent im Wehrbezirkskommando München I, seit 15. 6. 1945 Staatsrat im StMUK, 21. 12. 1945–21. 12. 1946 Staatssekretär im StMUK, 21. 12. 1946–1954 Staatsrat im StMUK, 1954–1957 wieder Staatssekretär im StMUK, 1947–1959 Präsident der Landessynode des Landeskirchenrates der Evang.-Luth. Kirche in Bayern.

Staatssekretär im Arbeitsministerium Heinrich Krehle (1892–1969), kath., Schreinerlehre, seit 1909 in der christlichen Gewerkschaftsbewegung, Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1918–1920 in britischer Kriegsgefangenschaft in Ägypten, 1920–1922 Schreinergehilfe in München, Besuch sozialpolitischer und volkswirtschaftlicher Lehrgänge, Volkshochschule, 1922–1930 hauptamtlicher Geschäftsführer des Zentralverbandes Christlicher Holzarbeiter in München, 1930–1933 Landessekretär der Christlichen Gewerkschaften in Bayern, 1933 stellungslos, dann tätig im katholischen Kirchensteueramt, seit 1935 in der Reichsfinanzverwaltung, 1939–1945 Teilnahme am Zweiten Weltkrieg, 1945 Mitbegründer des Bayer. Gewerkschaftsbundes und der CSU, seit 1947 Vors. der Christlich-Sozialen Arbeitnehmerschaft, 1945/46 Stadtrat in München, 22.10. 1945–18.9. 1947 Staatssekretär im StMArb, 19. 9. 1947–21. 12. 1950 StMArb, 1946 Mitglied des Vorbereitenden Verfassungsausschusses (in Vertretung Roßhaupters) und Mitglied der Bayer. Verfassunggebenden Landesversammlung sowie stellv. Mitglied ihres Verfassungsausschusses, 1948–1958 MdL (CSU), 1946–1949 Vors. des CSU-Bezirksverbandes München, 1946–1957 Mitglied des CSU-Landesvorstands und 1952–1955 des geschäftsführenden Landesvorstands.

Staatssekretär für die Post Josef Waldhäuser (1896–1965), gottgläubig, Postschaffner/Postsekretär, Besuch der Volksschule und Fortbildungsschule in Nürnberg, Lehre als Galvaniseur, Teilnahme am Ersten Weltkrieg bis 1915, 1919 Eintritt in die Deutsche Reichspost, Mitglied von SPD und Gewerkschaft, 12 Jahre Sektionsleiter der Postgewerkschaft, 1933 als politisch unzuverlässig in den Ruhestand versetzt, 7. 4.1943–29. 4.1945 KZ Dachau, 1945 Wiedereintritt in die Post, Postsekretär, beteiligt am Wiederaufbau der Gewerkschaft und der Arbeitnehmervertretung bei der Post in Nürnberg, Vors. des Fünferausschusses bei der Reichspostdirektion Nürnberg, 14.2.-15. 12.1946 Staatssekretär für die Post im StMVerkehr, 16. 1. 1947 Ernennung zum Oberpostrat. Staatssekretär im Wirtschaftsministerium Georg Fischer (1906–1980), konfessionslos (Meldekarteneintrag gl = gläubig), Volksschule Ingolstadt, Buchdrukker, 1923 KPD-Mitglied, im Ruhrgebiet und in Berlin politisch und gewerkschaftlich tätig, 1933 in Wuppertal kurze Zeit verhaftet, danach Versicherungsvertreter und Widerstandstätigkeit, 1939 Soldat, seit September 1944 Anschluß an eine italienische Widerstandsgruppe, amerikanische Kriegsgefangenschaft bis 11. 6. 1945, 1945 Mitarbeit bei der Reorganisation der KPD in Ingolstadt und seit Juli Leiter des dortigen Arbeitsamtes, 7.1.-8. 6. 1946 Staatssekretär im StMWi, von der Militärregierung entlassen, wegen illegaler Überschreitung der amerikanisch-sowjetischen Zonengrenze zu vier Monaten Haft verurteilt, Februar 1946 – April 1947 Landesvorsitzender der KPD in Bayern, Kandidatur bei der Wahl zum Bayerischen Landtag im Dezember 1946, 1947 Landessekretär der KPD für Parlaments- und Kommunalpolitik, September 1949 Ausschluß aus der KPD, 1950–1952 Mitinitiator und Vors. der Unabhängigen Arbeiterpartei Deutschlands (UAPD), Oktober 1952 Übertritt in die SPD, 1954–1962 stellv. Vors. des SPD-Unterbezirks München, 1960–1972 Mitglied des Münchener Stadtrats (SPD).185

Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium Ewald Thunig (1897–1991), ev., 1903–1913 Volks- und Fortbildungsschule in Rosenheim, Schreinerlehre, 1914 Gesellenprüfung, Schreiner im Orgelbau, 1915–1919 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, seit 1919 als Schreiner in Rosenheim und Umgebung tätig, KPD-Mitglied, Mai-Oktober 1924 Verhaftung wegen Fortführung einer verbotenen Partei (23. 11. 1923 KPD-Verbot), 1928/1929 Angestellter des KPD-Bezirksbüros, 1929 Parkettleger München, November 1930 – Oktober 1931 Aufenthalt in der Sowjetunion, Oktober 1932 bis März 1933 Schriftleiter des kommunistischen Zentralorgans „Neue Zeitung“ in Südbayern, 25. 3. 1933–23.6. 1938 im KZ Dachau, 1938–1942 Schreiner in Kolbermoor, 1942–31.7. 1945 Reichsbahnbetriebswerk Rosenheim, 1945/1946 Tätigkeit im Wohnungsamt Kolbermoor und Mitglied des politischen Prüfungsausschusses, 7.1.-3. 3. 1946 Staatssekretär im StMELF, 1946 Mitglied des beim StMELF gebildeten Bodenreformausschusses, 1946–1949 Kreisvorsitzender des Bayer. Gewerkschaftsbundes Rosenheim, 1950–1963 des DGB, zunächst für die KPD, seit 1. 9. 1957 SPD-Mitglied, 1946–1952 Mitglied des Marktgemeinderates Kolbermoor und des Kreistags Bad Aibling (KPD).186

Dr. jur. Alfred Kroth (1912–1978), bekenntnislos, Jurist, Jura- und Nationalökonomiestudium in München, 1935 Promotion, 1938 große juristische Staatsprüfung, 1931 zunächst SPD-Mitglied, 1932 KPD-Beitritt, 8.3.-13. 4. 1934 Verhaftung durch die Bayer. Politische Polizei, 1.5. 1937–1945 NSDAP-Mitglied, 1935–1940 auch NSRB, Referendariat beim Gauführer des NSRB, 1938–1940 Sachbearbeiter im Werk- und Fiskalreferat der Stadt München, seit 1940 als Amtsrat im Büro des Münchner OB Fiehler, bei Kriegsende kampflose Übergabe von Fürstenfeldbruck im Auftrag des Landrats, nach Kriegsende Empfehlung für leitenden Verwaltungsposten bei der Stadt durch die kommunistische Untergrundbewegung, von OB Scharnagl zum Leiter des Ernährungs- und Wirtschaftsreferats der Stadt München berufen, am 24. 9. 1945 von der Militärregierung für den Stadtkreis wegen NSDAP-Mitgliedschaft entlassen, Einspruch Kroths, der Parteibeitritt sei im Auftrag der KPD zur Tarnung als Agent im Umkreis Fiehlers erfolgt, am 5. Oktober 1945 von MPr. Hoegner als Staatssekretär im StMWi vorgeschlagen, Teilnahme am Ministerrat am 8. 10. 1945, von der Militärregierung wegen seiner NS-Belastung nicht bestätigt, im Juni 1946 als Mitglied des Landessekretariats der KPD mit Georg Fischer und weiteren Funktionären Verurteilung wegen illegaler Überschreitung der Zonengrenze zu vier Monaten Haft, durch die Spruchkammer München I zunächst am 1.7. 1946 Einreihung in die Gruppe V der Entlasteten, dagegen Berufung des öffentlichen Klägers, am 21.3. 1947 Einreihung in die Gruppe III der Minderbelasteten, am 16.7. 1947 als nicht belastet eingereiht, 24. 2. 1948–7. 9. 1949 Mitglied des Wirtschaftsrates, in Düsseldorf Gründung der OHG Handelsgesellschaft West-Ost, 1953 Verwicklung in die Vulkan-Affäre, später Rechtsanwalt in München, u.a. für Ferrostahl Verbindungsmann zu China und der UdSSR, 1961 Austritt aus der KPD.

Neben den Kabinettsmitgliedern nahm der Sekretär des Ministerrats, Ministerialrat Leusser, an den Ministerratssitzungen teil, im Falle seiner Abwesenheit seine Stellvertreter Gumppenberg oder Elmenau.187 Gelegentlich wurden Referenten oder einzelne Fachleute zu den Sitzungen hinzugezogen, um zu einzelnen Sachfragen zu referieren. Ihre Anwesenheit beschränkte sich auf den zu ihrem Sachgebiet zählenden Tagesordnungspunkt.188 Der vom Leiter des Presse- und Informationsamtes der Staatskanzlei, Werner Friedmann, vorgetragene Wunsch, einen Vertreter des Presseamtes zu den Sitzungen des Kabinetts zuzulassen, wurde im Ministerrat am 23. Januar 1946 einstimmig abgelehnt.189

Die Teilnahmedisziplin der Kabinettsmitglieder an den Ministerratssitzungen war allgemein hoch. Jedes Ressort war in der Regel zumindest durch einen Herren vertreten. Häufigeres Fehlen ist erst im Herbst des Jahres 1946 mit der zunehmenden Häufigkeit von Sitzungen auf Länderrats- und bizonaler Ebene festzustellen.

Das Durchschnittsalter des Kabinetts lag bei etwas mehr als 53 Jahren. Der überwiegende Teil der Kabinettsmitglieder war jedoch älter, zumeist Ende fünfzig. Jüngste Mitglieder waren Kroth (34), Fischer (40), Baumgartner (42) und Ficker (42), die ältesten Mitglieder Roßhaupter (68) und Kraus (67). Die meisten hatten die Revolution von 1918 bewußt erlebt und mehr als die Hälfte von ihnen war bereits in der Weimarer Republik in Parteien und Verbänden aktiv gewesen.190 Hoegner, Roßhaupter, Seifried und Pfeiffer hatten vor 1933 dem Bayerischen Landtag, Hoegner, Helmerich sowie Schmitt auch dem Reichstag angehört. Roßhaupter verfügte als Minister für militärische Angelegenheiten in der Regierung Eisner 1918/19 als einziges Mitglied des Kabinetts über Regierungserfahrung. Erfahrung aus der Emigration brachte neben Ministerpräsident Hoegner auch Staatssekretär Ficker mit.

Von den insgesamt sechs der CSU zuzurechnenden Kabinettsmitgliedern hatten alle zuvor der BVP, dem Christlichen Bauernverein (Baumgartner) oder den Christlichen Gewerkschaften (Helmerich, Krehle) angehört und dort auch bereits wichtige Funktionen ausgeübt.191 Von den Kabinettsmitgliedern der SPD hatten Roßhaupter, Seifried und Waldhäuser vor 1933 leitende Funktionen in den sozialistischen Gewerkschaften bekleidet und nach Kriegsende an deren Wiederaufbau mitgewirkt. Kroth war berufsmäßiger, Seifried sowie Krehle waren ehrenamtliche Stadträte der Stadt München.

Eine gewisse Meinungsführerschaft infolge ihrer juristischen Vorbildung und Verwaltungserfahrung wurde in den Ministerratssitzungen von den aus der höheren bayerischen Ministerialbürokratie stammenden Staatssekretären ausgeübt.192 Dazu zählten Ehard, Meinzolt, Kraus, teilweise auch Pfeiffer und der Staatssekretär im Finanzministerium Hans Müller, obwohl letzterer aus der Reichsfinanzverwaltung außerhalb Bayerns hervorging. Elf Kabinettsmitglieder konnten ein abgeschlossenes Hochschulstudium vorweisen.

Von den zwanzig Ministern und Staatssekretären gehörten dem im Dezember 1946 gewählten Bayerischen Landtag lediglich sechs an: Hoegner und Seifried für die SPD, Baumgartner, Pfeiffer, Ehard und Krehle für die CSU. Fischer und Ficker hatten für die KPD kandidiert, die jedoch an der 10% Hürde (auf Regierungsbezirksebene) scheiterte. Michael Helmerich war im Stimmkreis Amberg-Stadt nicht gewählt worden. Er gelangte 1950 in den Landtag.

Ficker und Kroth gehörten 1947 bzw. 1948/1949 für die KPD dem Wirtschaftsrat des VWG an. Pfeiffer und Seifried wurden zu Mitgliedern des Parlamentarischen Rates gewählt, Roßhaupter rückte für Seifried in dieses Gremium nach. Für die Minister Terhalle und Fendt war mit dem Ende des Kabinetts Hoegner ihr Ausflug in die Politik beendet. Eine weitere politische Karriere Ludwig Erhards in Bayern behinderten seine nicht klar fixierte Parteibindung, die von einem Untersuchungsausschuß im Bayerischen Landtag Anfang 1947 unter die Lupe genommenen Verwaltungsmißstände in seinem Ressort sowie Ressentiments von seiten der SPD.193 Für ihn erwies sich das Amt jedoch als Sprungbrett für seine weitere Karriere. Die 15 Monate als bayerischer Wirtschaftsminister waren aber auch Erhards erste Station, in der er theoretische Erkenntnisse in die Praxis umsetzen mußte. Wie intensiv er sein Amt als Experimentierfeld verstand, zeigen die zahlreichen Auseinandersetzungen im Kabinett, an denen der Wirtschaftsminister sein Profil entwickelte. Heinrich Krehle blieb z. B. acht Jahre als Staatssekretär und Staatsminister im Arbeitsministerium. Der von Hoegner im Juli 1946 an die Spitze der Staatskanzlei berufene Hans Kraus stieg im Anschluß bis 1950 zum Finanzminister auf.

Der Landesvorsitzende der CSU Josef Müller war nicht im Kabinett vertreten. Vor allem Anton Pfeiffer, Joseph Baumgartner, der spätere Vorsitzende der Bayernpartei, und Hoegners Nachfolger im Amt des Ministerpräsidenten Hans Ehard von der CSU nutzten die Regierungsämter, um sich in kurzer Zeit landesweit zu profilieren.194 Aus dieser Konstellation erwuchs der für die Entwicklung der CSU in der zweiten Hälfte der vierziger Jahre bestimmende Dualismus zwischen einer von den Entscheidungen in der Regierung abgekoppelten Parteispitze und den Regierungsmitgliedern der Partei.195

Dem Kabinett Hoegner I gehörten eine Handvoll Politiker an, die auch in den folgenden Kabinetten Schlüsselpositionen einnahmen. Die Regierung stand damit am Beginn der von hoher personeller Kontinuität an der Spitze der Ministerien geprägten bayerischen Nachkriegsgeschichte.

Das Klima in der Regierung Hoegner war harmonisch und von gegenseitigem Vertrauen bestimmt.196 Die Zusammenarbeit von Politikern der Parteien SPD, CSU und KPD – vor dem Hintergrund von Gemeinde- und Stadtkreiswahlen, Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung sowie Landtagswahlen im Jahre 1946 – war in den Ministerratssitzungen durchgängig kollegial, an der Sache und an der Konsensfindung orientiert und wurde nicht zur persönlichen oder parteipolitischen Profilierung genutzt. Diese Atmosphäre und dieser Kameradschaftsgeist sind das Resultat der gemeinsamen Gegnerschaft gegen den Nationalsozialismus und der gleichermaßen erlittenen Verfolgung, im Extremfall im Konzentrationslager (Roßhaupter, Helmerich, Waldhäuser und am längsten Thunig waren im KZ Dachau inhaftiert gewesen). Lediglich zweimal hatte Hoegner die Kabinettsmitglieder zu ermahnen, Meinungsverschiedenheiten wenn nötig im Kabinett auszutragen, nicht über die Presse.197

Am erstaunlichsten war diese inhaltliche Harmonie in Bezug auf die kommunistischen Regierungsmitglieder. Die ganz überwiegende Zahl der Beschlüsse im Kabinett wurde einstimmig gefaßt,198 also auch von diesen mitgetragen.199 Lediglich in einigen wenigen Fällen,200 z.B. beim Thema Bodenreform,201 dokumentiert das Protokoll ein bewußt parteipolitisch motiviertes abweichendes Stimmverhalten der kommunistischen Kabinettsmitglieder (hier außerdem des sozialdemokratischen Staatssekretärs).

Ausdruck dieses guten Klimas waren auch die informellen Treffen bei Kultusminister Fendt zum Tee202 sowie der gemeinsame Abschlußabend des Kabinetts mit Ehefrauen.203 Am 25. Januar 1947 dankte Hoegners Nachfolger Ministerpräsident Ehard in ausgesucht verbindlicher Form u.a. auch Staatssekretär Ficker für seine Mitarbeit in der Regierung Hoegner.204 Die hierbei zum Ausdruck kommende Harmonie, die sehr von Stil und Verhandlungsführung des Ministerpräsidenten abhing, war das Verdienst Hoegners. Dies wirkte – da Hoegners Nachfolger, zahlreiche Minister sowie Staatssekretäre bis in die fünfziger Jahre im Kabinett blieben – auch für die kommenden Kabinette stilbildend.205

4. Das Ende des Kabinetts Hoegner

Die Regierungszeit des von der Militärregierung eingesetzten Kabinetts Hoegner war zunächst nicht zeitlich fixiert. Anfang Februar 1946 ergriff die amerikanische Militärregierung die Initiative zur Verfassungsgebung und damit zur Parlamentarisierung der Regierungen in ihrer Zone. Wie sie Ministerpräsident Hoegner und seinen Kollegen mitteilte, sollten die Volksentscheide über die Verfassungen und die ersten Landtagswahlen – die später in Bayern auf den 1. Dezember verschoben wurden – am 3. November 1946 stattfinden.206 Unmittelbar daran schloß sich die Bildung parlamentarischer Regierungen an. Damit war gleichzeitig der Endpunkt der eingesetzten Kabinette markiert.

Zweimal in seiner Regierungszeit bekundete Hoegner die Absicht, vorzeitig zurückzutreten. Zumindest einmal unternahm er den Versuch, sein Kabinett in eine offizielle Koalitionsregierung mit der CSU umzuwandeln. Obwohl er bis zum Ende daran festhielt, daß er mit seinem Kabinett allein der Militärregierung verantwortlich sei, fand in der letzten Phase des Kabinetts eine bewußt herbeigeführte stufenweise Parlamentarisierung statt.

Im Jahre 1946 fanden in Bayern Zug um Zug Wahlen statt. Den Anfang machten die Gemeindewahlen in Gemeinden bis 20.000 Einwohnern am 27. Januar 1946. Dabei erzielte die CSU landesweit 43,6%, die SPD 16,6% und die KPD 2,3%. Bei den Kreistagswahlen vom 28. April 1946 brachte es die CSU sogar auf 67,9%, die SPD auf 22,9%. Bei den Stadtkreiswahlen vom 26. Mai 1946 erreichte die CSU 45,1%, die SPD 38% und die KPD 6,9% der gültigen Stimmen. Nach diesen Wahlsiegen der CSU mehrten sich innerhalb der CSU die Stimmen, darunter auch die des Landwirtschaftsministers Baumgartner, die den Sozialdemokraten das Recht absprachen, die Geschicke des Landes weiter zu lenken und eine andere Form der Legitimierung des Kabinetts einforderten.207 Daraufhin bot Hoegner der Militärregierung am 29. Mai 1946 seinen Rücktritt an. Im Ministerrat208 fügte er hinzu, daß er bereits nach den ersten Wahlen im Januar die Absicht gehabt habe, zurückzutreten. Damit reagierte Hoegner auch auf Äußerungen des CSU-Landesvorsitzenden Josef Müller.

Der Direktor des OMGB General Muller lehnte jedoch das Rücktrittsangebot ab. Um der Regierung Hoegner in den kommenden Monaten für ihre Arbeit den Rücken frei zu halten, ließ Muller eine Erklärung veröffentlichen, in der es hieß, die Legitimität des Kabinetts Hoegner beruhe bis zu den zunächst für November vorgesehenen Landtagswahlen einzig auf der Einsetzung durch die Militärregierung. Die auf anderen Ebenen stattfindenden Wahlen besäßen keine Bedeutung für die bayerische Regierung.209

Jedoch hatten bereits am 25. Mai Gespräche mit Hoegner bei OMGB stattgefunden. Im Wochenbericht des OMGB heißt es dazu: „However, it has been definitely decided that Dr. Hoegner, who is a Military Government appointee, will remain in office until after the Land elections in November“.210 Demnach hatte Hoegner bereits vor den Stadtkreiswahlen die Rückendekkung der Militärregierung erhalten. Diese zeitliche Abfolge läßt die Interpretation zu, daß sein Rücktrittsangebot nach den Wahlen und die Zurückweisung durch General Muller abgesprochen und für die Öffentlichkeit nach interner Vorklärung inszeniert gewesen sein könnten. Für die Wahrscheinlichkeit dieser Version spricht auch, daß kein Rücktrittsschreiben Hoegners in den Akten auszumachen war.

Der von Josef Müller im Mai 1946 erhobene Anspruch auf die Regierungsübernahme war ein Tribut an Forderungen der Parteibasis. Ihm selbst war an einer Übernahme zum damaligen Zeitpunkt wenig gelegen,211 denn die Regierung hatte zahlreiche unpopuläre Maßnahmen (Entnazifizierung, Ernährung, Flüchtlinge) zu verantworten und bei den Landtagswahlen im November war mit einer absoluten Mehrheit für die CSU zu rechnen.

Auch Anton Pfeiffer und Karl Scharnagl rieten der Militärregierung im Juni 1946 von einem Regierungswechsel ab. Ihr Motiv dürfte dabei neben tatsächlicher Loyalität zu dem die Regierung überparteilich führenden Ministerpräsidenten Hoegner212 auf innerparteilichem Kalkül beruht haben. Da die Krise innerhalb der CSU zwischen Müller- und Schäffer/Hundhammer-Flügel anhielt, war die Übernahme der Regierungsgeschäfte erst nach einer Klärung der Verhältnisse anzustreben.213

Die Wahlen zur Verfassunggebenden Landesversammlung am 30. Juni 1946 bestätigten den Trend: Die CSU entschied mit 54,8% die Wahl eindeutig für sich, die SPD erhielt 29,8%, die KPD 6,1%, die WAV 7,8% der gültigen Stimmen. Aufgrund dieses Wahlergebnisses wurden aus den Reihen der CSU erneut Ansprüche auf Übernahme der Regierung bzw. nach stärkerer Berücksichtigung erhoben. Auf der erweiterten Landesausschußsitzung der CSU am 6. Juli 1946 stellte Johannes Semler fest, daß die Regierung Hoegner nunmehr „nach alter parlamentarischer und demokratischer Methode“ nicht mehr das Recht habe, wichtige Verträge oder Gesetze auf wirtschaftspolitischem Gebiet abzuschließen oder zu verabschieden, ohne die CSU in Kenntnis zu setzen.214

Gleichzeitig verhandelte der CSU-Landesvorsitzende Müller mit Hoegner über die Haltung der Union „zur praktischen Regierungspolitik der nächsten Zeit“.215 Dabei bot Hoegner der CSU den freien Staatssekretärsposten im Wirtschaftsministerium an. Weiterhin warf er die Frage auf, „ob die Union nicht doch bereit sei, sich jetzt klar dahin zu erklären, daß sie koalitionsmäßig an der gegenwärtigen Regierung beteiligt sei“.216 Der Erweiterte Landesausschuß der CSU äußerte sich jedoch ablehnend und erneuerte den Beschluß vom 5. Oktober, wonach die Zugehörigkeit von CSU-Mitgliedern zu Hoegners Regierung eine persönliche Entscheidung der Betreffenden sei. Auch eine Tolerierungserklärung für das Kabinett wurde abgelehnt.217 Die CSU blieb als Partei auf Distanz zur Regierung Hoegner.218

Müller wiederholte zwar die allgemeine Bereitschaft der CSU, die Regierungsverantwortung zu übernehmen. Er brachte jedoch erneut zum Ausdruck, daß die CSU sich darum angesichts der gegenwärtig starken Abhängigkeit der Staatsregierung von der Militärregierung nicht reiße. Er sprach den von ihm als „Konkursverwalter“ bezeichneten Regierungen Schäffer und Hoegner eine eigenständig gestaltende Rolle ab und behielt sich die Regierungsübernahme durch die CSU für den Zeitpunkt vor, zu dem eine unabhängigere und parlamentarisch legitimierte Regierung gebildet werden würde. Damit waren Hoegners Versuche, im Juli 1946 das Kabinett – ob aus wahltaktischen Erwägungen zugunsten der SPD oder um die Parlamentarisierung vorzubereiten – in eine Koalitionsregierung umzuwandeln, gescheitert.

Hoegners Rücktrittsabsicht im Mai 1946 war eine Reaktion auf die Wahlerfolge der CSU und von Forderungen aus ihren Reihen gewesen. Ganz anders lag der Fall im Oktober 1946. Nach der Entdeckung von Massengräbern von Häftlingen aus dem KZ Flossenbürg in Neunburg vorm Wald war auf Befehl des örtlichen Public Safety Officers die Bevölkerung, ohne zwischen ehemaligen Nationalsozialisten und anderen zu unterscheiden und den Fall zunächst zu überprüfen, zur Ausgrabung der Leichen herangezogen worden.219 Das undifferenzierte und willkürliche Vorgehen rief die Empörung Hoegners und seines Kabinetts hervor. Gegenüber Major Schweizer, dem Chef der Civil Administration Division des OMGB, so berichtete der Ministerpräsident seinem Kabinett, erklärte er wörtlich „wir ließen uns derartige Dinge 1 1/2 Jahre nach der Besetzung nicht gefallen“. Für Hoegner besaß der Vorfall eine grundsätzliche Dimension. Das Verhalten des Offiziers in Neunburg stand im Widerspruch zu den der Bayerischen Staatsregierung in der Proklamation Nr. 2 und dem Schreiben vom 26. Dezember 1945 mit dem Titel „Action to Strengthen German Civil Administration in the US-Zone“ gewährten Kompetenzen.220 Ferner widersprach es der darin enthaltenen Feststellung, daß die Machtbefugnisse der Militärregierung (Military Government Authority) nur noch auf der Landesebene ausgeübt wurden. Das bedeutete: Anweisungen der Militärregierung gingen nur vom Land Director unmittelbar an den Ministerpräsidenten und über ihn an seine Minister.221

Das Vorgehen in Neunburg untergrub diese klar definierte Rechtsstellung der Bayerischen Staatsregierung. Angesichts dieser Tragweite plädierte Hoegner für den geschlossenen Rücktritt des Kabinetts, sollte der Fall nicht aufgeklärt und der verantwortliche amerikanische Offizier nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Hoegners emotionale Ausführungen wurden am 10. Oktober vom Kabinett mit allgemeiner Zustimmung aufgenommen. Der Fall wurde ausführlich untersucht, der verantwortliche Offizier abgelöst und versetzt. Damit war der Fall im Sinne der Ausführungen des Ministerpräsidenten erledigt. Hoegners Rücktrittsabsicht zeugte ein Jahr nach seinem Regierungsantritt von gewachsenem Selbstvertrauen gegenüber der Militärregierung. Um den erreichten Status der Bayerischen Staatsregierung zu verteidigen, warf er, der von den Amerikanern wegen seiner exzellenten Kooperation sehr geschätzt wurde,222 das äußerste ihm zur Verfügung stehende Mittel in die Waagschale und drohte mit Rücktritt.

Nach Angriffen des Fraktionsvorsitzenden der CSU in der Bayerischen Verfassunggebenden Landesversammlung Alois Hundhammer auf Kultusminister Fendt und dessen Rücktrittsangebot erklärte der Ministerpräsident ebenfalls im Oktober 1946 im Ministerrat noch einmal ausdrücklich, „die Landesversammlung habe nicht die Rechte eines Zwischenlandtages“,223 da es sich nicht um eine parlamentarische Regierung handle. Eine Verantwortlichkeit gegenüber den Parteien bestehe nicht.224 Trotz dieser klaren Aussagen hat der Ministerpräsident der Verfassunggebenden Landesversammlung einige Vorlagen, so z. B. den Entwurf eines Landeswahlgesetzes und eines Gesetzes über das Bayerische Staatswappen, letzteres „mit dem Ersuchen, eine Stellungnahme der Verfassunggebenden Landesversammlung über das nachstehende Gesetz herbeizuführen“225, zugeleitet und auch den Entwurf eines Gesetzes über die Bayerische Staatsangehörigkeit zur Beratung zugesandt.226 Die Landesversammlung empfahl daraufhin der Staatsregierung den Erlaß des Staatsangehörigkeitsgesetzes in unveränderter Fassung.227

Auch wenn in den Formulierungen zum Ausdruck kam, daß die Beschlüsse der Verfassunggebenden Landesversammlung für die Staatsregierung nicht bindend waren, stellt dieses Verfahren eine Stufe auf dem Weg zur Parlamentarisierung dar.

Als der Termin der Landtagswahl feststand und erst recht nach der Landtagswahl vom 1. Dezember 1946 beschäftigte das Kabinett zunehmend die Frage, ob bestimmte Gesetze und Verordnungen noch von der Staatsregierung beschlossen werden könnten, oder ob der Beschluß dem nun bald zusammentretenden Landtag vorzubehalten sei.228 Hinter diesen Überlegungen stand neben staatsrechtlichen Erwägungen das Motiv der Kabinettsmitglieder, vor den Landtagswahlen unpopuläre Maßnahmen nicht mehr allein verantworten zu wollen. Der Handlungsspielraum der Regierung Hoegner als Legislative wurde zum Ende der Amtszeit hin enger, auch wenn immer wieder die ausschließliche Verantwortlichkeit gegenüber der Militärregierung festgestellt wurde.

Nach den Landtagswahlen vom 1. Dezember 1946 beschloß das Kabinett im Ministerrat vom 4. Dezember,229 in der konstituierenden Sitzung des Landtags am 16. Dezember zurückzutreten. Mit Zustimmung des Landtags führte das Kabinett Hoegner jedoch nach seinem Rücktritt am 16. Dezember bis zur Wahl Ministerpräsident Ehards am 21. Dezember 1946 die Geschäfte weiter. In dieser Zeit fanden noch zwei Ministerratssitzungen statt. Hoegners Vorschlag, dem Landtag – obwohl es rechtlich eigentlich nicht erforderlich sei – einen Rechenschaftsbericht in Form einer Regierungserklärung zu geben, fand am 4. Dezember 1946 die einstimmige Zustimmung seines Kabinetts. Die Regierungserklärung vom 16. Dezember 1946230 vor dem Landtag stellte einen weiteren Schritt der bewußt herbeigeführten gleitenden Parlamentarisierung der Regierung Hoegner dar.

Nachdem das Kabinett Ehard gebildet worden war, reichte Landtagspräsident Horlacher am 28. Dezember 1946 sechs ihm von der Regierung Hoegner in der Zeit vom 13.-20. Dezember 1946 übermittelte Gesetze mit der Bitte zurück, dazu eine Beschlußfassung des neuen Kabinetts herbeizuführen.231 Es bestanden offenbar Zweifel an der Legitimität der zuletzt nur noch geschäftsführend amtierenden Regierung Hoegner. Um verfassungsrechtliche Probleme auszuschließen, führte der Landtagspräsident die erneute Beschlußfassung durch das Kabinett Ehard I herbei.

Das Kabinett Hoegner I hatte noch ein Nachspiel. Wenige Wochen nach Bildung der Regierung Ehard setzte der Bayerische Landtag auf Antrag der SPD-Fraktion einstimmig einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Klärung von Mißständen im Bayerischen Wirtschaftsministerium ein, der unter anderen auch den ehemaligen Ministerpräsidenten Hoegner vernahm.232 Im September 1947 wurde der Untersuchungsbericht vorgelegt.233 Darin wurden keine Einwände gegen die „Lauterkeit der Person“ des Wirtschaftsministers Ludwig Erhard erhoben. Als Entschuldigung für mangelnde Organisation des Wirtschaftsressorts, unkoordinierte Personalpolitik sowie Korruption im Ministerium und in nachgeordneten Ämtern wurde angeführt, Erhard habe das Ministerium neu aufbauen müssen, keine volle Handlungsfreiheit besessen und sei häufig auf Reisen gewesen. Ein hoher Ministerialbeamter kleidete den Sachverhalt vor dem Ausschuß in die Worte, Erhard sei ein „typischer Außenminister“ gewesen. Da er in seinem Hause nur vorübergehend einen Staatssekretär besessen habe, habe er interne Aufgaben nicht an einen Stellvertreter delegieren können. In dem Bericht des Untersuchungsausschusses hieß es jedoch weiter: „Wenn Minister Dr. Erhard der Erfolg versagt blieb, so lag dies nach der Überzeugung des Ausschusses im besonderen daran, daß er zu viel Theoretiker war, daß ihm die nötige Verwaltungserfahrung zur Führung eines Ministeriums fehlte und er es nicht verstand, sich die Mitarbeiter zu suchen, die das, was ihm fehlte, ersetzten“. Besonders angekreidet wurde Erhard die Berufung zahlreicher Nichtbayern in das Ressort.

Erhard verteidigte sich damit, daß er ständig habe improvisieren müssen. Er räumte jedoch ein, seine Energie auf die wirtschaftspolitische Seite konzentriert und versucht zu haben, Bayern beim Länderrat, beim Verwaltungsrat für Wirtschaft in Minden sowie im Verhältnis zur Militärregierung aus seiner Beengung herauszuführen.234

Von den tatsächlichen Mißständen zu trennen sind die politischen Motive der Angriffe auf Erhard, die insbesondere von dem Landwirtschaftsminister des Kabinetts Ehard Alois Schlögl (CSU) ausgingen. Sie waren konzeptioneller Natur und richteten sich gegen die von Erhard forcierte marktwirtschaftliche export- und konsumgüterorientierte Wirtschaftspolitik. Demgegenüber wollten Schlögl und andere zumindest vorerst einer Zentralverwaltungswirtschaft den Vorzug geben.235

III. Der Direktor des Office of Military Government for Bavaria, General Walter J. Muller

Brigadegeneral Walter J. Muller stand vom 9. Oktober 1945 bis zum 20. November 1947 an der Spitze des Office of Military Government for Bavaria (OMGB), der für Bayern zuständigen amerikanischen Militärregierung.1 Mit seinem Namen verbindet sich eine lange Phase amerikanischer Militärregierungspolitik in Bayern, die er nach den Wogen, die General Patton erzeugt hatte,2 in ein ruhiges und effizientes Fahrwasser3 – nun unabhängig von den taktischen Kommandostrukturen4 – steuerte. Dazu trugen Mullers Fähigkeiten, seine Verwaltungskompetenz und sein Stil, der nachdrücklich, aber diskret die Ziele der Militärregierung gegenüber der Staatsregierung anmahnte, ohne diese öffentlich zu desavouieren, und natürlich auch die in seiner Person verkörperte personelle Kontinuität an der Spitze des OMGB wesentlich bei.5

Muller war der wichtigste Gesprächspartner Ministerpräsident Hoegners. Infolge der auch in den Jahren 1945/1946 noch erheblichen Befugnisse der Militärregierung hingen von seiner Haltung Handlungsspielräume und Möglichkeiten der Staatsregierung ab.

Muller war 1895 in Wyoming geboren worden6 und hatte die Karriere eines Berufsoffiziers eingeschlagen. Seit 1916 hatte er die amerikanische Militärakademie West Point besucht und dort 1918 seinen Abschluß gemacht. Wie zahlreiche andere Offiziere der Militärregierung hatte er den in Europa kämpfenden Truppen der US-Armee im Ersten Weltkrieg sowie der amerikanischen Besatzungstruppe angehört, die im Oktober 1919 einen Streifen des Rheinlands besetzte. Muller diente von 1919 bis 1923 bei der 8th Infantry Division in Koblenz im Range eines Second Lieutenant, zuletzt als Transportoffizier.

Nach der Rückkehr in die USA war er unter anderem von 1931–1936 als Assistant Professor für militärische Wissenschaften und Taktik an der Universität von Florida tätig sowie als Ausbilder in verschiedenen Ausbildungszentren der US-Army, z.B. 1940/1941 an der Armed Forces School, Fort Knox, Kentucky. Seit März 1942 diente er als für Logistik und Nachschub zuständiger G-4 Offizier unter dem Kommando Pattons, zunächst beim Aufbau eines Training Centers in Kalifornien, ab Juli 1942 in einem Stab zur Vorbereitung der Invasion von französisch Marokko. 1942–1944 war er als Colonel, dann Brigadegeneral (1944) Chef der für Logistik und Nachschub zuständigen G-4 Stabsabteilung der an der Eroberung von französisch Marokko und dann Sizilien beteiligten Western Task Force bzw. 7. US-Armee, immer unter General Patton, unter dem er im März 1944 G-4 der 3. US-Armee wurde. Am 9. Oktober 1945 wurde er als Land Director an die Spitze des OMGB berufen. Am 20. November 1947 schied er auf eigenen Wunsch aus seiner Verwendung aus, um wieder militärische Kommandoposten zu übernehmen (1947–1948 G-4 Army Ground Forces, Fort Monroe, Virginia; 1948–1951 Commanding General Fort Eustis, Virginia (Commandant Transportation School)). Seit 1950 Generalmajor, kehrte Muller 1951 nach Europa zurück und war 1951–1953 Deputy Chief of Staff for Logistics and Administration of the Allied Forces Central Europe. Von November 1953 bis Januar 1955 war er Mitglied und zeitweise auch Vorsitzender des dem Amt des amerikanischen Hohen Kommissars (HICOG) angeschlossenen gemischten deutsch-alliierten Begnadigungsausschusses (Interim Mixed Parole and Clemency Board for German War Criminals) in Bad Godesberg. Das Gremium überprüfte Kriegsverbrecherurteile. 1956 trat er in den Ruhestand und lebte auf einer Ranch in Kalifornien in der Nähe von Stanford. Muller verstarb im Jahre 1967. Muller war katholisch; einer Bemerkung James K. Pollocks ist zu entnehmen, daß Muller auch praktizierender Katholik war.7 Es hat den Anschein, als sei man auf amerikanischer Seite bemüht gewesen, die Tatsache der katholischen Majorität der bayerischen Bevölkerung bei der Besetzung des Spitzenpostens der bayerischen Militärregierung nach Möglichkeit zu berücksichtigen.8

Im Unterschied zu dem häufig zu konstatierenden Phänomen, daß Troupiers mit den Aufgaben in der Militärregierung überfordert waren, war der Berufssoldat Muller, dessen Armeeverwendungen primär analytisches Denken und Organisationsvermögen von ihm verlangt hatten, in ausgezeichneter Weise für diese Tätigkeit geeignet. Zudem verfügte er als Nachschuboffizier über reiche Erfahrungen in Militärverwaltungsfragen9 sowie als Armee-Offizier über Kontakte zu den aktiven Truppenteilen und besaß auch bei diesen Respekt.

Mullers zentrale Aufgabe bestand darin, die Umsetzung der auf Demokratisierung abgestellten amerikanischen Militärregierungspolitik zu garantieren. Da diese Aufgabe nicht durch Befehl (command), sondern durch Überzeugung (leadership)10 erreicht werden sollte, verlangte sie besonders viel Fingerspitzengefühl. Dabei ist zu berücksichtigen, daß Muller als Landdirector selbst detaillierte Befehle11 von OMGUS umzusetzen und kontinuierlich über den Demokratisierungsfortschritt in Bayern – nach Möglichkeit Erfolge – nach Berlin zu berichten hatte. Einen exzellenten Einblick in sein Verständnis von Aufgaben und Praxis des „Military Government“ in Bayern vermittelt ein Vortrag,12 den er nach dem Ausscheiden in Bayern Ende 1947 oder Anfang 1948 in den USA gehalten hat. Darin stellte Muller fest, daß es Aufgabe der Militärregierung gegenüber dem selbständig agierenden bayerischen „sub-government“ gewesen sei, „to observe, inspect, advise and supervise“. So indirekt dieser Enfluß sich vollziehen sollte und so vertrauensvoll das Klima zwischen Muller und der bayerischen Staatsregierung meist auch war, Muller ließ dennoch nie einen Zweifel an den Kompetenzen, Zielen und der übergeordneten Stellung der Militärregierung gegenüber der Staatsregierung aufkommen.

Noch zehn Tage vor der Amtsübergabe an seinen Nachfolger kritisierte er gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten scharf, daß mehrere bayerische Ministerien sich mit ihrer Reaktion auf Schreiben der Divisions von OMGB unverständlich viel Zeit ließen: „However, the continued occurance of such delays suggest to this office that they may be the result of a deliberate and serious lack of desire to cooperate with the Military Government by several Bavarian government agencies. Excessive delays in compliance with requests of Military Government suggest an existent passive resistance to the American occupation authorities in some quarters“.13

Große Aufmerksamkeit richtete Muller auch darauf, den wirtschaftlichen Wiederaufbau in Bayern wo nur möglich zu unterstützen, dies, so äußerte er vor seinem amerikanischen Auditorium, um den amerikanischen Steuerzahler zu entlasten. Tatsächlich wird aber gerade an der vertraulichen Unterstützung ökonomischer Wünsche des Ministerpräsidenten Hoegner deutlich, wie sehr sich Muller schon bald für Bayern verantwortlich fühlte. Gegenüber General Clay setzte er sich nachhaltig für bayerische Interessen ein,14 was später auch von Hoegner anerkennend vermerkt wurde.15 Auf seine persönliche Initiative ging es zurück, daß die Militärregierung Lastwagen, Treibstoff16 und Brennstoff für die bayerische Bevölkerung zur Verfügung stellte.17 Mullers besonderes Interesse galt der Jugendfürsorge und -politik (Demokratisierung u.a. durch Mannschaftssport).18 An der Gründung des Landesjugendausschusses nahm er persönlich teil.19 Sicher erleichtert wurde der Verkehr zwischen Staatsregierung und Militärregierung dadurch, daß Muller die Staatsregierung in Stil und Form respektvoll behandelte, ja sogar lobte, was diese – in Statusfragen äußerst sensibel – mit Befriedigung zur Kenntnis nahm.20

Einen Eindruck von Mullers Person vermitteln auch Einschätzungen von Mitgliedern der US-Army, unter anderen des politischen Beraters von General Clay, James K. Pollock. Er bezeichnete Muller zwar als ruppig aber „very kindly and sincere“.21 Als Pollock sich im April 1946 bei Muller zu Besprechungen über die Koordinierung der Länderratspolitik in München befand, überredete ihn Muller, mit einem Flugzeug, das ihm persönlich zur Verfügung stand, zu einem Wochenendtrip an die Riviera nach Nizza zu fliegen. Dies wirft auch ein Licht auf die materiellen Möglichkeiten des Landesdirektors angesichts von Trümmern und materieller Not in Bayern. Walter Dorn, ebenfalls Berater Clays, charakterisierte ihn als verbindlich, klug und durchsetzungsfähig, sprach ihm gleichzeitig tieferes Verständnis „des spezifisch bayerischen Problems“ ab, fügte jedoch sofort hinzu, daß er die Aufgabe mit ziemlichem Erfolg angepackt habe.22

Bei Mullers Abschied aus Bayern im November 1947 wird erkennbar, wie seine Tätigkeit als Landesdirektor von amerikanischer und bayerischer Seite beurteilt wurde. Als Anerkennung erhielt er für seine Verdienste einen hohen amerikanischen Orden, den „Award of an Oak Leaf Cluster to Legion of Merit“. In der Begründung zu dieser Auszeichnung hieß es: „As Land Director, Office of Military Government for Bavaria, at Munich, Germany, Brigadier General Muller dynamically revitalized and streamlined Military Government operations and organisations in an military important position and materially contributed to the successful completion of the occupation mission in Germany“.23 Die Bayerische Staatsregierung, nun unter Ministerpräsident Ehard, veranstaltete am Vorabend der offiziellen Amtsübergabe am 19. November 1947 in der Staatskanzlei einen mit Kammermusik umrahmten Abschiedsempfang, an dem auch Wilhelm Hoegner teilnahm. Ehard überreichte Muller als persönliches Geschenk eine Gruppe aus dem Nymphenburger Jagdservice.24 Dies alles war eine über die rein protokollarische Amtsübergabe hinausgehende Ehrung.

Muller erklärte gegenüber der komplett erschienenen Staatsregierung, er werde das bayerische Volk nicht vergessen und stets mit tiefstem Interesse dessen wirtschaftliche und demokratische Fortentwicklung verfolgen, „auch wenn ich tausend Meilen entfernt bin“.25 Dies war keine leere Floskel, sondern der Ausdruck einer in zwei Jahren entstandenen Verbundenheit mit Bayern. Ehard antwortete, niemals werde eine fremde Regierung in der Lage sein, nach einem Krieg ein unterworfenes Land befriedigend zu regieren: „Umsomehr möchte ich das ernste und systematische Bemühen anerkennen, mit dem Sie selbst und die Ihnen unterstellte Militärregierung sich ans Werk gemacht haben, um an Stelle des politischen und wirtschaftlichen Chaos einen neuen Bau auszuführen“.

IV. Schwerpunkte der Regierungstätigkeit

Rechtlicher Rahmen

Der staatsrechtliche Rahmen, in dem sich das Kabinett Hoegner bewegte, unterschied sich nennenswert von den Bedingungen, unter denen die Regierung Ministerpräsident Schäffers gearbeitet hatte.1 Jedoch ist es schwierig, die Qualität dieses Unterschieds präzise zu beschreiben, zumal sich die staatsrechtlichen Bedingungen vom September 1945 bis zum Dezember 1946 auch stufenweise wandelten. Tendenziell besteht der Wandel vom Kabinett Schäffer zum Kabinett Hoegner I in einem Zuwachs an rechtlicher Fixierung und einer Zunahme staatlicher Befugnisse für die Regierung bei Fortexistenz einer letztinstanzlich weisungsbefugten amerikanischen Militärregierung für Bayern.2

Hoegners Ernennung zum Ministerpräsidenten am 28. September fiel zusammen mit der Verkündung der Proklamation Nr. 2 General Eisenhowers vom 19. September 1945.3 Darin hieß es in Artikel I: „Innerhalb der Amerikanischen Besatzungszone werden hiermit Verwaltungsgebiete gebildet, die von jetzt ab als Staaten bezeichnet werden; jeder Staat wird eine Staatsregierung haben. Die folgenden Staaten werden gebildet: […] Bayern umfaßt ganz Bayern, wie es 1933 bestand, ausschließlich des Kreises Lindau“.

In Artikel III verband sich damit die Übertragung der vollen gesetzgebenden, richterlichen und vollziehenden Gewalt an diese Staaten.4 Sie war jedoch gebunden an den Vorbehalt der übergeordneten Machtbefugnisse der Militärregierung und durfte auch nicht mit Maßnahmen des Alliierten Kontrollrates kollidieren. Der Vorbehalt hinsichtlich der Befehlsgewalt der Militärregierung bedeutete in der Praxis, daß jede Militärdienststelle den gleichgeordneten deutschen Stellen (Regierungspräsidenten, Landräten, Bürgermeistern) Weisungen erteilen oder deren Anordnungen aufheben konnte.5

Für die Gültigkeit staatlicher Gesetzgebung war bis zur „Schaffung demokratischer Einrichtungen“ die Genehmigung und Verkündung durch den Ministerpräsidenten notwendig. Mit anderen Worten lag die Legislative in Bayern damit bis zur Bildung eines Bayerischen Landtags im Dezember 1946 in den Händen des Ministerpräsidenten und seines Kabinetts, die in den Sitzungen des Bayerischen Ministerrats Gesetze und Verordnungen beschlossen.6 Die Ministerratsprotokolle stellen damit in den Jahren 1945/1946 die zentrale Quelle für die bayerische Exekutive und Legislative dar.

Die staatsrechtliche Bedeutung der Proklamation Nr. 2 wurde und wird unterschiedlich beurteilt.7 Hoegner vertrat in seiner Regierungserklärung vom 22. Oktober 1945 die Auffassung, durch sie sei Bayern wieder als Staat anerkannt worden.8 In seinen Erinnerungen heißt es davon abweichend, Bayern sei durch sie als Staat neu geschaffen, also neu konstituiert worden.9 Undifferenziert wird die amerikanische Proklamation bis heute von Historikern und von Politikern als Geburtsstunde Nachkriegsbayerns bezeichnet.10

Staatsrechtlich problematisch an diesen Interpretationen, die mit der Proklamation die Anerkennung bzw. Konstituierung bayerischer Staatlichkeit nach dem Kriegsende verknüpfen, ist jedoch, daß die Existenz eines Staates auf dem Willen des eigenen Volkes beruhen muß. Das ist bei der Proklamation Nr. 2 nicht der Fall. Bayern war auch weiterhin kein Staat, sondern ein besatzungsrechtliches Verwaltungsgebiet mit weitreichenden, jedoch jederzeit revozierbaren staatlichen Befugnissen.11

Das wird auch noch an einem anderen Sachverhalt deutlich. Hoegner legte unter Bezug auf die Proklamation Nr. 2 am 20. Oktober 1945 im Ministerrat ein „Gesetz über die vorläufige Staatsgewalt in Bayern“ vor. Zur Begründung sagte er: „Nachdem Bayern wieder ein Staat geworden und als solcher anerkannt sei, bestehe die Notwendigkeit, die Grundzüge einer staatlichen Ordnung in einer Art Verfassung oder besser in einer vorläufigen Verfassung wieder festzulegen“.12 Die Militärregierung lehnte den Gesetzentwurf jedoch mit dem Hinweis ab, eine vorläufige Verfassung sei nicht notwendig, da die Direktiven der Militärregierung eine ausreichende Grundlage für die Staatsregierung darstellten.13 Damit betonten sie die Prärogative der Militärregierung und wiesen Hoegners Auffassung zurück, die Proklamation Nr. 2 als Quelle für die Begründung einer bayerischen Staatlichkeit zu interpretieren.14

Anstelle des von Hoegner angestrebten Staatsgrundgesetzes präzisierte die amerikanische Militärregierung die Proklamation Nr. 2 durch ein Schreiben des OMGB vom 26. Dezember 1945: „Action to Strengthen German Civil Administration in the US-Zone“.15 Unter 1. hieß es darin: „Mit Wirkung vom 1. Januar 1946 an werden Sie die Verantwortung für den Gang der Regierungsgeschäfte im Lande Bayern übernehmen. […] Die Beziehungen zwischen der Militärregierung und den deutschen Behörden beruhen auf der Einrichtung einer selbständigen Staatsregierung in Bayern, die der zentralisierten Überwachung durch die Militärregierung unterliegt“. Unter 6. a) wurden die praktischen Auswirkungen dieser Bestimmung festgehalten: „Alle Anordnungen von behördlichen Stellen der Militärregierung an deutsche Behörden werden durch Sie als den Ministerpräsidenten und durch ihre Ressortminister ergehen“. Hierin lag der wichtigste qualitative Fortschritt gegenüber den Bestimmungen der Proklamation Nr. 2. Lokale Militärregierungsdienststellen konnten bayerischen Behörden keine Weisungen mehr erteilen bzw. deren Anordnungen aufheben.16 Der Verkehr mit der Militärregierung war beim Ministerpräsidenten zentralisiert und unterlag seiner Kenntnis und Kontrolle.17 Dadurch wurde seine Autorität gestärkt und die Basis für ein einheitliches Auftreten gegenüber der Militärregierung gelegt.18

In der Anweisung vom 26. Dezember wurde Bayern – auch in der englischen Fassung – nicht mehr als Staat wie in der Proklamation Nr. 2, sondern als „one of the three Länder constituted in the US-Zone“ bezeichnet. Dies deutet an, daß die Verwendung des Terminus Staat nicht in Kenntnis der deutschen Verfassungsgeschichte erfolgt war und jetzt präziser gefaßt wurde.

Der Regierung in Bayern (Bavarian Government/Staatsregierung) wurde die volle exekutive, legislative und richterliche Gewalt bestätigt. Dies wurde ausdrücklich ausgedehnt auf die Ausübung aller Vollmachten auf dem bayerischen Staatsgebiet, „die früher in die Zuständigkeit der Reichsregierung fielen“.19 Erneuert wurde in dem Schreiben weiterhin der Vorbehalt, daß keine Maßnahme der bayerischen Staatsregierung im Gegensatz zu vom Alliierten Kontrollrat getroffenen Anordnungen und den geplanten Zentralverwaltungen20 stehen dürfe. Der Ministerpräsident, dem die Ministerien unterstanden und rechenschaftspflichtig waren,21 trug die alleinige Verantwortung gegenüber dem Direktor des OMGB.22

Die Anweisung trug auch der Umstrukturierung auf seiten der Militärregierung Rechnung. Die Kompetenzen wurden auf der Ebene der den Landesregierungen gegenüberstehenden Landesmilitärregierungen gebündelt, diese dadurch zur tragenden Säule der amerikanischen Militärregierungspolitik. Für Bayern betraf dies das am 15. Oktober aus der G-5 Stabsabteilung der 3. US-Armee und dem RMG hervorgegangene Office of Military Government for Bavaria (OMGB).23

Die von OMGB gegenüber dem bayerischen Ministerpräsidenten und seinem Kabinett ausgeübte Kontrolle wurde in der Anweisung in Form weitgehender Interventionsmöglichkeiten fixiert. So war z. B. die Ernennung und Entlassung von Beamten an die Genehmigung der Militärregierung gebunden, ebenso lag die Überprüfung und Bestätigung von deren politischer Zuverlässigkeit bei OMGB. Vor allem aber unterlag der Erlaß von Gesetzen und Verordnungen durch den Staat Bayern „der vorherigen Billigung durch das Amt der Militärregierung für Bayern“.24 Der Ministerpräsident besaß allein das Recht, Entwürfe bei OMGB (Legal Division, Legislation Branch)25 vorzulegen und deren Zustimmung einzuholen.26 Die Ministerratsprotokolle belegen, daß die amerikanischen Interventionsrechte nicht nur auf dem Papier bestanden. Gesetze wurden abgelehnt27 oder ihr Inkrafttreten mit Auflagen versehen.28 Die Prüfung durch die Militärregierung verzögerte häufig das mit der Publikation im Gesetz- und Verordnungsblatt verbundene Inkrafttreten um Monate.29 Gleichzeitig wurde angeordnet, daß die Einflußnahme von OMGB auf Gesetze, Verordnungen, Anordnungen und Vorschriften des Kabinetts Hoegner I, die in abgestufter Form vom Verbot über Zwang zu Änderung und Ergänzung, Zurückweisung der Vorlage zum jetzigen Zeitpunkt, Hinweis auf zu erwartende Ablehnung bis zu geringen Änderungsvorschlägen reichen konnte, gegenüber der Öffentlichkeit jedoch nicht kenntlich gemacht werden dürfe.30

Die Anweisung vom 26. Dezember stärkte auf der einen Seite die Position des Ministerpräsidenten und der Regierung durch die privilegierte Stellung, die sie allein gegenüber der Militärregierung auf Landesebene besaß. Dies verlieh ihr vor allem die notwendigen Kompetenzen, sich als allein regelungsbefugte Landesinstanz in Bayern zu etablieren. Andererseits kam in der detaillierten Aufzählung der Interventionsrechte der Militärregierung die abhängige und weisungsgebundene Stellung der „Staats“-Regierung deutlich zum Ausdruck.31

Die Anordnung vom 26. Dezember enthielt als zusätzliche Einschränkung der Vollmachten der Staatsregierung die Verpflichtung zur Zusammenarbeit mit den anderen Ländern der US-Zone, die sich de facto zunächst auf den Länderrat bezog und in der Praxis den Zwang zu abgestimmter Gesetzgebung brachte32 und mit dem RGCO neben dem OMGB eine weitere weisungsbefugte und kontrollausübende amerikanische Instanz etablierte.33

Am 9. Juli 1946 teilte die Militärregierung Ministerpräsident Hoegner mit, daß die generelle Prüfung und Genehmigung aller Gesetze und Verordnungen durch OMGB wegfalle und nur noch für die wichtigsten Gesetze, Verordnungen und Vorschriften gelte.34 Damit erweiterten sich die staatlichen Befugnisse und der Spielraum der Staatsregierung ganz erheblich. Dies hatte in der Praxis zur Folge, daß im Ministerrat häufiger erwogen wurde, in welche juristische Form (z.B. Gesetz oder Dienstanweisung) eine Materie zu fassen war. Denn dies entschied darüber, ob sie der Militärregierung lediglich zur Kenntnis zugeleitet oder aber zur Genehmigung vorgelegt werden mußte.35

Der komplizierte rechtliche Rahmen hatte zur Folge, daß verschiedene Rechtsquellen – teilweise konkurrierend – für Bayern galten:

- Gesetze des Alliierten Kontrollrats,36

- nach dem wirtschaftlichen Zusammenschluß der amerikanischen und britischen Zone Mitte 1946 Beschlüsse der Verwaltungsräte des amerikanisch-britischen Besatzungsgebietes, die der Genehmigung durch die amerikanisch-britische Militärbehörde bedurften,

- Beschlüsse des Länderrats in Stuttgart, bis zum 30. August 1946 genehmigt durch OMGUS (Berlin) und die Landesmilitärregierungen, seitdem schloß die Genehmigung von OMGUS die Zustimmung von OMGB mit ein.37 Die Verkündung fand in Form von Landesgesetzen statt,38

- Gesetze und Verordnungen des Landes Bayern, genehmigt von OMGB.39

Mit Schreiben vom 30. September 1946, das den Ministerpräsidenten am 3. Dezember 1946 in Stuttgart von RGCO übergeben wurde,40 erließ OMGUS für die Länder der US-Zone sowie Bremen und den Berlin District Ende 1946 eine Anordnung, die das Verhältnis zwischen den Militärregierungen auf Landesebene und den deutschen Landesregierungen nach dem Inkrafttreten der Landesverfassungen und der Konstituierung der Landtage neu definierte.41 Diese galt auch für die letzten Wochen des Kabinetts Hoegner I.

Obwohl dadurch eine weitere Stufe auf dem Weg zur „Selbstregierung“42 erklommen wurde, behielten sich die Amerikaner Kontroll- und Interventionsmöglichkeiten vor, die im Zweifelsfalle die Durchsetzung der Richtlinien ihrer Besatzungspolitik gewährleisteten. Generell sollten sich die Landesmilitärregierungen jedoch nun zur Erreichung dieser Ziele strikt beschränken auf: „Observation, inspection, reporting and advising“.

Obwohl durch die schriftliche Fixierung höhere Rechtssicherheit im Verhältnis zwischen Militärregierung und Staatsregierung entstand, befand sich Hoegners Kabinett wie dasjenige Schäffers auch nach der Selbsteinschätzung des Ministerpräsidenten „in weitestem Umfang in Abhängigkeit von der Besatzungsmacht“.43 Daß das Kabinett Hoegner I dennoch wesentlich selbständiger agieren konnte, lag weniger an den normativen Bestimmungen als an der Atmosphäre und Praxis, die sich zwischen Militärregierung und dem Ministerpräsidenten und seinen Kabinettsmitgliedern – auch auf Grund der längeren Amtszeit – entwickelte und einspielte. So konnte Hoegner in der Regierungserklärung am Ende seiner Amtszeit formulieren: „Trotzdem hatten wir nie das Gefühl, als bloßes Werkzeug benutzt zu werden. Nicht einen Augenblick kam ich in diesen 14 Monaten der Zusammenarbeit mit der Militärregierung auf den Gedanken, kein freier Mann mehr zu sein“.44

Schwerpunkte

Ebenso wie für das Kabinett Schäffer standen das Verhältnis zur Militärregierung 45 und die Entnazifizierung auch für die Regierung Hoegner ganz oben auf der Prioritätenskala.46

Für Hoegner und sein Kabinett war angesichts der mit Kritik an der zu laxen Entnazifizierungspraxis verknüpften Entlassung Ministerpräsident Schäffers klar, daß die neue bayerische Regierung von der Militärregierung an der Bewältigung dieser Frage gemessen werden würde. Dies galt besonders für die Anfangsphase, jedoch auch später. Zunächst ergingen von Hoegner Anordnungen über das Verbot der Beschäftigung von Mitgliedern der NSDAP in den Ministerien 47 Anknüpfend an Vorarbeiten Schäffers48 wurde die Arbeit an einer gesetzlichen Regelung der Entnazifizierung aufgenommen, die dann koordiniert mit den Ländern der US-Zone in das am 5. März 1946 feierlich in München in Kraft gesetzte Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (BefrG) mündete. Damit ging die Entnazifizierung in deutsche Hände über. Aufbau, personelle Zusammensetzung und Praxis der Spruchkammern beschäftigten das Kabinett während der gesamten Regierungszeit.49 Immer wieder wurden Mängel von der Militärregierung kritisiert.50 Von der Bewältigung der Entnazifizierung hingen aber auch die Existenz der bayerischen Regierung und der demokratische Fortschritt in den Ländern der US-Zone ab. So drohte General Clay Anfang November 1946, die deutschen Regierungen wieder abzuschaffen, wenn das Entnazifizierungsgesetz nicht nach dem Buchstaben und Willen der Urheber, insbesondere der Militärregierung, durchgeführt werde.51

Kritik entzündete sich auch an der Behandlung von sogenannten Großfällen.52 Das Kabinett Hoegner I hatte ferner darüber zu entscheiden, wie gegenüber den Freigesprochenen des Nürnberger Prozesses zu verfahren war; dies betraf vor allem Franz von Papen.53

Das übergeordnete Ziel der Entnazifizierung verlangte eine Harmonisierung mit einer Vielzahl gesetzlicher Regelungen. Zum Beispiel wies die Militärregierung Ministerpräsident Hoegner an, das Wahlgesetz für Landtagswahl und Volksentscheid über die Verfassung in Einklang mit den Vorschriften des Befreiungsgesetzes zu bringen und bestimmte Gruppen von der Wahl auszuschließen.54 Auch die Zuteilung von Wohnraum an ehemalige Parteimitglieder nach Abschluß ihres Spruchkammerverfahrens war ein Thema.55 Problematisch war u.a. auch der Neuaufbau der Standesorganisation der Ärzte in Bayern.56

Weiterhin mußten ab Oktober 1946 die bislang unter amerikanischer Kontrolle stehenden Internierungslager in Bayern von der Regierung übernommen werden.57 Am 30. November 1946 befanden sich darin 23.586 im Zuge des Automatic Arrest 1945 verhaftete Nationalsozialisten in Führungspositionen und im Spruchkammerverfahren zu Arbeitslager verurteilte Häftlinge.58 Die von den Amerikanern als Kardinalfrage betrachtete Entnazifizierung wurde angesichts des davon abhängenden grundsätzlichen Spielraums für die deutsche Seite mit Fingerspitzengefühl behandelt. Aus voller Überzeugung agierte das Kabinett bei der Durchführung der Entnazifizierung jedoch nicht,59 es empfand diese Aufgabe zumeist als enorme Belastung.

Einen weiteren Schwerpunkt bildeten Flüchtlingsfragen. 60 Dabei ging es um die materielle Versorgung der Flüchtlinge mit Wohnraum etc.,61 ihre rechtliche Stellung z. B. bei Wahlen,62 die Gleichstellung bei der Anstellung im öffentlichen Dienst, bei der Zulassung zu freien Berufen und bei der Erteilung von Gewerbegenehmigungen,63 das Verbot einer Flüchtlingspartei64 und die Kompetenzen und Struktur der Flüchtlingsverwaltung,65 die rechtlich fixiert wurde (Flüchtlingsnotgesetz,66 Beratung des im Länderrat verabschiedeten Flüchtlingsgesetzes vom 19. Februar 194767), jedoch immer wieder zu Klagen der Ressorts Anlaß bot.68 Hinzu kamen Konflikte des Kabinetts mit dem im November 1945 an die Spitze der Flüchtlingsverwaltung berufenen selbstbewußten Staatskommissar für das Flüchtlingswesen Wolfgang Jaenicke,69 der erst im Kabinett Ehard als Staatssekretär Kabinettsrang erhielt.70 Bei der Behandlung der Flüchtlinge orientierte sich die Regierung zwar an ihrer sozialen Verantwortung, sie agierte aber gleichzeitig stets auch als Interessenvertretung der einheimischen Bevölkerung. Die Militärregierung griff als Anwalt der Flüchtlinge mit Anweisungen in Maßnahmen der Regierung ein.71 In diesen Themenbereich fällt auch die Behandlung der in Bayern lebenden Evakuierten. Die Staatsregierung bemühte sich insbesondere angesichts der stetig steigenden Zahl von Flüchtlingen intensiv um deren Rückführung.72 In diesem Zusammenhang wurde im Kabinett immer wieder Kritik an der Überfremdung gerade des öffentlichen Dienstes und der Justiz laut.73

Zur Betreuung der aus rassischen und politischen Gründen Verfolgten (KZ-Häftlinge) stimmte das Kabinett der Bildung eines Staatskommissariats für die Betreuung der Juden und kurz darauf einem Staatskommissariat für die politisch Verfolgten zu.74 Im Oktober 1946 wurden beide zum Staatskommissariat für die Opfer des Faschismus zusammengefaßt,75 das dem Innenministerium unterstand.

Im Zusammenhang mit dem von den Amerikanern im Oktober 1945 gegründeten Länderrat der US-Zone, der zur Abstimmung der Exekutive und Legislative in den Ländern der US-Zone dienen sollte, und mit der vorläufigen Übernahme von Reichsfunktionen, wozu der Ministerpräsident durch die Anordnung der Militärregierung vom 26. Dezember 1945 ausdrücklich aufgefordert worden war, bestand für das Kabinett Hoegner I die Notwendigkeit, ein politisches Konzept für die oberhalb der Länder liegende Ebene zu entwickeln und einheitlich zu vertreten. Die Übernahme von Reichsfunktionen nutzte Hoegner zur Schaffung von Fakten im Sinne einer föderalistischen Politik. Am erfolgreichsten war er auf diesem Felde mit den gleich zu Beginn seiner Amtszeit geschaffenen Staatsministerien für Ernährung und Landwirtschaft und der Justiz.76 Aus dem Aufgabengebiet des Justizministeriums ragte in den Kabinettssitzungen die Wiederherstellung der Verwaltungsgerichtsbarkeit heraus.77 Es folgte kurz darauf die Errichtung des Staatsministeriums für Verkehr mit einem Staatssekretariat für die Post.78 Damit waren zentrale Bereiche der Verwaltung, die durch die Weimarer Verfassung und die Nationalsozialisten verreichlicht worden waren, wieder in die Kompetenz des Landes zurückgekehrt.79 Hoegner übte auch bei der Erteilung von Ausnahmegenehmigungen für Minister bei der Übernahme von Aufsichtsratsmandaten die Rechte aus, die vorher beim Reichskanzler bzw. dem Reichsstatthalter gelegen hatten.80 Er knüpfte damit nahtlos an die vom Kabinett Schäffer eingeleitete Politik der Reföderalisierung an.

Der Ministerpräsident vertrat auch in programmatischer Form eine föderalistische Politik, die sich am Konzept des Bundesstaates orientierte.81 Im Zusammenhang mit Angriffen, die Hoegner Separatismus unterstellten, erhielt er die einstimmige Rückendeckung des Kabinetts.82 Bei der auf eine föderalistische Neugliederung Deutschlands gerichteten Politik der Regierung Hoegner, die von hochgradigem Konsens geprägt war, vermischten sich Hoegners Schweizer Erfahrungen mit der eigenstaatlichen Tradition der BVP-Politik, in der zahlreiche Mitglieder des Kabinetts standen.83 Vor allem aufgrund des dezidiert von ihm vertretenen Föderalismus schwand jedoch Hoegners Rückhalt bei der bayerischen SPD.84 Hingegen wurde von General Clays politischem Berater Robert Murphy die Vertretung föderalistischer Positionen durch den bayerischen Ministerpräsidenten äußerst wohlwollend registriert.85

Teilweise kamen der föderalistischen Ausrichtung der Politik der bayerischen Staatsregierung die Forderungen der amerikanischen Militärregierung entgegen. Dies war zum Beispiel bei der Errichtung der Landeszentralbanken anstelle der Reichsbank der Fall. Sowohl aus ökonomischen als auch aus politischen Gründen verlangten die Amerikaner eine Dezentralisation des Bankwesens.86 Dabei stellte sich für Bayern zusätzlich die Frage, ob die bayerische Landeszentralbank aus der bayerischen Reichsbankfiliale hervorgehen sollte, oder deren Aufgabe auch der Bayerischen Staatsbank übertragen werden konnte. Mit der Schaffung der Landeszentralbank von Bayern verknüpfte sich bei Hoegner zeitweise die Hoffnung auf eine eigene bayerische Notenbank.

Die Bewertung des von den Amerikanern bereits im Oktober 1945 geschaffenen Länderrats der US-Zone in Stuttgart wandelte sich im Laufe des Jahres 1946. Für die vom Kabinett Hoegner I betriebene Reföderalisierungspolitik bedeutete zunächst jede Instanz oberhalb der Länder – ganz gleich, welche Struktur sie aufwies – eine Konkurrenz um teilweise gerade erst erlangte Kompetenzen.87 Hoegner und seine Kabinettskollegen betrachteten insbesondere die personelle Zusammensetzung und die Größe des Generalsekretariats des Länderrats argwöhnisch. Als Zentralbehörde88 trat es in ihren Augen – durchaus auch personell – an die Stelle der zentralistischen Reichsbürokratie. Als im Organisationsplan für den Länderrat Anfang November 1945 jedoch das Einstimmigkeitsprinzip festgeschrieben wurde, infolgedessen eine Majorisierung Bayerns ausgeschlossen war, schwanden die bayerischen Vorbehalte.89 Sie flammten jedoch immer wieder auf, u.a. wenn Sonderbevollmächtigte des Länderrats geschaffen wurden bzw. den Ausschüssen erweiterte Kompetenzen zugestanden werden sollten.90 Paradigmatisch war die Diskussion im Kabinett angesichts der Berufung eines Sonderbevollmächtigten des Länderrats für Ernährung und Landwirtschaft.91 In den Bereichen Verkehr und Post mußte Bayern Zuständigkeiten abgeben, weil auf Verlangen der Amerikaner Aufgaben auf Länderratsebene zusammengefaßt wurden. Dies empfand das Kabinett als besonders schmerzlich, weil dadurch gerade erst zurückgewonnene Kompetenzbereiche den Ländern wieder verloren gingen.92 Es fiel u.a. das Wort von der Verkehrsdiktatur.93

Die bayerische Länderratspolitik als quasi „Außenpolitik“ erklärte Hoegner zur Chefsache. Die Korrespondenz mit dem bayerischen Bevollmächtigten beim Länderrat in Stuttgart, Gebhard Seelos, wurde zentral über die in der Bayerischen Staatskanzlei errichtete Landesdienststelle des Länderrats (später: und der Zweizonenämter) abgewickelt.94

Einen grundlegenden Wandel erfuhr die Bewertung des Länderrats durch die bayerische Regierung, als im Herbst 1946 die amerikanische und britische Zone vereinigt wurden. Angesichts der Furcht vor der zentralistischen Struktur der britischen Zone95 verklärte sich nun das Bild des Länderrats zu einem föderalistischen Ideal und institutionellen Vorbild für die Zusammenarbeit mit der britischen Zone.96 Am 2. Dezember 1946 wurde durch Abkommen zwischen den USA und Großbritannien zum 1. Januar 1947 die Bizone errichtet.97 Durch Vereinbarungen über die Errichtung von bizonalen Verwaltungsräten und fünf ihnen untergeordneten bizonalen Verwaltungsämtern (für Wirtschaft,98 Ernährung und Landwirtschaft, Post- und Fernmeldewesen, Verkehr und Finanzen),99 die zwischen dem 10. September und 1. Oktober 1946 geschlossen wurden, wurde sie in die Tat umgesetzt. Dies brachte für die vom Kabinett Hoegner vertretene föderalistische Linie einen Rückschlag, anstelle des Einstimmigkeitsprinzips galt nun das Mehrheitsprinzip.100 Einwände hatte der Ministerrat insbesondere gegen das Verkehrsabkommen101 und gegen die mit den bizonalen Verwaltungen erneut und nun verstärkt heraufziehende Gefahr, daß sich eine Reichsbürokratie etablierte.102 Auch die von den bizonalen Verwaltungen beanspruchte Rechtsetzungsbefugnis wurde von Bayern bestritten.103 Mißtrauisch gegenüber den zentralen Einrichtungen der Bizone, insbesondere wenn sie in der britischen Zone ihren Sitz haben sollten,104 bemühte man sich, die Verwaltungsämter für Finanzen in Bad Brückenau und für Ernährung und Landwirtschaft in Bad Kissingen anzusiedeln, jedoch ohne Erfolg.105

Das Kabinett Hoegner schuf die rechtlichen Grundlagen für die im Laufe des Jahres 1946 sukzessive abgehaltenen Wahlen, für die Gemeindewahlen,106 Kreistags- und Stadtkreiswahlen sowie für die Wahl zur Verfassunggebenden Landesversammlung und für den Volksentscheid über die Bayerische Verfassung sowie die Wahl des Bayerischen Landtags.107 Kontrovers waren in diesem Zusammenhang die Frage des Wahlrechts für ehemalige Nationalsozialisten108 und für die in Bayern lebenden Evakuierten.109 Die Praxis der Aufstellung der Kandidaten für die Landtagswahl in den Stimmkreisen führte zur exakten Auslegung des Artikels 49 im Gesetz Nr. 45 betr. Volksentscheid über die Bayerische Verfassung und die Wahl des Bayerischen Landtags durch den Ministerrat. Das Gesetz kann als exemplarisch für die teilweise sehr weitgehende Beeinflussung der Gesetzgebung durch OMGB genommen werden.110

Bereits in seinem ersten Interview hatte Hoegner angekündigt, einen die Regierung beratenden Ausschuß111 zu berufen, der sich aus Vertretern aller Bevölkerungsschichten zusammensetzen sollte. Ein entsprechendes Gesetz über die Bildung eines Beratenden Landesausschusses, dessen Mitglieder vom Ministerpräsidenten ernannt und abberufen wurden, beriet das Kabinett bereits am 20. Oktober 1945.112 Dieser Bayerische Beratende Landesausschuß, dem bis zu 130 Mitglieder angehörten, kam zuerst vom 21. bis 28. Februar 1946 und noch zwei weitere Male zu Tagungen in München zusammen. General Muller bezeichnete ihn in der Eröffnungssitzung am 26. Februar als bedeutungsvollen Schritt auf dem Wege zur Wiederherstellung einer demokratischen Regierung dieses Landes.113 Der Landesausschuß hatte nur Beratungsrecht und sollte vor Erlaß wichtiger Gesetze und vor Festlegung des Haushaltsplanes gehört werden. Zu seinem Präsidenten ernannte Ministerpräsident Hoegner den letzten bayerischen Landtagspräsidenten der Weimarer Republik, den früheren BVP-Politiker aus Kaufbeuren Georg Stang.114

Auf Initiative der Militärregierung bildete Hoegner im Februar 1946 einen Vorbereitenden Verfassungsausschuß.115 Als weiterer Schritt auf dem Wege zur Verfassungsgebung und zur Parlamentarisierung wurde am 30. Juni 1946 die Bayerische Verfassunggebende Landesversammlung gewählt. Ein von Hoegner der Militärregierung vorgelegtes Gesetz über die Verfassunggebende Landesversammlung116 lehnte die Militärregierung jedoch mit dem Hinweis ab, die Landesversammlung sei in der Lage, ihre Bestimmungen und Verfahren selber festzulegen.

Die Beratungen über die Bayerische Verfassung, die von Juni bis Oktober 1946 größtenteils im Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesversammlung stattfanden, werden in den Ministerratsprotokollen nur äußerst selten reflektiert.117 Interessant ist im übrigen der Entwurf eines vorläufigen Gesetzes über den Senat, der in der letzten Ministerratssitzung beraten wurde118 und erheblich von dem später zustandegekommenen Gesetz abwich.

Die landesweite Durchsetzung der Regierung Hoegner I als staatliche Zentralgewalt stieß, wie für das Kabinett Schäffer,119 auf Widerstände. Schon in seiner Regierungserklärung am 22. Oktober 1945 erwähnte Hoegner die „vielfach eingerissene Selbstherrlichkeit örtlicher Behörden“.120 Dies manifestierte sich vor allem im Verhältnis zu den Regierungspräsidenten, insbesondere dem eigenwillig agierenden Adam Stegerwald in Unterfranken. Hoegner äußerte, ein Herzogtum Franken lasse er sich nicht gefallen.121 Ähnlich verärgert war er, daß der neue Regierungspräsident von Ansbach, Hans Schregle, es nicht für nötig gehalten hatte, sich mit dem Ministerpräsidenten in Verbindung zu setzen.122

Von anderer Seite wurde die Autorität der Staatsregierung durch die publizistische Forderung nach einer Loslösung Schwabens von Bayern und einer Angliederung an Württemberg herausgefordert.123 Zur Wehr setzte sich die Staatsregierung weiterhin gegenüber territorialen Ansprüchen auf den Ruperti-Winkel bei Berchtesgaden, die von österreichischer Seite, wenn auch wohl ohne offizielle Unterstützung der Bundesregierung in Wien, erhoben wurden. Teilweise unterstützten bayerische Kreise diese Ziele. Angeheizt wurde dieses Thema durch wiederkehrende Gerüchte, die Amerikaner würden Grenzberichtigungen bei Berchtesgaden und bei Sonthofen zugunsten Österreichs zustimmen.124 Das Verhältnis zwischen Bayern und Österreich war 1945/1946 jedoch grundsätzlich gespannt. Auslöser war die Erklärung Österreichs, alle Nationalsozialisten als Reichsdeutsche zu betrachten und sie nach Deutschland,125 sprich nach Bayern, auszuweisen, weiterhin die Entlassung aller Reichsdeutschen – auch einer größeren Zahl Bayern – aus dem öffentlichen Dienst Österreichs. Der Ministerrat antwortete mit dem Beschluß, alle Beamten und Angestellten österreichischer Herkunft aus dem bayerischen Staatsdienst zu entfernen.126 Die Militärregierung verlangte die Rücknahme dieses Beschlusses.127 Erschwerend trat hinzu, daß Kontakte mit der österreichischen Regierung kaum oder nur inoffiziell oder nur über die US-Militärregierung möglich waren. Ein Streitpunkt zwischen Österreich und Bayern war auch die Gewinnung und Aufteilung von Energie aus Wasserkraft im alpenländischen Grenzgebiet.128

Die Frage der territorialen Zugehörigkeit der bayerischen Pfalz und Lindaus zu Bayern blieb in den Jahren 1945/1946 unbeantwortet. Das Kabinett war bemüht, Fakten zu schaffen, die zu einem späteren Zeitpunkt die bayerischen Ansprüche untermauern würden.129 Offizielle Lebensmittelhilfe für die Pfalz scheiterte jedoch am Einspruch der Militärregierung.

Der Aufbau der Staatsverwaltung und die Kompetenzverteilung zwischen den Ressorts war ein häufiger Gegenstand der Beratungen des Ministerrats. Dabei war die Einheitlichkeit der Staatsverwaltung ein Anliegen, dem auch die Militärregierung ihr besonderes Augenmerk schenkte. Angesichts der besonderen Aufgaben in der Nachkriegszeit gab es eine Tendenz zu Sonderverwaltungen (z. B. Siedlungsämter, Landessiedlungsämter, Fahrbereitschaftsleiter, Bevollmächtigte für den Nahverkehr, Regierungswirtschaftsämter,130 Wirtschaftsämter, Flüchtlingskommissare). Die Militärregierung bestand jedoch auf der klaren Unterstellung unter die traditionellen Ressorts bzw. die Regierungspräsidien oder die Landräte. Ebenso wandte sie sich wie im Falle des Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung gegen die direkte Unterstellung von Landesämtern unter Ministerpräsident und Staatskanzlei. Dahinter stand das Prinzip starker eigenverantwortlich geleiteter Ressorts auf Landesebene, deren Zuständigkeit weder durch einen zu starken Ministerpräsidenten, zu viele eigenständig agierende Sonderbehörden oder die Verlagerung von Kompetenzen auf die Mittelbehörden geschmälert werden sollte.131 Auf dieser Linie lag es auch, daß die Militärregierung im Laufe des Jahres 1946 darauf drängte, die zwischenzeitlich geschaffenen Staatskommissariate aufzulösen und einzugliedern, so im Juli 1946 z. B. die Staatskommissariate für die politisch Verfolgten und die Betreuung der Juden in Bayern, die dann jedoch lediglich zusammengefaßt wurden.132 Im Dezember wurde die Neuordnung der Statistik und damit die Aufhebung des Staatskommissars für die Statistik beschlossen.133

In Fortgeltung des durch die Nationalsozialisten geschaffenen Zustandes unterstand auch die Landesforstverwaltung 1945 direkt dem Ministerpräsidenten. Dies widersprach ebenfalls den Vorstellungen der Militärregierung, weshalb bereits mit Ministerpräsident Schäffer Gespräche über die Unterstellung unter das Landwirtschafts- oder Finanzministerium geführt worden waren.134 Hoegner setzte zur Klärung der Frage einen Ausschuß ein.135 Im Mai 1946 wurde die Landesforstverwaltung in das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eingegliedert.136 In diesem Zusammenhang stellte sich auch die Frage nach der Organisation des Jagdwesens, für das schließlich eine eigene Abteilung im Landwirtschaftsministerium errichtet wurde.137

Auch verschiedene weitere institutionelle Veränderungen, vor allem im Innenministerium, gingen auf die Militärregierung zurück. So entstand auf ihr Verlangen eine Ernährungsabteilung innerhalb der Landesgesundheitsabteilung, die Anfang Juni 1946 ihre Arbeit aufnahm.138 Das schon in den zwanziger Jahren errichtete Landesjugendamt139 wurde im Auftrag der Militärregierung in neuer Form wieder beim Innenministerium eingerichtet.140 Das 1936 dem Innenministerium in Form der Obersten Theaterbehörde eingegliederte Theaterwesen kam durch Verordnung Anfang Mai 1946 wieder zum Kultusministerium.141

Der schon unter dem Kabinett Schäffer herrschende Konflikt zwischen Innenministerium und Wirtschaftsministerium über die Zuständigkeit in Energiewirtschaftsfragen,142 was sich vor allem auf die Aufsicht über die Elektrizitätserzeugung und -Verteilung bezog, fand im Kabinett Hoegner seine Fortsetzung. Traditionell lagen die Kompetenzen bei der dem Innenministerium unterstehenden Obersten Baubehörde. Wirtschaftsminister Erhard machte jedoch schon frühzeitig143 Ansprüche geltend und begründete dies damit, daß vor allem der für die Verteilung und Versorgung zuständige Landeslastverteiler ihm unterstehen müsse, zumal diese Zuständigkeiten auch in allen anderen Ländern bei den Wirtschaftsministerien lägen.144 Artikel 152 Satz 2 der Verfassung betonte dann die Rolle des Staates in diesem Bereich, indem er ihm die Sicherstellung der Versorgung des Landes mit elektrischer Kraft ausdrücklich zuwies.145 Eine Entscheidung, die Kompetenzen aus der Obersten Baubehörde herauszulösen, fiel aber nicht.

Auch vom Länderrat aus drohte dem Innenministerium eine Minderung seiner Zuständigkeiten, als dort im Oktober 1946 ein Beschluß zustande kam, die Straßenbauverwaltungen den Verkehrsministerien einzugliedern. Der Ministerrat stimmte dem Antrag des stets nachdrücklich die Interessen des Innenministeriums vertretenden Ministers Seifried einstimmig zu, die Straßenbauverwaltung im Innenministerium zu belassen.146

Auch das Ringen um die Zuständigkeit für den in der Nachkriegszeit eminent wichtigen Wohnungsbau fand im Kabinett Hoegner I seine Fortsetzung. Der Anspruch des Arbeitsministers Roßhaupter auf diese traditionell bei der Obersten Baubehörde im Staatsministerium des Innern liegenden Kompetenzen hatte seine Grundlage in dem von der Militärregierung erlassenen Gesetz zur Errichtung des Arbeitsministeriums.147 In diesem speziellen Fall befanden sich die Vorstellungen der Militärregierung im Gegensatz zum traditionellen Ressortzuschnitt der bayerischen Staatsverwaltung. Hier wie in allen anderen Fällen standen hinter dem Streit um Kompetenzen auch unterschiedliche, teilweise ideologisch motivierte konzeptionelle Auffassungen der Minister sowie ausgesprochener Machtwille, wie er z. B. bei Wirtschaftsminister Erhard ganz deutlich zutage tritt. Mit dem Verlust oder Gewinn personell und materiell umfänglich ausgestatteter Abteilungen, wie es z. B. das Wohnungswesen in der Nachkriegszeit war, war auch die Stellung des Ministers und seines Hauses in der „Hackordnung“ des Kabinetts verbunden. Im Oktober 1945 sah sich der Ministerrat gezwungen, die Eingliederung der Obersten Baubehörde in das Arbeitsministerium umzusetzen, da die Militärregierung beständig unter Bezug auf ihr Gesetz (Abschnitt III: Abteilung VI Wohnungsfragen) darauf drängte.148 In der Folge gingen die Kompetenzen auf dem Wohnungsbausektor gänzlich auf das Arbeitsministerium über, jedoch bestand eine Bauabteilung beim Innenressort weiter.149 Die Streitigkeiten der konkurrierenden Ressorts hatten dennoch kein Ende und behinderten eine sachliche Arbeit bei der Baustoffverteilung und beim Wohnungsbau. Ausdruck dieser Reibungsverluste infolge rivalisierender Behörden war die Notwendigkeit, zur Verteilung der Baustoffe einen Planungsrat zu errichten.150

Hinzu trat, daß infolge der Verordnung Nr. 3 über das Flüchtlingswesen und des Flüchtlingsnotgesetzes151 den Flüchtlingskommissaren weitreichende Kompetenzen hinsichtlich der Wohnraumbewirtschaftung (Beschlagnahmung von Wohnraum, Unterstellung der Wohnungsämter) eingeräumt wurden, die mit der Übertragung dieses Aufgabenbereiches an das Arbeitsministerium kollidierten. Dagegen protestierte der Arbeitsminister energisch.152 Angesichts dieser vielfältigen Widerstände war Roßhaupter Ende Mai 1946 bereit, die ihm von der Militärregierung zugewiesenen Kompetenzen in Wohnungs- und Bauangelegenheiten, die er noch im Kabinett Schäffer mit Nachdruck für sich beansprucht hatte,153 an das Innenministerium abzugeben.154 Eine Entscheidung hing jedoch von der Militärregierung ab. Bei OMGB gelangte man im Oktober zu der Auffassung, daß reibungslose Arbeit erst dann möglich sei, wenn der Wohnungsbau aus dem Arbeitsministerium wieder ausgegliedert und der alte Zustand wiederhergestellt sei.155 Die Zuständigkeitsfrage in der Holzbewirtschaftung wurde zwischen der Landesforstverwaltung und dem Wirtschaftsministerium einvernehmlich gelöst.156

Hinsichtlich der Ernennung von Beamten durch die einzelnen Ressorts vertrat Finanzminister Terhalle im Ministerrat die Auffassung, daß dem Finanzministerium gegenüber den übrigen Ministerien aufgrund seiner Verantwortung für den gesamten Haushalt eine Sonderstellung zukomme.157 Im Rahmen der Verfassungsberatungen hatte der Finanzminister, der im übrigen nicht nur in dieser Frage im Ministerrat ein deutliches Profil entwickelte, in einer Denkschrift vorgeschlagen, eine Überstimmung des Finanzministers bei dem Beschluß neuer Ausgaben an eine qualifizierte Mehrheit zu binden. Damit knüpfte er an Bestimmungen der Bamberger Verfassung an.158 Der Ministerrat beschloß, eine „stärkere Heranziehung“ des Finanzministers in einer noch zu erarbeitenden Geschäftsordnung festzulegen, sofern die anderen Ministerien dem zustimmen würden. Damit war die Angelegenheit vertagt.

Neben diesen grundsätzlichen Kontroversen im Zusammenhang mit dem Aufbau und der Struktur der bayerischen Staatsverwaltung standen für den Wiederaufbau einer funktionierenden Verwaltung so grundlegende Fragen wie die Suche nach Büroräumen für Ministerien und Behörden in München,159 die Wiedereröffnung der Bayerischen Verwaltungsschule160 und der personelle Wiederaufbau, der an der sehr großen Zahl von Ernennungen und Beförderungen abzulesen ist, die der Ministerrat behandelte. Das Kabinett Hoegner I bemühte sich dabei ebenso wie die Regierung Schäffer auch um Beamte, die sich noch in der Kriegsgefangenschaft befanden.161 Ferner geben die Protokolle die in Einzelfällen intensiven Bemühungen um die Wiederverwendung von lediglich formal belasteten Spitzenbeamten nach Abschluß ihres Spruchkammerverfahrens wieder.162

Fragen des Beamtenrechts 163 nahmen auch vom Umfang her eine zentrale Stellung in den Ministerratsprotokollen ein. Gipfelpunkt war die Beratung und Verabschiedung des Bayerischen Beamtengesetzes, das am 28. Oktober 1946 in Kraft trat.164 In direktem Zusammenhang damit stand die auf amerikanischen Wunsch im Beamtengesetz verankerte Errichtung und personelle Besetzung des Bayerischen Landespersonalamtes,165 gegen das – insbesondere seine weit geschnittenen Kompetenzen – im Kabinett erhebliche Vorbehalte bestanden.166 Für den personellen Wiederaufbau der bayerischen Verwaltung war ferner von zentraler Bedeutung, in welcher Form die Wiedereinstellung formal belasteter, 1945 entlassener und nun durch das Spruchkammerverfahren gegangener Beamter zu vollziehen sein würde. Der Ministerrat erarbeitete hierfür Richtlinien.167 Auch Pensionen und Hinterbliebenenversorgung beschäftigten den Ministerrat. Wichtig war die Entnazifizierung der Pensionsempfänger, mit der die Suspendierung bzw. Wiederaufnahme der Zahlungen an sie verknüpft war.168 Zu klären war ferner, ob Vorschüsse an nichtbayerische Pensionsberechtigte gezahlt werden sollten und konnten,169 ebenso die Zahlung von Pensionen an ehemals bayerische Beamte, die nach 1933 Reichsbeamte geworden waren.170 Eine grundlegende Entscheidung für den personellen Wiederaufbau der Verwaltung fällte der Ministerrat im November 1946, indem er die Beförderungsgrenze von 62 auf 68 Jahre heraufsetzte.171 Die Spitzenämter der bayerischen Behörden und Ministerien wurden von Beamten besetzt, die bereits in den Jahren bis 1933 in den Eingangsstufen des höheren Dienstes tätig waren und Erfahrungen gesammelt hatten und sich nun im sechsten, siebten, ja achten Lebensjahrzehnt befanden.

Der Ministerrat verabschiedete Haushaltsgesetze für die Rechnungsjahre 1945 und 1946.172 Dazu bedurfte es der Zustimmung von OMGUS.173 Steuerfragen kamen nur in geringem Maße in den Protokollen vor,174 denn das Steuerwesen wurde vom Kontrollrat bestimmt.175 Gerüchte über eine Währungsreform, die die wirtschaftliche Entwicklung hemmten, waren während des gesamten Jahres 1946 im Umlauf.176 Das Kabinett regelte auch den Finanzausgleich des Freistaats mit den Gemeinden im Rechnungsjahr 1946177 und beschloß, die Bedienung eines Teils der bayerischen Staatsschulden wieder aufzunehmen.178 Behandelt wurde ferner die Besetzung der Spitzen der Bayerischen Staatsbank179 sowie der Landeszentralbank.180

Wirtschaftsthemen wurden in ganz unterschiedlicher Form in den Ministerratssitzungen behandelt. Dabei wird erkennbar, daß eine Reihe von Themen von der von den Nationalsozialisten etablierten und auf Geheiß der Militärregierung fortgeführten Verwaltungswirtschaft bestimmt wurden.181 Grundlage für diese Verwaltungswirtschaft war die auf amerikanische Weisung zurückgehende Anordnung über die Errichtung der Bayerischen Wirtschaftskontrollstellen vom 25. Oktober 1945.182 Danach entstanden unter der Aufsicht des Wirtschaftsministeriums ein Bayerisches Landeswirtschaftsamt in München sowie 12 Landesstellen, die die Erzeugung und Verteilung der gewerblichen Güter regelten.183 Die Wirtschaftsverwaltung, die im Dritten Reich dem Reichswirtschaftsministerium unterstanden hatte, gelangte dadurch in die Kompetenz des Landes.184 Die Zuständigkeiten zwischen dem Landeswirtschaftsamt und dem Wirtschaftsministerium scheinen nicht klar abgegrenzt gewesen zu sein.185 Eine außergewöhnliche Situation bestand zudem darin, daß das untergeordnete Landeswirtschaftsamt angesichts der Mangelwirtschaft in der Nachkriegszeit eigentlich ein bedeutenderes Aufgabengebiet besaß als das Wirtschaftsministerium, es verfügte auch über wesentlich mehr Personal. Die durch die Wirtschaftskontrollstellen zum Ausdruck kommende Auffassung von Wirtschaftsplanung, Produktionslenkung und Warenbewirtschaftung wurde auch vom Konsens des Ministerrats getragen. In der Regierungserklärung hatte es geheißen: „Der Wiederaufbau unserer Wirtschaft kann nur planmäßig vor sich gehen. […] Der Staat kann auf dieser Stufe des Wiederaufbaus die wirtschaftlichen Kräfte nicht nach Gewinnaussichten frei schalten und walten lassen, er muß dafür sorgen, daß vor allem den notleidenden Volksschichten geholfen wird“.186 So wurde auch die Sozialisierung des Energiesektors187 und von Grundindustrien vom Kabinett befürwortet.188

Wirtschaftsminister Erhard, der spätere Vater der Sozialen Marktwirtschaft, betrachtete die Planung und besonders die Bewirtschaftung mit Rohstoffen nicht als ideal, hat sie jedoch angesichts der ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen und der Vorgaben durch die Militärregierung als unumgänglich angesehen und mitgetragen.189

Parallel dazu versuchte er aber Impulse zu setzen, die auf eine Belebung der Wirtschaft durch die Förderung von Eigeninitiative, Handel und Export zielten. Sinnfälligster Ausdruck dieser Linie war die am 3. August 1946 eröffnete Bayerische Exportleistungsschau.190 Das Profil Ludwig Erhards wird bei der Beratung zahlreicher ökonomischer Gegenstände am kontroversen Diskussionsverlauf in den Protokollen sehr deutlich. Zwischen Ministerpräsident Hoegner, der einen genossenschaftlichen Sozialismus als Alternative zum Staatssozialismus vertrat,191 und Erhard kam es über die Frage der Bildung einer Genossenschaftsabteilung im Wirtschaftsministerium zu einer Auseinandersetzung, die ihre Basis in der grundsätzlichen Verschiedenheit ihrer Auffassungen hatte.192 Im April 1946 wurde beschlossen, einen Wirtschaftsbeirat beim Wirtschaftsministerium zu bilden, um die Kritik der Praktiker an der Wirtschaftslenkung zu kanalisieren.193

Natürlich spielten die Entnazifizierung und ihre Folgen auch auf diesem Felde eine zentrale Rolle. Gleichzeitig mit dem Regierungsantritt Hoegners hatte die Militärregierung Ende September 1945 das Gesetz Nr. 8: „Verbot der Beschäftigung von Mitgliedern der NSDAP in geschäftlichen Unternehmen und für andere Zwecke, mit Ausnahme der Beschäftigung als gewöhnliche Arbeiter“ erlassen, um eine Gleichbehandlung in der Entnazifizierung des öffentlichen Dienstes und der Wirtschaft zu erreichen.194 Die Auswirkungen waren unterschiedlich, mancherorts wurden leitende Mitarbeiter und Betriebsführer entlassen, andernorts nicht. Das Gesetz wurde im März 1946 vom Befreiungsgesetz abgelöst.

Wesentlich weiterreichende Wirkungen für die bayerische Wirtschaft hatte die auf der Basis des Militärregierungsgesetzes Nr. 52 vom 14. Juli 1945 „Sperre und Kontrolle von Vermögen“195 entfaltete Tätigkeit der jedem amerikanischen Detachment zugeteilten Property Control Officers, die Staatsvermögen, Vermögen der NSDAP, unrechtmäßig enteignetes Vermögen (z. B. aus „Arisierungen“) sowie Betriebe von NSDAP-Mitgliedern (Personenkreis des Gesetzes Nr. 8) und von Internierten etc. beschlagnahmten und unter Verwaltung stellten.196 Sehr rasch entwickelte sich Property Control zum größten Bereich der Militärregierung. Die flächendeckende Durchdringung der bayerischen Wirtschaft durch diese Maßnahmen läßt folgende Zahl erahnen: Nachdem zahlreiche Betriebe, Wertpapiere und Konten im Laufe des Jahres 1948 wieder an ihre Eigentümer zurückgegeben worden waren, standen Ende 1948 in Bayern noch immer 30.000 Vermögen unter Kontrolle.197 Die beschlagnahmten Betriebe (auch landwirtschaftliche Betriebe) und Vermögen wurden von Treuhändern verwaltet.198 Hoegner hatte als Alternative Anfang Juli 1946 im Ministerrat vorgeschlagen, die unter Kontrolle stehenden Vermögen der NSDAP und von Nationalsozialisten auf genossenschaftlicher Grundlage unter Beteiligung der Gewerkschaften, des Staates und der Gemeinden zu betreiben.199 Dies wurde nicht umgesetzt.

So prägten Vermögenskontrolle und Treuhandverwaltung das Bild der bayerischen Wirtschaft im Jahr 1946, entsprechend häufig standen diese Fragen auf der Tagesordnung des Ministerrats. Die Einsetzung der Treuhänder lag zunächst de jure allein bei der Militärregierung, de facto setzten unterschiedlichste amerikanische und deutsche Stellen Treuhänder ein. Dabei wurden auch zahlreiche Personen, die oft nicht aus Bayern stammten,200 als Treuhänder bestellt. Eine nicht geringe Zahl der Treuhänder benutzte diese Tätigkeit zur persönlichen Bereicherung. Berechtigte und unberechtigte Klagen über die Treuhänder bzw. über die Vergabe der Treuhänderstellen bestimmten infolgedessen das Alltagsbild.201 Als Wirtschaftsminister Erhard im November 1945 diese Mißstände im Ministerrat artikulierte, wurde der Beschluß gefaßt, der Militärregierung ein Gesetz vorzulegen, das die Einsetzung der Treuhänder klar regelte.202 Unter anderem war umstritten, ob die Aufsicht über die Treuhänder dem Sonder- oder dem Wirtschaftsministerium zugewiesen werden sollte.203

Aus der Sicht der entmachteten Firmenleiter hatte das System von Vermögenskontrolle und Treuhänderschaft die Fortsetzung der unter den Nationalsozialisten etablierten Herrschaft der Bürokraten in den staatlichen Wirtschaftsverwaltungen über die unternehmerische Eigeninitiative zur Konsequenz.204 Strategische Weichenstellungen in den Unternehmen konnten bis zur Entlassung aus der Vermögenskontrolle nicht getroffen werden.205

Im Sommer 1946 ging die Durchführung der Vermögenskontrolle (Reichsvermögen, nach Gesetz Nr. 52 und in Durchführung des BefrG beschlagnahmtes Vermögen) und damit auch die Einsetzung der Treuhänder in deutsche Hände über.206 Dazu wurde Anfang Juli 1946 ein Bayerisches Landesamt für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung errichtet.207 Dies bedeutete gleichzeitig die Übernahme eines enorm großen Verwaltungszweiges mit zahlreichem deutschen Personal durch die Bayerische Staatsregierung. Zunächst unterstand das Landesamt (mit 141 Außenstellen), dessen Titel schon anzeigt, daß die Verwaltung beschlagnahmter NS-Vermögen mit der Wiedergutmachung für die Opfer des Nationalsozialismus verknüpft werden sollte, direkt dem Ministerpräsidenten.208 Dem Regierungschef direkt zugeordnete Ämter widersprachen jedoch den Vorstellungen, die die Militärregierung von einer gegliederten Verwaltung hatte.209 Sie forderte daher die Unterstellung des Landesamtes für Vermögensverwaltung und Wiedergutmachung unter ein Ressort. Die von Hoegner angestrebte Unterstellung unter das Finanzressort stieß auf Widerstände des Wirtschaftsministeriums, der Ministerrat sprach sich jedoch – dies ein Ausdruck des Interesses beinahe aller Ressorts an diesem Amt und den darin zur Verfügung stehenden finanziellen Ressourcen – für die Beibehaltung der bisherigen Unterstellung aus.210 Unter der Regierung Hoegner kam es zu keiner Entscheidung dieser Frage.211 Auch nach der Errichtung des Landesamtes für Vermögensverwaltung verstummten die Klagen über das Treuhänderwesen und die Vermögensverwaltung und den damit einhergehenden Ruin der Wirtschaft nicht.212

Demontage bzw. Reparationen behandelte der Ministerrat im Zusammenhang mit dem Fernkabel München – Berlin, das fristgerecht ausgegraben und an die Sowjetunion abgegeben werden mußte.213

Die Ansiedlung der Gablonzer Glasindustrie in Kaufbeuren steht für die Bedeutung der Flüchtlinge für die Entwicklung der bayerischen Wirtschaft. Dabei war die Ansiedlung in Oberfranken oder, wie letztlich realisiert, in Kaufbeuren im Ministerrat kontrovers.214

Eine heftige Kontroverse fand im Ministerrat über die Errichtung einer Industrie- und Handelskammer in Aschaffenburg statt.215 Dabei vertrat Wirtschaftsminister Erhard das Prinzip der Gründung einer Kammer für jeden Regierungsbezirk.216 Staatssekretär Kraus trat als Lobbyist seiner Heimat Aschaffenburg auf. Für die Entscheidung zur Errichtung der Kammer war das Votum des Ministerpräsidenten letztlich ausschlaggebend, der politische Gründe ins Felde führte, da das Gebiet um Aschaffenburg wirtschaftlich nach Hessen tendiere.

Zum Themenkomplex Wirtschaft gehörte auch die Frage der Verwertung des Wehrmachtsvermögens und des Heeresgutes.217 Regelmäßig beschäftigte sich der Ministerrat auch damit, ob sich Bayern an bestimmten Unternehmen beteiligen solle, so an den Farbwerken Hoechst218 oder der Austria Zigarettenfabrik.219 Die Tendenz einer staatlichen Wirtschaftspolitik kam am stärksten auf dem Sektor der Energiewirtschaft zum Ausdruck, vor allem hinsichtlich des Bayernwerks. Der Ministerrat stellte sich auf den Standpunkt, daß die während der Jahre 1933–1945 vertraglich zustandegekommene Beteiligung nichtbayerischer Unternehmen, insbesondere des RWE, an der gegenwärtigen und zukünftigen Ausnutzung der bayerischen Wasserkräfte nichtig sei, und bemühte sich, die Energiegewinnung wieder allein in bayerische Regie – sprich die des staatlichen Bayernwerks – zurückzuführen.220

Das Verhältnis zu den beiden großen christlichen Kirchen und den israelitischen Kultusgemeinden stellte für das Kabinett und insbesondere für den Ministerpräsidenten eine zentrale Angelegenheit dar. Das Kabinett, dem mehr als zehn Katholiken, jedoch nur ein evangelischer Minister und zwei evangelische Staatssekretäre angehörten, wies keine konfessionelle Parität auf.221 Hoegner, selbst kein praktizierender Christ, erkannte „angesichts der sittlichen Verwahrlosung unseres Volkes durch den Nationalsozialismus“, wie es in der Regierungserklärung vom 22. Oktober 1945 hieß, daß es nur mit vereinten Kräften gelingen könne, wieder ein auf sittlichen Werten beruhendes Gemeinschaftsleben zu etablieren. In einer Rede am 25. November 1945 sagte er: „Aber wir brauchen nicht nur die Anerkennung, sondern Förderung der geistigen und sittlichen Werte, auf denen unsere abendländische Kultur beruht. Das bedeutet von unserer Seite auch eine positive Stellungnahme zur Religion“.222 Über die rein rechtliche und materielle Regelung des Verhältnisses zwischen Staat und Kirchen suchte der Ministerpräsident die Allianz mit den Kirchen für einen sittlichen und moralischen Neuanfang. Dahinter stand auch Hoegners Ansatz eines Bündnisses mit den großen gesellschaftlichen Gruppen des Landes.

Noch im Dezember 1945 beschloß der Ministerrat eine Verordnung über die Änderung des Kirchensteuergesetzes, durch das vor allem die israelitischen Kultusgemeinden das ihnen von den Nationalsozialisten entzogene Besteuerungsrecht zurückerhielten.223 Mehrfach behandelte der Ministerrat auch finanzielle Leistungen für den Wiederaufbau bayerischer Synagogen.224

Kardinalfrage des Verhältnisses zwischen dem Staat und der katholischen sowie evangelischen Kirche war die nach Bekenntnissen getrennte Volksschule, in der ausschließlich Lehrer dieses Bekenntnisses unterrichteten. Der Leiter des Kultusministeriums unter Ministerpräsident Schäffer, Otto Hipp, hatte versucht, mit der Wiedereinführung der Bekenntnisschule als Regelschule die durch die Nationalsozialisten in den dreißiger Jahren vollzogene Aufhebung der Bekenntnisschule rückgängig zu machen, geriet damit jedoch in Konflikt mit der Militärregierung, die diese Frage nicht durch ein Präjudiz geklärt wissen wollte.225 Kultusminister Fendt, der die Gemeinschaftsschule favorisierte, die dem schulpolitischen Programm der SPD entsprach, setzte durch Erlaß vom 26. November 1945 den Erlaß Hipps außer Kraft.226 Dies trübte das Verhältnis zu den Kirchen.227 Da Ministerpräsident Hoegner aus den genannten Gründen eine Konfrontation mit den Kirchen in jedem Fall vermeiden wollte, legte er dem Kabinett Anfang Januar 1946 in einer außerordentlichen Ministerratssitzung den Entwurf eines Gesetzes zur Befreiung der Religion von staatlichem Zwang vor.228 Darin strebte Hoegner eine Kompromißregelung an, wonach die Bekenntnisschule aufrechterhalten, die Gemeinschaftsschule aber in gewissen Fällen zwingend verlangt werde. Das im folgenden mit den Vertretern der Religionsgemeinschaften beratene und nunmehr „Gesetz über die Rechtslage der Religionsgemeinschaften in Bayern“ genannte Gesetz, wurde vom Ministerrat verabschiedet und im März 1946 im Gesetz- und Verordnungsblatt veröffentlicht. Die Militärregierung ordnete jedoch die Rücknahme des Gesetz- und Verordnungsblattes an und genehmigte das Gesetz nicht.229

Kultusminister Fendt unternahm dann im September 1946 den erneuten Versuch, ohne Absprache mit Hoegner durch einen Erlaß die Gemeinschaftsschule durchzusetzen.230 Wieder gab es heftige Proteste. Der Ministerrat beschloß, den Vollzug des Erlasses sofort auszusetzen.231 In diesem Zusammenhang erwog Fendt, wie erwähnt, seinen Rücktritt.232 Da die Schulfrage zum zweiten Mal zum Konfliktstoff geworden war, erkannte der Ministerrat die Notwendigkeit, mit den Kirchen zu einer schriftlichen Vereinbarung zu gelangen, die einerseits die Bekenntnisschule garantierte, andererseits angesichts der Notsituation in der Nachkriegszeit für eine nicht näher bestimmte Übergangszeit umfangreiche Ausnahmen konzedierte. Der Ministerrat erklärte sich im Dezember mit einem entsprechenden Entwurf einverstanden und stimmte in seiner letzten Sitzung zu, daß Hoegner und Fendt als Vertreter der nur noch geschäftsführenden Regierung dieses Dokument unterzeichnen sollten. 233 Bei all diesen Fragen ging der Ministerrat stillschweigend von der Fortgeltung des Konkordats und der Kirchenverträge aus dem Jahre 1924 aus.234

Der Ministerrat diskutierte auch ausführlich über die Wiedereinführung des 9. Schuljahres für die höheren Lehranstalten in Bayern.235 Im März 1946 wurde angesichts des Schulbuchmangels die Errichtung eines staatlichen Schulbuchverlages beschlossen.236 Die Wiedereröffnung der Universitäten, Entnazifizierung des Lehrpersonals sowie das Fortbestehen militaristischen und nationalsozialistischen Gedankengutes an den Universitäten spielte in den Verhandlungen des Kabinetts ebenfalls eine Rolle.237

Neben dem Arbeitsministerium und dem Verkehrsministerium war das Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten das einzige Ressort, dessen Geschäftsbereich und Zuständigkeiten durch Gesetz bzw. Verordnung fixiert wurde.238 Dies geschah, um juristisch abgesichert die zahlreichen ehemaligen Reichskompetenzen auf diesem Sektor wahrzunehmen.239 Es bedeutete jedoch auch eine ausdrückliche Legitimierung dieses neu geschaffenen Ministeriums gegenüber den Ansprüchen der übrigen Ressorts. Eine Aufwertung bedeutete die Unterstellung der Landesforstverwaltung.

In der Regierungserklärung vom 22. Oktober 1945 hieß es, daß das bäuerliche Eigentum gewährleistet werde.240 Andererseits legte die amerikanische Militärregierung mit dem Entwurf eines Bodenreformgesetzes vom 29. Oktober 1945 ein Papier vor, hinter dem zu diesem Zeitpunkt das politische Motiv stand, der großagrarischen Elite, die sie als mitverantwortlich für den deutschen Militarismus und die aggressive deutsche Politik betrachtete, die ökonomischen Grundlagen zu entziehen.241 Im Ministerrat wurde hierzu festgestellt, daß die Zahl des davon betroffenen Großgrundbesitzes in Bayern gering sei.242 Wirtschaftsminister Erhard erklärte, daß der Gesetzentwurf auf Süddeutschland nicht zutreffe und sich vielmehr auf die großagrarisch strukturierte preußische Landwirtschaft beziehe. Auf dem Lande sorgte der Entwurf jedoch für Unruhe, worüber sich der Landwirtschaftsminister angesichts der schwierigen Ernährungslage besorgt zeigte. Insgesamt lehnte das Kabinett mit Ausnahme der kommunistischen Mitglieder, die eine entschädigungslose Enteignung des adeligen Großgrundbesitzes in Bayern forderten,243 die Bodenreformpläne ab und erwartete davon eher ökonomische Schäden. Da angesichts der von amerikanischer Seite ausgehenden Initiative keine Ablehnung möglich war, setzte der Ministerrat einen Arbeitsausschuß zu dieser Frage ein. Im Zuge der weltpolitischen Veränderungen war die amerikanische Militärregierung jedoch schon Mitte 1946 nicht mehr an einer politischen und strukturellen Reform interessiert, was der Mehrheit im Ministerrat entgegenkam. Trotzdem wurde kaum ein anderer Gesetzentwurf vom Kabinett so ausführlich beraten wie die Neufassung des Bodenreformgesetzes.244 Das Ziel einer Bodenreform war nun nicht mehr eine Veränderung der Besitzverhältnisse, sondern die Ansiedlung von Flüchtlingen und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität.245 Dies brachte auch der Titel des dann verabschiedeten Länderratsgesetzes „zur Beschaffung von Siedlungsland und zur Bodenreform“ vom 18. September 1946 zum Ausdruck. Im übrigen ist bemerkenswert, daß dieses Thema im Rechenschaftsbericht der Regierung Hoegner am 16. Dezember 1946 vor dem Bayerischen Landtag nicht erwähnt wurde. Der Grundauffassung des Ministerpräsidenten entsprach die Förderung des landwirtschaftlichen Genossenschaftswesens.246

Die öffentliche Sicherheit stellte ein zentrales Problem des bayerischen Nachkriegsalltags dar.247 Zahlreiche gewalttätige Verbrechen, häufig von Banden polnischer oder russischer DP's verübt, beunruhigten vor allem die Bevölkerung auf dem Lande248 und hatten einen negativen Einfluß auf deren Bereitschaft, Lebensmittel für die städtische Bevölkerung abzuliefern. Infolgedessen kam dem Wiederaufbau der unter staatlicher Hoheit stehenden Bayerischen Landpolizei – die Militärregierung hatte die bayerische Polizei 1945 in einen staatlichen und einen kommunalen Zweig geteilt249 – eine besondere Bedeutung zu. Die Landpolizei war zunächst auf Regierungsbezirksebene dezentralisiert. Erst angesichts der gravierenden Sicherheitsprobleme auf dem Land wurden im April 1946 die fünf voneinander unabhängigen Landpolizeien unter dem Präsidium der Landpolizei von Bayern mit Sitz in München direkt dem Innenministerium unterstellt.250 In der Folge war kontrovers, inwieweit die Regierungspräsidenten und Landräte eine Befehlszuständigkeit gegenüber der Landpolizei besaßen.251 Als besonders schwierig erwies sich auch die personelle Rekrutierung für die Landpolizei, denn die neue Polizei konnte nicht mit belasteten Polizeibeamten aus der Zeit des Nationalsozialismus wiederaufgebaut werden. Andererseits fehlte ihr beim vollständigen Rückgriff auf unbelastetes, jedoch auch unerfahrenes jüngeres Personal die nötige Schlagkraft.252 Das Thema öffentliche Sicherheit läßt auch Fehleinschätzungen auf bayerischer und amerikanischer Seite erkennen. So lösten Meldungen über eine im Gebirge existierende von Jugendlichen gebildete nationalsozialistische Untergrundbewegung unter dem Schlagwort „Edelweißpiraten“ auf deutscher und amerikanischer Seite Hysterie aus, die jedoch jeglicher Grundlage entbehrte.253 In diesem Zusammenhang beschloß die Staatsregierung ein gegen nationalsozialistische und militaristische Umtriebe gerichtetes Gesetz zum Schutz des bayerischen Staates, das jedoch von der Militärregierung nicht genehmigt wurde.254 Noch 1945 verabschiedete das Kabinett die Verordnung über die Bildung einer bayerischen Landesgrenzpolizei.255 1946 wurde die Entscheidung über die Errichtung eines Landesidentifizierungsbüros, Vorläufer des Bayerischen Landeskriminalamts, getroffen und mit der Leitung der international anerkannte Spezialist Robert Heindl betraut.256

Intensiv beriet das Kabinett Hoegner I auch Versicherungsfragen, an erster Stelle die finanzielle Lage bzw. die Neuordnung der Sozialversicherung,257 auch die vorläufige Regelung der Arbeitslosenversicherung.258 In unterschiedlicher Weise hatte sich der Ministerrat mit der Aufhebung oder Abänderung von Zuständen bzw. gesetzlichen Regelungen zu befassen, die in der Zeit des Nationalsozialismus geschaffen worden waren. Darunter fielen u.a. die Wiederherstellung der Kreisunmittelbarkeit von Städten,259 die Feiertagsregelung in Anlehnung an die Zustände vor 1933,260 die Wiedereinführung des 1938 durch die Reichsumlegungsordnung ersetzten bayerischen Flurbereinigungsgesetzes, 261 ebenso das Gesetz über den Entzug der unter der nationalsozialistischen Herrschaft verliehenen Titel,262 das Gesetz gegen Rassenwahn und Völkerhaß,263 das Gesetz zur Ahndung nationalsozialistischer Straftaten264 oder die Aufhebung der nationalsozialistischen Gesetzgebung auf kulturellem Gebiet.265 Unter diese Kategorie gehörte auch die Beseitigung deutscher Denkmäler und Museen militärischen und nationalsozialistischen Charakters,266 die vor allem mit Bezug auf die sogenannten Ehrentempel am Königsplatz in München auf der Tagesordnung des Ministerrats erschien.267 Mit der Verordnung betreffend Bezeichnungen im Gebiet der inneren Verwaltung vom 23. Oktober 1945 wollte Hoegner die im Zuge der Gleichschaltung der Länder 1939 eingeführten Bezeichnungen „Der Landrat“ bzw. „Der Regierungspräsident“, die das Führerprinzip zum Ausdruck brachten, durch die bis dahin in Bayern gültigen sachlichen Bezeichnungen wieder ersetzen. Jedoch lehnte die Militärregierung die Verordnung zu diesem Zeitpunkt ab.268 Auch schlug der Ministerpräsident vor, ein Referat für politische Aufklärung, einen Vorläufer der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit, zu schaffen.269

Der Schwerpunkt der Tätigkeit des im Januar neu errichteten Staatsministeriums für Verkehr bestand darin, die knappen Fahrzeuge und Treibstoffmengen270 den Erfordernissen entsprechend zu verteilen.271 Klagen über die Fahrbereitschaften und ihre Leiter sowie Korruption beschäftigten entsprechend den Ministerrat.272 Die Verteilung der Treibstoffe, die bei den Fahrbereitschaften lag, wurde auch vom Wirtschaftsministerium für die Wirtschaftsämter beansprucht.273 Ein Impuls für den Wasserstraßenverkehr sollte von dem Vertrag zwischen dem Freistaat Bayern und dem Bayerischen Lloyd ausgehen.274

Am 5. Juni 1946 faßte der Ministerrat den Beschluß, das Maximilianeum zum Landtag umzubauen,275 dessen Umsetzung sich jedoch verzögerte.276 Neu geregelt wurden auch die Frage des Ruhegehalts und der Hinterbliebenenversorgung der Staatsminister und Staatssekretäre,277 eine Unfallversicherung278 sowie die Frage der Übernahme von Aufsichtsratsmandaten durch Mitglieder des Kabinetts.279

Mit Ausnahme von Problemen der Landeshauptstadt München280 gelangten nur selten Themen von lokaler Bedeutung in den Ministerrat. Auch Verbände spielen in den Beratungen eine vergleichsweise geringe Rolle. Forderungen der Gewerkschaften wurden im Zusammenhang mit der Frage nach ihrer Vertretung in Aufsichtsräten staatseigener Betriebe,281 bei der Verstaatlichung des oberbayerischen Kohlenbergbaus282 sowie der Besetzung der Spruchkammern beraten. Ende Oktober 1946 beschloß der Ministerrat eine Verordnung über die Aufgaben des Bayerischen Bauernverbandes, die diesem u.a. auch das Recht zusprach, Anträge an die Staatsregierung zu stellen. Nach der Lizenzierung am 21. Dezember 1945 wurde dadurch seine Position als Berufsorganisation der bayerischen Landwirtschaft im politischen Raum Bayerns definiert und gestärkt.283 Im April beriet der Ministerrat eine Resolution des Bauernverbandes.284

Kennzeichnend für den Inhalt der Ministerratssitzungen ist, daß normative Materien dominierten. Dazu trug sicherlich auch das besondere Interesse des Ministerpräsidenten für Justizfragen und Innenpolitik bei.285 Die Arbeit des Kabinetts stand ganz im Zeichen der gesetzlichen Regelung der verschiedensten Lebensbereiche. Das Kabinett Hoegner I reagierte auf Weisungen der Militärregierung, regelte „Altlasten“ des Nationalsozialismus oder griff regulierend in das durch Mangel und Migration geprägte Nachkriegsleben ein.

Es ist bemerkenswert, daß die dominierenden Probleme des Alltags wie Schwarzhandel, 286 Ernährung, 287 Brennstoff- und Energieversorgung 288 in den Protokollen zwar erscheinen, die Sitzungen thematisch jedoch nicht beherrschen.289 Die Alltagssorge, welche die meiste Aufmerksamkeit bei der Staatsregierung fand, war die Wohnungsbeschlagnahme durch die Militärregierung.290

Nur in Ausnahmefällen wurde die Tagesordnung des Ministerrats auch vom aktuellen Tagesgeschehen diktiert, zweimal wurde das Kabinett zu außerordentlichen, also vorher nicht geplanten Ministerratssitzungen zusammengerufen. Dies war der Fall anläßlich der Ermordung eines höheren Militärregierungsoffiziers im Januar 1946 in Passau291 und im Zusammenhang mit Kritik der Militärregierung an der Entnazifizierung.292 Herausragende tagesaktuelle Ereignisse stellten die Vorgänge in Neunburg vorm Wald,293 die Angriffe von Studenten bei einem Vortrag Pastor Martin Niemöllers an der Universität Erlangen,294 die Hochwasserkatastrophe am Inn,295 Gerüchte über Plünderungsfreiheit für Ausländer am Jahrestag der „Reichskristallnacht“296 sowie die Angriffe des Kommentators von Radio München Herbert Geßner auf Sonderminister Anton Pfeiffer dar.297

Ausgesparte Themen

Ebenso wie für das Kabinett Schäffer ist zu konstatieren, daß bestimmte Themenbereiche in den Ministerratssitzungen kaum oder gar nicht behandelt wurden, obwohl sie in der Presse des Jahres 1946 eine dominierende Rolle spielten. Eine Voraussetzung für die Harmonie im Ministerrat war das Aussparen jeglicher parteipolitischer Themen. Lediglich die von der Militärregierung angeordnete Auflösung der Bayerischen Heimat- und Königspartei wurde kurz erwähnt.298 Daß die gleichzeitig beratene Bayerische Verfassung bis auf ganz wenige Ausnahmen keine Rolle spielte,299 erstaunt im ersten Moment, wird jedoch verständlich, wenn man sich vor Augen führt, daß zahlreiche Kabinettsmitglieder dem Verfassungsausschuß der Verfassunggebenden Landesversammlung angehörten. Auch die von Wirtschaftsminister Ludwig Erhard organisierte Exportmesse im Haus der Kunst, zu der General Eisenhower München besuchte und von Hoegner und Erhard durch die Ausstellung geleitet wurde, kommt nur in anderem Zusammenhang vor.300 Das internationale Geschehen sowie die Planungen der Alliierten für die verfassungspolitische Zukunft Deutschlands bzw. der Westzonen wurden nicht thematisiert. Eine Ausnahme stellten der im Juli 1946 von den Amerikanern im Kontrollrat präsentierte Vorschlag einer wirtschaftlichen Vereinigung der Besatzungszonen und die Stuttgarter Rede des amerikanischen Außenministers Byrnes vom September dar.301